Gewalt und Gesellschaft – Einführung und Ausblick

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Link/Peter-Röcher (Hrsg.) · Gewalt und Gesellschaft

Transcript of Gewalt und Gesellschaft – Einführung und Ausblick

Link/Peter-Röcher (Hrsg.) · Gewalt und Gesellschaft

Universitätsforschungenzur prähistorischen Archäologie

Band 259

Aus dem Lehrstuhl für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologieder Universität Würzburg

2014

Verlag Dr. Rudolf Habelt GmbH, Bonn

Universitätsforschungenzur prähistorischen Archäologie

Band 259

Aus dem Lehrstuhl für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologieder Universität Würzburg

2014

Verlag Dr. Rudolf Habelt GmbH, Bonn

2014

Verlag Dr. Rudolf Habelt GmbH, Bonn

Gewalt und GesellschaftDimensionen der Gewalt

in ur- und frühgeschichtlicher Zeit

Violence and SocietyDimensions of violence in

pre- and protohistoric times

Internationale Tagung an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg14. – 16. März 2013

herausgegebenvon

Thomas Link und Heidi Peter-Röcher

Redaktion: Marcel Honeck, Thomas Link, Heidi Peter-RöcherSatz und Layout: Marcel Honeck, Thomas Link

ISBN 978-3-7749-3929-5

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.Detailliertere bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Copyright 2014 by Dr. Rudolf Habelt GmbH, Bonn

Gefördert durch die

Redaktion: Marcel Honeck, Thomas Link, Heidi Peter-RöcherSatz und Layout: Marcel Honeck, Thomas Link

ISBN 978-3-7749-3929-5

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.Detailliertere bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

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Gefördert durch die VORWORTDER HERAUSGEBER

Die Reihe „Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie“ soll einem in der jüngeren Vergangenheit entstandenen Bedürfnis Rechnung tragen, nämlich Exa-mensarbeiten und andere Forschungsleistungen vor-nehmlich jüngerer Wissenschaftler in die Öffentlichkeit zu tragen. Die etablierten Reihen und Zeitschriften des Faches reichen längst nicht mehr aus, die vorhandenen Manuskripte aufzunehmen. Die Universitäten sind des-halb aufgerufen, Abhilfe zu schaffen. Einige von ihnen haben mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln unter zumeist tatkräftigem Handanlegen der Autoren die vorliegende Reihe begründet. Thematisch soll darin die ganze Breite des Faches vom Paläolithikum bis zur Ar-chäologie der Neuzeit ihren Platz finden.

Ursprünglich hatten sich fünf Universitätsinstitute in Deutschland zur Herausgabe der Reihe zusammengefun-den, der Kreis ist inzwischen größer geworden. Er lädt alle interessierten Professoren und Dozenten ein, als Mithe-rausgeber tätig zu werden und Arbeiten aus ihrem Bereich der Reihe zukommen zu lassen. Für die einzelnen Bände zeichnen jeweils die Autoren und Institute ihrer Herkunft, die im Titel deutlich gekennzeichnet sind, verantwortlich. Sie erstellen Satz, Umbruch und einen Ausdruck. Bei gleicher Anordnung des Umschlages haben die verschie-denen beteiligten Universitäten jeweils eine spezifische Farbe. Finanzierung und Druck erfolgen entweder durch sie selbst oder durch den Verlag Dr. Rudolf Habelt GmbH, der in jedem Fall den Vertrieb der Bände sichert.

Herausgeber sind derzeit:

Kurt Alt (Mainz) Nikolaus Boroffka (Berlin)

Peter Breunig (Frankfurt am Main)Philippe Della Casa (Zürich)

Manfred K.H. Eggert (Tübingen)Clemens Eibner (Heidelberg)Frank Falkenstein (Würzburg)

Ralf Gleser (Münster)Bernhard Hänsel (Berlin)

Alfred Haffner (Kiel)Albert Hafner (Bern)

Svend Hansen (Berlin)Ole Harck (Kiel)

Joachim Henning (Frankfurt am Main)Christian Jeunesse (Strasbourg)Albrecht Jockenhövel (Münster)

Tobias L. Kienlin (Köln)Rüdiger Krause (Frankfurt am Main)

Klára Kuzmová (Trnava)Amei Lang (München)Andreas Lippert (Wien)

Jens Lüning (Frankfurt am Main)

Joseph Maran (Heidelberg)Carola Metzner-Nebelsick (München)

Johannes Müller (Kiel)Ulrich Müller (Kiel)

Michael Müller-Wille (Kiel)Mária Novotná (Trnava)

Bernd Päffgen (München)Diamantis Panagiotopoulos (Heidelberg)

Christopher Pare (Mainz)Hermann Parzinger (Berlin)

Heidi Peter-Röcher (Würzburg)Britta Ramminger (Hamburg)

Jürgen Richter (Köln)Sabine Rieckhoff (Leipzig)

Wolfram Schier (Berlin)Thomas Stöllner (Bochum)

Biba Teržan (Berlin)Gerhard Tomedi (Innsbruck)

Ulrich Veit (Leipzig)Karl-Heinz Willroth (Göttingen)

Andreas Zimmermann (Köln)

Inhalt – Contents

Gewalt und Gesellschaft – Tagungsprogramm Violence and Society – Conference Programme

Thomas Link und Heidi Peter-Röcher 15Gewalt und Gesellschaft – Einführung und Ausblick Violence and Society – Introduction and Prospects

Allgemeine Beiträge

Ulrich Veit 19Gewalt-Erzählungen: Überlegungen zum aktuellen Gewalt-Diskurs in der Ur- und Frühgeschicht-lichen Archäologie Narratives of Violence: Reflections on the Current Discourse on Violence in Prehistoric Archaeology

Joachim Wahl 33Vom Trauma zur Traumatisierung zur Täter-Opfer-Geometrie – Spuren von Gewalteinwirkung an menschlichen Skelettresten und ihre Deutung From Trauma to Traumatisation to the Offender-victim Geometry – Traces of Violence on Human Skeletal Remains and their Interpretation

Heidi Peter-Röcher 45Gewalt und Gesellschaft: Sesshaftwerdung, „Staatsentstehung“ und die unterschiedlichen Erschei-nungsformen der Gewalt Violence and Society: Sedentarization, “State Formation” and the Various Dimensions of Violence

Wolf-Rüdiger Teegen 55Tierquälerei – oder ...? Gewalt gegen Haustiere im archäologischen Befund – Ein methodischer Beitrag Cruelty to Animals – or...? Violence against Domestic Animals in the Archaeological Record – A Metho-dological Contribution

Frühmittelalter und Spätantike

Christian Meyer, Klaus Wirth und Kurt W. Alt 65Gold, Gewalt und Gebrechen. Die Beziehung zwischen sozialem Status und traumatischem Skelett-befund im frühen Mittelalter am Beispiel des Hermsheimer Bösfelds, Mannheim-Seckenheim Gold, Violence and Affliction. The Relationship between Social Status and Traumatic Skeletal Injuries in the Early Middle Ages Using the Example of the Hermsheimer Bösfeld, Mannheim-Seckenheim

Roland Prien 81Die Spätantike als Gewaltnarrativ. Zum archäologischen Niederschlag des sogenannten Magnentius-Horizontes aus der Mitte des 4. Jahrhunderts n. Chr. Late Antiquity as Narrative of Violence. Archaeological Traces of the So-called Magnentius-Horizon of the mid-4th Century AD

Bronze- und Kupferzeit

Thomas Terberger, Anne Dombrowsky, Jana Dräger, Detlef Jantzen, Joachim Krüger und 93Gundula Lidke

Professionelle Krieger in der Bronzezeit vor 3300 Jahren? Zu den Überresten eines Gewaltkonfliktes im Tollensetal, Mecklenburg-Vorpommern Professional Warriors in the Bronze Age 3300 Years Ago? The Remains of a Violent Conflict from the Tollense Valley, Mecklenburg-Western Pomerania

Ute Brinker, Stefan Flohr, Jürgen Piek, Annemarie Schramm und Jörg Orschiedt 111Getötet am Fluss. Die bronzezeitlichen Menschenreste aus dem Tollensetal, Mecklenburg- Vorpommern Killed at the River. Bronze Age Human Remains from the Tollense Valley, Mecklenburg-Western Pomerania

Tobias Mörtz 121Gedenke deines Feindes! Zur sozialgeschichtlichen Aussagekraft spätbronzezeitlicher Waffendepo-nierungen Großbritanniens Commemorate your Enemy! On the Socio-historical Significance of Late Bronze Age Weapon Depositions in Britain

Jan-Heinrich Bunnefeld 133Der Häuptling und sein Schwert? – Anmerkungen zur sozialen Stellung des Schwertträgers in der älteren nordischen Bronzezeit The Chief and his Sword? – Comments Regarding the Social Position of the Sword-bearing Man in the Early Nordic Bronze Age

Florian Klimscha 145Technikarchäologische Perspektiven zum Aufkommen spezialisierter Angriffswaffen aus Stein und Kupfer in der südlichen Levante (4.–3. Jahrtausend v. Chr.) Technical-archaeological Perspectives for the Emergence of Specialized Assault Weapons Made of Stone and Copper in the Southern Levant (4th–3rd Millennium BC)

Svend Hansen 159Der Held in historischer Perspektive The Hero in Historical Perspective

Helga Vogel 169Der Königsfriedhof von Ur und das Problem der so genannten Gefolgschaftsbestattungen The Royal Cemetery at Ur and the Problem of the So-called Attendants Burials

Steinzeiten

Jörg Petrasch 187Gewalttätige und friedliebende Gemeinschaften im neolithischen Mitteleuropa oder gab es eine Evolution der Gewalt während der Jungsteinzeit? Violent and Peace-loving Communities in Neolithic Central Europe or Was there an Evolution of Violence during the Neolithic?

Immo Heske und Silke Grefen-Peters 203Gewalt im Detail. Bestattungen der Glockenbecherkultur in Niedersachsen mit Hinweisen auf Dimensionen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung Violence in Detail. Burials of the Bell Beaker Culture in Lower Saxony with References to Dimensions of Social Conflict

Andreas Neubert, Jörg Wicke und Horst Bruchhaus 217Mit der Axt – durch die Axt. Der Zusammenhang von Schädeldefekt und Waffenbeigabe in Bestat-tungen des schnurkeramischen Kulturkreises With the Axe – by the Axe. The Relationship of Skull Defect and Weapons in Burials of the Corded Ware Culture

Thomas Saile 225Ein Kampf um Altheim? Zur Unschärfe vorgeschichtlicher Lebensbilder A Fight for Altheim? The Fuzziness of Prehistoric Life Images

Eric Biermann 237Gewalt und Aggression in Alt- und Mittelneolithikum. Keulenköpfe und Äxte als Indikator für Krieg, Prestige und Gruppenidentität Violence and Aggression in the Early and Middle Neolithic. Mace Heads and Axes as an Indicator of War, Prestige, and Group Identity

Hans-Christoph Strien, Joachim Wahl und Christina Jacob 247Talheim – Ein Gewaltverbrechen am Ende der Bandkeramik Talheim – A Violent Crime at the End of the Linear Pottery Culture

Andrea Zeeb-Lanz 257Gewalt im Ritual – Gewalt an Toten. Die Krise am Ende der Bandkeramik im Spiegel außer-gewöhnlicher Befunde Violence in Ritual – Violence against the Dead. The Crisis at the End of the Linear Pottery Culture Reflected by Exceptional Features

Thomas Link 271Gewaltphantasien? Kritische Bemerkungen zur Diskussion über Krieg und Krise am Ende der Band-keramik Fantasies of Violence? Critical Remarks on the Discussion of War and Crisis at the End of the Linear Pottery Culture

Gligor Daković 287War and Violence among Prehistoric Hunter-gatherers Krieg und Gewalt bei prähistorischen Wildbeutern

T. Link / H. Peter-Röcher (Hrsg.), Gewalt und Gesellschaft. Dimensionen der Gewalt in ur- und frühgeschichtlicher Zeit. Internationale Tagung vom 14.–16. März 2013 an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Universitätsforschungen zur Prähistorischen Archäologie 259 (Bonn 2014) 15–18.

Gewalt und Gesellschaft – Einführung und Ausblick

Thomas Link und Heidi Peter-Röcher

ZusammenfassungIm Fokus der Tagung standen verschiedene Formen der Gewalt in ihrer Bindung an soziale Strukturen von der Steinzeit bis in das frühe Mittelalter. Die Beiträge blieben nicht auf das Thema Krieg beschränkt, das auch bereits Gegenstand einiger anderer Symposien war, sondern versuchten vielmehr, unterschiedliche Ge-waltformen und Ebenen in ihrem gesellschaftlichen und kulturgeschichtlichen Kontext zu differenzieren. Da die meisten bisherigen Untersuchungen zu Gewalt und Krieg auf einzelne Epochen und Regionen bezogen sind, war ein Ziel der Tagung, eine diachrone und überregionale Betrachtungsweise anzuregen. Ein weiteres Hauptanliegen war die Förderung des interdisziplinären Dialogs zwischen Archäologie und Anthropologie.

In vielen Beiträgen wurde die nach wie vor häufig anzutreffende Gleichsetzung von Gewalt und Krieg kritisch hinterfragt und stattdessen deutlich gemacht, dass Gewalt in vielfältiger Form auch außerhalb des Kontexts kriegerischer Handlungen in mehr oder weniger „alltäglichen“ Situationen auftritt. Problematisch stellten sich dabei zunächst die verschiedenen divergierenden Definitionen des Gewaltbegriffs in unterschied-lichen Forschungstraditionen dar, ihre Gegenüberstellung führte aber schließlich zu einer ausgesprochen fruchtbaren Diskussion.

Ein wichtiges Fazit der Tagung ist, dass lineare Modelle zur Entwicklung der Gewalt in der Menschheits-geschichte viel zu vereinfachend sind und einer differenzierten Betrachtung der Quellen weichen müssen. Gewalt fügt sich in kein einfaches evolutives Schema, sondern ist als kulturelles Phänomen Bestandteil ge-sellschaftlicher Prozesse. Sie muss in ihrem jeweiligen kulturhistorischen Kontext betrachtet und verstanden werden. Die im Rahmen des Symposiums präsentierten Fallbeispiele zeigten vielversprechende Ansätze hierzu auf. Eine Herausforderung für die Archäologie wird es jedoch sein, ein differenzierteres Bild der Vergangenheit auch interdisziplinär zu kommunizieren und gegen die nach wie vor dominanten, zur Übersimplifizierung neigenden Modelle im sozial- und kulturwissenschaftlichen Diskurs zu positionieren. Die Tagung „Gewalt und Gesellschaft“ versteht sich als Beitrag zur Weiterentwicklung tragfähiger archäologischer und anthropo-logischer Grundlagen für einen zukünftigen fundierten Dialog.

Abstract: Violence and Society – Introduction and ProspectsThe symposium has focused on the various types of violence and their relations to social structures from the Stone Age to Early Medieval Times. This not only included armed conflicts which have already been the subject of several other symposia, but also the various dimensions of violence in its social and cultural context. As archaeological studies mostly deal with particular time periods and regions as isolated entities, the symposium was intended to encourage a diachronic and multi-regional perspective. The symposium was also intended to promote interdisciplinary dialogue between archaeology and physical anthropology.

In many papers the equation of violence and warfare which is still frequently assumed was critically ana-lysed. Thus it was made clear that violence occurs in various forms beyond the context of armed conflicts in more or less “everyday” situations. The diverging concepts of violence in various research traditions appeared problematically at first, however contrasting the concepts finally led to a highly fruitful discussion.

A major result of the symposium is that linear models are oversimplifying the development of violence in the history of mankind and must give way to a more subtle analysis of the archaeological record. Violence

16 Link/Peter-Röcher, Gewalt und Gesellschaft

Unter dem Titel „Gewalt und Gesellschaft. Dimensi-onen der Gewalt in ur- und frühgeschichtlicher Zeit“ fand vom 14. bis 16. März 2013 eine internatio-nale Tagung an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg statt. Die Veranstalter konnten rund 130 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland, Österreich, Tschechien, Serbien, Spanien, Großbri-tannien, Polen, der Schweiz und den Niederlanden im Toscanasaal der Würzburger Residenz willkom-men heißen. Ermöglicht wurde das Symposium durch eine Förderung der VolkswagenStiftung, der an dieser Stelle herzlich gedankt sei.

Für einen weitgehend reibungslosen Ablauf der Tagung sorgten Erika Littmann, Juliane Meyer, Frank Nuding, Markus Roth, Philipp Schinkel und Sasheena Wölfle mit ihrem unermüdlichen Einsatz. Ein großer Dank geht auch an Marcel Honeck, ohne den Redaktion, Übersetzungen in die englische Spra-che und Layout nur schwer zu realisieren gewesen wären.

Leider war es nicht allen Vortragenden möglich, einen Beitrag zum vorliegenden Tagungsband zu leisten. Auf die Vorträge und Beiträge soll hier je-doch im Einzelnen nicht eingegangen werden, da dies an anderer Stelle bereits ausführlich geschehen ist (Link 2014). Einleitend finden sich thematisch übergreifende allgemeine Erörterungen zum Thema Gewalt aus archäologischer, anthropologischer und zoologischer Sicht. Die darauf folgenden epochen-spezifischen Beiträge sind nicht, wie sonst zumeist üblich, chronologisch von alt nach jung geordnet, sondern führen vom Frühmittelalter zurück bis in das Paläolithikum. Hintergrund dieser „umge-kehrten“ Abfolge war die Strategie, sich vom besser Bekannten zum Unbekannten voranzutasten. Ein erfreulicher Nebeneffekt war, dass der bei vielen Ta-gungen zu beobachtende Exodus der „Urgeschicht-ler“ mit Auftreten erster historischer Bezüge im Vortragsprogramm wirkungsvoll verhindert werden konnte. Das Zurückschreiten durch die Zeit von Epochen mit schriftlichen Quellen in das „Dunkel

der Vorgeschichte“ macht zum einen deutlich, dass die Ansatzpunkte zum Verständnis der gesellschaft-lichen Hintergründe von Gewaltereignissen in prähi-storischen Kontexten noch viel problematischer sind als in jüngeren Zeiten. Zum anderen wird aber auch erkennbar, wie sehr die Deutung vorgeschichtlicher Befunde durch historische Quellen und Modellvor-stellungen, die sich an Mittelalter und Neuzeit ori-entieren, vorgeprägt ist.

Generell scheint oftmals die Gegenwart der ent-scheidende Bezugspunkt für die Beurteilung von Gewalt und Krieg zu sein, so etwa, wenn die von H. Münkler (2004) als „neue Kriege“ beschriebenen Ge-waltsamkeiten zerfallener Staaten als „uralt“ bezeich-net werden. Da die Voraussetzung für eine solche Einschätzung, das ehemalige Vorhandensein eines Staatswesens, in prähistorischer Zeit gar nicht gege-ben ist, kann dieses Modell für die Beschreibung der Zustände in der Vorgeschichte, wenn überhaupt, nur eingeschränkt nützlich sein. Auffällig ist auch, dass die erheblichen Unterschiede zwischen den Zeiten nicht immer deutlich herausgestellt werden, sondern scheinbar alles in allen Zeiten zu finden ist, ob es sich nun um beabsichtigte tödliche Gewalt gegen Menschen und Tiere, um Menschenopfer, Hinrich-tungen, Sklaverei, Massaker diverser Art oder um Schlachtfelder handelt, deren Definition bei Be-darf einfach entsprechend angepasst wird. Oftmals werden auch Befunde herangezogen, die noch gar nicht ausreichend publiziert sind – so beispielswei-se das bereits von verschiedener Seite als Massaker bezeichnete linienbandkeramische „Massengrab“ von Schöneck-Kilianstädten. Die bisher bekannten Traumata, nämlich eine potentiell anthropogen verur sachte Schädelverletzung und zahlreiche peri-mortal frakturierte Langknochen, in aufsteigender Reihenfolge Femur, Ulna, Radius, Humerus, Fibula und Tibia (Meyer u. a. 2013, 118), lassen sich je-doch auf den ersten Blick, vergleicht man sie mit denen aus Talheim, nur schwer mit einer Deutung als Massaker in Einklang bringen. Ein Zusammenhang

does not follow any simple evolutionary scheme but is a cultural phenomenon and as such an integral part of social processes. Violence must be viewed in its specific cultural and historical context. The papers presented at the symposium showed promising attempts in this direction. However, a future challenge for archaeology will be interdisciplinary communication of a more subtly differentiated picture of the past. This also needs to be taken into account by the general social and cultural scientific discourse yet dominated by oversimpli-fied archaeological models. The symposium “Violence and Society” made a contribution to create a reliable archaeological and anthropological basis for a future informed dialogue.

17Gewalt und Gesellschaft. Tagung Würzburg 14.–16. März 2013

mit ritueller Gewalt gegenüber Verstorbenen, wie sie in etwas anderer Art in Herxheim vorliegt, erscheint ebenso plausibel, wenn nicht sogar naheliegender. Interessanterweise wird von anthropologischer Seite bezüglich Talheim dezidiert darauf hingewiesen, dass Keulen als Waffen auszuschließen seien, während von archäologischer Seite der Einsatz derartiger Waffen angenommen wird. Oft sind es dieselben, mit Krieg in Zusammenhang gebrachten, für eine Beurteilung aber noch nicht ausreichend publizierten Befunde (Asparn-Schletz, Herxheim, Schöneck-Kilianstädten, Eulau, Wassenaar, Sund), die die Grundlage für wi-dersprüchliche Deutungen bilden. Am Beispiel Tal-heim, dem nach wie vor einzig sicheren neolithischen Massaker, zeigt sich jedenfalls die Notwendigkeit des Dialogs zwischen Anthropologie und Archäologie. Dabei versteht es sich von selbst, dass auch die Er-gebnisse anthropologischer Untersuchungen kritisch gesehen werden müssen, da keineswegs alle derart zu überzeugen vermögen, wie die Analyse der Verlet-zungen von Talheim (Wahl/König 1987).

Vieles ist noch zu erforschen und zu diskutieren – so mag das spannende Fazit der Tagung lauten, wobei ein diachroner Blick zweifellos hilft, die jeweils eige-nen Befunde in ein angemessenes Licht zu rücken. Es ist sicher nicht als Zufall, sondern als Hinweis auf gesellschaftlich bedingte Phänomene zu betrachten, dass die Mehrzahl der neolithischen Schädelverlet-zungen verheilt ist und daher das Ziel der Gewalt nicht der Tod des Gegenübers gewesen sein kann, wie auch R. Schulting und L. Fibiger (2012, 13) in ihrer Einleitung zu den Beiträgen eines auf neoli-thische Gewalt beschränkten Tagungsbandes feststel-len müssen. Als Ausnahmen von dieser Regel sahen sie die bereits angeführten, teilweise noch nicht aus-reichend publizierten Befunde in Talheim (Wahl/König 1987), Asparn-Schletz und Herxheim. In späteren Zeiten kann vom Überwiegen verheilter Verletzungen keine Rede mehr sein – gekämpft wurde zunehmend, um zu töten (vgl. etwa Fiora-to u. a. 2000; Meller 2009; Zimmermann 2009; Brock/Homann 2011; Redfern 2011; Heinrich-Tamáska 2013). Schlachten bis zum bitteren Ende, Massengräber im Kampf gefallener Männer und Schutzbewaffnung lassen sich eben nicht zu allen Zeiten nachweisen, sondern, sofern die Interpretati-on der Befunde aus dem Tollensetal als Schlachtfeld zutrifft, erst ab der fortgeschrittenen Bronzezeit. Pa-rallel dazu scheint sich beispielsweise auch der Cha-rakter der Felsbilddarstellungen zu wandeln, indem erstmals tödlich endende Auseinandersetzungen und

Schlachten, darüber hinaus auch Schutzbewaffnung, dargestellt sein könnten (Toreld 2012, bes. Fig. 4; 7; Tanum 2009, 43). Interessant wäre auch die Frage, ob bzw. wann und wie sich der Umgang mit Haus-tieren ändert, der im vorliegenden Band ja lediglich für die römische Kaiserzeit und das Mittelalter un-tersucht wird.

In der Diskussion im Anschluss an die Tagung wurden grundlegende Fragen zur Definition von Ge-walt und Krieg aufgegriffen. Während der (physisch-)anthropologische Gewaltbegriff sämtliche traumati-sierenden physischen Einwirkungen umfasst, bedarf die Archäologie für die kulturhistorische Deutung einer differenzierteren Begrifflichkeit. So wurde etwa in Frage gestellt, ob Manipulationen des Körpers bei der Totenbehandlung oder die intentionelle Frag-mentierung von Knochen und Artefakten im Zuge von Ritualen überhaupt als Gewalt bezeichnet wer-den sollten. Problematisch scheint dabei vor allem, dass Gewalt in der Gegenwart fast immer negativ konnotiert ist, was aber bei den genannten rituellen Handlungen sicher nicht impliziert werden darf. Eine neutrale Grunddefinition könnte Gewalt als jegliche gegen die persönliche Integrität eines Ande-ren gerichtete Handlung verstehen. Dies schließt ei-nerseits auch nicht-physische Formen der Gewaltaus-übung mit ein und nimmt andererseits Handlungen wie die Fragmentation im Bestattungsritual aus, da diese trotz der physischen Zerstörung die persönliche Integrität nicht verletzen, sondern im Gegenteil wo-möglich sogar zu ihrer Wahrung erforderlich sind.

Kritisiert wurde zudem die nach wie vor häufig anzutreffende Gleichsetzung von Gewalt und Krieg, die auch im vorliegenden Tagungsband keine geringe Rolle spielt. Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass in vielen Beiträgen das Thema Krieg eine dominan-te Rolle einnimmt. Wie im Lauf der Tagung aber dennoch deutlich wurde, tritt Gewalt in vielfältiger Form auch außerhalb des Kontexts kriegerischer Handlungen in mehr oder weniger „alltäglichen“ Situationen auf. Die in der Archäologie noch immer geradezu reflexartige Suche nach einer Erklärung für Gewalt unter den Vorzeichen „Krieg“ und „Krise“ sollte stattdessen in höherem Maß durch den Blick auf das komplexe Wechselspiel von „Gewalt und Ge-sellschaft“ erweitert werden.

Die Tagung machte deutlich, dass klare Ent-wicklungslinien, wie etwa der von S. Pinker (2011) konstruierte kontinuierliche Rückgang der Gewalt im Lauf der Menschheitsgeschichte, viel zu vereinfa-chend sind und einer differenzierten Betrachtung der

18 Link/Peter-Röcher, Gewalt und Gesellschaft

Quellen weichen müssen (vgl. dazu auch die Kritik bei Ziemann 2012). Gewalt fügt sich in kein ein-faches evolutives Schema, sondern ist als kulturelles Phänomen Bestandteil gesellschaftlicher Prozesse, die es genauer zu beleuchten gilt. Gerade weil die in den Nachbardisziplinen bereits lange etablierte Aus-einandersetzung mit dem Thema Gewalt immer wie-der Bezug auf archäologische Fallbeispiele nimmt, sind Archäologie und Anthropologie gehalten,

tragfähige Grundlagen für einen zukünftigen fun-dierten Dialog zu schaffen. Eine Herausforderung für die Archäologie wird es sein, ein differenzierteres Bild der Vergangenheit auch interdisziplinär zu kommunizieren und gegen die nach wie vor domi-nanten, auf erratischen Beispielen basierenden und daher zwangsläufig stark vereinfachenden Modelle im sozial- und kulturwissenschaftlichen Diskurs zu positionieren.

Literaturverzeichnis

Brock/Homann 2011: T. Brock/A. Homann, Schlachtfeldar-chäologie. Auf den Spuren des Krieges. Arch. Deutschland Sonderh. 2/2011 (Stuttgart 2011).

Fiorato u. a. 2000: V. Fiorato/A. Boylston/C. Knüsel (Hrsg.), Blood Red Roses. The Archaeology of a Mass Grave from the Battle of Towton AD 1461 (Oxford 2000).

Heinrich-Tamáska 2013: O. Heinrich-Tamáska (Hrsg.), Rauben. Plündern. Morden – Nachweis von Zerstörung und kriegerischer Gewalt im archäologischen Befund. Tagungs-beiträge der Arbeitsgemeinschaft Spätantike und Frühmittel-alter 6. Zerstörung und Gewalt im archäologischen Befund (Bremen, 5.–6.10.2011). Stud. Spätantike u. Frühmittelalter 5 (Hamburg 2013).

Link 2014: T. Link, Gewalt und Gesellschaft. Dimensionen der Gewalt in ur- und frühgeschichtlicher Zeit. Bericht zur Tagung vom 14.–16. März 2013 in Würzburg. Ethnogr.-Arch. Zeitschr. 53,1/2, 2012 (2014), 102–107.

Meller 2009: H. Meller (Hrsg.), Schlachtfeldarchäologie. Battle-field Archaeology. 1. Mitteldeutscher Archäologentag vom 09. bis 11. Oktober 2008 in Halle (Saale). Tagungen Landesmus. Vorgesch. Halle (Saale) 2, 2009 (Halle [Saale] 2009).

Meyer u. a. 2013: C. Meyer/C. Lohr/H.-C. Strien/D. Gronenborn/K. W. Alt, Interpretationsansätze zu ‚irregu-lären‘ Bestattungen während der linearbandkeramischen Kultur: Gräber en masse und Massengräber. In: N. Müller-Scheeßel (Hrsg.), ‚Irreguläre‘ Bestattungen in der Urge-schichte: Norm, Ritual, Strafe …? Akten der Internationalen Tagung in Frankfurt a. M. vom 3. bis 5. Februar 2012. Koll. Vor- u. Frühgesch. 19 (Bonn 2013) 111–122.

Münkler 2004: Die neuen Kriege (Reinbek 2004).Pinker 2011: S. Pinker, The Better Angels of our Nature. The

Decline of Violence in History and its Causes (London 2011).

Redfern 2011: R. C. Redfern, A Re-appraisal of the Evidence for Violence in the Late Iron Age Human Remains from Maiden Castle Hillfort, Dorset, England. Proc. Prehist. Soc. 77, 2011, 111–138.

Schulting/Fibiger 2012: R. Schulting/L. Fibiger (Hrsg.), Sticks, Stones, and Broken Bones: Neolithic Violence in a European Perspective (Oxford 2012).

Tanum 2009: Documentation and Registration of Rock Art in Tanum. Dokumentation och registrering av hällristningar Nr. 3 (Tanumshede 2009).

Toreld 2012: A. Toreld, Svärd och mord – nyupptäckta häll-ristningsmotiv vid Medbo i Brastad socken, Bohuslän. Forn-vännen 107,4, 2012, 241–252.

Wahl/König 1987: J. Wahl/H. G. König, Anthropologisch-traumatologische Untersuchung der menschlichen Skelet-treste aus dem bandkeramischen Massengrab bei Talheim, Kreis Heilbronn. Mit einem Anhang von J. Biel. Fundber. Baden-Württemberg 12, 1987, 65–193.

Ziemann 2012: B. Ziemann, Eine „neue Geschichte der Menschheit“? Anmerkungen zu Steven Pinkers evolutiver Deutung der Gewalt. Mittelweg 36,3, 2012, 1–11.

Zimmermann 2009: M. Zimmermann (Hrsg.), Extreme Formen von Gewalt in Bild und Text des Altertums. Münchner Stud. Alte Welt 5 (München 2009).

Thomas LinkHeidi Peter-RöcherLehrstuhl für Vor- und frühgeschichtliche Archäologie, Julius-Maximilians-Universität WürzburgResidenzplatz 2, Tor A, 97070 Wü[email protected] [email protected]