Zum Verhältnis von Dichtung und Mathematik - Ansätze und Reflexionen
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Zum Verhältnis von Dichtung und Mathematik Ansätze und Reflexionen
Weniges von vielem. Auch das gehört zu dem Vollendeten einer Schrift, dass alles darin Beziehung und Verhältnisse unter sich habe, und dass sich von diesen die
selteneren Abstände nicht zu weit entfernen. Freilich sind diese Züge des Gemäldes manchen unsichtbar; aber sind sie deswegen nicht da, weil’s Leute mit blöden
Augen gibt?
Klopstock, Gelehrtenrepublik
Das Zahlensystem ist Muster eines ächten Sprachzeichensystems – Unsre Buchstaben sollen Zahlen, unsre Sprache Arythmetik werden.
Novalis, Mathematisches Heft
Dort, wo sich eine mathematische Vorgabe, zum Beispiel die Anwendung einer bestimmten mathematischen Reihe, offensichtlich an einem Text zeigt, was unter anderem abzählbar heißen kann, bleibt sie diesem vielleicht am meisten äußerlich. Dass das mathematische Konstruktionsprinzip dem Text äußerlich bleibt, muss keine Folgen für die ästhetische Bewertung des Textes haben; es will nur sagen, dass die mathematische Durchdringung der Sprachstrukturen nicht weit gegangen ist. Die Gründe dafür können sowohl auf mathematischer Seite liegen, etwa, dass eben nur eine Produktionsformel als zusätzliche poetische Bedingung angewandt wurde (mathematische Strenge eines Formaspekts lässt sich so allerdings leichter erhalten), als auch auf sprachlicher, etwa an der Relevanz der sprachlichen Einheiten oder Merkmale, an denen mathematisch angesetzt wurde, die quantifiziert wurden. Ein schönes Beispiel für die Umsetzung einer einzelnen mathematischen Formel ist Inger Christensens Gedichtreihe Alphabet, die sich nach der Fibonacci-‐Folge richtet, d.h. die Zeilanzahl der einzelnen Abschnitte folgen der Reihe 1, 2, 3, 5, 8, 13 ..., die mit 1, 2 beginnt und bei der die jeweils nächste Zahl durch die Summe der beiden letzten Zahlen gebildet wird. So wie die Reihe selbst der Fortpflanzungsrate von Kaninchen entsprechen soll, zählen die Gedichte quer durch alle Kategorien auf, was es alles gäbe: vom Aprikosenbaum über Eisbären und die Nachwelt bis zum Vergessen. Aus der Anzahl der Zeilen lassen sich weder Pelz noch Styx gewinnen, sondern eben nur die Zahlenreihe, die sich in symbolischer Schreibweise x1 = 1, x2 = 2, x n+1 = xn + xn-‐1 kurzfassen lässt. Das Bildungsgesetz kann Christensen allerdings nicht vorschreiben (außer durch praktische Überforderung), mit welchem Abschnitt die Reihe zu enden hat. Geht es um die Realisierung eines Bildungsgesetzes? Das wäre doch so, als ginge es bei Gedichten nur darum, eine bestimmte Poetik zu exemplifizieren. Außerdem sollte eher von der Realisierung einer bestimmten Reihe gesprochen werden, denn es gibt ja Reihen, die nicht nur einem Bildungsgesetz entsprechen. Auch wird die Realisierung nicht unbedingt interessanter, wenn das Bildungsgesetz komplizierter ist, d.h. wenn es schwieriger ist, das
Gesetz aus der gegebenen Reihe abzuleiten (daran lässt sich auch die mehr psychologische Frage knüpfen, inwieweit Hermetik Interesse zu wecken imstande ist). Wenn ich die Reihe, bzw. die Zeilenanzahl der einzelnen Abschnitte, aus der sie gebildet wurde, im Auge habe, ist das Bildungsgesetz poetisch irrelevant, d.h. insofern wirkungslos, als es nur die mathematische, die quantitative Seite beschreibt, es sei denn, es war der Zauberstab des Novalis, die Analogie mit im Spiel, und, Vorgänger oder Vorvorgänger zu sein, hat etwas zu sagen. Die Formel ist für das Gedicht um so interessanter, je bedeutender (in vielerlei Hinsicht) das ist, was sie von der sprachlichen Struktur zu fassen bekommt, wobei jetzt zu klären wäre, was alles zu sprachlichen Strukturen gehören kann, inwieweit es Analogien zu mathematischen Strukturen gibt und was unter Analogie zu verstehen ist. Gerade dass ich mir von mathematischen Strukturen leichter oder einen klareren, d.h. nachvollziehbaren Begriff machen kann, macht diese vielleicht für Poetik(en) vorbildlich. Sprachliche Merkmale untereinander in Beziehung zu setzen, hat nicht notwendig etwas ungefähres. Wird, um im Abstrakten zu manipulieren oder zu analysieren, mathematisch quantifiziert, müssen, soll die Strukturierung greifen, sinnliche Aspekte die Merkmale auszeichnen. Deswegen scheinen sich mathematisch formulierte Verhältnisse ja auch besser im Musikalischen realisieren zu lassen. Die Teile der Komposition, zwischen denen Verhältnisse hergestellt oder deren Verhältnisse analysiert werden sollen, müssen nicht gleichartiger Natur sein, wie das pythagoreische Urverhältnis, jenes zwischen Tonhöhe und Länge der Saite, bzw. zwischen Schwingungszahl und Länge der Saite. Intension und Extension sind nicht einmal mathematisch gleichartig, sondern einmal diskret, zählbar, und einmal kontinuierlich, messbar. In einem Brief an Oswald Egger (veröffentlicht in Oskar Pastior, Gewichtete Gedichte, Das böhmische Dorf, Wien-‐Hombroich 2006) fragt sich Oskar Pastior, „ob man gewichtete gedichte ohne die vorkenntnis dass sie gewichtet und in gewichteten schritten (zeilen) entstanden sind überhaupt erkennen kann“. Was die sprachliche Einheit betrifft, greift Pastior beim Gewichten der Gedichte mit dem Buchstaben auf die kleinstmögliche zu (vielleicht ließen sich auch Krümmungen, Ober-‐ oder Unterlängen von Buchstaben bewerten), was eine mathematische Feinsteuerung der Textstruktur begünstigen würde. Das pastior’sche Gewicht des einzelnen Buchstabens wird durch seine Reihung im Alphabet bestimmt, eine Ordinalzahl also zu einer Kardinalzahl gemacht, die sich addieren lässt. Dass die Reihung des Alphabets willkürlich und eine Konvention ist, d.h. nichts mit klanglichen oder messbaren Qualitäten der Buchstaben zu tun hat, beeinträchtigt zuerst einmal die Wirkung und nur insofern auch die Möglichkeit des Erkennens dieses Konstruktionsprinzips. Bei Lesern kann ja damit gerechnet werden, dass sie auf das geordnete Heruntersagen des Alphabets abgerichtet sind, und ein kabbalistischer Geist, bzw. einer, der verspielt genug ist, und gar ein Pastior-‐Leser, könnte auch ohne sinnlichen Anstoß auf die Idee kommen, „die Ordnungszahl im Alphabet zu einer Eigenschaft“ zu erklären. Die Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit des Erkennens muss also nicht negativ ausfallen. Die Antwort auf die Frage, was durch eine solche Erkenntnis gewonnen ist, ist dann wahrscheinlich: eben diese Erkenntnis. Anders steht es um die Frage nach der Wirkung. Eine Gewichtung, die sich von vornherein auf Häufigkeiten des Auftretens bezieht, muss nicht nur hinsichtlich der Zahlen keinen Kategorienwechsel (von Ordinal-‐ zur Kardinalzahl) vollziehen, sondern wird auch
spürbar sein, wenn sie hinsichtlich dieses Auftretens künstliche Verhältnisse schafft. (Nicht von Ungefähr entwickelt sich der Begriff der Wahrscheinlichkeit aus dem Empirismus.) Dass Pastiors Methode aus den Daten schwer herausgelesen werden kann, hat noch andere Gründe. Aus dem Addieren der Buchstabenwerte eines Schlüsselworts (z.B. danksagung) oder einer Schlüsselzeile gewinnt er eine Schlüsselzahl. Ist diese Zahl niedrig genug, ist auch die Beschränkung eine echte, d.h. die Zerlegungen in Summanden, die sie ermöglicht, sind überschaubar. Ist die Schlüsselzahl aber hoch, z.B. durch häufiges Auftreten von Buchstaben aus der zweiten Hälfte des Alphabets, lässt sie viele Zerlegungen zu, d.h. der mathematischen Poeisis steht so vieles offen, dass der Vergleich mit (Meta-‐)Anagrammen ungerechtfertigt scheint. Natürlich ist die Schlüsselzahl nicht die einzige Beschränkung; zur Willkürlichkeit der alphabetischen Reihenfolge kommt die Willkürlichkeit der Wortformen, weil nicht jede Reihenfolge von Buchstabenwerten ein Wort bildet. Beachtungswürdig ist in diesem Zusammenhang vielleicht auch, dass nicht nur von mathematischer Seite der Zeilenbildung Beschränkung entsteht, sondern auch der mathematischen Addition von sprachlicher Seite, denn diese ist unter dem Aspekt der Wortbildung nicht mehr kommutativ. Und sollte nicht auch dieser Unterschied etwas zu sagen haben? In einem weiteren Sinne hieße das, sich zu fragen, welchen Sinn die Addition von Buchstabenwerten macht, bzw. ob das mathematische Erfassen bestimmter Reihenfolgen und ihres Einflusses auf den Verlauf nicht weiter führen würde. Die Vermeidung eines bestimmten Zahlenwertes könnte unter Umständen die gleiche Befriedigung bereiten wie dessen Erfüllung. Es kommt eben auf die Umstände an, und das heißt beim Dichten, ob und welche weitere Bedingungen gestellt werden. Welchen Wert hat ein gesuchtes Wort? Auch wenn die Buchstaben nach ihrer relativen Häufigkeit gewichtet werden, muss die Addition nicht unbedingt poetisch sinnvoll sein, wie sich ja auch die Häufigkeit des Auftretens eines Wortes nicht aus der Addition der Häufigkeiten des Auftretens seiner Buchstaben ergibt. Zuerst stellt sich die Frage, woraus diese Häufigkeit gewonnen wird. Ich könnte zum Beispiel die Ausgabe einer Zeitung zur Sprachnorm erheben. Die poetische Bewertung der Zeichen könnte dann reziprok bzw. diametral zu ihrer Häufigkeit verlaufen, frei nach Shannons Definition des Informationsgehalts, die diesen von der Wahrscheinlichkeit, mit der das Zeichen auftritt, abhängen lässt, in dem Sinn, dass, je seltener ein Zeichen auftritt, desto größer sein Informationsgehalt ist. Die Bedeutung dagegen, die auf Konvention (Wörterbuchdefinition) beruht, installiert sich umso fester, je häufiger sie Kontext bestimmend auftritt. Um mehrere Ebenen miteinander ins Spiel zu bringen, können Gewichtungen variabel gehalten werden, wie auch die Wahrscheinlichkeit eines Buchstabens relativ zum Vorgänger oder Vorvorgänger variiert (eine Möglichkeit, Reihenfolgen zu bewerten), oder relativ zu zwei-‐, drei-‐, vier-‐, fünf-‐ etc. buchstabigen Worten. Nun könnte ein dichterisches Ethos (oder eine Sprachtheorie à la Jakobson) gelten, dass ein poetischer Text sich auf sich beziehen und den Schlüssel zu seiner Interpretation, bzw. zur Rekonstruktion seiner Konstruktion mitliefern müsse, dem sich ja der sich fragende Pastior mit seiner Methode des Gewichtens zu stellen scheint. Gerade sein Schlüssel, die Ausgangszeile, ist nicht mathematisch motiviert, sondern bezieht sich auf irgendeinen
Anlass. Auch wenn die Entscheidung für ein bestimmtes Verfahren oder eine bestimmte Gedichtform getroffen wurde, sind Anfänge formal weniger gestützt, bzw., sieht man poetische Techniken als Mittel, umgangssprachliche Kontrolle und Zensur durch Zusatzbedingungen zu brechen, vom Konventionellen weniger befreit; beim Schreiben der ersten Strophe einer Sestine stehen bis auf die Strophenform alle weiteren Restriktionen noch aus. Auch Häufigkeiten lassen sich im Text selbst setzten, etwa in einem Gedichtzyklus durch ein Ursprungsgedicht: ob nun statistische oder andere Bewertungen, die arithmetische Operationen für Formbildung und Selektion nutzbar machen, die Frage nach dem Wert von Variationen, die variieren, ohne Thematisches mit Mathematischem zu verknüpfen, ist damit nicht gestellt. Anlass zur vielleicht überzeugendsten Analogie: Jedes mathematische Kalkül kann doch als ein unabhängiges Symbolsystem gesehen werden, das seine Anfangsbedingungen und Umformungsregeln selbst setzt und somit auch seine mathematischen Gegenstände selbst hervorbringt. Aber liegt dieser Sichtweise nicht eine bestimmte Anschauung der Mathematik zugrunde, setzt eine partikuläre Position voraus, z.B. eine konstruktivistische oder den Formalismus Hilberts. Das mathematische Denken hat mit ähnlichen Problemen und Grundsatzentscheidungen zu kämpfen wie Philosophie und Literatur. Zum Grundsätzlichsten gehört, ob Mathematik aus vielen Mathematiken besteht, oder als System mit vielen Zweigen verstanden werden soll. Spielen die Zahlen eine vereinheitlichendere Rolle, bzw. vereinheitlichendere Rollen als Begriffe in der Philosophie oder Themen in der Literatur, bzw., formaler gedacht, rhetorische Figuren in der Poetik? Vgl. dazu den Strukturbegriff. Unbestritten, dass in allen Bereichen, Mathematik, Philosophie, Literatur, verschiedene Einheiten und unterschiedliche Verknüpfungen zu einer Vielfalt von Strukturen führen (nicht zu vergessen: die anschlussreichen Formeln der Sprachen der Naturwissenschaften). Abgesehen von Gemeinsamkeiten zwischen den Bereichen, etwa dass Mathematik und Philosophie sich einen strengeren Begriff davon machen (können) oder die grammatikalischen zwischen Philosophie und Literatur: was verbindet die Strukturen innerhalb dieser Bereiche: dass sie aus den gleichen Einheiten und Verknüpfungen bestehen? Für den Formalisten sind sie gerade das Unwesentliche an den Strukturen, obwohl auch er mit den Anschlussmöglichkeiten rechnen muss. Also dass sie prinzipiell ineinander überführbar wären? Auch die Voraussetzungen dafür werden in der Mathematik am strengsten reflektiert. Peano („ich denke die Zahl, also ist sie“), der mit einer neuen Symbolsprache viel für die Logifizierung der Mathematik (und damit auch für Russell) getan hat, definiert in fünf Axiomen die natürlichen Zahlen, doch weil er in diesem System nicht auch die über sie durchführbaren Operationen bzw. die Verknüpfungen, die sie untereinander eingehen können, definiert, ist noch nichts über die (möglichen) strukturellen Zusammenhänge innerhalb dieser Menge und somit auch vieles über die Eigenschaften von Elementen dieser Menge, etwa die der Primzahlen noch nicht gesagt (nicht einmal der Unterschied zwischen geraden und ungeraden Zahlen ist gemacht). Schon das Einführen einer Operation oder Verknüpfung, z.B. der Addition, schafft eine neue Struktur, bzw. Gruppe. Wird noch eine Verknüpfung eingeführt, die Multiplikation, lässt sich nicht nur diese in die Addition überführen (bei x mal n, wird x (n-‐1) mal zu x addiert, oder umgekehrt), sondern noch viele andere Entsprechungen lassen sich entdecken, etwa: summiere ich die ungeraden Zahlen
von 1 aufwärts, so entspricht die Summe dem Quadrat der Anzahl der Summanden, z.B.: 1 + 3 + 5 = 9 = 3 mal 3 etc. Wozu hier dieses Treiben einfachster Wortmathematik? Geht es nur um ein Sensibilisieren für Strukturbildung? Wenn Novalis in obigem Zitat meint, das Zahlensystem soll „Muster eines ächten Sprachzeichensystems“ werden, so stellt sich eben die Frage, inwieweit der sprachliche Kontakt zu diesem Muster besteht. Pastior folgt der Weisung Novalis’, wandelt die Buchstaben in Zahlen um und treibt mit ihrer Addition sprachliche Arithmetik, aber abgesehen von der Frage, ob es die richtige Weise war, Buchstaben in Zahlen zu verwandeln, zu „gewichten“, -‐ vielleicht ist ja anfangs jede Setzung so gut wie eine andere -‐ , setzt er damit das Muster, die Struktur, die durch die natürlichen Zahlen und die Addition gegeben ist, sprachlich um? Bei der Umsetzung dreht es sich nicht unbedingt um den einzelnen Text, der -‐ wie eine mathematische Gleichung oder einzelne Rechnung -‐ immer nur einen Teil möglicher Strukturbildung umsetzt, sondern um die Poetik selbst, die ja, wie Pastior vermutet, dem Leser verborgen bleiben kann. Ist es denn erstrebenswert, möglichst viele oder alle Aspekte der Sprache in den (durch eine mathematische oder anders formulierte Poetik animierten) Griff zu bekommen? Diese sich für ein einzelnes Werk stellende Frage hat ihr Pendant in der Frage, ob stilbildende Funktionen oder eine ordnende Systematik immer bestimmend sein sollen. Natürlich lässt sich für jedes Vorhaben von Neuem ein geeignetes Muster, ein günstiges Format suchen, und oft werden eine einfache Struktur oder wenige Regeln genügen, um die beabsichtigte Überraschung, den verdichtenden Witz, die gezielte Abstraktion etc. zum Ausdruck zu bringen. Und Regeln und Verbote können nur deswegen gelten, um etwas auf anderer Seite freier laufen zu lassen. Es ist aber auch der künstlerische Ehrgeiz vorstellbar, die Möglichkeiten des Mediums auszuschöpfen. Auf jeden Fall werden prinzipielle Überlegungen über das Verhältnis oder Analogien zwischen den Vorgehensweisen in unterschiedlichen Medien einen verwandten Ehrgeiz entwickeln. Sollte es also sinnvoll sein, Kriterien oder generative Formeln für den einen Bereich in einem anderen Bereich zu formulieren, würde das die Kenntnis der strukturellen Möglichkeiten in beiden Bereichen voraussetzen oder zumindest sinnvolle Assoziationen zwischen ihnen begünstigen, auch wenn sie in einer bestimmten Realisation nicht alle zur Anwendung kommen. Was heißt in diesem Zusammenhang sinnvoll? Vielleicht so etwas wie, dass es neben den Struktur bildenden Regeln auch Grundregeln dafür gibt, Assoziationen zu bilden bzw. Analogien zu entdecken: z.B. dass es nicht genügt, aus dem einen Bereich Werte zu gewinnen, ohne sich um Entsprechungen für die Operationen zu kümmern, die man mit diesen durchführt. Die Tuchfühlung zu dem jeweiligen Muster soll im weiteren Verlauf ja nicht verloren gehen. Was nützt es, wenn mathematische Komplexitäten zum Laufen gebracht werden, auf sprachlicher Seite aber z.B. nur Buchstabenreihen und Wortformen gesehen werden, grammatikalische Verknüpfungen, syntaktische (Unter-‐) Ordnungen, semantische (Zu-‐) Ordnungen etc. gar nicht ins Gewicht fallen? Die Zuordnung von Werten aus einem anderen Bereich könnte den alleinigen Sinn haben, Eigenschaften und Zusammenhänge dort zu konstruieren, wo sie bisher nicht bestanden haben. In seiner Replik Ununterredungen mit Ungereimtheiten auf Pastiors Ausführungen zu den gewichteten Gedichten, schreibt Oswald Egger: „Ich denke an eine Art Buchstaben-‐Entropie, wobei es mir gefallen würde, wenn dabei die Summe 1 + 2 + 3 + 4 ... 25 = 325 eine
Rolle spielen würde ...“. Egger forscht in mathematischen Strukturen und möglicher sprachlicher Umsetzung, d.h. nach Gesetzmäßigkeiten, Gemeinsamkeiten und Differenzen auf sprachlicher wie mathematischer Seite. Das eben Zitierte bezieht sich auf ein Spiel, das Pastior selbst mit seinen gewichteten Zeilen weitertreibt: wenn nämlich die durch die Addition der Buchstabenwerte gewonnene Zahl als Wort geschrieben oder gedacht wird, lässt sich dieses ebenfalls alphabetsgemäß gewichten. Pastior beobachtet „Schlaufenbildung“, die Egger zu klären sucht, bzw. poetisch nutzbar gemacht wissen will. 325 bildet insofern einen Fixpunkt, als das Wort „dreihundertfünfundzwanzig“ in Pastiors addierter Buchstabengewichtung 325 ergibt. Nachdem jedes Nicht-‐Zahlenwort schon nach erster Gewichtung bei einem Zahlenwort endet, sind sie nur Ausgangspunkte, sodass die Ermittlung der Schrittanzahl, bis so ein Fixpunkt erreicht wird, gemäß den Übergängen innerhalb des „Zahlenwortraumes“ geschieht. Natürlich kann die Schrittzahl dazu verwendet werden, die Ausgangsworte zu klassifizieren, also unter den Worten Zusammenhänge oder Klassen unabhängig von ihrer Bedeutung zu bilden. Oswald Egger: „Wort, Zahl, Wort schneiden die Ereignisse gleichsam aus ihrem gefügigen Zusammenhang heraus ...“ oder: „Wie könnte ich mir einem Wort gegenüber herausnehmen, es bloß nach den mir zugewandten Sinnen zu verwenden.“ Die Entsprechungen, Analogien oder Differenzen zwischen mathematischem Denken und poetischer Rede, die Oswald Egger untersucht, scheinen sowohl vielschichtiger wie allgemeiner und auf Übertragung zu beruhen, d.h. er grast auch die semantischen Felder nach Oberflächen, Verflechtungen, Schlaufen, Knoten, Strukturen und Zwischenbereichen im Gegenständlichen nach mathematischen Gesichtspunkten ab, sucht nach Figuren, die mathematisch Probleme berühren könnten oder nach Gegenstandsbereichen klingen, die sich einer mathematischen Näherung, Beschreibung oder Steuerung prinzipiell anbieten. Dass er unterschiedliche Sprachaspekte mithilfe neu zugewiesener mathematischer Eigenschaften miteinander verknüpfen will, zeigt sich zum Beispiel, wenn er Pastiors Gewichtungsmethoden gleichsam kabbalisiert und jene gewichteten Zusammenhänge herausstellt, die auch im semantischen ein-‐, bzw. erleuchten oder überraschen. Wenig überraschend, dafür aber vielleicht paradigmatisch für alle Zahlenmystik, ist, dass eins als Anagramm von sein beide das pastiorsche Gewicht von 62 erhalten und den „Limes 325“ in 6 Schritten erreichen, warum resultiert aber aus Mensch und Gott, oder aus Nichtsein und Nichtanderes eine selbe Schlüsselzahl? Und woraus motiviert sich dieses Wundern? Dass aus einer willkürlichen oder auf Konsens beruhenden Reihung des Alphabets und einer ebenso konventionellen Benennung & Schreibweise von Abstraktionen sich sinnvolle Zusammenhänge stiften lassen? Auf jeden Fall kommt mehr -‐ vor allem die semantische Seite -‐ ins Spiel, weil die Geschichte des allgemeinen und philosophischen Sprachgebrauchs berücksichtigt wird. Auch wenn bei Pastior die Freude am Unzusammenhängenden (was die Bedeutungsebene betrifft) überwiegt, lassen sich in seinen Listen semantische Durchgängigkeiten beobachten, etwa, wenn er auf seine Methode referieren will (ein Umweg, den vor den Sinnen versteckten Schlüssel mitzuliefern?), wie in danksagung / diesem alfabet da / ... / und ebenso / formgeheim / ... / verbal und / geknickten / gewichtes / selbst im / ... / a-‐sinn ins / ... / ... / form-‐alfabet. Vielleicht lässt sich ja Addieren als eine Form des Knickens interpretieren und besteht der a-‐sinn darin, ins b etc. überzugehen.
Egger redet nicht über Mathematik und Sprache, sondern mischt poetisches und mathematisches Sprechen (oder er führt, wie oben zitiert, mathematische Zusammenhänge in ihrer Symbolik vor). Durch Übertragungen in beide Richtungen werden Anschlussstellen offen gehalten, in eigenartigen Unschärferelationen: „Auch das leblos lebendige Wort für Wort REDE-‐CODIERT sich als Struktur-‐Rekrutierung, Amorphe und Form erwuchsen auf ungrund vielleicht verstuftem Substrat. Epitaktisch legten sich händische Muster aus, uneinhändig, und darüberhin mustern sich fortan die eigentlichen Silben, schlicht, nicht kommutativ, beinahe unzusammenhängende, zunächst freischwimmende Schichten, aufgewachsen auf eine vorsprachliche fast, Facettenfläche, und finden jetzt ihre nicht-‐habhaftende Struktur, die fast schon syntaxonomisch bestimmt wird durch diese rigide Geometrie, sie sich-‐in-‐sich einpaßt zwischen Substrat und Korollar, na ja, diskrete Stetigkeiten, selbst auch diese Hälften des Lebens sind verschieden, oder, im Kerker der Kehrwerte gefangen, wo Wort und Zahl rapportierte (Zähler, Nenner) sind, Undinge, und das Verhältnis, das sie haben, auch eingehen.“ (Aus Ununterredungen mit Ungereimtheiten.) Egger arbeitet, einem poetischen Imperativ gehorchend, dem kategorischen nicht zu gehorchen, auch mit mathematischen Ungereimtheiten („diskrete Stetigkeit“ könnte u.a. im Sinne Euklids gedacht werden, der die Diskretheit ganzer Zahlen in den Elementen aus stetigen Größen und ihren Proportionen entwickelt). Auffallend ist das Maß an Selbstreferentialität, die den freien Umgang mit Terminologien kommentiert, wobei die Terme immer auch auf ihren Seltenheitswert abgeklopft zu werden scheinen. Anders als Pastiors Verfolgen der Buchstabenadditionen, Wort für Wort, hat Egger die Rede im Ohr, und es ist bezeichnend, dass er oben „codiert“ und „Struktur“ in Zusammenhang bringt. Schließlich ist es auch für Texte, die sich Kriterien und Entscheidungen auf semantischer Ebene verdanken, eine Grundfrage, ob ihr rhetorischer Gehalt, d.h. alle strukturellen Eigenschaften, die über syntaktische Normen hinausgehen, nur als Ausschmückung verstanden werden, als ästhetischer Mehrwert, der nichts zu sagen hat, oder ob sie als Möglichkeit gedacht sind, zusätzliche Information zu codieren, zu deren Decodierung die aussagende Seite des Textes den Schlüssel eben liefern könnte. In seiner Antwort auf Pastior zeigt Egger einen Zug zum Universalen. („So rufen und kehren sich die reziproken Bezugnamen hervor, dass alles, wenn nicht in allem, so doch in einem verwandt sei: in dem es sich allenthalb zur Eins hin dreht UNIversum.“) An anderen Stellen wird noch deutlicher, dass Eggers Programm Verknüpfungen erzeugen will, deren Anschlussstellen eher mit Keplers Weltharmonik Kontakt suchen als poetisch-‐mathematische Selbstdressur nach den Willkürlichkeiten vorgefundener Reihung, etwa in Nichts das ist (Suhrkamp, Frankfurt 2001, S.46): „Alles ist Zahl. Das harmonische Dreieck, welches Leibniz fand, um das arithmetische von Pascal zu vervollständigen, das harmonische Mittel, welches die Summe der Kehrwerte bewahrt; und die harmonische Unterteilung, die harmonische Oszillation, und das, was man als die Obertöne einer periodischen Bewegung entdecken wird – selbst das ungeheure spectrum – alle, alle gründen in Kehrwerten oder reziproken Zahlen: Modul-‐FORMEN DES AMORPHEN als Ösen ins Monströse (aber ohne Introspektion). In solchen Analogien verspiegelt, ist das Gesetz der Reziprozität von Rhythmus und Harmonie erstmals augenfällig, sowie die Würfel – im Gebände der casus obliqui – gefallen sind in ewige Gelegenheit.“ Der Rhythmus ist nicht nur der Urparameter dichterischer (metrischer) Gestaltung, sondern auch jener der Quantifizierung (und somit ermöglichte mathematische Steuerung) am unmittelbarsten spürbar macht. Das Zitat zeigt, dass Egger am mathematischen Denken nicht nur hinsichtlich Verwertung, sondern auch philologisches Interesse hat. Der Begriff der Analogie ist schon insofern poetologisch
wesentlich, als ohne mögliche Parallelführung der Rückgriff auf eine andere Disziplin keine andere Rolle spielt, als jeder x-‐beliebige Anlass. Eggers „verspiegelt“ lässt an Cusanus denken. Vgl. dazu. Max Bense (in Geist der Mathematik, Oldenbourg, Berlin 1939, S.93): „Der scheinbare Gegensatz zwischen einem konsequenten Individualismus – nämlich der einzelnen Monaden, die sich fensterlos zueinander verhalten – und einem Universalismus, der behauptet wird, wenn man die Welt als ein harmonisches Ganzes begreift, wird aufgehoben, durch den Gedanken, dass jede Monade, jedes infinite, letzte, metaphysische Seinsding das Universum „repräsentiere“. Der Begriff der „Repräsentation“ bedeutet für Leibniz genau das gleiche wie für Cusanus der Begriff des „Spiegels“, mit dessen Verwendung Cusanus an die alte, neuplatonische, plotinische und augustinische Lichtmetaphysik anknüpft ...“. Zur Erinnerung die beiden Dreiecke, von denen im obigen Zitat aus Nichts, das ist die Rede ist: Das Pascalsche Dreieck ist ein Zahlenschema, in dem jede Zahl außer der 1, die jeweils am linken und rechten Rand einer Zeile steht, die Summe der unmittelbar links und rechts darüberstehenden Zahlen ist. Das Zahlenschema lässt sich als Dreieck darstellen:
1
1 1 1 2 1
1 3 3 1 1 4 6 4 1
1 5 10 10 5 1 1 6 15 20 15 6 1
........................................................
Die Zahlen der dritten Schrägspalte (1, 3, 6, 10, ...) sind die Dreieckszahlen, d.h. die Anzahl der Kreise, mit denen sich jeweils Dreiecksformationen auflegen lassen, die der vierten Schrägspalte (1, 4, 10, 20 ...) die Pyramidenzahlen (analog zu den Dreieckszahlen, mit Kugeln). Das Zahlenschema war dem persischen Mathematiker, Astronom und Dichter Omar Chaijam (1048-‐1131) bereits um 1100 bekannt. Das harmonische Dreieck: Die Anordnung
1/1
½ ½
1/3 1/6 1/3
¼ 1/12 1/12 ¼
.....................................................
von Stammbrüchen heißt harmonisches Dreieck. Im harmonischen Dreieck ergibt die Summer zweier benachbarter Stammbrüche den darüberstehenden Stammbruch. Die beiden Zahlenschemata lassen sich theoretisch beliebig lang fortsetzen und demonstrieren, unter Entwicklung einer bestimmten progressiven Struktur, die auf ganzzahligen Verhältnissen beruht, die beiden Richtungen des sich unendlich Fortsetzenden, das durch seine Darstellung in Zahlen eben theoretisch weder im Kleinen noch im Großen ein Ende findet. Vlg. dazu nocheinmal den ideengeschichtlich interessierten Max Bense (ebd. S. 91): „Pascal fixiert beide Weisen des Unendlichen, er dokumentiert als Mathematiker und Philosoph ihr Sein. Leibniz beginnt jedoch auf der Grundlage dieser Fixierung die mathematische Analyse des einen Unendlich, des Infinitesimalen. Er plante ein großes Werk über die „scientia infiniti“, zu dessen Ausführung er jedoch nicht mehr kam. Nur einzelne Untersuchungen hat er zur „Analysis des Unendlichen“ hinterlassen. „Es ist gewissermaßen die Analysis der Analysis, worin aber der Gipfel der menschlichen Wissenschaft, wenigsten dieser Art von Dingen liegt“ – so heißt es in einer dieser Untersuchungen, darin das von Pascal übernommene „triangulum characteristicum“ (das charakteristische Dreieck) übernommen wird, das aus einem unendlich kleinen Bogenstück und den zugehörigen Abszissen-‐ und Ordinatendifferenzen besteht und von dem aus bestimmte Tangentenprobleme erörtert werden. Bemerkenswert ist, dass Leibniz in einer Abhandlung aus dem Jahre 1684 die Differentiale dx, dy usw. nicht als unendlichkleine Größen, sondern als winzige endliche Größen einführt.“ Leibniz kann es sich leisten, in den umgangssprachlichen Erklärungen des Differentialquotienten unklar zu bleiben, weil er einen klaren Begriff vom Kalkül und der Funktion seiner Symbole hat, die, wenn sie geschickt genug gewählt wurden, Denken ersparen können, wie er sich einmal ausdrückt. Das Geschick beruht darauf, welche Charakteristika des Systems durch das Symbol zusammengefasst werden, und auf der Zusammenfassung fußt das generative Potential der Symbole, Strukturen zu entwickeln oder auch einzuholen. Die Anschaulichkeit mathematischer Paradoxa, zum Beispiel, dass sich das infinitesimale Unendlich daran zeigen lässt, dass eine Seite eines geometrischen Quadrats genügt, um jedem Punkt der längeren Diagonale einen Punkt zuzuordnen, oder jene Unvereinbarkeiten, die von Definitionen auszugehen scheinen, etwa, dass, da jede Zahl als Wurzel einer Quadratzahl gesehen werden kann, das Prinzip verletzt scheint, dass Teilmengen kleiner sind als die ganze Menge, zu der sie gehören, was die cantorschen Kategorie der transfiniten Zahlen auf den Plan ruft, oder einfach, dass Geraden aus ausdehnungslosen Punkten bestehen etc. Entfernen sich mathematische Gegenständlichkeiten und ihre Probleme nicht so weit, oder ziehen sich so tief in die Verfasstheit des eigenen Bereichs zurück, dass eine Umsetzung in ein weniger geregeltes System, das seine Defintionen nicht einführt, sondern auf Wohlgeformtheit und einem endlichen Formenvokabular beruht, das theoretisch unendlich kombinierbar ist, unsinnig ist (h.d. nicht geregelt werden kann?), oder verhält es sich umgekehrt und sie können eine reinigende Wirkung haben, eben weil sie zwingen, den eigenen Grundlagen der Formfindung mit Kriterien und Definitionen auf den Leib zu rücken. Soll der pythagoreische Fahnenspruch „Alles ist Zahl“ zum poetischen Programm werden, sollte nicht von Parallelen und Unterschieden in den jeweiligen Zweckgeschichten von Abstraktion und Systembildung abgesehen werden. Nichts garantiert dem synchronen Blick,
dass sich die Grenzen, hinter denen die jeweilige Metaphysik beginnt, entsprechen. Gilt, dass je höher die Abstraktion, desto berechtigter der konstruktivistische Ansatz? Auf jeden Fall macht es dieser Ansatz sinnlos, von Metaphysiken zu sprechen, bzw. beginnen diese dann immer sofort. Die Zahl hat als Einheit einen Sonderstatus, weil beim Zählen nur das Auftreten zählt und von allem anderen abgesehen wird. (Hier ließe sich mit Existenz schon metaphysisch loslegen.) Dieser Sonderstatus ermöglicht regelmäßige, genormte Gruppierung, die sich dem Darstellungssystem zugrunde legen lässt. (Erste Voraussetzung für Theorie: die Unterscheidung von Begriff und Ausdruck/Zeichen, Zahl und Ziffer. Erst wenn sich das System ausdifferenziert hat, lässt sich zwischen ihm und seiner „Anwendung“ unterscheiden, macht eine Unterscheidung wie die Saussures zwischen langue und parole Sinn.) Die Null hat ursprünglich -‐ wie die verschiedenen dem Stellenwert entsprechenden Drähte des Abakus -‐ keinen anderen Sinn, als das Hantieren mit großen Zahlen zu erleichtern. (Insofern hätte Peano die Zahlen in seiner Axiomatik ruhig weiter mit Eins beginnen lassen können.) Vgl. dazu die Funktion bestimmter Wortarten, z.B. Pronomen bzw. Prä-‐ und Suffixe. Auch bei bestimmten grammatikalischen Konstruktionen könnte man wittgensteinisch vermuten, sie wurden eingeführt oder besser: sind entstanden, um mit komplexen Sachverhalten leichter sprachlich hantieren zu können. (Es wirkt witzig, dass sich Peano im weiteren Verlauf seines Lebens der Entwicklung einer kommunikativen Universalsprache verschrieben hat, Präsident der Volapük-‐vereinigung wurde und ein grammatikalisch begradigtes Latein „sine flexione“ entwickelte, das ohne viel Vorkenntnis verstehbar sein und von ihm bei verschiedenen Mathematikkongressen vorgestellt werden sollte. War bei solchen Kongressen die Zahl der Vortragssprachen geregelt, hatten es die verantwortlichen Mathematiker naturgemäß schwer, diese zu revidieren.) Könnte man sagen, insofern es sich beim System um eines der Darstellung handelt, kann ein formalistischer Ansatz zielführend sein, im Sinne der Analyse der Darstellung? Das würde dann auch für die Parallelführung von Strukturen unterschiedlicher Bereiche gelten, mitsamt ihren Übersetzungsproblemen, die vor allem auf formaler Ebene zu lösen wären. Wenn aber unter Poetik ein Arsenal generativer Regeln verstanden wird, die in ihrer Anwendung voneinander abhängen, schwebt nicht sofort eine Tiefenstruktur vor, eine raffiniertere Universalgrammatik im Sinne von Port Royal oder Chomsky, die sich auf die sprachlichen Möglichkeiten, wie sie in syntaktischen und morphologischen Kategorien beschrieben werden, zu projizieren hat? Dort unten müsste es natürlich logisch zugehen, Mehrdeutigkeiten würden in Entweder-‐oder aufgelöst etc., denn Widersprüche würden zum Stillstand führen. Insofern Kalküle konsistent sind, ließen sich solche Kerne auch mathematisch formulieren, ja Logik selbst kann seit Boole als einer dieser Kalküle begriffen werden etc. Werden solche Überlegungen, sobald sie sich von beschreibbaren (strukturierten) Oberflächen wegbewegen, spekulativ, metaphysisch? Wie sehr stecken solche Überlegungen im Phänomenologischen und wirken mathematisch irrelevant. Es braucht nur an die mathematische Möglichkeit der freien Wahl der Dimensionalität gedacht werden, und schon erfasst den Ungeübten der spekulative Schwindel. (Der alle freien Grundsatzüberlegungen lähmende Grundsatz: über Mathematik lässt sich nur wirklich nachdenken, indem Mathematik getrieben wird.)
Arten und Stossrichtungen von Verallgemeinerung. Lässt sich auf Struktur schließen und sind solche Schlüsse notwendiger Weise spekulativ? Wesentlich ist doch das, wovon ausgegangen wird. Wird aber eine Versuchsanordnung nicht genauso gesetzt wie eine Axiomatik? Und über das, was zu beobachten sei, muss genauso ein Konsens gefunden werden, wie über die Festlegung der Symbole. Zum Beispiel Teilchenbeschleuniger und strukturierte Materie: sobald Teilchen -‐ je nach Richtung, in die sie beschleunigt werden -‐ unterschiedliche Streuung aufweisen, gilt für Physiker, dass sie nicht gleichförmig, sondern strukturiert sind, also im Prinzip teilbar. Die Tiefe, nach der hier gesucht wird, soll im Letzten keine Struktur zum Vorschein bringen, sondern das kleinste, unteilbare und gleichförmige Element. Struktur als Zusammensetzung. Vergleiche dazu die Schwierigkeit der Griechen, die Eins als Zahl gelten zu lassen, weil sie nicht zusammengesetzt ist, und ihre Schwierigkeit, zwischen Eins (en) und Einheit (monas) zu unterscheiden. Dazu Frege in Die Grundlagen der Arithmetik, III. Über Einheit und Eins: „Wir fragen wieder: welchen Sinn kann es haben, irgendeinem Gegenstande die Eigenschaft „Ein“ beizulegen, wenn je nach der Auffassung jeder einer sein und auch nicht sein kann? Wie kann auf einem so verschwommenen Begriffe eine Wissenschaft beruhen, die grade in der größten Bestimmtheit und Genauigkeit ihren Ruhm sucht?“ und „Die Arithmetik würde aufgehoben werden, wollte man statt der Eins, die immer dieselbe ist, verschiedene Dinge einführen ...“ Ich will einen Gedanken mitteilen und suche nach Worten. Beim Dichten geht es meist umgekehrt: ich habe Worte oder einen Vorrat an Zeichen und Klängen, und suche nach einem Gedanken, einem Bild, oder zumindest nach einer wirkungsvollen Reihung. Ein einfaches Modell, skizzenhaft mit denen der Kybernetik Oswald Wieners verwandt, könnte, wie das vor sich geht, in Modulen beschreiben, wobei im Normalfall das Denken eben auf die Sprache zugreift. Die Sprache als System mit Eigengesetzlichkeiten ist ein Modul, ein anderes, begriffliches, ist mit logischen Zusammenhängen befasst, wofür oben noch die Tiefenstruktur zuständig war, in einem Dritten hätte sich die Mathematik ihr Kalkülkonglomerat gebaut. Woraus bestünden nun die Denkhilfen? Man könnte sich noch ein weiteres dazu denken, in dem Vorstellungsbilder, Erinnerungen oder Wissen verwaltet werden (da wirkt wie im mathematischen schon Logisches mit), weiters Schnittstellen, die orientierungsbereit mit der aktuellen Umgebung kommunizieren. Muss man sich dann die Durchlässigkeiten gerichtet vorstellen, wobei die weniger geregelten Module empfänglicher sind, und, falls sie in die geregelten eingreifen, entweder Unordnung stiften oder einen kreativen Schub, während die geregelten aktionsbereiter sind? Beim Dichten geht der Anstoß also vom Sprachmodul aus, und, soll es um eine mathematische Poetik gehen, könnte man sich diesem das der Mathematik, bzw. eines bestimmten Kalküls vorgeschaltet denken. So könnte man es zumindest wollen. Aber dieses großspurige Modell besteht vor allem darin, die Überlegungen auszublenden, wie sich die Schnittstellen und Zusammenhänge zwischen den Modulen herstellen. Und so groß die Rolle ist, die Beschränkungen beim Dichten spielen (z.B. auf ein bestimmtes semantisches Feld), muss man sich die Durchlässigkeiten nicht allgemeiner vorstellen? Anstoß kann ja auch ein bestimmter Rhythmus oder ein beobachteter Ablauf geben, der Energiehaushalt des Körpers etc. Dass die Rückführung der ganzen Mathematik auf die Logik, wie sie Russell und Whitehead in Principia Mathematica zu systematisieren versuchen, mit dem Mengenparadox an ihre
eigenen Grenzen gestoßen ist, ist mittlerweile Allgemeinwissen. (Auch gegen ihren Lösungsvorschlag der Typentheorie gibt es ja die berühmten Einwände. Vgl. dazu George Spencer-‐Browns Laws of Form.) Trotzdem zeigt vielleicht gerade dieses theoretische Streben den wichtigsten Zusammenhang zwischen Mathematik und Sprache. Die Logik setzt fest und deswegen bringt sie jeder Widerspruch zu Fall. In diesem Sinn steht ihr die Mathematik näher als die Sprache, obwohl auch in der Mathematik Widersprüche lang verborgen bleiben und Beweise lange auf sich warten lassen können. (Dass Mathematik auf Regelmäßigkeiten des Gegenstandsbereichs, dem sie sich gleichsam von „Außen“ nähert, oder zumindest auf die Regelmäßigkeiten ihres Rasterns angewiesen ist, hat damit zu tun.) Wenn also eine Axiomatik mächtig genug wäre, die ganze Arithmetik zu begründen, trägt sie notwendiger Weise einen Widerspruch in sich und ist als Axiomatik unbrauchbar. Das spricht für die Auffassung, dass, obwohl sie alle mit quantifizierenden Einheiten, d.h. Zahlen umgehen, verschiedene Systeme, deren Darstellungsweisen sich einander ausschließen können, die „ganze“ Mathematik ausmachen. Natürlich bauen sie aufeinander auf, und gelten in vielen Kalkülen und Darstellungsweisen bestimmte qualitative Aspekte z. B. der natürlichen Zahlen, wie gerade oder ungerade, prim oder nicht prim (zusammengesetzt) zu sein etc. Das Übernommene garantiert nicht nur die Zugehörigkeit zur Disziplin, sondern spielt oft die Rolle der Anschlussstelle, die das jeweilige System anwendbar macht. Und es hängt wieder von Definitionen ab, wie weit bestimmte Gebiete gefasst werden, etwa, ob es schon genügt, rein formal beschreibbar zu sein, um als Teil der Mathematik zu gelten, was schon streng analytische Philosophen zu Mathematikern machte, wenn man davon absieht, worauf sie sich beziehen, über welche Probleme sie sprechen wollen. Im Fall von Frege trifft es ja zu, zumindest historisch, d. h. „zufällig“, d.h. von anderen Parametern abhängig, als denen, die hier mitsprechen sollen. Man könnte aber folgern, auch wenn Bedeutungen im Spiel sind, lässt sich mathematisch denken. Auch Mathematiker beziehen sich ja auf etwas, zum Beispiel die Königsberger Brücken, aber das ist nur der Anlass, ein autarkes Kalkül, zum Beispiel eben die Graphentheorie, zu entwickeln, oder didaktisches Illustrationsmaterial. Das Wesen einzelner mathematischer Kalküle oder bestimmter Gruppen von voneinander abhängenden Kalkülen wäre demnach logisch, das der ganzen Mathematik pragmatisch. Obwohl die einzelnen mathematischen Kalküle axiomatisch vorgehen und konsistent sind, lässt sich diese Vorgehensweise nicht so weit verallgemeinern, dass sich aus ihnen ein Überkalkül bilden ließe, und nur ein solcher wäre rein formal beschreibbar. Unter System können ja offenere Konstruktionen verstanden werden, Zusammenhänge und Unterteilungen, Transformationsmöglichkeit zwischen den einzelnen Teilen etc. Und auf diese Art wird die ganze Mathematik ja beschrieben, aber nicht ihre Grundlagen. Vielleicht lohnt sich zur Klärung ein Vergleich mit bzw. von Programmiersprachen. Unter diesen sind die schwerfälligsten die logischen, d.h. die, die ihren Problemraum zuerst konsistent beschreiben müssen, um daraus dann -‐ allerdings „selbstständig“ -‐ Lösungen abzuleiten. Ihr Vorteil ist, dass sie nicht mehr blind auf das zugreifen müssen, was ihnen geboten wird, um dies gemäß eines Ablaufs von Anweisungen und Abbruchbedingungen zu verarbeiten, sondern von einer logisch strukturierten Umgebung ausgehen, in der sie sich „auskennen“. Mischformen, die mit Listen umgehen, in denen solches formales „Wissen“ codiert ist, verknüpfen Logisches mit Prozeduralem. Denn was im logischen oder „räumlichen“ Denken
Widersprüche erzeugt, verursacht im prozeduralen oder „zeitlichen“ Denken keine solchen Katastrophen: Anweisungen, die gleichzeitig nicht ausgeführt werden können (wie Socken und Schuhe anziehen), sich also widersprechen oder gegenseitig ausschließen, sind nacheinander sehr wohl durchführbar, auch wenn gegebenenfalls die folgende die vorausgehende wieder aufhebt. Naturgemäß laufen alle Programme über den gleichen Kern logischer Schaltungen. Wenn also Hermann Weyl oder Andreas Speiser (und mit ihm Max Bense) den gruppentheoretischen Kalkül, der aufzeigt, welche formalen Bedingungen notwendig sind, dass Systeme in sich selbst kreisen, und nicht den logischen zum Grundlagenkalkül der Mathematik erklären, geschieht eine ähnliche Verschiebung hin zum Prozeduralen, obwohl natürlich auch der Gruppenkalkül streng logisch, d.h. widerspruchsfrei konstruiert ist. (Bense: „Im Prinzip der Gruppe steckt also das, was man gelegentlich als Prinzip der Reflexivität von Sätzen definiert findet und was z.B. zum Ausdruck bringt, das mathematische Sätze stets nur zu mathematischen, nie aber zu chemischen oder ethischen Aussagen führen.“) Dass der Kern konsistent beschreibbar ist, heißt nicht, dass alle Gebiete, auf die er zugreift (oder die auf ihn zugreifen), miteinander vereinbar sind. Und hier zeigt sich noch etwas, das auch für das Verhältnis von Dichtung und Mathematik von Bedeutung sein kann, nämlich dass das, was einmal Oberfläche ist, ein anderes Mal den Kern spielen kann. Euklid führt die Zahlen anhand proportionaler Einteilungen von Strecken ein. Mit einer Einheitsstrecke, die sich vervielfachen und mit der sich andere Strecken messen lassen, führen seine Definitionen zur Arithmetik. In der griechischen Mathematik stellen Brüche noch keine eigenen Zahlen dar, sondern ganzzahlige Verhältnisse. (Für das Zahlenverhältnis steht im Griechischen das Wort logos, im Lateinischen dann ratio.) Auch die Eigenschaften von Zahlen -‐ wie: ungerade, gerade, Primzahlen, vollkommene Zahlen, befreundete Zahlen, figurierte Zahlen (z.B. Dreieckszahlen, siehe pascalsches Dreieck) -‐ werden definitorisch eingeführt. Der Gruppenkalkül lässt sich nun auch als Möglichkeit verstehen, ganzzahlige Verhältnisse und bestimmte Formen ihrer Verknüpfungen formal, d.h. als geschlossenes System zu beschreiben. Andreas Speiser in Die mathematische Denkweise: „Die Gruppe vertritt das Prinzip der ganzzahligen Verhältnisse, das im Altertum unter dem poetischen Namen der „Harmonie der Sphären“ die Aufsuchung der Naturgesetze beherrschte und noch für Kepler das Grundgesetz der Welt bildete.“ Für die mathematische Gruppe (bezüglich Verknüpfung) gelten folgende Bedingungen: 1. Jede Verknüpfung zweier Elemente gehört selbst zur Gruppe. (Abgeschlossenheit) 2. Die in ihre geltenden Verknüpfungen müssen assoziativ sein, d.h. a*( b*c) = (a*b)*c. 3. Es muss für alle Elemente (a) der Gruppe ein neutrales Element geben, sodass gilt: e*a = a*e = a. 4. Jedes Element (a) der Gruppe muß invertierbar sein, d.h. zu jedem Element (a) existiert ein inverses Element (a-‐1), sodass gilt: a* a-‐1 = a-‐1*a = e. Gilt auch noch allgemein das Kommutativgesetz (a*b = b*a) spricht man von einer abelschen Gruppe. Die ganzen Zahlen bilden zum Beispiel bezüglich der Verknüpfung der Addition eine abelsche Gruppe. Die Zahl Null ist das neutrale Element, das inverse Element zur Zahl (a) ist (-‐ a). Schon bezüglich der Multiplikation sind die ganzen Zahlen keine Gruppe mehr, da kein inverses Element für zum Beispiel die Zahl 5 existiert. Wie kann also Speiser die Gruppe zum „Prinzip der ganzzahligen Verhältnisse“ oder gar „der Harmonie der Sphären“ oder Bense sie zum mathematischen Prinzip überhaupt erklären, wenn schon die ganzen Zahlen bezüglich der Multiplikation keine Gruppe mehr bilden? Und kann das geschlossene, tautologische
System nur über die Eigenschaften sprechen, die es selbst hervorbringt? Die Diagonale des Einheitsquadrats lässt sich ja mit einer bestimmten Genauigkeit, die Näherung bleiben muss, messen. Aber sie findet eindeutig ihr Ende. Erst das Zahlensystem bringt die irrationalen Zahlen hervor. Euklids Strecken und Flächen, mit deren Hilfe er Zahlenverhältnisse definiert, können auch nicht miteinander multipliziert werden. Damit die Übertragungen aufs Ganze plausibel bleiben, müssen die Gestalten und Proportionen und vor allem die Operationen vielleicht nur elementar, d.h. einfach genug gedacht sein. Der Aufbau mathematischer Begrifflichkeit radikalisiert den Weg vom Einfachen zum Komplexen. Um zum Gruppenbegriff zu gelangen, kann vom Begriff der Menge als Zusammenfassung beliebiger wohlunterschiedener Elemente zu einem Ganzen ausgegangen werden. Eine Relation ist dann ein Zuordnungsschema, d.h. eine Vorschrift, die einem Element der Menge ein Element einer anderen (oder – im Fall der binären Relation – derselben) Menge zuordnet. Eine spezielle Art der Relation ist die Abbildung oder Funktion, die jedem Element einer Menge genau ein Element einer anderen (oder derselben) Menge zuordnet; gilt das auch umgekehrt, so wird die Abbildung bijektiv genannt. Bijektive Abbildungen einer Menge auf sich selbst werden Permutationen genannt. Unter Verknüpfung zweier Abbildungen wird das Hintereinanderausführen der Zuordnungen verstanden, und weil das Ergebnis der Verknüpfung wieder eine Abbildung ist, lässt sich im Weiteren durch die oben genannten Bedingungen der Begriff der Gruppe definieren. Die Mächtigkeit eines solchen mathematischen Aufbaus besteht vor allem darin, dass sich die Definitionen der einfachen Gegenstände wieder auf jene der komplexeren anwenden lassen. So können auch Abbildungen zu einer Menge zusammengefasst werden, in der wieder Relationen und Abbildungen definiert werden können. Weil unter eindrücklichen Strukturen die Symmetrie am unmittelbarsten zu wirken scheint und bei bestimmten Operationen Gruppeneigenschaften genügt (z.B. wird sie verdoppelt, erhält man wieder eine Symmetrie), macht Speiser sie überhaupt zum ästhetischen Prinzip: „Ähnlich wie es für die algebraische Gleichung eine Metaphysik, die Gruppe, gibt, deren Kenntnis das Innerste der Gleichung enthüllt, gibt es auch für das Kunstwerk eine Metaphysik, nämlich den Symmetriegehalt ...“ In Theorie der Gruppen von endlicher Ordnung setzt sich Speiser dann auch ausführlich mit Streifenornamenten und Flächenornamenten auseinander, und untersucht die sie bildenden Operationen (Translation in Richtung der Längachse, Spiegelung an der Längsachse/Querachse, Gleitspiegelung= Spiegelung+Translation, Drehung von 180 Grad etc.) hinsichtlich ihrer gruppenbildenden Eigenschaften. Das mathematische Denken, insofern es den Gruppenkalkül zur Grundlage hat, ist also ein ornamentales Denken und begünstigt somit eine bestimmte Ästhetik (des Schönen). Bezeichnend ist, dass für Speiser auch die Musik Johann Sebastian Bachs paradigmatisch ist, der seiner Kunst der Fuge eine symmetrische Tonfolge zugrunde legt. Der horror vacui des ornamentalen Denkens bezieht sich auf jene Räume, die von den Gruppen konstituierenden Operationen nicht erfasst werden. Speiser (D.m.D.): „Die Aufgabe der Wissenschaft wäre es, für die einzelnen Stücke den vollen Aufbau mit allen Bindungen zu suchen. Es werden dann noch Leerstellen bleiben, die man beliebig ausfüllen kann. Aber es ist zu vermuten, dass es Kompositionen, z.B. Fugen von Bach, gibt, bei denen jeder Ton durch die Bindungen festgelegt ist, so dass als einziger Freiheitsgrad die Tonart bleibt. Vielleicht ist das gute Kunstwerk durch eine Minimaleigenschaft ausgezeichnet: es ist das einfachste Stück, das bei dem in ihm enthaltenen Symmetriekomplex möglich ist.“ Bach ist ein schwerwiegendes Argument für diesen ästhetischen Ansatz; aber ist eine Art von
ornamentaler Oberflächenbearbeitung nicht auch in Gefahr, im arabesken Kitsch zu enden? Im Ästhetischen ist natürlich eine entgegengesetzte Haltung denkbar, dass es nämlich gilt, den Regelmäßigkeiten, dem geschlossenen System zu entkommen. Aber muss ich dann das System, dem ich entkommen will, nicht zuerst einmal setzen oder zumindest klar machen, aus welchem der gesetzten ich zu entkommen trachte? Eine bescheidenere Haltung spricht von der Abweichung, die erst die Spannung erzeugt, die für den künstlerischen Ausdruck wesentlich ist. Ein vorhersehbares ästhetisches Kriterium dieser Haltung könnte die Unvorhersehbarkeit des nächsten Schrittes sein, eher dem Wahrscheinlichkeitskalkül verbunden und verwandt mit der Definition des Informationsgehalts bei Shannon. Poetische Zusatzbedingungen werden doch gestellt, um Gedanken von Bindung und Zensur der konventionellen Formeln zu befreien, das Medium also dafür zu sensibilisieren, was bei gängigen Schemata und Klischees durch den Rost fällt. Genau das kann auch die poetische Utopie á la Bach motivieren, die alle gestalterischen Parameter miteinander ins Spiel bringen will. Die so gewonnene Dimensionalität wäre erst fähig, bestimmte komplexe Verhältnisse zum Ausdruck zu bringen, bzw. zu locken, diese in sie zu projizieren. Da es alle Möglichkeiten ausschöpfen würde, erübrigte es sich, zu entscheiden, ob dieses Werk selbst als Zeichen für etwas stünde, das anders nicht ausdrückbar oder benennbar wäre, oder sich einfach nur selbst genüge. Da die Menschen symmetrisch gebaut sind, ist es kein Wunder, dass sie dieses Verhältnis auszeichnen. Symmetrische Verhältnisse lassen sich auch in der Dichtung finden, z.B. die Anordnung der Endreime im Rondell, Palindrome bei Namen, Worten oder Wortverkettungen, bei Buchstaben (je nach Spiegelachse): A, B, C, D, E, H, I, K, M, O, S, T, U, V, W, X, Y, Z etc. Unter Symmetrie werden mathematisch Operationen verstanden, die die Struktur unverändert lassen. Auch wenn Speiser dieses konservative Verhalten zum Prinzip (mathematischer) Schönheit erklärt, ist Symmetrie sonst nur eine Kategorie von Proportionen unter vielen: eine andere ausgezeichnete wäre z.B. der goldene Schnitt, oder allgemeiner zeichnen sich die Verhältnisse aus, die sich im Kleinen (Teil) bzw. Großen (Ganzen) fortsetzen. Nicht nur auf morphologischer und syntaktischer Ebene, auch auf semantischer Ebene lassen sich Verhältnisse im mathematischen Sinn gruppieren; ist „Geschwister zu sein“ nicht sowohl kommutativ wie transitiv, „befreundet“ nur ersteres etc.? Solche Zusammenhänge sind genauso strukturbildend (Siehe die strukturalistischen Untersuchungen von Heiratsregeln oder Marcel Prousts Auf der Suche ...). Die Arbeit am Begriff endet aber unweigerlich bei logischen Beziehungen. Es gibt auch die ästhetische Betrachtung von Ableitungen. Ein eleganter oder klarer Beweis muss nicht kurz sein, genauso wenig wie ein Programm, das vor allem mit Rekursionen, also mit Bedingungen, die es noch einmal aufrufen, arbeitet, die schnellste Lösung sein muss. Die Länge des Beweises verhält sich umgekehrt proportional zur Länge der Axiomatik, also umso mehr Axiome, desto weniger Schritte bis zum Theorem. Ob Zahlen oder Buchstaben, dieser Darstellungsmechanismus setzt sich bis auf die Zeichenebene fort: die Länge der Ausdrücke hängt sowohl vom Zeichenvorrat wie von der Menge der Unterscheidungen ab, die getroffen werden sollen. Und erst die Gestalt, die Figurierung, erlaubt den Überblick. Holzstäbe oder runde Steine? Es macht eben einen Unterschied, womit ich beginne, und da die Stäbe schon eine Unterscheidung der Richtung vorgeben, eignen sich die runden Steine als Einheiten besser, um z.B. Anordnungen der figurierten Zahlen aufzulegen. Wittgenstein
bringt in den Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik, um das Kommutativgesetz zu illustrieren, ein Bild von vier Zeilen mit fünf Kreisen, dass man auch als fünf Spalten mit vier Kreisen lesen kann. Legt man an zwei Seiten eines Quadrats, das sowohl in seinen Zeilen wie in seinen Spalten n Steine aufweist, je n Steine, und ergänzt die Ecke um einen Stein, lässt sich auch die Formel n2 + 2n + 1 = (n + 1)2 zeigen. Die pythagoreische Zahlenlehre unterteilte ihre Kategorie der figurierten Zahlen schon in lineare, flächenhafte und dreidimensionale, und trug so zu einer Systematisierung der Mathematik bei, der Wittgenstein mit seiner Untersuchung der Grundlagen entkommen will, um zu zeigen, dass diese an der prinzipiellen „Buntheit der Mathematik“ nichts geändert habe. Max Benses Untersuchungen (z.B. in Geist der Mathematik) zielen in die entgegengesetzte Richtung. Er will die „Gruppentheorie als geometrisches Einteilungsprinzip“ zu einer Satzgruppentheorie erweitern und so zu nichts weniger als einer mathesis universalis gelangen, zu einem „Aufbau einer alles mögliche Wissen umfassenden Wissenschaft.“ Die universale Mathematisierung im Sinne der Gruppentheorie, die er im Sinn hat, erfordert nicht nur sich gleich bleibende Grundelemente und invariante Relationen, sondern, weil er dem Hilbertschen Traum nachhängt, auch feststehende Axiomatiken: „Allgemein wird also für jede Wissenschaft eine gewisse Gegenstandsinvarianz gefordert, es kommt lediglich darauf an, diesen der Invarianz unterworfenen Gegenstand hinreichend umfangsgroß zu definieren.“ Bei einer solchen universalen Übertragung macht die erste gruppentheoretische Bedingung am wenigsten Schwierigkeiten, denn wird die Assoziativität als das Prinzip gedeutet, dass aus der Verknüpfung der Elemente wieder Elemente der Gruppe resultieren, kann dieses auch den wissenschaftlichen Sätzen konzediert werden. Eine nähere Bestimmung des Einheitssatzes „der bestimmt, ob die Gruppe von Sätzen ‘ist’ oder ‘gilt’ meint“ bleibt Bense schuldig. Die Forderung nach einem inversen Element sieht er auf folgende Weise ungefähr („etwa“) erfüllt: „Das Axiom 3 der Inversion aber lässt sich für Satzgruppen etwa folgendermaßen verstehen: in einer Gruppe von Sätzen existiert zu jedem Satz eine sinnvolle Verneinung; d.h. über jeden Satz einer Gruppe muss es möglich sein, zu entscheiden.“ Diese Ausführungen sind 1939 erschienen. Das Entscheidungsproblem hat der Utopie einer generellen Formalisierung einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Das hindert aber nicht daran, dass sie in Teilbereichen erfolgreich ist und hat auch dem erkenntnistheoretischen Determinismus nicht den Garaus gemacht. Warum sollen einzelne Systeme, die begrenzt genug sind, bzw. Verarbeitungszentren nicht konsistent sein? Die Suche nach dem tiefer Liegenden ist vielleicht nur die Suche nach dem Einfacheren. Die Aussagenlogik, die ihr System über Sätzen, die wahr oder falsch sein können, errichtet, lässt sich konsistent formulieren. Die Prädikatenlogik mit Quantoren etc. ist so strukturiert, dass die Russellschen Probleme schlagend werden können. Man müsse die Elemente nur groß genug fassen, meint Bense, damit die Gruppentheorie zur Anwendung kommen könne. Die Sätze als formale Schemata zu Einheiten eines Systems erklärt, die verknüpft wieder zu Einheiten des Systems werden, genügen den Voraussetzungen zur Gruppenbildung. Das führt dazu, dass für Bense der mathematische Isomorphiebegriff auch auf Sätze anwendbar ist, ja Isomorphie sogar äquivalent zur Analogie erklärt werden kann: „Ist jedem Element einer Gruppe G ein und nur ein Element einer zweiten Gruppe G’ zugeordnet, dergestalt, daß dem Produkt, d.h. also der Verknüpfung zweier Elemente von G das Produkt (Verknüpfung) der zugeordneten Elemente von G’ zugeordnet ist, so heißt die Gruppe G’ isomorph der Gruppe G. Denkt man sich als Elemente nun Sätze, so würde sich folgende satzgruppentheoretische Definition ergeben: Zwei Gruppen von Sätzen heißen isomorph,
wenn jedem Satz der einen nur ein Satz der anderen entspricht, derart, dass die Verknüpfung zweier Sätze in der einen Satzgruppe stets zu einer Deduktion führt, die der Verknüpfung (Deduktion, Folgerung) zweier zugeordneter Sätze der anderen Satzgruppe entspricht. Solche ‘Isomorphie’ bedeutet offenbar nichts anderes als eine exakte ‘Analogie’...“ Einerseits scheint der formale Ansatz, weil er mit einem geschlossenen System rechnet und so von Bedeutungen absehen kann, nur Verschiebungen auf einer Oberfläche zu betrachten, andererseits scheinen die Elemente freigelegt, „entkleidet“, gereinigt von aller sprachlichen Kontingenz, die Historisches mit Grammatikalischem verbindet. Berechtigt das aber schon dazu, Isomorphie und Analogie gleichzusetzen? Man denke an geometrische Gruppenoperationen. In ihrer Darstellung des Gödelschen Beweises bringen Nagel und Newman, um das Prinzip der Zuordnung zu illustrieren, das Theorem von Pappus, das sich anhand zweier geometrischer Figuren formuliert. In der einen besteht unter den Punkten die Beziehungen, die in der anderen unter den Geraden, und unter den Geraden die Beziehungen, die in der anderen unter den Punkten besteht. Die beiden Figuren sehen also ganz unterschiedlich aus, haben aber dieselbe „logische Form“. Wie beim Satzbegriff Wittgensteins im Tractatus handelt es sich bei mathematischen Entsprechungen um Eins-‐zu-‐Eins-‐Entsprechungen. Weil es um systematische Zuordnungen geht, unterscheidet sich sowohl mathematische wie logische Form von der Gestalt. In der Mengenlehre wird unter Struktur eine Auswahl von Elementen, Relationen und Funktionen (Abbildungen) verstanden, die auf einer bestimmten Menge (der Trägermenge) definiert sind. Unter den so definierten Begriff fallen also auch die Gruppenstrukturen. Dass die Logik gegenüber Gruppenstrukturen einen allgemeineren Status einnimmt, lässt sich vielleicht daran sehen, dass jede so verstandene Struktur von ihrer Trägermenge gleichsam gelöst oder abstrahiert werden kann, indem sie axiomatisiert wird. Aus einer Auswahl von nicht-‐interpretierten Symbolen für Elemente, Relationen und Funktionen werden Sätze (Axiome) geformt, die bei entsprechender Interpretation in einer konkreten Struktur erfüllt sind. Bilden diese mitsamt den aus ihnen logisch folgenden Theoremen ein widerspruchsfreies und vollständiges System, kann von einer formalen Theorie dieser Struktur gesprochen werden, für die die konkrete Struktur ein Modell bildet; sie verwaltet das, was sich über die Struktur formal „sagen“ läßt. Isomorphie bezieht sich aber, was der zitierten Anschauung Max Benses widerspricht, nicht auf die Theorie der Struktur, sondern auf die Struktur selbst, bzw. auf jene bijektiven Abbildungen, die die Struktur, d.h. die sie konstituierenden Relationen, invariant lassen. Isomorphie als Relation ist reflexiv (jede Menge ist isomorph mit sich selbst), symmetrisch (ist M isomorph mit N, dann ist N isomorph mit M) und transitiv (ist M isomorph mit N und N mit K, dann auch M mit K) und gehört damit mathematisch zu den Äquivalenzrelationen. Besteht ein Isomorphismus aus einer Abbildung einer Menge auf sich selbst, heißt er Automorphismus oder Transformation. Die Menge aller Transformationen bezüglich einer bestimmten Struktur hat selbst die Struktur einer Gruppe und bildet damit die zu dieser Struktur gehörige Transformationsgruppe. (Diese Gruppen spielen in Felix Kleins Erlanger Programm eine große Rolle.) Auch Ähnlichkeit als Eigenschaft von Teilmengen wird so eingeführt, die geordnete Menge als Folge etc. Wie die Invarianz ein bestimmender Faktor ist, hat solche Anschauung statischen Charakter. Beim Beobachten, wie genau diese Begriffe ineinandergreifen, stellt sich sofort die Frage, was sie im diskursiven Gebrauch verloren haben bzw. verlieren müssen.
Unter den Mathematikern gibt es Verfechter des klärenden Einsatzes solcher mathematisch eingeführten Begriffe in unbestimmteren Zusammenhängen. Der Mengentheoretiker und Cantorianer Felix Hausdorff, der sich in der Topologie einen Namen machte und unter dem Pseudonym Paul Mongré auch als Philosoph (Das Chaos in kosmischer Auslese) und Dichter (Ekstasen) reüssierte, sah darin, dass Mathematik ihre Begriffe neu und selbst setzt, nicht nur ihre Stärke, sondern auch denn Grund dafür, dass sie als einziges Mittel zu Selbstkritik der Wissenschaften in Frage kommt. Die axiomatische Methode verstand er nicht im Sinne Hilberts als Mittel zur universalen Formalisierung der Mathematik und der Wissenschaften, sondern als skeptisches Werkzeug zur Relativierung jeder Begrifflichkeit. Mengen und Relationen genügten ihm, um relativierbare Weltbilder aus dem Chaos zu heben. Die Rolle des Chaos selbst kann aber eben auch eine Struktur übernehmen, in der sich Teilmengen und Folgen isolieren lassen. Hausdorff scheint ein gutes Beispiel dafür, dass sich radikaler Skeptizismus und formale Rigidität gut vertragen. Abgesehen von onomatopoetischen Ausdrücken, die – vergleicht man z.B. die Symbolisierung von Tierlauten in verschiedenen natürlichen Sprachen – auch einen weiten Interpretationsrahmen zu erlauben scheinen, der ihre Ähnlichkeit mit dem, was sie bezeichnen, in Frage stellt, beruht die Zuordnung von Worten zu den Gegenständen, die sie bezeichnen sollen, auf Konvention, was bekanntlich in der westlichen Literatur seit Platons Dialog „Kratylos“ bedauert wird. Wenn nun Stéphane Mallarmé vom mot total, dem totalen Wort träumt, zu dem der Vers mehrere Vokabel umforme, ist es die alte poetische Utopie, dass es Funktionen des Stils und der Rhetorik möglich ist, diese Willkür aufzuheben. Der Vers, als höhere Entsprechung (complément supérieur), solle „philosophisch den Mangel der Sprachen aufwiegen“. Mallarmé spricht auch vom reinen Begriff (notion pure), der dem Spiel der Rede entspringen solle, oder von der Blume, die sich musikalisch im ausgesprochenen Wort als Idee aus allen erfahrbaren Kelchen heben solle. Wenn für ihn die höchste Form der Musik jene ist, zu der die intellektuelle Rede werden kann, scheint darin etwas von dem Wissen um den Sinn von Desemantisierung zu stecken, das vielleicht auch Gödel beflügelte, als er Sätze der Metamathematik im System der Arithmetik verklausulierte. Warum scheinen die Zuordnungen weniger willkürlich, wenn ein formales System in ein anderes übersetzt bzw. abgebildet wird? Nur deswegen, weil die Willkür innerhalb der jeweiligen Systeme aufgehoben scheint und weil auch die Transformationen selbst nach Regeln geschieht? Die Strukturalisten der ersten Stunde glauben ja deswegen dem Formalismus-‐Verdacht zu entkommen, weil sie sich auf die Regelmäßigkeiten von Transformationen bzw. Ersetzung von Elementen konzentrieren, die sich bei Vergleich feststellen lassen, und nicht mit den formalen Grundstrukturen der von ihnen analysierten Gebilde. Lévi-‐Strauss: „Der Formalismus vernichtet seinen Gegenstand.“ Der Formalist sei deswegen nihilierend, weil er ex negativo an der Unterscheidung Form/Inhalt festhalte und nur die Funktionen als Konstituenten der Form für der Analyse würdig hält, während die Elemente als Träger des Inhalts beliebig ersetzbar, d.h. vernachlässigbar seien. Um eindeutige Abbildungen im arithmetischen Kalkül zu erhalten, nützt Gödel vorhandene formale Eigenschaften des Systems, zum Beispiel Primzahlen und ihre Potenzen. Um die metamathematischen Aussagen abbilden zu können, d.h. in Zahlen zu codieren, muss Gödel die ganze formale Sprache, in der sie formuliert werden, arithmetisch abbilden. Die Struktur der formalen Sprache bleibt dabei ebenso erhalten wie die Struktur der Zahlen ausgenützt wird, d.h. äquivalente zusammengesetzte Ausdrücke werden auf die gleiche Zahl abgebildet.
Schließlich kann er auf die codierten Bedeutungen der logischen Elementarzeichen wie „nicht“ und „oder“ vergessen und mit den als Zahlen codierten Formeln rechnen. Natürlich ist auch die formale Sprache ein Kalkül, in der wahre Aussagen über beobachtbare (aber deswegen noch nicht beweisbare) Eigenschaften des arithmetischen Kalküls als Axiome gelten. Nun kann Gödel aber innerhalb des arithmetischen Kalküls zeigen, dass bei bestimmten Aussagen nicht entschieden werden kann, ob sie wahr oder falsch sind, und so sein Unvollständigkeitstheorem errechnen. Es ging ja darum, die Mächtigkeit eines formalen Systems zu zeigen, in dem die mathematischen Operationen definiert sind, und das Unvollständigkeitstheorem gilt nur für dieses arithmetische Kalkül. Die Rückübersetzungen in Ausdrücke der formalen Sprache sind deswegen kein Problem, weil die Zuordnung selbst eine mathematische Operation ist. Nichtsdestotrotz beruht die Interpretation der Ausdrücke der formalen Sprache als Aussagen über die Arithmetik auf Abmachung. Der berühmteste der metamathematischen Sätzen, die Gödel im arithmetischen Kalkül codiert, und von dem er zeigt, dass er in diesem Kalkül nicht beweisbar ist, lautet: „Der Kalkül ist widerspruchsfrei“. Insofern es um seine Beweisbarkeit geht, wie schließlich ja auch das Unvollständigkeitstheorem bewiesen wird, besteht im formalen System das Zeigen aus dem Befolgen der Regeln des Systems. Dass die Bedeutung formaler Aussagen nach Frege, der sie von ihrem kontextabhängigen Sinn unterscheidet, auf wahr und falsch reduziert werden kann, beruht auf diesem Beweischarakter formaler Sprachen. (Worauf es Gödel bei seinem Beweis ankommt, wäre also nach Frege nicht die Bedeutung, sondern der Sinn der codierten Aussagen. Freges Wortgebrauch hat sich aber nicht durchgesetzt.) Nicht nur mit den Verknüpfungen formaler Ausdrücke lässt sich etwas aussagen, sondern auch mit Verkettungen, die sich grammatikalischen Systemen verdanken. Insofern, und nicht in Bezug auf Vollständigkeit oder Beweisbarkeit, ist die Reflexivität, die Gödel durch seine Codierungsmethode innerhalb eines Kalküls erreicht, auch für Poetik ein Modell. Verglichen mit den historischen grammatikalischen Entwicklungen und Veränderungen wie Lautverschiebung etc. erweisen sich poetische Figuren und Techniken als beständiger, und in einem weiteren Sinn kann vielleicht jede ästhetische bzw. stilistische Bemühung beim Schreiben als Versuch angesehen werden, das, was gesagt wird, im Sprachbild zu reflektieren. Natürlich kann das, was gesagt wird, auch konterkariert werden, z. B.: von Langatmigkeit in kurzen Sätzen schreiben.
Gödels Beweis würde ohne das erklärende Umfeld nicht funktionieren, das festhält, welche logischen Elementarzeichen welchen Zahlen zugeordnet werden, wie die Gödelzahlen aus Primzahlen und ihren Potenzen konstruiert werden etc. Macht Pastior aber ansatzweise nicht etwas ähnliches, wenn er erklärt, wie er zu den Werten der einzelnen Buchstaben kommt? Dass das, was im Gedicht ausgesagt wird, etwas über die Methode verrät, wie es konstruiert ist, wäre hinsichtlich Reflexivität nur ein Sonder-‐ bzw. Extremfall. Geht es überhaupt um Entschlüsselung? Der poetische Imperativ könnte doch auch lauten, stelle Beziehungen zu einer anderen Sprachebene her, und zwar so, dass sie wirken. Das setzt natürlich voraus, dass es sich dabei um Ebenen handelt, die hör-‐ oder sichtbar sind. Es wird von einem Tausch oder einem Trugschluss gesprochen, also wird ein Chiasmus gesucht, der diese jeweils exemplifiziert, ein Gedanke wird variiert, also wird auch die Wortstellung variiert oder nach Worten gesucht, die auf Buchstabenebene jene des variierten Gedankens permutieren etc. Aber schon „ein Gedanke wird variiert“ ist ästhetisch
gedacht, nur eben die Bedeutungsebene betreffend. Die Kurzfassung solcher Bemühungen wäre das alte: es handelt sich nicht darum, was gesagt wird, sondern wie es gesagt wird. Und das wäre die kunstfeindliche Denkungsart: Solche Spielereien sind nur Privatvergnügen um zu einer ungewöhnlichen Wortformel zu gelangen, die beeindruckt. Was im Text passiert sind Übersetzungshilfen für das, was im Text gesagt wird, oder umgekehrt: was im Text gesagt wird, sind Übersetzungshilfen für das, was im Text passiert. Aber dieses Spiel der Gegenseitigkeit tut so, als ob ein geschlossenes System möglich wäre, und nicht an irgendeinem Punkt, zumindest was die Interpretierbarkeit betrifft, Zuordnungen willkürlich stattfinden müssen bzw. auf Konvention beruhen. Vielleicht liegt sowohl ein verkürztes Sprachverständnis als auch eine musikwissenschaftliche Vereinfachung der Bemerkung Lévi-‐Strauss’ zugrunde, wenn er schreibt: „Die Menschen sprechen oder haben Tausende füreinander wechselseitig unverständliche Sprachen gesprochen, die sich jedoch ineinander übersetzen lassen, weil sie sämtlich ein Vokabular besitzen, das sich auf eine allgemeine (wenn auch von jeder einzelnen unterschiedlich zugeschnittene) Erfahrung zurückführen lässt. Das ist in der Musik unmöglich, wo die Absenz von Worten dafür verantwortlich ist, dass es ebenso viele Sprachen wie Komponisten und im Grenzfall vielleicht sogar Werke gibt. Diese Sprachen sind nicht ineinander übersetzbar.“ Schließlich lassen sich auch musikhistorisch unterschiedliche, einheitliche Stilepochen festmachen. Die Bemerkung weist aber mit Recht darauf hin, dass in der Musik aufgrund fehlender Semantik die Ausprägung eines eigenen Stils unumgänglich ist, einen viel höheren Stellenwert besitzt, was zu seiner Gleichsetzung mit Sprache berechtigt, da sich Konventionen und individuelle Festlegungen eben nur auf die Kompostionsregeln selbst beziehen können. Die musikalische Stilempfindlichkeit kann als weiteres Indiz dafür gelten, dass ein Wegfall der Semantik auf der rhetorischen, strukturbildenden Ebene kompensiert werden kann. Auch bei begrifflichen Sprachfiguren und bei den langen, dem Satzsinn verpflichteten Sprachkompositionen in Prosa stellt sich selbstverständlich die Frage nach der Form, nach dem, was sich gleich bleibt, wiederholt und variiert. Weil sich soziologische Muster schneller ändern als das organische Zusammenspiel des menschlichen Körpers, wird bei der Metaphernbildung letzterer wahrscheinlich als bestimmender Bildbereich vorgezogen, ja, man könnte bei der Figurenbildung auf semantischer Ebene von einem Kippen der Stilfunktionen in ihr Gegenteil sprechen, weil die eingängigsten Klischees und naheliegendsten Bilder auch die hartnäckigsten sein werden. Wenn ich die Grammatik kenne, erkenne ich, eben mit einem Konditionalsatz begonnen zu haben, weiß ich, dass ich jetzt einen Nebensatz schreibe und dass es Relativpronomen gibt, mit deren Hilfe ich mich auf Nomen beziehen kann, auch auf das Wort „Relativpronomen“. Dieser Satz ist kurz. Die Satzstruktur stellt im Rahmen der grammatikalischen Möglichkeiten eben Beziehungen zwischen Satzgliedern und Wortarten her. etc. Im Semantischen ist Reflexivität leicht herstellbar. Die Zahl der sprachmateriellen Figuren wie Versfüsse, Alliteration, Reim, Chiasmus, Variation und Permutation ist begrenzt. Natürlich kann im Moment ihrer Ablesbarkeit über sie etwas ausgesagt werden, das sie illustrieren oder exemplifizieren. Ist das dann nicht ebenso begrenzt wie ihr Gestalten. Weil es sich um phonetische Schriftzeichen handelt, kann ohne explizite Zuordnung das, was sie ästhetisch aufführen, nicht mehr sein als Begleitmusik oder Ornament des Gesagten? Das Wort wird als Zusammensetzung kleiner Sinneinheiten verstanden. Und diese sind dann Verknüpfungen sinnloser Lautzeichen? Auch letztere sind behaftet mit einer bestimmten Häufigkeit ihres Auftretens und gewohnten Zusammenhängen, in denen sie auftreten. Sprechen diese gar
nicht mit oder sind sie nur deswegen nicht relevant, weil ich mir (ohne mathematische Hilfe) darüber keine Rechenschaft geben kann? Schafft nicht ihre unmittelbare Abfolge Unterscheidbarkeit? Ihre Opposition kann als der potenzielle Träger aller Information verstanden werden etc. Genauso lassen sich mit sprachmateriellen Figuren als größere Einheiten Abfolgen und Kombinationen bilden, sogar gemäß des ästhetischen Ideals, dass sich die Verhältnisse im Kleinen im Grossen fortsetzen. Die poetische Behandlung kann die Zeichenstrukturen verkomplizieren oder vereinfachen, auf jeden Fall ändern sich die Verhältnisse, stellt sie neue Beziehungen her oder bestimmte Beziehungen heraus. Und warum sollen diese für Verwendung und Projektion nicht offenstehen und die Geschichte ihres Vorkommens widerspiegeln? Im Mathematischen können solche Verhältnisse exakter sowohl beschrieben als auch hergestellt werden, aber sie stehen ebenso offen und scheinen nur für die, die ihre Geschichte nicht kennen, von ihr gereinigt. Wenn am Vorstellungsklavier verschiedene Tasten gleichzeitig angeschlagen werden sollen (und mit “Vorstellungsklavier” auch die Taste “Wittgenstein”), verlangt dies nach genauer Notation. Ein vager dichterischer Glaube könnte so ähnlich aussehen: die Geschichte der Schrift ist eine Geschichte der Abstraktion, und die poetische Behandlung von Schrift hat den Sinn, sie zum Assoziationen stimulierenden Bild oder Hörerlebnis rückzuführen. Wie wörtlich das verstanden werden könnte! Die Piktogramme der ägyptischen Hieroglyphen -‐ wie blühendes Schilfrohr, Sitz oder Mund -‐ stehen in schematisierter Ähnlichkeit nicht nur für die entsprechenden Phänomene aus der Lebenswelt, sondern der mit ihnen verbundene Begriffsumfang schließt auch ihr metonymisches Potential mit ein, wie z.B. Wasser, an dem das blühende Schilfrohr steht. Außerdem stehen sie für ein oder mehrere Lautzeichen. Um Homonyme in den in Stein gehauenen, kurzen, daher fast kontextlosen Texten zu vermeiden, setzten die Ägypter Ideogramme, also weitere Hieroglyphen, am Wortende als Determinativ, was auf lautlicher Ebene zu Redundanzen führt. An diesen Ideogrammen lässt sich auch ablesen, wie die Ägypter klassifizierten. Die Hieroglyphen-‐Lautschrift hatte sich aus der Notwendigkeit entwickelt, für abstrakte Begriffe Bilderrätsel zu finden. (Die abstrakten Begriffe selbst wurden dann z.B. mit dem Determinativ einer an einem Faden hängenden Papyrusrolle gekennzeichnet.) Eine mit Homonymen arbeitende Dichtung müsste in dieser Mischform aus Bild-‐ und Zeichensprache nur die letzten Ideogramme weglassen, um über ein reiches Arsenal an Homonymen zu verfügen. Wäre das, weil gleichsam ein Kategoriensystem ausfällt, ein erster Schritt der Desemantisierung? Es könnte doch auch als Intensivierung der Semantik gesehen werden, weil jetzt gleichzeitig auf mehreren Bedeutungsebenen, abstrakten wie konkreten, gedacht werden muss. Die erste Frage, die sich stellt, soll für Poetik Mathematik nutzbar gemacht werden, ist doch, welches mathematische Modell oder Kalkül angewendet werden soll. Es lassen sich z.B. für Knoten und Wege Entsprechungen finden und so graphentheoretische Überlegungen über den kürzesten Weg zwischen verschiedenen Knoten etc. fruchtbar machen. „Entsprechungen“, schon drängt sich auf, dass es auch hier wieder um Zuordnungen geht, dass also jene Bereiche der Mathematik, die diese zum Gegenstand der Betrachtung haben, für das Ineinanderspielen von Sprache und Mathematik am relevantesten sind und in gewissem Sinn die Grundlage beider betreffen. Soll dann z.B. mit Funktionen umgegangen werden, werden sowohl die mathematischen Regeln von Bedeutung sein, wie dass bei eindeutigen Abbildungen jedem Element der Defintionsmenge nur jeweils ein Element der Zielmenge zugeordnet werden darf, während ein Element der Zielmenge mehrere male zugeordnet werden kann, als auch die Gegebenheiten bzw. Vorstrukturierungen der
jeweiligen Sprache; Zuordnungen sind hinsichtlich sprachmaterieller wie semantischer Einheiten möglich; Homonyme: wie viele Begriffe lassen sich einem Wort zuordnen, Synonyme: wie viele Worte lassen sich einem Begriff zuordnen. Natürlich ist die Wirkung, die Wissen voraussetzt, eine andere als jene, die auf direkter Wahrnehmung beruht. Der Ausdruck “Semantische Einheit” lässt sich in solchen Reflexionen leicht sagen oder einsetzen, aber steht er nicht für das eigentliche Problem des Bezugnehmens, das hier unterschiedlich behandelt wird? Und bedeutet die Behandlung oder Klärung nicht gewissermaßen, die Semantik auszutreiben, wofür Mathematik (aber die zugreifenden Zahlen!) und Musik (aber die bedeutungsschwangere Rhetorik!) paradigmatische Rollen spielen, oder simplifizierende Sätze wie: “jede Form ist für eine größere, sie umfassende Form ein Inhalt.” Das Wechselspiel zwischen den Sprachebenen ist nicht nur Ziel der meisten Poetiken, sondern es lässt sich, so schwer es zu regeln ist, auch nicht vermeiden. Wie sich an der Abhängigkeit der Bedeutung von Betonung, Sprachgestus, Situation der Äußerung, Kontext etc. zeigt, die Grenze zwischen ihnen lässt sich gar nicht genau ziehen. Auch jede wirkungspoetische Überlegung wird sich auf eine bestimmte kulturelle Bildung verlassen müssen, jede ästhetische Revolution lebt in ihrer Wirkung erst von der Ästhetik, von der sie sich absetzt, und dann von der Gewohnheit, die sie verändert hat, selbst wenn alle Tonalität aufgegeben ist und sich Reihen und Figuren frei d.h. nicht nach systematisierten Regeln, sondern durch Einbruch der Welt, Werfen der Würfel etc. formieren. Die sinnlichste Seite, an der Poetik, mathematisch oder nichtmathematisch gestrickt, ansetzen kann, ist der Rhythmus. Vgl. was Jurij L. Lotman über den Rhythmus als strukturelle Grundlage des Verses sagt: „Der rhythmische Charakter des Verse wird durch die zyklische Wiederholung verschiedener Elemente in identischen Positionen bestimmt, um Ungleiches zu vergleichen und die Ähnlichkeit im Verschiedenartigen aufzudecken, oder durch die Wiederholung des Identischen, um den Scheincharakter dieser Identität zu enthüllen und den Unterschied im Ähnlichen festzustellen. Im Vers ist der Rhythmus sinnunterscheidendes Element. Dabei ist es notwendig zu bemerken, dass auch jene sprachlichen Elemente, wenn sie in die rhythmische Struktur eingehen, einen sinnunterscheidenden Charakter im Vers gewinnen, die diesen im gewöhnlichen Gebrauch nicht besitzen. Wichtig ist auch etwas anderes: Die Versstruktur bringt nicht einfach neue semantische Nuancen der Wörter zutage, sie deckt die Dialektik der Begriffe auf, jene innere Widersprüchlichkeit in den Phänomenen von Leben und Sprache, für deren Bezeichnung die gewöhnliche Sprache keine speziellen Mittel besitzt.“ „Und die formalen Sprachen schon gar nicht“, ließe sich ergänzen. Kommen mathematische Methoden zur Anwendung, ist noch nicht ausgemacht, ob sie dazu verwendet werden, ein System zu sensibilisieren, also auf bestimmte Weise offener zu halten, oder dazu, es geschlossener zu gestalten. Sie könnten ja auch dazu verwendet werden, neue Nerven zu legen, von den Zeichen bis in die innersten Bereiche der Produktion. Je komplexer das Geflecht, desto höher die Wahrscheinlichkeit, passende Teile zu finden. Schließlich lauert das Paradox, dass ein System umso offener, desto geschlossener es ist, weil es als Ganzes reagieren kann.