Zum Verhältnis von Dichtung und Mathematik - Ansätze und Reflexionen

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Zum Verhältnis von Dichtung und Mathematik Ansätze und Reflexionen Weniges von vielem. Auch das gehört zu dem Vollendeten einer Schrift, dass alles darin Beziehung und Verhältnisse unter sich habe, und dass sich von diesen die selteneren Abstände nicht zu weit entfernen. Freilich sind diese Züge des Gemäldes manchen unsichtbar; aber sind sie deswegen nicht da, weil’s Leute mit blöden Augen gibt? Klopstock, Gelehrtenrepublik Das Zahlensystem ist Muster eines ächten Sprachzeichensystems – Unsre Buchstaben sollen Zahlen, unsre Sprache Arythmetik werden. Novalis, Mathematisches Heft Dort, wo sich eine mathematische Vorgabe, zum Beispiel die Anwendung einer bestimmten mathematischen Reihe, offensichtlich an einem Text zeigt, was unter anderem abzählbar heißen kann, bleibt sie diesem vielleicht am meisten äußerlich. Dass das mathematische Konstruktionsprinzip dem Text äußerlich bleibt, muss keine Folgen für die ästhetische Bewertung des Textes haben; es will nur sagen, dass die mathematische Durchdringung der Sprachstrukturen nicht weit gegangen ist. Die Gründe dafür können sowohl auf mathematischer Seite liegen, etwa, dass eben nur eine Produktionsformel als zusätzliche poetische Bedingung angewandt wurde (mathematische Strenge eines Formaspekts lässt sich so allerdings leichter erhalten), als auch auf sprachlicher, etwa an der Relevanz der sprachlichen Einheiten oder Merkmale, an denen mathematisch angesetzt wurde, die quantifiziert wurden. Ein schönes Beispiel für die Umsetzung einer einzelnen mathematischen Formel ist Inger Christensens Gedichtreihe Alphabet, die sich nach der FibonacciFolge richtet, d.h. die Zeilanzahl der einzelnen Abschnitte folgen der Reihe 1, 2, 3, 5, 8, 13 ..., die mit 1, 2 beginnt und bei der die jeweils nächste Zahl durch die Summe der beiden letzten Zahlen gebildet wird. So wie die Reihe selbst der Fortpflanzungsrate von Kaninchen entsprechen soll, zählen die Gedichte quer durch alle Kategorien auf, was es alles gäbe: vom Aprikosenbaum über Eisbären und die Nachwelt bis zum Vergessen. Aus der Anzahl der Zeilen lassen sich weder Pelz noch Styx gewinnen, sondern eben nur die Zahlenreihe, die sich in symbolischer Schreibweise x 1 = 1, x 2 = 2, x n+1 =x n +x n1 kurzfassen lässt. Das Bildungsgesetz kann Christensen allerdings nicht vorschreiben (außer durch praktische Überforderung), mit welchem Abschnitt die Reihe zu enden hat. Geht es um die Realisierung eines Bildungsgesetzes? Das wäre doch so, als ginge es bei Gedichten nur darum, eine bestimmte Poetik zu exemplifizieren. Außerdem sollte eher von der Realisierung einer bestimmten Reihe gesprochen werden, denn es gibt ja Reihen, die nicht nur einem Bildungsgesetz entsprechen. Auch wird die Realisierung nicht unbedingt interessanter, wenn das Bildungsgesetz komplizierter ist, d.h. wenn es schwieriger ist, das

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 Zum  Verhältnis  von  Dichtung  und  Mathematik  Ansätze  und  Reflexionen    

Weniges  von  vielem.  Auch  das  gehört  zu  dem  Vollendeten  einer  Schrift,  dass  alles  darin  Beziehung  und  Verhältnisse  unter  sich  habe,  und  dass  sich  von  diesen  die  

selteneren  Abstände  nicht  zu  weit  entfernen.  Freilich  sind  diese  Züge  des  Gemäldes  manchen  unsichtbar;  aber  sind  sie  deswegen  nicht  da,  weil’s  Leute  mit  blöden    

Augen  gibt?    

Klopstock,  Gelehrtenrepublik    

Das  Zahlensystem  ist  Muster  eines  ächten  Sprachzeichensystems  –  Unsre  Buchstaben  sollen  Zahlen,  unsre  Sprache  Arythmetik  werden.  

 Novalis,  Mathematisches  Heft  

   Dort,  wo  sich  eine  mathematische  Vorgabe,  zum  Beispiel  die  Anwendung  einer  bestimmten  mathematischen  Reihe,  offensichtlich  an  einem  Text  zeigt,  was  unter  anderem  abzählbar  heißen  kann,  bleibt  sie  diesem  vielleicht  am  meisten  äußerlich.  Dass  das  mathematische  Konstruktionsprinzip  dem  Text  äußerlich  bleibt,  muss  keine  Folgen  für  die  ästhetische  Bewertung  des  Textes  haben;  es  will  nur  sagen,  dass  die  mathematische  Durchdringung  der  Sprachstrukturen  nicht  weit  gegangen  ist.  Die  Gründe  dafür  können  sowohl  auf  mathematischer  Seite  liegen,  etwa,  dass  eben  nur  eine  Produktionsformel  als  zusätzliche  poetische  Bedingung  angewandt  wurde  (mathematische  Strenge  eines  Formaspekts  lässt  sich  so  allerdings  leichter  erhalten),  als  auch  auf  sprachlicher,  etwa  an  der  Relevanz  der  sprachlichen  Einheiten  oder  Merkmale,  an  denen  mathematisch  angesetzt  wurde,  die  quantifiziert  wurden.    Ein  schönes  Beispiel  für  die  Umsetzung  einer  einzelnen  mathematischen  Formel  ist  Inger  Christensens  Gedichtreihe  Alphabet,  die  sich  nach  der  Fibonacci-­‐Folge  richtet,  d.h.  die  Zeilanzahl  der  einzelnen  Abschnitte  folgen  der  Reihe  1,  2,  3,  5,  8,  13  ...,  die  mit  1,  2  beginnt  und  bei  der  die  jeweils  nächste  Zahl  durch  die  Summe  der  beiden  letzten  Zahlen  gebildet  wird.  So  wie  die  Reihe  selbst  der  Fortpflanzungsrate  von  Kaninchen  entsprechen  soll,  zählen  die  Gedichte  quer  durch  alle  Kategorien  auf,  was  es  alles  gäbe:  vom  Aprikosenbaum  über  Eisbären  und  die  Nachwelt  bis  zum  Vergessen.  Aus  der  Anzahl  der  Zeilen  lassen  sich  weder  Pelz  noch  Styx  gewinnen,  sondern  eben  nur  die  Zahlenreihe,  die  sich  in  symbolischer  Schreibweise  x1  =  1,  x2  =  2,  x  n+1  =  xn  +  xn-­‐1  kurzfassen  lässt.  Das  Bildungsgesetz  kann  Christensen  allerdings  nicht  vorschreiben  (außer  durch  praktische  Überforderung),  mit  welchem  Abschnitt  die  Reihe  zu  enden  hat.    Geht  es  um  die  Realisierung  eines  Bildungsgesetzes?  Das  wäre  doch  so,  als  ginge  es  bei  Gedichten  nur  darum,  eine  bestimmte  Poetik  zu  exemplifizieren.  Außerdem  sollte  eher  von  der  Realisierung  einer  bestimmten  Reihe  gesprochen  werden,  denn  es  gibt  ja  Reihen,  die  nicht  nur  einem  Bildungsgesetz  entsprechen.  Auch  wird  die  Realisierung  nicht  unbedingt  interessanter,  wenn  das  Bildungsgesetz  komplizierter  ist,  d.h.  wenn  es  schwieriger  ist,  das  

Gesetz  aus  der  gegebenen  Reihe  abzuleiten  (daran  lässt  sich  auch  die  mehr  psychologische  Frage  knüpfen,  inwieweit  Hermetik  Interesse  zu  wecken  imstande  ist).      Wenn  ich  die  Reihe,  bzw.  die  Zeilenanzahl  der  einzelnen  Abschnitte,  aus  der  sie  gebildet  wurde,  im  Auge  habe,  ist  das  Bildungsgesetz  poetisch  irrelevant,  d.h.  insofern  wirkungslos,  als  es  nur  die  mathematische,  die  quantitative  Seite  beschreibt,  es  sei  denn,  es  war  der  Zauberstab  des  Novalis,  die  Analogie  mit  im  Spiel,  und,  Vorgänger  oder  Vorvorgänger  zu  sein,  hat  etwas  zu  sagen.  Die  Formel  ist  für  das  Gedicht  um  so  interessanter,  je  bedeutender  (in  vielerlei  Hinsicht)  das  ist,  was  sie  von  der  sprachlichen  Struktur  zu  fassen  bekommt,  wobei  jetzt  zu  klären  wäre,  was  alles  zu  sprachlichen  Strukturen  gehören  kann,  inwieweit  es  Analogien  zu  mathematischen  Strukturen  gibt  und  was  unter  Analogie  zu  verstehen  ist.    Gerade  dass  ich  mir  von  mathematischen  Strukturen  leichter  oder  einen  klareren,  d.h.  nachvollziehbaren  Begriff  machen  kann,  macht  diese  vielleicht  für  Poetik(en)  vorbildlich.  Sprachliche  Merkmale  untereinander  in  Beziehung  zu  setzen,  hat  nicht  notwendig  etwas  ungefähres.  Wird,  um  im  Abstrakten  zu  manipulieren  oder  zu  analysieren,  mathematisch  quantifiziert,  müssen,  soll  die  Strukturierung  greifen,  sinnliche  Aspekte  die  Merkmale  auszeichnen.  Deswegen  scheinen  sich  mathematisch  formulierte  Verhältnisse  ja  auch  besser  im  Musikalischen  realisieren  zu  lassen.    Die  Teile  der  Komposition,  zwischen  denen  Verhältnisse  hergestellt  oder  deren  Verhältnisse  analysiert  werden  sollen,  müssen  nicht  gleichartiger  Natur  sein,  wie  das  pythagoreische  Urverhältnis,  jenes  zwischen  Tonhöhe  und  Länge  der  Saite,  bzw.  zwischen  Schwingungszahl  und  Länge  der  Saite.  Intension  und  Extension  sind  nicht  einmal  mathematisch  gleichartig,  sondern  einmal  diskret,  zählbar,  und  einmal  kontinuierlich,  messbar.    In  einem  Brief  an  Oswald  Egger  (veröffentlicht  in  Oskar  Pastior,  Gewichtete  Gedichte,  Das  böhmische  Dorf,  Wien-­‐Hombroich  2006)  fragt  sich  Oskar  Pastior,  „ob  man  gewichtete  gedichte  ohne  die  vorkenntnis  dass  sie  gewichtet  und  in  gewichteten  schritten  (zeilen)  entstanden  sind  überhaupt  erkennen  kann“.  Was  die  sprachliche  Einheit  betrifft,  greift  Pastior  beim  Gewichten  der  Gedichte  mit  dem  Buchstaben  auf  die  kleinstmögliche  zu  (vielleicht  ließen  sich  auch  Krümmungen,  Ober-­‐  oder  Unterlängen  von  Buchstaben  bewerten),  was  eine  mathematische  Feinsteuerung  der  Textstruktur  begünstigen  würde.  Das  pastior’sche  Gewicht  des  einzelnen  Buchstabens  wird  durch  seine  Reihung  im  Alphabet  bestimmt,  eine  Ordinalzahl  also  zu  einer  Kardinalzahl  gemacht,  die  sich  addieren  lässt.  Dass  die  Reihung  des  Alphabets  willkürlich  und  eine  Konvention  ist,  d.h.  nichts  mit  klanglichen  oder  messbaren  Qualitäten  der  Buchstaben  zu  tun  hat,  beeinträchtigt  zuerst  einmal  die  Wirkung  und  nur  insofern  auch  die  Möglichkeit  des  Erkennens  dieses  Konstruktionsprinzips.      Bei  Lesern  kann  ja  damit  gerechnet  werden,  dass  sie  auf  das  geordnete  Heruntersagen  des  Alphabets  abgerichtet  sind,  und  ein  kabbalistischer  Geist,  bzw.  einer,  der  verspielt  genug  ist,  und  gar  ein  Pastior-­‐Leser,  könnte  auch  ohne  sinnlichen  Anstoß  auf  die  Idee  kommen,  „die  Ordnungszahl  im  Alphabet  zu  einer  Eigenschaft“  zu  erklären.  Die  Antwort  auf  die  Frage  nach  der  Möglichkeit  des  Erkennens  muss  also  nicht  negativ  ausfallen.  Die  Antwort  auf  die  Frage,  was  durch  eine  solche  Erkenntnis  gewonnen  ist,  ist  dann  wahrscheinlich:  eben  diese  Erkenntnis.  Anders  steht  es  um  die  Frage  nach  der  Wirkung.  Eine  Gewichtung,  die  sich  von  vornherein  auf  Häufigkeiten  des  Auftretens  bezieht,  muss  nicht  nur  hinsichtlich  der  Zahlen  keinen  Kategorienwechsel  (von  Ordinal-­‐  zur  Kardinalzahl)  vollziehen,  sondern  wird  auch  

spürbar  sein,  wenn  sie  hinsichtlich  dieses  Auftretens  künstliche  Verhältnisse  schafft.  (Nicht  von  Ungefähr  entwickelt  sich  der  Begriff  der  Wahrscheinlichkeit  aus  dem  Empirismus.)    Dass  Pastiors  Methode  aus  den  Daten  schwer  herausgelesen  werden  kann,  hat  noch  andere  Gründe.  Aus  dem  Addieren  der  Buchstabenwerte  eines  Schlüsselworts  (z.B.  danksagung)  oder  einer  Schlüsselzeile  gewinnt  er  eine  Schlüsselzahl.  Ist  diese  Zahl  niedrig  genug,  ist  auch  die  Beschränkung  eine  echte,  d.h.  die  Zerlegungen  in  Summanden,  die  sie  ermöglicht,  sind  überschaubar.  Ist  die  Schlüsselzahl  aber  hoch,  z.B.  durch  häufiges  Auftreten  von  Buchstaben  aus  der  zweiten  Hälfte  des  Alphabets,  lässt  sie  viele  Zerlegungen  zu,  d.h.  der  mathematischen  Poeisis  steht  so  vieles  offen,  dass  der  Vergleich  mit  (Meta-­‐)Anagrammen  ungerechtfertigt  scheint.  Natürlich  ist  die  Schlüsselzahl  nicht  die  einzige  Beschränkung;  zur  Willkürlichkeit  der  alphabetischen  Reihenfolge  kommt  die  Willkürlichkeit  der  Wortformen,  weil  nicht  jede  Reihenfolge  von  Buchstabenwerten  ein  Wort  bildet.      Beachtungswürdig  ist  in  diesem  Zusammenhang  vielleicht  auch,  dass  nicht  nur  von  mathematischer  Seite  der  Zeilenbildung  Beschränkung  entsteht,  sondern  auch  der  mathematischen  Addition  von  sprachlicher  Seite,  denn  diese  ist  unter  dem  Aspekt  der  Wortbildung  nicht  mehr  kommutativ.  Und  sollte  nicht  auch  dieser  Unterschied  etwas  zu  sagen  haben?  In  einem  weiteren  Sinne  hieße  das,  sich  zu  fragen,  welchen  Sinn  die  Addition  von  Buchstabenwerten  macht,  bzw.  ob  das  mathematische  Erfassen  bestimmter  Reihenfolgen  und  ihres  Einflusses  auf  den  Verlauf  nicht  weiter  führen  würde.    Die  Vermeidung  eines  bestimmten  Zahlenwertes  könnte  unter  Umständen  die  gleiche  Befriedigung  bereiten  wie  dessen  Erfüllung.  Es  kommt  eben  auf  die  Umstände  an,  und  das  heißt  beim  Dichten,  ob  und  welche  weitere  Bedingungen  gestellt  werden.      Welchen  Wert  hat  ein  gesuchtes  Wort?  Auch  wenn  die  Buchstaben  nach  ihrer  relativen  Häufigkeit  gewichtet  werden,  muss  die  Addition  nicht  unbedingt  poetisch  sinnvoll  sein,  wie  sich  ja  auch  die  Häufigkeit  des  Auftretens  eines  Wortes  nicht  aus  der  Addition  der  Häufigkeiten  des  Auftretens  seiner  Buchstaben  ergibt.  Zuerst  stellt  sich  die  Frage,  woraus  diese  Häufigkeit  gewonnen  wird.  Ich  könnte  zum  Beispiel  die  Ausgabe  einer  Zeitung  zur  Sprachnorm  erheben.  Die  poetische  Bewertung  der  Zeichen  könnte  dann  reziprok  bzw.  diametral  zu  ihrer  Häufigkeit  verlaufen,  frei  nach  Shannons  Definition  des  Informationsgehalts,  die  diesen  von  der  Wahrscheinlichkeit,  mit  der  das  Zeichen  auftritt,  abhängen  lässt,  in  dem  Sinn,  dass,  je  seltener  ein  Zeichen  auftritt,  desto  größer  sein  Informationsgehalt  ist.  Die  Bedeutung  dagegen,  die  auf  Konvention  (Wörterbuchdefinition)  beruht,  installiert  sich  umso  fester,  je  häufiger  sie  Kontext  bestimmend  auftritt.    Um  mehrere  Ebenen  miteinander  ins  Spiel  zu  bringen,  können  Gewichtungen  variabel  gehalten  werden,  wie  auch  die  Wahrscheinlichkeit  eines  Buchstabens  relativ  zum  Vorgänger  oder  Vorvorgänger  variiert  (eine  Möglichkeit,  Reihenfolgen  zu  bewerten),  oder  relativ  zu  zwei-­‐,  drei-­‐,  vier-­‐,  fünf-­‐  etc.  buchstabigen  Worten.    Nun  könnte  ein  dichterisches  Ethos  (oder  eine  Sprachtheorie  à  la  Jakobson)  gelten,  dass  ein  poetischer  Text  sich  auf  sich  beziehen  und  den  Schlüssel  zu  seiner  Interpretation,  bzw.  zur  Rekonstruktion  seiner  Konstruktion  mitliefern  müsse,  dem  sich  ja  der  sich  fragende  Pastior  mit  seiner  Methode  des  Gewichtens  zu  stellen  scheint.  Gerade  sein  Schlüssel,  die  Ausgangszeile,  ist  nicht  mathematisch  motiviert,  sondern  bezieht  sich  auf  irgendeinen  

Anlass.  Auch  wenn  die  Entscheidung  für  ein  bestimmtes  Verfahren  oder  eine  bestimmte  Gedichtform  getroffen  wurde,  sind  Anfänge  formal  weniger  gestützt,  bzw.,  sieht  man  poetische  Techniken  als  Mittel,  umgangssprachliche  Kontrolle  und  Zensur  durch  Zusatzbedingungen  zu  brechen,  vom  Konventionellen  weniger  befreit;  beim  Schreiben  der  ersten  Strophe  einer  Sestine  stehen  bis  auf  die  Strophenform  alle  weiteren  Restriktionen  noch  aus.  Auch  Häufigkeiten  lassen  sich  im  Text  selbst  setzten,  etwa  in  einem  Gedichtzyklus  durch  ein  Ursprungsgedicht:  ob  nun  statistische  oder  andere  Bewertungen,  die    arithmetische  Operationen  für  Formbildung  und  Selektion  nutzbar  machen,  die  Frage  nach  dem  Wert  von  Variationen,  die  variieren,  ohne  Thematisches  mit  Mathematischem  zu  verknüpfen,  ist  damit  nicht  gestellt.    Anlass  zur  vielleicht  überzeugendsten  Analogie:  Jedes  mathematische  Kalkül  kann  doch  als  ein  unabhängiges  Symbolsystem  gesehen  werden,  das  seine  Anfangsbedingungen  und  Umformungsregeln  selbst  setzt  und  somit  auch  seine  mathematischen  Gegenstände  selbst  hervorbringt.  Aber  liegt  dieser  Sichtweise  nicht  eine  bestimmte  Anschauung  der  Mathematik  zugrunde,  setzt  eine  partikuläre  Position  voraus,  z.B.  eine  konstruktivistische  oder  den  Formalismus  Hilberts.  Das  mathematische  Denken  hat  mit  ähnlichen  Problemen  und  Grundsatzentscheidungen  zu  kämpfen  wie  Philosophie  und  Literatur.  Zum  Grundsätzlichsten  gehört,  ob  Mathematik  aus  vielen  Mathematiken  besteht,  oder  als  System  mit  vielen  Zweigen  verstanden  werden  soll.  Spielen  die  Zahlen  eine  vereinheitlichendere  Rolle,  bzw.  vereinheitlichendere  Rollen  als  Begriffe  in  der  Philosophie  oder  Themen  in  der  Literatur,  bzw.,  formaler  gedacht,  rhetorische  Figuren  in  der  Poetik?      Vgl.  dazu  den  Strukturbegriff.  Unbestritten,  dass  in  allen  Bereichen,  Mathematik,  Philosophie,  Literatur,  verschiedene  Einheiten  und  unterschiedliche  Verknüpfungen  zu  einer  Vielfalt  von  Strukturen  führen  (nicht  zu  vergessen:  die  anschlussreichen  Formeln  der  Sprachen  der  Naturwissenschaften).  Abgesehen  von  Gemeinsamkeiten  zwischen  den  Bereichen,  etwa  dass  Mathematik  und  Philosophie  sich  einen  strengeren  Begriff  davon  machen  (können)  oder  die  grammatikalischen  zwischen  Philosophie  und  Literatur:  was  verbindet  die  Strukturen  innerhalb  dieser  Bereiche:  dass  sie  aus  den  gleichen  Einheiten  und  Verknüpfungen  bestehen?  Für  den  Formalisten  sind  sie  gerade  das  Unwesentliche  an  den  Strukturen,  obwohl  auch  er  mit  den  Anschlussmöglichkeiten  rechnen  muss.  Also  dass  sie  prinzipiell  ineinander  überführbar  wären?  Auch  die  Voraussetzungen  dafür  werden  in  der  Mathematik  am  strengsten  reflektiert.    Peano  („ich  denke  die  Zahl,  also  ist  sie“),  der  mit  einer  neuen  Symbolsprache  viel  für  die  Logifizierung  der  Mathematik  (und  damit  auch  für  Russell)  getan  hat,  definiert  in  fünf  Axiomen  die  natürlichen  Zahlen,  doch  weil  er  in  diesem  System  nicht  auch  die  über  sie  durchführbaren  Operationen  bzw.  die  Verknüpfungen,  die  sie  untereinander  eingehen  können,  definiert,  ist  noch  nichts  über  die  (möglichen)  strukturellen  Zusammenhänge  innerhalb  dieser  Menge  und  somit  auch  vieles  über  die  Eigenschaften  von  Elementen  dieser  Menge,  etwa  die  der  Primzahlen  noch  nicht  gesagt  (nicht  einmal  der  Unterschied  zwischen  geraden  und  ungeraden  Zahlen  ist  gemacht).  Schon  das  Einführen  einer  Operation  oder  Verknüpfung,  z.B.  der  Addition,  schafft  eine  neue  Struktur,  bzw.  Gruppe.  Wird  noch  eine  Verknüpfung  eingeführt,  die  Multiplikation,  lässt  sich  nicht  nur  diese  in  die  Addition  überführen  (bei  x  mal  n,  wird  x    (n-­‐1)  mal  zu  x  addiert,  oder  umgekehrt),  sondern  noch  viele  andere  Entsprechungen  lassen  sich  entdecken,  etwa:  summiere  ich  die  ungeraden  Zahlen  

von  1  aufwärts,  so  entspricht  die  Summe  dem  Quadrat  der  Anzahl  der  Summanden,  z.B.:  1  +  3  +  5  =  9  =  3  mal  3  etc.    Wozu  hier  dieses  Treiben  einfachster  Wortmathematik?  Geht  es  nur  um  ein  Sensibilisieren  für  Strukturbildung?  Wenn  Novalis  in  obigem  Zitat  meint,  das  Zahlensystem  soll  „Muster  eines  ächten  Sprachzeichensystems“  werden,  so  stellt  sich  eben  die  Frage,  inwieweit  der  sprachliche  Kontakt  zu  diesem  Muster  besteht.  Pastior  folgt  der  Weisung  Novalis’,  wandelt  die  Buchstaben  in  Zahlen  um  und  treibt  mit  ihrer  Addition  sprachliche  Arithmetik,  aber  abgesehen  von  der  Frage,  ob  es  die  richtige  Weise  war,  Buchstaben  in  Zahlen  zu  verwandeln,  zu  „gewichten“,  -­‐  vielleicht  ist  ja  anfangs  jede  Setzung  so  gut  wie  eine  andere  -­‐  ,  setzt  er  damit  das  Muster,  die  Struktur,  die  durch  die  natürlichen  Zahlen  und  die  Addition  gegeben  ist,  sprachlich  um?  Bei  der  Umsetzung  dreht  es  sich  nicht  unbedingt  um  den  einzelnen  Text,  der  -­‐  wie  eine  mathematische  Gleichung  oder  einzelne  Rechnung  -­‐  immer  nur  einen  Teil  möglicher  Strukturbildung  umsetzt,  sondern  um  die  Poetik  selbst,  die  ja,  wie  Pastior  vermutet,  dem  Leser  verborgen  bleiben  kann.    Ist  es  denn  erstrebenswert,  möglichst  viele  oder  alle  Aspekte  der  Sprache  in  den  (durch  eine  mathematische  oder  anders  formulierte  Poetik  animierten)  Griff  zu  bekommen?  Diese  sich  für  ein  einzelnes  Werk  stellende  Frage  hat  ihr  Pendant  in  der  Frage,  ob  stilbildende  Funktionen  oder  eine  ordnende  Systematik  immer  bestimmend  sein  sollen.  Natürlich  lässt  sich  für  jedes  Vorhaben  von  Neuem  ein  geeignetes  Muster,  ein  günstiges  Format  suchen,  und  oft  werden  eine  einfache  Struktur  oder  wenige  Regeln  genügen,  um  die  beabsichtigte  Überraschung,  den  verdichtenden  Witz,  die  gezielte  Abstraktion  etc.  zum  Ausdruck  zu  bringen.  Und  Regeln  und  Verbote  können  nur  deswegen  gelten,  um  etwas  auf  anderer  Seite  freier  laufen  zu  lassen.  Es  ist  aber  auch  der  künstlerische  Ehrgeiz  vorstellbar,  die  Möglichkeiten  des  Mediums  auszuschöpfen.  Auf  jeden  Fall  werden  prinzipielle  Überlegungen  über  das  Verhältnis  oder  Analogien  zwischen  den  Vorgehensweisen  in  unterschiedlichen  Medien  einen  verwandten  Ehrgeiz  entwickeln.      Sollte  es  also  sinnvoll  sein,  Kriterien  oder  generative  Formeln  für  den  einen  Bereich  in  einem  anderen  Bereich  zu  formulieren,  würde  das  die  Kenntnis  der  strukturellen  Möglichkeiten  in  beiden  Bereichen  voraussetzen  oder  zumindest  sinnvolle  Assoziationen  zwischen  ihnen  begünstigen,  auch  wenn  sie  in  einer  bestimmten  Realisation  nicht  alle  zur  Anwendung  kommen.  Was  heißt  in  diesem  Zusammenhang  sinnvoll?  Vielleicht  so  etwas  wie,  dass  es  neben  den  Struktur  bildenden  Regeln  auch  Grundregeln  dafür  gibt,  Assoziationen  zu  bilden  bzw.  Analogien  zu  entdecken:  z.B.  dass  es  nicht  genügt,  aus  dem  einen  Bereich  Werte  zu  gewinnen,  ohne  sich  um  Entsprechungen  für  die  Operationen  zu  kümmern,  die  man  mit  diesen  durchführt.  Die  Tuchfühlung  zu  dem  jeweiligen  Muster  soll  im  weiteren  Verlauf  ja  nicht  verloren  gehen.  Was  nützt  es,  wenn  mathematische  Komplexitäten  zum  Laufen  gebracht  werden,  auf  sprachlicher  Seite  aber  z.B.  nur  Buchstabenreihen  und  Wortformen  gesehen  werden,  grammatikalische  Verknüpfungen,  syntaktische  (Unter-­‐)  Ordnungen,  semantische  (Zu-­‐)  Ordnungen  etc.  gar  nicht  ins  Gewicht  fallen?    Die  Zuordnung  von  Werten  aus  einem  anderen  Bereich  könnte  den  alleinigen  Sinn  haben,  Eigenschaften  und  Zusammenhänge  dort  zu  konstruieren,  wo  sie  bisher  nicht  bestanden  haben.  In  seiner  Replik  Ununterredungen  mit  Ungereimtheiten  auf  Pastiors  Ausführungen  zu  den  gewichteten  Gedichten,  schreibt  Oswald  Egger:  „Ich  denke  an  eine  Art  Buchstaben-­‐Entropie,  wobei  es  mir  gefallen  würde,  wenn  dabei  die  Summe  1  +  2  +  3  +  4  ...  25  =  325  eine  

Rolle  spielen  würde  ...“.  Egger  forscht  in  mathematischen  Strukturen  und  möglicher  sprachlicher  Umsetzung,  d.h.  nach  Gesetzmäßigkeiten,  Gemeinsamkeiten  und  Differenzen  auf  sprachlicher  wie  mathematischer  Seite.  Das  eben  Zitierte  bezieht  sich  auf  ein  Spiel,  das  Pastior  selbst  mit  seinen  gewichteten  Zeilen  weitertreibt:  wenn  nämlich  die  durch  die  Addition  der  Buchstabenwerte  gewonnene  Zahl  als  Wort  geschrieben  oder  gedacht  wird,  lässt  sich  dieses  ebenfalls  alphabetsgemäß  gewichten.  Pastior  beobachtet  „Schlaufenbildung“,  die  Egger  zu  klären  sucht,  bzw.  poetisch  nutzbar  gemacht  wissen  will.  325  bildet  insofern  einen  Fixpunkt,  als  das  Wort  „dreihundertfünfundzwanzig“  in  Pastiors  addierter  Buchstabengewichtung  325  ergibt.  Nachdem  jedes  Nicht-­‐Zahlenwort  schon  nach  erster  Gewichtung  bei  einem  Zahlenwort  endet,  sind  sie  nur  Ausgangspunkte,  sodass  die  Ermittlung  der  Schrittanzahl,  bis  so  ein  Fixpunkt  erreicht  wird,  gemäß  den  Übergängen  innerhalb  des  „Zahlenwortraumes“  geschieht.  Natürlich  kann  die  Schrittzahl  dazu  verwendet  werden,  die  Ausgangsworte  zu  klassifizieren,  also  unter  den  Worten  Zusammenhänge  oder  Klassen  unabhängig  von  ihrer  Bedeutung  zu  bilden.  Oswald  Egger:  „Wort,  Zahl,  Wort  schneiden  die  Ereignisse  gleichsam  aus  ihrem  gefügigen  Zusammenhang  heraus  ...“  oder:  „Wie  könnte  ich  mir  einem  Wort  gegenüber  herausnehmen,  es  bloß  nach  den  mir  zugewandten  Sinnen  zu  verwenden.“    Die  Entsprechungen,  Analogien  oder  Differenzen  zwischen  mathematischem  Denken  und  poetischer  Rede,  die  Oswald  Egger  untersucht,  scheinen  sowohl  vielschichtiger  wie  allgemeiner  und  auf  Übertragung  zu  beruhen,  d.h.  er  grast  auch  die  semantischen  Felder  nach  Oberflächen,  Verflechtungen,  Schlaufen,  Knoten,  Strukturen  und  Zwischenbereichen  im  Gegenständlichen  nach  mathematischen  Gesichtspunkten  ab,  sucht  nach  Figuren,  die  mathematisch  Probleme  berühren  könnten  oder  nach  Gegenstandsbereichen  klingen,  die  sich  einer  mathematischen  Näherung,  Beschreibung  oder  Steuerung  prinzipiell  anbieten.  Dass  er  unterschiedliche  Sprachaspekte  mithilfe  neu  zugewiesener  mathematischer  Eigenschaften  miteinander  verknüpfen  will,  zeigt  sich  zum  Beispiel,  wenn  er  Pastiors  Gewichtungsmethoden  gleichsam  kabbalisiert  und  jene  gewichteten  Zusammenhänge  herausstellt,  die  auch  im  semantischen  ein-­‐,  bzw.  erleuchten  oder  überraschen.  Wenig  überraschend,  dafür  aber  vielleicht  paradigmatisch  für  alle  Zahlenmystik,  ist,  dass  eins  als  Anagramm  von  sein  beide  das  pastiorsche  Gewicht  von  62  erhalten  und  den  „Limes  325“  in  6  Schritten  erreichen,  warum  resultiert  aber  aus  Mensch  und  Gott,  oder  aus  Nichtsein  und  Nichtanderes  eine  selbe  Schlüsselzahl?  Und  woraus  motiviert  sich  dieses  Wundern?  Dass  aus  einer  willkürlichen  oder  auf  Konsens  beruhenden  Reihung  des  Alphabets  und  einer  ebenso  konventionellen  Benennung  &  Schreibweise  von  Abstraktionen  sich  sinnvolle  Zusammenhänge  stiften  lassen?  Auf  jeden  Fall  kommt  mehr  -­‐  vor  allem  die  semantische  Seite  -­‐  ins  Spiel,  weil  die  Geschichte  des  allgemeinen  und  philosophischen  Sprachgebrauchs  berücksichtigt  wird.    Auch  wenn  bei  Pastior  die  Freude  am  Unzusammenhängenden  (was  die  Bedeutungsebene  betrifft)  überwiegt,  lassen  sich  in  seinen  Listen  semantische  Durchgängigkeiten  beobachten,  etwa,  wenn  er  auf  seine  Methode  referieren  will  (ein  Umweg,  den  vor  den  Sinnen  versteckten  Schlüssel  mitzuliefern?),  wie  in  danksagung  /  diesem  alfabet  da  /  ...  /  und  ebenso  /  formgeheim  /  ...  /  verbal  und  /  geknickten  /  gewichtes  /  selbst  im  /  ...  /  a-­‐sinn  ins  /  ...  /  ...  /  form-­‐alfabet.  Vielleicht  lässt  sich  ja  Addieren  als  eine  Form  des  Knickens  interpretieren  und  besteht  der  a-­‐sinn  darin,  ins  b  etc.  überzugehen.    

Egger  redet  nicht  über  Mathematik  und  Sprache,  sondern  mischt  poetisches  und  mathematisches  Sprechen  (oder  er  führt,  wie  oben  zitiert,  mathematische  Zusammenhänge  in  ihrer  Symbolik  vor).  Durch  Übertragungen  in  beide  Richtungen  werden  Anschlussstellen  offen  gehalten,  in  eigenartigen  Unschärferelationen:  „Auch  das  leblos  lebendige  Wort  für  Wort  REDE-­‐CODIERT  sich  als  Struktur-­‐Rekrutierung,  Amorphe  und  Form  erwuchsen  auf  ungrund  vielleicht  verstuftem  Substrat.  Epitaktisch  legten  sich  händische  Muster  aus,  uneinhändig,  und  darüberhin  mustern  sich  fortan  die  eigentlichen  Silben,  schlicht,  nicht  kommutativ,  beinahe  unzusammenhängende,  zunächst  freischwimmende  Schichten,  aufgewachsen  auf  eine  vorsprachliche  fast,  Facettenfläche,  und  finden  jetzt  ihre  nicht-­‐habhaftende  Struktur,  die  fast  schon  syntaxonomisch  bestimmt  wird  durch  diese  rigide  Geometrie,  sie  sich-­‐in-­‐sich  einpaßt  zwischen  Substrat  und  Korollar,  na  ja,  diskrete  Stetigkeiten,  selbst  auch  diese  Hälften  des  Lebens  sind  verschieden,  oder,  im  Kerker  der  Kehrwerte  gefangen,  wo  Wort  und  Zahl  rapportierte  (Zähler,  Nenner)  sind,  Undinge,  und  das  Verhältnis,  das  sie  haben,  auch  eingehen.“  (Aus  Ununterredungen  mit  Ungereimtheiten.)  Egger  arbeitet,  einem  poetischen  Imperativ  gehorchend,  dem  kategorischen  nicht  zu  gehorchen,  auch  mit  mathematischen  Ungereimtheiten  („diskrete  Stetigkeit“  könnte  u.a.  im  Sinne  Euklids  gedacht  werden,  der  die  Diskretheit  ganzer  Zahlen  in  den  Elementen  aus  stetigen  Größen  und  ihren  Proportionen  entwickelt).  Auffallend  ist  das  Maß  an  Selbstreferentialität,  die  den  freien  Umgang  mit  Terminologien  kommentiert,  wobei  die  Terme  immer  auch  auf  ihren  Seltenheitswert  abgeklopft  zu  werden  scheinen.  Anders  als  Pastiors  Verfolgen  der  Buchstabenadditionen,  Wort  für  Wort,  hat  Egger  die  Rede  im  Ohr,  und  es  ist  bezeichnend,  dass  er  oben  „codiert“  und  „Struktur“  in  Zusammenhang  bringt.  Schließlich  ist  es  auch  für  Texte,  die  sich  Kriterien  und  Entscheidungen  auf  semantischer  Ebene  verdanken,  eine  Grundfrage,  ob  ihr  rhetorischer  Gehalt,  d.h.  alle  strukturellen  Eigenschaften,  die  über  syntaktische  Normen  hinausgehen,  nur  als  Ausschmückung  verstanden  werden,  als  ästhetischer  Mehrwert,  der  nichts  zu  sagen  hat,  oder  ob  sie  als  Möglichkeit  gedacht  sind,  zusätzliche  Information  zu  codieren,  zu  deren  Decodierung  die  aussagende  Seite  des  Textes  den  Schlüssel  eben  liefern  könnte.    In  seiner  Antwort  auf  Pastior  zeigt  Egger  einen  Zug  zum  Universalen.  („So  rufen  und  kehren  sich  die  reziproken  Bezugnamen  hervor,  dass  alles,  wenn  nicht  in  allem,  so  doch  in  einem  verwandt  sei:  in  dem  es  sich  allenthalb  zur  Eins  hin  dreht  UNIversum.“)  An  anderen  Stellen  wird  noch  deutlicher,  dass  Eggers  Programm  Verknüpfungen  erzeugen  will,  deren  Anschlussstellen  eher  mit  Keplers  Weltharmonik  Kontakt  suchen  als  poetisch-­‐mathematische  Selbstdressur  nach  den  Willkürlichkeiten  vorgefundener  Reihung,  etwa  in  Nichts  das  ist  (Suhrkamp,  Frankfurt  2001,  S.46):  „Alles  ist  Zahl.  Das  harmonische  Dreieck,  welches  Leibniz  fand,  um  das  arithmetische  von  Pascal  zu  vervollständigen,  das  harmonische  Mittel,  welches  die  Summe  der  Kehrwerte  bewahrt;  und  die  harmonische  Unterteilung,  die  harmonische  Oszillation,  und  das,  was  man  als  die  Obertöne  einer  periodischen  Bewegung  entdecken  wird  –  selbst  das  ungeheure  spectrum  –  alle,  alle  gründen  in  Kehrwerten  oder  reziproken  Zahlen:  Modul-­‐FORMEN  DES  AMORPHEN  als  Ösen  ins  Monströse  (aber  ohne  Introspektion).  In  solchen  Analogien  verspiegelt,  ist  das  Gesetz  der  Reziprozität  von  Rhythmus  und  Harmonie  erstmals  augenfällig,  sowie  die  Würfel  –  im  Gebände  der  casus  obliqui  –  gefallen  sind  in  ewige  Gelegenheit.“  Der  Rhythmus  ist  nicht  nur  der  Urparameter  dichterischer  (metrischer)  Gestaltung,  sondern  auch  jener  der  Quantifizierung  (und  somit  ermöglichte  mathematische  Steuerung)  am  unmittelbarsten  spürbar  macht.  Das  Zitat  zeigt,  dass  Egger  am  mathematischen  Denken  nicht  nur  hinsichtlich  Verwertung,  sondern  auch  philologisches  Interesse  hat.  Der  Begriff  der  Analogie  ist  schon  insofern  poetologisch  

wesentlich,  als  ohne  mögliche  Parallelführung  der  Rückgriff  auf  eine  andere  Disziplin  keine  andere  Rolle  spielt,  als  jeder  x-­‐beliebige  Anlass.  Eggers  „verspiegelt“  lässt  an  Cusanus  denken.  Vgl.  dazu.  Max  Bense  (in  Geist  der  Mathematik,  Oldenbourg,  Berlin  1939,  S.93):  „Der  scheinbare  Gegensatz  zwischen  einem  konsequenten  Individualismus  –  nämlich  der  einzelnen  Monaden,  die  sich  fensterlos  zueinander  verhalten  –  und  einem  Universalismus,  der  behauptet  wird,  wenn  man  die  Welt  als  ein  harmonisches  Ganzes  begreift,  wird  aufgehoben,  durch  den  Gedanken,  dass  jede  Monade,  jedes  infinite,  letzte,  metaphysische  Seinsding  das  Universum  „repräsentiere“.  Der  Begriff  der  „Repräsentation“  bedeutet  für  Leibniz  genau  das  gleiche  wie  für  Cusanus  der  Begriff  des  „Spiegels“,  mit  dessen  Verwendung  Cusanus  an  die  alte,  neuplatonische,  plotinische  und  augustinische  Lichtmetaphysik  anknüpft  ...“.      Zur  Erinnerung  die  beiden  Dreiecke,  von  denen  im  obigen  Zitat  aus  Nichts,  das  ist  die  Rede  ist:    Das  Pascalsche  Dreieck  ist  ein  Zahlenschema,  in  dem  jede  Zahl  außer  der  1,  die  jeweils  am  linken  und  rechten  Rand  einer  Zeile  steht,  die  Summe  der  unmittelbar  links  und  rechts  darüberstehenden  Zahlen  ist.  Das  Zahlenschema  lässt  sich  als  Dreieck  darstellen:  

 1  

1              1  1          2          1  

1            3          3          1  1          4          6          4          1  

1          5          10          10          5          1  1          6          15          20          15          6          1  

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Die  Zahlen  der  dritten  Schrägspalte  (1,  3,  6,  10,  ...)  sind  die  Dreieckszahlen,  d.h.  die  Anzahl  der  Kreise,  mit  denen  sich  jeweils  Dreiecksformationen  auflegen  lassen,  die  der  vierten  Schrägspalte  (1,  4,  10,  20  ...)  die  Pyramidenzahlen  (analog  zu  den  Dreieckszahlen,  mit  Kugeln).  Das  Zahlenschema  war  dem  persischen  Mathematiker,  Astronom  und  Dichter  Omar  Chaijam  (1048-­‐1131)  bereits  um  1100  bekannt.      Das  harmonische  Dreieck:  Die  Anordnung    

1/1    

½              ½          

1/3                  1/6                1/3    

¼              1/12            1/12              ¼    

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von  Stammbrüchen  heißt  harmonisches  Dreieck.  Im  harmonischen  Dreieck  ergibt  die  Summer  zweier  benachbarter  Stammbrüche  den  darüberstehenden  Stammbruch.    Die  beiden  Zahlenschemata  lassen  sich  theoretisch  beliebig  lang  fortsetzen  und  demonstrieren,  unter  Entwicklung  einer  bestimmten  progressiven  Struktur,  die  auf  ganzzahligen  Verhältnissen  beruht,  die  beiden  Richtungen  des  sich  unendlich  Fortsetzenden,  das  durch  seine  Darstellung  in  Zahlen  eben  theoretisch  weder  im  Kleinen  noch  im  Großen  ein  Ende  findet.  Vlg.  dazu  nocheinmal  den  ideengeschichtlich  interessierten  Max  Bense  (ebd.  S.  91):  „Pascal  fixiert  beide  Weisen  des  Unendlichen,  er  dokumentiert  als  Mathematiker  und  Philosoph  ihr  Sein.  Leibniz  beginnt  jedoch  auf  der  Grundlage  dieser  Fixierung  die  mathematische  Analyse  des  einen  Unendlich,  des  Infinitesimalen.  Er  plante  ein  großes  Werk  über  die  „scientia  infiniti“,  zu  dessen  Ausführung  er  jedoch  nicht  mehr  kam.  Nur  einzelne  Untersuchungen  hat  er  zur  „Analysis  des  Unendlichen“  hinterlassen.  „Es  ist  gewissermaßen  die  Analysis  der  Analysis,  worin  aber  der  Gipfel  der  menschlichen  Wissenschaft,  wenigsten  dieser  Art  von  Dingen  liegt“  –  so  heißt  es  in  einer  dieser  Untersuchungen,  darin  das  von  Pascal  übernommene  „triangulum  characteristicum“  (das  charakteristische  Dreieck)  übernommen  wird,  das  aus  einem  unendlich  kleinen  Bogenstück  und  den  zugehörigen  Abszissen-­‐  und  Ordinatendifferenzen  besteht  und  von  dem  aus  bestimmte  Tangentenprobleme  erörtert  werden.  Bemerkenswert  ist,  dass  Leibniz  in  einer  Abhandlung  aus  dem  Jahre  1684  die  Differentiale  dx,  dy  usw.  nicht  als  unendlichkleine  Größen,  sondern  als  winzige  endliche  Größen  einführt.“    Leibniz  kann  es  sich  leisten,  in  den  umgangssprachlichen  Erklärungen  des  Differentialquotienten  unklar  zu  bleiben,  weil  er  einen  klaren  Begriff  vom  Kalkül  und  der  Funktion  seiner  Symbole  hat,  die,  wenn  sie  geschickt  genug  gewählt  wurden,  Denken  ersparen  können,  wie  er  sich  einmal  ausdrückt.  Das  Geschick  beruht  darauf,  welche  Charakteristika  des  Systems  durch  das  Symbol  zusammengefasst  werden,  und  auf  der  Zusammenfassung  fußt  das  generative  Potential  der  Symbole,  Strukturen  zu  entwickeln  oder  auch  einzuholen.    Die  Anschaulichkeit  mathematischer  Paradoxa,  zum  Beispiel,  dass  sich  das  infinitesimale  Unendlich  daran  zeigen  lässt,  dass  eine  Seite  eines  geometrischen  Quadrats  genügt,  um  jedem  Punkt  der  längeren  Diagonale  einen  Punkt  zuzuordnen,  oder  jene  Unvereinbarkeiten,  die  von  Definitionen  auszugehen  scheinen,  etwa,  dass,  da  jede  Zahl  als  Wurzel  einer  Quadratzahl  gesehen  werden  kann,  das  Prinzip  verletzt  scheint,  dass  Teilmengen  kleiner  sind  als  die  ganze  Menge,  zu  der  sie  gehören,  was  die  cantorschen  Kategorie  der  transfiniten  Zahlen  auf  den  Plan  ruft,  oder  einfach,  dass  Geraden  aus  ausdehnungslosen  Punkten  bestehen  etc.  Entfernen  sich  mathematische  Gegenständlichkeiten  und  ihre  Probleme  nicht  so  weit,  oder  ziehen  sich  so  tief  in  die  Verfasstheit  des  eigenen  Bereichs  zurück,  dass  eine  Umsetzung  in  ein  weniger  geregeltes  System,  das  seine  Defintionen  nicht  einführt,  sondern  auf  Wohlgeformtheit  und  einem  endlichen  Formenvokabular  beruht,  das  theoretisch  unendlich  kombinierbar  ist,  unsinnig  ist  (h.d.  nicht  geregelt  werden  kann?),  oder  verhält  es  sich  umgekehrt  und  sie  können  eine  reinigende  Wirkung  haben,  eben  weil  sie  zwingen,  den  eigenen  Grundlagen  der  Formfindung  mit  Kriterien  und  Definitionen  auf  den  Leib  zu  rücken.    Soll  der  pythagoreische  Fahnenspruch  „Alles  ist  Zahl“  zum  poetischen  Programm  werden,  sollte  nicht  von  Parallelen  und  Unterschieden  in  den  jeweiligen  Zweckgeschichten  von  Abstraktion  und  Systembildung  abgesehen  werden.  Nichts  garantiert  dem  synchronen  Blick,  

dass  sich  die  Grenzen,  hinter  denen  die  jeweilige  Metaphysik  beginnt,  entsprechen.  Gilt,  dass  je  höher  die  Abstraktion,  desto  berechtigter  der  konstruktivistische  Ansatz?  Auf  jeden  Fall  macht  es  dieser  Ansatz  sinnlos,  von  Metaphysiken  zu  sprechen,  bzw.  beginnen  diese  dann  immer  sofort.  Die  Zahl  hat  als  Einheit  einen  Sonderstatus,  weil  beim  Zählen  nur  das  Auftreten  zählt  und  von  allem  anderen  abgesehen  wird.  (Hier  ließe  sich  mit  Existenz  schon  metaphysisch  loslegen.)  Dieser  Sonderstatus  ermöglicht  regelmäßige,  genormte  Gruppierung,  die  sich  dem  Darstellungssystem  zugrunde  legen  lässt.  (Erste  Voraussetzung  für  Theorie:  die  Unterscheidung  von  Begriff  und  Ausdruck/Zeichen,  Zahl  und  Ziffer.  Erst  wenn  sich  das  System  ausdifferenziert  hat,  lässt  sich  zwischen  ihm  und  seiner  „Anwendung“  unterscheiden,  macht  eine  Unterscheidung  wie  die  Saussures  zwischen  langue  und  parole  Sinn.)    Die  Null  hat  ursprünglich  -­‐  wie  die  verschiedenen  dem  Stellenwert  entsprechenden  Drähte  des  Abakus  -­‐  keinen  anderen  Sinn,  als  das  Hantieren  mit  großen  Zahlen  zu  erleichtern.  (Insofern  hätte  Peano  die  Zahlen  in  seiner  Axiomatik  ruhig  weiter  mit  Eins    beginnen  lassen  können.)  Vgl.  dazu  die  Funktion  bestimmter  Wortarten,  z.B.  Pronomen  bzw.  Prä-­‐  und  Suffixe.  Auch  bei  bestimmten  grammatikalischen  Konstruktionen  könnte  man  wittgensteinisch  vermuten,  sie  wurden  eingeführt  oder  besser:  sind  entstanden,  um  mit  komplexen  Sachverhalten  leichter  sprachlich  hantieren  zu  können.  (Es  wirkt  witzig,  dass  sich  Peano  im  weiteren  Verlauf  seines  Lebens  der  Entwicklung  einer  kommunikativen  Universalsprache  verschrieben  hat,  Präsident  der  Volapük-­‐vereinigung  wurde  und  ein  grammatikalisch  begradigtes  Latein  „sine  flexione“  entwickelte,  das  ohne  viel  Vorkenntnis  verstehbar  sein  und  von  ihm  bei  verschiedenen  Mathematikkongressen  vorgestellt  werden  sollte.  War  bei  solchen  Kongressen  die  Zahl  der  Vortragssprachen  geregelt,  hatten  es  die  verantwortlichen  Mathematiker  naturgemäß  schwer,  diese  zu  revidieren.)    Könnte  man  sagen,  insofern  es  sich  beim  System  um  eines  der  Darstellung  handelt,  kann  ein  formalistischer  Ansatz  zielführend  sein,  im  Sinne  der  Analyse  der  Darstellung?  Das  würde  dann  auch  für  die  Parallelführung  von  Strukturen  unterschiedlicher  Bereiche  gelten,  mitsamt  ihren  Übersetzungsproblemen,  die  vor  allem  auf  formaler  Ebene  zu  lösen  wären.  Wenn  aber  unter  Poetik  ein  Arsenal  generativer  Regeln  verstanden  wird,  die  in  ihrer  Anwendung  voneinander  abhängen,  schwebt  nicht  sofort  eine  Tiefenstruktur  vor,  eine  raffiniertere  Universalgrammatik  im  Sinne  von  Port  Royal  oder  Chomsky,  die  sich  auf  die  sprachlichen  Möglichkeiten,  wie  sie  in  syntaktischen  und  morphologischen  Kategorien  beschrieben  werden,  zu  projizieren  hat?  Dort  unten  müsste  es  natürlich  logisch  zugehen,  Mehrdeutigkeiten  würden  in  Entweder-­‐oder  aufgelöst  etc.,  denn  Widersprüche  würden  zum  Stillstand  führen.  Insofern  Kalküle  konsistent  sind,  ließen  sich  solche  Kerne  auch  mathematisch  formulieren,  ja  Logik  selbst  kann  seit  Boole  als  einer  dieser  Kalküle  begriffen  werden  etc.  Werden  solche  Überlegungen,  sobald  sie  sich  von  beschreibbaren  (strukturierten)  Oberflächen  wegbewegen,  spekulativ,  metaphysisch?      Wie  sehr  stecken  solche  Überlegungen  im  Phänomenologischen  und  wirken  mathematisch  irrelevant.  Es  braucht  nur  an  die  mathematische  Möglichkeit  der  freien  Wahl  der  Dimensionalität  gedacht  werden,  und  schon  erfasst  den  Ungeübten  der  spekulative  Schwindel.  (Der  alle  freien  Grundsatzüberlegungen  lähmende  Grundsatz:  über  Mathematik  lässt  sich  nur  wirklich  nachdenken,  indem  Mathematik  getrieben  wird.)    

Arten  und  Stossrichtungen  von  Verallgemeinerung.  Lässt  sich  auf  Struktur  schließen  und  sind  solche  Schlüsse  notwendiger  Weise  spekulativ?  Wesentlich  ist  doch  das,  wovon  ausgegangen  wird.  Wird  aber  eine  Versuchsanordnung  nicht  genauso  gesetzt  wie  eine  Axiomatik?  Und  über  das,  was  zu  beobachten  sei,  muss  genauso  ein  Konsens  gefunden  werden,  wie  über  die  Festlegung  der  Symbole.  Zum  Beispiel  Teilchenbeschleuniger  und  strukturierte  Materie:  sobald  Teilchen  -­‐  je  nach  Richtung,  in  die  sie  beschleunigt  werden  -­‐  unterschiedliche  Streuung  aufweisen,  gilt  für  Physiker,  dass  sie  nicht  gleichförmig,  sondern  strukturiert  sind,  also  im  Prinzip  teilbar.  Die  Tiefe,  nach  der  hier  gesucht  wird,  soll  im  Letzten  keine  Struktur  zum  Vorschein  bringen,  sondern  das  kleinste,  unteilbare  und  gleichförmige  Element.    Struktur  als  Zusammensetzung.  Vergleiche  dazu  die  Schwierigkeit  der  Griechen,  die  Eins  als  Zahl  gelten  zu  lassen,  weil  sie  nicht  zusammengesetzt  ist,  und  ihre  Schwierigkeit,  zwischen  Eins  (en)  und  Einheit  (monas)  zu  unterscheiden.  Dazu  Frege  in  Die  Grundlagen  der  Arithmetik,  III.  Über  Einheit  und  Eins:  „Wir  fragen  wieder:  welchen  Sinn  kann  es  haben,  irgendeinem  Gegenstande  die  Eigenschaft  „Ein“  beizulegen,  wenn  je  nach  der  Auffassung  jeder  einer  sein  und  auch  nicht  sein  kann?  Wie  kann  auf  einem  so  verschwommenen  Begriffe  eine  Wissenschaft  beruhen,  die  grade  in  der  größten  Bestimmtheit  und  Genauigkeit  ihren  Ruhm  sucht?“  und  „Die  Arithmetik  würde  aufgehoben  werden,  wollte  man  statt  der  Eins,  die  immer  dieselbe  ist,  verschiedene  Dinge  einführen  ...“    Ich  will  einen  Gedanken  mitteilen  und  suche  nach  Worten.  Beim  Dichten  geht  es  meist  umgekehrt:  ich  habe  Worte  oder  einen  Vorrat  an  Zeichen  und  Klängen,  und  suche  nach  einem  Gedanken,  einem  Bild,  oder  zumindest  nach  einer  wirkungsvollen  Reihung.  Ein  einfaches  Modell,  skizzenhaft  mit  denen  der  Kybernetik  Oswald  Wieners  verwandt,  könnte,  wie  das  vor  sich  geht,  in  Modulen  beschreiben,  wobei  im  Normalfall  das  Denken  eben  auf  die  Sprache  zugreift.  Die  Sprache  als  System  mit  Eigengesetzlichkeiten  ist  ein  Modul,  ein  anderes,  begriffliches,  ist  mit  logischen  Zusammenhängen  befasst,  wofür  oben  noch  die  Tiefenstruktur  zuständig  war,  in  einem  Dritten  hätte  sich  die  Mathematik  ihr  Kalkülkonglomerat  gebaut.  Woraus  bestünden  nun  die  Denkhilfen?  Man  könnte  sich  noch  ein  weiteres  dazu  denken,  in  dem  Vorstellungsbilder,  Erinnerungen  oder  Wissen  verwaltet  werden  (da  wirkt  wie  im  mathematischen  schon  Logisches  mit),  weiters  Schnittstellen,  die  orientierungsbereit  mit  der  aktuellen  Umgebung  kommunizieren.  Muss  man  sich  dann  die  Durchlässigkeiten  gerichtet  vorstellen,  wobei  die  weniger  geregelten  Module  empfänglicher  sind,  und,  falls  sie  in  die  geregelten  eingreifen,  entweder  Unordnung  stiften  oder  einen  kreativen  Schub,  während  die  geregelten  aktionsbereiter  sind?  Beim  Dichten  geht  der  Anstoß  also  vom  Sprachmodul  aus,  und,  soll  es  um  eine  mathematische  Poetik  gehen,  könnte  man  sich  diesem  das  der  Mathematik,  bzw.  eines  bestimmten  Kalküls  vorgeschaltet  denken.  So  könnte  man  es  zumindest  wollen.  Aber  dieses  großspurige  Modell  besteht  vor  allem  darin,  die  Überlegungen  auszublenden,  wie  sich  die  Schnittstellen  und  Zusammenhänge  zwischen  den  Modulen  herstellen.  Und  so  groß  die  Rolle  ist,  die  Beschränkungen  beim  Dichten  spielen  (z.B.  auf  ein  bestimmtes  semantisches  Feld),  muss  man  sich  die  Durchlässigkeiten  nicht  allgemeiner  vorstellen?  Anstoß  kann  ja  auch  ein  bestimmter  Rhythmus  oder  ein  beobachteter  Ablauf  geben,  der  Energiehaushalt  des  Körpers  etc.    Dass  die  Rückführung  der  ganzen  Mathematik  auf  die  Logik,  wie  sie  Russell  und  Whitehead  in  Principia  Mathematica  zu  systematisieren  versuchen,  mit  dem  Mengenparadox  an  ihre  

eigenen  Grenzen  gestoßen  ist,  ist  mittlerweile  Allgemeinwissen.  (Auch  gegen  ihren  Lösungsvorschlag  der  Typentheorie  gibt  es  ja  die  berühmten  Einwände.  Vgl.  dazu  George  Spencer-­‐Browns  Laws  of  Form.)  Trotzdem  zeigt  vielleicht  gerade  dieses  theoretische  Streben  den  wichtigsten  Zusammenhang  zwischen  Mathematik  und  Sprache.  Die  Logik  setzt  fest  und  deswegen  bringt  sie  jeder  Widerspruch  zu  Fall.  In  diesem  Sinn  steht  ihr  die  Mathematik  näher  als  die  Sprache,  obwohl  auch  in  der  Mathematik  Widersprüche  lang  verborgen  bleiben  und  Beweise  lange  auf  sich  warten  lassen  können.  (Dass  Mathematik  auf  Regelmäßigkeiten  des  Gegenstandsbereichs,  dem  sie  sich  gleichsam  von  „Außen“  nähert,  oder  zumindest  auf  die  Regelmäßigkeiten  ihres  Rasterns  angewiesen  ist,  hat  damit  zu  tun.)      Wenn  also  eine  Axiomatik  mächtig  genug  wäre,  die  ganze  Arithmetik  zu  begründen,  trägt  sie  notwendiger  Weise  einen  Widerspruch  in  sich  und  ist  als  Axiomatik  unbrauchbar.  Das  spricht  für  die  Auffassung,  dass,  obwohl  sie  alle  mit  quantifizierenden  Einheiten,  d.h.  Zahlen  umgehen,  verschiedene  Systeme,  deren  Darstellungsweisen  sich  einander  ausschließen  können,  die  „ganze“  Mathematik  ausmachen.  Natürlich  bauen  sie  aufeinander  auf,  und  gelten  in  vielen  Kalkülen  und  Darstellungsweisen  bestimmte  qualitative  Aspekte  z.  B.  der  natürlichen  Zahlen,  wie  gerade  oder  ungerade,  prim  oder  nicht  prim  (zusammengesetzt)  zu  sein  etc.      Das  Übernommene  garantiert  nicht  nur  die  Zugehörigkeit  zur  Disziplin,  sondern  spielt  oft  die  Rolle  der  Anschlussstelle,  die  das  jeweilige  System  anwendbar  macht.  Und  es  hängt  wieder  von  Definitionen  ab,  wie  weit  bestimmte  Gebiete  gefasst  werden,  etwa,  ob  es  schon  genügt,  rein  formal  beschreibbar  zu  sein,  um  als  Teil  der  Mathematik  zu  gelten,  was  schon  streng  analytische  Philosophen  zu  Mathematikern  machte,  wenn  man  davon  absieht,  worauf  sie  sich  beziehen,  über  welche  Probleme  sie  sprechen  wollen.  Im  Fall  von  Frege  trifft  es  ja  zu,  zumindest  historisch,  d.  h.  „zufällig“,  d.h.  von  anderen  Parametern  abhängig,  als  denen,  die  hier  mitsprechen  sollen.  Man  könnte  aber  folgern,  auch  wenn  Bedeutungen  im  Spiel  sind,  lässt  sich  mathematisch  denken.  Auch  Mathematiker  beziehen  sich  ja  auf  etwas,  zum  Beispiel  die  Königsberger  Brücken,  aber  das  ist  nur  der  Anlass,  ein  autarkes  Kalkül,  zum  Beispiel  eben  die  Graphentheorie,  zu  entwickeln,  oder  didaktisches  Illustrationsmaterial.    Das  Wesen  einzelner  mathematischer  Kalküle  oder  bestimmter  Gruppen  von  voneinander  abhängenden  Kalkülen  wäre  demnach  logisch,  das  der  ganzen  Mathematik  pragmatisch.  Obwohl  die  einzelnen  mathematischen  Kalküle  axiomatisch  vorgehen  und  konsistent  sind,  lässt  sich  diese  Vorgehensweise  nicht  so  weit  verallgemeinern,  dass  sich  aus  ihnen  ein  Überkalkül  bilden  ließe,  und  nur  ein  solcher  wäre  rein  formal  beschreibbar.      Unter  System  können  ja  offenere  Konstruktionen  verstanden  werden,  Zusammenhänge  und  Unterteilungen,  Transformationsmöglichkeit  zwischen  den  einzelnen  Teilen  etc.  Und  auf  diese  Art  wird  die  ganze  Mathematik  ja  beschrieben,  aber  nicht  ihre  Grundlagen.  Vielleicht  lohnt  sich  zur  Klärung  ein  Vergleich  mit  bzw.  von  Programmiersprachen.  Unter  diesen  sind  die  schwerfälligsten  die  logischen,  d.h.  die,  die  ihren  Problemraum  zuerst  konsistent  beschreiben  müssen,  um  daraus  dann  -­‐  allerdings  „selbstständig“  -­‐  Lösungen  abzuleiten.  Ihr  Vorteil  ist,  dass  sie  nicht  mehr  blind  auf  das  zugreifen  müssen,  was  ihnen  geboten  wird,  um  dies  gemäß  eines  Ablaufs  von  Anweisungen  und  Abbruchbedingungen  zu  verarbeiten,  sondern  von  einer  logisch  strukturierten  Umgebung  ausgehen,  in  der  sie  sich  „auskennen“.  Mischformen,  die  mit  Listen  umgehen,  in  denen  solches  formales  „Wissen“  codiert  ist,  verknüpfen  Logisches  mit  Prozeduralem.  Denn  was  im  logischen  oder  „räumlichen“  Denken  

Widersprüche  erzeugt,  verursacht  im  prozeduralen  oder  „zeitlichen“  Denken  keine  solchen  Katastrophen:  Anweisungen,  die  gleichzeitig  nicht  ausgeführt  werden  können  (wie  Socken  und  Schuhe  anziehen),  sich  also  widersprechen  oder  gegenseitig  ausschließen,  sind  nacheinander  sehr  wohl  durchführbar,  auch  wenn  gegebenenfalls  die  folgende  die  vorausgehende  wieder  aufhebt.  Naturgemäß  laufen  alle  Programme  über  den  gleichen  Kern  logischer  Schaltungen.  Wenn  also  Hermann  Weyl  oder  Andreas  Speiser  (und  mit  ihm  Max  Bense)  den  gruppentheoretischen  Kalkül,  der  aufzeigt,  welche  formalen  Bedingungen  notwendig  sind,  dass  Systeme  in  sich  selbst  kreisen,  und  nicht  den  logischen  zum  Grundlagenkalkül  der  Mathematik  erklären,  geschieht  eine  ähnliche  Verschiebung  hin  zum  Prozeduralen,  obwohl  natürlich  auch  der  Gruppenkalkül  streng  logisch,  d.h.  widerspruchsfrei  konstruiert  ist.  (Bense:  „Im  Prinzip  der  Gruppe  steckt  also  das,  was  man  gelegentlich  als  Prinzip  der  Reflexivität  von  Sätzen  definiert  findet  und  was  z.B.  zum  Ausdruck  bringt,  das  mathematische  Sätze  stets  nur  zu  mathematischen,  nie  aber  zu  chemischen  oder  ethischen  Aussagen  führen.“)  Dass  der  Kern  konsistent  beschreibbar  ist,  heißt  nicht,  dass  alle  Gebiete,  auf  die  er  zugreift  (oder  die  auf  ihn  zugreifen),  miteinander  vereinbar  sind.  Und  hier  zeigt  sich  noch  etwas,  das  auch  für  das  Verhältnis  von  Dichtung  und  Mathematik  von  Bedeutung  sein  kann,  nämlich  dass  das,  was  einmal  Oberfläche  ist,  ein  anderes  Mal  den  Kern  spielen  kann.    Euklid  führt  die  Zahlen  anhand  proportionaler  Einteilungen  von  Strecken  ein.  Mit  einer  Einheitsstrecke,  die  sich  vervielfachen  und  mit  der  sich  andere  Strecken  messen  lassen,  führen  seine  Definitionen  zur  Arithmetik.  In  der  griechischen  Mathematik  stellen  Brüche  noch  keine  eigenen  Zahlen  dar,  sondern  ganzzahlige  Verhältnisse.  (Für  das  Zahlenverhältnis  steht  im  Griechischen  das  Wort  logos,  im  Lateinischen  dann  ratio.)  Auch  die  Eigenschaften  von  Zahlen  -­‐  wie:  ungerade,  gerade,  Primzahlen,  vollkommene  Zahlen,  befreundete  Zahlen,  figurierte  Zahlen  (z.B.  Dreieckszahlen,  siehe  pascalsches  Dreieck)  -­‐  werden  definitorisch  eingeführt.  Der  Gruppenkalkül  lässt  sich  nun  auch  als  Möglichkeit  verstehen,  ganzzahlige  Verhältnisse  und  bestimmte  Formen  ihrer  Verknüpfungen  formal,  d.h.  als  geschlossenes  System  zu  beschreiben.  Andreas  Speiser  in  Die  mathematische  Denkweise:  „Die  Gruppe  vertritt  das  Prinzip  der  ganzzahligen  Verhältnisse,  das  im  Altertum  unter  dem  poetischen  Namen  der  „Harmonie  der  Sphären“  die  Aufsuchung  der  Naturgesetze  beherrschte  und  noch  für  Kepler  das  Grundgesetz  der  Welt  bildete.“      Für  die  mathematische  Gruppe  (bezüglich  Verknüpfung)  gelten  folgende  Bedingungen:    1.  Jede  Verknüpfung  zweier  Elemente  gehört  selbst  zur  Gruppe.  (Abgeschlossenheit)  2.  Die  in  ihre  geltenden  Verknüpfungen  müssen  assoziativ  sein,  d.h.  a*(  b*c)  =  (a*b)*c.    3.  Es  muss  für  alle  Elemente  (a)  der  Gruppe  ein  neutrales  Element  geben,  sodass  gilt:  e*a  =  a*e  =  a.  4.  Jedes  Element  (a)  der  Gruppe  muß  invertierbar  sein,  d.h.  zu  jedem  Element  (a)    existiert  ein  inverses  Element  (a-­‐1),  sodass  gilt:  a*  a-­‐1  =  a-­‐1*a  =  e.  Gilt  auch  noch  allgemein  das  Kommutativgesetz  (a*b  =  b*a)  spricht  man  von  einer  abelschen  Gruppe.  Die  ganzen  Zahlen  bilden  zum  Beispiel  bezüglich  der  Verknüpfung  der  Addition  eine  abelsche  Gruppe.  Die  Zahl  Null  ist  das  neutrale  Element,  das  inverse  Element  zur  Zahl  (a)  ist  (-­‐  a).  Schon  bezüglich  der  Multiplikation  sind  die  ganzen  Zahlen  keine  Gruppe  mehr,  da  kein  inverses  Element  für  zum  Beispiel  die  Zahl  5  existiert.  Wie  kann  also  Speiser  die  Gruppe  zum  „Prinzip  der  ganzzahligen  Verhältnisse“  oder  gar  „der  Harmonie  der  Sphären“  oder  Bense  sie  zum  mathematischen  Prinzip  überhaupt  erklären,  wenn  schon  die  ganzen  Zahlen  bezüglich  der  Multiplikation  keine  Gruppe  mehr  bilden?  Und  kann  das  geschlossene,  tautologische  

System  nur  über  die  Eigenschaften  sprechen,  die  es  selbst  hervorbringt?  Die  Diagonale  des  Einheitsquadrats  lässt  sich  ja  mit  einer  bestimmten  Genauigkeit,  die  Näherung  bleiben  muss,  messen.  Aber  sie  findet  eindeutig  ihr  Ende.  Erst  das  Zahlensystem  bringt  die  irrationalen  Zahlen  hervor.  Euklids  Strecken  und  Flächen,  mit  deren  Hilfe  er  Zahlenverhältnisse  definiert,  können  auch  nicht  miteinander  multipliziert  werden.  Damit  die  Übertragungen  aufs  Ganze  plausibel  bleiben,  müssen  die  Gestalten  und  Proportionen  und  vor  allem  die  Operationen  vielleicht  nur  elementar,  d.h.  einfach  genug  gedacht  sein.    Der  Aufbau  mathematischer  Begrifflichkeit  radikalisiert  den  Weg  vom  Einfachen  zum  Komplexen.  Um  zum  Gruppenbegriff  zu  gelangen,  kann  vom  Begriff  der  Menge  als  Zusammenfassung  beliebiger  wohlunterschiedener  Elemente  zu  einem  Ganzen  ausgegangen  werden.  Eine  Relation  ist  dann  ein  Zuordnungsschema,  d.h.  eine  Vorschrift,  die  einem  Element  der  Menge  ein  Element  einer  anderen  (oder  –  im  Fall  der  binären  Relation  –  derselben)  Menge  zuordnet.  Eine  spezielle  Art  der  Relation  ist  die  Abbildung  oder  Funktion,  die  jedem  Element  einer  Menge  genau  ein  Element  einer  anderen  (oder  derselben)  Menge  zuordnet;  gilt  das  auch  umgekehrt,  so  wird  die  Abbildung  bijektiv  genannt.  Bijektive  Abbildungen  einer  Menge  auf  sich  selbst  werden  Permutationen  genannt.  Unter  Verknüpfung  zweier  Abbildungen  wird  das  Hintereinanderausführen  der  Zuordnungen  verstanden,  und  weil  das  Ergebnis  der  Verknüpfung  wieder  eine  Abbildung  ist,  lässt  sich  im  Weiteren  durch  die  oben  genannten  Bedingungen  der  Begriff  der  Gruppe  definieren.  Die  Mächtigkeit  eines  solchen  mathematischen  Aufbaus  besteht  vor  allem  darin,  dass  sich  die  Definitionen  der  einfachen  Gegenstände  wieder  auf  jene  der  komplexeren  anwenden  lassen.  So  können  auch  Abbildungen  zu  einer  Menge  zusammengefasst  werden,  in  der  wieder  Relationen  und  Abbildungen  definiert  werden  können.    Weil  unter  eindrücklichen  Strukturen  die  Symmetrie  am  unmittelbarsten  zu  wirken  scheint    und  bei  bestimmten  Operationen  Gruppeneigenschaften  genügt  (z.B.  wird  sie  verdoppelt,  erhält  man  wieder  eine  Symmetrie),  macht  Speiser  sie  überhaupt  zum  ästhetischen  Prinzip:  „Ähnlich  wie  es  für  die  algebraische  Gleichung  eine  Metaphysik,  die  Gruppe,  gibt,  deren  Kenntnis  das  Innerste  der  Gleichung  enthüllt,  gibt  es  auch  für  das  Kunstwerk  eine  Metaphysik,  nämlich  den  Symmetriegehalt  ...“  In  Theorie  der  Gruppen  von  endlicher  Ordnung  setzt  sich  Speiser  dann  auch  ausführlich  mit  Streifenornamenten  und  Flächenornamenten  auseinander,  und  untersucht  die  sie  bildenden  Operationen  (Translation  in  Richtung  der  Längachse,  Spiegelung  an  der  Längsachse/Querachse,  Gleitspiegelung=  Spiegelung+Translation,  Drehung  von  180  Grad  etc.)  hinsichtlich  ihrer  gruppenbildenden  Eigenschaften.  Das  mathematische  Denken,  insofern  es  den  Gruppenkalkül  zur  Grundlage  hat,  ist  also  ein  ornamentales  Denken  und  begünstigt  somit  eine  bestimmte  Ästhetik  (des  Schönen).  Bezeichnend  ist,  dass  für  Speiser  auch  die  Musik  Johann  Sebastian  Bachs  paradigmatisch  ist,  der  seiner  Kunst  der  Fuge  eine  symmetrische  Tonfolge  zugrunde  legt.  Der  horror  vacui  des  ornamentalen  Denkens  bezieht  sich  auf  jene  Räume,  die  von  den  Gruppen  konstituierenden  Operationen  nicht  erfasst  werden.  Speiser  (D.m.D.):  „Die  Aufgabe  der  Wissenschaft  wäre  es,  für  die  einzelnen  Stücke  den  vollen  Aufbau  mit  allen  Bindungen  zu  suchen.  Es  werden  dann  noch  Leerstellen  bleiben,  die  man  beliebig  ausfüllen  kann.  Aber  es  ist  zu  vermuten,  dass  es  Kompositionen,  z.B.  Fugen  von  Bach,  gibt,  bei  denen  jeder  Ton  durch  die  Bindungen  festgelegt  ist,  so  dass  als  einziger  Freiheitsgrad  die  Tonart  bleibt.  Vielleicht  ist  das  gute  Kunstwerk  durch  eine  Minimaleigenschaft  ausgezeichnet:  es  ist  das  einfachste  Stück,  das  bei  dem  in  ihm  enthaltenen  Symmetriekomplex  möglich  ist.“  Bach  ist  ein  schwerwiegendes  Argument  für  diesen  ästhetischen  Ansatz;  aber  ist  eine  Art  von  

ornamentaler  Oberflächenbearbeitung  nicht  auch  in  Gefahr,  im  arabesken  Kitsch  zu  enden?  Im  Ästhetischen  ist  natürlich  eine  entgegengesetzte  Haltung  denkbar,  dass  es  nämlich  gilt,  den  Regelmäßigkeiten,  dem  geschlossenen  System  zu  entkommen.  Aber  muss  ich  dann  das  System,  dem  ich  entkommen  will,  nicht  zuerst  einmal  setzen  oder  zumindest  klar  machen,  aus  welchem  der  gesetzten  ich  zu  entkommen  trachte?  Eine  bescheidenere  Haltung  spricht  von  der  Abweichung,  die  erst  die  Spannung  erzeugt,  die  für  den  künstlerischen  Ausdruck  wesentlich  ist.  Ein  vorhersehbares  ästhetisches  Kriterium  dieser  Haltung  könnte  die  Unvorhersehbarkeit  des  nächsten  Schrittes  sein,  eher  dem  Wahrscheinlichkeitskalkül  verbunden  und  verwandt  mit  der  Definition  des  Informationsgehalts  bei  Shannon.    Poetische  Zusatzbedingungen  werden  doch  gestellt,  um  Gedanken  von  Bindung  und  Zensur  der  konventionellen  Formeln  zu  befreien,  das  Medium  also  dafür  zu  sensibilisieren,  was  bei  gängigen  Schemata  und  Klischees  durch  den  Rost  fällt.  Genau  das  kann  auch  die  poetische  Utopie  á  la  Bach  motivieren,  die  alle  gestalterischen  Parameter  miteinander  ins  Spiel  bringen  will.  Die  so  gewonnene  Dimensionalität  wäre  erst  fähig,  bestimmte  komplexe  Verhältnisse  zum  Ausdruck  zu  bringen,  bzw.  zu  locken,  diese  in  sie  zu  projizieren.  Da  es  alle  Möglichkeiten  ausschöpfen  würde,  erübrigte  es  sich,  zu  entscheiden,  ob  dieses  Werk  selbst  als  Zeichen  für  etwas  stünde,  das  anders  nicht  ausdrückbar  oder  benennbar  wäre,  oder  sich  einfach  nur  selbst  genüge.      Da  die  Menschen  symmetrisch  gebaut  sind,  ist  es  kein  Wunder,  dass  sie  dieses  Verhältnis  auszeichnen.  Symmetrische  Verhältnisse  lassen  sich  auch  in  der  Dichtung  finden,  z.B.  die  Anordnung  der  Endreime  im  Rondell,  Palindrome  bei  Namen,  Worten  oder  Wortverkettungen,  bei  Buchstaben  (je  nach  Spiegelachse):  A,  B,  C,  D,  E,  H,  I,  K,  M,  O,  S,  T,  U,  V,  W,  X,  Y,  Z  etc.  Unter  Symmetrie  werden  mathematisch  Operationen  verstanden,  die  die  Struktur  unverändert  lassen.  Auch  wenn  Speiser  dieses  konservative  Verhalten  zum  Prinzip  (mathematischer)  Schönheit  erklärt,  ist  Symmetrie  sonst  nur  eine  Kategorie  von  Proportionen  unter  vielen:  eine  andere  ausgezeichnete  wäre  z.B.  der  goldene  Schnitt,  oder  allgemeiner  zeichnen  sich  die  Verhältnisse  aus,  die  sich  im  Kleinen  (Teil)  bzw.  Großen  (Ganzen)  fortsetzen.  Nicht  nur  auf  morphologischer  und  syntaktischer  Ebene,  auch  auf  semantischer  Ebene  lassen  sich  Verhältnisse  im  mathematischen  Sinn  gruppieren;  ist  „Geschwister  zu  sein“  nicht  sowohl  kommutativ  wie  transitiv,  „befreundet“  nur  ersteres  etc.?  Solche  Zusammenhänge  sind  genauso  strukturbildend  (Siehe  die  strukturalistischen  Untersuchungen  von  Heiratsregeln  oder  Marcel  Prousts  Auf  der  Suche  ...).  Die  Arbeit  am  Begriff  endet  aber  unweigerlich  bei  logischen  Beziehungen.    Es  gibt  auch  die  ästhetische  Betrachtung  von  Ableitungen.  Ein  eleganter  oder  klarer  Beweis  muss  nicht  kurz  sein,  genauso  wenig  wie  ein  Programm,  das  vor  allem  mit  Rekursionen,  also  mit  Bedingungen,  die  es  noch  einmal  aufrufen,  arbeitet,  die  schnellste  Lösung  sein  muss.    Die  Länge  des  Beweises  verhält  sich  umgekehrt  proportional  zur  Länge  der  Axiomatik,  also  umso  mehr  Axiome,  desto  weniger  Schritte  bis  zum  Theorem.  Ob  Zahlen  oder  Buchstaben,  dieser  Darstellungsmechanismus  setzt  sich  bis  auf  die  Zeichenebene  fort:  die  Länge  der  Ausdrücke  hängt  sowohl  vom  Zeichenvorrat  wie  von  der  Menge  der  Unterscheidungen  ab,  die  getroffen  werden  sollen.  Und  erst  die  Gestalt,  die  Figurierung,  erlaubt  den  Überblick.    Holzstäbe  oder  runde  Steine?  Es  macht  eben  einen  Unterschied,  womit  ich  beginne,  und  da  die  Stäbe  schon  eine  Unterscheidung  der  Richtung  vorgeben,  eignen  sich  die  runden  Steine  als  Einheiten  besser,  um  z.B.  Anordnungen  der  figurierten  Zahlen  aufzulegen.  Wittgenstein  

bringt  in  den  Bemerkungen  über  die  Grundlagen  der  Mathematik,  um  das  Kommutativgesetz  zu  illustrieren,  ein  Bild  von  vier  Zeilen  mit  fünf  Kreisen,  dass  man  auch  als  fünf  Spalten  mit  vier  Kreisen  lesen  kann.  Legt  man  an  zwei  Seiten  eines  Quadrats,  das  sowohl  in  seinen  Zeilen  wie  in  seinen  Spalten  n  Steine  aufweist,  je  n  Steine,  und  ergänzt  die  Ecke  um  einen  Stein,  lässt  sich  auch  die  Formel  n2  +  2n  +  1  =  (n  +  1)2  zeigen.  Die  pythagoreische  Zahlenlehre  unterteilte  ihre  Kategorie  der  figurierten  Zahlen  schon  in  lineare,  flächenhafte  und  dreidimensionale,  und  trug  so  zu  einer  Systematisierung  der  Mathematik  bei,  der  Wittgenstein  mit  seiner  Untersuchung  der  Grundlagen  entkommen  will,  um  zu  zeigen,  dass  diese  an  der  prinzipiellen  „Buntheit  der  Mathematik“  nichts  geändert  habe.      Max  Benses  Untersuchungen  (z.B.  in  Geist  der  Mathematik)  zielen  in  die  entgegengesetzte  Richtung.  Er  will  die  „Gruppentheorie  als  geometrisches  Einteilungsprinzip“  zu  einer  Satzgruppentheorie  erweitern  und  so  zu  nichts  weniger  als  einer  mathesis  universalis  gelangen,  zu  einem  „Aufbau  einer  alles  mögliche  Wissen  umfassenden  Wissenschaft.“  Die  universale  Mathematisierung  im  Sinne  der  Gruppentheorie,  die  er  im  Sinn  hat,  erfordert  nicht  nur  sich  gleich  bleibende  Grundelemente  und  invariante  Relationen,  sondern,  weil  er  dem  Hilbertschen  Traum  nachhängt,  auch  feststehende  Axiomatiken:  „Allgemein  wird  also  für  jede  Wissenschaft  eine  gewisse  Gegenstandsinvarianz  gefordert,  es  kommt  lediglich  darauf  an,  diesen  der  Invarianz  unterworfenen  Gegenstand  hinreichend  umfangsgroß  zu  definieren.“  Bei  einer  solchen  universalen  Übertragung  macht  die  erste  gruppentheoretische  Bedingung  am  wenigsten  Schwierigkeiten,  denn  wird  die  Assoziativität  als  das  Prinzip  gedeutet,  dass  aus  der  Verknüpfung  der  Elemente  wieder  Elemente  der  Gruppe  resultieren,  kann  dieses  auch  den  wissenschaftlichen  Sätzen  konzediert  werden.  Eine  nähere  Bestimmung  des  Einheitssatzes  „der  bestimmt,  ob  die  Gruppe  von  Sätzen  ‘ist’  oder  ‘gilt’  meint“  bleibt  Bense  schuldig.  Die  Forderung  nach  einem  inversen  Element  sieht  er  auf  folgende  Weise  ungefähr  („etwa“)  erfüllt:  „Das  Axiom  3  der  Inversion  aber  lässt  sich  für  Satzgruppen  etwa  folgendermaßen  verstehen:  in  einer  Gruppe  von  Sätzen  existiert  zu  jedem  Satz  eine  sinnvolle  Verneinung;  d.h.  über  jeden  Satz  einer  Gruppe  muss  es  möglich  sein,  zu  entscheiden.“  Diese  Ausführungen  sind  1939  erschienen.  Das  Entscheidungsproblem  hat  der  Utopie  einer  generellen  Formalisierung  einen  Strich  durch  die  Rechnung  gemacht  hat.  Das  hindert  aber  nicht  daran,  dass  sie  in  Teilbereichen  erfolgreich  ist  und  hat  auch  dem  erkenntnistheoretischen  Determinismus  nicht  den  Garaus  gemacht.  Warum  sollen  einzelne  Systeme,  die  begrenzt  genug  sind,  bzw.  Verarbeitungszentren  nicht  konsistent  sein?  Die  Suche  nach  dem  tiefer  Liegenden  ist  vielleicht  nur  die  Suche  nach  dem  Einfacheren.    Die  Aussagenlogik,  die  ihr  System  über  Sätzen,  die  wahr  oder  falsch  sein  können,  errichtet,  lässt  sich  konsistent  formulieren.  Die  Prädikatenlogik  mit  Quantoren  etc.  ist  so  strukturiert,  dass  die  Russellschen  Probleme  schlagend  werden  können.  Man  müsse  die  Elemente  nur  groß  genug  fassen,  meint  Bense,  damit  die  Gruppentheorie  zur  Anwendung  kommen  könne.  Die  Sätze  als  formale  Schemata  zu  Einheiten  eines  Systems  erklärt,  die  verknüpft  wieder  zu  Einheiten  des  Systems  werden,  genügen  den  Voraussetzungen  zur  Gruppenbildung.  Das  führt  dazu,  dass  für  Bense  der  mathematische  Isomorphiebegriff  auch  auf  Sätze  anwendbar  ist,  ja  Isomorphie  sogar  äquivalent  zur  Analogie  erklärt  werden  kann:  „Ist  jedem  Element  einer  Gruppe  G  ein  und  nur  ein  Element  einer  zweiten  Gruppe  G’  zugeordnet,  dergestalt,  daß  dem  Produkt,  d.h.  also  der  Verknüpfung  zweier  Elemente  von  G  das  Produkt  (Verknüpfung)  der  zugeordneten  Elemente  von  G’  zugeordnet  ist,  so  heißt  die  Gruppe  G’  isomorph  der  Gruppe  G.  Denkt  man  sich  als  Elemente  nun  Sätze,  so  würde  sich  folgende  satzgruppentheoretische  Definition  ergeben:  Zwei  Gruppen  von  Sätzen  heißen  isomorph,  

wenn  jedem  Satz  der  einen  nur  ein  Satz  der  anderen  entspricht,  derart,  dass  die  Verknüpfung  zweier  Sätze  in  der  einen  Satzgruppe  stets  zu  einer  Deduktion  führt,  die  der  Verknüpfung  (Deduktion,  Folgerung)  zweier  zugeordneter  Sätze  der  anderen  Satzgruppe  entspricht.  Solche  ‘Isomorphie’  bedeutet  offenbar  nichts  anderes  als  eine  exakte  ‘Analogie’...“  Einerseits  scheint  der  formale  Ansatz,  weil  er  mit  einem  geschlossenen  System  rechnet  und  so  von  Bedeutungen  absehen  kann,  nur  Verschiebungen  auf  einer  Oberfläche  zu  betrachten,  andererseits  scheinen  die  Elemente  freigelegt,  „entkleidet“,  gereinigt  von  aller  sprachlichen  Kontingenz,  die  Historisches  mit  Grammatikalischem  verbindet.  Berechtigt  das  aber  schon  dazu,  Isomorphie  und  Analogie  gleichzusetzen?  Man  denke  an  geometrische  Gruppenoperationen.  In  ihrer  Darstellung  des  Gödelschen  Beweises  bringen  Nagel  und  Newman,  um  das  Prinzip  der  Zuordnung  zu  illustrieren,  das  Theorem  von  Pappus,  das  sich  anhand  zweier  geometrischer  Figuren  formuliert.  In  der  einen  besteht  unter  den  Punkten  die  Beziehungen,  die  in  der  anderen  unter  den  Geraden,  und  unter  den  Geraden  die  Beziehungen,  die  in  der  anderen  unter  den  Punkten  besteht.  Die  beiden  Figuren  sehen  also  ganz  unterschiedlich  aus,  haben  aber  dieselbe  „logische  Form“.  Wie  beim  Satzbegriff  Wittgensteins  im  Tractatus  handelt  es  sich  bei  mathematischen  Entsprechungen  um  Eins-­‐zu-­‐Eins-­‐Entsprechungen.  Weil  es  um  systematische  Zuordnungen  geht,  unterscheidet  sich  sowohl  mathematische  wie  logische  Form  von  der  Gestalt.    In  der  Mengenlehre  wird  unter  Struktur  eine  Auswahl  von  Elementen,  Relationen  und  Funktionen  (Abbildungen)  verstanden,  die  auf  einer  bestimmten  Menge  (der  Trägermenge)  definiert  sind.  Unter  den  so  definierten  Begriff  fallen  also  auch  die  Gruppenstrukturen.  Dass  die  Logik  gegenüber  Gruppenstrukturen  einen  allgemeineren  Status  einnimmt,  lässt  sich  vielleicht  daran  sehen,  dass  jede  so  verstandene  Struktur  von  ihrer  Trägermenge  gleichsam  gelöst  oder  abstrahiert  werden  kann,  indem  sie  axiomatisiert  wird.  Aus  einer  Auswahl  von  nicht-­‐interpretierten  Symbolen  für  Elemente,  Relationen  und  Funktionen  werden  Sätze  (Axiome)  geformt,  die  bei  entsprechender  Interpretation  in  einer  konkreten  Struktur  erfüllt  sind.  Bilden  diese  mitsamt  den  aus  ihnen  logisch  folgenden  Theoremen  ein  widerspruchsfreies  und  vollständiges  System,  kann  von  einer  formalen  Theorie  dieser  Struktur  gesprochen  werden,  für  die  die  konkrete  Struktur  ein  Modell  bildet;  sie  verwaltet  das,  was  sich  über  die  Struktur  formal  „sagen“  läßt.  Isomorphie  bezieht  sich  aber,  was  der  zitierten  Anschauung  Max  Benses  widerspricht,  nicht  auf  die  Theorie  der  Struktur,  sondern  auf  die  Struktur  selbst,  bzw.  auf  jene  bijektiven  Abbildungen,  die  die  Struktur,  d.h.  die  sie  konstituierenden  Relationen,  invariant  lassen.  Isomorphie  als  Relation  ist  reflexiv  (jede  Menge  ist  isomorph  mit  sich  selbst),  symmetrisch  (ist  M  isomorph  mit  N,  dann  ist  N  isomorph  mit  M)  und  transitiv  (ist  M  isomorph  mit  N  und  N  mit  K,  dann  auch  M  mit  K)  und  gehört  damit  mathematisch  zu  den  Äquivalenzrelationen.  Besteht  ein  Isomorphismus  aus  einer  Abbildung  einer  Menge  auf  sich  selbst,  heißt  er  Automorphismus  oder  Transformation.  Die  Menge  aller  Transformationen  bezüglich  einer  bestimmten  Struktur  hat  selbst  die  Struktur  einer  Gruppe  und  bildet  damit  die  zu  dieser  Struktur  gehörige  Transformationsgruppe.  (Diese  Gruppen  spielen  in  Felix  Kleins  Erlanger  Programm  eine  große  Rolle.)  Auch  Ähnlichkeit  als  Eigenschaft  von  Teilmengen  wird  so  eingeführt,  die  geordnete  Menge  als  Folge  etc.  Wie  die  Invarianz  ein  bestimmender  Faktor  ist,  hat  solche  Anschauung  statischen  Charakter.  Beim  Beobachten,  wie  genau  diese  Begriffe  ineinandergreifen,  stellt  sich  sofort  die  Frage,  was  sie  im  diskursiven  Gebrauch  verloren  haben  bzw.  verlieren  müssen.    

Unter  den  Mathematikern  gibt  es  Verfechter  des  klärenden  Einsatzes  solcher  mathematisch  eingeführten  Begriffe  in  unbestimmteren  Zusammenhängen.  Der  Mengentheoretiker  und  Cantorianer  Felix  Hausdorff,  der  sich  in  der  Topologie  einen  Namen  machte  und  unter  dem  Pseudonym  Paul  Mongré  auch  als  Philosoph  (Das  Chaos  in  kosmischer  Auslese)  und  Dichter  (Ekstasen)  reüssierte,  sah  darin,  dass  Mathematik  ihre  Begriffe  neu  und  selbst  setzt,  nicht  nur  ihre  Stärke,  sondern  auch  denn  Grund  dafür,  dass  sie  als  einziges  Mittel  zu  Selbstkritik  der  Wissenschaften  in  Frage  kommt.  Die  axiomatische  Methode  verstand  er  nicht  im  Sinne  Hilberts  als  Mittel  zur  universalen  Formalisierung  der  Mathematik  und  der  Wissenschaften,  sondern  als  skeptisches  Werkzeug  zur  Relativierung  jeder  Begrifflichkeit.  Mengen  und  Relationen  genügten  ihm,  um  relativierbare  Weltbilder  aus  dem  Chaos  zu  heben.  Die  Rolle  des  Chaos  selbst  kann  aber  eben  auch  eine  Struktur  übernehmen,  in  der  sich  Teilmengen  und  Folgen  isolieren  lassen.  Hausdorff  scheint  ein  gutes  Beispiel  dafür,  dass  sich  radikaler  Skeptizismus  und  formale  Rigidität  gut  vertragen.    Abgesehen  von  onomatopoetischen  Ausdrücken,  die  –  vergleicht  man  z.B.  die  Symbolisierung  von  Tierlauten  in  verschiedenen  natürlichen  Sprachen  –  auch  einen  weiten  Interpretationsrahmen  zu  erlauben  scheinen,  der  ihre  Ähnlichkeit  mit  dem,  was  sie  bezeichnen,  in  Frage  stellt,  beruht  die  Zuordnung  von  Worten  zu  den  Gegenständen,  die  sie  bezeichnen  sollen,  auf  Konvention,  was  bekanntlich  in  der  westlichen  Literatur  seit  Platons  Dialog  „Kratylos“  bedauert  wird.  Wenn  nun  Stéphane  Mallarmé  vom  mot  total,  dem  totalen  Wort  träumt,  zu  dem  der  Vers  mehrere  Vokabel  umforme,  ist  es  die  alte  poetische  Utopie,  dass  es  Funktionen  des  Stils  und  der  Rhetorik  möglich  ist,  diese  Willkür  aufzuheben.  Der  Vers,  als  höhere  Entsprechung  (complément  supérieur),  solle  „philosophisch  den  Mangel  der  Sprachen  aufwiegen“.  Mallarmé  spricht  auch  vom  reinen  Begriff  (notion  pure),  der  dem  Spiel  der  Rede  entspringen  solle,  oder  von  der  Blume,  die  sich  musikalisch  im  ausgesprochenen  Wort  als  Idee  aus  allen  erfahrbaren  Kelchen  heben  solle.  Wenn  für  ihn  die  höchste  Form  der  Musik  jene  ist,  zu  der  die  intellektuelle  Rede  werden  kann,  scheint  darin  etwas  von  dem  Wissen  um  den  Sinn  von  Desemantisierung  zu  stecken,  das  vielleicht  auch  Gödel  beflügelte,  als  er  Sätze  der  Metamathematik  im  System  der  Arithmetik  verklausulierte.      Warum  scheinen  die  Zuordnungen  weniger  willkürlich,  wenn  ein  formales  System  in  ein  anderes  übersetzt  bzw.  abgebildet  wird?  Nur  deswegen,  weil  die  Willkür  innerhalb  der  jeweiligen  Systeme  aufgehoben  scheint  und  weil  auch  die  Transformationen  selbst  nach  Regeln  geschieht?  Die  Strukturalisten  der  ersten  Stunde  glauben  ja  deswegen  dem  Formalismus-­‐Verdacht  zu  entkommen,  weil  sie  sich  auf  die  Regelmäßigkeiten  von  Transformationen  bzw.  Ersetzung  von  Elementen  konzentrieren,  die  sich  bei  Vergleich  feststellen  lassen,  und  nicht  mit  den  formalen  Grundstrukturen  der  von  ihnen  analysierten  Gebilde.  Lévi-­‐Strauss:  „Der  Formalismus  vernichtet  seinen  Gegenstand.“  Der  Formalist  sei  deswegen  nihilierend,  weil  er  ex  negativo  an  der  Unterscheidung  Form/Inhalt  festhalte  und  nur  die  Funktionen  als  Konstituenten  der  Form  für  der  Analyse  würdig  hält,  während  die  Elemente  als  Träger  des  Inhalts  beliebig  ersetzbar,  d.h.  vernachlässigbar  seien.        Um  eindeutige  Abbildungen  im  arithmetischen  Kalkül  zu  erhalten,  nützt  Gödel  vorhandene  formale  Eigenschaften  des  Systems,  zum  Beispiel  Primzahlen  und  ihre  Potenzen.  Um  die  metamathematischen  Aussagen  abbilden  zu  können,  d.h.  in  Zahlen  zu  codieren,  muss  Gödel  die  ganze  formale  Sprache,  in  der  sie  formuliert  werden,  arithmetisch  abbilden.  Die  Struktur  der  formalen  Sprache  bleibt  dabei  ebenso  erhalten  wie  die  Struktur  der  Zahlen  ausgenützt  wird,  d.h.  äquivalente  zusammengesetzte  Ausdrücke  werden  auf  die  gleiche  Zahl  abgebildet.  

Schließlich  kann  er  auf  die  codierten  Bedeutungen  der  logischen  Elementarzeichen  wie  „nicht“  und  „oder“  vergessen  und  mit  den  als  Zahlen  codierten  Formeln  rechnen.  Natürlich  ist  auch  die  formale  Sprache  ein  Kalkül,  in  der  wahre  Aussagen  über  beobachtbare  (aber  deswegen  noch  nicht  beweisbare)  Eigenschaften  des  arithmetischen  Kalküls  als  Axiome  gelten.  Nun  kann  Gödel  aber  innerhalb  des  arithmetischen  Kalküls  zeigen,  dass  bei  bestimmten  Aussagen  nicht  entschieden  werden  kann,  ob  sie  wahr  oder  falsch  sind,  und  so  sein  Unvollständigkeitstheorem  errechnen.  Es  ging  ja  darum,  die  Mächtigkeit  eines  formalen  Systems  zu  zeigen,  in  dem  die  mathematischen  Operationen  definiert  sind,  und  das  Unvollständigkeitstheorem  gilt  nur  für  dieses  arithmetische  Kalkül.  Die  Rückübersetzungen  in  Ausdrücke  der  formalen  Sprache  sind  deswegen  kein  Problem,  weil  die  Zuordnung  selbst  eine  mathematische  Operation  ist.  Nichtsdestotrotz  beruht  die  Interpretation  der  Ausdrücke  der  formalen  Sprache  als  Aussagen  über  die  Arithmetik  auf  Abmachung.      Der  berühmteste  der  metamathematischen  Sätzen,  die  Gödel  im  arithmetischen  Kalkül  codiert,  und  von  dem  er  zeigt,  dass  er  in  diesem  Kalkül  nicht  beweisbar  ist,  lautet:  „Der  Kalkül  ist  widerspruchsfrei“.  Insofern  es  um  seine  Beweisbarkeit  geht,  wie  schließlich  ja  auch  das  Unvollständigkeitstheorem  bewiesen  wird,  besteht  im  formalen  System  das  Zeigen  aus  dem  Befolgen  der  Regeln  des  Systems.  Dass  die  Bedeutung  formaler  Aussagen  nach  Frege,  der  sie  von  ihrem  kontextabhängigen  Sinn  unterscheidet,  auf  wahr  und  falsch  reduziert  werden  kann,  beruht  auf  diesem  Beweischarakter  formaler  Sprachen.  (Worauf  es  Gödel  bei  seinem  Beweis  ankommt,  wäre  also  nach  Frege  nicht  die  Bedeutung,  sondern  der  Sinn  der  codierten  Aussagen.  Freges  Wortgebrauch  hat  sich  aber  nicht  durchgesetzt.)      Nicht  nur  mit  den  Verknüpfungen  formaler  Ausdrücke  lässt  sich  etwas  aussagen,  sondern  auch  mit  Verkettungen,  die  sich  grammatikalischen  Systemen  verdanken.  Insofern,  und  nicht  in  Bezug  auf  Vollständigkeit  oder  Beweisbarkeit,  ist  die  Reflexivität,  die  Gödel  durch  seine  Codierungsmethode  innerhalb  eines  Kalküls  erreicht,  auch  für  Poetik  ein  Modell.  Verglichen  mit  den  historischen  grammatikalischen  Entwicklungen  und  Veränderungen  wie  Lautverschiebung  etc.  erweisen  sich  poetische  Figuren  und  Techniken  als  beständiger,  und  in  einem  weiteren  Sinn  kann  vielleicht  jede  ästhetische  bzw.  stilistische  Bemühung  beim  Schreiben  als  Versuch  angesehen  werden,  das,  was  gesagt  wird,  im  Sprachbild  zu  reflektieren.  Natürlich  kann  das,  was  gesagt  wird,  auch  konterkariert  werden,  z.  B.:  von  Langatmigkeit  in  kurzen  Sätzen  schreiben.    

 Gödels  Beweis  würde  ohne  das  erklärende  Umfeld  nicht  funktionieren,  das  festhält,  welche  logischen  Elementarzeichen  welchen  Zahlen  zugeordnet  werden,  wie  die  Gödelzahlen  aus  Primzahlen  und  ihren  Potenzen  konstruiert  werden  etc.  Macht  Pastior  aber  ansatzweise  nicht  etwas  ähnliches,  wenn  er  erklärt,  wie  er  zu  den  Werten  der  einzelnen  Buchstaben  kommt?  Dass  das,  was  im  Gedicht  ausgesagt  wird,  etwas  über  die  Methode  verrät,  wie  es  konstruiert  ist,  wäre  hinsichtlich  Reflexivität  nur  ein  Sonder-­‐  bzw.  Extremfall.  Geht  es  überhaupt  um  Entschlüsselung?  Der  poetische  Imperativ  könnte  doch  auch  lauten,  stelle  Beziehungen  zu  einer  anderen  Sprachebene  her,  und  zwar  so,  dass  sie  wirken.  Das  setzt  natürlich  voraus,  dass  es  sich  dabei  um  Ebenen  handelt,  die  hör-­‐  oder  sichtbar  sind.    Es  wird  von  einem  Tausch  oder  einem  Trugschluss  gesprochen,  also  wird  ein  Chiasmus  gesucht,  der  diese  jeweils  exemplifiziert,  ein  Gedanke  wird  variiert,  also  wird  auch  die  Wortstellung  variiert  oder  nach  Worten  gesucht,  die  auf  Buchstabenebene  jene  des  variierten  Gedankens  permutieren  etc.  Aber  schon  „ein  Gedanke  wird  variiert“  ist  ästhetisch  

gedacht,  nur  eben  die  Bedeutungsebene  betreffend.  Die  Kurzfassung  solcher  Bemühungen  wäre  das  alte:  es  handelt  sich  nicht  darum,  was  gesagt  wird,  sondern  wie  es  gesagt  wird.  Und  das  wäre  die  kunstfeindliche  Denkungsart:  Solche  Spielereien  sind  nur  Privatvergnügen  um  zu  einer  ungewöhnlichen  Wortformel  zu  gelangen,  die  beeindruckt.    Was  im  Text  passiert  sind  Übersetzungshilfen  für  das,  was  im  Text  gesagt  wird,  oder  umgekehrt:  was  im  Text  gesagt  wird,  sind  Übersetzungshilfen  für  das,  was  im  Text  passiert.  Aber  dieses  Spiel  der  Gegenseitigkeit  tut  so,  als  ob  ein  geschlossenes  System  möglich  wäre,  und  nicht  an  irgendeinem  Punkt,  zumindest  was  die  Interpretierbarkeit  betrifft,  Zuordnungen  willkürlich  stattfinden  müssen  bzw.  auf  Konvention  beruhen.  Vielleicht  liegt  sowohl  ein  verkürztes  Sprachverständnis  als  auch  eine  musikwissenschaftliche  Vereinfachung  der  Bemerkung  Lévi-­‐Strauss’  zugrunde,  wenn  er  schreibt:  „Die  Menschen  sprechen  oder  haben  Tausende  füreinander  wechselseitig  unverständliche  Sprachen  gesprochen,  die  sich  jedoch  ineinander  übersetzen  lassen,  weil  sie  sämtlich  ein  Vokabular  besitzen,  das  sich  auf  eine  allgemeine  (wenn  auch  von  jeder  einzelnen  unterschiedlich  zugeschnittene)  Erfahrung  zurückführen  lässt.  Das  ist  in  der  Musik  unmöglich,  wo  die  Absenz  von  Worten  dafür  verantwortlich  ist,  dass  es  ebenso  viele  Sprachen  wie  Komponisten  und  im  Grenzfall  vielleicht  sogar  Werke  gibt.  Diese  Sprachen  sind  nicht  ineinander  übersetzbar.“  Schließlich  lassen  sich  auch  musikhistorisch  unterschiedliche,  einheitliche  Stilepochen  festmachen.  Die  Bemerkung  weist  aber  mit  Recht  darauf  hin,  dass  in  der  Musik  aufgrund  fehlender  Semantik  die  Ausprägung  eines  eigenen  Stils  unumgänglich  ist,  einen  viel  höheren  Stellenwert  besitzt,  was  zu  seiner  Gleichsetzung  mit  Sprache  berechtigt,  da  sich  Konventionen  und  individuelle  Festlegungen  eben  nur  auf  die  Kompostionsregeln  selbst  beziehen  können.  Die  musikalische  Stilempfindlichkeit  kann  als  weiteres  Indiz  dafür  gelten,  dass  ein  Wegfall  der  Semantik  auf  der  rhetorischen,  strukturbildenden  Ebene  kompensiert  werden  kann.  Auch  bei  begrifflichen  Sprachfiguren  und  bei  den  langen,  dem  Satzsinn  verpflichteten    Sprachkompositionen  in  Prosa  stellt  sich  selbstverständlich  die  Frage  nach  der  Form,  nach  dem,  was  sich  gleich  bleibt,  wiederholt  und  variiert.  Weil  sich  soziologische  Muster  schneller  ändern  als  das  organische  Zusammenspiel  des  menschlichen  Körpers,  wird  bei  der  Metaphernbildung  letzterer  wahrscheinlich  als  bestimmender  Bildbereich  vorgezogen,  ja,  man  könnte  bei  der  Figurenbildung  auf  semantischer  Ebene  von  einem  Kippen  der  Stilfunktionen  in  ihr  Gegenteil  sprechen,  weil  die  eingängigsten  Klischees  und  naheliegendsten  Bilder  auch  die  hartnäckigsten  sein  werden.    Wenn  ich  die  Grammatik  kenne,  erkenne  ich,  eben  mit  einem  Konditionalsatz  begonnen  zu  haben,  weiß  ich,  dass  ich  jetzt  einen  Nebensatz  schreibe  und  dass  es  Relativpronomen  gibt,  mit  deren  Hilfe  ich  mich  auf  Nomen  beziehen  kann,  auch  auf  das  Wort  „Relativpronomen“.  Dieser  Satz  ist  kurz.  Die  Satzstruktur  stellt  im  Rahmen  der  grammatikalischen  Möglichkeiten  eben  Beziehungen  zwischen  Satzgliedern  und  Wortarten  her.  etc.  Im  Semantischen  ist  Reflexivität  leicht  herstellbar.  Die  Zahl  der  sprachmateriellen  Figuren  wie  Versfüsse,  Alliteration,  Reim,  Chiasmus,  Variation  und  Permutation  ist  begrenzt.  Natürlich  kann  im  Moment  ihrer  Ablesbarkeit  über  sie  etwas  ausgesagt  werden,  das  sie  illustrieren  oder  exemplifizieren.  Ist  das  dann  nicht  ebenso  begrenzt  wie  ihr  Gestalten.  Weil  es  sich  um  phonetische  Schriftzeichen  handelt,  kann  ohne  explizite  Zuordnung  das,  was  sie  ästhetisch  aufführen,  nicht  mehr  sein  als  Begleitmusik  oder  Ornament  des  Gesagten?  Das  Wort  wird  als  Zusammensetzung  kleiner  Sinneinheiten  verstanden.  Und  diese  sind  dann  Verknüpfungen  sinnloser  Lautzeichen?  Auch  letztere  sind  behaftet  mit  einer  bestimmten  Häufigkeit  ihres  Auftretens  und  gewohnten  Zusammenhängen,  in  denen  sie  auftreten.  Sprechen  diese  gar  

nicht  mit  oder  sind  sie  nur  deswegen  nicht  relevant,  weil  ich  mir  (ohne  mathematische  Hilfe)  darüber  keine  Rechenschaft  geben  kann?  Schafft  nicht  ihre  unmittelbare  Abfolge  Unterscheidbarkeit?  Ihre  Opposition  kann  als  der  potenzielle  Träger  aller  Information  verstanden  werden  etc.  Genauso  lassen  sich  mit  sprachmateriellen  Figuren  als  größere  Einheiten  Abfolgen  und  Kombinationen  bilden,  sogar  gemäß  des  ästhetischen  Ideals,  dass  sich  die  Verhältnisse  im  Kleinen  im  Grossen  fortsetzen.  Die  poetische  Behandlung  kann  die  Zeichenstrukturen  verkomplizieren  oder  vereinfachen,  auf  jeden  Fall  ändern  sich  die  Verhältnisse,  stellt  sie  neue  Beziehungen  her  oder  bestimmte  Beziehungen  heraus.  Und  warum  sollen  diese  für  Verwendung  und  Projektion  nicht  offenstehen  und  die  Geschichte  ihres  Vorkommens  widerspiegeln?  Im  Mathematischen  können  solche  Verhältnisse  exakter  sowohl  beschrieben  als  auch  hergestellt  werden,  aber  sie  stehen  ebenso  offen  und  scheinen  nur  für  die,  die  ihre  Geschichte  nicht  kennen,  von  ihr  gereinigt.    Wenn  am  Vorstellungsklavier  verschiedene  Tasten  gleichzeitig  angeschlagen  werden  sollen  (und  mit  “Vorstellungsklavier”  auch  die  Taste  “Wittgenstein”),  verlangt  dies  nach  genauer  Notation.  Ein  vager  dichterischer  Glaube  könnte  so  ähnlich  aussehen:  die  Geschichte  der  Schrift  ist  eine  Geschichte  der  Abstraktion,  und  die  poetische  Behandlung  von  Schrift  hat  den  Sinn,  sie  zum  Assoziationen  stimulierenden  Bild  oder  Hörerlebnis  rückzuführen.  Wie  wörtlich  das  verstanden  werden  könnte!  Die  Piktogramme  der  ägyptischen  Hieroglyphen  -­‐  wie  blühendes  Schilfrohr,  Sitz  oder  Mund  -­‐  stehen  in  schematisierter  Ähnlichkeit  nicht  nur  für  die  entsprechenden  Phänomene  aus  der  Lebenswelt,  sondern  der  mit  ihnen  verbundene  Begriffsumfang  schließt  auch  ihr  metonymisches  Potential  mit  ein,  wie  z.B.  Wasser,  an  dem  das  blühende  Schilfrohr  steht.  Außerdem  stehen  sie  für  ein  oder  mehrere  Lautzeichen.  Um  Homonyme  in  den  in  Stein  gehauenen,  kurzen,  daher  fast  kontextlosen  Texten  zu  vermeiden,  setzten  die  Ägypter  Ideogramme,  also  weitere  Hieroglyphen,  am  Wortende  als  Determinativ,  was  auf  lautlicher  Ebene  zu  Redundanzen  führt.  An  diesen  Ideogrammen  lässt  sich  auch  ablesen,  wie  die  Ägypter  klassifizierten.  Die  Hieroglyphen-­‐Lautschrift  hatte  sich  aus  der  Notwendigkeit  entwickelt,  für  abstrakte  Begriffe  Bilderrätsel  zu  finden.  (Die  abstrakten  Begriffe  selbst  wurden  dann  z.B.  mit  dem  Determinativ  einer  an  einem  Faden  hängenden  Papyrusrolle  gekennzeichnet.)  Eine  mit  Homonymen  arbeitende  Dichtung  müsste  in  dieser  Mischform  aus  Bild-­‐  und  Zeichensprache  nur  die  letzten  Ideogramme  weglassen,  um  über  ein  reiches  Arsenal  an  Homonymen  zu  verfügen.  Wäre  das,  weil  gleichsam  ein  Kategoriensystem  ausfällt,  ein  erster  Schritt  der  Desemantisierung?  Es  könnte  doch  auch  als  Intensivierung  der  Semantik  gesehen  werden,  weil  jetzt  gleichzeitig  auf  mehreren  Bedeutungsebenen,  abstrakten  wie  konkreten,  gedacht  werden  muss.      Die  erste  Frage,  die  sich  stellt,  soll  für  Poetik  Mathematik  nutzbar  gemacht  werden,  ist  doch,  welches  mathematische  Modell  oder  Kalkül  angewendet  werden  soll.  Es  lassen  sich  z.B.  für  Knoten  und  Wege  Entsprechungen  finden  und  so  graphentheoretische  Überlegungen  über  den  kürzesten  Weg  zwischen  verschiedenen  Knoten  etc.  fruchtbar  machen.  „Entsprechungen“,  schon  drängt  sich  auf,  dass  es  auch  hier  wieder  um  Zuordnungen  geht,  dass  also  jene  Bereiche  der  Mathematik,  die  diese  zum  Gegenstand  der  Betrachtung  haben,  für  das  Ineinanderspielen  von  Sprache  und  Mathematik  am  relevantesten  sind  und  in  gewissem  Sinn  die  Grundlage  beider  betreffen.  Soll  dann  z.B.  mit  Funktionen  umgegangen  werden,  werden  sowohl  die  mathematischen  Regeln  von  Bedeutung  sein,  wie  dass  bei  eindeutigen  Abbildungen  jedem  Element  der  Defintionsmenge  nur  jeweils  ein  Element  der  Zielmenge  zugeordnet  werden  darf,  während  ein  Element  der  Zielmenge  mehrere  male  zugeordnet  werden  kann,  als  auch  die  Gegebenheiten  bzw.  Vorstrukturierungen  der  

jeweiligen  Sprache;  Zuordnungen  sind  hinsichtlich  sprachmaterieller  wie  semantischer  Einheiten  möglich;  Homonyme:  wie  viele  Begriffe  lassen  sich  einem  Wort  zuordnen,  Synonyme:  wie  viele  Worte  lassen  sich  einem  Begriff  zuordnen.  Natürlich  ist  die  Wirkung,  die  Wissen  voraussetzt,  eine  andere  als  jene,  die  auf  direkter  Wahrnehmung  beruht.      Der  Ausdruck  “Semantische  Einheit”  lässt  sich  in  solchen  Reflexionen  leicht  sagen  oder  einsetzen,  aber  steht  er  nicht  für  das  eigentliche  Problem  des  Bezugnehmens,  das  hier  unterschiedlich  behandelt  wird?  Und  bedeutet  die  Behandlung  oder  Klärung  nicht  gewissermaßen,  die  Semantik  auszutreiben,  wofür  Mathematik  (aber  die  zugreifenden  Zahlen!)  und  Musik  (aber  die  bedeutungsschwangere  Rhetorik!)  paradigmatische  Rollen  spielen,  oder  simplifizierende  Sätze  wie:  “jede  Form  ist  für  eine  größere,  sie  umfassende  Form  ein  Inhalt.”    Das  Wechselspiel  zwischen  den  Sprachebenen  ist  nicht  nur  Ziel  der  meisten  Poetiken,  sondern  es  lässt  sich,  so  schwer  es  zu  regeln  ist,  auch  nicht  vermeiden.  Wie  sich  an  der  Abhängigkeit  der  Bedeutung  von  Betonung,  Sprachgestus,  Situation  der  Äußerung,  Kontext  etc.  zeigt,  die  Grenze  zwischen  ihnen  lässt  sich  gar  nicht  genau  ziehen.  Auch  jede  wirkungspoetische  Überlegung  wird  sich  auf  eine  bestimmte  kulturelle  Bildung  verlassen  müssen,  jede  ästhetische  Revolution  lebt  in  ihrer  Wirkung  erst  von  der  Ästhetik,  von  der  sie  sich  absetzt,  und  dann  von  der  Gewohnheit,  die  sie  verändert  hat,  selbst  wenn  alle  Tonalität  aufgegeben  ist  und  sich  Reihen  und  Figuren  frei  d.h.  nicht  nach  systematisierten  Regeln,  sondern  durch  Einbruch  der  Welt,  Werfen  der  Würfel  etc.  formieren.  Die  sinnlichste  Seite,  an  der  Poetik,  mathematisch  oder  nichtmathematisch  gestrickt,  ansetzen  kann,  ist  der  Rhythmus.  Vgl.  was  Jurij  L.  Lotman  über  den  Rhythmus  als  strukturelle  Grundlage  des  Verses  sagt:  „Der  rhythmische  Charakter  des  Verse  wird  durch  die  zyklische  Wiederholung  verschiedener  Elemente  in  identischen  Positionen  bestimmt,  um  Ungleiches  zu  vergleichen  und  die  Ähnlichkeit  im  Verschiedenartigen  aufzudecken,  oder  durch  die  Wiederholung  des  Identischen,  um  den  Scheincharakter  dieser  Identität  zu  enthüllen  und  den  Unterschied  im  Ähnlichen  festzustellen.  Im  Vers  ist  der  Rhythmus  sinnunterscheidendes  Element.  Dabei  ist  es  notwendig  zu  bemerken,  dass  auch  jene  sprachlichen  Elemente,  wenn  sie  in  die  rhythmische  Struktur  eingehen,  einen  sinnunterscheidenden  Charakter  im  Vers  gewinnen,  die  diesen  im  gewöhnlichen  Gebrauch  nicht  besitzen.  Wichtig  ist  auch  etwas  anderes:  Die  Versstruktur  bringt  nicht  einfach  neue  semantische  Nuancen  der  Wörter  zutage,  sie  deckt  die  Dialektik  der  Begriffe  auf,  jene  innere  Widersprüchlichkeit  in  den  Phänomenen  von  Leben  und  Sprache,  für  deren  Bezeichnung  die  gewöhnliche  Sprache  keine  speziellen  Mittel  besitzt.“  „Und  die  formalen  Sprachen  schon  gar  nicht“,  ließe  sich  ergänzen.  Kommen  mathematische  Methoden  zur  Anwendung,  ist  noch  nicht  ausgemacht,  ob  sie  dazu  verwendet  werden,  ein  System  zu  sensibilisieren,  also  auf  bestimmte  Weise  offener  zu  halten,  oder  dazu,  es  geschlossener  zu  gestalten.  Sie  könnten  ja  auch  dazu  verwendet  werden,  neue  Nerven  zu  legen,  von  den  Zeichen  bis  in  die  innersten  Bereiche  der  Produktion.  Je  komplexer  das  Geflecht,  desto  höher  die  Wahrscheinlichkeit,  passende  Teile  zu  finden.  Schließlich  lauert  das  Paradox,  dass  ein  System  umso  offener,  desto  geschlossener  es  ist,  weil  es  als  Ganzes  reagieren  kann.