Oskar Masing, das Deutschbaltische Dialektwörterbuch und der Wörterbuchstreit zwischen Riga und...

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sĪUĪTGARĪER ARBElĪEN ZUR GERMANlSTlK herausgegeben von Ulrich Muller, Franz Hundsnurscher und Cornelius Sommer Beiträg e Zur Geschichte der deutschen Sprache įm Baltikum v Nr. 440 herausgegeben von Gisela Brandt und Ineta Balode VERLAG HANS-DIETER HEINZ AKADEMlSCHER VERLAG STUTTGARĪ 2007

Transcript of Oskar Masing, das Deutschbaltische Dialektwörterbuch und der Wörterbuchstreit zwischen Riga und...

sĪUĪTGARĪER ARBElĪEN ZUR GERMANlSTlKherausgegeben von

Ulrich Muller, Franz Hundsnurscher und Cornelius Sommer

Beiträg e Zur Geschichte

der deutschen Sprache įm Baltikumv

Nr. 440

herausgegeben vonGisela Brandt und Ineta Balode

VERLAG HANS-DIETER HEINZAKADEMlSCHER VERLAG STUTTGARĪ

2007

Bibliorafische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzcichnet diese publikation in derDcutschen Nationalbibliografi c; detailliertc bibliografi scheDaten sind im Īnter et įibeĪhttp ://dnb.ddb.de abrufbar.

Inhaltsįibersicht

Vorwort

Ineta Balode, RigaBaltendeutsch und baļtisches Deutsch: Probļeme einer systematischen

Beschreibung

Reet Bender, Tartuoskar Masing, das Deutschbaļtische Dialektwcirterbuch und der

Wcirterbuchstreit zwichęn Riga und Dorpat

Igor Koschkin, RigaZu den terminologischęn Ämterbezeichnungen in den deutsch-russischen

Vertragsurkunden Altļivlands

Renāte Silira-Pi Ļe, RigaFrauenvornamen und andere anthroponomastische Frauenbezeichnungenim Rigaer Kämmerei-Register des 15' Jahrhunderts

Birgit Christensen, VanloseEin Brief von Br'irgermeister und Rat zu Riga an den dänischen Kcinig

Christian IIL

Andreas Bieberstedt, HamburgTo deme ersten geve jä .. . FormeĮstrukturen im Beręich des

Artikeļkataļogs mittelniederdęutscher Testamente

Alle Rcchte vorbehaltcn, auch dic des Nachdrucks von Auszįigon,der fotomechanischcn Wiedcrgabc und der Übersetzung.

Verlag Hans-Dieter Heinz, Akademischer Verlag SruttgartD-70469 sfuttgaĪt, Steiermärker StraBc l32

Druck: SprinĻDigital-Druck GmbH, 70 1 95 stuttgartISBN 978_3-88099_4454

Printed in Germany . .... ..

2007

ŽarnaBormane, Riga 95

Wiedergabe der Anthroponyme in den frįihen Übersetzungen der Werke

Aļexander Puschkins ins Deutsche (am Beispiel dęr Übersetzungen von

Robert Lippert)

25

Monika Bukantaitė-Klees, KaunasDeutschsprachige Presse in Memel. Joumaļistische Darstellrrngsformenin dęr MemeĮer AĮĮgemeinen Zeitung

37

49

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ļ5

t0'/

2

Giseļa Brandt, BerlinZu Textaufbau, Syntax und Lexik des ,,gelehrten Artikeļs..in denMitauifc h en N a c hr į c ht en 7] 67

Überblick įįber die 1996 _ 2007 erschienenen Konferenzbände undBeiträge

t2t

r63

Vorwort

Yom2] ' bis 29. April 2006 hat in Riga die in,,Beiträge zur Geschichte der dęut-

schen Sprache im Baltikum IV" angekrindigte internationale Fachtagung ,,Deut-sche Sprache und Literatur im ostseeraum III" stattgefunden. Eingeladęn dazu

hatten wieder die Rigaer Germanistinnen im Verbund mit Frau Prof. Dr. Skvairs

(Moskau) und Frau Prof. Dr. Rosler (Rostock).

Erctffnet wurde sie unter anderem mit der hoffnungsvollen Nachricht von

der Grrindung des ,,Baltischen Germanistischen Zentrums", dem Prof. Dr. SiļviaPavidis (Vorsitzende), Prof' Dr. Thomas Taterka (Geschäftsfrihrer), Prof. Dr.

Dztntra Leļe-Rozentāle u d Dr. Ineta Baļode angehciren. Von den zur Konferenz

beigesteuerten linguistischen Beiträgen werden in diesem Band eļf in įiberarbei-

teter Fassung vorgestellt. Zumeist informieren sie įįber Fortschritte in der Bęar-

beitung individueļler Forschrrn gsthemen.

So ergänzt Ineta Baļode ihren Beitrag rįber die Sprachdiskussion Mitte des

19. Jahrhunderts in dęr Wochenschrift ,,Das Inland" [BGdtSB IV,25ff.] durch

eine Auseinandersetzung mit der Beschreibung des baļtischęn Deutsch in wis-

senschaftļichen Abhandlungęn des 19' und 20' Jahrhunderts' Das daraufgerich-tete zęntraļe deutschbaltische Forschungsvorhabe der ersten Hälftę des 20'

Jahrhunderts, die Erarbeitung des ,,Deutschbaltischen Diaļekfworterbuchs", wįdvon Reet Bender, Doktorandin der Universität Tartu, vorgestellt.

Igor Koschkin präsentiert ein weiteres Ergebnis seiner weitläufigen und

vielseitigen Beschäftigung mit den dęutsch-russischen Vertragsurkunden Aļtliv-ļands als Quellen der ErschlieBung des zeit- und ortsbezogenen Sprachge-

brauchs [vgļ. BGdtSB IIl,25ft.)' Auf dänisch-deutsche Kontaktę nimmt BirgitChristęnsen Bezlg' indem sie aus archivarischer Sicht ein hochdeutsches Do-kument der Rigaer StadtkanzĮei aus der Mittę dęs 16. Jahrhundęrts, also aus der

kritischen Periode des Schriftsprachwechseļs vom Niederdeutschen zum Hoch-

deutschen, annotiert.Die Rigaer Doktorandinnen Renāte Sili a-Pi ļ<e [BGdtSB III, 121ff.] und

ŽannaBormane [vgl' BGdtSB III, 113ff., BGdtSB Iv, ļ01ff.] geben zum wie-

derholten Maļę Auskrįnfte iiber Resultate ihrer namenku dļichęn Studien'

Gisela Brandt stelļt mit den AusfĪįhrungen zu Textaufbau, Syntax urrd Le-xik der populärwissenschaftļichen Abhandlungen im zweiten Jahrgang der ,,Mįtauischen Nachrichten" eine weitere journaĮistischę Textsorte der füįhen Regio-

nalpresse [vgl. BGstSB II, 153ff., BGdtSB IIĮ, 167ff., BGdtSB IV, 165ff.] vor.

24 25

Reet Bender, Tartu

oskar Masing, das Deutschbaltische Dialektwįirterbuch und der

Wtirterbuchstreit zwįchen Riga und Dorpat

1. Oskar Masing

oskarHugoGeorgMasing(ļ874-194.7)_einNameinderdeutschbaļtischenKulturgeschichte, der mancherorts in vergessenheit geraten ist. Masing war ein

baļtischer Gęrmanist - Literaturhistoriker, Lexikograph, Volkskundļer und

Dichter, unermridļicher Arbeiter am leider Fragment gebliebenen Deutschbaļti-

schen Diaļektworterbuch. In den Jahren 1g21l22- 1939 ]ir'ar er aļs Leitęr des

Wcirterbuchausschusses der GeseļĮschaft fiįr Geschichte und Aļterhrmskunde zu

Riga fiir dieses Mammufwerk verantwortlich. Ab 1939, nach der umsiedlung

der Deutschbaļten, hat er die Arbeit daran in Poserr/Poznan fortgesetzt.

Dr. phil. oskar Masing wurde am 12.03.18'74 in Arensburg/Kuressaare

auf der InseĮ Ösel/SaaĪęmaa in Estļand geboren. Auf seinem Taufschein ist zu

lesęn;

..Huso Geors Oskar, Sohn des Capitains und Ritters Julius Carl Martin Masing und

ļįirā. r"1,"rrä" :-ļr'įänu šop1',. Nätalie, geb. Petsch ist geboren zu Arensbwg den

ž*titn., März Eintausenda hthundertvierLrndsiebzig und daįelbst vom Pastor Masļng

aus Jamma u. a.rtr.nĮprit-Ė"ungĮii,.t -totherisch letauft. Taužeugen waren: obrist;;īiįį;;Hrģ" von Erdberg, S1uātsĪat und.Ritter Dr. G_eorg Petsch in'KĪ-oĪstadt' Vertreten durch a.n s.i.įšinšpektoi Heinrich Ņ9.jng, Frau- Majorin Lugowsky geb.

įįiį*uīa "na

Fräulein Elise Masing" |EAA:' 402'1'164' 67l'

Masing hatte zwęi äļterę Schwestern - Marie (*12'10'1866) und Eļsbeth

(*10'ļ0'1s69) ILIPP 1907, Bl.6]. Marie war LehĪerin in Dorpat, Elsbęth heira-

tete den Lehrer Steinbęrg und unterrichtetę an der Petrischule in St. Petersburg'

Arensburg, die eirzige Stadt auf der ostseeinseļ Öseļ, war aber nur fii eine

kurzę ZeitWohnsitz des kĮinftigen Lexikographen. Er schręibt l932 sęļber dar-

l.įber:

',ImJahre1880naļrmmeinVateĪ,J-uĮiusM,,derbisheroffizierderGrenzwacĪewar,3įl""" Āu..r.i"a as tniįjįiu"o siįdelte nach Dorpat iiber. Hier habe ich das Gouver-

,įÄį.t.įī..".i"* į.į.rri"įā i. l. raqrlt dai Abiturium gemacht. Von -l893/IĪ-

īģrā"į;6ä iįr., un a".iunāĻ"nīu"rsitx Medizin studiert; darāuf war ich in Kurļand

und Livland Hauslehrer" [EAA: 1872'1 406'84]'

Die groBe und verästelte Famiļie Masing soļļ estnischen Ursprungs sein, sich

aber schon im 18. urrd 19' Jahrhundert als deutsch identifiziert habęn. Bis zum

Endę des 19. Jahrhunderts będęutęte das sozialen Aufstieg. Über den Ursprung

der Familie Masing hat Martin LIpp eine Abhandlung verfasst ILIPP 1907]' Juli

)

(

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us MAsNGs Antwort darauf erschierr 1910 unter dem Titel ,,Die Nationalität derFamilie Masinģ' [Julius MasrNG l910]' Wichtiger als der Ursprung der Famiļieist, dass die GroBfamiļię mit ihren vieļen Theologen, Philologen, Pädagogen,Arztet und offizieren fįįr oskar Masing einen f rdemden geistigen Hinter-grund bildete.

Die Aufrrahme des Medizinstudiums an der Universität Dorpat scheintfiir oskar Masing ein Fehlschritt geweseĪi zu sein. l896 bricht er sein Studiumab und verbringt mehrere Jahre aļs Hauslehrer in den Provinzen Kurļand undLivļand. Zu ostem 1903 siedeļt er schlieBlich nach Leipzig Īiber, um dort Ger-manistik zu studieren. Die Wahl des Studienortes war nicht ganz zuf?illig. Dorthatten 187l -1815 Gotthilf Leonhard Masing, später Professor der sļawischenPhilologie an der Universität Dorpat, und 1874 - 187'] Dr' phil. Ferdinand Ma-sing studiert. In den Jahren 1904 -190'/ studierte hier auch Albert Masing.

[V91. AFR 7963,39, 46, ]3.1

Während seiner Studienzeit in Dorpat wurde oskar Masing Mitglied derLandsmannschaft Fraternitas Rigensis. Hier lernte er seine Spätere EhefrauLouise Sticinsky kennen. Im Gesamtverzeichnis der Fratres vom Jahr 1981

IAFR 1981, 397] wird neben dem beruflichen Werdegang vermerkt, dass er

zum Coetus 93lll geh rĮe, am 28.10.1893 Farbenträger wurde und in den Se-mestem 94lI ltld 94l|| die Ämter Fuchsoldermann und Burschenrichter beklei-dete. Der Fraternitas gehcirte auch sein Onkel Voldemar Masing - der Brudervon Julius Masing _ an, der Dozent fįir deutsche Sprache und Literatur an derUniversität Dorpat IAFR 1963, 3 1] war.

Über seinen Werdegang in Leipzig schreibt oskar MesrNc im Jahre 1932Folgendes:

,,Im August 1906 promovierte ich daselbst zum Dr. phil aufGrund einer Dissertationįiber,,Serbische Trochäen". In die Heimat zuriickgekehrt, wurde ich Lehrer der deut-schen Sprache an der v. Zeddelmannschen und der Hornschen Lehranstalt in Dorpat.Im November 1907 habe ich in Riga das Oberlehrerexamen der deutschen Sprachebestanden. " [Ė' AA: I87 2.1.406, 84].

Mesrr os Disseration ,,Serbische Trochäen. Eine Stiluntersuchung" wurde 1907in Leipzig veroffentlicht. Ein Exempļar befindet sich unter der Signatur05.0248 im Archiv des Herder-Instituts Marburg.

Schon in Leipzig stand Masing im Briefwechseļ mit von ZeddeĮmann,

dem Dįektor des Dorpater deutschen Privatgymrrasiums, riber die moglicheAuftrahme ins Lehrerkoļlegium. Besprochen wurde auch der Termin des ben -

tigten oberlehrerexamens für Russļand: mciglicherweise schon im August 1906

[EAA: 1872.1.387]. Wie aus seinem 1932 geschriebenen Lebensļauf hervor-geht, gelang ihm das jedoch erst ein Jahr später.

2'7

Masing trifft im August 1906 in Dorpat ein und nimmt schon am 72.

August an der Lehrerversammlung tęiļ. Schon auf der Lęhrerversammlung vom

31' Mai 1906 wird sęin Name erwähnt, noch mit einem Fragezeichen versehen,

und in der Stundęntafel wird er als Deutschļehrer flir Kļasse I (3 Stunden pro

Woche), II (3), IV (2),V (2) und VI (2) mit insgesamt 12 Wochenstunden ge-

fi.ihrt [EAA: 1812.1.]9J.Diese Dorpater Periode ist aber recht kurz. Im Mai 1908 nimmt er seinen

Abschied und zieht weiter nach Riga, wo er seine pädagogische Tätigkeit an

unterschiedļichen Lehranstalten weiterfiihrt: ab 1908 als oberlehrer der deut-

schen Sprache am Privatgymnasium von Eltz und an anderen privaten Lehr-

anstalten; seit ļ910 an der Bcirsen-Kommerzschule, bis 1936 am Staatļichen

Deutschen Gymnasium. Ab ļ9ļ2 wirkte ęr auch im Hochschuļbęretch:1912_i915 war er Dozent für deutsche Handelskorrespondenz am Rigaer Poly-

technikum, 1918 an der Baļtischen Technischen Hochschule, 1919 _ 1922 Lek-tor an der Lettischen Universität, Seit 1921 war seine akademische Karrięrę mitder privaten deutschen Hochschule, dem Herder-Institut, verbunden, v/o er an-

fangs Dozent, später bis i939 Professor für Germanistik war [DbL 1998, 491].

Das Herder-Institut, gegnindet 1921, wurde 192] durch ein Gesetz des lettįschen Parlame ts als deutsche private HochschuĮe anerkannt, erhięļt abęr keinPromitionsrecht' Deshalb studierten viele junge Balten in Deutschļand oder an

der Lettischen Universität oder fiihrten ihr Studium dort zu Ende. In vieļęn FäĮ-

len war der Besuch der Vorlesungen und Übungen am Herder-Institut ein Ne-benstudium. 1921 - 1926 haben insgesamt 429 ordentliche Horer tnd \t42Gasthorer das Herder-Institut besucht [MÜt-i,rn-SrrRNBERG 1964, 151-153)

und von ļ92ļ - 1939 insgesamt 200 Dozenten aus Deutschļand an dieser Lehr-

anstalt gewirkt ISEESEMANŅ 1980, 61]'

Ein Grund fiir Masings Übersiedlung nach Riga war hcichstwahrschein-

ļich auch die Gnindung der Fąmiļie. Noch im seļbęn Jahr - 1908 _ heiratete er

in Riga Louise Sticinsky, die Schwester eines Kommiļitonerr aus der Dorpater

Fraternitas Rigensis. Aus dęr Ehe gingen drei Kinder hęrvor: Gerhard Albert

IAFR 1963, 107], Marianne und Lenore (Lore).

2. Arbeit am Deutschbaļtischen Dialektwcirterbuch

In Riga begann auch die Arbęit ąn dęm Werk, das zu seinem Lebenswerk wer-

den soļļte, die Arbeit am Dęutschbaļtischęn Dialektworterbuch. Schon im Jahrę

1909 war Masing Mitglied der Gęsęlļschaft fiįr Geschichtę und Altertumskunde

zu Riga (gegr. 183a) geworden. In der Februarsitzung 1920 der Geseļļschaft

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wies der Historiker Dr. Hermann von Bruiningk in einem Vorhag rįber deutscheSprachaltertĪ'imer auf die ,, zwingende Notwendigkeit " hin, die sprachlichen Eigentümlichkeiten der ehemaligen baltischen Ostseeprovinzen des Zarenreicheszu sammeln und ,,der Gefahr des Vergessenwerdens zu entreiBen" [MasrxcI92'l ,11. Der Vortrag wurde in baltischen Zeitungen verciffentlicht und fandWiderhall sowohl in Riga als auch in Dorpat/Tartu. Wenig später wurden zweiKommissionęn fiįr das Sammeln und Bearbeiten des Materials für das Deutsch-baltische Worterbuch gegriindet: im Mai 1920bęi der Gelehrten Estrrischen Ge-sellschaft (gegr. 1838) in Tartu und 1921 bei der Gesellschaft fli Geschichteund Altertumskunde in Riga [Mesmc 1921, 1). ZumLęjter des Ausschusses inTarhr wurde der berįihmte Slawist Prof, Max Vasmer bėrufen, nach dessenÜbersiedlung nach Leipzig Prof. Wiļheļm Wiget, Professor fiįr Germanistik ander Universität Tartu [wIGEr 1928,28f.].

Die Worterbucharbeit in Riga begann mit dem in den Zeitungen vercif-fentlichte ,,Aufruf zur Mitarbeit an einem deutsch-baltischen Wcirterbuch"

[Mesrxc 1927,2). Dem in Riga am 13. April 1921 gegnindeten W rterbuch-ausschuss gehcirten ,,Dr. H. Von Bruiningk, Dr. N. Busch, Frļ. E. Krrrz, Dr. o.Masing und Bibilothekar K. v. Stern" an IMASNG 192'7,1].

Anfiinglich soll die Zusammenarbeit zwischen den beidęn Gesellschaftenkooperativ ge\Mesen sein. Dafiį sprechen auch Briefe von Wilhelm Wiget[LVVA: '7402.2.37,13f,] und Elsa Vasmer, die in Vertretung ihres Mannes am30. Aug. 1920 an Hermarm Bruiningk zwei Mustervorlagen für das Worterbuchschickt [LWA: 7402.2.37,6]. Wiget schreibt am3. Mätz 1922 anBruiningk:

,,Da ich im Juni und Juļi dieses Jahres an der Universität Jena Vorlesungen haļtenwerde, wird es mį vielleicht m glich sein auf der Rįickreise in Riga pels įlich Fįih-'lungmitderdortigenW

rterbuchkommissionzumachen."LL: |VA,:.1402.2.3j,131.

Am 6. Juni 1922 entschuldigt er sich:

,,Meinen Besuch in Riga werde ich auf die Riickreise verspaĪen mįįssen, da mich meįne Vorlesungen an der Universität Jena zwingen, die mį noch bleibende Zęit zurVorbereitung in einer grdBeren deutschen Bibliothek zu benutzen." ILYYA: 7402.2.37,141.

Oskar Masing wurde am 18.1.1922 Leiter des Wcirterbuchausschusses Riga. ImBericht rįber die ersten sechs Jahre der Tātigkeit der Komission schreibt er:

,,Neben zahļreichen Zusendungen der deutschsprachigen Bev lkerung und Fragebti-gen wurde das W rterbucharchiv durch planmäBige Durchsicht von älīeren und neue-ren baltischen belļetristischen und wissenschaftlichen Schrifttum bereįchert.Auch nach seinem offiziellen Rįicktritt vom Amt des Vorsitzenden bļieb Dr. v. Bruįningk bis zu seinem Tode de facto der geistige Mittelpunkt unserer kleinen Arbeits-gemeinschaft. Die schwerste und wichtigste Leistung während der efsten Periode un-serer Tätigkeit ist sein Werk: das Errichten eines festen Fundaments, auf den wirNachfahren getfost weiteĪ bauen dįirfen. Sein Nachfolger wurde Dozent Dr. oskarMasing." [MAsrNc 1927, 2f .].

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Der Rigaer Ausschuss konnte schon 7922 Verbindungen zu Prof. Dr. Fer-

dinand Wrede aus der W<irtęrbuchzentrale in Marburg, dem deutschen dia-

lektologischen Forschungszentrum, knripfęn [MesrNc ļ927 ' 2]. Und im Jahre

1923 betelligte Masing sich am ,,Kongress der deutschen Philologen und

Schuļmän er" in Mrinster |WÖnsren 2005], ,,wozu er als Deļegierter dęr Ge-

seļļschaft fiįr Geschichte und Altertumskunde zu Riga an den Verhandlungen

und Beschlrissen des Worterbuch-Ausschusses teiļzunęhmen bevollmächtigt"wurde ILVVA 4038,1.225, 64].

Masing erhieļt aĮļs Marburg Fragebogen zur mundartļichen Synonymik,die an deutsche Schulen in Lettland und Estļand verschickt urden' Beigefiigtwar eine eigene Liste, die zu einem Überbļick ribęr die geographische Verbrei-hrng gewisser baļtischęr Ausdrr.icke fl'ihren soļļte [MesrNc 1927'4f.]. Die ge-

sammeļtęn Materialien wurden kopiert und įach Marburg geschickt' Bis Mittę1923 batte der Rigaer Wcirterbuchausschuss schon genauso vieie Erhebungen

nach Marburg gesandt wie etwa die Rheinprovinz oder Thiiringen [WÖnsrnn20051.

1923 berichtet MASĪNG, dass sich in der alphabetisch geordnetenZetteļ-

saĪĪļmļung schon 7000 Zettel befinden, und

,,fiįr die Arbeit gelten im allgemeinen die Grundsätze, die in der ,,Anleitung zurSammlung des Stoffes für ein "ThüLringisches W rterbuch" formuliert sind. [...] dazukommt noch eine ansehnļiche Menge von Einsendungen, die Kinderļieder, Abzähl-reime und sonstiges volkskund'liches Materiaļ enthalten" IMASING 1923' 88f ].

Otto BoNG berichtet, dass Masing sich neben der Lexikographie der Volkskun-de widmete;

,,Nach dem Ersten Weltkrieg dauerte es Jahre, bis von einer Wiederauftrahme volks-kundlicher und damit folkloristischer Sammelarbeit gesprochen werden kann. [...]und andererseits bringt Dr. oskar Masing seine Schįiler zu einer intensiven Beobach-tung von Erscheinungen vor allem des handwerklichen Brauchtumskreises." [Bowc19'Īļ' 124].

So stammen von Masing auch etļichę voļkskundliche Schliften und Samm-

lungen [Mesnvc 193 1 ; 1934; 1931].

Fįįr das baļtische Worterbucharchiv wurdęn aļļe Glossare und Samm-

h.rngen baltischer Provinzialismen (Hupel, Gutzeit etc.) durchgearbeitet und ka-

talogisiert. Das neuę Wcirterbuch sollte der Hcihepunkt aĮler bisherigen For-

Schung sein. obwohļ Masing es 1933 in ęinęm Artikeļ ablehnt, dem Deutsch-

baļtischen dialektalen Charakter zuzusprechen IMASiNG 1933'62], hei8t das

Manuskript im Archiv des Herder-Iinstitutes in Marburg ,,Diaļektwcirterbuch".In den Voniberlegungen des Ausschusses zum Titel ging ęs nĮļr um die Frage,

ob ,,Diaļekt" oder ,,Mundart" zg bęwtzęn Sęi' Der Allgemeine Dęutsche

30

Sprachverein in Berlin antwortete am 23.2.1923 auf die Anfrage des RigaerAusschusses:

,,Was ist hier richtiger", fragen Sie, ,,das deutsche Wort Mundart oder das weļscheDialekt". Darauf antworte ich wirklich ohne jeden Zweifel: das deutsche Wort. [...]Diese_ _V-er';vechslung der Mundart mit einer minderwertigen Gassensprache ist šeiiRudoļf Hildebrand unablässig bekämpft worden und beiįns auch bis auf di.irftigeR9ste zuriickged!žįnct. [...] Der geschichtliche Verlauf ist doch einfach der, dass dĪeWissenschaft frįiher wie įįberaļl so auch hier das Fremdwort allein gebrauchte undlange noch mindestens vorzog. Heute aber ist das nicht mehr der Fall.l...] Ein,,Balti-sches Dialektw rterbuch" wįirde sicherļich kein zeitgemäBer Name šeiir." 1lvve:'7402.2.31,lsl

Die Bezeichnung Mundartw<irterbuch wurde auch benutzt, z.B. in einem Briefan die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, als um Beihilfe fįiLr dieHerstellung eines Deutsch-Baltischen Mundartenworterbuches Lieferung 1 ge-beten wurde [LWA: 4038.1.225,62]. SchlieBlich entschied man sich fijr Dįa-/elrworterbuch.

3. Der W<irterbuchstreit zwischen den Ausschįissen in Dorpat und Riga

Die kooperativę Arbeit der beiden Geseļlschaften am Wcirterbuch (von der in-haltļichen Arbeit des Dorpater Ausschusses gibt es allerdings sehr wenige Be-iege) endet im Jahre 1926, aļs in der Reihe der Abhandlungen des Herder-Instituts Masings Abhandlung ,,Niederdeutsche Elemente in der Umgangsspra-che der baltischerr Deutschen" erscheint. In der Januarsitzung der GeļehrtenEstnischen Gęsellschaft in Dorpat hält Wiget einen sehr kritischen Vortrag iiberMasings Publikation; der ,,Revaler Bote" bringt dartįber Anfang Februar in derRubrik,,Inland" einen kurzen anonymen Bericht:

,,porp_ te1 GgļeŅe Estnische Gesellschaft. Am 2. Feb. Referierte Professor Wigetįiber die kįįrzlich erschienene Schrift o. Masings įiber die niederdeutschen Elementein der Umgane-ssprache der baltischen Deutschēn. DeĪ vortragende sprach mit Aner_kennung von dem FleiB, der in der reichen Materialsammldig Mašings zum Aus-druck kommt, bedauerte aber, das Masing sich bei der Veraf eitung clĮs Materialsnicht mit Fachleuten beraten hat, da seine Theorien und Beweise eineawissenschaftlįchen Kritik nicht standhalten kcinnen. so ergebe sich leider, dass Masing den reichs-deutschen Lesern seiner_Schrift ein vdllįg falsches Bild von der baltischerr Umgangs-sprache und ihef Entstehung gebe." pWA: ':,402.2.37 ' 2ļ].

Der ganze Vortrag ,,Niederdeutsche Elemente im baltischen Deutsch,, erscheintdann im Februar 1927 in drei Nummęrn der ,,Dorpater Zeitung" [LWA:7402.2.31,37-431. Kurz danach erwidert Masing [LWA: j402.2.3'7,43-411 inderselben Zeitung. Wigets Schrift erscheint ļ92] a h als Sonderabdruck ausder Dorpater Zei ng.

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Die Auseinandersetzung wird mit der Stellungsnahme von Dr. Bruiningkim ,,Revaler Boten" unter dem Titel ,,Niedęrdeutsch und unser Deutsch'' imMärz 1927 fortgesetzt, die er vorab in einem Brief vom 28. Februar I92'ī an

Arnoļd Feuereisen, den Präsidenten der Geseļļschaft für Geschichte und AĮtęr-tumskunde zu Riga, angekĪindigt hatte:

,,Gegen Prof. Wiget habe ich eine scharfe Polemik untemommen die im,,Revaler Bo-ten" erscheinen wird." [LWA: 'Ī402.2.37

'3J.BRUININGK äuBert, dass ,,Prof. Wigets Auslassungen zu einer scharfen Zurįick-weisung ncitigen". Er preist Masings wissenschaftliche und fachļiche Qualifi-kation:

,,Masings /-/ [bisherigen - RB] Schriften gelangten in die Hände zahļreicher baltischersowie reichsdeutscher und sonstiger Fachleute, ohne daB irgend jemand Dr. Masingsfachmännische Qualiirkation beanstandet hätte, auch nicht Prof Wiget." [LWA:7402.2.37 , 5'11,

und nennt Wiget einen

,,landfremden Professor, der unmittelbar nachdem er das Universitätskatheder bestie-gen, die Redaļ(ion des Worterbuches įįbemommen habe, und uns in Riga nur dieblosse Rolle einer Sammelstelle zugeteilt wurde" [LWA:'7402.2.31 ,58].

Dabei kommt auch ein Grund des gaĮļzęrĮ Wcirterbuchstreits zįļr Sprache: dieVerteilung der Roļlen bei Sammlung und Bearbeitung des Materials.

Es folgt ein eifiiger Briefivechsel zr;vischen den Parteien. Am aktivsten

beteiligt sich Hermann von Bruiningk daran. Masing zeigt sich eher bescheiden,

Sowohl in der Reaktion auf das Lob von Seiten Bruiningks, als auch im Brięf-wechseļ. Am21. Januar 792] schreibt er an Bruiningk:

,,AuBerdem macht mir das Wirtschaften mit den Zetteln einen ungehewen SpaB, undwenn ich zu meinem eigenen Pläsier Kuckerbälle schlage, so wäIe es ferner mindes-tens unbillig, von etwaigen verwunderten Zuschauern bei diesen Leibesübungen Ent-reezahlung zu verlangen. Das soll nun aber keineswegs bedeuten, dass ich mich auchnur einen Augenblick bedenke, &eudig (wenn auch stark beschįįmt) und dankbar be-wegt lhre mir so freundlich dargebotene Hand zu drįicken. Ich habe es immer wiedererleben di.irfen, dass das Beste im Leben nicht Lohn flįr etwa 'Geļeistetes", sondernGeschenk, reines, unerwartetes und unverdientes Geschęnk ist. Ein solches Geschenkbereiten Sie mį mit lhrer wohlwollenden Anteilnahme an meinem Treiben, ĪhremVertrauen und lhrer Gįįte, die mir dazu heļfen soilen, so zu werden, wie ich es nichtbin, wirklich noch lange nicht bin." pVVA: '/402.2.3'Ī

' 22).

Inzwischen wird von Dorpat der versprochęnę ZĮgang zu den dort gęsammeļtęrļ

Materįalien gęSperrt, Zuerst war der Rigaer Kommission die Erļaubnis erteiltworden, die Materialien zu kopieren, aber danrļ schrieb Hęirrrich Ļa"ąro441r11 į 1

Namen des Vorstandes der Geļehrten Estnischen Geseļlschaft am3. MėLrz 1927

an Feuereisen:

,,Auf Īhr Schreiben vom 12. II beehren wir uns lhnen mitzuteilen, dass Prof. Wigetdie vollständig freie Verfiigung įįber das von ihm und Prof Vasmer gesammelte Ma-

3L

terial hat, wį aļso in dieser Angelegenheit nichts tun k nnen... ILVVA: 4038'1.225, s3l.

In der Nacht des 30. April 1921 stirbt der berįįhmte baltischer Historiker Her-maĪįn von Bruiningk. Auf seinem Schreibtisch wird seine letzte Arbeit ge-funden: von seiner Hand halb durchkorrigiert ein Brief r.įber die ganze Wcir-terbuchangelegenheit, gerichtet an den Präsidenten der Gelehrten EstnischenGese]ļschaft Propst Westrėn-Doļl.

Damit ist die leidenschaftlichste periode des w rterbuchstreits vorbei, esfolgen etliche Briefe zwischen beiden Geseļļschaften. Wilheļm WIGET schreibtseine Version įiber die Anfiinge und Entwicklungen in der Wcirterbuchsache,,,Zur vorgeschichte des deutschbaltischen wcirterbuchs,,, die in den sitzungs-berichten der Gelehrten Estnischen Gesellschaft Anfang l92g veroffentlichtwird. Die Rigaer Geselļschaft hatte versucht, den Druck der Schrift z].ļ vęr-hindern; Zwejmal wurde gebeten, die Sache zu unterļassen. In der Januarsit-zung 1928 der Gelehrten Estnischen Gęselļschaft wird diese ļetzte Schrift vonHermann Bruiningk ohnę Kommęntar verlęsen.

oskar Me'srNc erklärt seinerseits den Ausgang der Sache in seinem ..Be-richt des Arbeitsausschusses fįĪ ein deutschbaltisches W rterbuch..:

,,Das wtinschenswerte enge Zusammenarbeiten mit dem bei der Gelehrten EstnischenGeselF.9haft ilDorpat bestehenden W rterbuchausschuss [...] ll"n ļī" l.iāĮ. ni.rrtdurchtiihren. Die immerhin doch nur mangelhafte Ū'terbdiäkune der .įuāliche.,Trennung durch beständigen Briefi,lechsel hātte eine att u įėiįrāuĒenāĮ i{o".Į.pon-denzmenge und unelschwingliche Portozahlungen erfordert. S" il*tilĻį-r"ļ o"rnentschIieBen, zurrächst getrennt zu marschierenlaber dank a., uriįuįā.' āuĮļ'in un_serem-Aus.schuss_Riga und Sįįdlivland durch drei Mitglieder Vertreten *urįn. īįn ,i.tden Verschiedenheiten des Sprachgebrauchs hįįben"und dĪįib; į;cil;;; i.Įg"n...[MAsrNc 1927,2].

Als stellungsnahme eines relativ unparteiischen kcinnte der Brief vonBęrnhard Hou-eNnBR an Feuęreisen vom 13. Februar t928 betrachtet werden:

,,Į...] dass unser Wdrterbuchausschuss seine Stellung zu Dorpat doch vieļleicht nichteben-g.erug posizioniert hat. Bruiningk Įat ,uerst tatĮächlicĖāiā nĪģ"Į. šr-ÄĮist"rr"als Hilfssammelstelle betrachtet und- sich aus Dorpat Rat und tnsĻukionįn'įeirott.Eine Abtrennr:ng Yon Dorpat ist dorthin nicht mitģeteilt *o.a.r, *i in Įin.i-, z.i-tungsbericht ist von dem ,,Getrenntmarschieren" die-Rede. t...t l.rįinei v.in"rģ nu.r'mįissen wir offen anerkennen,.dass vielleicht etwas versäumi i,t, uu.. āā.tā Į-n".gi-scher geg.en.die .,Quertreibereien" und die sonstigen uru..'"tailit'įlt*-įįeįn .in91q._Ķgļ;eģ nseres Direkoriums protestieren roä

"i.rurti*āį",nĮįāiiįr.fĪiįve,7402.2.37,231.

So endete die leidenschaftļiche Episode in der Entstehungsgeschichte des,,Deutschbaltischen Dialektwcirterbuches". In Riga wurde die Arbeit fortgeführt,in Dorpat ging sie leider langsam ein. Mitverantwortlich dafĪir war, dass die Ge-lehrten der Estnischen Gesellschaft unter Fįihrung der estnischen Akademįkerschaft iibergangen wurden und dię Geseļlschaft fįįr Geschichte und Aļter-

33

tumskunde eine deutschsprachige Geseļlschaft blięb' 1933 kehrte Wiļhelm Wi-get zurtick irr die Schwęiz, wo er wenig später starb.

4. Masings weitere Arbeit am W rterbuch

Der Rigaer Wcirterbuchkatalog umfaBte im Jahr 1927 43 000 Zetteļ IMASING192'7,3] und 1939 100 000 Zettel. Aus finanzielļen Grįinden war die Heraus-gabe des Wcirterbuches nicht moglich, aber thematische Ausztige aus der Arbeitwurden verciffentlicht [vgl. MesrNc 1923' 1926, 1924-1926l. Vaļentin Kt-PARSKY nennt Masing in seinem 1936 erschienenęn Aufsatz ,'Fremdes im BaĻtendeutsch" ,,den groBten heute ļebęnden Kęnner des Baļtęndęutsch" iKt-PARSKY 1936, 18]. Und Kurt SrgclrexN VoN PRĮTZWALI schreibt 1952 rįber

Masing und seine Arbeit:

,,Dieser umfassende und feinsinnige letzte Philologe des baltischen Deutsch hat derForschung Fundament und Aufriss gegeben. Unter seinen Händen und unter Mitarbeitseiner Schįi'ļer, die grcrBtenteils im Kriege gefallen sind, waren im ļetzten Jahrzehntvor der Umsiedlung die Sammlungen zum W rterbuch des baltischen Deutsch bis aufetwa 100 000 Stichwc'rter angewachsen'" ISTEGMANN voN PRļTZV/ALD ļ952' 419).

Zu Beginn des Zweiten WeĮtkrieges, im Herbst i939, wurde der damaļs

65-jährige Masing wie aļļe im Baļtikum wohnhaften Deutschen ,,nach Vater-land" umgesiedelt. In Estland betrug die ZahI der Umsiedļer etwa 13 700, inLettļand 5 1 000. In Estland biļdęten die Deutschbaļten 1939 1,2 Yo, in Lettļand

3%o der Bevcilkerung [Scureu 1995,111]. Masing wurde wię zahļreichen

Landsļeuten ein Wohnsitz in Poserr/Poznan im Warthegau zugewiesen, im vonDeutschļand okkupierten WesĘolen. In den Regierungsbezirk Posen wurden

ętwa 29 000 Deutschbalten eingewiesen. Viele deutschbaļtische Wissenschaft-

ļer fandęn an der im Wintęr l939l40 er ffnetęn ,,Ręichsuniversität" Posen eine

neue Wirkungsstätte IGARLEFF 7994, 544].

Wie vięl von den Materialien des Worterbucharchivs Masing nach Posen

mitnęhmen konnte, weiB man nicht genau' Jedenfalls hat er dort seinę Arbeitam Manuskript des Wcirterbuches fortgesetzt. Im Archiv dęs Zentrums fĮiĪ ost-mittel-Europaforschung am Herder-Institut in Marburg/Lahn bęfindet sich etwa

ein Dritteļ des Buchstabęn A - 182 gebundene DIN A4 Blätter, zwischen denęn

sich Ergänzungęrļz: einzelnen Stichwcirtem finden, geschrieben auf polnisch-

sprachige Kalenderblätter aus dęm Jahr 1943.Die Niederļagen der deutschen Wehrmacht machten dęr deutschbaļtį

schen Gemeinschaft in Posen ein Ende: Am 3ļ. Januar beganrr die panische

Fļucht vor der näher rįįckerrden Roten Armee. Erhard KROEGER schildęrt die

Atmosphäre in der Stadt an diesem Tag:

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'"Auf dem Rtickweg vorbei am Bahnhof. Da liegt er, in einiger Entfernung von derbelebten HauptstĪa e,'der.v;,p iiiiiāį;itiĮ 'žu "rL.nn.n

im schwankenāen Lichtder abgeschirmten R leuchtunģ. Lore Masinģ kam mir "*g;ģ;;;i, į;ä ,.n ,n.kurz, sie suchte ihĪe-Eltern, miieinem verlo.e'nen ausa.u.įĪr'ā"Ļ'oife;;";äesicht...IKRoEGER i996, 90].

Masings Tochter Lore erinnert sich an diese BegegnįįĪļg so:

,,Am Tag, als wir posen abends zu FuB verlassen mussten, traf ich Erhard Kroegermittags in der ltadt. Mein Bruder Gertrara waiįerail.o, i"ī nir'rį"_-iJi niiįį r".l-įie verantwortlich und fragte ihn um Rat. s.īį3ant*o.t **l"įi*i'i"'Ļ_*.ii*.jeder selber sehen, wie er āurchkomme.,, tt<noįįįį isĻä, lį. "' -'''', ,* "*'

Die Beviilkerung fliichtete, und alļes Zurrickgelassene ging in Flammen auf.otto BONG bezeichnet Posen als Massengrab des baļtischen Kulturgutes:

,,Die damalige [volkskundliche -.RB] Ausbeute und [...] gehen, wie die sammlungendes Herderinstituts, Dr. F.A. Redlichäs una o.. o. Musi.ig. .rįr' iį lirļrįrĮĮu a*baltischen Kulturpirtes, aem wantreģāu, ;;t";. iV^. bĖ8į ī;;;;'wiiĖ."#r., o.r,Kriege neu mit dJm suĻm.in;;ffi;;;:jiĖ;-;iļ;l'iĻi:' ulļ YYltļe' nac

oskar Masing starb am 1.1-1947 im Aļter vonJ2 Jahren in Tannroda in Thtirin-gen an Entkäffung [Aorrrrrrtvr, 7947 ,259]. Det Rest seines Worterbuch-Manu-skriptes wurde von seiner witwe 1953 dem Herder-Institut in Marburg r_iberge-oen.

5. Zum Stand der Arbeiten am Deutschbaltischen Diaļektwcirterbuch1952 hat Kurt STEGMANN voN Pąlrzwall den Stand folgendermaBen ein-geschätzt:

,,Der Tod oskar Masings b-edeutet das Ende einer Forschungsarbeit [...r dieses werkverbĪannte l945 in Posēn. Nur das Materiaļ ,"- Ė;;iläb;ääi" įĮįįo"ļi] ,įu". ".fehlt an Bearbeitern. Femer liegen MasiĘs ĀuiiĮtr. uo., deren reiches Belegmaterialgrundlegend ist und deren Er-gebnisse ā';. *irr.rļ.r,įįlĪ;il'ffiiį, #''Wļii"rro.schung anregen. Aber das Tld-lieg1 brach. Dabei įandelt es įicįī;_.i, roi.ärng.-gebiet, das ebenso fiir die German'istik, sālti.t,k_r"ā v"ĻĮfii: špirĖ *i.įįrļ"r,.twie fiir die baltische.Geschichtsforschung įu"ttuu.", B;

_įj.'ršiiänä".ii.,

"o*PRJĪZWALD 1952,419].

Über die kurzzeitige lViedęraufnahme der Wtirterbucharbeit im Jahr 1958 be-richtet Peter WÖRsrpn:

,,Walther Mitzka (1888-l976), G-ermanist der Marburger Universität und ehemaligerDirektor des Deutschen Sprachatlas, plunt" na"h sLin.i r.e.itie-nģ Ji"_n.*'ĖĮi*"geines Schlesischen und eines n-"tš"Īuutti."į;;-Dilī;t..*;il.Į*i,i.'i'žf"ri'iĻuo.zung der Deutschen Fo'.lchungsgemeinschaft *uid.r..nt.pr"chende Erhebunģān ge-macht. Die Materialien Īįir daiS hlesische wo.tįiuuct ;._,Ļ;;Į;i;.;iįĮi nĪ. ,"in.eigene dreibändige Publikation. Dem aus Riga Įtammend., j;į;;

"r.ärl.ä" arrred Schcinfeldt tiĮertnrg Mitzka diį Bįār įĪt"rä'^g. wurden vom GermanistischenSeminar in Marburp nēue 'Frageb

ge, ;r ;;Ė; und an DeutļĮįuāįĮnäļ.na.'.Įnsgesamt sind zwtiĪfverschied"ene Ēragebtiģ.n'ŪĮtunnt. Die nicht geringe Zahl vtlnAnt\Į/orten lief an die Adresse ..Deutscfibaltīsct'* ivĮĮļr rįr'll , f,rĮi|iigl"* u.

35

Einsendungen wurden in įįber 40 Karteikästen verzettelt. Da die DFG nach knappdrei Jahren das Vorhaben nicht weiterfinanzierte, muBte dįe Arbeit unterbrochen wer-den'" [WÖnsren 2005].

Seit Fri.ihjahr 2005 befindet sich das Wcirterbucharchiv von Schctnfeldt im Be-stand des Archivs des Herder-Instituts Marburg, wo auch Masings Nachļass

liegt.

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EAA: 402.1.164, 6'7 .

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Igor Koschkin, Riga

Zu den terminologischen Ämterbezeichnungen in den deutsch-russischen Vertragsurkunden Altlivlands

baltischen Deut-Raumes und die

Mįinchen. S. l77-

ffi.

1. Anliegen

Die VariabiĮität dęr Sprachmittet auf alĮen Sprachebenen gilt bekanntlich als

Merkmaļ mitteļaltęrlicher Schriftsprachen. Die mit Bezug auf Altlivļarrd ent-

standęnen aļtrussischen Urkunden, weļche die Beziehrrngen zwischęn Nowgo-

rod, Pskow, Smoļensk u d Poļozk ęinerseits und dem Livländischen orden urrd

der Hanse andererseits beurkundetęn, vęrtraten zwei Varianten der altrussischenVerkehrssprache' Die nordrussische Urkundensprache Ņowgorod, Pskow) re-

präsentiert den geschäftssprachlichen F nktionalstil der aļtrussischen Schrift-

sprache. Die westrussische Urkundensprache (Smolensk, Polozk) hat sich im 15.

bis 17. Jahrhundert nl einer Kanzleisprache mit eigenartigen Merkmalen entwįckelt, die als Kanzleisprache des GroBfiĪstęntums Litauen giĮt' Man nęnnt się

häufig mittelwęiBrussische Schriftsprache. Daneben wird die Selbstbenennung

pycxa MoBa ('russische Sprache') gebraucht' In der wissenschaftļichen Literaturgibt es auch andere Bezeichnungen flįr diese Verkehrssprache [Mnzuszrw2000, 165-112]. Unter den Merkmaļen der Kanzļeisprache des GroBfiįrstentums

Litauen hebt Soeol-Bvsrr.l [1980, 10-131 die groBe Anzahl von Polonismen so-

wie die Beeinflussung durch die westeuropäische Tradition im Formelgebrauch

hervor' Dię Poļozker Urkundensprache sowie deren Verhältnis zur Kanzleispra-

che dęs GroBfürstentums Litauen hat der Norweger Christian S. SrANc [1939]untersucht.

In der Sprache der altrussisch-deutschen Vertragsurkunden, die nach ih-

rem Ursprung dem nordwestrussischen Sprachraum und dem Zeitabschnitt zwi-

schen dem Ende des 12' Jahrhunderts und dem Ende des ļ5' Jahrhunderts ange-

horen, äuBert sich die Variation der Sprachmittel unter anderem im terminologi-

schen Wortschatz. Dię terminologischęn Worter beziehen sich auf Recht, Han-

del, gesellschafttiches Leben, soziaļe Verhäļtnisse urrd Kanzļeiwesen und sind

Teiļ der lexikaļischen Norm der Urkundensprache. Die Analyse ihręs Gebrauchs

trägt dazu bei, die Herausbildung dieser Sondersprachę zu erschlięBen'Im vorliegenden Beitrag werden dię terminologischen Worter behandęlt,

die Ämter bezeichnen' Im terminologischen Wortschatz der aļt- und mitteļrussi-

schen Urkunden und anderer Sprachdenkmäler variieren die Bezeichnungen fur

Richter und Verwaltungsbeamte lzu bormestere, borchgreve vg),. SKVAIRS

selnPaulBd.