Der Zusammenhang zwischen Produktivität und Bodiversität

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53 HAUPTTEIL Fallstudien und Übersichten zur Biodiversität in Kulturlandschaften

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HAUPTTEIL

Fallstudien und Übersichten zur Biodiversität in Kulturlandschaften

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tiere von großer Bedeutung sind (Abb. 19; Dauber et al. 2005; Schmidt et al. 2005;

Dahms et al. 2010) und keinesfalls isoliert betrachtet werden sollten (Firbank et al.

2008). Shennan (2008) kommt daher in einem Review zu dem Schluss, dass die

Landnutzungsintensität vermutlich vor allem den Artenreichtum beeinflusst, wäh-

rend die Landschaftsstruktur wohl stärker die Zusammensetzung der Tiergemein-

schaften in Hinblick auf die Ernährungsweise und Mobilität prägt.

Zusammenfassung

Kulturlandschaften in der Europäischen Union unterliegen einem kontinuierlichen

Wandel und sind in der jüngeren Vergangenheit vor allem durch eine Abnahme der

landwirtschaftlichen Nutzflächen und eine Zunahme des Waldanteils geprägt. Diese

Veränderungen wirken direkt auf das Vorkommen von Arten, da sich biochemische,

biophysikalische und strukturelle Bedingungen auf diesen Flächen nach der Um-

wandlung ändern. Indirekt beeinflusst der Landwandel Abundanz und Diversität der

Fauna hauptsächlich durch eine Änderung der Vernetzung und Heterogenität der

Landschaft. Dabei scheinen weniger mobile Gruppen (bspw. Bodenfauna) stärker

durch kleinräumige Landschaftsparameter gesteuert als mobilere Arten. Insbeson-

dere die Zusammensetzung der Bodenfauna wird durch diese kleinräumigen Eigen-

schaften der Landschaft beeinflusst, wohingegen die Diversität und Abundanz der

mobileren, bodenaktiven Räuber auch durch eine Vereinfachung der Landschaft auf

größeren Skalen abnimmt. Durch den Vergleich verschiedener funktioneller Gruppen

und ihrer Wechselwirkungen mit unterschiedlichen Landschaftsparametern wird

deutlich, dass Fördermaßnahmen, welche lediglich auf einzelne Landschafts -

eigenschaften oder räumliche Skalen abzielen, nicht geeignet sind, die faunistische

Diversität und damit verbundene Funktionen in agrarischen Systemen nachhaltig zu

fördern. Vielmehr muss bei der Planung solcher Maßnahmen ein Ansatz über mul-

tiple Skalen und mit fest definierten Zielen angelegt werden.

2.2.3 Der Zusammenhang zwischen Produktivität und Biodiversität

Harald Auge, Daniel Prati, Claudia Stein

Unter den Funktionen eines Ökosystems spielt dessen Produktivität eine heraus -

ragende Rolle. Die Primärproduktion ist ein grundlegender Ökosystemprozess, bei

dem autotrophe Organismen – in erster Linie die grünen Pflanzen – organische Sub-

stanz bereitstellen, welche als Grundlage für das gesamte Nahrungsnetz und die

Stoffkreisläufe in einem Ökosystem dient. Die Primärproduktion stellt deshalb nicht

nur eine wichtige unterstützende Ökosystemdienstleistung dar (Millenium Ecosys-

tem Assessment (MEA 2005 a)), sondern ist zugleich auch als bereitstellende Dienst-

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leistung von zentraler Bedeutung, denn sie bestimmt zum Beispiel die Menge an

Nahrungsmitteln, Holz oder Heu, die ein Ökosystem liefern kann.

Aufgrund der Bedeutung der Primärproduktion als grundlegender Prozess und

Dienstleistung eines Ökosystems stellt sich die Frage, auf welche Weise die biologi-

sche Vielfalt und die Produktivität eines Ökosystems zusammenhängen. Tatsächlich

hat in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Studien versucht, eine Antwort auf

diese Frage zu geben. Die Mehrzahl dieser Studien untersuchte Grasland-Ökosyste-

me, während entsprechende Experimente in Wäldern noch keine allgemeinen

Schlussfolgerungen erlauben, da sie erst in den letzten Jahren angelegt wurden

(Scherer-Lorenzen et al. 2005). Auch wir möchten uns hier auf Grünländer konzen-

trieren, wie sie von uns im DIVA-Projekt untersucht wurden. Allerdings fallen die Er-

gebnisse in Grünland-Ökosystemen sehr widersprüchlich aus:

Theoretische Betrachtungen führen häufig zu der Aussage, dass die Beziehung

zwischen Pflanzenvielfalt und Produktivität einer unimodalen Kurve folgen sollte

(»hump-shaped curve«). Da bei sehr niedriger ebenso wie bei hoher Produktivität

nur wenige Pflanzenarten pro Flächeneinheit vorkommen sollten, erwartet man bei

mittlerer Produktivität die höchste Artenvielfalt von Pflanzen (Grime 1973; Rosen-

zweig 1992). Dieses Muster konnte vor allem mit Hilfe von Experimenten bestätigt

werden, welche manipulativ (z. B. durch Düngung) einen Gradienten der Nährstoff-

versorgung erzeugten. Beobachtende Studien, die natürliche Produktivitätsgradien-

ten zwischen verschiedenen Ökosystemen betrachten, führen jedoch zu weit weniger

eindeutigen Ergebnissen (Waide et al. 1999; Mittelbach et al. 2001). Zudem zeigen

zahlreiche Experimente, bei denen die Artenzahl der Pflanzen künstlich variiert wur-

de, konsistent einen monotonen Anstieg der Produktivität (und vieler anderer Öko-

systemprozesse) mit zunehmender Artenvielfalt (Hooper et al. 2005; Roscher et al.

2005; Spehn et al. 2005).

Der Widerspruch zwischen diesen Resultaten – einer unimodalen Beziehung zum

einen und einem monoton positiven Zusammenhang zwischen Artenvielfalt und

Produktivität zum anderen – hat zu einer wissenschaftlichen Kontroverse geführt.

Die Erklärung für diesen Widerspruch besteht jedoch darin, dass die Beziehung zwi-

schen Biodiversität und Produktivität aus zwei unterschiedlichen Perspektiven und

auf zwei unterschiedlichen räumlichen Skalen betrachtet werden kann (Bengtsson et

al. 2002; Schmid 2002). Erstens kann man fragen: Wie beeinflusst die unterschied-

liche Produktivität von Ökosystemen deren biologische Vielfalt? Hier wird also die

Biodiversität als abhängige Variable und die Produktivität als unabhängige Variable

betrachtet. Diese Herangehensweise ist Teil der übergeordneten Frage, von welchen

Faktoren und Prozessen die biologische Vielfalt in einem Ökosystem abhängt, und

bezieht sich in erster Linie auf den Vergleich zwischen verschiedenen Ökosystemen

in einer Landschaft, in einer Region oder auf einem Kontinent. Zweitens kann man

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die Frage aber auch umgekehrt stellen: Wie beeinflusst die biologische Vielfalt die

Produktivität eines Ökosystems? Jetzt ist die Produktivität die abhängige und die Bio-

diversität die unabhängige Variable, und es interessiert, ob die Abnahme der biolo-

gischen Vielfalt sich auf das Funktionieren eines Ökosystems auswirkt. Wird die Fra-

ge in dieser Form gestellt, dann findet man meist, dass sich die Produktivität eines

Ökosystems bei abnehmender Artenvielfalt vermindert – zumindest bei Experimen-

ten mit künstlichen Pflanzengemeinschaften.

Wenden wir uns zunächst der ersten Frage zu, wie die Produktivität eines Öko-

systems die Pflanzenartenvielfalt beeinflusst. Zwar ist die oben erwähnte »hump-

shaped curve« die häufigste Antwort auf diese Frage (Abb. 20 a), doch gibt es im Hin-

blick auf die Mechanismen, welche zu diesem Muster führen, unterschiedliche

Auffassungen. Die ursprüngliche Erklärung ist, dass (1) in Ökosystemen, welche

durch abiotischen Stress gekennzeichnet sind, nur wenige Arten (ko-)existieren kön-

nen und gleichzeitig nur eine geringe Biomasse produziert wird, (2) in sehr produk-

tiven Ökosystemen sich wenige, besonders konkurrenzstarke Arten durchsetzen,

und (3) deshalb bei mittlerer Produktivität die Artenvielfalt am höchsten sei (Grime

1973). Es werden jedoch auch alternative Mechanismen diskutiert: So kann die nied-

rige lokale Pflanzenvielfalt in hochproduktiven Ökosystemen auch dadurch verur-

sacht sein, dass in den regionalen Artenpools – als Ergebnis evolutionärer Prozes-

se – nur wenige, an diese hohe Produktivität angepasste Arten existieren (Aarssen

2001). Oksanen (1996) verweist außerdem darauf, dass bei hoher Produktivität auch

die Größe der Pflanzen zunehmen und allein dadurch die Zahl der Individuen und

der Arten pro Flächeneinheit sinken kann. Beobachtende Studien zeigten auch, dass

die »hump-shaped curve« eigentlich nur die obere Begrenzung einer diffusen Punkt-

wolke ist, welche die Fläche unter der Kurve entlang des Produktivitätsgradienten

ausfüllt. Dies lässt sich dadurch erklären, dass die Artenvielfalt noch durch zahlreiche

andere Faktoren, die auf lokaler oder regionaler Skala wirken, beeinflusst wird (Rick-

lefs 1987; Huston 1999). Deshalb sind meist nicht alle Arten, die in einem Ökosys-

tem koexistieren könnten, tatsächlich auch in diesem vorhanden.

Die zweite Fragestellung, wie sich ein Verlust an biologischer Vielfalt auf die Pro-

duktivität eines Ökosystems auswirkt, ist bisher vorwiegend anhand experimenteller

Artengemeinschaften im Grünland untersucht worden (Schmid et al. 2001), zum

Beispiel im Rahmen des Jena-Experiments (Roscher et al. 2005), des Cedar-Creek-

Experiments in Minnesota, USA, (Tilman et al. 1996) oder des BIODEPTH-Projekts

(Hector et al. 1999). Die Ergebnisse dieser Experimente zeigen übereinstimmend,

dass die Zahl der Pflanzenarten und der funktionellen Typen sich positiv auf die Pro-

duktivität, aber auch auf viele andere Ökosystemprozesse auswirkt (Abb. 20 b), wo-

bei der Effekt der Artenzahl meist stärker ist als der Effekt der konkreten Artenzu-

sammensetzung (Hooper et al. 2005; Spehn et al. 2005). Dieser Biodiversitätseffekt

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kann durch mehrere Mechanismen erklärt werden (Schmid et al. 2001; Hooper et al.

2005): (1) Mit steigender Diversität nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass eine

Pflanzenart mit einem besonders starken Einfluss auf die Produktivität vertreten ist

(»sampling effect«). (2) Nischendifferenzierung zwischen den Arten verringert die

Konkurrenz und führt zu einer besseren Ressourcennutzung durch die Artengemein-

schaft (»complementarity effect«). (3) Positive Interaktionen finden zum Beispiel

statt, wenn eine Art den abiotischen Stress für eine andere Art mildert oder eine

wichtige Ressource für diese bereitstellt (»facilitation effect«). Diese drei Prozesse

schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern wirken parallel, zum Beispiel ist der

positive Einfluss von Stickstofffixierern (z. B. Leguminosen) auf die Produktivität so-

wohl auf den »sampling effect« als auch auf die Wachstumsförderung anderer Arten

zurückzuführen (Spehn et al. 2005). Unter abiotischem Stress nimmt die Bedeutung

des »faciliation effect« zu (Pugnaire & Luque 2001; Callaway et al. 2002) und Arten,

welche unter optimalen Wachstumsbedingungen funktionell redundant sind, kön-

Abb. 20: Der Zusammenhang zwischenBiodiversität und Produktivität kann auszwei Perspektiven betrachtet werden, die unterschiedliche Fragen und verschie-dene Skalen berücksichtigen: (a) Entlang eines durch die Standort -bedingungen definierten Produktivitäts -gradienten sollte die biologische Vielfalt im mittleren Bereich des Gradienten amhöchsten sein (»hump-shaped curve«). (b) Verändert man die in einem Ökosystemvorhandene Biodiversität, dann sollte dieBiomasse der Vegetation als Maß für dietatsächlich realisierte Produktivität mit derDiversität positiv korrelieren. (c) Beide Ansätze können in einer konzep-tionellen Grafik vereinigt werden: Vergleichtman Ökosysteme in einer Landschaft, dannist die unterschiedliche, durch die jeweili-

gen Standortbedingungen vorgegebene Produktivität dieser Ökosysteme einer von vielenFaktoren, welche die Biodiversität kausal beeinflussen. Andere diversitätsbeeinflussendeFaktoren führen dazu, dass nicht alle potenziell möglichen Arten in dem jeweiligen Ökosys-tem vorkommen. Deshalb stellt die »hump-shaped curve« nur die obere Begrenzung einerPunktwolke dar. Betrachtet man ein einzelnes Ökosystem in dieser Landschaft (z. B. ent -weder das durch weiße oder schwarze Symbole gekennzeichnete Ökosystem), und vermin-dert dessen Biodiversität, dann verringert sich auch seine realisierte Produkti vität. Werdenalle anderen Faktoren konstant gehalten, folgt die Diversitäts-Produktivitäts-Beziehung fürjedes Ökosystem einer eigenen Trajektorie (gestrichelte Linien), die dem Verlauf der Kurve(b) entspricht (verändert nach Schmid 2002 und Bengtsson et al. 2002).

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nen in Stresssituationen synergistisch wirken und die Produktivität erhöhen (Mulder

et al. 2001).

Die beiden gegensätzlichen Betrachtungsweisen, dass Artenvielfalt einerseits von

der Produktivität abhängt, diese aber andererseits auch beeinflussen kann, lassen

sich miteinander in Einklang bringen. Betrachten wir als Beispiel naturnahe, extensiv

bewirtschaftete Grünländer in einer Mittelgebirgslandschaft. Ausgehend von der

»hump-shaped curve« würden wir zunächst erwarten, dass die Artenvielfalt auf jeder

Wiese unter anderem davon abhängt, wie hoch ihre Produktivität ist, die wiederum

durch die jeweilige Ressourcenverfügbarkeit bestimmt wird. Dabei handelt es sich

jedoch um die maximal mögliche Zahl von Arten, aber nicht notwendigerweise um

die aktuell vorhandene Artenzahl. Die realisierte Artenvielfalt wird nämlich auch

durch andere lokale Prozesse beeinflusst, wie zum Beispiel das Störungsregime oder

Herbivorie. Aber auch auf Landschaftsebene wirkende Prozesse können die lokale

Artenvielfalt verändern, wie zum Beispiel die Metapopulationsdynamik der Arten, die

durch lokales Aussterben und Wiederbesiedlung gekennzeichnet ist (Fischer &

Stöcklin 1997), und unter anderem von der Ausbreitungsfähigkeit der Arten und der

Isolation der Wiesen bestimmt wird. Aus diesen Gründen werden wir auf den Grün-

ländern meist weniger Arten finden als potenziell koexistieren könnten. Greifen wir

nun irgendeine dieser Wiesen heraus und stellen uns vor, aufgrund der genannten

natürlichen Prozesse oder infolge anthropogener Einflüsse nähme die Artenzahl auf

dieser konkreten Fläche ab. Dann würden wir – gemäß den Ergebnissen der oben ge-

nannten Biodiversitätsexperimente – erwarten, dass mit abnehmender Artenzahl

auch die Produktivität der Wiese zurückgehen sollte. Umgekehrt würde die Produk-

tivität ansteigen, wenn sich wieder mehr Pflanzenarten auf der Wiese etablieren

könnten – bis der durch die »hump-shaped curve« definierte Maximalwert der

Artenvielfalt unter den gegebenen Standortsbedingungen erreicht ist (vgl. Schmid

2002; Bengtsson et al. 2002) (Abb. 20 c).

Verhalten sich aber reale Ökosysteme tatsächlich so, das heißt sind die mittels

experimenteller Artengemeinschaften erzeugten Ergebnisse für reale Grünländer

überhaupt relevant? Wird die Artenvielfalt von Grünländern in einer konkreten Land-

schaft durch ihre Produktivität bestimmt und hat es wirklich Konsequenzen für das

Ökosystem, wenn ein paar Wiesenarten mehr oder weniger vorhanden sind? Diese

Fragen haben sowohl aus ökonomischer Sicht, zum Beispiel in Hinblick auf den Heu-

ertag, als auch aus der Sicht des Biodiversitätsschutzes große Bedeutung. Beobach-

tende, nicht-experimentelle Studien können die Einflüsse der Artenvielfalt auf die

Produktivität von der Wirkung anderer, sich gleichzeitig verändernder Faktoren nicht

trennen. Sie sind deshalb nicht geeignet, den Zusammenhang zwischen Biodiversi-

tät und Produktivität kausal aufzuklären und liefern keine eindeutigen Ergebnisse,

wie eine kürzlich publizierte Metaanalyse belegt (Grace et al. 2007).

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Aus diesem Grund führten wir im Rahmen des Verbundprojektes DIVA ein Expe-

riment durch, das der Beantwortung dieser Fragen diente (Stein et al. 2008). Auf 20

extensiv bewirtschafteten Mähwiesen im Thüringer Schiefergebirge und im angren-

zenden Frankenwald wurden zunächst die Biomasse der Vegetation (als Maß für die

Produktivität) und die Zahl der Pflanzenarten aufgenommen. Dabei zeigte sich, dass

die Grünländer zwar einen großen Gradienten der Artenzahl (10 bis 34 Arten je Qua-

dratmeter) und der Produktivität (108 bis 687 Gramm je Quadratmeter) abdeckten,

die aktuelle Artenvielfalt aber nicht wie erwartet von der Produktivität der jeweiligen

Wiese abhing. Da die Wiesen in eine »Matrix« aus Wäldern und Feldern eingebettet

sind, war zu vermuten, dass aufgrund ihrer begrenzten Ausbreitungsfähigkeit nicht

alle Arten tatsächlich überall dort vorkommen, wo sie theoretisch wachsen könnten.

Die lokale Artenvielfalt ist häufig durch das Ausbreitungsvermögen der Samen limi-

tiert, wie eine Vielzahl von Studien in anderen Regionen und in verschiedensten Öko-

systemen zeigt (Turnbull et al. 2000; Cadotte 2006). Falls die Ausbreitungslimi tierung

wirklich für das Abweichen von der erwarteten »hump-shaped curve« verantwortlich

ist, dann sollte man dies durch künstliche Einsaat aller in dieser Landschaft vorkom-

menden Wiesenarten überprüfen können. Deshalb legten wir auf allen 20 Grünlän-

dern ein Einsaatexperiment an: Auf zwei jeweils ein Quadratmeter großen Parzellen

wurden im Herbst des Jahres 2004 Samen von 60 Arten des regionalen Artenpools

in definierter Menge eingesät (100 Samen je Quadratmeter bei Arten mit einer Sa-

menmasse von mehr als 1,7 Milligramm, 300 Samen je Quadratmeter bei Arten mit

kleineren Samen). Die Einsaat fand nach der herbstlichen Mahd, aber ohne zusätz-

liche Störung der Vegetation statt, und unabhängig davon, ob einige der eingesäten

Arten auf der konkreten Fläche bereits vorkamen oder nicht. Zwei weitere, gleich gro-

ße Parzellen wurden nicht manipuliert und dienten als Kontrolle. Im Verlaufe der

folgenden Vegetationsperioden wurden auf den 20 Grünländer sowohl die Pflanzen-

biomasse der Parzellen als auch die Zahl und Identität der Arten aufgenommen.

Ein erstes wichtiges Ergebnis dieses Experiments ist, dass sich durch die Einsaat

von zusätzlichen Pflanzenarten tatsächlich die lokale Artenvielfalt deutlich erhöhen

lässt. Dieser Effekt war kein kurzfristiger, sondern er konsolidierte sich im Laufe der

Zeit: So war die Pflanzendiversität in den Einsaatparzellen im zweiten Jahr nach der

Aussaat durchschnittlich um sechs Arten je Quadratmeter bzw. 29 % höher als in

den Kontrollparzellen (Abb. 21 a). Die neu hinzugekommenen Arten waren nur zu

einem geringen Teil solche, die zwar irgendwo anders auf der jeweiligen Wiese vor-

kamen, aber nicht auf den Versuchsparzellen. Dies weist darauf hin, dass die lokale

Artenvielfalt in einem gewissen Umfang auch durch die kleinräumige Verfügbarkeit

keimfähiger Samen begrenzt wurde (Samenlimitierung; vgl. Eriksson & Ehrlén 1992;

Zobel et al. 2000). Der größte Teil der neu etablierten Arten fehlte auf den jeweiligen

Wiesen jedoch komplett, also auch im Bodensamenvorrat, den wir ebenfalls un -

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tersuchten. Da diese Arten sich nach Einsaat trotzdem erfolgreich rekrutieren konn-

ten, lag ihr Fehlen also nicht an ungünstigen Umweltbedingungen, sondern daran,

dass sie diese Wiesen bisher nicht besiedeln konnten (Ausbreitungslimitierung;

Cadotte 2006).

Gleichzeitig stellten wir fest, dass durch unsere Einsaat nicht nur die lokale

Artenvielfalt, sondern auch die Biomasse der Vegetation – also ihre Produktivität –

anstieg. Diese war auf den Einsaatparzellen im zweiten Jahr nach Beginn des Expe-

riments um 36 Gramm je Quadratmeter bzw. 15 % höher als auf den Kontrollpar -

zellen (Abb. 21 b). Unsere Ergebnisse sind auf zwei Vegetationsperioden nach der

Aussaat beschränkt. Längerfristige Untersuchungen sollen nun zeigen, ob die neu

eingesäten Arten sich selbst reproduzierende Populationen aufbauen und der Ein-

fluss auf die Produktivität der Wiesen von Dauer ist. Interessanterweise war die Zahl

der neu etablierten Arten im mittleren Bereich des natürlichen Produktivitätsgradien-

ten am höchsten. Dies bestätigt die Hypothese, dass die Möglichkeiten zur Koexis-

tenz von Pflanzenarten bei mittlerer Produktivität am günstigsten sind. Im Ergebnis

dessen veränderte sich der Zusammenhang von Diversität und Produktivität zwi-

schen den 20 Grünländern: Während auf den Kontrollparzellen ohne zusätzliche

Einsaat die Artenvielfalt nicht von der Produktivität der Wiesen abhing (Abb. 22 a),

näherten sich die Einsaatparzellen an die theoretisch erwartete »hump-shaped cur-

ve« an, das heißt die höchste Vielfalt von Pflanzenarten war bei mittlerer Produk -

tivität der Grünländer zu sehen (Abb. 22 b).

Mit unserem experimentellen Ansatz konnten wir folglich zeigen, dass die Aus-

breitungslimitierung von Pflanzen ein wichtiger Faktor ist, der die lokale Artenvielfalt

Abb. 21: Durchschnittliche Anzahl Pflanzenarten (a) und durchschnittliche Biomasse (b) jeQuadratmeter auf den Kontrollparzellen und den Einsaatparzellen der 20 extensiv genutz-ten Mähwiesen, zwei Jahre nach erfolgter Einsaat von 60 Pflanzenarten aus dem regionalenArtenpool. Dargestellt sind die Mittelwerte und Standardfehler (verändert nach Stein et al.2008). Die Mittelwertsdifferenzen sind jeweils signifikant (Artenzahl: p < 0.001; Biomasse:p < 0.01).

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von Grünländern begrenzt und zugleich die Beziehung zwischen Biodiversität und

Produktivität beeinflusst. Außerdem konnten wir erstmalig anhand realer Ökosyste-

me belegen, dass sich mit zunehmender Pflanzendiversität auch die Produktivität

eines Ökosystems erhöht, und damit die Relevanz von Ergebnissen, die bisher nur

anhand von künstlichen Pflanzengemeinschaften erhoben wurden, für reale Grün-

länder nachweisen (Stein et al. 2008). Eine praktische Schlussfolgerung daraus ist,

dass Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität von Wiesen, zum Beispiel die Ein-

saat von Arten aus dem regionalen Artenpool, auch den Heu-Ertrag steigern helfen –

und zwar ganz ohne Düngung, die zum Beispiel das Grundwasser oder benachbarte

Ökosysteme gefährden könnte. Durch eine Erhöhung der natürlichen Biodiversität

von Grünländern könnten also ökonomische Interessen in Einklang mit dem Schutz

der biologischen Vielfalt gebracht werden.

Geht man davon aus, dass noch andere Resultate, die anhand künstlicher Systeme

gewonnen wurden, für reale Grünländer zutreffen, dann sollten mit zunehmendem

Artenreichtum zum Beispiel auch die langfristige Stabilität des Ertrags erhöht und

andere Ökosystemfunktionen positiv beeinflusst werden (vgl. Tilman et al. 2006 a;

Hector & Bagchi 2007). Basierend auf solchen Daten wurde kürzlich berechnet, dass

Biomasse bzw. Bioenergie, die aus artenreichen Grünländern gewonnen wird, eine

wesentlich günstigere CO2-Bilanz aufweist als Intensivkulturen von Energiemais

oder Soja (Tilman et al. 2006 b). Außerdem wäre dann auch die Umweltbelastung

durch Mineraldünger und Pestizide drastisch reduziert, da diese kaum angewendet

Abb. 22: Durchschnittliche Anzahl Pflanzenarten je Quadratmeter in den Kontrollparzellen(a) und in den Einsaatparzellen (b) in Abhängigkeit von der Produktivität der 20 extensivgenutzten Mähwiesen, zwei Jahre nach der Einsaat von 60 Pflanzen arten aus dem regiona-len Artenpool (ver ändert nach Stein et al. 2008). Auf den Kontrollparzellen ohne zusätz -liche Einsaat hängt der Artenreichtum nicht von der Produktivität ab, während der Zusam-menhang auf den Einsaatparzellen näherungsweise der »hump-shaped curve« entspricht(linearer und quadratischer Term der Produktivität in der Kovarianzanalyse jeweils signifi-kant bei p < 0.05).

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werden müssten. Könnten Grünländer oder andere naturnahe Artengemeinschaf-

ten, zum Beispiel Brachflächen auf marginalen Standorten, zu einer nachhaltigen

Biomasseproduktion eingesetzt werden, würde dies zudem Flächennutzungskon-

flikte mindern, die sonst durch den Anbau von Energiepflanzen auf Agrarflächen ent-

stünden.

Dennoch gibt es noch entscheidende Kenntnislücken, die den Zusammenhang

zwischen Biodiversität und Produktivität betreffen, und die nur durch gezielte Expe-

rimente geschlossen werden können. So haben bisherige Biodiversitäs-Experimente

stets ein zufälliges Aussterben oder Hinzukommen von Arten simuliert, was aber ein

unrealistisches Szenario darstellt (Schmid & Hector 2004). Sind es doch in der Regel

die seltenen Arten, die auf lokaler Maßstabsebene als erste aussterben (Fischer &

Stöcklin 1997). Dies wurde in Experimenten bisher fast nie berücksichtigt (Lepš

2004), weshalb über die funktionelle Bedeutung seltener Arten nur sehr wenig be-

kannt ist. Sind seltene Arten funktionell irrelevant, weil sie nur einen geringen Anteil

zur Biomasse der Artengemeinschaft beisteuern (vgl. Lepš 2004)? Oder haben sie –

ganz im Gegenteil – sogar einen großen Einfluss auf Ökosystemprozesse, weil sie

besondere ökologische Eigenschaften aufweisen (Murray et al. 2002)? Einige der

Studien, die dieser Frage ausnahmsweise nachgingen, zeigen, dass seltene Arten ein

Ökosystem überproportional stark beeinflussen können (Lyons & Schwartz 2001; Za-

valeta & Hulvey 2004). Andere Untersuchungen deuten darauf hin, dass das Funk-

tionieren eines Ökosystems vor allem durch dominante Pflanzenarten gewährleistet

wird, selbst wenn seltene Arten aussterben (Smith & Knapp 2003).

Ein weiterer Aspekt ist, dass der aktuelle Biodiversitätswandel nicht nur durch den

Verlust einheimischer Arten, sondern auch durch biologische Invasionen gebiets-

fremder Arten gekennzeichnet ist (Kapitel 2.3.4 und 2.3.5.1). So stellen Neophyten

mit ca. 18 % einen wesentlichen Anteil an der aktuellen Flora Deutschlands dar (Kühn

& Klotz 2003), und gerade in Saatgutmischungen für Grünländer finden sich zuneh-

mend gebietsfremde Taxa (Frank & John 2007). Invasive Arten weisen oft neue funk-

tionelle Merkmale auf und können deshalb tief greifende Einflüsse auf Ökosysteme

ausüben (Gordon 1998). Außerdem haben sie keine gemeinsame koevolutionäre

Geschichte mit heimischen Pflanzen, Herbivoren, Pathogenen, Bestäubern oder My-

korrhizapilzen. Infolgedessen können invasive Arten Konkurrenz vorteile gegenüber

heimischen Arten erwerben (Keane & Crawley 2002) und ökologische Interaktionen

empfindlich stören (Stinson et al. 2006). Diese Ergebnisse lassen vermuten, dass

die Beziehung zwischen Biodiversität und Produktivität auch davon abhängt, ob die

Artengemeinschaft aus heimischen oder invasiven Pflanzenarten aufgebaut ist. Doch

auch hierzu fehlen wissenschaftliche Untersuchungen nahezu vollständig (vgl. aber

Drake et al. 2008; Wilsey et al. 2009). Die Beantwortung dieser und anderer offener

Fragen ist jedoch eine wichtige Voraussetzung, um die Beziehung zwischen biologi-

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scher Vielfalt und der Ökosystem-Dienstleistung Produktivität auf solch eine Weise

zu nutzen, dass die Belange des Naturschutzes und ökonomische Interessen tat-

sächlich miteinander in Einklang gebracht werden können.

2.2.4 Insekten in Blütenköpfen – ein alternatives Indikationsmodell

für Grünland

Wolfgang Völkl, Maria Romstöck-Völkl

Bewertung der Artenvielfalt im Grünland

Der Erhalt einer hohen Artenvielfalt im Grünland ist bereits seit den 1980er Jahren

ein wichtiges Ziel des Naturschutzes (Blab 1986). Dabei geht es sowohl um den Er-

halt der Biodiversität per se als auch um ein Landschaftsbild, das mit artenreichen

Wiesen und Weiden eine höhere Erholungsfunktion besitzt als eine intensiv genutzte

und wenig abwechslungsreiche Agrarlandschaft. Generell gilt, dass extensiv bewirt-

schaftetes Grünland eine höhere Artenvielfalt besitzt als intensiv genutztes Grünland

(Blab 1993). Aufgrund der des höheren Düngereintrags wachsen auf Letzterem meist

nur stickstoffliebende Pflanzenarten, die einen mehrmaligen Schnitt im Jahr (oder

intensive Beweidung) erlauben. Der Verlust der Pflanzenartenvielfalt – und mit ihr

der Verlust der Strukturvielfalt im Grünland – führt auch zu einer reduzierten Diver-

sität der Fauna.

Der Wert einer Grünlandfläche für den Naturschutz wird in der aktuellen Praxis

meist anhand der Bewirtschaftungsintensität, der Pflanzenartenzahl (und der Anzahl

an gefährdeten Pflanzenarten) und ausgewählter faunistischer Indikatorgruppen

oder darauf basierender Indices beurteilt. Die wichtigsten Tiergruppen sind dabei

Tagfalter, Heuschrecken und Laufkäfer sowie bei ausgedehnten Flächen auch ausge-

wählte Vogelarten (Übersichten bei Riecken 1990, 1992; Finck et al. 1992; Plachter et

al. 2002; Renker & Köhler 2004).

Diese gängige Praxis hat jedoch im zoologischen Sektor einige gravierende Nach-

teile. (1) Der Großteil der heimischen Fauna mit vielen artenreichen Tiergruppen

(Hymenopteren, Dipteren, viele Käfergruppen), der die Biodiversität wesentlich mit-

bestimmt, wird für die Bewertung kaum herangezogen, da viele Arten entweder

schwer erfassbar oder schwer bestimmbar sind. Für diese Taxa wird angenommen,

dass ihre Vorkommen über die Ansprüche von »Leitarten« mit komplexen Lebens-

raumansprüchen mit abgedeckt werden (»Leitartenkonzept«; z. B. Plachter 1989;

Mühlenberg & Hovestadt 1991). (2) Die Erfassung der gängigen Tiergruppen ist teil-

weise stark witterungsabhängig. Auch eine standardisierte Erfassung von Dichten

gestaltet sich oftmals schwierig. Weiterhin wird bei Tagfaltern und Laufkäfern die Re-

produktion meist nicht erfasst. (3) Wertgebend sind meist die gefährdeten Arten,

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