Holger Baitinger, Der frühkeltische Fürstensitz auf dem Glauberg (Hessen). In: D. Krausse (Hrsg.),...

22
REGIERUNGSPRÄSIDIUM STUTTGART – LANDESAMT FÜR DENKMALPFLEGE Frühe Zentralisierungs- und Urbanisierungsprozesse Zur Genese und Entwicklung frühkeltischer Fürstensitze und ihres territorialen Umlandes Kolloquium des DFG-Schwerpunktprogramms 1171 in Blaubeuren, 9. – 11. Oktober 2006 Herausgegeben von DIRK KRAUSSE unter Mitarbeit von CHRISTOPH STEFFEN 2008 KOMMISSIONSVERLAG · KONRAD THEISS VERLAG · STUTTGART

Transcript of Holger Baitinger, Der frühkeltische Fürstensitz auf dem Glauberg (Hessen). In: D. Krausse (Hrsg.),...

REGIERUNGSPRÄSIDIUM STUTTGART – LANDESAMT FÜR DENKMALPFLEGE

Frühe Zentralisierungs-und Urbanisierungsprozesse

Zur Genese und Entwicklung frühkeltischer Fürsten sitze und ihres territorialen Umlandes

Kolloquium des DFG-Schwerpunktprogramms 1171 in Blaubeuren, 9. – 11. Ok to ber 2006

Herausgegeben von

DIRK KRAUSSE

unter Mitarbeit von

CHRISTOPH STEFFEN

2008

KOMMISSIONSVERLAG · KONRAD THEISS VERLAG · STUTTGART

HERAUSGEBER:REGIERUNGSPRÄSIDIUM STUTTGART – LANDESAMT FÜR DENKMALPFLEGE,

BERLINER STRASSE 12 · D-73728 ESSLINGEN AM NECKAR

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.

Redaktion und HerstellungVerlags- und Redaktionsbüro Wais & Partner, Stuttgart

ProduktionDruckerei Gulde, Tübingen

© Regierungspräsidium Stuttgart – Landesamt für Denkmalpflege, Esslingen am Neckar, 2008.Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ohne Zustimmung des Herausgebers ist unzulässig und strafbar.

Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in Germany · ISBN 978-3-8062-2208-1

XIX

Inhalt

Jörg Biel zum 65. Geburtstag (Dieter Planck) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII

Schriftenverzeichnis von Dr. Jörg Biel (zusammengestellt von Jörg Bofinger) XI

Das DFG-Schwerpunktprogramm „Frühkeltische Fürs ten sitze“ – Fragestellungen, Methoden, erste Ergebnisse (Dirk Krausse) . . . . . . . . . . . . . 1

Zu den Ausgrabungen des Kieler Instituts für Ur- und Frühgeschichte am Mont Lassois 2004–2006 (Angela Mötsch, Alfred Haffner und Ulrich Müller) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Die „Heidenmauer“ bei Bad Dürkheim (Thomas Kreckel) . . . . . . . . . . . . . . . 27

Der frühkeltische Fürs ten sitz auf dem Glauberg (Hessen) (Holger Baitinger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

Der Glauberg in seinem mikro- und makroregionalen Kontext (Leif Hansen und Chris topher Pare) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

Die Wetterau und der Glauberg – Veränderungen der Wirtschaftsmethoden von der späten Bronzezeit zur Frühlatènezeit (Astrid Stobbe) . . . . . . . . . . . . 97

Archäobotanische Ergebnisse zur Bronze- und Eisenzeit in Hessen (Angela Kreuz und Eva Schäfer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

Die Erforschung der Siedlungsdynamik im Umfeld des frühkeltischen Fürs ten sitzes Hohenasperg, Kr. Ludwigsburg, auf archäologischen und naturwissenschaftlichen Grundlagen. Mit einem Nachtrag „Zu den Anfängen des Projektes“von Jörg Biel (Ines Balzer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

Neue Forschungen im Umfeld der Heuneburg. Zwischenbericht zum Stand des Projektes „Zentralort und Umland: Untersuchungen zur Struktur der Heuneburg-Außensiedlung und zum Verhältnis der Heuneburg zu um -gebenden Höhensiedlungen“ (Siegfried Kurz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

Ein Stadttor und Siedlungen bei der Heuneburg (Gemeinde Herbertingen-Hundersingen, Kreis Sigmaringen). Zu den Grabungen in der Vorburg von 2000 bis 2006 (Gabriele Kurz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

Terrassen und Gräben – Siedlungsstrukturen und Befestigungssysteme der Heuneburg-Vorburg (Jörg Bofinger und Anita Goldner-Bofinger) . . . . . 209

Stand der Dendrochronologie der Eisenzeit nördlich der Alpen mit neuen Daten aus der Heuneburg-Vorburg (André Billamboz) . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

XIX

Der frühkeltische Fürs ten sitz auf dem Ipf bei Bopfingen im Nördlinger Ries (Ostalbkreis, Baden-Württemberg). Neue Forschungen zur Burg und deren Siedlungsumfeld (Rüdiger Krause, Daniela Euler und Katharina Fuhrmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249

Paläoumweltbedingungen und anthropogene Landoberflächenverände-rungen im Umfeld des frühkeltischen Fürs ten sitzes auf dem Ipf am West-rand des Nörd linger Rieses. Erste Geländebefunde und Auswertungen2005/2006 (Sonja Mailänder, Wolf Dieter Blümel und Joachim Eberle) . . . . 281

Die östlichen Nachbarn der Hallstattfürs ten – Siedlungshierarchien und Zentralisierungsprozesse in der Südlichen Frankenalb zwischen dem 9. und 4. Jh. v.Chr.: Zielsetzungen, Forschungen und erste Ergebnisse (Markus Schußmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299

Botanische Untersuchungen zur eisenzeitlichen Landnutzung im süd-lichen Mitteleuropa (Manfred Rösch, Elske Fischer, Helmut Müller, Marion Sillmann und Hans-Peter Stika) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319

Archäozoologie frühkeltischer Faunenfunde. Studien zur Wirtschafts- geschichte im Umfeld frühkeltischer Fürs ten sitze (Kristine Schatz und Elisabeth Stephan) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349

Sehen und gesehen werden. Sichtbarkeitsanalysen als Werkzeug archäologischer Forschungen (Axel Posluschny) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367

Siedlungshierarchien und kulturelle Räume (Oliver Nakoinz und MarkusSteffen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381

Archäologie und historischer Vergleich. Fürs ten gräber und Urbanisation im frühen und mittleren 1. Jt. v.Chr. (Beat Schweizer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399

Aspekte der Zentralortgenese und Urbanisierung in Etrurien und im Picenum zwischen dem 9. und 5. Jh. v.Chr. (Ulf Hailer) . . . . . . . . . . . . . . . . . 415

Etappen der Zentralisierung nördlich der Alpen. Hypothesen, Modelle, Folgerungen (Dirk Krausse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435

Zusammenfassungen – Abstracts (translated by David Wigg-Wolf) – Resumées (traduit par Patrick Baudrand) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451

Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478

XX

Der frühkeltische Fürs ten sitz auf dem Glauberg (Hessen)

HOLGER BAITINGER

Im Herbst des Jahres 1934 veröffentlichte HeinrichRichter in der Zeitschrift „Volk und Scholle“ einenausführlichen Vorbericht über die Ausgrabungen,die er im Jahr zuvor auf dem Glauberg – unweit vonBüdingen am Ostrand der Wetterau – aufgenommenhatte.1 Zur selben Zeit, nämlich am 13. Ok to ber1934, weihte man am Fuße des Glaubergs zwei Ge-bäude ein, von denen das eine als Unterkunft für dieGrabungsmannschaft diente, während das andereArbeits- und Magazinräume bot und später zu ei-nem Museum ausgebaut werden sollte. Für die Er-richtung dieser Bauten wie für die laufenden Gra-bungen hatte der NS-Gauleiter und Reichsstatthal-ter in Hessen, Jakob Sprenger (Abb. 1)2, einen hohenBetrag aus Mitteln der neu gegründeten JakobSprenger-Stiftung zur Verfügung gestellt, die sich dieFörderung vorgeschichtlicher Ausgrabungen imRhein-Main-Gebiet zum Ziel gesetzt hatte.3 Damals,im Herbst 1934, schien also alles auf eine planvolle,langfristige und erfolgreiche Erforschung des Glau-bergs hinzudeuten, dessen „abschließende Untersu-chung“ O. Kunkel 1926 „als eine der wichtigstenAufgaben der hessischen Vorzeitforschung“4 be-zeichnet hatte.Wie wir heute wissen, haben sich diese großen Hoff-nungen nicht erfüllt. Die Ausgrabungen wurdenzwar bis zum Jahre 1939 fortgeführt, doch bliebenweiterführende Artikel des Ausgräbers aus. Das ge-samte Fundmaterial und große Teile der Dokumen-tation, die im Grabungshaus am Westabhang desGlaubergs („Jakob Sprenger-Haus“) gelagert waren,wurden dann am 2. April 1945 bei einem Gefechtzwischen SS-Soldaten und alliierten Verbänden zer-stört.5 Dem Grabungsleiter H. Richter6 gelang es biszu seinem Tode im Jahre 1970 nicht mehr, eine zu-sammenfassende Bewertung seiner Ausgrabungenzu Papier zu bringen, obwohl zahlreiche Fotos vonFunden und Befunden den Kriegszerstörungen ent-gangen waren und obwohl H. Krüger bei einerNachgrabung im zerstörten Grabungshaus 1949 ei-ne große Menge verbrannter Scherben hatte bergenkönnen. All dies hätte – trotz der schweren Kriegs-verluste – durchaus eine Bewertung der verschiede-nen Siedlungsperioden des Glaubergs erlaubt. Somitbildet der Vorbericht des Jahres 1934, der nach derzweiten von insgesamt sieben Grabungskampagnen

veröffentlicht worden ist, bis zum heutigen Tage dieBasis für jeden, der sich mit der Besiedlungsge-schichte des Glaubergs auseinander setzt.Nach dem Zweiten Weltkrieg ruhten die Feldfor-schungen am Glauberg vier Jahrzehnte lang, bevordas Landesamt für Denkmalpflege Hessen unter derwissenschaftlichen Leitung des damaligen hessischen

39

1 Richter 1934.2 St. Zibell, Jakob Sprenger (1884–1945). NS-Gauleiter und Reichs-

statthalter in Hessen. Quellen u. Forsch. Hess. Gesch. 121 (Darm-stadt, Marburg 1999).

3 Richter 1937.4 O. Kunkel, Oberhessens vorgeschichtliche Altertümer (Marburg

1926) 198.5 O. Klöppel, Kriegsende in Glauberg. In: Festschrift 1200 Glauberg

und 50 Jahre Eintracht Glauberg (Glauburg 2002) 285–298.6 Nachruf von W. Jorns, Fundber. Hessen 9/10, 1969/70, 1–3 (mit

Schriftenverzeichnis).

Abb. 1: Der Reichsstatthalter in Hessen, Jakob Sprenger (rechts), beider Einweihung des nach ihm benannten Jakob Sprenger-Hauses amWestabhang des Glaubergs am 13. Ok to ber 1934.

Abb. 2: Plan des Glaubergplateaus mit den Grabungsflächen der Jahre 1933–1939 (dunkelgrün ausgegraben; hellgrün angegraben bzw. ober-flächlich gereinigt) sowie 1985–1998 (rot).

Landesarchäologen F.-R. Herrmann die Grabungen1985 wieder aufnahm. Die örtliche Grabungsleitunglag bis zum Abschluss dieser Untersuchungen imJahre 1998 in den Händen von GrabungstechnikerN. Fischer. Anknüpfungspunkte für die neuen Aus-grabungen bildeten Bereiche im Südwesten und imSüden des Ringwalls, in denen schon Richter denSpaten angesetzt hatte (Abb. 2). Anders als an densteilen Abhängen des Glaubergs im Süden, Westen

und Norden steigt das Gelände im Südwesten rela-tiv flach an, weshalb dort seit dem Hochmittelaltermit der Enzheimer Pforte ein Zugang bestand. DerSüdwesten des Plateaus bildete mit den Flächen 1und 2 den bedeutendsten Schwerpunkt für die neu-en Ausgrabungen und lieferte wichtige Erkenntnissezur Konstruktion der späthallstatt-/frühlatènezeit-lichen Befestigungsmauern. Ein zweiter Grabungs-schwerpunkt lag im Süden des Plateaus östlich der

40

Abb. 3: Die Erweiterung des Südschnitts im Jahre 1935 erbrachte guterhaltene Steineinbauten einer mächtigen Befestigungsmauer des

(frühen) Mittelalters. Am rechten Bildrand ist die breite, zweischa -lige Vorderfront dieser Mauer zu erkennen.

Düdelsheimer Pforte. Dort hatte Richter in den Jah-ren 1933/34 einen Wallschnitt angelegt, diesen imfolgenden Jahr um eine rund 4 m breite Fläche nachOsten hin erweitert und dann sorgfältig nach Schich-ten untersucht. Zahlreiche Fotos dieses Grabungs-areals haben die Kriegszerstörungen überdauert; sienährten die Hoffnung, gerade hier sehr günstige Er-haltungsbedingungen vorzufinden (Abb. 3).Weitere Grabungsflächen beim hochmittelalterlichen„Burggebäude“ am Abschnittswall, an der so ge-nannten inneren westlichen Quermauer und unter-halb der Enzheimer Pforte erbrachten keine spät-hallstatt-/frühlatènezeitlichen Befunde. Allerdingstrugen die Untersuchungen im Vorfeld der Enzhei-mer Pforte maßgeblich dazu bei, die Befunde in denFlächen 1 und 2 besser zu verstehen. Man traf dortnämlich auf Mauerzüge und Terrassenmauern voneinem Weinberg, den Luise Gräfin zu Stolberg-Ge-dern in den 1730er Jahren hat anlegen lassen.7 In denAkten des Fürstlich Stolbergischen Archivs in Or-tenberg befindet sich ein zeitgenössischer Plan diesesWeinbergs, aus dem hervorgeht, dass der Ringwall

bis hinauf zu seiner Kuppe mit Rebstöcken be-pflanzt war (Abb. 4).8 Auf dem Wall sind längsverlaufende Mauerzüge verzeichnet, die bei denAusgrabungen tatsächlich angetroffen wurden undzunächst für Vorderfronten prähistorischer Mauerngehalten wurden. Dieses Missverständnis trug maß -geblich dazu bei, dass die Konstruktionsweise derBefestigungsmauern während der laufenden Aus-grabung nicht in befriedigender Weise geklärt wer-den konnte.Im Südwesten des Plateaus zeigte sich in den Wall-profilen eine sehr komplexe Stratigraphie. Das Süd-ostprofil der Fläche 2 lässt eine Abfolge von zweiKulturschichten und vier Mauerphasen erkennen,

41

7 K.-P. Decker, Der Glauberg als Weinberg. In: Festschrift 1200 Jah-re Glauberg und 50 Jahre Eintracht Glauberg (Glauburg 2002) 83–102.

8 Für die Erlaubnis, diesen Plan publizieren zu dürfen, danke ichS. E. Alexander Graf zu Stolberg-Wernigerode und Herrn Beckervom Fürstlichen Rentamt. Der Plan befindet sich im Fürstlichen Ar-chiv Ortenberg, Akte II G 251, fol.85. Für die Vermittlung der Ab-bildungsvorlage danke ich K.-P. Decker (Büdingen).

Abb. 4: Der auf das Jahr 1741 datierte Plan aus dem Fürstlichen Ar-chiv Ortenberg zeigt den Weinberg am Südwestabhang des Glau-

bergs. Auf dem Ringwall, der damals mit Rebstöcken bepflanzt war,sind deutlich Terrassenmauern zu erkennen (am oberen Bildrand).

die vom Jungneolithikum bis in das Hochmittelalterreichen (Abb. 5). Die älteste, beige eingefärbteSchicht, die unmittelbar dem anstehenden Basaltfel-sen auflag, enthielt Scherben und Steingeräte der Mi-chelsberger Kultur, während die darüber liegendedunkle Schicht Fundmaterial der jüngeren und spä-ten Urnenfelderzeit erbrachte, darunter neben cha-rakteristischer Keramik auch bronzene Pfeilspitzen,Nadeln, Ringchen u.a. Eine spätbronzezeitliche Be-festigung, wie sie Richter seit den 1930er Jahren pos-tuliert hat,9 konnte weder im Südwesten noch im Sü-den des Plateaus nachgewiesen werden, sodass dieExistenz eines urnenfelderzeitlichen Ringwalls mitSicherheit ausgeschlossen werden kann. Lediglichunter dem mächtigen Abschnittswall im Osten zeig-te sich eine Anschüttung dieser Epoche, in der mandie Reste einer urnenfelderzeitlichen Abschnittsbe-festigung sehen darf.10

Über diesen beiden älteren Kulturschichten lagen imSüdostprofil der Fläche 2 die Reste von vier Befesti-gungsmauern aus unterschiedlichen Epochen, vondenen hier vor allem die Mauern I und II von Inter-esse sind. Die älteste Mauer I – in der Zeichnung rotund orange eingefärbt – hatte man unmittelbar aufdie urnenfelderzeitliche Kulturschicht gesetzt; vonihrer Rückfront war nur noch ein einziger Stein insitu vorhanden, wohingegen an der Vorderfrontnoch zwei Steine übereinander lagen. Die Füllungder Mauer bestand vorwiegend aus größeren Basalt-steinen; lediglich im zentralen, durch einen starkenBrand orangerot gefritteten Bereich begegnete auchkleinteiligeres Steinmaterial, weil dort Basaltbrockendurch die Hitzeeinwirkung gesprungen waren. Auchdie hier geborgenen Scherben sind völlig durchge-glüht und haben eine leuchtend orangerote Farbe an-genommen. Die Funde aus der Füllung von Mauer I

datieren fast ausnahmslos in die Urnenfelderzeit,doch belegen drei 14C-Daten, dass man sie erst imLaufe der Hallstatt- oder Frühlatènezeit errichtethat. Da die Füllung der Mauer II bereits einige spät-hallstattzeitliche Scherben enthielt und da die eisen-zeitliche Besiedlung des Plateaus erst in der entwi-ckelten Späthallstattzeit einsetzte – Material der Stu-fen HaC/D1 fehlt auf dem Glauberg –, kann dieErrich tung der Mauer I mit dem Beginn der eisen-zeitlichen Besiedlung verknüpft und damit an dieWende von HaD2 nach HaD3 datiert werden.Die noch rund 1 m hoch anstehende Rückfront derMauer II saß unmittelbar auf der zerstörten Mauer I,und zwar fast exakt über deren Rückfront. Ihre gelb-liche bis hellbraune, lehmige Füllung enthielt einenhohen Anteil an kleinteiligem Basaltverwitterungs-grus und legte sich auf den bergwärtigen Teil derRui ne von Mauer I, wohingegen sie auf deren Au -ßen seite nicht mehr nachzuweisen war. Dies erklärtauch, warum die Vorderfront der Mauer II weder inFläche 1 noch in Fläche 2 nachgewiesen werdenkonnte, denn die Winzer des 18. Jh. haben sie abge-baut und zerstört. Die Mauer II ritt regelrecht auf

42

9 Richter 1934, 302; ders. in: Der Vogelsberg. Monatsschr. Vogels-berger Höhen-Club 42, 5, 1959, 6; ders. in: Festschrift 1969/70 derEintracht Glauberg (o.O. 1970) 27.

10 Dies geht aus der Dokumentation des Nordprofils des großen Ab-schnittswalls hervor, den Richter im Jahre 1938 durchstoßen hat.Die im M. 1:20 aufgenommene Profilzeichnung hat die Kriegs-zerstörungen überdauert und konnte im Februar 2006 durchR. Klausmann in der Außenstelle Darmstadt des Landesamts fürDenkmalpflege Hessen wiederentdeckt werden. – Der Glauberggehört demnach dem besonders häufig vertretenen dritten Be-festigungstyp nach Jockenhövel an, den „Abschnittswall-Befes-tigungen“, wohingegen er aus der Reihe der „geschlossenenRingwälle“ zu streichen ist. Vgl. A. Jockenhövel, Fundber. Hes-sen 14, 1974, 19ff. bes. 24; 46f.

Abb. 5: Das Südostprofil der Fläche 2 im Südwesten des Glaubergplateaus zeigt eine Abfolge von zwei Kulturschichten und vier Mauerpha-sen (rechts = außen).

43

der Ruine von Mauer I und nahm genau ihren Ver-lauf auf. Dies spricht ebenso wie mehrfach sehr steilabfallende Versturzkeile hinter der Rückfront vonMauer I dafür, dass die Errichtung der Mauer II un-mittelbar auf die Zerstörung der ältesten Ringmau-er folgte. Daraus ergibt sich eine Datierung in das5. Jh. v.Chr., entweder ganz an das Ende der Spät-hallstattzeit (Ha D3) oder eher noch in die beginnen -de Frühlatènezeit (Lt A). Dies bedeutet, dass es die-se Mauer ist, die zu Lebzeiten der im Grabhügel 1bestatteten Keltenfürs ten gestanden hat.Über einem deutlich ausgeprägten, mehrschichtigenVersturzkeil folgte dann die dunkelgraue bis schwar-ze, humose Schüttung der Mauer III, deren berg-wärts angeschüttete Erdrampe ein Ersteigen desWehrgangs erleichterte. Abgeschlossen wurde dieseRampe durch ein Lößband, das den Rampenfuß sta-bilisierte. Die Basisbreite dieser imposanten Befesti-gung betrug mehr als 11 m; ihre Vorderfront war derErosion und den Winzern des 18. Jh. restlos zumOpfer gefallen. Die Füllung der Mauer III bestandaus umgelagerten vorgeschichtlichen Siedlungs-schichten und erwies sich als ausgesprochen fund-reich; sie hat die Masse des späthallstatt-/frühlatène-zeitlichen Fundmaterials vom Glauberg erbracht.Vermutlich fällt die Errichtung der Mauer III in das(frühe) Mittelalter, am ehesten in spätmerowingisch-karolingische Zeit, als der Glauberg zu einer fränki-schen Großburg ausgebaut wurde.Die darüber liegende purpurn eingefärbte Mauer IVenthielt bereits hochmittelalterliche Scherben unddürfte nach derzeitigem Kenntnisstand im 11. oder

12. Jh. erbaut worden sein.11 In dieser Mauerphasewurde erstmals ein Torzugang an der Stelle angelegt,wo man noch heute den gemörtelten Torturm derEnzheimer Pforte sehen kann. Dieser Mauerphasegehören auch ein vorgelagerter Graben und einAußenwall unterhalb der Enzheimer Pforte an.Die Konstruktionsweise der späthallstatt-/frühlatè-nezeitlichen Mauern I und II in den Flächen 1 und 2kann nach der detaillierten Auswertung der Gra-bungsdokumentation als geklärt gelten. Beide gehö-ren einem Mauertypus an, den W. Dehn nach zweiBurgen im Taunus und im Trierer Land als „Pfosten -schlitzmauer vom Typ Altkönig-Preist“ bezeichnethat12 und der in Süddeutschland ausgesprochen ty-pisch für die späte Hallstatt- und frühe Latènezeitist. Die Mauer I wurde auf einer Distanz von rund28 m in unterschiedlichem Erhaltungszustand nach-gewiesen. In Fläche 1 erfasste man die Vorderfrontnicht mehr, weil die mittelalterliche Torgasse, Wein-bergsmauern des 18. Jh. und ein Suchgraben aus den1930er Jahren in die Substanz der späthallstattzeit-lichen Mauer eingegriffen hatten, doch kann ihr Ver-

Abb. 6: Grundplan der späthallstattzeitlichen Mauer I in Fläche 2. Die Rasterweite des Gitternetzes beträgt 1 m.

11 Für die vorläufige Bestimmung der hochmittelalterlichen Kera-mik aus der Mauer IV danke ich R. Friedrich (Braubach) undA. Thiedmann (Marburg) ganz herzlich. Eine Aufarbeitung dermittelalterlichen Besiedlung des Glaubergs hat in einem ge-sonderten Forschungsprojekt zu erfolgen.

12 W. Dehn, Fundber. Schwaben N. F. 14, 1957, 92; ders., Germania38, 1960, 49. – Altkönig bei Kronberg im Taunus, Hochtaunus-kreis: D. Baatz/F.-R. Herrmann, Die Ringwälle auf dem Altkönigim Taunus. Arch. Denkmäler Hessen 25 (Wiesbaden 1982) (mitälterer Literatur). – Preist, Kr. Bitburg-Prüm: Nortmann 2002.

44

lauf anhand zweier Pfostenstandspuren eindeutig re-konstruiert werden. In der benachbarten Fläche 2hatte sich die Mauer hingegen besser erhalten (Abb. 6),wenngleich auch hier die Fronten maximal noch dreiSteinlagen hoch erhalten waren. In Vorder- undRück front fielen bei der Ausgrabung in relativ regel -mäßigen Abständen Lücken auf, die miteinanderkorrespondierten und einst hölzerne Pfosten flan-kiert hatten. Die Pfosten in den Fronten waren durchmehrere Lagen von Querbalken miteinander verbun -den, die sich an manchen Stellen im Mauerkörpernoch durch Steinreihungen mit geraden Kanten ab-zeichneten; erfasst hat man sie bei der Ausgrabungfreilich nur dort, wo sie zufällig auf einer Dokumen -tationsebene (Planum) lagen. Die Queranker verlie-fen – ganz ähnlich wie bei der Mauer von Preist13 –

allesamt nicht rechtwinklig zu den Fronten, sondernwaren schräg im Mauerkörper verlegt, und zwar ver-mutlich deshalb, weil sie sich an einem nordwestlichaußerhalb der Grabungsfläche gelegenen Torbauorientierten. Auffälligerweise zog nämlich die Vor -der front im Nordwesten der Fläche 2 nach außen,obwohl die Geländesituation ein Einschwingen nachNorden hin erforderlich gemacht hätte (Abb. 2); we-nige Meter nordwestlich der Fläche 2 biegt die Pla-teaukante in nördlicher Richtung ab und überragtdort den steilen Westabhang des Glaubergs. EineTorsituation am Übergang vom flacheren Geländezum Steilhang wäre auch fortifikatorisch sinnvoll,

Abb. 7: Verschmolzener Basaltstein aus dem Kern der Mauer I. Der nicht von der Schmelze betroffene Bereich in der Bildmitte erklärt sichdadurch, dass hier ein anderer Stein auflag.

13 Nortmann 2002, 15ff. Abb. 16; 19; 22.

weil der Weg für einen Angreifer recht weit und dieAngriffsfläche gering gewesen wäre. Zudem hätteder Feind auf dem Weg zum Tor seine rechte, nichtdurch den Schild gedeckte Seite darbieten müssen.Vergleichbare Torsituation sind häufig an früheisen-zeitlichen Burgen zu beobachten, z.B. am Ringskopfbei Allenbach im Hunsrück14, und auch die Stock -heimer Pforte im Nordosten des Glaubergs zeigtdieselbe Geländesituation.Die Abstände zwischen den Frontpfosten betrugen1,30 m bis 1,90 m, und auch die Mauerbreite diffe-rierte im freigelegten Bereich. Im zentralen, be-sonders gut erhaltenen Teil der Fläche 2 – bei denPfostenpaaren 5/5a und 6/6a – erreichte sie einenWert von bis zu 5,20 m, während sie im Nordwestender Fläche 2 und im Südosten der Fläche 1 nur noch4,30 m bzw. 4,20 m betrug. Im Süden des Ringwalls,wo die Mauer – ebenso wie auf der Nordseite – di-rekt auf der Plateaukante saß, kann die Breite hinge-gen kaum mehr als 3 m betragen haben. Erst am Ab-schnittswall wurde mit etwa 5,30 m wieder ein Werterreicht, der ungefähr der Maximalbreite im Süd-westen des Plateaus entsprach. Man war also aus for-tifikatorischen Gründen bestrebt, die Mauer am fla-cheren Südwestabhang und auf der stark gefährdetenOstseite des Glaubergs besonders stark auszubauen,während man an den steilen Süd- und Nordflankendie Mauerbreite reduzierte, weil dort die Gefahr ei-nes feindlichen Angriffs gering war. Ganz ähnlicheBeobachtungen hat man 1935/36 bei den Ausgra-bungen auf dem Ringskopf bei Allenbach gemacht;dort schwankte die Breite der Pfostenschlitzmauerzwischen 2,00 m und 4,00 bis 4,50 m.15

Die Mauer I wurde, wie bereits erwähnt, durch eingewaltiges Schadensfeuer zerstört. Davon zeugen derorangerot gefrittete Bereich im Mauerkern (Abb. 5)und verschmolzene Basaltsteine (Abb. 7), die mandort geborgen hat. Nach den vorliegenden Gra-bungsunterlagen kann kein Zweifel daran bestehen,dass es sich bei diesem Brand um kein lokal begrenz -tes Ereignis gehandelt hat, sondern dass die Mauer Iin voller Länge dem Feuer zum Opfer gefallen ist.Brandspuren und „verschlackte“ Steine wurdennämlich in allen Wallschnitten im Südwesten, Süden,Osten und Norden des Ringwalls angetroffen.16 Diesbedeutet zwangsläufig, dass auch die Innenbebau-ung der Burg dieses Ereignis nicht unbeschadetüberstanden haben kann. In der Tat gibt es im kera-mischen Fundmaterial eine größere Zahl von Scher-ben, die Spuren von Sekundärbrand aufweisen. Diespäthallstattzeitliche Burg ist also in einer Brand ka -ta stro phe untergegangen, über deren Ursache mangerne mehr wüsste. Sowohl ein kriegerisches als auchein durch Blitzschlag oder Unachtsamkeit verur-

sachtes Ereignis – ähnlich mittelalterlichen Stadt-bränden – erscheint denkbar, ja sogar eine planmä-ßige Zerstörung der Burg durch ihre Bewohner kannnicht völlig ausgeschlossen werden.Der Zeitpunkt der Zerstörung von Mauer I kanndurch einige Indizien noch präzisiert werden. Sostammen die nicht sehr zahlreichen Scherben aus derFüllung von Mauer II nach derzeitigem Kenntnis-stand durchweg aus der späten Hallstattzeit, wäh-rend frühlatènezeitliches Material ausbleibt. Außer-dem gibt es Hinweise darauf, dass die Lebensdauerder Mauer I relativ hoch veranschlagt werden muss,weil im Nordwesten der Fläche 2 eine Reparatur-phase nachgewiesen werden konnte (Abb. 8). Dortwar die regelmäßige Schichtung der Rückfront zwi-schen den Pfostenschlitzen 1a und 3a aufgelöst. Anihre Stelle trat eine rohe Steinpackung, die in die un-ter der Mauerbasis liegende urnenfelderzeitlicheKulturschicht eingriff und keine Spuren des Pfos-tenschlitzes 2a erkennen ließ, den man in diesem Be-reich erwartet hätte. Offenbar hatte man hier dieRückfront der Mauer I repariert, weil der Pfosten 2adem Druck der Mauerfüllung nicht mehr standge-halten hatte und umgestürzt war. Die Reparaturstel-le reichte jeweils bis an die beiden benachbartenPfostenschlitze 1a und 3a heran, aber nicht darüberhinaus. Daraus darf man wohl den Schluss ziehen,dass die Mauer I zum Zeitpunkt ihrer Zerstörung be-reits einige Jahrzehnte gestanden hatte.Die Mauer II war – bedingt durch die späteren Ein-griffe der Winzer – wesentlich schlechter erhalten,doch handelte es sich auch bei ihr zweifelsfrei um ei-ne Pfostenschlitzmauer vom Typ Altkönig-Preist.Die Rückfront stand bei der Ausgrabung teilweisenoch über 1 m hoch an und ließ deutlich die charak-teristischen Pfostenschlitze erkennen (Abb. 5; 9). Diezugehörige Vorderfront konnte zwar nicht mehrnachgewiesen werden, doch lässt sich ihr Verlauf an-hand zweier Pfostenlöcher wenigstens ungefähr re-konstruieren. Die Mauer II erreichte an der einzigenStelle, an der sich dies beurteilen lässt, eine Breite,die etwa 0,90 m über derjenige von Mauer I lag.Auch der Abstand der Pfostenschlitze vergrößertesich mit 1,80 m bis 2,60 m deutlich gegenüber derMauer I.Der Fundstoff der Späthallstatt-/Frühlatènezeit vomGlauberg besteht zum größten Teil aus kleinteiligemScherbenmaterial, das zudem in aller Regel ver-

45

14 Dehn u.a. 1937, 8 Abb. 2.15 Dehn u.a. 1937, 23f.; 28.16 H. Baitinger, Neue Forschungen zum frühkeltischen Fürs ten sitz

auf dem Glauberg. Denkmalpfl. u. Kulturgesch. H. 3, 2006, 22–26, bes. 25f.

mischt mit Funden aus anderen Besiedlungsperio-den in den Füllungen der späten Mauern III und IVzutage kam. Insgesamt sind in den Jahren zwischen1985 und 1998 rund 3,2 t an Funden geborgen wor-den, die ein zeitliches Spektrum vom Neolithikumbis in das Hochmittelalter abdecken. EisenzeitlicheMetallgegenstände blieben jedoch ausgesprochen rar,

auch wenn man den wenigen Objekten aus den neu-en Grabungen noch solche aus der Grabung Richterhinzufügt, von denen Fotos oder Zeichnungen denKriegszerstörungen entgangen sind.Den Beginn der eisenzeitlichen Besiedlung auf demGlauberg vertreten wenige Scherben mit „MehrenerSchrägstrichverzierzung“ aus der entwickelten Spät-

46

Abb. 9: Rückfront der frühlatènezeitlichen Mauer II mit deutlich sichtbaren Pfostenschlitzen.

Abb. 8: Reparaturphase der Mauer I im Nordwesten der Fläche 2 zwischen den Pfostenschlitzen 1a und 3a. Die Rasterweite des Gitternetzesbeträgt 1m.

47

hallstattzeit bzw. der älteren Hunsrück-Eifel-Kultur(HEK IA bzw. RML I A2–3 nach Parzinger). DieStufe Ha D3 ist durch zwei bronzene Fußzierfibeln(Abb. 10; 11) eindeutig belegt. Aus der Stufe Lt Astammen mehrere Bronzearmringe, während einHalsringfragment und eine Fibel vom Frühlatène-schema bereits an den Beginn der Stufe Lt B datieren(Lt B1a). Die eisenzeitliche Besiedlung auf dem Glau -

berg erstreckt sich also von der Wende Ha D2/D3 bisan den Beginn der Stufe Lt B oder – anders ausge-drückt – vom späten 6. bis in das frühe 4. Jh. v.Chr.Jüngeres Material fehlt auf dem Berg zwar nicht völ-lig, ist aber dort so spärlich vertreten, dass nicht voneiner dauerhaften Besiedlung der Mittel- und Spät-latènezeit gesprochen werden kann, geschweigedenn von einem spätkeltischen Oppidum.Bemerkenswert ist das häufige Vorkommen strich-verzierter Keramik der ausgehenden Späthallstatt-und Frühlatènezeit. Diese Ware ist ausgesprochentypisch für den Mittelgebirgsraum zwischen demHunsrück im Westen und dem Harzvorland im Os-ten (Abb. 12). Das Auftreten solcher Gefäße belegt,dass der Glauberg viel enger mit dem Mittelgebirgs-raum verbunden war, als man dies bislang vermutethat. Er ist ganz offenbar Teil eines historischen Pro-zesses, in dem die Mittelgebirgszone erstmals in grö-ßerem Stil aufgesiedelt wurde und den man als re-gelrechten „Landesausbau“ bezeichnet hat.17

Abb. 10, 11: Zwei bronzene Fußzierfibeln der Stufe Ha D3 vomGlauberg. M. 1:1.

Abb. 12: Verbreitungskarte der strichverzierten Keramik. Umrahmter Punkt: Christenberg bei Münchhausen. Stern: Glauberg.

17 Zum Beispiel F. Verse, Die Keramik der älteren Eisenzeit im Mittel-gebirgsraum zwischen Rhein und Werra. Münstersche Beitr. ur-und frühgesch. Arch. 2 (Rahden/Westf. 2006) 141f.

10

11

Der Dekor der strichverzierten Keramik vom Glau-berg bleibt meist recht simpel; kompliziertere Mus-ter wie kreuzschraffierte Dreiecke, die ein Zick-zackband aussparen, Schachbrettmuster oder Lei-terbänder (Abb. 13) kommen selten vor. Gefäße mitaufwändiger Strichverzierung dominieren dagegenin der ältesten Besiedlungsphase des Christenbergsbei Münchhausen nördlich von Marburg, währenddort einfachere Muster weitgehend ausbleiben. DerChristenberg ist ein wichtiger Bezugspunkt für dieKeramik vom Glauberg, handelt es sich doch um ei-nen der wenigen umfangreichen, modern ergrabenenund sorgfältig publizierten Keramikkomplexe derFrühlatènezeit aus dem hessischen Mittelgebirgs-raum.18 Das mit Hilfe der Dendrochronologie anHölzern der verbrannten Frühlatènemauer ermittel-te Datum 420 v.Chr.19 liefert einen wichtigen Hin-weis darauf, dass die eisenzeitliche Besiedlung hiererst in einem fortgeschrittenen Lt A begann. Darausergibt sich der Schluss, dass der frühkeltische Fürs -ten sitz auf dem Glauberg zwar noch die PhaseChristenberg I erreichte, seinen zeitlichen Schwer-punkt aber bereits in früheren Jahrzehnten hatte.Der Glauberg weist eine lange Besiedlungsgeschich-te auf, die vom Mittelneolithikum bis in das Hoch-mittelalter reichte und immer wieder von längerenWüstungsphasen unterbrochen wurde.20 Nach eineroffenbar nicht sehr umfangreichen Nutzung durchdie Rössener Kultur wurde der Berg während derMichelsberger Kultur und in der jüngeren Urnen-felderzeit großflächig besiedelt, bevor im späten 6.und 5. Jh. v.Chr. der frühkeltische Fürs ten sitz ent-stand. In nachchristlicher Zeit besetzte man den Berg

wieder in alamannischer Zeit, also im 4./5. Jh. n.Chr.,bevor im späten 7. und im 8. Jh. mit der fränkischenGroßburg die mittelalterliche Besiedlung einsetzte.Ihr folgte noch eine hochmittelalterliche Phase, diebis in die zweite Hälfte des 13. Jh. reichte. Der Glau-berg besaß also in verschiedenen Perioden als Sied-lungsplatz eine solch große Attraktivität, dass manihn nach mitunter Jahrhunderte währender Unter-brechung immer wieder aufsuchte. Diese Tatsachegilt es im Auge zu behalten, wenn man die Bedeu-tung und Funktion des späthallstatt-/früh la tè ne zeit -lichen Fürs ten sitzes bewerten möchte. Was sind dieFaktoren, die den Glauberg zu einem solch interes-santen Siedlungsplatz machten? Hier kann man eineganze Reihe von Kriterien anführen: Zum einen istes die Beschaffenheit des nahezu ebenen, lang ge-streckten Plateaus, das sich um etwa 150 m über dieumgebenden Flussauen von Nidder und Seemen-bach erhebt und nur von Osten her leicht zugäng-lich ist (Abb. 14). Die Hochfläche bietet also ein na-türlich geschütztes Siedlungsareal, das durch eineAbschnittsbefestigung leicht abzuriegeln war. DieseVorzüge hat der Glauberg allen Bergen in seiner nä-heren Umgebung voraus.Eine weitere Besonderheit stellt der in einer natür-lichen Senke gelegene „Weiher“ dar, in dem sich dasOberflächenwasser sammelt (Abb. 15). Nach altenBerichten war das Becken auch in trockenen Som-mern stets gut gefüllt21 und stellte damit die Wasser-versorgung der Burgbewohner sicher. Erst im Hoch-mittelalter hob man auf dem Plateau einen Brunnenaus, der zusätzliches Frischwasser lieferte.22

Der Glauberg liegt am östlichen Rand der Wetterau,die ein ausreichend großes und fruchtbares Hinter-land auch für eine größere Siedelgemeinschaft aufdem Berg bot. Die Beckenlandschaft der Wetterauzeichnet sich durch günstige klimatische Verhält-nisse, ertragreiche Böden und ein weit verzweigtesGewässernetz aus, was bekanntermaßen eine dichteprähistorische Besiedlung seit dem Frühneolithikumzur Folge hatte.23

48

18 H.-H. Wegner, Die latènezeitlichen Funde vom Christenberg beiMünchhausen, Kreis Marburg-Biedenkopf. Mat. Vor- u. Frühgesch.Hessen 6 (Wiesbaden 1989).

19 M. Neyses in: Haffner/Miron 1991, 300f. Abb. 3; 4.20 H. Baitinger/F.-R. Herrmann, Der Glauberg am Ostrand der

Wetterau. Arch. Denkmäler Hessen 513 (Wiesbaden 2007).21 Bereits Ph. Dieffenbach (Archiv Hess. Gesch. u. Altkde. 3, 1844

[= H. 1, 1842] V, 5) bemerkte, dass der Weiher „selbst in heißenund trockenen Jahren, wie z.B. das von 1834 war, sein Wasser nichtganz verliert.“

22 W. Erk, Vorläufiger Arbeitsbericht über die Untersuchungen aneinem Brunnen im Bereich der mittelalterlichen ReichsburgGlauberg. Büdinger Geschbl. 9/10, 1980/81, 203–210.

23 Saile 1998.

Abb. 13: Strichverzierte Scherbe vom Glauberg.

49

Die drei genannten Gründe wiegen zwar allesamtschwer, erklären aber kaum, warum der Berg in ver-schiedenen vorgeschichtlichen und historischenEpochen eine überregional bedeutende Siedlungtrug. Deshalb erscheint als vierter Punkt die ver-kehrsgeographische Position ein ganz entscheiden-der Faktor zu sein. Hierfür muss ein wenig weiterausgeholt werden.Es war vor allem L. Pauli, der sich in den 1990er Jah-ren intensiv mit eisenzeitlichen Fernwegen beschäf-tigt und dabei die außerordentlich günstige Ver -kehrslage der keltischen Fürs ten sitze betont hat.24

Pauli stellte fest, dass solche früheisenzeitlichen Zen-tralorte häufig an Stellen lagen, an denen ein Um-

schlagplatz vom Land- auf den Wasserweg sinnvollwar.25 Ferner konstatierte er, dass sich die reichstenPlätze dort befanden, „wo man nach der Überwin-dung der europäischen Hauptwasserscheiden ambesten von Saumtieren (oder gar Karren?) auf Käh-ne umlud.“26

In der Lage an natürlichen Verkehrswegen sah spä-ter auch V. Salač ein ganz entscheidendes Kriteriumfür das Entstehen von „Knoten- bzw. Zentralsied-lungen“27, neben einem fruchtbaren Agrarhinter-land, das die Wetterau für den Glauberg zweifelsoh-ne bot. Salač betonte ferner, dass in Böhmen solchüberregional bedeutende Siedlungsplätze häufignicht im Zentrum der Siedlungskammer liegen, diesie beherrschen, sondern an deren Peripherie, undzwar an Fernwegen, die in eine benachbarte Sied-lungsregion führen.28 Ganz ähnliche Beobachtungenwie Salač haben H. Polenz für das Rhein-Main-Ge-

Abb. 14: Blick über das abgeholzte Glaubergplateau um 1936. In Hintergrund erkennt man den mächtigen Abschnittswall, im Vordergrundlinks hochmittelalterliche Hauskeller.

Abb. 15: Der „Weiher“ auf dem Glauberg.

24 Pauli 1993, 110ff. bes. 113.25 Pauli 1993, 133.26 Pauli 1993, 153. – Bereits vor Pauli hat D. Ellmers auf diesen Um-

stand hingewiesen: D. Ellmers, Die Archäologie der Binnen-schiffahrt in Europa nördlich der Alpen. In: H. Jan kuhn/W. Kim -mig/E. Ebel (Hrsg.), Untersuchungen zu Handel und Verkehr dervor- und frühgeschichtlichen Zeit in Mittel- und Nordeuropa. V. Der Verkehr: Verkehrswege, Verkehrsmittel, Organisation. Ab -handl. Akad. Wiss. Göttingen, Phil. Hist. Kl., 3. F., Nr. 180 (Göt-tingen 1989) 291–350, hier 339f.

27 Salač 2002, 34; vgl. auch ders., Die Bedeutung der Elbe für die böh-misch-sächsischen Kontakte in der Latènezeit. Germania 76, 1998,573–617.

28 Salač 2002, 34f.; 37.

biet29 und H. Nortmann für die Hunsrück-Eifel-Kultur30 gemacht.Die Ergebnisse von Pauli und Salač lassen sich m.E.sehr gut auf die Situation am Glauberg übertragen,denn die Altstraßenforschung hat bereits im späten19. und in der ersten Hälfte des 20. Jh. Ergebnisse er-arbeitet, die den Glauberg an eine ganz zentrale Po-sition im Fernwegenetz rücken.31 Der Berg liegt imBereich wichtiger Straßen, die vom Untermaindurch die südliche Wetterau ins Fuldaer Land undvon dort weiter nach Thüringen, an die Weser oderins nördliche Unterfranken – also ins Grabfeld –führten (Abb. 16).32 Die so genannte Nidderstraßeteilte sich nach der Durchquerung der Wetterau beiAltenstadt in zwei Arme, die dann links und rechtsder Nidder entlang zogen. Bei Steinfurt vereinigtensich die beiden Wege wieder und verliefen gemein-sam bis in die Gegend von Fulda. Die linke Nidder-straße überquerte den Fluss an der Glauberger Furt,führte also direkt am Fuße des Glaubergs vorbei.Dagegen zog die rechte Nidderstraße über Roden-bach, in dessen Gemarkung der wahrscheinlich früh-keltische Großgrabhügel „Dachsbau“ liegt33, undüber Hirzenhain-Glashütten (Streithain) auf demHöhenrücken rechts der Nidder entlang; auf diesemWeg wurde im Jahre 754 der Leichnam des heiligenBonifatius von Mainz nach Fulda gebracht. Etwa sie-ben Kilometer südlich des Glaubergs führte die Ho-hestraße vorbei, die auf den Anhöhen südlich desSeemenbachs in den Büdinger Wald und weiter inRichtung Fulda verlief. Ein dritter bedeutsamerFernweg führte abseits des Glaubergs über Frank-furt und Gelnhausen durch das Kinzigtal.Das Alter dieser Wege und ihre Bedeutung zu be-stimmten Zeiten ist natürlich nur schwer oder garnicht bestimmbar. Allerdings bauten die Römer inAltenstadt und Marköbel, wo Nidderstraße undHo hestraße den Limes überquerten, jeweils ein Kas-tell, was für ein vorrömisches Alter dieser Trassenspricht.34 Bereits 1913 hat G. Wolff hervorgehoben,dass die Nidderstraße die kürzeste Verbindungsliniezwischen Mainz und Fulda bildete und „überdies inallen ihren Teilen von bedeutenderen Steigungen freiist, da sie nicht […] das Massiv des Vogelsbergkreuzte, sondern an dessen Südostabhange entlangführte.“35

G. Loewe hat allerdings 1956 die Existenz der linkenNidderstraße für die vorgeschichtliche Zeit abge-lehnt, weil sie eine 7 km lange Talpassage mit zweiFlussübergängen zwischen Altenstadt und Stock -heim aufweist. Stattdessen postulierte sie als Vorläu-fer dieses Fernwegs den nördlichen Arm der Betten-straße36, der unmittelbar am Südabhang des Glau-bergs entlang verlief, um später in die Nidderstraße

einzumünden (Abb. 16).37 Auf der Bettenstraße zogsich noch im Ok to ber 1813 die geschlagene napole-onische Armee nach der Völkerschlacht bei Leipzigzurück.38 Sollte die Ansicht Loewes tatsächlich zu-treffen, dann wäre dieser alte Fernweg direkt an demmächtigen Wall-Graben-Werk entlang gezogen, indas durch die „Prozessionsstraße“ auch der Fürs ten -grabhügel 1 eingebunden war (Abb. 17).39 Dieskönnte eine Erklärung dafür liefern, warum Wallund Graben Unterbrechungen aufweisen und auchnicht, wie man dies aus fortifikatorischen Gründenerwarten würde, auf der Hangkante sitzen, sondernnach Norden hin zurückversetzt sind. Es handeltsich ganz offenbar nicht um ein Verteidigungswerk,

50

29 Polenz 1984, 50f.: „Insgesamt gesehen, liegen sie [d.h. die spät-hallstatt- und latènezeitlichen Burgen] fast alle mehr am Rande dereigentlichen Siedelflächen auf den angrenzenden Höhenzügen. Ausverkehrsgeographischer Sicht haben sämtliche Anlagen gewisseSchlüsselpositionen inne, d.h. sie befinden sich direkt oder dochnur unweit entfernt von wichtigen, auch schon für die Vorge-schichtszeit erschließbaren Verkehrslinien.“

30 H. Nortmann in: Haffner/Miron 1991, 133; Nortmann 1999, 77.31 F. Kofler, Alte Straßen in Hessen. Westdt. Zeitschr. 12, 1893, 120–

156; Wolff 1913, 25ff.; J. Vonderau, Vor- und frühgeschichtlicheDurchgangswege im Fuldaer Lande. Fuldaer Geschbl. 14, 1920,129–154; 15, 1921, 1–16; Müller 1927; Müller 1928; K. Th. Ch. Mül -ler, Antsanvia und Ortesweg, die alten Fernwege vom Untermainund aus der Wetterau über den Vogelsberg, und andere Durch-gangsstraßen im Fuldaer Land. Friedberger Geschbl. 11, 1934, 3–34; ders., Alte Straßen und Wege in Oberhessen. Zweiter Teil: DasGebiet zwischen der „Rechten Nidderstraße“ und der „Straßedurch die kurzen Hessen“. Mitt. Oberhess. Geschver. N. F. 34, 1937,1–188; W. Görich, Ortesweg, Antsanvia und Fulda in neuerSicht. Zur Heimführung des Bonifatius vor 1200 Jahren. Germa-nia 33, 1955, 68–88; Loewe 1956; Ch. Vogel, Via antiqua. Bonifa-tius´ letzter Weg (Assenheim, Lißberg 2004). – Die Bedeutung derFernwege für den Glauberg ist bereits verschiedentlich betont wor-den, z.B. von Wiesenthal 1936, 9; 22ff.; Richter 1937; J. Werner in:C. Bauer/L. Boehm/M. Müller (Hrsg.), Speculum Historiale.Festschr. J. Spörl (Freiburg, München 1965) 450; 452; Jorns 1967,23; ders. in: 1200 Jahre Altenstadt (767–1967) (Altenstadt 1967)40f.; Kimmig 1990, 81.

32 Die folgenden Ausführungen basieren vor allem auf den Arbei-ten von K. Th. Ch. Müller, die in Anm. 31 zitiert sind.

33 Loewe 1956, 137; F.-R. Herrmann/O.-H. Frey, Die Keltenfürs ten vom Glauberg. Ein frühkeltischer Fürs ten grabhügel bei Glauburg-Glauberg, Wetteraukreis. Arch. Denkmäler Hessen 128/129(Wiesbaden 1996) 48f. Abb. 55; 56; Saile 1998, 287 Nr. 624.

34 Im gleichen Sinne Wolff 1913, 25; H. Schönberger in: D. Baatz/F.-R. Herrmann (Hrsg.), Die Römer in Hessen (Stuttgart 1982) 227;D. Baatz, ebd. 429.

35 Wolff 1913, 25.36 Das Betten war bis zum Jahr 1830 eine große Hutweide, die sich

im gemeinsamen Besitz von 15 Dörfern des Landgerichts Orten-berg befand (Müller 1928, 40; Wiesenthal 1936, 12; 23).

37 Loewe 1956, 133; 136. – Auch Jorns 1967, 5ff. Abb. 6 lässt die Bet-tenstraße bei Lindheim die Nidder überqueren und direkt am Süd-abhang des Glaubergs entlang laufen. – Vgl. auch Müller 1928, 37ff.;Wiesenthal 1936, 37 („Am Bettenweg“).

38 Müller 1928, 41 mit Anm. 32; Loewe 1956, 129f.39 Loewe 1956, 136: „In der Flur Auf dem Damm läuft unsere Stra-

ße parallel zur Längsachse des Glaubergs bis dicht vor den Enz-heimer Kopf. In derselben Richtung, gewissermaßen als Fortset-zung, führt ein starker Erdwall über den Sattel.“

Abb. 16: Alte Fernwege vom Untermain in das Fuldaer Land.

51

sondern um eine monumentale Begrenzung desGlaubergareals, die den Fürs ten grabhügel 1 durchdie Blickachse „Prozessionsstraße“ geradezu mys-tisch überhöht hat.Wie im Falle der böhmischen Knotensiedlungen, dieSalač genannt hat, liegt also auch der Glauberg an derPeripherie der zugehörigen Siedlungskammer, an ei-ner Stelle, an welcher sich die Landschaft verändertund Fernwege aus der Wetterau durch den Vogels-berg in die benachbarte Siedlungskammer, das Ful-daer Becken, verlaufen. Salač hat überzeugend dar-gelegt, dass solche Plätze zunächst als Rastplätze ein-gerichtet wurden, an denen man Verpflegung, Ob-dach und Futter für Zug- oder Lasttiere bekommenkonnte, an denen aber auch Informationen über denweiteren Weg, Träger, Lotsen oder sogar Geleit-schutz zur Verfügung standen.40 Dies führte dazu,dass ein solcher Rastplatz auch für die Umgebungzunehmend an Attraktivität gewann und so zu ei-nem „Organisierungs- oder Knotenpunkt“ unddann zu einem überregional bedeutenden Zentralortaufsteigen konnte. Der Zentralort entstand also anschon existierenden Fernwegen und nicht umge-kehrt.41 Nebenbei bemerkt wäre auch ein Heiligtum,in dem man eine erfolgreiche und gesunde Reise er-

bat oder für eine unbeschadet überstandene ReiseDank abstattete, an einer solchen Stelle keineswegsüberraschend.Es lässt sich also als Zwischenergebnis festhalten,dass der Glauberg an wichtigen Verkehrswegen lag,die vom Untermain ins Fuldaer Land und weiternach Thüringen, Unterfranken und in die norddeut-sche Tiefebene führten. Diese Position ist mit größ-ter Wahrscheinlichkeit dafür verantwortlich, dass derGlauberg mehrfach eine überregional bedeutendeAnsiedlung getragen hat. Möglicherweise darf manaber – basierend auf den Ergebnissen von Pauli – so-gar noch einen Schritt weitergehen. Pauli hat betont,dass die reichsten Fürs ten sitze der Späthallstatt-/Frühlatènezeit im Bereich europäischer Haupt was -serscheiden lagen, wo man Güter von Lasttierenoder Karren auf Wasserfahrzeuge umladen musste.42

40 Salač 2002, 36ff.41 Vgl. G. Dobesch, Handel und Wirtschaft der Kelten in antiken

Schriftquellen. In: C. Dobiat/S. Sievers/Th. Stöllner (Hrsg.),Dürrnberg und Manching. Wirtschaftsarchäologie im ostkeltischenRaum. Akten Internat. Koll. Hallein/Bad Dürrnberg 7.–11. Ok -to ber 1998. Koll. Vor- u. Frühgesch. 7 (Bonn 2002) 1–25.

42 Pauli 1993, 153.

Durch den Vogelsberg verläuft die europäische Was-serscheide zwischen Rhein und Weser. Die Fuldawar – wie mittelalterliche Schriftquellen belegen –zumindest bis in die Gegend des Klosters Fulda vonkleineren Schiffen zu befahren.43 In der Gegend vonFulda, vielleicht auch an einem der Nebenflüsse wieetwa der Lüder, könnte man Waren umgeladen undauf dem Landweg bis an den Glauberg gebracht ha-ben, von wo dann wiederum ein Transport auf demWasserweg möglich war, und zwar nidder- und nid-daabwärts zum Main und zum Rhein. Kähne mit ge-ringem Tiefgang oder Einbäume44 konnten durchausauch kleinere Flüsse wie die Nidder befahren, an de-

ren Schiffbarkeit man heute zweifeln würde.45 DerGlauberg lag demnach an einer der kürzesten Land-verbindungen zwischen den Flusssystemen vonRhein und Weser.

52

43 Eckoldt 1980, 79f.44 D. Ellmers, Keltischer Schiffbau. Jahrb. RGZM 16, 1969, 73–122.45 Eckoldt 1980. – Zur Schiffbarkeit kleinerer Flüsse in der Wette-

rau vgl. Wolff 1913, 23f. – W. Czysz hat für den an der Nidder ge-legenen römischen Vicus von Heldenbergen vermutet, dass „dieSchiffbarkeit von Nidda und Nidder ebenfalls eine aus logistischenGründen nicht zu unterschätzende Rolle gespielt“ haben dürfte(W. Czysz, Heldenbergen in der Wetterau. Feldlager, Kastell, Vi-cus. Limesforsch. 27 [Mainz 2003] 49).

Abb. 17: Möglicher Verlauf der Bettenstraße am Südabhang des Glaubergs.

Eine weitere Erklärung für die herausragende Be-deutung des Glaubergs gerade in der Späthallstatt-/Frühlatènezeit könnte in der Verhüttung der Braun-eisenerze des Vogelsbergs liegen, wofür es allerdingsbislang keine archäologischen Belege gibt.46 Zumin-dest zeigen Pollendiagramme aus dem Hohen Vo-gelsberg für die Eisenzeit eine Waldauflichtung an,47

die A. J. Kalis und A. Stobbe allerdings nicht alleinals eine Folge verstärkten Holzeinschlags – vielleichtzur Gewinnung von Holzkohle für die Eisenver-hüttung – werten möchten, sondern vor allem auf ei-ne starke Waldweidetätigkeit zurückführen.48 Wei-tere Forschungen zu dieser Frage müssen einstwei-len als ein dringendes Desiderat gelten.Die überregionale Bedeutung des Glaubergs wird fürdie frühkeltische Zeit vor allem durch die Funde ausden Fürs ten gräbern und die vier lebensgroßen Sand-steinstatuen greifbar,49 wohingegen das Fundmateri-al aus der Höhensiedlung kaum eine herausragendeRolle des Berges erkennen lässt. Südimporte wie et-wa attische Gefäßkeramik fehlen – anders als auf densüdwestdeutschen Fürs ten sitzen – auf dem Glauberggänzlich, und die strichverzierte Keramik weist aufenge Beziehungen in den hessisch-thüringischenMittelgebirgsraum hin, wo diese Ware ihren Ver-breitungsschwerpunkt besitzt (Abb. 12). Allerdingssind in diesem Zusammenhang zwei bemerkenswer-te Fundstücke des 5. Jh. v.Chr. aus der näheren Um-gebung des Glaubergs zu erwähnen: Das ist zum ei-nen das altbekannte Halbfabrikat eines Halsrings,das um 1906 am Südabhang des Glaubergs entdecktworden ist und das bis zum heutigen Tag als einesder besten Beispiele für persisch-achämenidischeEinflüsse auf das frühkeltische Kunsthandwerk gilt,50

zum anderen der um 1855 bei Borsdorf ausgepflüg-te etruskische Bronzehenkel aus dem späten 5. Jh.v.Chr., der nach Ansicht von W. Kimmig den letztenRest eines unbeobachtet zerstörten früh latène zeit li -chen Fürs ten grabs darstellt.51

Aus anderen Besiedlungsperioden des Glaubergskennt man ebenfalls Fundstücke, die weit reichendeKontakte der Burgbewohner erkennen lassen. Einesystematische Aufarbeitung dieser Siedlungsphasenwird diese Beobachtungen noch vertiefen können,doch sollen hier zumindest zwei außergewöhnlicheObjekte der Urnenfelderzeit kurz erwähnt werden.Zum einen handelt es sich um ein einschneidigesBronzerasiermesser mit seitlicher Griffangel, das derVariante Auvernier zuzurechnen ist (Abb. 18).52 Sol-che Rasiermesser kennt man vorwiegend aus See-ufersiedlungen des Schweizerischen Mittellands,weshalb A. Jockenhövel auch mit einer Herstellungin dieser Region rechnet. In Hessen sind bislang le-diglich zwei weitere Exemplare gefunden worden,

beide im Hort von Hanau „Dunlopgelände“.53 Wirfassen mit diesem Stück also offenbar Kontakte anden Ober- und Hochrhein. Das zweite Objekt, dasBruchstück eines tönernen Schuhgefäßes (Abb. 19),hat man aus der urnenfelderzeitlichen Kulturschichtdes Glaubergs geborgen.54 Erhalten hat sich lediglich

53

46 Stobbe/Kalis 2001, 120f.; Stobbe/Kalis 2002, 125.47 M. Schäfer, Pollenanalysen an Mooren des Hohen Vogelsberges

(Hessen) – Beiträge zur Vegetationsgeschichte und anthropoge-nen Nutzung eines Mittelgebirges. Diss. Botanicae 265 (Berlin,Stuttgart 1996) 218ff.

48 Stobbe/Kalis 2001, 121; Stobbe/Kalis 2002, 125f.49 Zusammenfassend H. Baitinger/B. Pinsker (Red.), Das Rätsel der

Kelten vom Glauberg. Ausstellungskat. Frankfurt am Main 2002(Stuttgart 2002).

50 P. Helmke, Eine Bronze der Früh-La Tène-Zeit. FriedbergerGeschbl. 1, 1909, 1–4; O.-H. Frey, Zu einem keltischen Halsringvom Glauberg. Fundber. Hessen 19/20, 1979/80 [Festschr.U. Fischer] 609–615; ders., Zu einem bedeutenden Zeugnis der frü-hen keltischen Kunst vom Glauberg. Wetterauer Geschbl. 30, 1981,13–21.

51 Kimmig 1990.52 A. Jockenhövel, Die Rasiermesser in Mitteleuropa (Süddeutsch-

land, Tschechoslowakei, Österreich, Schweiz). PBF VIII, 1 (Mün-chen 1971) 224ff. Taf. 50 B.

53 Ebd. 227 Nr. 499–500 Taf. 35.54 H. Baitinger, Ein Schuhgefäß der Urnenfelderzeit vom Glauberg,

Wetteraukreis (Hessen). Germania 85, 2007, 47–59.

Abb. 18: Einschneidiges Bronzerasiermesser mit seitlicher Griffan-gel vom Glauberg. M. 1:1.

54

der Fuß, der am Knöchel abgebrochen ist. In seinerLängsrichtung ist das Stück durchbohrt, d.h., es warunmöglich, in diesem Gefäß Flüssigkeiten aufzube-wahren; dies spricht für eine Verwendung im Rah-men von Kulthandlungen. Vergleichbare Gefäßesind aus der süddeutschen Urnenfelderkultur prak-tisch unbekannt. Gute Parallelen findet man in Grä-bern der Lausitzer Kultur und der mitteldonaulän-dischen Urnenfelderkultur, wo auch die Durchlo-chung der Schuhspitze begegnet.55 Das Exemplarvom Glauberg bildet somit ein Indiz für weit rei-chende Kontakte des Glaubergs nach Osten.Die eisenzeitliche Besiedlung auf dem Plateau setzte– wie bereits erwähnt – an der Wende von Ha D2nach Ha D3 ein, also am Ende des 6. Jh. v.Chr. Zudieser Zeit, in der auch in der Hunsrück-Eifel-Kulturdie ersten Burgen entstanden,56 errichtete man an denKanten des Glaubergplateaus die rund 1,5 km langeRingmauer I. Wie die Forschungen von A. Stob be undA. J. Kalis ergeben haben, zeichnen sich im ausge-henden 6. Jh. v.Chr. im Umfeld des Glaubergs be-merkenswerte Veränderungen in der Landschafts-nutzung ab. Nach einer Phase intensiver landwirt-schaftlicher Bodennutzung während des 6. Jh. v.Chr.kam es im Osten der Wetterau seit dem Ende diesesJahrhunderts, vor allem aber im 5. Jh. v.Chr. zu ei-nem Rückgang der waldfreien Flächen.57 Nach den

neuesten Forschungen von A. Stobbe ist dieses Phä-nomen in den Profilen Mönchborn und Dorfwiesefassbar, die rund 15 km nordwestlich bzw. nord-nordwestlich des Glaubergs liegen, nicht aber in dernächsten Umgebung des Fürs ten sitzes.58 In den bei-den genannten Pollenprofilen bleiben die Werte derSiedlungszeiger zwar nach wie vor hoch, doch stei-gen vor allem die Werte für Buche und Eiche starkan. Es kam dort also im 5. Jh. v.Chr. zu einer Rege-neration der Wälder. Dies bedeutet aber, dass damalsim Osten der Wetterau zuvor genutzte Wirtschafts-flächen aufgegeben worden sein müssen, und das ge-nau zu der Zeit, als auf dem Glauberg die späthall-stattzeitliche Burg entstand. Erst im 4. Jh. v.Chr. –nach dem Ende des keltischen Fürs ten sitzes – kam eswieder zu einer Ausdehnung der landwirtschaftlichenNutzflächen und zu einem Rückgang der Wälder.59

Diese Ergebnisse der Pollenanalyse stehen im Wi -d er spruch zu den vordergründigen Erwartungen derArchäologen, dass sich die Konzentration einer grö-ßeren Bevölkerungsmenge auf dem Glauberg in ei-ner intensiveren Nutzung seines näheren und weite-ren agrarischen Umfelds niederschlagen müsse. Tat-sächlich ist aber – zumindest nordwestlich des Glau-bergs – das Gegenteil der Fall: Als die Burg erbautwurde, für die aufgrund des hohen Fundnieder-schlags der Späthallstatt-/Frühlatènezeit eine dichteBesiedlung zu vermuten ist, fielen dort zuvor ge-nutzte Flächen wüst.Dieser scheinbare Widerspruch fordert ein alternati-ves Erklärungsmodell heraus, das die Erkenntnisseder archäologischen und der naturwissenschaftlichenForschungen in Einklang bringt. Leider helfen hier-bei die eisenzeitlichen Fundstellen im näheren Um-kreis des Glaubergs bislang nur wenig weiter, da ih-re Zahl begrenzt bleibt und eine genaue Datierungdes Scherbenmaterials ausgesprochen schwierig ist.Deshalb lässt sich die Siedlungsdynamik im Umfeldder Burg einstweilen auch kaum näher beurteilen,

Abb. 19: Fragmentiertes Schuhgefäß der Urnenfelderzeit vom Glau-berg.

55 M. Gedl, Tongefässe in Schuhform aus den Grabstätten derBronzezeit in Südpolen (polnisch mit dt. Zusammenfassung). Zbor-ník Fil. Fak. Univ. Komenského, Hist. 39/40, 1989 (1991) 65–71;R. Kalicz-Schreiber/N. Kalicz, Die Stiefelgefäße des spätbronze-zeitlichen Gräberfeldes von Budapest-Békásmegyer. In: Χρóνος.Beiträge zur prähistorischen Archäologie zwischen Nord- und Süd-osteuropa [Festschr. B. Hänsel]. Internat. Arch. Stud. Honoraria1 (Espelkamp 1997) 353–371.

56 Es sei hier nur an die Anlagen von Kirnsulzbach und Befort er-innert, die mit Hilfe der Dendrochronologie in die Jahre 514 und509 v.Chr. datiert worden sind: M. Neyses in: Haffner/Miron 1991,302ff. Abb. 6; Nortmann 1999.

57 Stobbe/Kalis 2001, 123; Stobbe/Kalis 2002, 126ff. bes. 129; Bei-trag Stobbe S. 97.

58 Vgl. Beitrag Stobbe S. 97.59 Stobbe/Kalis 2002, 129.

was einmal mehr verdeutlicht, welche Bedeutungdem Forschungsprojekt „LandschaftsarchäologieGlauberg“ zukommt.60 Aufgrund dieses unbefriedi-genden Kenntnisstandes sollen die folgenden Aus-führungen einstweilen auch nicht als Modell, son-dern als eine „Gedankenskizze“ verstanden werden,die eine Förderung der weiteren wissenschaftlichenDiskussion zum Ziel hat.Wie die Pollenanalysen ergeben haben, wurde im6. Jh. v.Chr. das Umfeld des Glaubergs landwirt-schaftlich intensiv genutzt, wohl von kleineren Sied-lungseinheiten (Dörfern, Weilern oder Einzelgehöf-ten).61 Man betrieb Subsistenzwirtschaft ohne nen-nenswerte Überschussproduktion. ÜberregionaleKontakte zeichnen sich im Fund be stand solcher Sied-lungsplätze allenfalls in sehr bescheidenem Umfangab; die Burg auf dem Glauberg existierte noch nicht.Am Ende des 6. Jh. v.Chr. kam es dann zu grundle-genden Veränderungen, deren genaue Ursacheneinstweilen im Dunkeln bleiben, die aber kaum zu-fällig mit dem Beginn des Burgenbaus in der Huns-rück-Eifel-Kultur zeitlich korrespondieren. AmGlauberg wurde eine größere Zahl von Personen ineiner Burg zentralisiert, die von einer Ringmauer ge-schützt war. Wenn sich zur selben Zeit nordwestlichdes Glaubergs Veränderungen in der Landschafts-nutzung abzeichnen, so scheint dies darauf hinzu-deuten, dass die Bewohner der Burg bis zu deren Er-richtung im weiteren Umfeld des Berges gelebt hat-ten und dann in die neue Großsiedlung umgesiedeltwurden. Dann aber muss man sich nicht scheuen,von einem regelrechten Synoikismos zu sprechen,wie man ihn in zahlreichen Beispielen aus dem anti-ken Griechenland kennt. Bei einem Synoikismoswurde die Bevölkerung aus umliegenden Dörfern ineiner neu gegründeten (oder bereits bestehenden)Polis konzentriert.62 In aller Regel kam es zur Grün-dung einer Stadt in einer Region, in der bis datodörfliche Strukturen vorgeherrscht hatten. Die Ur-sachen für einen Synoikismos waren häufig hochpo-litischer Art. So gründeten wohl im 5. Jh. v.Chr.neun umliegende Dörfer in Tegea eine Stadt unterdem Eindruck spartanischer Angriffe, d.h., das städ-tische Zentrum entstand unter dem Druck eines aus-wärtigen Feindes durch Gemeinden, die wahr-scheinlich bereits zuvor eine politische Einheit ge-bildet hatten. Besonders gut bekannt ist der Synoi-kismos der arkadischen Stadt Megalopolis in densechziger Jahren des 4. Jh. v.Chr. Hier versuchten dieThebaner, die 371 v.Chr. die spartanische Phalanx beiLeuktra vernichtend geschlagen hatten, mit derGründung der Stadt ein politisches Gegengewichtzu Sparta auf der Peloponnes zu installieren. Inter-essant sind Berichte, dass die Umsiedlung der Be-

völkerung in die neu gegründete Polis gewaltsam er-folgte und dass es z.T. heftigen Widerstand dagegengab. Der Synoikismos wurde im Falle von Megalo-polis also von einer auswärtigen Macht – dem böo-tischen Theben – betrieben, nicht von der ortsansäs-sigen Bevölkerung. Die Liste der Beispiele könnteweiter fortgesetzt werden, doch soll hier lediglichnoch erwähnt werden, dass ein Synoikismos gele-gentlich auch wieder rückgängig gemacht wurde(Dioikismos), weil der neu gegründete Staat seinenNachbarn zu mächtig zu werden drohte.Die Konzentration der Bevölkerung auf dem Glau-berg am Ende des 6. Jh. v.Chr. hatte die Aufgabelandwirtschaftlicher Flächen im Umfeld zur Folge.Ein nicht unerheblicher Teil der Burgbewohner wid-mete sich nun wohl spezialisierten Aufgabengebie-ten, sei es dem (Metall-?) Handwerk, sei es be-stimmten Tätigkeiten, die im Zusammenhang mitder Rolle des Glaubergs als Zentralort standen(Flussschifffahrt, Lotsendienste, Betreiben von Un -terkunftshäusern, organisatorische Aufgaben wiez.B. die Instandhaltung der Mauern, Betreiben vonZollstationen, Organisation von größeren Märktenetc.). Die Rolle der Elite – also der keltischen Fürs -ten – bei diesem Prozess gilt es im Einzelnen nochzu untersuchen. Wir möchten also am Glauberg fürdie Endphase der Hallstattzeit und die frühe Latè-nezeit ein wesentlich differenzierteres gesellschaftli-ches System annehmen als noch für das 6. Jh. v.Chr.,wodurch eine größere Zahl von Personen dem land-wirtschaftlichen Produktionsprozess entzogen war.Im frühen 4. Jh. v.Chr. zerbrach dieses kurzlebigegesellschaftliche System in der Zeit der Keltenwan-derungen. Die befestigte Höhensiedlung auf demGlauberg wurde aufgegeben, und in den Pollenpro-filen zeichnet sich – ähnlich wie im 6. Jh. v.Chr. – dasBild einer agrarisch wirtschaftenden Bevölkerung ab,die offenbar wieder auf kleinere Siedlungseinheitenverstreut war. Man rodete die Wälder, die im 5. Jh.v.Chr. nordwestlich des Glaubergs entstanden wa-ren, und nahm das Land wieder unter den Pflug.Der Glauberg verdankt seine Bekanntheit vor allemden Fürs ten gräbern und Statuen, die F.-R. Herrmannin den 1990er Jahren an seinem Fuß hat bergen kön-nen. Diese sensationellen Funde sind Niederschlageines historischen Prozesses, der im 6. und 5. Jh.

55

60 Vgl. Beitrag Hansen/Pare S. 57.61 Polenz 1984, 48 vermutet, dass im Rhein-Main-Gebiet „der Ein-

zelhof die bestimmende Siedlungsform der Hallstatt- und Latè-nezeit […] gewesen sein“ dürfte.

62 Hierzu und zum Folgenden RE IV A, 2 (Stuttgart 1932) 1435–1445s.v. Synoikismos (U. Kahrstedt); Der Neue Pauly 11 (Stuttgart, Wei-mar 2001) 1161 s.v. Synoikismos (P. J. Rhodes).

v.Chr. die Zone nordwärts der Alpen einschließlichdes Mittelgebirgsraums erfasste und dort gesell-schaftliche Umwälzungsvorgänge in Gang setzte, diesich in der Selbstdarstellung der Elite in prunkvollausgestatteten Gräbern und in der Zentralisierungvon Bevölkerungselementen in befestigten Höhen-siedlungen, den so genannten Fürs ten sitzen, signifi-kant niedergeschlagen hat. Trotz aller Gemeinsam-keiten zeichnen sich diese frühkeltischen Zentralor-te durch eine ausgeprägte Individualität aus, die esunmöglich macht, pauschale Urteile zu fällen. DieAufarbeitung der Ausgrabungen auf dem Glaubergzeigt immer deutlicher, dass man ihn nur bedingt mitden südwestdeutschen Fürs ten sitzen vom TypusHeuneburg vergleichen kann, sondern eng mit einemkulturellen Raum zu verbinden hat, der dem nord-

westalpinen Späthallstattkreis nördlich vorgelagertwar. Dies belegen Verbindungen des Glaubergs zumMittelrhein und nach Thüringen ebenso wie seinePosition an wichtigen Fernwegen vom Untermainins Fuldaer Land. Die neuen Forschungsergebnissezum Glauberg tragen somit erheblich dazu bei, diekulturellen und gesellschaftlichen Verhältnisse derSpäthallstatt-/Frühlatènezeit in der Zone nordwärtsder Alpen besser zu verstehen.

Dr. Holger BaitingerDFG-Projekt „Fürs ten sitz Glauberg“Römisch-Germanische Kommission, Haus IIArndtstraße 2160325 Frankfurt am [email protected]

56

Abgekürzt zitierte LiteraturDehn u.a. 1937 W. Dehn/H. Eiden/W. Kimmig, Der Ringskopf bei Allenbach. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des Hochwalds.

Trierer Zeitschr. 12, 1937, 1–43.

Eckoldt 1980 M. Eckoldt, Schiffahrt auf kleinen Flüssen Mitteleuropas in Römerzeit und Mittelalter. Schr. Dt. Schiffahrts-mus. 14 (Oldenburg, Hamburg, München 1980).

Haffner/Miron 1991 A. Haffner/A. Miron (Hrsg.), Studien zur Eisenzeit im Hunsrück-Nahe-Raum. Symposion Birkenfeld 1987.Trierer Zeitschr. Beih. 13 (Trier 1991).

Jorns 1967 W. Jorns, Die Altenstädter Landschaft in urgeschichtlicher Zeit. In: 1200 Jahre Altenstadt (767–1967) (Al-tenstadt 1967) 5–24.

Kimmig 1990 W. Kimmig, Zu einem etruskischen Beckengriff aus Borsdorf in Oberhessen. Arch. Korrbl. 20, 1990, 75–85.

Loewe 1956 G. Loewe, Fernstraßen der Vorzeit im südwestlichen Vogelsberg. In: Kreis Büdingen – Wesen und WerdenBd. 1 (Büdingen 1956) 129–142.

Müller 1927 K. Th. Ch. Müller, Kinzigstraße, Hohestraße und Nidderstraße als vor- und frühgeschichtliche Durchgangs-wege vom Untermain zur Weser und Elbe. Germania 11, 1927, 9–14.

Müller 1928 K. Th. Ch. Müller, Alte Straßen und Wege in Oberhessen. Erster Teil: Das Gebiet zwischen Kinzig und Nid-der. Mitt. Oberhess. Geschver. N. F. 28, 1928, 1–145.

Nortmann 1999 H. Nortmann, Burgen der Hunsrück-Eifel-Kultur. In: A. Jockenhövel (Hrsg.), Ältereisenzeitliches Befesti-gungswesen zwischen Maas/Mosel und Elbe. Internat. Koll. Münster, 8. November 1997. Veröff. Alt.-Komm.Westfalen 11 (Münster 1999) 69–80.

Nortmann 2002 H. Nortmann, Der Burgwall von Preist, Kr. Bitburg-Prüm. Trierer Zeitschr. 65, 2002 (2004) 9–50.

Pauli 1993 L. Pauli, Hallstatt- und Frühlatènezeit. In: H. Bender/L. Pauli/I. Stork, Der Münsterberg in Breisach II: Hall-statt- und Latènezeit. Münchner Beitr. Vor- u. Frühgesch. 40 (München 1993) 21–172.

Polenz 1984 H. Polenz, Späthallstatt- und latènezeitliche Befestigungen im Rhein-Main-Gebiet. Anmerkungen zum For-schungsstand. In: O.-H. Frey/H. Roth (Hrsg.), Studien zu Siedlungsfragen der Latènezeit. Veröff. Vorgesch.Seminar Marburg Sonderbd. 3 (Marburg 1984) 39–64.

Richter 1934 H. Richter, Der Glauberg (Bericht über die Ausgrabungen 1933–1934). Volk u. Scholle 12, 1934, 289–316.

Richter 1937 H. Richter, Ringwallausgrabung in Oberhessen. In: Geistige Arbeit. Zeitung aus der wissenschaftlichen Welt4,12, vom 21.6.1937, 4.

Saile 1998 Th. Saile, Untersuchungen zur vor- und frühgeschichtlichen Besiedlung der nördlichen Wetterau. Mat. Vor-u. Frühgesch. Hessen 21 (Wiesbaden 1998).

Salač 2002 V. Salač, Zentralorte und Fernkontakte. In. A. Lang/V. Salač (Hrsg.), Fernkontakte in der Eisenzeit. Konfe-renz Liblice 2000 (Praha 2002) 20–46.

Stobbe/Kalis 2001 A. Stobbe/A. J. Kalis, Vegetation und Landschaft der Wetterau zu Lebzeiten des Glaubergfürs ten. In:S. Hansen/V. Pingel (Hrsg.), Archäologie in Hessen. Neue Funde und Befunde [Festschr. F.-R. Herrmann].Internat. Arch. Stud. Honoraria 13 (Rahden/Westf. 2001) 119–125.

Stobbe/Kalis 2002 A. Stobbe/A. J. Kalis, Wandel einer Landschaft. Ergebnisse von Pollenuntersuchungen in der östlichen Wet-terau. In: H. Baitinger/B. Pinsker (Red.), Das Rätsel der Kelten vom Glauberg. Ausstellungskat. Frankfurt amMain 2002 (Stuttgart 2002) 121–129.

Wiesenthal 1936 G. Wiesenthal, Die alten Namen der Gemarkung Glauberg. Hess. Flurnamenbuch Bd. 3, H. 12 (Gießen 1936).

Wolff 1913 G. Wolff, Die südliche Wetterau in vor- und frühgeschichtlicher Zeit (Frankfurt am Main 1913).