Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung

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Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung Wurzeln – Gemeinsamkeiten – Abgrenzungen – Wandel am Beispiel der Vereinsgeschichte der „Deutschen Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur“. Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Magisters der Philosophie an der Karl-Franzens-Universität Graz vorgelegt von Hermann SOYKA am Institut für Geschichte Begutachter: Ao.Univ.-Prof. Dr.phil. Dieter-Anton Binder Graz, 2013

Transcript of Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung

Zwischen Jugendbewegung

und Abstinenzbewegung

Wurzeln – Gemeinsamkeiten – Abgrenzungen – Wandel

am Beispiel der Vereinsgeschichte

der „Deutschen Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur“.

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades

eines Magisters der Philosophie

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von

Hermann SOYKA

am Institut für Geschichte

Begutachter: Ao.Univ.-Prof. Dr.phil. Dieter-Anton Binder

Graz, 2013

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung

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Ehrenwörtliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, daß ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne

fremde Hilfe verfaßt, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den

Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht ha-

be. Die Arbeit wurde bisher in gleicher Form keiner inländischen oder ausländischen

Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung

entspricht der eingereichten elektronischen Fassung.

Graz, 29. November 2013 Hermann Soyka

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung

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Danksagung

Meiner Frau Jolanthe danke ich für Ihre laufende Unterstützung beim Korrekturlesen so-

wie beim Ausmerzen stilistischer und grammatikalischer Fehler dieser Arbeit. Außerdem danke

ich ihr für die Geduld, mit der sie die Jahre meines Studiums unterstützt hat und auf viele Frei-

zeitaktivitäten verzichten mußte.

Ganz besonders danke ich Herrn Ao.Univ.-Prof. Dr. Dieter A. Binder dafür, daß er in ei-

ner unerwartet veränderten Situation die Betreuung und Begutachtung der Arbeit übernommen

hat.

Frau Mag. Sigrid Faustmann danke ich dafür, daß sie mir dank ihrer profunden Englisch-

kenntnisse den Text des Abstracts ins Englische übersetzte.

Den Herren Erich V. Kerck (Wien), Univ. Prof. Dr. Gebhard Rieger (Bad Hall) und Univ.

Prof. Dr. Herwig Wolfram (Wien), danke ich dafür, daß sie mir in persönlichen Gesprächen

ihre und ihrer Väter Erlebnisse im Österreichischen Wandervogel und in der Abstinenz-

bewegung vermittelt haben.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung

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Inhalt

1. Einleitung ........................................................................................................................... 7 1.1. Themenstellung, Hintergrund der Arbeit .................................................................................. 7 1.2. Aufbau, methodische Vorgehensweise ..................................................................................... 8 1.3. Quellenlage ............................................................................................................................. 10

2. Soziale Bewegungen ........................................................................................................ 12 3. Das politisch-ideologische Umfeld – ein kurzer Exkurs .............................................. 18

3.1. Völkisch – national – nationalistisch? .................................................................................... 18 3.1.1. Ansätze einer Definition ............................................................................................................. 18 3.1.2. Entwicklung im Deutschen Reich ............................................................................................... 21 3.1.3. Entwicklung in Österreich ......................................................................................................... 22

3.2. Eugenik ................................................................................................................................... 28 3.3. Fazit ........................................................................................................................................ 31

4. Abriß zur Geschichte der Abstinenzbewegung ............................................................ 33 4.1. Definition, Entstehung, Entwicklung ...................................................................................... 33 4.2. Wissenschaftliche Grundlagen ................................................................................................ 34

4.2.1. Hufeland .................................................................................................................................... 34 4.2.2. Baer............................................................................................................................................ 34 4.2.3. Bunge ......................................................................................................................................... 35 4.2.4. Forel .......................................................................................................................................... 36 4.2.5. Kraepelin ................................................................................................................................... 36

4.3. Theoriemodelle ....................................................................................................................... 37 4.3.1. Christlicher Ansatz .................................................................................................................... 37 4.3.2. Sozialdemokratischer Ansatz ..................................................................................................... 38 4.3.3. Völkischer Ansatz, Jugendbewegung ......................................................................................... 38

4.4. Gegenpositionen und Konfliktlinien ....................................................................................... 39 4.4.1. Alkoholwirtschaft ....................................................................................................................... 39 4.4.2. Mäßigkeitsbewegungen .............................................................................................................. 39 4.4.3. Konfliktlinien ............................................................................................................................. 40

4.5. Alkoholgegnerische Organisationen (Beispiele) .................................................................... 41 4.5.1. Guttempler ................................................................................................................................. 41 4.5.2. Blaues Kreuz .............................................................................................................................. 41 4.5.3. Kreuzbund .................................................................................................................................. 41 4.5.4. Arbeiter-Abstinentenbund .......................................................................................................... 42

4.6. Zusammenfassung................................................................................................................... 42 5. Lebensreform und Jugendbewegung ............................................................................ 44

5.1. Die Lebensreform ................................................................................................................... 44 5.2. Die deutsche bürgerliche Jugendbewegung ............................................................................ 50

5.2.1. Gesellschaftliches, politisches, pädagogisches Umfeld ............................................................. 50 5.2.2. Entstehungsphase ....................................................................................................................... 52 5.2.3. Selbstverständnis, Motivation .................................................................................................... 54 5.2.4. Die Alkoholfrage in der Jugendbewegung ................................................................................. 58 5.2.5. Bündnisse, Gemeinsamkeiten ..................................................................................................... 60 5.2.6. Die Meißner-Tagung .................................................................................................................. 61 5.2.7. Der Wandervogel in Österreich ................................................................................................. 63

5.3. Zusammenfassung................................................................................................................... 67 6. Vereinsentwicklung ......................................................................................................... 70

6.1. Die Anfänge ............................................................................................................................ 70 6.1.1. Gründung und Grundsätze ......................................................................................................... 70 6.1.2. Gliederung ................................................................................................................................. 70

6.2. Die Vereinszeitschrift ............................................................................................................. 72 6.3. Tätigkeiten, Schwerpunkte ..................................................................................................... 73

6.3.1. Aufbau, Wachstum ..................................................................................................................... 73

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung

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6.3.2. Außenwirkung, Öffentlichkeitsarbeit ......................................................................................... 75 6.3.3. Organisatorisches ...................................................................................................................... 88 6.3.4. Innere Ausrichtung, Diskurse .................................................................................................... 98 6.3.5. Zeit der Wirtschaftskrise, Radikalisierung ............................................................................... 106 6.3.6. Gärungslose Früchteverwertung – „Süßmost“ ....................................................................... 111

6.4. Endphase und Auflösung ...................................................................................................... 113 6.5. Zusammenfassung................................................................................................................. 115

7. Jugendarbeit .................................................................................................................. 120 7.1. Selbstverständnis, Bezug zur Jugendbewegung .................................................................... 120 7.2. Jugendbezogene Grundsätze, Ziele, Aktivitäten ................................................................... 121 7.3. Die Jungschar ........................................................................................................................ 134 7.4. Publikationen ........................................................................................................................ 139

7.4.1. Jungschar ................................................................................................................................. 139 7.4.2. Deutsche Jugend ...................................................................................................................... 140 7.4.3. Junggemeinschaft ..................................................................................................................... 140 7.4.4. Jungvolk ................................................................................................................................... 141

7.5. Kulturarbeit ........................................................................................................................... 142 7.6. Zusammenfassung................................................................................................................. 143

8. Ortsgruppen................................................................................................................... 148 8.1. Ortsgruppengründungen ....................................................................................................... 149

8.1.1. Burgenland .............................................................................................................................. 149 8.1.2. Kärnten .................................................................................................................................... 149 8.1.3. Niederösterreich ...................................................................................................................... 155 8.1.4. Oberösterreich ......................................................................................................................... 157 8.1.5. Salzburg ................................................................................................................................... 159 8.1.6. Steiermark ................................................................................................................................ 161 8.1.7. Tirol ......................................................................................................................................... 166 8.1.8. Vorarlberg ............................................................................................................................... 166 8.1.9. Wien ......................................................................................................................................... 166

8.2. Ortsgruppenaktivitäten (Beispiele) ....................................................................................... 168 8.3. Behördenmaßnahmen, Umbildung bzw. Auflösung von Ortsgruppen ................................. 171

8.3.1. Kärnten .................................................................................................................................... 171 8.3.2. Salzburg ................................................................................................................................... 177 8.3.3. Steiermark ................................................................................................................................ 178

8.4. Mitgliederstand, Ortsgruppengründungen und Bestandsdauer ............................................. 184 8.5. Zusammenfassung................................................................................................................. 188 8.6. Vereinsüberleitung im NS-System ....................................................................................... 189

9. Die Entwicklung in der Tschechoslowakischen Republik ......................................... 192 9.1. Chronologie, Tätigkeiten ...................................................................................................... 192 9.2. Zusammenfassung................................................................................................................. 200

9.2.1. Deutsch-tschechische (bzw. rumänische) Ortsnamen .............................................................. 201 10. Schlußbetrachtungen .................................................................................................... 202 11. Anhang Dokumentationen............................................................................................ 206

11.1. Zu Kap. 6.3. Tätigkeiten, Schwerpunkte .............................................................................. 206 11.2. Zu Kap. 7.1. Selbstverständnis, Bezug zur Jugendbewegung ............................................... 214 11.3. Zu Kap. 7.3. Die Jungschar ................................................................................................... 218 11.4. Zu Abschn. 9. Die Entwicklung in der Tschechoslowakischen Republik ............................ 220 11.5. Bundestage, Mitglieder der Bundesleitung ........................................................................... 221

12. Quellen- und Literaturverzeichnis .............................................................................. 228 12.1. Quellen .................................................................................................................................. 228 12.2. Literatur ................................................................................................................................ 228 12.3. Internet-Quellen .................................................................................................................... 231 12.4. Archive .................................................................................................................................. 233 12.5. Abkürzungen, Siglen............................................................................................................. 234

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13. Personenregister ............................................................................................................ 236 14. Abbildungen................................................................................................................... 239

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 1. Einleitung

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1. Einleitung

1.1. Themenstellung, Hintergrund der Arbeit

Die deutsche bürgerliche Jugendbewegung als soziale Bewegung, aufgetreten an der

Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, vertrat einen grundlegenden Reformansatz zur Änderung

der menschlichen Lebensformen, der Lebensgestaltung und des Lebenszieles der Jugendlichen.

„Die bürgerliche Jugendbewegung entstand im deutschen Sprachraum seit dem letzten

Jahrzehnt des 19. Jh. Sie entwickelte sich zu einem faszinierenden Mikrokosmos der Gesell-

schaft und brachte Ideen und Wertvorstellungen, utopische Entwürfe und Stilformen hervor, die

die bürgerliche Mentalität und Kultur stark beeinflussten. Viele Aufbruch- und Reformbewe-

gungen des 20. Jh. waren und sind mit der Jugendbewegung eng verbunden.“1

Etwa zur gleichen Zeit entstand neben der Jugendbewegung auch eine umfassendere Le-

bensreformbewegung, die auf die persönliche Lebensgestaltung der Menschen Einfluß nehmen

wollte und neue Formen und Normen u. a. auf den Gebieten der Ernährung, Bekleidung, Erzie-

hung, der Musik, der bildenden Kunst und des Tanzes hervorbringen sollte. Beide, sowohl Ju-

gendbewegung als auch Lebensreform, sahen sich als Antworten auf den politisch-wirt-

schaftlich-gesellschaftlichen Wandel, auf die Modernisierungen des ausgehenden 19. Jahrhun-

derts. Zueinander in Wechselwirkung stehend, fokussierten sie das latente Unbehagen größerer

Bevölkerungskreise auf diesen Wandel und versuchten, mit neuen Lebensformen, mit neuen

Prioritäten, mit neuen Denkgebäuden aus einer gefühlten Entwurzelung heraus neuen Halt zu

finden.

Bereits früher, etwa in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, bildete sich im angloame-

rikanischen Raum eine zunächst religiös-ethische motivierte Abstinenzbewegung, die später

von der Medizinwissenschaft argumentativ gestützt wurde.

Alle drei Strömungen – Abstinenz, generelle Lebensreform, Jugendbewegung – flossen

in der Entstehung und Entwicklung des in dieser Arbeit beschriebenen Vereins, der „Deutschen

Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur“ zusammen. Organisatorisch aus bestehenden Abstinenz-

vereinigungen (Guttempler) hervorgegangen, durch persönliche Erlebnisse der Protagonisten

und eine gewisse Vorbildwirkung an der Jugendbewegung, vor allem vertreten durch den

Wandervogel, orientiert, entstand in Österreich eine Vereinigung, die sich inhaltlich vor allem

1 Archiv der deutschen Jugendbewegung. � Internet-Quellen.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 1. Einleitung

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der sozialhygienischen Argumente der Abstinenzbewegung bediente, die in ihrem inneren Auf-

bau, ihrem Selbstverständnis und ihrem Auftreten in der Öffentlichkeit Anleihen an der Ju-

gendbewegung nahm.

Es besteht eine ziemlich umfangreiche Literatur über Jugendbewegung und Lebensreform

im deutschen Raum2, sowohl im wilhelminischen Kaiserreich als auch in der Weimarer Repub-

lik; Österreich in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg bis zur Machtübernahme des Nationalso-

zialismus wird nur dürftig behandelt. Auch die Abstinenzbewegung in Österreich zwischen

1919 und 1938 ist sehr wenig dokumentiert. So schreibt z. B. Cordula Hölzer in ihrem Werk

über die Antialkoholbewegung der deutschsprachigen Länder3 über Österreich lediglich knapp

eine Seite. Als Organisation nennt sie nur den „Zentralverband österreichischer Alkoholgeg-

nervereine“. Einzelvereine wie z. B. den Arbeiter-Abstinentenbund, die Deutsche Gemein-

schaft oder die Guttempler erwähnt sie nicht.

Hier war es mir ein Bedürfnis, eine Lücke zu schließen. Durch verwandtschaftliche und

freundschaftliche Beziehungen zu einigen – längst verstorbenen – Angehörigen der „Deutschen

Gemeinschaft“ konnte ich ein Element der „oral history“ einbringen, und außerdem war ich in

dem etwa um 1955 gegründeten Nachfolgeverein, der „Gemeinschaft – Bund für suchtgiftfreie

Lebensgestaltung“, mehrere Jahrzehnte, u.a. als Vorstandsmitglied, tätig. Dieser Verein löste

sich 2005 unter meiner Obmannschaft mangels Mitgliedern freiwillig auf.

1.2. Aufbau, methodische Vorgehensweise

Die Arbeit ist in zehn thematische Abschnitte gegliedert und enthält weiters neben dem

Anhang mit Dokumentationen, dem Quellen- und Literaturverzeichnis sowie einem Personen-

register noch einen eigenen Abschnitt mit Abbildungen. Die Trennung von Text und Abbildun-

gen soll einen ungestörten Lesefluß, ungehindert von eingestreuten Bildern, bewirken.

Zunächst wird das Wesen von sozialen Bewegungen behandelt, werden die Vorausset-

zungen für ihr Entstehen, methodische Unterschiede in der Arbeitsweise und innerer Aufbau

beschrieben. Die Geschichte der Abstinenzbewegung zeigt ihren Weg von einer Gruppierung

religiös motivierter Idealisten zu einer breiter aufgestellten Basis mit wissenschaftlich fundier-

ten medizinischen und sozialhygienischen Argumenten.

2 Ich verwende den Begriff „Deutscher Raum“ als Synonym für das Gebiet deutscher Sprache, unabhängig von der jeweiligen zeitbezogenen politischen Gliederung und Staatszugehörigkeit der handelnden Personen.

3 Hölzer, Cordula: Die Antialkoholbewegung in den deutschsprachigen Ländern (1860-1930). Serie: Europäi-sche Hochschulschriften. Reihe 3, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, Bd. 376. Köln, Univ.Diss. 1988; 110.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 1. Einleitung

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Der Abschnitt über das politisch-Ideologische Umfeld jener Zeit (der Jahre 1920-1934)

versucht in Form eines kurzen Exkurses die Begriffe „völkisch“, „national“ bzw. „nationalis-

tisch“ in ihrem Inhalt und in ihrer argumentativen Verwendung zu erfassen. Auch die Eugenik,

die eine Basis für rassehygienische Vorstellungen lieferte, wird hier behandelt.

Das Kapitel „Lebensreform und Jugendbewegung“ behandelt das Aufkommen dieser

Gruppierungen im Kontext des wirtschaftlich, politisch und militärisch erstarkten Deutschen

Kaiserreiches mit seinen patriotisch-martialischen Formen des öffentlichen Lebens und der

Jugenderziehung. Da die ideellen Wurzeln der bürgerlichen Jugendbewegungen in Deutschland

liegen, werden größtenteils die dortigen Entwicklungen beschrieben. Entstehung und Aufbau in

Österreich ab 1911 geschahen auf dieser Grundlage, deshalb behandelt das Kapitel über den

Wandervogel in Österreich nur die mehr die hier relevanten Besonderheiten.

Der Kernabschnitt über die Vereinsgeschichte der „Deutschen Gemeinschaft“ behandelt

in erster Linie detailliert die Jahre 1920-1934. amtliche Maßnahmen und Auflösung von Orts-

gruppen werden bis ca. 1938-1940 untersucht, einzelne Nachträge aus Behördenakten reichen

bis in die frühen 1950er Jahre. Zunächst werden die Entstehung, die Gliederung und die Publi-

kationen des Vereins beschrieben. Weiters wird auf die Arbeitsweise, die Außenwirkung und

die inneren Diskurse eingegangen. In eigenen Abschnitten ausführlich beschrieben wird an-

schließend die Jugendarbeit mit ihren Verflechtungen zur völkischen Jugendbewegung, sowie

weiters das Leben der Ortsgruppen von der Gründung bis zur (meist behördlich erfolgten) Auf-

lösung nach dem „Anschluß“ Österreichs an das Deutsche Reich.

Ein eigener Abschnitt ist der Tätigkeit in der Tschechoslowakei gewidmet, weil dorthin,

trotz vereinsrechtlicher Eigenständigkeit, über mehrere Jahre hinweg eine gegenseitige Ein-

flußnahme bestand. Die Schlußbetrachtungen fassen nochmals die wesentlichsten Gesichts-

punkte der Arbeit zusammen.

In den Abschnitten über die Vereinsentwicklung (Tätigkeiten, argumentative Schwer-

punkte, Jugendarbeit, Ortsgruppen, Entwicklung in der ČSR) verwende ich verhältnismäßig

viele Originalzitate, weil diese am klarsten die Motivation, das Wollen, die Handlungsweise

und die Ziele der handelnden Protagonisten erkennen lassen. Auch läßt sich mit der Methode

des Zitierens ein gutes Stimmungsbild der Zeit, der damaligen Gepflogenheiten und Aus-

drucksweisen, der Lebenswelt der Menschen vermitteln. Weiters habe ich mich bemüht, die

Wortwahl in den Publikationen über „Volk“, „ Nation“, „ Rasse“ dem damaligen Wissensstand,

den Lebensumständen und dem verbreiteten „Zeitgeist“ der beschriebenen Epoche entspre-

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 1. Einleitung

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chend wertfrei zu übernehmen und nicht heutiges Wissen über das nachfolgende System des

Nationalsozialismus, quasi „ex post“, als Werturteil einfließen zu lassen.

Auch die Nennungen der Funktionäre mit ihren seinerzeitigen Bezeichnungen aus den

frühen 1920er Jahren, z.B. „Führer“, „Gauleiter“ oder „Ortsgruppenleiter“, klingen heute nach

den Erfahrungen, die mit diesen Bezeichnungen aus der NS-Zeit verbunden sind, selbstver-

ständlich verstörend. Ich halte es aber im Sinne der historischen Wahrheit für unverzichtbar, sie

im Text zu verwenden und nicht mit selbstgewählten Begriffen zu umschreiben.

Im Sinne einer sauberen Trennung von Bericht einerseits und Analyse bzw. Interpretation

andererseits ist der Verein mit seinen Aktivitäten und seiner Entwicklung in den einzelnen Ab-

schnitten bewußt weitgehend unreflektiert beschrieben. Stellungnahmen und Kommentare dazu

finden sich in eigenen Kapiteln an den Enden der jeweiligen Abschnitte.

Längere Originalzitate stehen in den Dokumentationen des Anhangs und bringen vertie-

fende Begleitinformationen zu den jeweils im Hauptteil behandelten Themen. Ebenso sind eine

chronologische Übersicht über die Vereinsversammlungen und die Nennung der gewählten

Funktionäre in den Anhang ausgelagert.

Sämtliche Hervorhebungen in den Zitaten (gesperrter Druck, Fettdruck, Unterstreichun-

gen) sind den Originalen entsprechend übernommen worden.

1.3. Quellenlage

Die Hauptquelle zur Vereinstätigkeit und den wichtigsten Ereignissen bildete die Ver-

einszeitschrift „Deutsche Gemeinschaft, Zeitschrift für alkoholfreie Kultur“, welche aus den

Jahren 1923 bis 1934 vorlag. Von 1921 bis 1923 veröffentlichte der Verein seine Mitteilungen

in der Zeitschrift „Die Südmark, Alpenländische Monatsschrift für deutsches Wesen und Wir-

ken“ in Graz. Weiters gab es eine Reihe von Flugblättern, die der Vereinszeitschrift beigelegt

worden waren. Aus dem Gründungsjahr 1920 und den Jahren nach 1934 waren keine Verein-

spublikationen auffindbar.

Die Archivrecherche litt grundsätzlich darunter, daß nach dem „Anschluß“ Österreichs an

das Deutsche Reich im Jahre 1938 eine Reihe von amtlichen Archivalien schrittweise an Berli-

ner Zentralstellen überstellt wurde. Auch durch Kriegseinwirkungen (Bombenschäden, Brände)

ist etliches Material verschwunden.

In den Landesarchiven der Steiermark, Kärntens und Salzburgs konnte ich auf eine grö-

ßere Zahl von Akten der Bezirksverwaltungsbehörden sowie der Sicherheitsdirektionen zugrei-

fen, in denen die Gründung mancher Ortsgruppen, die Satzungen, die Vereinsfunktionäre und

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 1. Einleitung

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fallweise auch die Auflösung von Ortsgruppen dokumentiert waren. Im Landesarchiv Oberös-

terreich gab es lediglich für eine Ortsgruppe (Schärding) einen Akt. Im Niederösterreichischen

Landesarchiv waren teilweise noch die Vereinsregisterblätter der Gemeinden mit dem Jahr der

Gründung und dem der Auflösung vorhanden; Akten über Ortsgruppengründungen, Nichtun-

tersagungen, die Namen der Funktionäre bzw. über die Auflösungen gab es keine. Im Wiener

Landesarchiv war ein Akt für die Ortsgruppe Frauenstein (Mödling) verzeichnet, der aber le-

diglich aus dem Aktendeckel bestand; der Inhalt war unauffindbar. Im Landesarchiv Burgen-

land gab es keine Unterlagen.

Über die Gründung des Hauptvereines, dessen Satzungen vom Staatsamt für Inneres mit

dem Erlaß Zl. 2068 vom 25. Jänner 19204 zur Kenntnis genommen worden waren, lag im ÖstA

nur ein leerer Aktendeckel auf. Laut Auskunft des dortigen Fachreferenten wurden diese Akten

gemeinsam mit zahlreichen anderen Wiener „Gauakten“ im Jahre 1940 nach Berlin ausgela-

gert.

Im Sinne von „oral history“ führte ich drei Interviews mit Personen über ihre Väter, die

als überzeugte Alkoholgegner in der „Deutschen Gemeinschaft“, aber auch in der Jugendbewe-

gung, im Österreichischen Wandervogel, tätig waren: Mit Erich Kerck jun. (Erich V. Kerck) in

Wien über Dr. Erich Kerck sen. (Erich L. Kerck, 1895-1990); mit Univ. Prof. Dr. Gebhard Rie-

ger in Bad Hall über Univ. Prof. Dr. Herwigh Rieger (1898-1986); mit Univ. Prof. Dr. Herwig

Wolfram in Wien über Prof. Dr. Fritz Wolfram (1906-1993). Auch Gespräche mit meinem Va-

ter, Dipl. Ing. Richard Soyka (1895-1975), und meinem Onkel, Dipl. Ing. Wolfgang Soyka

(1897-1989), die beide längere Zeit führend in der „Deutschen Gemeinschaft“ tätig waren, flos-

sen in diese Arbeit ein.

4 Bundessatzungen der „Deutschen Gemeinschaft“, dort S. 3, Fußnote; � Abb. 15c

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 2. Soziale Bewegungen

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2. Soziale Bewegungen

Soziale Bewegungen lassen sich definieren als eine „… Reihe von Handlungen und Un-

ternehmungen, von einer Personengruppe um eines bestimmten Zieles willen ausgeführt …“5

Sie verstehen sich als „…ein mobilisierender kollektiver Akteur, der mit einer gewissen Konti-

nuität auf der Grundlage hoher symbolischer Integration und geringer Rollenspezifikation mit-

tels variabler Organisations- und Aktionsformen das Ziel verfolgt, grundlegenden sozialen

Wandel herbeizuführen, zu verhindern oder rückgängig zu machen.“ 6

Heinz und Schöber verwenden die Bezeichnung „kollektives Verhalten“ als Oberbegriff,

innerhalb dessen „soziale Bewegungen“ einen Teilaspekt bilden. Sie verbinden damit die Vor-

stellung, „[…] daß es sich dabei um Verhaltensweisen handelt, die den in der Gesellschaft in-

stitutionalisierten Normen nicht entsprechen.“ 7

Wasmuht unterscheidet zwischen sozialen Bewegungen und Kollektivverhalten. Den

Hauptunterschied sieht sie im Zeitrahmen des Handelns: Während Kollektivverhalten auf kurz-

zeitige Aktionen (Unruhen, Paniken, Mob-Verhalten) ausgerichtet sei, würden soziale Bewe-

gungen über einen längeren Zeitraum hinweg grundlegende Veränderungen anstreben. Somit

sei eine soziale Bewegung auf „normativ-wertorientierte Bewußtseinsänderung“ ausgerichtet,

verbunden mit einer Gesamt- oder Teilkritik am Zustand eines Gesellschaftssystems. Eine sol-

che Bewegung würde getragen von Einzelpersonen, die organisierte Gruppierungen initiieren,

um ihr Anliegen an die Öffentlichkeit zu tragen. Auch müßten soziale Bewegungen im Zu-

sammenhang mit der geschichtlichen Situation gesehen werden, weil sie in Wechselwirkung

mit den gesellschaftlichen Strukturen ihrer Zeit stünden.8

Wesentliche Voraussetzungen für das Entstehen einer sozialen Bewegung sind also ein-

zelne Personen oder Personengruppen, die bestimmte gesellschaftliche Bedingungen (Verhal-

tensweisen, Normen, Wertungen) beobachten, kritisch hinterfragen, allfällige negative Auswir-

5 Wilkinson, Paul: Soziale Bewegungen. Von Rousseau bis Castro. Reihe „List Taschenbücher der Wissen-schaft“, Bd. 1562. München, 1974; 8.

6 Raschke, Joachim: Soziale Bewegungen. Frankfurt/Main, New York, 1985; 77f. 7 Heinz, Walter R. und Schöber, Peter: Kollektives Verhalten – alte Fragen, neue Perspektiven.

In: Heinz/Schöber (Hg.): Theorien kollektiven Verhaltens. Beiträge zur Analyse sozialer Protestaktionen und Bewegungen, 2 Bde. Darmstadt und Neuwied, 1972, Bd. 1; 7.

8 Vgl. Wasmuht, Ulrike C.: Zur Untersuchung der Entstehung und Entwicklung sozialer Bewegungen. Ein analytischer Deskriptionsrahmen. In: Wasmuth (Hg.): Alternativen zur alten Politik? Neue soziale Bewegun-gen in der Diskussion. Darmstadt, 1989; 160f.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 2. Soziale Bewegungen

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kungen abschätzen, sie als Mißstände betrachten und daraus einen an sich selbst gerichteten

Handlungsauftrag ableiten.

Ein Teil dieses Handlungsauftrages besteht darin, Gleichgesinnte zu suchen und zu rekru-

tieren, die als Mit-Handelnde tätig werden; ein weiterer Teil sind gemeinsam in Gang gesetzte

Tätigkeiten, die eine Außenwirkung entfalten, um die aufgezeigten Mißstände abzustellen und

einen gesellschaftlichen Normenwandel herbeizuführen. Kennzeichnend sind weiters Dauerhaf-

tigkeit der Bestrebungen der Bewegung, ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl der handeln-

den Personen, keine feste Rollenverteilung sowie im allgemeinen Erfindungs- und Abwechs-

lungsreichtum in ihren Aktionen. Der Erfolg sozialer Bewegungen hängt nicht davon ab, für

wie bedeutend ihre Aktivisten ein Problem halten, sondern davon, wie sehr es ihnen gelingt,

öffentliches Bewußtsein für dieses Problem zu schaffen.

Schneider9 sieht als wichtiges Merkmal einer sozialen Bewegung eine Zieldefinition, ei-

nen Prozeß, „ […] an dessen Beginn Wahrnehmungs- und Deutungsprozesse von gesellschaftli-

chen Strukturmerkmalen oder Wandlungstendenzen stehen, die als konflikthaft erlebt oder ge-

deutet werden. Dabei kann bestimmten politischen oder wirtschaftlichen Ereignissen eine Ka-

talysatorfunktion zukommen.“ Auch sieht Schneider die Definition des Zieles als einen dynami-

schen Prozeß, welcher sowohl das eigentliche (utopische) Ziel der Bewegung, als auch die

dorthin führenden Strategien und Taktiken beschreibt.10

Um Menschen zu veranlassen, in einer sozialen Bewegung mitzumachen, müsse ein Be-

wußtsein der Wichtigkeit, der Dringlichkeit und der Erfolgswahrscheinlichkeit geschaffen wer-

den: „Ein Individuum wird sich nur dann an einer sozialen Bewegung beteiligen, wenn der

Konflikt, um dessen Lösung sich die Bewegung bemüht, als besonders intensiv und folgenreich

wahrgenommen wird. [Die Bewegung] muß bemüht sein, die Wichtigkeit und Dringlichkeit, die

die betroffenen Individuen der Lösung des zugrundeliegenden Konfliktes beimessen, zu erhö-

hen. [… Auch sind solche Bewegungen] bemüht, bei den Betroffenen das Gefühl hervorzurufen

und zu stabilisieren, daß die Bestrebungen der Bewegung zur Konfliktlösung eine gewisse Er-

folgswahrscheinlichkeit haben.“11

Nach Raschke sind soziale Bewegungen Produkte und Produzenten der Moderne, Er-

scheinungen, die durch Änderungen der gesellschaftlichen Bedingungen hervorgebracht wer-

9 Schneider, Norbert F.: Was kann unter einer „sozialen Bewegung“ verstanden werden? Entwurf eines analy-tischen Konzeptes. In: Wasmuht, Alternativen zur alten Politik, 196-206.

10 Vgl. Schneider, „Soziale Bewegung“, 199. 11 Ebd., 202.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 2. Soziale Bewegungen

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den und diese Bedingungen umgekehrt zu ändern versuchen. Soziale Bewegungen „… sind ein

Produkt moderner Gesellschaft, deren zunehmende Mobilisierung und Rationalisierung sich

auch auf der Ebene politischen Handelns [niederschlägt]. [… Sie] sind aber auch Produzent

der politischen Moderne. Geschichte der Neuzeit im 19., mehr noch im 20. Jahrhundert ist

auch immer Geschichte von sozialen Bewegungen. Massenaktivitäten für zielbewussten Gesell-

schaftswandel haben der Politik ein neues Gesicht gegeben.“ 12 Der Begriff „Bewegung“ ist

auch eng mit dem Begriff „Kultur“ verknüpft. „Sprache, Ideen und Stil von Bewegungen spie-

geln unvermeidlich umfassendere kulturelle Veränderungen, und man findet oft, dass sie von

sich aus als Ausdruck kulturellen Wandels wichtig sind.“13

Ein weiteres Merkmal sozialer Bewegungen ist es, sich gegen Konventionen zu stellen.

Sie sind „… nonkonformistisch in Bezug auf bestimmte gesellschaftliche Normen oder Werte,

[…] die sie durch ihre Aktivitäten ändern wollen.“14 Auch ist soziale Bewegung „… bewusstes

und gezieltes Handeln zur Abhilfe von Missständen – eine neuzeitliche Gestaltungsform der

Vergesellschaftung sozialen Wandels …“.15

Bei Schneider enthalten soziale Bewegungen ein reaktives Element. „Sie sind ebenso wie

die Konflikte, die sie zum Ausdruck bringen, Produkte der Gesellschaft, in der sie agieren. Zu-

gleich sind soziale Bewegungen auch proaktiv. Sie strukturieren und konturieren den zugrunde-

liegenden Konflikt […] , steigern die Bedeutsamkeit und Öffentlichkeit dieses Konfliktes […

und] vitalisieren und aktzentuieren diesen […] .“16

Zald und Ash17 unterscheiden bei organisierten sozialen Bewegungen zwischen „inklusi-

ven“ und „exklusiven“ Organisationen. Eine „inklusive“ Organisation verlange von ihren Mit-

gliedern ein Mindestmaß an anfänglichem Engagement, verlange allgemeine Unterstützung

ohne besondere Pflichten, geringere Aktivität und gestatte die Zugehörigkeit auch zu anderen,

ähnlich ausgerichteten Organisationen. Ziele, Grundsätze und Taktiken der Gruppe müßten die

Mitglieder nicht voll verinnerlicht haben.

12 Raschke, Soziale Bewegungen, 11 13 Wilkinson, Soziale Bewegungen, 11f. 14 Raschke, Soziale Bewegungen, 17 15 Ebd., 18 16 Schneider, „Soziale Bewegung“, 201. 17 Zald, Mayer N. und Ash, Roberta: Organisationsformen sozialer Bewegungen. Wachstum, Zerfall und Wan-

del. In: Heinz, Walter R. und Schöber, Peter (Hg.): Theorien kollektiven Verhaltens. Beiträge zur Analyse sozialer Protestaktionen und Bewegungen, 2 Bde. Darmstadt und Neuwied, 1972. Bd. 1; 7-44.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 2. Soziale Bewegungen

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Eine „exklusive“ Organisation setze der vollen Teilnahme eine längere Wartezeit, eine

Art „Noviziat“ voraus, sie verlange von ihren Mitgliedern Disziplin und Unterwerfung unter

die Gruppenregeln, erwarte von ihnen ein großes Maß an Energie und Zeit, sich für die Bewe-

gung und ihre Ziele einzusetzen, und dringe tiefer in alle Lebensbereiche der Mitglieder ein.18

Die im folgenden behandelte Abstinenzbewegung, insbesondere die „Deutsche Gemein-

schaft für alkoholfreie Kultur“, enthält einige Elemente einer „exklusiven“ Organisation, vor

allem hinsichtlich des erwarteten Einsatzes von Energie und Zeit für die Ziele der Bewegung.

Was ihr fehlt, ist das vorgeschaltete „Noviziat“ und das Verlangen von Disziplin und Unterwer-

fung unter Gruppenregeln; dies mag vor allem bei religiös motivierten sozialen Bewegungen

zutreffen.

Mit dem Staatsgrundgesetz von 1867 hatte jedermann das Recht, einen Verein zu grün-

den. Damit hatten soziale Bewegungen die Möglichkeit, einen Rechtsstatus zu erlangen. Ha-

nisch und Urbanitsch verstehen die wachsende Vereinskultur neben der Bildung von Interes-

sengruppen, neben Genossenschaften, Massenbewegungen und verdichteter Kommunikation,

als Teil von Nationsbildung und Modernisierung im 19. Jahrhundert. Vereine fördern, getragen

vom Bildungsbürgertum, soziale Mobilisierung und schaffen ein Gefühl der Zusammengehö-

rigkeit, des Gruppenbewußtseins. „ […] Verbände von Menschen entwickeln Zugehörigkeits-

und Loyalitätsbindungen, die von Emotionen begleitet sind und Identitäten herstellen“.19

Raschke sieht in der sich entfaltenden kapitalistischen Industriegesellschaft des ausge-

henden 19. Jhdts. eine Rahmenbedingung für den Aufschwung sozialer Bewegungen. „Soziale

Modernisierung verändert die Kommunikationsbedingungen und die Konfliktstrukturen. Die

Kommunikation wird nachhaltig beeinflusst durch den Prozeß der Urbanisierung […] . Die

Massierung der Menschen in großen Siedlungen erleichtert ihre Austauschmöglichkeiten und

die raschere Koordination ihres Handelns. Arbeiter-, Frauen-, Lebensreform- und Jugendbe-

wegung sind alles städtische, meist großstädtische Bewegungen.“ 20 Aufbauend auf der Zielde-

finition einer Bewegung unterscheidet er zwischen macht- und kulturorientierten Bewegungen,

wobei die machtorientierten letztlich im politischen System bestimmend werden wollen. Dage-

gen liegt der „… Zielschwerpunkt kulturorientierter Bewegungen […] im soziokulturellen Be-

18 Vgl. Zald/Ash, Organisationsformen sozialer Bewegungen; 15. 19 Vgl. Hanisch, Ernst und Urbanitsch, Peter: Die Prägung der politischen Öffentlichkeit durch die politischen

Strömungen. In: Die Habsburgermonarchie, Band VIII, Politische Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft. 1. Teilband: Vereine, Parteien und Interessenverbände als Träger der politischen Partizipation. Wien, 2006, 15-111; hier 94f.

20 Raschke, Soziale Bewegungen, 32.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 2. Soziale Bewegungen

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reich. An die Stelle des Einwirkens auf Staat und Wirtschaft tritt hier der Versuch einer Ände-

rung des Individuums und der sozialen Beziehungen […].“ 21 Als Beispiele solcher kulturorien-

tierten Bewegungen nennt er die Lebensreform- und die Jugendbewegung. Diese Unterschei-

dung sehe ich als besonders wichtig an, weil mit dem Aufkommen der sogenannten „Achtund-

sechziger-Bewegungen“ in der einschlägigen Literatur meist nur solche Bewegungen unter-

sucht wurden und werden, die sich als machtorientiert verstehen, die durch Veränderungen im

gesellschaftlichen System Änderungen des Individuums herbeiführen wollen.

Die hier behandelte Jugendbewegung ging den umgekehrten Weg, sie wollte durch eine

(zunächst angestrebte) Änderung des Individuums, seines Denkens und Handelns anschließend

eine Änderung des gesellschaftlichen Systems, seiner Werte und Normen bewirken. Raschke

sieht die Jugendbewegung als eine „… Bewegung zwischen der Jahrhundertwende und dem

Faschismus, die – gegen einengende, konventionelle Autoritäten und eine mechanische Groß-

stadtkultur gerichtet – im Jugendlichsein selbst den Ausdruck positiv besetzter Werte wie Ge-

meinschaft, Einfachheit, Emotionalität und Vitalität sah […]. Der von einer bildungsbürgerli-

chen Identitätskrise um die Jahrhundertwende ausgelöste Antimodernismus der Jugendbewe-

gung war die Suche nach einer Verwirklichung jugendlicher Verkehrsformen neben und in Ab-

schließung von den industriellen und politischen Entwicklungen.“ 22 Zu ihrer eindeutigen Ab-

lehnung der gängigen Politik und Wirtschaft hatte die Jugendbewegung jedoch keinen eindeu-

tigen Gegenentwurf. Sie wollte „… den ‚integrierten Menschen’ in einer harmonischen Ge-

meinschaft schaffen, was nur in selbstbestimmten Lebensformen und –räumen möglich war.“23

Ihre Wirkung zeigte sich vor allem darin, dass „… Jugend als spezielle Lebensphase [… mit]

entsprechender Lebensweise gesehen [wurde].“24

Neben der Zieldefinition der Bewegung bedarf es jedoch auch einer Analyse der Ursa-

chen der Mißstände, die zu beheben die Bewegung angetreten ist. Diese Ursachen sind Motiv

und Bezugspunkt ihrer Zielprojektion. Die Ziele sind „… das Leitbild des Handelns einer Be-

wegung […]. Sie projektieren einen zukünftigen Zustand, der zugleich Orientierung ist für das

gegenwärtige Handeln.“ 25 Ziele sind im allgemeinen ideologisch motiviert. Gerade sie sind es,

die in Ermangelung materieller Anreize der Bewegung helfen, weitere Anhänger zu gewinnen.

Zu deren Rekrutierung lasse sich am einfachsten die informelle Ebene von Verwandtschafts-,

21 Raschke, 112. 22 Ebd., 47. 23 Ebd., 48. 24 Ebd., 49. 25 Ebd., 165.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 2. Soziale Bewegungen

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Freundschafts- und Bekanntschaftsbeziehungen der bereits gewonnenen Mitstreiter einsetzen.26

„Wichtiger […] als die materiellen Anreize […] sind die psycho-sozialen Anreize. Gemein-

schaftserlebnisse; soziale Anerkennung; Prestige; Freundschaft; Sinnerfüllung; Identitätsver-

mittlung; Befriedigung von Aktivitätsbedürfnissen; moralische Überlegenheit im Bewusstsein,

einer guten Sache […] zu dienen; […]“ 27, all das sind Beweggründe, in einer sozialen Bewe-

gung mitzuwirken. Wichtig für den inneren Zusammenhalt ist neben dem Problembewußtsein

der Akteure ein Wir-Gefühl, ein Gemeinschaftsgefühl durch gemeinsame Rituale und Zeremo-

nien, durch gemeinsame Erlebnisse und Aktionen.

26 Vgl.Raschke, 199. 27 Ebd., 202f.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 3. Das politisch-ideologische Umfeld

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3. Das politisch-ideologische Umfeld – ein kurzer Exkurs

Da sich der in dieser Arbeit beschriebene Verein, die „Deutsche Gemeinschaft für alko-

holfreie Kultur“, seinem Selbstverständnis nach als „deutsch-arisch“ bzw. „deutsch-völkisch“

empfand und Begriffe wie „Volk“, „national“, „Rasse“ immer wieder in der Argumentation

verwendet wurden, ist es angebracht, diese genauer zu fassen. Ein Blick auf das allgemeine

politisch-weltanschauliche Umfeld der Jahre 1920 bis ca. 1934 sowie auf die meist angespannte

Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage soll helfen, das Vokabular und die Aktivitäten der handeln-

den Personen verständlich zu machen.

3.1. Völkisch – national – nationalistisch?

Sucht man in der Literatur nach einer klaren, unzweideutigen und schlüssigen Definition

für „völkisch“ oder die Abgrenzung zu „national“ oder „nationalistisch“, so findet man zu-

nächst – nichts. Der online-Katalog des österreichischen Bibliotheksverbundes listet unter dem

Suchbegriff „völkisch“ 215 Titel auf. Und schon aus diesen Titeln läßt sich ableiten, daß der

Begriff je nach Erscheinungsjahr, Verfasser und Einbindung in den jeweiligen „Zeitgeist“ un-

terschiedlich gedeutet und behandelt wird. Zur fehlenden Eindeutigkeit gesellt sich als weiteres

Manko, daß die Literatur zum größten Teil die Entwicklung in Deutschland, vorwiegend im

wilhelminischen Kaiserreich und der Weimarer Republik, behandelt. Österreich, der „völki-

sche“ oder auch „deutsch-nationale“ Gedanke hier, wird meist nur als Randnotiz, als Begleiter-

scheinung beschrieben. Als dritte Besonderheit zeigt sich, daß das Thema mit dem Aufkommen

des Nationalsozialismus als weitgehend abgeschlossen betrachtet wird. Angesichts des in der

vorliegenden Arbeit behandelten Zeitraums von 1920 bis 1934 fällt diese Tatsache allerdings

wenig ins Gewicht, der mangelnde Österreich-Bezug ist da schon bedauerlicher. Man kann also

die Österreich-Argumentation weitestgehend nur mit Analogieschlüssen auf die reichsdeutsche

Argumentation erfassen.

3.1.1. Ansätze einer Definition

In der gegenwartsnahen Literatur ist ein Punkt faktisch unbestritten: Die Kausalitätskette,

die von „völkisch“ über „national“ zum Nationalsozialismus führt. Stefan Breuer schreibt dazu:

„Wer sich anschickt, ein Panoramabild der völkischen Bewegung in Deutschland zu entwerfen,

kann zumindest in einer Beziehung mit einer klaren Vorgabe rechnen: in der Wahl des Flucht-

punktes. Seit Adolf Hitler [...] für die NSDAP das Recht und die Pflicht in Anspruch nahm, sich

‚als Vorkämpferin und damit als Repräsentantin’ der ‚völkischen Ideen’ zu fühlen [...], ist die

Leitlinie vorgegeben, an die jede Behandlung des Gegenstands sich halten muß. Hätte es die

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 3. Das politisch-ideologische Umfeld

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NSDAP nicht gegeben, wären wohl auch andere Realisierungen der ‚völkischen Ideen’ denkbar

gewesen. Die Geschichte hat es jedoch nicht so gefügt, und damit steht jede Rekonstruktion vor

der Aufgabe, die völkische Bewegung auf den Nationalsozialismus zu beziehen.“ 28

Auch Puschner und Großmann sehen die Gemeinsamkeiten ähnlich, allerdings etwas dif-

ferenzierter. So bestünden „... konfliktreiche, aber enge – insbesondere ideologische - Gemein-

samkeiten ...“ zwischen den völkischen Bewegungen und dem Nationalsozialismus. „Die nati-

onalsozialistische Ideologie ist weitgehend identisch mit der völkischen Weltanschauung. [...]

Jede Beschäftigung mit dem völkischen Komplex muß den Nationalsozialismus mit in den Blick

nehmen, und dabei – gerade wegen der Verflochtenheit beider Bewegungen – auf die augenfäl-

ligen strukturellen und ideologischen Unterschiede achten.“ 29

Wenn – vor allem in Hinblick auf die Weimarer Republik – völkische Ideologie und Be-

wegung „… im Kontext des Nationalsozialismus betrachtet [und] im allgemeinen als ‚unmittel-

bares Vorspiel’ des Hitlertums …“ gesehen werden, gab es doch auch „… schwierige Bezie-

hungen zwischen Völkischen und Nationalsozialismus …“. Victor Klemperer z. B. betont

„… Hitlers gebrochenes Verhältnis zu den Völkischen … [Er] sah demnach in den ‚Völkischen’

‚seine Konkurrenten’, deren ‚Teutschtümelei’ er ablehnte, jedoch auch für seine Ziele partiell

zu instrumentalisieren wußte. Tatsächlich lehnte Hitler nicht nur den in seinen Augen diffusen

Begriff ‚völkisch’ ab, sondern insbesondere auch die ‚deutschvölkischen Wanderscholaren’,

mehr noch, er zählte die Völkischen zu den zahllosen Feinden des ‚neuen Regiments’.“ 30

Auch Günter Hartung sieht eine enge Beziehung zwischen der völkischen Ideologie und

dem Nationalsozialismus, denn „... im allgemeinen Bewußtsein galt die NSDAP bis zur Macht-

übernahme als die stärkste deutschvölkische Partei, [...]. Für die Geschichtsschreibung kann

daraus weder eine Kausalitätskonstruktion folgen, wonach die hitlerische Bewegung notwendi-

gerweise aus der völkischen [...] hervorgehen mußte, noch darf es dazu verleiten, den Untersu-

chungsgegenstand von vornherein auf die später wirksamen Momente einzuschränken.“ 31

In den Anfängen der völkischen Bewegung gegen Ende des 19. Jahrhunderts, zeitgleich

mit zunehmender Verfestigung von Weltpolitik und Welthandel, sieht Klaus v. See zwei wider-

28 Breuer, Stefan: Die Völkischen in Deutschland. 2. Aufl., Darmstadt, 2010; 7. 29 Vorwort [der Herausgeber] in: Puschner, Uwe/Großmann, G. Ulrich (Hg.): Völkisch und national.

Zur Aktualität alter Denkmuster im 21. Jahrhundert. Darmstadt, 2009, 8-13; hier 11. 30 Vorwort [der Herausgeber] in: Puschner, Uwe/Schmitz, Walter / Ulbricht, Justus H. (Hg.): Handbuch zur

„Völkischen Bewegung“ 1871-1918. München u.a., 1996, IX-XXIII; hier IX-X. Dort zit. aus: Klemperer, Victor: LTI. Notizbuch eines Philologen. Leipzig, 1933; 161 u. 253.

31 Hartung, Günter: Völkische Ideologie. In: Puschner/Schmitz/Ulbricht (Hg.): Handbuch zur „Völkischen Bewegung“, 22-41; hier 22f.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 3. Das politisch-ideologische Umfeld

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sprüchliche Bilder: „Auf der einen Seite stehen die mittel- und nordeuropäischen, die ‚nordi-

schen’ Völker, […] auf der anderen Seite die süd- und westeuropäischen Völker, die ihre

Grundlage im spätantiken, semitisch durchsetzten, levantinischen ‚Völkerchaos’ der mittelmee-

rischen Stadt- und Handelskultur haben.“

Weiter verschiebe sich dieses Schema: „Das Germanische geht allmählich im Arischen

[…] auf, das Römische [werde] schließlich mehr oder weniger mit dem Judentum gleichgesetzt

[…].“ Aus dieser Bipolarität entstehe eine „deutsche Volkstumsideologie“, die aus dem ständi-

gen „… Bewußtsein einer (tatsächlichen oder scheinbaren) Überfremdungsgefahr eine Ideolo-

gie [… entstehen …] läßt, die den Abschluß gegen Einflüsse von außen zu rechtfertigen sucht,

die in den Kategorien des Eigenen und des Fremden denkt […].“ 32

Im Gegensatz zu dieser unbestimmten, auf vagen Vorstellungen fußenden Wurzel der

völkischen Bewegung arbeitet Wolfgang Brückner drei Grundprinzipien heraus, die eine Art

„Heiligkeit“ konstituieren: „1.) ‚Heiliger Boden’ für die Ansässigen, 2.) ‚Heiligkeit der Nation’

als Volkskörpervorstellung, 3.) ‚Heilige Ordnung’ und ‚heile Kulturprägungen’ durch das

abendländische Individuum oder auserwählte Kollektive.“ 33 Etwas später verdeutlicht er diese

drei Grundprinzipien näher: Beim Prinzip „… ‚Heiliger Boden’ handelt es sich um das Phäno-

men der geographischen Verortung genetisch einheitlich gedachter Populationen; beim zwei-

ten Prinzip ‚Heiligkeit der Nation als Volkskörpervorstellung’ um die ebenfalls meist nur bio-

logisch verstandene Frage von Deszendenz der unterschiedlichsten Art und Weise […] . Beim

dritten Prinzip […] haben wir es mit noch komplexeren gesellschaftlichen Einbettungen von

Kultur als zweiter oder eigentlicher Kultur des homo sapiens sapiens zu tun, […].“ 34

Sieben Jahrzehnte früher, vor den mit dem NS-System gemachten Erfahrungen, sind die

Begriffe „Volk“, „Volkstum“ bzw. „völkisch“ noch wesentlich allgemeiner, ideeller, ohne real-

politischen Bezug verwendet. So unterscheidet z. B. Wundt zwischen Volk und Volkstum:

„Unter Vo l k verstehe ich die natürlich gegebene Einheit, deren Bedingungen durch die Na-

tur geboten sind. Vo l ks tum dagegen ist die bewußt geschaffene Form, die von den Men-

schen selbst aus diesen natürlichen Bedingungen herausgearbeitet wird.“ Diese „geschaffene

Form“ müsse noch ergänzt werden durch einen „leitenden Gedanken“, durch eine „Idee“, wel-

32 See, Klaus von: Freiheit und Gemeinschaft. Völkisch-nationales Denken in Deutschland zwischen Französi-scher Revolution und Erstem Weltkrieg. Heidelberg, 2001; 14f.

33 Brückner, Wolfgang: Denkmusterkritik: Volksmythos, Urzeitwahn, Kulturideologien. In: Pusch-ner/Großmann (Hg.): Völkisch und national. Zur Aktualität alter Denkmuster im 21. Jahrhundert. Darmstadt, 2009, 15-30; hier 15.

34 Ebd., 17.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 3. Das politisch-ideologische Umfeld

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cher die Menschen als „selbstgewähltem Zielpunkt“ zustrebten. Er sehe im Volk eine „natürli-

che“, eine „bewußte Gemeinschaft“, die „ihrer selbst bewußt“ sei. Diese Gemeinschaft ruhe auf

zwei Wurzeln: dem „Blut“ und dem „Boden“.35 Später entwickle sich noch „... die Gemein-

scha f t der Sprache [... und die] Gemeinschaf t der S i t t e.“36 So zeigt sich also, wie

schon einleitend angerissen, daß der Begriff „völkisch“ bzw. „national“ in der Zeit vor der NS-

Herrschaft mehr idealistisch-utopisch behandelt wird, nach seiner Instrumentalisierung durch

den Nationalsozialismus in der Rückschau aber als Vorstufe zu einem ideologischen Irrweg.

3.1.2. Entwicklung im Deutschen Reich

Als ein Kennzeichen des „völkischen Gedankens“ in der Weimarer Republik sieht Breuer

die „... Auffassung des Volks als eines organischen Ganzen.“ Die beherrschende Ansicht hier-

bei sei eine „... besondere Eigenart des Volkstums auf allen Gebieten: Rasse, Moral, Religion,

Kunst, Literatur, Wissenschaft und Wirtschaftsleben, [...] die Volk und Staat in dem Unter-

schied mit anderen Völkern und Staaten ausmachen.“ 37 Interessanterweise findet er auch Ver-

bindungen zwischen „völkischem Nationalismus“ und der Lebensreformbewegung. Er meint,

daß diese Bewegung, „... die mit dem Vegetarismus und Antivivisektionismus der späten

[18]60er und siebziger Jahre einsetzt, [die] von der Antialkohol- über die Bodenreform- und

Gartenstadtbewegung bis zur Siedlungs- und Nacktkulturbewegung [reicht, die] Völkischen aus

mehreren Gründen [anziehe].“38 Ähnlich äußern sich auch Puschner u. a. in ihrem „Handbuch“,

wenn dort von einer „weltanschaulichen Breite“ geschrieben wird, von Gedankengebilden (=

„ Ideologemen“), die teils auf einer „weitgefächerten Lebensreformbewegung“ beruhen, teils auf

einem „... auf rassentheoretischen Fundamenten ruhenden Radikalnationalismus, der von einer

in der Geschichte begründeten Auserwähltheit des deutschen Volkes ausging.“39

Die Herausgeber sehen in der völkischen Bewegung ein „breites weltanschauliches

Spektrum“, eine „differenzierte Organisiertheit“ ohne einheitliche Zielrichtung. Dies sei vor

allem an der „... Uneinigkeit der einzelnen, sich ständig befehdenden ‚Führer’...“ gelegen.

„Ausschlaggebend [...bleibe jedoch...] der Charakter einer Sammelbewegung, in der sich un-

terschiedlichst organisierte Gruppen, vielfältigste Strömungen, Ideen und Anliegen nebenei-

35 Wundt, M.: Volk, Volkstum, Volkheit. Aus der Reihe „Friedrich Mann’s Pädagogisches Magazin“, Heft 987, Schriften zur politischen Bildung. Langensalza, 1927; 7f.

36 Ebd., 17. 37 Breuer, 18. 38 Ebd., 100. 39 Vorwort in: Puschner u.a., Handbuch zur „Völkischen Bewegung“, XI-XII.

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nander – einander bekämpfend, sich zusammenschließend, sich abspaltend – finden.“ 40 Die

Bewegung habe sich sowohl als Gegen- wie auch als Suchbewegung manifestiert. Bestimmt

habe sie „... neben Antisemitismus, Antislawismus und Antiromanismus ein rigoroser Antiurba-

nismus. Sie beinhaltet [...] eine dezidierte Ablehnung jedes Internationalismus, sei es jener der

Sozialdemokratie, [...] des Liberalismus, [...] der Großindustrie und der Banken [...] oder

schließlich jener des Ultramontanismus ...“41

Anders als Brückner, der die Grundprinzipien „Boden“, „Nation“ und „Ordnung“ als

sinnstiftend sieht, unterscheidet Hartung in der Zielrichtung vier Gruppen der völkischen Be-

wegung: „Positiv völkische Tendenzen“ äußern sich in den „Schutzvereinen“ Österreichs und

in „ industriell zurückgebliebenen Randgebieten“ des Deutschen Reiches. Diesen geht es um

eine kulturell motivierte „Stärkung des deutschen Volkstums“.42 Die zweite Gruppe vertritt ei-

nen wissenschaftlich verbrämten Antisemitismus, welcher „… in der Judenfrage das A und O

aller Lebensfragen erblickte.“ Hier wird „… die Judengegnerschaft zum ersten und obersten

Prinzip der Politik.“43 Die dritte Gruppe erhält Zuzug aus zahlreichen Vereinen der Lebensre-

form-Bewegung, „… zumal von solchen, die gegen Zivilisationskrankheiten und –schäden ein

spezielles ‚Zurück zur Natur’ empfahlen. Ihr […] ‚Grundgedanke’, […] die Rettung der Gesell-

schaft […] , machte sie leicht anfällig für biologistische Soziallehren und -forderungen.“ 44 Und

schließlich vertritt die vierte Gruppe einen Rassismus, aufbauend auf einem „Rassebegriff“, der

„einen recht willkürlichen Inhalt hatte, der sich wissenschaftlicher Verifizierung durchaus ent-

zog.“ Hier verstand man unter „Rasse“ einen „… ausgeprägten körperlichen oder seelischen

Typus, der einem größeren völkischen [!] oder ständischen [!] Kreise gemeinsam ist und sich

erblich überträgt.“45

3.1.3. Entwicklung in Österreich

Bemerkenswerterweise legt Hartung die Entstehung des Wortes „völkisch“ als sprachli-

che Neuschöpfung in das Jahr 1875, als der „dilettierende Germanist Hermann v. Pfister“ an-

gesichts der „deutschnationalen Bewegung Österreichs“ das Wort als Ersatz für „national“

vorschlug. Pfister habe dabei aber „sprachpuristische Absichten“ gehabt. So sei das Wort „...

40 Ebd., XIII. 41 Ebd., XVIII. 42 Vgl. Hartung, Völkische Ideologie, 32. 43 Ebd., 34. 44 Ebd., 35. 45 Ebd., 36.

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um 1880 in österreichischen, um die Jahrhundertwende auch in reichsdeutschen Umlauf [ge-

kommen].“46

Der Beginn des Entstehungsprozesses der „völkischen Idee“ in Österreich (noch vor einer

„Bewegung“) ließe sich „.. aus den inneren Spannungsverhältnissen der Monarchie leicht er-

klären. Die österreichische Situation der [18]70er Jahre war bestimmt durch den Ausschluß

aus dem Deutschen Bund 1866, durch den darauf folgenden [sic!] ‚dualistischen’ Ausgleich mit

Ungarn und durch die Verfassung von 1867, die in der cisleithanischen Reichshälfte der

deutschliberalen Bourgeoisie führende Positionen gab und die unteren Volksschichten sowie

die Slawen insgesamt benachteiligte.“47

Zum Unterschied vom Deutschen Reich, in dem die völkische Frage von den einschlägi-

gen Gruppierungen eher auf einem abstrakten, theoretischen und oft phantasievollen Niveau

abgehandelt wurde, als eine Art „idealer Welt“, die es „irgendwann“ zu erreichen gelte, war das

Thema in Österreich von Beginn an in das politische Tagesgeschehen eingebunden und Teil

des politischen Diskurses. In den 1880er Jahren begannen sich in Österreich drei politische

Lager herauszubilden, die, zwar in wechselnden Stärken und oft nur in verdeckter Form, bis in

die späten 1970er Jahre erhalten blieben: Das christlich-sozial-konservative, das sozialdemo-

kratische bzw. sozialistische und das (deutsch)-nationale. Für das hier behandelte Thema ist

lediglich das dritte relevant.

Schon die verwendeten Begriffe differierten. Man nannte sich „großdeutsch“, „klein-

deutsch“, „gesamtdeutsch“, „deutschnational“, „deutsch-völkisch“ oder „völkisch“. „Bereits in

dieser Vielfalt von Bezeichnungen offenbart sich eine Problematik, die […] bestimmt war

durch die Spannung zwischen Nation und Staat, Volksbewußtsein und Staatsbewußtsein, Natio-

nalismus und Patriotismus.“48 Die Farben schwarz-rot-gold waren, in Erinnerung an die Ereig-

nisse von 1848 und das Frankfurter Paulskirchen-Parlament, die Symbolfarben dieses Lagers,

das sich vor allem in den schlagenden Studentenverbindungen manifestierte, in den Turn- und

Schulvereinen und schließlich, ab dem frühen 20. Jhdt., in der „völkischen Jugendbewegung“.49

Mit zunehmender Emanzipation der nichtdeutschen Völker in der Habsburgermonarchie

war „… der Nationalismus der Deutschen in Österreich weitgehend als Reaktion gegen die

46 Ebd., 23. 47 Ebd., 24. 48 Wandruszka, Adam: Österreichs politische Struktur. Die Entwicklung der Parteien und politischen Bewe-

gungen. In: Benedikt, Heinrich (Hg.): Geschichte der Republik Österreich. Wien, 1954, 289-485; hier 370. 49 Vgl. Wandruszka, 372.

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immer lauter werdenden Forderungen der anderen Nationalitäten, vor allem der Tschechen,

erwachsen [… und trug …] gerade in seinen radikalsten Äußerungen weitgehend defensiven

Charakter … ‚Nationale Politik’ war im Zeitraum zwischen 1866 und 1918 weitgehend

‚Schutzvereinspolitik’, ein von dem Gefühl des unvermeidlichen Verlustes überschatteter Klein-

krieg um die Bewahrung des nationalen Besitzstandes in Schule und Verwaltung.“50

Als abzusehen war, daß diverse Wahlrechtsreformen allmählich das Kräfteverhältnis der

Volks- und Sprachgruppen in Österreich ändern würden, daß es „... zuungunsten der deutschen

Minderheit ausfallen würde...“, traten nunmehr „... die Deutschnationalen als Sprecher für die

Einheit des deutschen Volkstums und für eine ihr gemäße österreichische Staatsorientierung

auf.“ Das Staatsbewußtsein war an die Herrscherdynastie gekoppelt, ein eigenes österreichi-

sches Nationalbewußtsein sei kaum existent gewesen, so blieben als Bezugswerte übrig „... die

alte Reichsgeschichte mit ihren Kyffhäuserträumen, die klassische deutsche Kultur und das

Bewußtsein volklicher Zusammengehörigkeit.“ Die Deutschvölkischen seien zwar nur „ein

Glied im Prozeß nationaler Desintegration“ gewesen, aber „... sie gehörten immerhin zur herr-

schenden Nationalität und waren nicht gewillt, auf nationale Herrschaft zu verzichten.“ 51

Parallel zu der oben beschriebenen Entwicklung verlief die Emanzipation der europäi-

schen Juden, ihre Befreiung von diversen Sondergesetzen und ihre Eingliederung in die bürger-

lich-kapitalistische Evolution. Je mehr sie ihre neuen Rechte nutzten, desto mehr „... nahm in

bürgerlichen und bäuerlichen Schichten die Konkurrenzangst zu und wuchs mit den älteren

religiösen und/oder ethnischen Aversionen zu einem ideologischen Gefüge zusammen, [... das

„den Juden“] kollektive Absichten zutraute.“52 So läßt sich sagen, daß Anfang der 1880er Jahre

„... völkische, antisemitische und rassistische Tendenzen miteinander zu verschmelzen began-

nen ...“53

Bauern und Kleingewerbetreibende sahen sich in ihrer Existenz bedroht durch einen aus

den Städten kommenden Kapitalismus. „Personifiziert wurde diese Bedrohung in der Figur des

wucherischen Juden [...]. Antikapitalismus konnte daher, falls man die Frage nach den Ursa-

chen für die starke Präsenz von Juden im Handels- und Finanzleben mit dem Hinweis aus den

angeborenen jüdischen Charakter beantwortete [...], in der Verkleidung des Antisemitismus

erscheinen.“ Die entsprach somit „... dem Wunsch nach Erklärung [...], ebenso wie dem

50 Ebd., 376. 51 Hartung, Völkische Ideologie, 25. 52 Ebd., 27. 53 Ebd., 28.

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Wunsch nach klarer Identifizierung von ‚Schuldigen’.“ 54 Die wachsende Emanzipation der sla-

wischen Völker in den letzten Jahrzehnten der Habsburgermonarchie wurde als „Verdienst“ der

katholischen Kirche und des Klerus interpretiert. Dadurch „... erhielt der traditionelle liberale

Antiklerikalismus gerade im Zuge der Formierung nationalistischer Strömungen kräftige neue

Nahrung. Defensive (klein-) bürgerliche Klassenbildung erscheint in Städten wie Graz daher

eng verbunden mit der Herausbildung eines [...] defensiven, antikatholischen deutschen Natio-

nalismus.“55

Eine Radikalisierung und geistige Verengung erfuhr die deutschnationale Bewegung in

den Ideen Schönerers.56 Hier stand im Mittelpunkt „… der Rassegedanke, die Idee vom Le-

bensrecht, ja der Überlegenheit des […] deutschen, germanischen, später ‚nordischen’ Edel-

und Herrenmenschentums. Die durch den Darwinismus geförderte biologische Denkweise […

Rassenlehren, Germanenkulte und Christentumsfeindschaft …] wirkten in einer Lehre zusam-

men, die bezeichnenderweise in zwei Bewegungen mit negativem Vorzeichen, im Rassen-

Antisemitismus und im radikalen […] Antiklerikalismus ihre praktisch-politische Ausprägung

fand.“57 (Siehe dazu weiter unten auch das Kapitel über Eugenik). Auch in manchen Äußerlich-

leiten wollten sich die Deutschnationalen von ihrem Umfeld abheben: „Man wollte die Zeit-

rechnung nach Christi Geburt durch eine nach dem ersten Auftreten der Germanen in der Ge-

schichte [113 v. Chr.], die gebräuchlichen Monatsnamen durch germanische, das Weihnachts-

fest durch ein Julfest ersetzen [...].“58

Nach dem Zusammenbruch des Habsburgerreiches 1918 und der Neuformierung der poli-

tischen Strukturen übernahmen die politischen Parteien an Stelle der alten Herrschaft die Rolle

der Politikgestalter. „Das drohende Chaos zwang sie in eine Koalition. Nur die Zusammenar-

beit der politischen Lager könne das Land stabilisieren; nur [allgemeiner] Konsens der Klassen

[...] könne die Anarchie hintanhalten. [...] Dieser Grundkonsens half über die ersten Jahre der

Republik, [...]. Doch gleichzeitig gab es die scharfen ideologischen Profilierungen der Partei-

en. Bei den Christlichsozialen hieß die Hierarchisierung: katholisch-österreichisch-deutsch,

54 Bruckmüller, Ernst: Sozialgeschichte Österreichs. Wien-München, 1985; 442f. 55 Ebd., 445. 56

„Schönerer, Georg Ritter von, 1842 - 1921. Ab 187 9 Führer der deutschnationalen Bewegung (der Alldeutschen) in Österreich; heftiger Gegner d es österreichischen Patriotismus, der katholischen Kirche und des Liberalismus. Vertrat e inen radikalen Antisemitismus, kämpfte für engen Anschluss Österreichs an das Deutsche Rei ch, war ein Vorkämpfer der Los-von-Rom-Bewegung und trat selbst zum Protestantismus üb er. […] Seine Anhänger (‚Schöneria-ner’) waren insbesondere Burschenschafter und Sudet endeutsche.“ ( � Internet-Quellen „Schönerer“.)

57 Wandruszka, 377. 58 Ebd., 378.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 3. Das politisch-ideologische Umfeld

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bei den Sozialdemokraten: sozialistisch-deutsch, bei den Deutschnationalen: nur deutsch. Ge-

meinsam war eine nuancierte deutsche Einstellung, war das Streben nach dem Anschluß [...].59

Quasi als „einigendes Dach“ des „nationalen Lagers“ wurde im September 1920 die

„Großdeutsche Volkspartei gegründet“. Sie erstrebte „… die Überwindung von Individualismus

und Sozialismus [sowie] ungehemmter Freizügigkeit einerseits, des Klassenkampfgedankens

andererseits durch die Idee der nationalen ‚Volksgemeinschaft’. ‚Anschluß’ und ‚Volksgemein-

schaft’ blieben auch in der Folgezeit die ideologischen Leitsterne der Großdeutschen.“ 60

Allerdings wohnte dieser Gründung von Anfang an ein Problem inne, das sich mit den

Jahren verschärfte: „… das Auseinanderklaffen von ‚Führung’ und ‚Gefolgschaft’ […] , von

parlamentarisch-politischem Leitungskader und keineswegs straff organisierter Anhänger-

schaft.“61 Die Führung bestand aus den Parlamentsabgeordneten, die Anhänger verteilten sich

auf eine Vielzahl von Gruppen und Vereinigungen mit Eigenleben, so z. B. auf den „Deutschen

Schulverein“, den „Deutschen und Österreichischen Alpenverein“, die schlagenden und teils

auch die katholischen Studentenverbindungen und nicht zuletzt auf viele Gruppen und Bünde

der völkisch eingestellten Jugendbewegung. „In Reaktion auf Versailles und St. Germain, stän-

dig genährt durch den Grenzlandkampf der deutschen Minderheiten in den Nachfolgestaaten

[der Monarchie], durch den erfolgreichen Kampf um Kärnten, [den Verlust der Untersteier-

mark…], zugleich aber getragen von einer ganz Europa erfüllenden nationalistischen Welle,

trat in den zwanziger Jahren der Nationalismus immer stärker in den Vordergrund des Den-

kens und erfaßte auch andere, dem nationalen Lager ursprünglich fernstehende Schichten.“ 62

So trat in der Basis des „nationalen Lagers“ eine zunehmende Radikalisierung ein, ge-

nährt teils durch die Vorenthaltung des Selbstbestimmungsrechtes in den Friedensverträgen von

Versailles und St. Germain, die als „Friedensdiktate“ empfunden wurden, teils durch die Tat-

sache, daß Republik und Demokratie als Ergebnis einer militärischen und politischen Niederla-

ge erlebt wurden. „Die aus dem Reich hereinströmenden Gedanken der ‚Konservativen Revolu-

tion’63 […] verbanden sich in Österreich mit den neoromantischen korporativen, antidemokra-

tischen und antiliberalen Ideen der Schule Othmar Spanns sowie mit den Traditionen des

Kärntner- und Burgenlandabwehrkampfes. Eine gewisse Abneigung gegen Parteipolitik […]

59 Hanisch; Ernst: Der lange Schatten des Staates. Wien, 1994 u. 2005; 265f. 60 Wandruszka, 384. 61 Ebd., 385. 62 Ebd. 63 Zur „Konservativen Revolution“ siehe Fußnote 159 auf S. 49.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 3. Das politisch-ideologische Umfeld

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kam hinzu und bewirkte, daß die jüngere Generation politische Betätigung oft lieber als in der

Parteipolitik in Form der ‚Grenzlandarbeit’ […] suchte.“ 64

Nach dem Bruch der Koalition zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten im Ju-

ni 1920 „... begann wiederum die die scharfe Polarisierung der beiden politischen Lager, auch

auf Elitenebene, welche die Demokratie schließlich zerrieb.“ 65

Ganz abgesehen von den österreich-spezifischen Gegebenheiten entwickelte sich die Po-

litik in Mitteleuropa mehrheitlich in Richtung Radikalisierung. In Italien kam der Faschismus

mit Mussolini 1922 an die Macht, der Nationalsozialismus in Deutschland folgte 1933. In Spa-

nien, Portugal, Ungarn, Polen und Litauen herrschten mehr oder minder autoritäre Regime, so

daß Demokratie und politischer Kompromiß zunehmend ins Hintertreffen gerieten. Die Welt-

wirtschaftskrise ab 1929 tat ein Übriges, den politischen und ideologischen Radikalismus zu

verstärken. „Auch das ‚nationale Lager’ war so [... von 1922 bis 1933 …], in jenem Zeitraum

des latenten Bürgerkrieges, der dem des akuten (1933-1938) vorausging, eingespannt in die

alle drei politischen Hauptrichtungen erfassende Spiralbewegung der fortschreitenden Radika-

lisierung, des Verblassens der Ideale von Demokratie und Zusammenarbeit der Parteien zu-

gunsten der Ideen vom ‚Führerprinzip’, der ‚Herrschaft der Eliten’, der ‚Minderheiten, die

Weltgeschichte machen’, der gewaltsamen ‚Eroberung der Macht im Staate’ usw.“ 66

Nicht nur die weltweite Wirtschaftskrise 1929, auch die spezielle österreichische Wirt-

schaftslage förderte die Radikalisierung. Die österreichische Wirtschaftsleistung, das BNP, lag,

gemessen am Wert „100“ vom Jahre 1913, 1920 bei 66,4, 1924 bei 88,5 und 1929 bei 105,1 (!)

1933 sank es auf 81,5 und erreichte 1934 den Wert 82,2.67 Ähnlich krisenhaft entwickelte sich

der Arbeitsmarkt: 1921 gab es ca. 28.000 Arbeitslose, das entsprach etwa 1,4% der arbeitsfähi-

gen Bevölkerung. 1926 erreichte der Wert 244.000 (11%) und stieg bis 1934 auf den Spitzen-

wert von 545.000 Arbeitslosen, 25,5% der Erwerbsfähigen!68

Materielle Mangelerscheinungen, stockendes Wirtschaftsleben, scharfe soziale Gegensät-

ze, fortgesetzte Lagerbildung, mangelnde nationale Integration – die „... Erste Republik wurde

64 Ebd., 391. 65 Hanisch, 269. 66 Wandruszka, 392. 67 Hanisch, 279 und 295. 68 Tálos, Emmerich/Fink, Marcel: Arbeitslosigkeit: Eine Geißel, die nicht verschwindet. In: Karner, Stefan /

Mikoletzky, Lorenz (Hg.): 90 Jahre Republik: Beitragsband der Ausstellung im Parlament, Innsbruck/ Wien/ Bozen 2008, S. 229-240 Zit. aus: Demokratiezentrum Wien, http://www.demokratiezentrum.org/index.php?id=417&index=2007 (11.11.2013).

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 3. Das politisch-ideologische Umfeld

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offenbar niemals von der mehr oder weniger vorbehaltlosen Zustimmung ihrer Bewohner ge-

tragen.“69 Verglichen mit der Monarchie nahm die Neigung zu „weltanschaulichen Ausschließ-

lichkeitsansprüchen“ noch zu. „Ausdruck fand die Neigung zu Ausschließung und Abgrenzung

in der fortschreitenden Uniformierung des politischen Lebens.“ 70 Mit Uniform schuf man Ab-

grenzung, trat dem politischen Gegner als „Kämpfer“ gegenüber. „Uniform als Ausdruck der

Sehnsucht nach Identität [... vermittelt] ein erhöhtes Maß an Selbstsicherheit [...]. Uniform als

Ausdruck der Militarisierung der gesellschaftlichen Beziehungen [... schafft] Problemlösungen

durch Kommandos und Gewaltanwendung [...]. Uniformtragen bedeutet aber auch [...] Markie-

ren des Reviers, Drohgebärde gegenüber allfälligen Rivalen, [...] Imponiergehabe gegen die

‚Eigenen’ [...].71 Die Uniform versprach die Aussicht auf einen „endgültigen Sieg“: „Die Sozi-

aldemokraten glaubten an den [...] endgültigen Sieg über den Kapitalismus, die bürgerlichen

Gruppen forderten den endgültigen Sieg über den Marxismus.“ 72

So wurde im politischen Prozeß der Konkurrent „... zu einem dämonischen Ungeheuer

stilisiert: In der Propaganda der bürgerlichen Parteien steckte hinter der [...] Sozialdemokratie

das blutige Gespenst des Bolschewismus, und in der Propaganda der Sozialdemokraten waren

die bürgerlichen Parteien eine widerliche Koalition aus (ziemlich jüdisch aussehenden) Kapi-

talisten und dicken Pfaffen, die [...] das Volk zu verdummen hatten. [... So waren es nicht] nur

die Abschließung und Verfestigung der Lager, sondern [auch] die beginnende Korrosion [...],

die den Weg in die Diktatur und schließlich in das nationalsozialistische Deutschland begüns-

tigt haben.“73

3.2. Eugenik

Zum besseren Verständnis sei der Begriff „Eugenik“ hier genauer beschrieben. Sie läßt

sich definieren als „[…] die Wissenschaft, welche sich mit allen Einflüssen beschäftigt, welche

die angebornen [sic!] Eigenschaften einer Rasse verbessern und diese Eigenschaften zum

größtmöglichen Vorteil zur Entfaltung bringen. […] Das Verfahren der Fortpflanzungs-

Hygiene würde so die Durchschnitts-Beschaffenheit einer Nation auf den Durchschnitt ihrer

derzeitigen besseren Hälfte emporheben: Menschen, die auf einer jetzt sehr seltenen Rangstufe

69 Bruckmüller, 503. 70 Ebd., 504. 71 Ebd., 505. 72 Ebd., 507. 73 Ebd., 508.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 3. Das politisch-ideologische Umfeld

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der Tüchtigkeit stehen, würden häufiger werden, weil das Niveau selbst, von dem aus sie ent-

sprungen, gestiegen wäre.“ 74

Als Begründer der modernen Eugenik wird der britische Naturforscher Francis Galton75

gesehen. Galton, ein Cousin Charles Darwins, schlug vor, die Züchtungsmethoden von Pflan-

zen und Tieren auch beim Menschen anzuwenden. „Sein Ziel war es, mittels der Eugenik die

menschliche Rasse zu verbessern, indem er sie von sogenannten unerwünschten Exemplaren

befreite und die Zahl der erwünschten Exemplare vermehrte.“ 76 Er schuf auch den Begriff „Eu-

genik“, abgeleitet vom altgriechischen eu = „gut“ und genos = „Geschlecht“.

Die Idee der Eugenik sei nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert vor allem in den

USA, in Großbritannien und Deutschland populär geworden. Die Eugeniker hätten beabsich-

tigt, „[…] eine gesellschaftliche Degeneration zu verhindern, deren Anzeichen sie in den sozia-

len Spannungen und dem Verhalten der Stadtbevölkerung der Industriegesellschaften sahen.

Phänomene wie Verbrechen, Elendsviertel und um sich greifende Krankheiten, deren Ursachen

sie in erster Linie der Biologie zuschrieben, dem ‚Blut’, wie man um die Jahrhundertwende den

vererblichen Charakter zu bezeichnen pflegte.“ 77

An eugenischen Forschungseinrichtungen habe es in England vor allem das „Galton La-

boratory for National Eugenics“ am „University College London“ und das „Eugenics Record

Office“, finanziert von der Washingtoner Carnegie Institution, gegeben. In Deutschland sei das

„Kaiser-Wilhelm-Institut für psychiatrische Forschung“ federführend gewesen, ab 1923 habe in

München ein Lehrstuhl für „Rassehygiene“ bestanden.78

„Schicht- und Rassenvorurteile waren in der eugenischen Wissenschaft weit verbreitet. In

Nordeuropa und den USA verbreitete die Eugenik Normen der Leistungsfähigkeit und des ge-

sellschaftlichen Wertes, die vorwiegend für Angehörige der weißen protestantischen Mittel-

schicht galten und mit ‚arisch’ gleichgesetzt wurden.“ 79 In einer größeren Zahl US-amerikani-

scher Bundesstaaten habe es bis Ende der 1920er Jahre Gesetze gegeben, die Sterilisierungen

74 Galton, Francis: Fortpflanzungs-Hygiene (Eugenik). Ihre Definition, ihr Zweck, ihre Ziele. In: Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie (ARGB), 1905, Bd. 2, Heft 5/6, S. 812. Zit. nach: Konopasek, Heiner: Rassenhygiene; Entwicklung und Rezeption. Graz, Univ., Dipl.-Arb. 2004; 15.

75 Sir Francis Galton, 1822-1911, britischer Naturforscher und Schriftsteller. ( � Internet-Quellen „Galton“)

76 Kevles, Daniel K.: Die Geschichte der Genetik und Eugenik. In: Kevles, Daniel J./ Hood, Leroy (Hg.): Der Supercode. Die genetische Karte des Menschen. München, 1993, 13-47; hier 14.

77 Kevles, Geschichte der Genetik, 15. 78 Vgl. Kevles, 15f. 79 Kevles, 19.

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aus eugenischen Gründen zuließen; führender Bundesstaat sei hier Kalifornien gewesen. Die

Sterilisierungsmaßnahmen unter dem NS-System in Deutschland seien durch das kalifornische

Vorbild angeregt worden.80

Die nationalsozialistisch geprägte Eugenik solle in der historischen Beurteilung dieses

Themas nicht als alleinige Referenz herangezogen werden. Wie einschlägige Untersuchungen

in der Schweiz, in Skandinavien und auch in außereuropäischen Ländern zeigten, fänden sich

„[e]ugenisches Gedankengut und eugenische Maßnahmen […] bereits vor 1933 und auch nach

1945 in verschiedenen Ländern und politischen Systemen in unterschiedlicher Ausprägung.“ 81

Rückblickend könne die Eugenik „[…] als ein biopolitisches Projekt der bürgerlichen

Moderne verstanden werden, das sich mit modernen Formen von Rechtsstaatlichkeit und De-

mokratie verband.“ Andererseits ließe sich folgern, daß „[…] das Projekt der Moderne auch

auf deterministischen Vererbungskonzepten, Rassismus und Antifeminismus beruhte. Der ‚eu-

genische Normalfall’ war dabei nicht staatlicher Zwang, sondern die Freiwilligkeit und Ein-

sicht in die Notwendigkeit eugenischer Maßnahmen unter dem Primat der Wissenschaft.“ 82

Türcke sieht in der aufkommenden Eugenik den Wunsch des Menschen als Kulturwesen,

in sein Schicksal eingreifen, es gestalten zu können. „Was kein Gott macht, machen wir

selbst.“83 Er zitiert einen Ausspruch des deutschen Rassehygienikers Alfred Ploetz84 von 1895:

„Was gäbe es Hoffnungsvolleres für die Entwicklung der Menschheit, als wenn wir durch rich-

tige Übung der Hirnfunktionen und Vererbung der Übungsresultate die Vervollkommnung un-

mittelbar beeinflussen und rascher als durch natürliche Zuchtwahl höheren Stufen entgegen-

führen könnten?“ 85 Diesen Gedanken zu Ende gedacht, einen Zustand „[…] des guten Endes,

einer universal finalen Wohlgeratenheit [… zu erreichen]“, sieht Türcke jedoch als Überschrei-

tung einer ethischen Grenze. Einer Grenze, die zwar vorhanden, aber nicht genau definierbar

sei: „Wer das Schicksal machen, über den Rand der ‚condition humaine’ hinaus will, fällt nur

80 Vgl. Kevles, 21. 81 Imboden, Gabriela/Ritter, Hans Jakob/Braunschweig, Sabine/Küchenhoff, Bernhard/Wecker, Regina: Wie

nationalsozialistisch ist die Eugenik? In: Imboden/Ritter/Braunschweig/Küchenhoff/Wecker (Hg.): Wie nati-onalsozialistisch ist die Eugenik? Internationale Debatten zur Geschichte der Eugenik im 20. Jahrhundert. Wien/Köln/Weimar, 2009, 13-21; hier 13.

82 Ebd., 16. 83 Türcke, Christoph: Eugenik. Revision eines diskreditierten Begriffes. In: Steiner, Theo (Hg.): Genpool: Bio-

politik und Körper-Utopien. Beiträge des Symposiums „Genpool, Menschenpark, Freizeitkörper. Vorträge und Diskussionen zur Biopolitik", veranstaltet vom Steirischen Herbst (Oktober 2001). Wien, 2002, 121-130; hier 123.

84 Ploetz, Alfred Julius. Rassenhygieniker, 1860-1940. ( � Internet-Quellen „Ploetz“) 85 Türcke, 123.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 3. Das politisch-ideologische Umfeld

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um so [sic!] tiefer zurück.“ Dieser Rand, diese unscharfe Grenze sei die Trennlinie zwischen

Demut und Hochmut.86

3.3. Fazit

Per Definition lassen sich die Begriffe „völkisch“, „national“ oder „nationalistisch“ nicht

eindeutig fassen; die unterschiedliche Bezeichnung liegt meist an den Verfassern und im Kon-

text zum behandelten Themenumfeld. Als gemeinsame Wurzel aller „völkisch“ bzw. „national“

gesinnten Bewegungen lassen sich noch am ehesten die von Wolfgang Brückner genannten drei

Grundprinzipien heranziehen: „Heiliger Boden“, also das Territorialprinzip; „Heilige Nation“,

also die genetische Verwandtschaft; „Heilige Ordnung“, also eine kulturelle Gemeinsamkeit.

Andere Wurzeln, wie „Germanenmythos“, „Ariertum“ oder „nordische Auserwähltheit“ finden

sich nur mehr bei manchen Gruppen. Vor allem die „rassischen“ Argumente wurden in der

Entstehungszeit der „völkischen Bewegung“ zunächst durch den Darwinismus gefördert.87 Er-

gänzt wurden sie später durch die Eugenik, die, von Francis Galton begründet, die Vorstellun-

gen einer „Höherentwicklung“ der Menschen durch „gezielte Züchtung“ und „Ausmerzung

unerwünschter Exemplare“ vertrat. Damit trat die Vorstellung von „höherwertigen“ und „min-

derwertigen“ Menschen-„rassen“ in den Diskurs.

Große Unterschiede gibt es in den Zielsetzungen der verschiedensten Bewegungen. Hier

gibt es Gruppen, die – mehr passiv – den „Schutz der völkischen Eigenart“ suchen und andere

Gruppen, die – mehr aktiv – die Ausbreitung eines „auserwählten Volkes“ fordern, eine „neue

Religion“ einführen wollen, die „römisch-jüdische Dekadenz“ abwehren. Ebenfalls große Un-

terschiede finden sich zwischen der Lage im Deutschen Reich (sowohl im Hohenzollern-Reich

als auch in der Weimarer Republik) und in Österreich. Ging es in Deutschland mehr um „völki-

sches Ganzes“, um „Auserwähltheit“, um „Rassereinheit“ und weniger um Mitwirkung am

praktischen politischen Leben, wächst die deutsch-völkische Bewegung in Österreich in den

letzten Jahrzehnten der k.u.k. Monarchie am Spannungsverhältnis zu den nichtdeutschen Völ-

kern, vor allem zu den Slawen, und ist in das politische Geschehen eingebunden. So wie es

Brückner schreibt, liegt hier der Schwerpunkt bei „positiven völkischen Tendenzen“, bei der

„Stärkung des Deutschtums“ gegenüber den angrenzenden Völkern.

Mit dem Ende der Habsburgermonarchie und der Gründung der Republik Österreich ver-

ringert sich der Schutzgedanke der Deutschen in einem Vielvölkerstaat, dafür tritt die Grund-

86 Ebd., 124. 87 Charles Darwins Hauptwerk, „On the Origin of Species“ („Über die Entstehung der Arten“) erschien 1859.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 3. Das politisch-ideologische Umfeld

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satzfrage nach dem Wesen und dem Ziel dieses „Rumpf- und Reststaates“ auf. So wird eines

der Hauptziele der Deutschnationalen der Gedanke des Anschlusses an das Deutsche Reich.

Durch die Pariser Vororteverträge sieht sich diese Gruppe um ihr Ziel – den Anschluß – betro-

gen und beginnt nun, teils offen, teils subversiv, auf dieses Ziel weiter hinzuarbeiten.

Parallel dazu, neben dem konkreten Anschlußwunsch, wird aber auch eine bewußt

deutsch-völkische Propagandaarbeit begonnen, die auf Abgrenzung „zu den Anderen“ setzt. Da

diese „Anderen“ nun nicht mehr im gemeinsamen Staatsverband leben, bleiben nur mehr die

Juden als Feindbild übrig, die man als Hauptbetreiber des Kapitalismus und der Finanzspekula-

tion und somit als „Schuldige“ der Krise betrachtet. Die zunehmende Radikalisierung der poli-

tischen Szene, die steigende Gewaltbereitschaft der drei ideologischen Lager, die Wirtschafts-

krise mit steigender Arbeitslosigkeit verstärken nicht nur die Konfliktbereitschaft bis hin zu

bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen, das wachsende Heer der Arbeitslosen liefert auch

die nötigen „Massen“, um Konflikte auf der Straße gewaltsam auszutragen.

Die radikale Jugend der Völkischen, die sich von den Honoratioren der Großdeutschen

Volkspartei nicht angesprochen und nicht vertreten sieht, wendet ihren Blick zunehmend nach

Deutschland, wo der aufstrebende Nationalsozialismus ein „Faszinosum“ ein „Idealziel“ zu

bilden scheint. So wandelt sich schließlich der „tatkräftige“, der „kampfbereite“, der „kompro-

mißlose“, der „aktivistische“ Teil der völkischen Jugend von einer „Bewegung“ zu einem Teil

dieser Partei und hilft nach dem „Anschluß“ von 1938 mit, sie in Österreich zu etablieren. Da-

mit ist – frei nach Grillparzer – der Weg „von der Humanität durch Nationalität zur Bestiali-

tät“88 vollzogen.

88 Grillparzer, Franz: 1849, „Gedichte“ 3. Abteilung, III „Einfälle und Inschriften“. ( � Internet-Quellen „Grillparzer“)

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 4. Abriß zur Geschichte der Abstinenzbewegung

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4. Abriß zur Geschichte der Abstinenzbewegung

4.1. Definition, Entstehung, Entwicklung

Die Antialkoholismus-Bewegung als Teil der Lebensreform war eine Antwort auf den im

19. Jhdt. zunehmenden Alkoholkonsum breiter Bevölkerungsschichten, dessen nachteilige Aus-

wirkungen gesundheitlicher und sozialer Art in der Öffentlichkeit mehr und mehr kritisch beob-

achtet wurden.

Ab der frühen Neuzeit weitete der technische Fortschritt das Angebot an alkoholischen

Getränken aus: Durch die Entwicklung der Destilliertechnik etwa ab dem 15./16. Jhdt. wurde es

möglich, immer höherprozentige Alkoholgetränke herzustellen; der ab dem 17. Jhdt. aus den

karibischen und mittelamerikanischen Kolonien importierte Zucker brachte den Rohstoff für

billigen Zuckerrohrschnaps und Rum; Ende des 18. Jhdts. entdeckte man, daß statt Weizen

auch die billigeren Kartoffeln zu Schnaps verarbeiten werden konnten. All das bewirkte ein

Angebot an billigen und hochprozentigen Alkoholika, sodaß der Alkoholkonsum trotz gleich-

bleibender Reallöhne bis in die 1870er Jahre ständig stieg.89

In der ersten Hälfte des 19. Jhdts. war es vor allem die in den USA von den calvinistisch-

puritanisch geprägten Quäkern und Methodisten getragene Mäßigkeitsbewegung, die sich ab

den 1830er Jahren über den angelsächsischen Raum nach Nord- und Nordwesteuropa ausbrei-

tete und hier bis etwa in die 1870er Jahre amerikanisch geprägt war.

Mit zunehmender Industrialisierung und der damit einhergehenden Verstädterung wurde

das Alkoholproblem ab der 2. Hälfte des 19. Jhdts. zur sozialen Frage. In der bürgerlichen Dis-

kussion um die Folgen der Industrialisierung entwickelten sich das Alkoholproblem und seine

Bekämpfung zu einem thematischen Schwerpunkt. Die zentrale Idee der Alkoholreformer war

es, den Alkoholkonsum als Ausdruck von Sucht und Abhängigkeit zu bekämpfen. Weiters soll-

te der gesellschaftliche Trinkzwang eingedämmt werden, aber auch Kritik am überbordenden

Kapitalismus, vertreten durch das sog. „Alkoholkapital“, war Teil der Argumentation.

Grosso modo läßt sich die Abstinenzbewegung als kulturorientierte soziale Bewegung im

Sinne Raschkes (siehe Abschn. 2, Soziale Bewegungen) sehen. Sie manifestierte sich in Verei-

nen, die auf unterschiedlichen ideologischen Grundlagen den Genuß bzw. Mißbrauch alkoholi-

89 Vgl. Baumgartner, Judith: Antialkoholbewegung. In: Kerbs, Diethart und Reulecke, Jürgen (Hg.): Handbuch der deutschen Reformbewegungen 1880-1933. Wuppertal, 1998, 141-154; hier 143.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 4. Abriß zur Geschichte der Abstinenzbewegung

34 / 259

scher Getränke bekämpften. Diese unterschiedlichen Grundlagen werden weiter unten im Kapi-

tel „Theoriemodelle“ näher behandelt.

4.2. Wissenschaftliche Grundlagen

Im 19. Jahrhundert waren es vor allem Ärzte, die gesundheitliche und sozialhygienische

Argumente in die Debatte zur Alkoholfrage einbrachten. Genannt seien hier der deutsche Arzt

und Sozialhygieniker Christoph Wilhelm Hufeland, der Berliner Gefängnisarzt Abraham Adolf

Baer, der deutsch-baltische Physiologe Gustav von Bunge, der Schweizer Psychiater Auguste

Forel und der deutsche Psychiater Emil Kraepelin.

4.2.1. Hufeland

Christoph Wilhelm Hufeland,90 (* 1762 Neustrelitz, Mecklenburg, † 1836 München),

deutscher Arzt, Sozialhygieniker und Volkserzieher. Er wird wegen seiner Lebenskraft-Theorie

als Vertreter des Vitalismus91 bezeichnet.

In einem gedruckten Vortragstext zum Alkoholproblem92 schreibt er über den Einfluß

von Alkoholkonsum auf Volk und Staat. Er argumentiert, daß die Menschen frühzeitig in un-

heilbare Krankheiten gestürzt würden und dem Staat zur Last fielen. Er bringt auch die Rassen-

hygiene ins Spiel, die in der Alkoholfrage ab der 2. Hälfte des 19. Jhdts. verstärkt thematisiert

wird.93

4.2.2. Baer

Baer, Abraham Adolf (* 1834 Filene, Bez. Posen, damals Westpreußen, † 1908 Berlin),

studierte in Berlin, Wien, Prag und wurde 1861 promoviert. Zuerst seit 1862 als Arzt und seit

1866 als Strafanstaltsarzt in Naugard94 tätig, dann seit 1872 in Berlin als Arzt am Strafgefäng-

nis Plötzensee.95

90 ( � Internet-Quellen „Hufeland“ ) 91 Unter Vitalismus „[…] ist eine mediz.-philosophische Strömung des 18. Jh.s zu verstehen, deren Anhänger

die Existenz einer das Leben steuernden und erhaltenden Lebenskraft […] propagierten. Der V. erhielt seine Impulse aus der antithetisch gegen den cartesianischen → Mechanismus gerichteten Seelenlehre Georg Ernst Stahls […]. Im Vordergrund standen nun die antreibenden und lebenserhaltenden Kräfte jedes einzel-nen Organs […] und des Körpers insgesamt.“ (EDN, Bd. 14; 347.)

92 Hufeland, Christoph Wilhelm: Über die Vergiftung durch Branntwein. Berlin, 1802. 93 Vgl. Schaller, Sabine: Kampf dem Alkohol. Weibliches Selbstverständnis und Engagement in der deutschen

alkoholgegnerischen Bewegung (1883-1933). Univ. Diss. Freiburg/Br., 2009; 67. 94 Naugard (heute Nowogard) ist eine Stadt in Westpommern (heute Polen) und hatte in der erwähnten Zeit ca.

4800 Einwohner). ( � Internet-Quellen „Naugard“) 95 ( � Internet-Quellen „Baer“)

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 4. Abriß zur Geschichte der Abstinenzbewegung

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In seinem 1878 erschienenen Buch „Der Alcoholismus, seine Verbreitung und seine Wir-

kung auf den individuellen und socialen Organismus sowie die Mittel, ihn zu bekämpfen“ stellt

Baer die Wirkung des Alkohols auf den menschlichen Organismus dar, beschreibt die Konse-

quenzen der Trunksucht für Individuum und Gesellschaft und bezeichnet den Alkohol als ein

weit verbreitetes, aber verzichtbares Genußmittel, das den Organismus schädigt und zur Sucht

führen kann.96

4.2.3. Bunge

Gustav von Bunge (� Abb. 1 ) (* 1844 Estland, † 1920 Basel), deutsch-baltischer Physio-

loge und Mediziner. 1886 wurde er ordentlicher Professor für physiologische Chemie in Basel.

Seine Antrittsvorlesung vom 23. November 1886 hielt er unter dem Titel „Die Alkoholfrage“.

Sie erregte großes Aufsehen und bildete die Grundlage der wissenschaftlichen Abstinenzbewe-

gung und der gesundheitsorientierten Alkoholpolitik.97

Als Maßnahme gegen den Alkoholismus hielt er ausschließlich die völlige Enthaltsam-

keit für sinnvoll. Er war der Ansicht, daß die Gebildeten, die besitzende Klasse, die Pflicht hät-

ten, durch das Beispiel der Alkoholabstinenz vorbildlich und erzieherisch zu wirken. „Kein

Mensch, der sich dem Genusse alkoholischer Getränke hingibt – und sei es auch dem allermäs-

sigsten Weingenuss - kann sich von dem Vorwurf freisprechen, ein Verführer zu sein. Jeder

Trinker war einmal ein mässiger Trinker. Und jeder, der durch sein Beispiel andere zum mäs-

sigen Trinken verleitet, verleitet auch einen Teil derselben zur Unmässigkeit.“98 Mit dem Auf-

ruf zur Mäßigkeit sei überhaupt nichts zu erreichen. „Die Geschichte des Kampfes wider den

Alkohol lehrt, dass die Mässigkeitsvereine aller Art nichts ausgerichtet und durch ihre Halbheit

den Fluch der Lächerlichkeit auf sich geladen haben, während die Enthaltsamkeitsvereine die

glänzendsten Erfolge aufweisen.“ 99

Schließlich sah Bunge den Alkohol als Hemmnis auf dem Weg der menschlichen Weiter-

entwicklung: „Durch die Ertötung des idealen Sinnes wird der Alkohol zum mächtigsten

Hemmschuh beim sittlichen Fortschritt der Menschheit. Die chronische, endemische Narkose

und Verfuselung lässt im Volke den Mangel eines sittlichen Ideals gar nicht zum Bewusstsein

kommen. Wo irgend die Stimme des Gewissens sich regt, wird sie im Alkohol erstickt. Wo ir-

96 Vgl. Schaller, Kampf dem Alkohol, 84. 97 ( � Internet-Quellen „Bunge“) 98 Bunge, Gustav: Die Alkoholfrage. Antrittsvorlesung an der Universität Basel, 23. Nov. 1886; 11.

( � Internet-Quellen „Bunge-Alkoholfrage“) 99 Ebd., 12.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 4. Abriß zur Geschichte der Abstinenzbewegung

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gend das Verlangen nach edleren Freuden hervortritt, wird es fortgespült durch den ununter-

brochenen Bierstrom.“ 100

4.2.4. Forel

Auguste-Henri Forel (� Abb. 2 ) (* 1848 Schweiz, Kanton Waadt, † 1931 ebenda), Psy-

chiater, Hirnforscher, Entomologe, Philosoph und Sozialreformer. Er gilt als Vater der Schwei-

zer Psychiatrie und als einer der wichtigsten Vertreter der Abstinenzbewegung in der

Schweiz.101

Um dem Alkoholismus vorzubeugen, gründete er 1892 den Schweizerischen Guttempler-

orden und setzte sich für alkoholfreie Wirtshäuser ein. In seiner Broschüre „Warum soll man

den Alkohol meiden?“ 102 beschrieb er ausführlich die medizinischen Wirkungen des Alkohols,

seine schädigende Wirkung vor allem auf die Gehirntätigkeit. Er wandte sich scharf gegen die

Propagierung von Mäßigkeit im Alkoholkonsum, gegen die „ […] Dekadenzlehren pessimisti-

scher Entartungsprediger.“ Diese würden durch ihre Rücksicht auf den „Alkoholteufel“ 103 die

Nachteile des Alkohols fördern. Ausführlich behandelte Forel die Frage, wie weit sich Alko-

holkonsum auf den Nachwuchs auswirke. Zur Schädigung von Nachkommen prägte er den

Begriff „Blastophthorie“, eine Schädigung der Keimzellen durch Alkohol. Dadurch bestünde

zwar nicht die Gefahr von vererbbaren Schäden, jedenfalls steige aber das Risiko, Kinder mit

körperlichen oder geistigen Gebrechen zu zeugen104.

4.2.5. Kraepelin

Emil Kraepelin (� Abb. 3 )105 (* 1856 Neustrelitz, Mecklenburg, † 1926 München), deut-

scher Psychiater, auf den bedeutende Entwicklungen in der wissenschaftlichen Psychiatrie zu-

rückgehen. Er gilt als Begründer der modernen, empirisch orientierten Psychopathologie, mit

der in ersten Ansätzen ein psychologisches Denken in der Psychiatrie üblich wurde.

In einem Vortrag über „Alkohol und die Jugend“ 106 prangerte er zunächst die Trinksitten

und den damit vor allem in studentischen Kreisen verbundenen Gruppenzwang zum Alkohol-

100 Ebd.; 15. 101 ( � Internet-Quellen „Forel“) 102 Forel, Auguste und Schwiedland, Eugen: Warum soll man den Alkohol meiden?

Wien, Leipzig, München, 1924. 103 Ebd.; 19. 104 Vgl. ebd.; 46-70 105 ( � Internet-Quellen „Kraepelin“) 106 Kraepelin, Emil: Alkohol und Jugend. Nach einem Vortrage vor den Oberklassen der Heidelberger Mittel-

schulen. Neue, durchges. Aufl., 26.-30. Tsd. Basel, Schriftstelle des Alkoholgegnerbundes, 1915.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 4. Abriß zur Geschichte der Abstinenzbewegung

37 / 259

konsum an. Er kritisierte heftig die Tatsache, daß gesellige Veranstaltungen immer zwangsläu-

fig mit hohem Alkoholkonsum verbunden seien, „ […] daß der Gipfel der Festfreude dann für

erreicht gilt, wenn der Champagner in Strömen fließt, […]“ 107 und stellte dem die Aussage

entgegen, daß Alkohol die Klarheit des Denkens, die Selbstbeherrschung, Willensfestigkeit und

Tatkraft vermindere. Weiters bezeichnete er den Alkohol als „ […] eine der wichtigsten Ursa-

chen der Entartung […]“, 108 nannte ihn als Verursacher eines sittlichen Niederganges und Zer-

störer des Familienlebens. Er argumentierte also in seiner Ablehnung des Alkohols nicht mit

der unmittelbaren Wirkung auf die Einzelperson, sondern zog sozialmedizinische und sozial-

hygienische Gründe heran.

4.3. Theoriemodelle

4.3.1. Christlicher Ansatz

In einer Broschüre über die „Alkoholfrage in religiöser Beleuchtung“ 109 berichtete der

Verfasser, Emil Witte, über eine Bonner Katholikenversammlung von 1881, auf welcher die

Gründung kirchlicher Mäßigkeitsvereine zur Verhütung und wirksamen Bekämpfung der über-

handnehmenden Trunksucht gefordert worden sei.110 Er beklagte den Verlust menschlicher

Würde durch Alkoholkonsum unter Bezug auf die göttliche Schöpfung: „Gerade die Unmäßig-

keit im Trinken erniedrigt jedoch den ‚Herrn der Schöpfung’ u n t e r das Tier; denn sie

raubt ihm die aufrechte Haltung, den freien Willen und – last not least – oftmals die un-

sterbliche Seele, das Ebenbild Gottes!“111 Weiters zeigte er an mehreren Beispielen, daß Alko-

holiker durch ihre Trunksucht den Zehn Geboten zuwiderhandelten und verlangte einen „Ret-

tungsgürtel christlicher Nächstenliebe“112 zur Trinkerrettung.

Der Theologe Johannes Ude113 schrieb in seinem Aufsatz über das Ziel des Kreuzbünd-

nisses114, daß „Mäßigkeit“ sinnlos sei, denn „mäßig“ sei ja ohnehin jeder, der trinke. Weiters

107 Ebd., 2. 108 Ebd., 7. 109 Witte, Emil: Die Alkoholfrage in religiöser Beleuchtung. Bonn, 1907. 110 Vgl. Ebd., 1. 111 Ebd., 7. 112 Ebd., 12. 113 Ude, Johannes, 1874-1965. Theologe, Politiker, Sozialethiker; Universitätsprofessor für Theologie in Graz;

maßgebliche Führungspersönlichkeit in der österreichischen Abstinenzbewegung. Er trat für Frieden und Ab-rüstung ein sowie gegen jede Tötung und gegen Atomwaffen. ( � Internet-Quellen „Ude“ sowie Abb. 4) .

114 Ude, Johannes: Der Katholik im Kampfe gegen den Alkohol oder Was will das katholische Kreuzbündnis. Kinderfreund-Gabe Nr. 237. Flugschrift o.J., StLB-Signatur 102889 I; 1.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 4. Abriß zur Geschichte der Abstinenzbewegung

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prangerte er die wachsende Zahl von Verbrechern, moralisches Elend, zunehmende Geistes-

krankheiten und frühe Sterblichkeit an. Das Kreuzbündnis wolle „ […] in der richtigen Er-

kenntnis der Schäden, die der Alkoholgenuß mit sich bringt, gegen diese Schäden ankämpfen

und wolle dadurch, daß wir den einzelnen vor diesen Schäden [zu] bewahren suchen, mitarbei-

ten am Volkswohl.“115 Er verlangte, „… daß überzeugte Katholiken, die es mit dem Katholizis-

mus ernst nehmen, nur Mitglieder des katholischen Kreuzbündnisses sein sollen. Kein Katho-

lik soll die Reihen der freimaurerischen oder sozialdemokratischen oder andersgläubigen

Abstinenten- oder Mäßigkeitsvereine verstärken helfen.“ 116

4.3.2. Sozialdemokratischer Ansatz

Auf dem 5. österreichischen Gewerkschaftskongreß 1907 in Wien behandelte Viktor Ad-

ler in einer Rede ausführlich den Problemkreis von Alkoholismus und Gewerkschaftsarbeit.117

Er argumentierte, daß der Alkoholismus eine der vom Kapitalismus ausgelösten Erscheinungen

sei. Das Elend der Bevölkerung, die schlechten Wohnverhältnisse, die Ausbeutung durch Über-

arbeitung – all dies führe seiner Ansicht nach zum Alkoholmißbrauch. Im Sinne einer zielfüh-

renden Tätigkeit der gewerkschaftlichen Vetrauensmänner betonte er, daß er es zu den „[…]

Pflichten jedes Vertrauensmannes rechne, daß er die Waffen, mit denen er in der Armee dient,

rein und gebrauchsfähig erhalte. […] Wir […] Vertrauensmänner […] haben die oberste

Pflicht, unser Werkzeug gebrauchsfähig zu erhalten; [… vor allem …] unser Gehirn.“ 118 Und

weiter verlangte er, daß […] die Vetrauensmänner [die Pflicht hätten], die Waffe, die ihnen das

Proletariat anvertraut hat, gebrauchsfähig zu erhalten. [Sie hätten sie] ausschließlich im

Dienste des Proletariats zu verwenden […].“ 119 Um die Arbeiter dem Alkohol zu entfremden,

müßten die Vetrauensmänner beispielhaft leben, nicht durch das Beispiel der Mäßigkeit, son-

dern durch völlige Abstinenz.

4.3.3. Völkischer Ansatz, Jugendbewegung

Im Gegensatz zum christlichen und zum sozialdemokratischen Ansatz war die Alkoho-

lenthaltsamkeit der Jugendbewegung nicht im Sinne einer „Belehrung“ nach außen gewandt. Es

ging ihr nicht darum, den Alkoholkonsum durch Überzeugungsarbeit gegenüber anderen zu

115 Ebd., 3f. 116 Ebd., 15. 117 Adler, Viktor: Alkoholismus und Gewerkschaft. Referat, gehalten auf dem fünften österreichischen Gewerk-

schaftskongreß 1907 zu Wien. Wien, Arbeiter-Abstinentenbund in Österreich, 1907. 118 Adler, Alkoholismus und Gewerkschaft, 7f. 119 Ebd., 6.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 4. Abriß zur Geschichte der Abstinenzbewegung

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verhindern, sondern der Verzicht auf Sucht- und Rauschmittel (Alkohol, Nikotin) war Aus-

druck von Selbstdisziplin und sollte der Persönlichkeitsbildung im Sinne von Eigenverantwor-

tung und innerer Freiheit dienen. Daß später aus der Jugendbewegung alkoholgegnerische Ver-

einigungen hervorgingen, war eine Folgewirkung dieser Eigenverantwortung.

Die „Deutsche Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur“, die den Hauptinhalt der hier vor-

liegenden Arbeit bildet, ist diesem Theoriemodell zuzurechnen, daher wird dieser Aspekt in

dieser Übersicht nicht näher ausgeführt.

4.4. Gegenpositionen und Konfliktlinien

4.4.1. Alkoholwirtschaft

Die Alkoholwirtschaft nahm zu den Alkoholenthaltsamen verständlicherweise eine totale

Gegenposition ein. Sie argumentierte zunächst damit, daß dieser Wirtschaftszweig gerade in

Österreich und in Deutschland eine über Jahrhunderte gewachsene Tradition habe, daß Wein-

bau und Bierbrauereien eine große Zahl von Arbeitsplätzen sicherstellten, daß der Staat von

den Steuereinnahmen profitiere und daß somit ein Alkoholverbot große wirtschaftliche Nach-

teile brächte.

Etwas diffiziler war die Gegenposition zu den von den Alkoholgegnern vorgebrachten

medizinischen Argumenten. In einer Broschüre mit dem Titel „Ist Alkohol Gift?120 wird eine

Reihe von Ärzten, aber auch anderen Wissenschaftern zitiert, die sich allesamt gegen die Alko-

holenthaltsamkeit wandten. Mäßiger Genuß alkoholischer Getränke sei unbedenklich, eine völ-

lige Enthaltsamkeit überflüssig und wissenschaftlich nicht begründbar. Die Autoren erhoben

Widerspruch gegen radikale Abstinenzler, die behaupteten, daß auch kleine Mengen Alkohol

schädlich seien. Alkoholgegner seien Querulanten und nicht ernstzunehmen, die Menschen

hätten immer schon Alkohol getrunken, ein Alkoholverbot würde Kriminalität, Heuchelei und

die private Erzeugung minderwertiger alkoholischer Getränke fördern.

4.4.2. Mäßigkeitsbewegungen

Neben der strengen Alkoholgegnerschaft gab es auch große Gruppen, die sich nur gegen

den Genuß hochprozentiger alkoholischer Getränke wandten und im übrigen Mäßigkeit beim

Alkoholkonsum propagierten. „Die gemäßigte Richtung sah in den landesüblichen Trinksitten

und gelegentlich einem Glas Wein oder Bier in geselliger Runde einen Bestandteil geselligen

120 Ist Alkohol Gift? Die Alkoholfrage im Lichte ärztlicher Urteile. Schriften zur Alkoholfrage. Hg. im Selbst-verlag der Arbeitsgemeinschaft der Gärungsgewerbe. Berlin, ca. 1925.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 4. Abriß zur Geschichte der Abstinenzbewegung

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Lebens und suchte lediglich Exzesse zu verhindern. […] Vertreten wurden sie hauptsächlich

von dem 1883 […] gegründeten ‚Deutschen Verein gegen den Mißbrauch geistiger Geträn-

ke.“ 121

4.4.3. Konfliktlinien

1889 wurde als Abspaltung vom oben genannten Mäßigkeitsverein der deutsche „Alko-

holgegnerbund“ gegründet, der sich 1895 mit dem Schweizer „Verein zur Bekämpfung des Al-

koholgenusses“ zum „Internationalen Verein zur Bekämpfung des Alkoholgenusses“ zusam-

menschloß und eine völlige Alkoholenthaltsamkeit propagierte.122

In dieser Konstellation Enthaltsamkeitsbewegung – Mäßigkeitsbewegung – Alkoholwirt-

schaft führten die Enthaltsamen einen Zweifrontenkrieg: Ihr Hauptgegner, den sie heftigst be-

kämpften, war die Alkoholwirtschaft als Urheber des Alkoholelends. Die Mäßigen galten als

„Nebengegner“, weil sie nach Ansicht der Enthaltsamen deren Bemühen unterliefen und mit

dem Begriff einer nicht definierbaren „Mäßigkeit“ in Wirklichkeit der Alkoholwirtschaft in die

Hände spielen würden.

Die Mäßigen hingegen bekämpften zwar den Konsum der harten Getränke, betrachteten

aber die Enthaltsamen als weltfremde Spinner und Querulanten, die den Menschen nicht einmal

das harmlose Vergnügen eines Glases Wein oder Bier gönnen wollten. Von der Alkoholwirt-

schaft verlangten sie, die hochprozentigen Getränke nicht zu propagieren.

Die Alkoholwirtschaft wiederum sah bei einem Erfolg der Enthaltsamen ihren Geschäfts-

gang gefährdet. Die Forderungen der Mäßigen schienen ihr annehmbarer, denn sie war ja auch

nicht daran interessiert, daß die Schäden des Alkohols öffentlichkeitswirksam würden. So be-

stand also fallweise ein stilles Bündnis zwischen Mäßigen und Alkoholwirtschaft gegen die

Enthaltsamkeitsbestrebungen.

121 Baumgartner, Judith: Antialkoholbewegung. In: Kerbs, Diethart und Reulecke, Jürgen (Hg.): Handbuch der deutschen Reformbewegungen 1880-1933. Wuppertal, 1998, 141-154; hier 146.

122 Vgl. Ebd., 147.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 4. Abriß zur Geschichte der Abstinenzbewegung

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4.5. Alkoholgegnerische Organisationen (Beispiele)

4.5.1. Guttempler

Eine Vorläuferorganisation der Guttempler (� Abb. 5 ) war die 1826 in Boston gegründete

„American Temperance Society“123, die amerikanische Abstinenz-Vereinigung. Im Jahre 1851

wurde in Utica im Staate New York von Leverett E. Coon der Guttemplerorden gegründet.124

Der Orden ist – ähnlich den Freimaurern – in Logen gegliedert. Die erste Loge Deutschlands

entstand im Jahre 1889 in Flensburg.125 Die Guttempler setzen sich laut Eigendarstellung für

Enthaltsamkeit von Alkohol und bewußtseinsverändernden Drogen sowie für Brüderlichkeit

und Frieden ein. Sie seien heute in über 60 Ländern aktiv, politisch ungebunden, es gebe weder

religiöse noch weltanschauliche Schranken. Sie verstehen sich als eine Selbsthilfeorganisation

für Menschen mit Alkoholproblemen und sind daneben auch in der Entwicklungshilfe aktiv.126

4.5.2. Blaues Kreuz

Das Blaue Kreuz127 (� Abb. 6 ) ist eine christliche Organisation zur Selbsthilfe bei Sucht-

krankheiten. Die beiden Leitworte „Evangelium und Abstinenz – mit Jesus und ohne Alkohol“

gehörten laut Selbstdarstellung bereits für den Gründer und in Folge für die gesamte Blau-

kreuz-Arbeit unzertrennlich zusammen. Der Verein sei am 21. September 1877 in Genf von

Louis-Lucien Rochat (1849–1917), einem freikirchlichen Pfarrer im Kanton Waadt, mit weite-

ren 27 Personen gegründet worden. Am 5. Oktober 1885 erfolgte die Gründung in Deutschland

durch Arnold Bovet, einen Schweizer Prediger der Freien Evangelischen Gemeinde in Bern.

Ähnlich wie beim Kreuzbund (s. u.) liege die Haupttätigkeit des Blauen Kreuzes in der Sucht-

prävention und der Heilung Alkoholkranker.

4.5.3. Kreuzbund

Das katholische Kreuzbündnis wurde 1896 von dem Priester Josef Neumann in Aachen

gegründet.128 Seit 1926 wird der Name „Kreuzbund“ (� Abb. 7 ) geführt. Der Bund wolle nicht

alle Menschen zu Abstinenten machen, sondern durch Aufklärung und das persönliche Beispiel

123 Im angloamerikanischen Raum wurden die alkoholgegnerischen Organisationen mit dem Begriff „Tempe-rance“ bezeichnet, obwohl „Temperenz“, abgeleitet vom lat. „temperantia“, Mäßigkeit bzw. Mäßigung be-deutet.

124 Vgl. Gläß, Theo und Biel, Wilhelm: Der Guttempler-Orden in Deutschland. 2 Bde., Hamburg, 1979. Band 1, 1889-1945; 8f.

125 Vgl. Ebd., 15. 126 ( � Internet-Quellen „Guttempler“) 127 ( � Internet-Quellen „Blaues Kreuz“)

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 4. Abriß zur Geschichte der Abstinenzbewegung

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der völligen Abstinenz zeigen, daß ein Leben ohne Alkohol möglich sei, und damit den Alko-

holismus bekämpfen. Ziel der Aufklärung sei vor allem die Jugend, weil man annehme, daß die

eingefahrenen Trinksitten bei Erwachsenen schwer auszurotten seien.129 Heute sehe sich der

Kreuzbund als Fachverband innerhalb der Caritas als Selbsthilfe- und Helfergemeinschaft, die

für Suchtkranke und Angehörige tätig ist. Auch die Quickborn-Bewegung130 ist der katholi-

schen Abstinenzbewegung zuzurechnen.

4.5.4. Arbeiter-Abstinentenbund

Der „Deutsche Arbeiter-Abstinentenbund“ wurde 1903 gegründet; die Gründung in Ös-

terreich erfolgte 1905 durch die Ärzte Rudolf Wlassak und Richard Fröhlich sowie den sozial-

demokratischen Politiker Anton Hölzl.131 Der österreichischen Arbeiter-Abstinentenbund

(�Abb. 8) beschreibt sich folgendermaßen:

„Der Alkohol stellte schon lange vor der Entwicklung der Arbeiterbewegung ein ernstes

Problem der Arbeiterklasse dar. Viele Arbeiter flohen aus ihren elenden Wohnungen regelmä-

ßig in die Wirtshäuser und suchten im Alkohol Trost für ihre tristen Lebensverhältnisse. Vieles

von dem kargen Lohn, der ohnedies kaum zum Leben reichte, blieb auf diese Weise im Wirts-

haus, und die Familien versanken noch tiefer im Elend.

Die Arbeiterbewegung sah deshalb im Kampf gegen den Alkohol von Anfang an eine

wichtige Aufgabe. Der Victor Adler zugeschriebene Ausspruch ‚Der denkende Arbeiter trinkt

nicht und der trinkende Arbeiter denkt nicht’ wurde zur Leitlinie des sozialdemokratischen Ar-

beiter-Abstinentenbundes, der sich um Aufklärung, aber auch um Hilfe für die Alkoholiker und

ihre Angehörigen bemühte. Der Verein wurde am 19. November 1905 im Arbeiterheim Favori-

ten gegründet und faßte einige bereits bestehende Einzelvereine in ganz Österreich zusam-

men.“ 132

4.6. Zusammenfassung

Die Anfänge einer organisierten Alkoholgegnerbewegung lassen sich, auf christlich-

ethischer Grundlage beruhend, von den USA ausgehend festmachen. Die wissenschaftlichen

128 ( � Internet-Quellen „Kreuzbund“) 129 Vgl. Ude, Kampf gegen den Alkohol, 7. 130 „Quickborn ist eine Lebensbewegung katholischer deutscher Menschen, die in entschiedener, wahrhaftiger

und nüchterner Haltung in Volk und Kirche stehen. Der Bund zählt zur Einfachheit des Lebens eine grund-sätzlich abstinente Haltung der Älteren und eine Verpflichtung zur Abstinenz der Jüngeren und im Gemein-schaftsleben des gesamten Bundes.“ ( � Internet-Quellen „Quickborn“)

131 ( � Internet-Quellen „Arbeiter-Abstinentenbund“)

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 4. Abriß zur Geschichte der Abstinenzbewegung

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Argumente lieferten Ärzte, vorwiegend aus dem deutschen Raum. Man kann drei argumentati-

ve Hauptlinien unterscheiden:

• Alkohol als ein auf die Einzelperson beschränktes medizinisches Problem; er schädige

Gehirn und Nervensystem, verkürze die Lebensdauer und fördere Krankheiten. Wei-

ters bestehe die Gefahr der Sucht. Diese Argumente wurden von ärztlicher Seite ein-

gebracht.

• Alkohol als ein auf die Nachkommenschaft einwirkendes eugenisches Problem; er

verursache Schäden am Fötus, fördere geistige und körperliche Behinderung und kön-

ne zu degenerierter Nachkommenschaft führen. Dieses Argument, etwa Anfang des

20. Jahrhunderts erweitert um rassehygienische Argumente, kam ebenfalls aus der

Ärzteschaft und wurde im weiteren Verlauf von der Bevölkerungspolitik übernom-

men.

• Alkohol als soziales Problem, das alle Bevölkerungskreise gefährde; es bestehe eine

Wechselwirkung zwischen prekären Arbeits- und Wohnverhältnissen und Alkoholis-

mus. Das Aufzeigen dieses Problems wurde verbunden mit Kapitalismuskritik. Dieses

Argument vertrat vor allem die sozialdemokratische Abstinenzbewegung, verknüpfte

es aber ebenfalls mit Fragen der Rassehygiene und der Bevölkerungspolitik. Auch in

der völkischen Enthaltsamkeitsbewegung wurde diese Argumentation bevorzugt.

132 ( � Internet-Quellen „Arbeiter-Abstinentenbund“)

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 5. Lebensreform und Jugendbewegung

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5. Lebensreform und Jugendbewegung

5.1. Die Lebensreform

Wolfgang Krabbe definiert den Begriff „Lebensreform“ unter Bezugnahme auf das

Brockhaus-Lexikon als „Bestrebungen zu einer Erneuerung der gesamten Lebensführung, bes.

auf dem Gebiet der Ernährung, Kleidung, Wohnung, Gesundheitspflege.“ 133 Weiter gliedert er

die Lebensreform-Bewegung in zwölf große Richtungen: „Antialkoholismus, Bodenreform,

Gymnastik und Sport, Impfgegnertum, Kleidungsreform, Körperpflege, Nacktkultur, Naturheil-

kunde, Siedlung, Vegetarismus, Vivisektionsgegnerschaft, Wohnungsreform.“134

Die Anfänge der Lebensreform-Bewegung werden in das ausgehende 19. Jahrhundert ge-

legt, eine Epoche, in der das „gebildete Bürgertum und die Intellektuellen“ geschwankt habe

„… zwischen Beklemmung und Hoffnung, Angst und Stolz, Zorn und Zuversicht.“ 135 Einerseits

seien die vergangenen Jahrzehnte ein Zeitalter der großen Erfindungen, eine Epoche der Indust-

rie, des raschen Aufschwunges von Gewerbefleiß und Wirtschaft gewesen, andererseits habe es

Verluste und Bedrohungen gegeben. Apokalyptische Visionen und die Angst vor gewaltigen

Zerstörungen traten in den Diskurs. Ludwig Klages136 malte in einer Festschrift zur Freideut-

schen Jugendtagung auf dem „Hohen Meißner“ 1913137 die Zukunft in düsteren Farben: „Wo

aber der Fortschrittsmensch die Herrschaft antrat, deren er sich rühmt, hat er ringsum Mord

gesät und Grauen des Todes.“ 138

Nach Klages laufe der „Fortschritt“ auf Zerstörung hinaus, wobei „Methode im Wahnwitz

der Zerstörung“ stecke. „ Unter den Vorwänden von ‚Nutzen’, ‚wirtschaftlicher Entwicklung’,

‚Kultur’ geht er in Wahrheit auf Vern i ch tung des Lebens aus. Er [...] rodet Wälder,

streicht die Tiergeschlechter, löscht die primitiven Völker aus, überklebt und verunstaltet mit

dem Firnis des Industrialismus die Landschaft und entwürdigt, was er von Lebewesen noch

133 Der Große Brockhaus, Wiesbaden, 1953 ff. 12 Bde., Bd. VII, Art. „Lebensreform“. Zit. nach Krabbe, Wolf-gang E.: Gesellschaftsveränderung durch Lebensreform. Göttingen, 1974; 12-13.

134 Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 13. 135 Kerbs, Diethart/Reulecke, Jürgen: Einleitung der Herausgeber. In: Kerbs/Reulecke, Handbuch der deutschen

Reformbewegungen. Wuppertal, 1998, 10-18; hier 10. 136 Friedrich Konrad Eduard Wilhelm Ludwig Klages (1872-1956), Philosoph und Psychologe. Er promovierte

1901 in Chemie, seine Interessen lagen jedoch „...bei der Philosophie, Psychologie und Dichtung. [...] Klages Werk entstand zwischen 1905 und 1948, als positivistisches Denken die Wissenschaften, vor allem die Philo-sophie und Psychologie, weithin beherrschte.“ ( � Internet-Quellen „Klages“)

137 Zu dieser Tagung siehe Kapitel 5.2.6, „Die Meißner-Tagung“. 138 Klages, Ludwig: Mensch und Erde. In: Kracke, Arthur (Hg.): Freideutsche Jugend. Zur Jahrhundertfeier auf

dem Hohen Meißner 1913. Jena, 1913; 89-107; hier 91.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 5. Lebensreform und Jugendbewegung

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übrig läßt, gleich dem ‚Schlachtvieh’ zur bloßen Ware, zum vogelfreien Objekt ‚rationeller’

Ausbeutung. In seinem Dienste aber steht die gesamte Technik und in deren Dienste wieder die

weitaus größte Domäne der Wissenschaft.“ 139 Klages kritisiert die „wetterfesten Phrasen“ von

„angeblichen Notwendigkeiten wirtschaftlicher Entwicklung“, die Sachzwänge, die „Erforder-

nisse des Nutzens“, die „wirtschaftliche Entwicklung“, die unvermeidlichen Nöte des kulturel-

len Prozesses“, die als „... Früchte des ‚Fortschritts’“ gerechtfertigt werden.140 Er sehe die

Früchte des „Fortschritts“, der „wie ein fressendes Feuer über die Erde hinfege“, und „... wo er

die Stätte einmal gründlich kahl gebrannt, da gedeiht nichts mehr, solange es noch Menschen

gib! [...] Kein Zweifel, wir stehen im Zeitalter des Un te rganges der See le .“141

Dem zerstörerischen Wirken des „Fortschritts“ setzt Klages die „Kalokagathie“142 entge-

gen, „... das ist die innere und äußere Menschenschönheit, die er [der antike Hellene] im Bilde

der Olympier sah.“ 143 Hoffnung setzt er auf „… ein jüngeres Geschlecht; das noch fragt, [...]

dem er „an einer Stelle den Schleier lüften [wolle, um] „die bedrohliche Selbsttäuschung auf-

zudecken, die er verhüllt.“144

Die Ursprünge der Bewegung seien nicht in politischen Zirkeln, in Parteien oder Verbän-

den gelegen. Sie sei gewissermaßen „im Schoße der Gesellschaft“ entstanden, konzentriert auf

die Reformierung des persönlichen Lebens, des Lebensstils der Menschen. Durch „Verede-

lung“, „ Emanzipation“ und „Höherentwicklung“ des Individuums würde schließlich die ganze

Gesellschaft, „Volk“, „ Volksgemeinschaft“, „ Nation“ oder „Rasse“ daraus Gewinn ziehen.145

Krabbe sieht den Begriff „Lebensreform“ als Sammelbezeichnung für verschiedene Er-

neuerungsbestrebungen in den 1890er Jahren auftauchen, „[…] als sich die Bewegung schon in

vielfältige Ausprägungen ausdifferenziert hatte. Zahlreiche Erscheinungen des Fin de siècle im

Bereich des Ästhetischen und des Religiösen, neue Strömungen in der Philosophie, der Litera-

tur, der Wissenschaft und der Pädagogik sowie Emanzipations- und Sozialreformbestrebungen

139 Klages, 98. 140 Klages, 92. 141 Klages, 99. 142 „Kalokagathia,“ in der griechischen Antike Bezeichnung für das „...Ideal der körperlichen und geistigen

Vortrefflichkeit. [...] Der Begriff bezeichnet eine Verbindung von körperlicher Schönheit und geistigen Vor-zügen, die als gesamthafte Vortrefflichkeit (Arete) der Person erscheint.“ ( � Internet-Quellen „Kalokagathos“)

143 Klages, 90. 144 Klages, 89f. 145 Vgl. Kerbs/Reulecke: Einleitung der Herausgeber. In: Kerbs/Reulecke, Reformbewegungen, 11.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 5. Lebensreform und Jugendbewegung

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rankten sich um die Kernbewegung herum, mit der sie durch mannigfache Gemeinsamkeiten

verknüpft waren.“ 146

Kerbs/Reulecke147 strukturieren den Gesamtkomplex „Lebensreform“ in sieben große

Themenkreise: Unwelt und Heimat, Lebensreform/Selbstreform, Gemeinschaft und Gesell-

schaft, Leben und Arbeiten/Wirtschaften und Wohnen, Erziehung und Bildung, Kunst und Kul-

tur, Religiosität und Spiritualität. Innerhalb dieser Themenkreise wird weiter heruntergebro-

chen auf 42 verschiedene Reformbewegungen. Einige davon seien hier beispielhaft genannt:

Heimatschutz, Naturheilbewegung, Antialkoholbewegung, Jugendbewegung, Siedlungs- und

Landkommunebewegung, Bodenreform, Biologischer Landbau, Reformpädagogik, Jugendmu-

sikbewegung, Freie Waldorfschulen, Theaterreform und Laienspiel, Freireligiöse und Feuerbe-

statter, Erneuerungsbewegungen im Katholizismus und im Protestantismus.

Im Spektrum möglicher Zukunftsentwürfe – hier eine konservative, restaurative, auch re-

aktionäre Stoßrichtung mit Absicherung des „status quo“ oder gar einer Rückkehr zu angeblich

„besseren Zeiten“, dort eine revolutionäre Richtung mit radikaler Beseitigung des „status quo“

und Aufhebung aller geistigen, rechtlichen und institutionellen Verhältnisse – hätte „… die

heterogene Gruppe der Reformer aller Art […] angesichts sozioökonomischer und kultureller

Wandlungen oder angestoßen durch neue Ideen einen evolutionären Weg [favorisiert]. Häufig

ging es dabei um die Suche nach einem sog. ‚Dritten Weg’, der aus einer festgefahrenen Zwei-

frontensituation auf neue Art zu ‚Freiheit und Sonne’ führen sollte.“ 148 ( � Abb. 9) Für die fern-

stehenden Zeitgenossen galten die Lebensreformer entweder als „Traumtänzer“, als „illusionä-

re Idealisten ohne Bezug zur harten Wirklichkeit“, als „halbherzige Weltverbesserer“ oder als

„Feiglinge, denen es an Mut oder Einsicht fehlt, den radikalen großen Sprung zu wagen“.149

Wolbert sieht als Gemeinsamkeit der unterschiedlichsten Strömungen innerhalb der Le-

bensreformbewegung ein „… Kernprogramm, dessen zentrale Reformanliegen in […] unter-

schiedlicher Betonung [und …] voneinander abweichender Auslegung und Umsetzung […] bei

allen in Frage kommenden Gruppierungen, Personen und Denkrichtungen erkennbar zutage

treten, […]. Reformbestrebungen in bezug auf Körper, Geist, Seele, […] das Leben und die

Lebenspraxis finden sich gleichermaßen bei allen, die eine Revision der bestehenden […] Ver-

146 Krabbe, Wolfgang R.: Die Lebensreformbewegung. In: Buchholz, Kai/Latocha, Rita/Peckmann, Hil-ke/Wolbert, Klaus: Die Lebensreform: Entwürfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900. Darm-stadt 2001, Bd. 1, 25-29; hier 25.

147 Vgl. Kerbs/Reulecke, Reformbewegungen, Inhaltsverzeichnis, 5-6. 148 Kerbs/Reulecke: Einleitung der Herausgeber. In: Kerbs/Reulecke, Reformbewegungen, 16. 149 Ebd.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 5. Lebensreform und Jugendbewegung

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hältnisse im gründerzeitlichen Staat […] anmahnten und dafür Wege des Ausweichens, der

Flucht oder des Voranschreitens aufzeigten.“ 150

Die verschiedenen Reformprogramme enthalten für ihn eine Vielzahl an Dichotomien

von Moderne und Antimoderne, Fortschrittsbegeisterung und Reaktion, rationaler Weltsicht

und irrationaler Verstiegenheit, Liberalität und Autoritätsdenken, nüchterner Rationalität und

esoterischer Geistgläubigkeit. Unter ihren Vertretern finde sich ein Konglomerat von verschro-

benen Querulanten, anarchistischen Weltverbesserern, vergeistigten Kosmikern, emanzipatori-

schen Revolutionären, prophetischen Eiferern, elitären Geistaristokraten und sachlich-

zweckorientierten Ratgebern. Bei den verschiedenen Lehrgebäuden sei Konsistenz und Wider-

spruchsfreiheit wenig ausgeprägt. Als gemeinsames Ziel zeige sich der Wunsch nach Verände-

rung und Neugestaltung, um den Zivilisationsschock der Jahrhundertwende zu überwinden. Als

Widerpart sei der „wilhelminische Hohenzollernmythos“ in seiner Verbindung mit dem „indu-

striell-kommerziell-militärisch-klerikalen Komplex“ gesehen worden. 151

Organisatorisch gab es für die Lebensreformer keinen gemeinsamen Überbau, aber durch

manche Überschneidungen oder Ähnlichkeiten zwischen den einzelnen Themenkomplexen

kam es phasenweise zu informellen, personellen oder auch aktionistischen Synergien. Das Ver-

bindende war stets der Wunsch nach einem Wandel in den Bereichen der Lebensführung, der

Ernährung, des Wohnens, der Gesundheitspflege. „ ‚Rückkehr zur Natur’ und ‚natürliche Le-

bensweise’ – diese Schlagworte galten als Orientierungsmarken aller Reformbemühungen.“ 152

Krabbe153 sieht in den Modernisierungen des 19. Jahrhunderts – Industrialisierung, Urba-

nisierung, Entstehung der Massengesellschaft, Verwissenschaftlichung und Technisierung –

nicht nur einen fundamentalen Wandel der ökonomischen Grundlagen der Gesellschaft, son-

dern im Bewußtsein der Menschen sei die zugleich eintretende Säkularisierung und Rationali-

sierung des Daseins als Mangelerscheinung, als Verlust tradierter Werte erlebt worden. Körper,

Geist und Seele seien traumatisiert worden und müßten wieder in einen harmonischen Gleich-

klang zurückgeführt werden. Das Auftreten von Zivilisationsschäden, von Krankheiten müsse

ganzheitlich gedeutet werden. Es sei die Folge eines gestörten Verhältnisses zu Natur und

Kosmos. Nicht die isoliert betrachtete somatische Krankheit, die nur Symptom sei, gelte es, zu

150 Wolbert, Klaus: Die Lebensreform – Anträge zur Debatte. In: Buchholz et al.: Die Lebensreform, Bd. 1, 13-21, hier 17.

151 Wolbert, Die Lebensreform, 17. 152 Krabbe, Wolfgang R.: Die Lebensreformbewegung. In: Buchholz et al.: Die Lebensreform, Bd. 1, 25-29,

hier 25. 153 Krabbe, Lebensreform und Selbstreform. In: Kerbs/Reulecke, Reformbewegungen, 73-75, hier 73.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 5. Lebensreform und Jugendbewegung

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behandeln, sondern dem Menschen als Ganzes sei Aufmerksamkeit zu widmen. „Die Weltan-

schauung der Lebensreform beinhaltet im Kern eine säkularisierte gnostisch-eschatologische

Erlösungslehre. Ihr dialektisches Geschichtsmodell verläuft nach dem Dreierschritt Paradies-

Sündenfall-Erlösung, wobei die Abkehr von den natürlichen Grundlagen des Daseins als der

fundamentale Sündenfall angesehen wurde.“ 154 Die „naturgemäße Lebensweise“ werde für den

Lebensreformer zur „Heilslehre“, zu einer „Frohbotschaft“, zum „Evangelium“. Sie bringe den

Menschen die „Erlösung“, die „Befreiung von allen Übeln“.155

Auch Mogge ordnet die Jugendbewegung dem Gesamtkomplex „Lebensreform“ an der

Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zu. „Jugend“ habe sich zu einem „Mythos“ gewandelt,

zum „Inbegriff von Zukunft“, zur „Überwindung eines kranken und überalterten Systems“. Die

Jugendbewegung sei eingebunden gewesen in lebensreformerische und reformpädagogische

Zielsetzungen, in gesamtgesellschaftliche Entwicklungen.156

Der der Jugendbewegung eigentümliche Formenkanon von Fahrt und Lager, Lied, Tanz,

Spiel und Fest sei zunächst Ausdruck jugendlichen Eigenlebens gewesen, bald jedoch auch „…

Allgemeingut der Jugendarbeit und Kultur von Reformbewegungen [geworden]. Ideen der Le-

bensreformbewegung wiederum fanden Aufnahme in den Bünden und wurden zu einer einigen-

den Klammer über alle sonstigen Gegensätze hinweg. Die Antihaltung gegen die Starrheit der

wilhelminischen Gesellschaft und ihre Erziehungsnormen, das Mißtrauen gegenüber dem Fort-

schrittsglauben einer industrialisierten und verstädterten neuen Zeit, […] drückten sich aus in

Visionen von einem besseren Reich der Jugend.“ 157 Vor allem die Reformpädagogik habe in

der Jugendbewegung starken Widerhall gefunden, was sich in Form von Landerziehungshei-

men, der Jugendmusik- und Laienspielkultur geäußert habe.

Die Verflechtung von Jugendbewegung und Lebensreform sei auch auf der Meißner-

Tagung sichtbar geworden, als „… Lebensreformer, Reformpädagogen, Volkserzieher und

Siedler [ihre] Alternativen und Heilslehren wie Rauschmittelabstinenz, Ernährungs- und Klei-

derreform, Freikörperkultur, sexuelle Befreiung, alternativen Landbau, Rassenhygiene, völki-

sche oder sozialistische Erziehung [beschworen hätten].“158

154 Ebd., 74. 155 Krabbe, Die Lebensreformbewegung. In: Buchholz et al.: Die Lebensreform, Bd. 1, 25-29, hier 29. 156 Mogge, Winfried: Jugendbewegung. In: Kerbs/Reulecke, Reformbewegungen, 181-196, hier 181. 157 Mogge, 192. 158 Ebd.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 5. Lebensreform und Jugendbewegung

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Ideologisch fand sich sowohl in der Lebensreform als auch in der Jugendbewegung ein

breites Spektrum. Die Meißner-Tagung „… enthielt sozialistisch-kommunistische wie auch

nationalistisch-völkische Tendenzen, die erst über einige Jahre hin ihren Zusammenhang ver-

loren. Die klassische deutsche Jugendbewegung […] hatte gesellschaftspolitisch keineswegs

eine eindeutig rechte Prägung, auch wenn Ende der 1920er Jahre […] die Leitbilder der ‚kon-

servativen Revolution’159 besonders starke Gefolgschaft fanden.“ 160 Klönne sieht auch ein kurz-

fristiges Auftreten von „ideologischen Querfronten“, in denen „Linke Leute von Rechts [sic!]“

und „Rechte Leute von Links [sic!]“ in „ national-sozial-revolutionären“ oder „nationalbol-

schewistischen Zirkeln“ zusammentrafen. Gemeinsame Grundstimmung über alle ideologi-

schen Lager hinweg sei „… der Zorn über die verheerenden Wirkungen der Expansion von

Industrie und Technik, über den Verschleiß von Naturressourcen [gewesen]; die Trauer über

den Verlust überkommener sozialer Bindungen, über die Entwertung historisch entwickelter

Fähigkeiten und Fertigkeiten; der Protest gegen die Durchkapitalisierung der Lebenswelt, ge-

gen die Kommerzialisierung bisher ‚geschäftsfreier’ Austauschbeziehungen.“161

Dieses breite Ideologiespektrum und die in den Ausformungen der lebensreformerischen

Ideen enthaltenen Ambivalenzen enthielten einerseits Ansätze zu einseitigen, radikalen, ja in-

humanen Irrwegen und machten es andererseits dem NS-System leicht, sich Teile aus dem Ge-

dankengebäude herauszupicken und selektiv für seine totalitäre Herrschaft nutzbar zu ma-

chen.162

Unabhängig von den in der Entstehungsphase aufgetretenen Einzelbestrebungen mit ih-

rem oft sektiererischen, übersteigerten und elitären Habitus ist für Wolbert die Lebensreform

ein „Jahrhundertthema“, das „… um 1900 die ‚Geburt des modernen Menschen’ mit den Ein-

flüssen auf das Körper- und Ernährungsbewußtsein, auf Gesundheits- und Hygieneregeln, auf

159 „Der Begriff Konservative Revolution bezeichnet eine geistig-politische Sammelbewegung jungkonservativer Kräfte in der Weimarer Republik, die sich für einen autoritären Staat einsetzten und den liberalen Werten der Weimarer Demokratie deutlichen Widerstand entgegenbrachten. Sie grenzten sich sowohl von den Ideen der Französischen Revolution und der Aufklärung wie von bloßer Restauration ab und forderten nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs eine ‚neue abendländische Einheit unter deutscher Führung’. Die Kon-servative Revolution verstand sich als Gegenrevolution, die nach dem Umsturz der bestehenden Ordnung konservative Maßstäbe setzen und die Auflösung der abendländischen Kultur verhindern wollte.“ ( � Internet-Quellen „Konservative Revolution“)

160 Klönne, Arno: Eine deutsche Bewegung, politisch zweideutig. In: Buchholz et al.: Die Lebensreform, Bd. 1, 31-32, hier 31.

161 Ebd. 162 Vgl. Kerbs/Reulecke: Einleitung der Herausgeber. In: Kerbs/Reulecke, Reformbewegungen, 14.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 5. Lebensreform und Jugendbewegung

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Ökologie und Artenschutz, auf Sport, Fitneß und auf sexuelle Unbefangenheit […] hervorge-

bracht hat…“163

5.2. Die deutsche bürgerliche Jugendbewegung

In der einschlägigen Literatur wird allgemein die Entstehung des Wandervogels um die

Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert im Großraum von Berlin als Beginn der deutschen bür-

gerlichen Jugendbewegung angesehen. Ich behandle daher hier mit Schwergewicht die Ent-

wicklung des Wandervogels, obwohl daneben auch eine proletarische und eine religiöse Ju-

gendbewegung bestand und sich auch die bürgerliche Bewegung im Laufe der Zeit in verschie-

dene Richtungen mit unterschiedlichen ideellen und formalen Gewichtungen ausdifferenzierte.

5.2.1. Gesellschaftliches, politisches, pädagogisches Umfeld

Das wilhelminische deutsche Kaiserreich an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert

war geprägt von 30 Jahren des wirtschaftlichen, machtpolitischen und militärischen Auf-

schwunges. Herrmann schreibt dazu: „Im Zweiten Deutschen Kaiserreich wurde während der

BISMARCK-Ära ein preußisch-deutscher Nationalstaat geformt, der nach der Zäsur des Jahres

1890164zugleich ein autoritärer Obrigkeitsstaat und – nach dem Ende der Großen Depressi-

on – eine wirtschaftliche Großmacht wurde, der geprägt war von antidemokratischem und mili-

taristischem Denken und zugleich von kultureller Vielfalt und Progressivität; der Schulen

und Universitäten, Wissenschaft und Forschung in einer Weise förderte, die in der Welt als

vorbildlich betrachtet wurde; [Hier standen nebeneinander] der Antimodernismus und die

Hinwendung zur Moderne, kaiserliche Kunstpolitik und Secessionen, Militarismus und Frie-

densbewegung, […] Spießbürgerlichkeit und Libertinage, Autoritätsfixierung und Anarchis-

mus. […] Die Kultur des späten Kaiserreiches war charakterisiert durch Gegensätze und un-

überbrückbare Widersprüche.“ 165

Das preußische Schulwesen jener Zeit war darauf ausgerichtet, „… tüchtige, fleißige,

pflichtbewußte und züchtige junge Männer zu produzieren.“ 166 Die Lehrer waren bestrebt, ihren

Einfluß auf die Erziehung der Schüler auch außerhalb des Schulbetriebes wahrzunehmen, und

163 Wolbert, Die Lebensreform, 19. 164 Im März 1890 entließ Kaiser Wilhelm II. Bismarck aus seinem Amt als Reichskanzler. 165 Herrmann, Ulrich: Wandervogel und Jugendbewegung im geistes- und kulturgeschichtlichen Kontext vor

dem ersten Weltkrieg. In: Herrman (Hg.), „Mit uns zieht die neue Zeit …“ Der Wandervogel in der deut-schen Jugendbewegung. Weinheim und München, 2006, 33-37; hier 33ff.

166 Ille, Gerhard: Schülernot und Jugendkult im deutschen Kaiserreich – zur Situation der bürgerlichen Jugend um 1900. In: Ille, Gerhard/Köhler, Günter (Hg.): Der Wandervogel. Es begann in Steglitz. Berlin, 1987, 30-53; hier 30.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 5. Lebensreform und Jugendbewegung

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auch die Erziehung zu Patriotismus und Militarismus war Teil der Schulpädagogik des Kaiser-

reiches. „Es wirkte sich fatal aus, daß die Einheit der Nation unter militärischen Vorzeichen

zustande gekommen war. In der Furcht, der Geist des siegreichen Feldzuges gegen Frankreich

könne in der nachfolgenden Friedenszeit verblassen, wurde die Pflege vaterländischer Gesin-

nung zur Domäne oberlehrerhaften Einwirkens auf die Schüler. In immer wiederkehrenden

Tiraden und Deklamationen sollte anhand leuchtender Vorbilder der Heldensinn der halb-

wüchsigen Schüler entflammt werden, wobei die Erziehung zu glühender Vaterlandsliebe nicht

selten mit nackter Agitation gegen die Sozialdemokratie verbunden wurde, denn die künftigen

Offiziere [und Beamten] sollten auch ‚gegen den inneren Feind den heiligen Boden des Vater-

landes verteidigen’.“ 167

Ein Zeitungsartikel berichtet über die sog. „Sedanfeier“168 der Steglitzer Oberrealschule

und des Gymnasiums im Jahre 1903: „Ein strammer Aufmarsch sämtlicher Klassen leitete den

Reigen der Darbietungen ein. Dann sang der Chor unter der tüchtigen Leitung des Herrn Wül-

kens das Lied: ‚Was ist des Deutschen Vaterland?’ Herr Oberlehrer Klatte wies in einer

schwungvollen, enthusiasmierenden Ansprache auf die nationale Bedeutung des Tages hin.

Gedenke, daß du ein Deutscher bist! Das war das patriotische Leitmotiv. Stählt Körper und

Geist für das Vaterland! rief er zum Schluß der Jugend zu. Die Rede klang in ein begeistertes

Hoch auf unseren Kaiser aus, der Chor trug inzwischen das Lied ‚Lützows wilde Jagd’ wir-

kungsvoll und mit gutem Verständnis vor.“ 169

Steglitz, der Gründungsort des Wandervogels, war um die Jahrhundertwende eine eigene

Gemeinde am Südrand Berlins, Landkreis Teltow, mit ca. 20.000 Einwohnern; 1920 wurde es

als eigener Bezirk nach Groß-Berlin eingegliedert.170

Die Bevölkerung von Steglitz war großteils dem mittleren und höheren Bürgertum zuzu-

rechnen. Einerseits die Nähe Berlins mit seinem reichhaltigen Kulturangebot, andererseits

preisgünstigere Wohnungen als in der Großstadt – dies bewog viele Menschen mit literari-

schen, künstlerischen, philosophischen Interessen, also Leute mit geistigem Beruf und Lebens-

167 Ebd., 32. 168 Die Sedanfeier (der Sedantag) war ein Gedenktag, der im Deutschen Kaiserreich (1871–1918) jährlich um

den 2. September gefeiert wurde. Er erinnerte an die Kapitulation der französischen Armee am 2. September 1870 nach der Schlacht von Sedan. ( � Internet-Quellen „Sedan-Tag“)

169 Ille, Schülernot, 33. 170 Köhler, Günter: Steglitz zur Jahrhundertwende – Preußens größtes Dorf, ein zentraler Ort des Bildungsbür-

gertums. In: Ille/Köhler: Der Wandervogel, 9-27; hier 9. (Weiters � Internet-Quellen „Steglitz“ )

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inhalt, sich dort anzusiedeln. Neben reformerischen Ansätzen einiger weniger171 wurden die

ausgeprägten „preußischen Standesunterschiede“ auch dort wie selbstverständlich gepflegt:

„Der Jurist schnitt den Oberlehrer, der Oberlehrer den Postrat, der Postrat den Zollinspektor,

dieser den Volksschullehrer usw. Mit einem Handwerker, Bauern oder gar Arbeiter sich auf

offener Straße in einem anderen Ton als dem des Auftraggebers oder Vorgesetzten zu unterhal-

ten, schien für den Bürger eine Unmöglichkeit. Alle unterwarfen sich diesem Zwang. Glücklich

war im Grunde dabei keiner.“ 172

Aus diesem Substrat eines äußerlichen, staatlich verordneten Patriotismus, einer streng

hierarchisch gegliederten Gesellschaft, eines pädagogischen Regelwerkes, welches das Leben

der Jugend bis ins letzte Detail strukturierte, in einer Zeit, in der „Jugend“ nur als Vorphase zur

Schaffung eines „vernünftigen, leistungsfähigen und kaisertreuen Untertanen“ verstanden wur-

de – hier wuchs der Wandervogel hervor als Gegenentwurf einer selbstbestimmten, eigenver-

antwortlichen und unabhängigen Jugend, die sich als Brückenzeit zwischen dem von Eltern-

haus und Schule abhängigen Kind und dem im Berufs-, Familien- und Erwerbsleben stehenden

Erwachsenen verstand.

5.2.2. Entstehungsphase

Als Geburtsstunde der deutschen bürgerlichen Jugendbewegung wird allgemein der

4. November 1901 angesehen, an dem im Hinterzimmer des Steglitzer Rathauses der Oberpri-

maner173 Karl Fischer, gemeinsam mit weiteren neun Personen, den „Ausschuß für Schüler-

fahrten“ (A.f.S.) gründete. ( � Abb. 10, Gedenktafel am Steglitzer Rathaus)

Zu dieser Gründung gab es allerdings eine Vorgeschichte:

Im Jahre 1890 wurde der 15-jährige Gymnasiast Hermann Hoffmann (später ergänzte er

seinen Namen mit dem Mädchennamen seiner Mutter und nannte sich Hoffmann-Fölkersamb)

durch seinen Deutschprofessor am Steglitzer Gymnasium auf die Idee gebracht, die nähere und

171 In Steglitz lebten u.a. der Schulreformer Ludwig Gurlitt, der Maler Hugo Höppner, genannt FIDUS, mit seinem Lehrer Karl Wilhelm Diefenbach, Friedrich Althoff, Kulturpolitiker und Reformer des preußischen Universitätswesens und Gustav Lilienthal, der das Wohnungs- und Bauwesen umformte, um auch für weni-ger begüterte Schichten leistbare und menschenwürdige Wohnungen zu schaffen. (Köhler, Steglitz, 20-22).

172 Ziemer, Gerhard: Der Wandervogel – Bild und Deutung. In: Ziemer, Gerhard/Wolf, Hans: Wandervogel und Freideutsche Jugend. Bad Godesberg, 1961, 7-28; hier 19. Dort erwähnt unter Berufung auf den Schulreformer und Publizisten Ludwig Gurlitt, Oberlehrer am Steglitzer Gymnasium und Verfasser des Buches „Der Deutsche und sein Vaterland“, Berlin, 1902.

173 Im Preußischen Schulsystem des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts hatte das Gymnasium 9 Schulstufen, die mit lateinischen Ordnungszahlen „gegenläufig“ numeriert wurden: 1. Klasse = Sexta, 2. Klasse = Quinta, weiter mit Quarta, Untertertia, Obertertia, Untersekunda, Obersekunda und schließlich Unterprima (8.) und Oberprima (9. Klasse). ( � Internet-Quellen „Schulstufen“)

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 5. Lebensreform und Jugendbewegung

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auch fernere Umgebung seiner Heimat zu erwandern. Hoffmann schreibt dazu selbst: „In den

nächsten Sommerferien wanderte ich mit meinen jüngeren Brüdern und einem Klassenkame-

raden zum Magdeburger Tor hinaus, den Tornister auf dem Rücken – die Zeit der Rucksäcke

war für Norddeutschland noch nicht gekommen. Wir wanderten in Tagesmärschen von 40 Ki-

lometern zum Harz, im Zickzack durch diesen und [nach] 18 Tagen heimwärts durch dasselbe

Tor.

Wir hatten uns selbst verpflegt, auch gelegentlich in Scheunen übernachtet und sogar

einmal probeweise im Freien […] und für uns Brüder zusammen 24 Mark ausgegeben.“ 174

Nach Beginn seines Studiums im Herbst 1894 gründete er stenographische Schülerverei-

ne, um die sog. „vereinfachte deutsche Kurzschrift, System Stolze-Schrey“ zu vermitteln. Auch

am Steglitzer Gymnasium hatte er einen solchen Stenographenverein gegründet und dort von

seinen Wandererlebnissen erzählt. Einer seiner Schüler, Karl Fischer, war von den Erzählungen

so beeindruckt, daß er Hoffmann bat, auch mit ihnen solche Wanderungen zu unternehmen. So

erweiterte Hoffmann seine Stenographengruppe zur Wandergruppe und zog mit seinen Schü-

lern in den Harz, nach Thüringen, in die Rhön, den Spessart und ins Rheinland. „Hoffmann

hatte die erzieherische Komponente seiner Wanderart erkannt und in seinem Aufsatz ‚Hoch das

Wandern’ als fruchtbringend für die Charakterentwicklung bezeichnet. Es erziehe angesichts

der Bewältigung unvorhergesehener Situationen ‚zur Kaltblütigkeit, diese zur Schärfung der

Sinne…, zur Schule der Abhärtung, die ja manchem unserer jungen Herrchen zu gönnen

ist’.“175

Fischer übernahm von Hoffmann dieses ungezwungene Wandern und baute es nach eige-

nen Vorstellungen aus. „Für ihn stand das Ideal der mittelalterlichen Fahrenden Schüler, Va-

ganten oder Bachanten176 im Vordergrund. Bei den Sonntagsausflügen und Ferienfahrten, bei

den wöchentlichen Zusammenkünften auf seiner Bude in Steglitz erzählte Fischer vom Leben,

von den Bräuchen der Fahrenden Scholaren …“ 177 Die Bezeichnung „Wandervogel“ brachte

bei der Gründungssitzung des A.f.S. einer der Teilnehmer, Wolfgang Meyen, ein, der sich an

die Inschrift eines Grabsteines auf dem St.-Annen-Friedhof in Berlin-Dahlem erinnerte:

174 Köhler, Günter: Der Steglitzer Wandervogel 1896-1914. In: Ille/Köhler: Der Wandervogel, 54-85; hier 55. 175 Ebd., 59. 176 „bachant, m. im 15. 16 jh. ein angehender student, der zwischen den untersten schülern oder schützen und

den eigentlichen studenten in der mitte steht, ein ungeschliffener, roher jüngling. der name kommt von bac-chari, in der bedeutung vagari, durchs land laufen und betteln, ist also gleichviel mit vagant und fahrendem schüler“. In: Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. 16 Bde. in 32 Teilbänden. Leipzig 1854-1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. (Online-Version: � Internet-Quellen „Bachant“)

177 Köhler: Der Steglitzer Wandervogel, 54.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 5. Lebensreform und Jugendbewegung

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Wer hat euch Wandervögeln die Wissenschaft geschenkt,

Dass ihr auf Land und Meeren nie falsch die Flügel lenkt?

Dass ihr die alte Palme im Süden wieder wählt,

Dass ihr die alten Linden im Norden nicht verfehlt!178

Als Kennzeichen des Wandervogels diente eine grüne Mütze mit roten und goldenen

Streifen sowie eine grün-rot-golden geflochtene Schnur; damit wollte man sich von Hausierern

und Landstreichern unterscheiden.

Was bewegte die „Jugendbewegten“, die sich bald in dieser neuen Gruppierung einfan-

den? Herrmann meint dazu, daß die Elternhäuser des Bildungsbürgertums und die Höheren

Schulen im Leben der Jugend eine „Leerstelle“ geschaffen hätten, die durch die verschiedenen

nationalen, völkischen und kirchlichen Jugendverbände, durch staatlich organisierte Jugend-

pflege, durch nationalistisch-paramiltärische Kreise nicht gefüllt wurde. Auch die Pennalien,

die Schülerverbindungen, die mit ihren Rauch- und Trinksitten das studentische Verbindungs-

leben imitierten, wirkten nicht anziehend. „So wird auch verständlich, warum liberale, lebens-

reformerisch und reformpädagogisch eingestellte Eltern und Lehrer in Steglitz die Anfänge des

Wandervogels lebhaft förderten, nicht ahnend, daß sie eine Jugendbewegung auslösen wür-

den.“ 179

5.2.3. Selbstverständnis, Motivation

Was trieb diese jungen Menschen dazu, kilometerlange Märsche auf sich zu nehmen, in

Heu, Stroh oder auf blanker Erde zu nächtigen, auf offenem Feuer im „Hordentopf“ die ge-

meinsame Mahlzeit zuzubereiten, stundenlang um das Feuer zu sitzen, zu singen und den Ster-

nenhimmel zu betrachten? Herrmann sieht darin Sinn- und Bedeutungsfindung für das eigene

Leben, des Finden von Selbstverantwortung durch Erlebnisse und Erfahrungen, den Wandel

vom Einzel-Ich zum sozialen Ich.180

Wenn es überhaupt ein klares Programm gab, so war es ein Programm des Anders-Seins.

Einer der wesentlichsten Punkte war „… der Kampf gegen die erstarrten Formen der bürgerli-

chen Gesellschaft und gegen das Diktat der Erwachsenen in Schule und Elternhaus. […] Man

versuchte vor allem, sich in Gebaren, Sprache und Aussehen von allen anderen Menschen zu

unterscheiden. […]

178 Ziemer, Gerhard: Karl Fischer und seine Bachanten. In: Ziemer/Wolf: Wandervogel, 48-52; hier 51. ( � Abb. 11 und � Internet-Quellen „Wandervogel-Grabstein“)

179 Herrmann, Ulrich: Wandervogel und Jugendbewegung, 54f.

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In den Formen dieser […] ‚Erlebnispädagogik’ […] konnte und sollte das Streben nach

einem neuen ‚Jugendland’ und ‚Jugendreich’ seine Wirkung entfalten.“ An Stelle des Äußerli-

chen, des Status- und Konsumdenkens setzte man Menschlichkeit, Askese, Bescheidenheit und

Freundschaft. Als Hauptmerkmale, als charakteristisch für den Wandervogel und die Jugend-

bewegung sieht Herrmann, „das Erlebnis der Gemeinschaft“, „ das Erlebnis der inneren Bin-

dung“, die „kreative, musisch-ästhetische Gestaltung des Gemeinschaftslebens“ und die absolu-

te „Selbstverpflichtung“. 181

Foerster182 sieht in der deutschen Jugendbewegung zunächst einen Protest gegen die Pä-

dagogik, die Lebenspraxis sowie die Berufs- und Kulturauffassung der alten Generation. Der

Protest richte sich „… gegen die wachsende Auslöschung des lebendigen Menschen und der

Menschlichkeit durch Technik, Organisation, Politik, Wissensbetrieb und Warenerzeugung.“183

Ziel sei es, „… das seelische Zentrum, im Einzelmenschen und im gesellschaftlichen Leben,

wiederzufinden, es mit neuer Klarheit und Festigkeit zu begründen.“

„Werdet wieder menschlich, geht heraus aus der Geistes- und Gemütsverengung des poli-

tischen Organisationswesens, aus einer rein technischen Berufsauffassung, aus einem entseel-

ten Wissensbetriebe, werdet wieder lebendige Menschen!“184

Auch die Alkoholenthaltsamkeit taucht hier auf: „Zuerst kommt das Wandern, […] dann

beginnt die Entdeckung des Volksliedes und des Volkstanzes, dann werden die Zigaretten weg-

geworfen, dann kommt die Abstinenz, diese wieder schließt neue Freuden und neue Einsichten

auf: ‚Da ist es nicht genug, daß wir nicht mehr trinken, das ist erst der Anfang’ ̶ […] erst

müssen wir selbst ein neuer Mensch sein, ehe wir ihn andern zeigen können.“185

Wenn hier ein neues Generationserlebnis Gestalt annahm, wenn „Jugend“ nicht mehr nur

eine Vorstufe zum „eigentlichen Erwachsenenleben“ war, wenn Jugend einen Selbstwert hatte,

sich für fähig hielt, ihr Leben selbst zu gestalten und ihrer Zeit mit eigener Botschaft entgegen-

zutreten, so war dies die Stärke dieser neuen Bewegung.186 Sie bot „… das Erlebnis der Ge-

meinschaft Gleichaltriger und Gleichgesinnter bei der Entdeckung ‚neuer Räume’ äußerer und

innerer Erfahrung. […]

180 Herrmann, 52. 181 Ebd., 60-61. 182 Foerster, Friedrich Wilhelm: Jugendseele, Jugendbewegung, Jugendziel. Erlenbach-Zürich, 1923. 183 Ebd., 12. 184 Ebd., 17. 185 Ebd., 22. 186 Vgl. Herrmann, Wandervogel und Jugendbewegung, 62.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 5. Lebensreform und Jugendbewegung

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Es war das Bestreben der jungen Leute, außerhalb der konventionellen Lebensweisen ih-

rer Elternhäuser, aber mit deren Unterstützung, neue Formen der Geselligkeit, der Freizeitge-

staltung, des Wanderns und Reisens als Naturerfahrung, vor allem als Gruppenerlebnis

Gleichaltriger und Gleichgesinnter zu gestalten.“ 187

Der Wandervogel sah sich als „Jugendreich“ mit Jugendlichen als Führer und Vorbilder.

Man knüpfte bewußt nicht an die Vorbilder der deutschen „Urburschenschaft“ aus den napole-

onischen Freiheitskriegen an, sondern ging weiter zurück in die Vergangenheit, in die Welt der

fahrenden Scholaren der spätmittelalterlichen Lateinschulen und Universitäten. Getrennt vom

Elternhaus, ganz auf sich selbst gestellt, lebte man eigenverantwortlich nach eigenem „Scho-

larenrecht“.188 Auch die soziale, familiäre Herkunft der Jugendlichen war unwichtig. Durch die

Programmgestaltung mit wöchentlichen Wanderungen und den sommerlichen Großfahrten war

zwar der mögliche Personenkreis auf Schüler mit langen Sommerferien eingeschränkt, aber ob

der Vater Briefträger, Kommerzienrat, Lehrer oder Offizier war, war (laut Ziemer) unwichtig.

Maßstab des Wandervogels sei das „Kalokagathos“ der Griechen gewesen, verbunden mit der

Bedürfnislosigkeit christlicher Orden. 189

Nach der Gründung im November 1901 nahm die Bewegung einen raschen Aufschwung;

aus dem Jahr 1903 wird z.B. von 13 Fahrten und 103 Wandertagen mit insgesamt ca. 250 Teil-

nehmern berichtet.190 Allerdings lag in der Frage nach dem „inneren Wesen“, nach dem „Ei-

gentlichen“ des Wandervogels der Keim zur Spaltung. Fischer, auf dem mittelalterlichen Scho-

laren- und Vagantenleben aufbauend, liebte lange und schwere Märsche, sog. „Klotzmärsche“

mit Tagesdistanzen von 40 und mehr Kilometern, er verlangte Ausdauer, Disziplin und Unter-

ordnung (ein Stil, der später als „das Zünftige“ bezeichnet wurde) und pflegte als „Ober-

bachant“ einen zentralistischen Führungsstil, neben dem andere Köpfe keinen Platz fanden.

Eine andere Richtung, u.a. vertreten von den Studenten Copalle, Weber und Thiede, suchte

beim Wandern die Stille, die Zwiesprache mit der Natur, das Erlebnis des Schönen und der

natürlichen Heilkräfte. Diese Richtung suchte im Erleben das „Ästhetische“.

Im Frühjahr 1904 kam es zum endgültigen Bruch. Der bisherige „Wandervogel – Aus-

schuß für Schülerwandern“ löste sich auf. Die „Rebellen“ gegen Fischer gründeten den

„Steglitzer Wandervogel e.V.“, Fischer mit seinen Anhängern den „Altwandervogel (AWV)“.

187 Ebd., 64. 188 Vgl. Ziemer, Gerhard: Der Wandervogel – Bild und Deutung.

In: Ziemer/Wolf: Wandervogel …, 7-28; hier 15. 189 Vgl. Ebd., 18.

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Weitere vereinsrechtliche Entwicklungen, Aufspaltungen, Neugründungen und Zusammen-

schlüsse detailliert aufzuzählen, würde den Rahmen dieser Ausführungen sprengen. Gemein-

sam blieb allen Gruppierungen das Bewußtsein des Neuen, des Aufbruches, des eigenverant-

wortlichen Gestaltens, der „Bewegung“. Die verschiedenen Bünde und Organisationen wurden

eher als Äußerlichkeiten gesehen, man konkurrierte miteinander im Sinne eines „idealen Wett-

bewerbes“, aber das Verbindende, das „… Übergeordnete war der gemeinsame Begriff Wan-

dervogel.“ 191 Auch der sagenhafte Vogel „Greif“, abgeleitet von einem stilisierten Fisch- bzw.

Graureiher, der künftig das Symbol- und „Wappentier“ des Wandervogels darstellte (� Abb.

12) und in allen Gruppen verwendet wurde, war Zeichen innerer Gemeinsamkeit der verschie-

denen Bünde.

Foerster vergleicht diese Phase der verschiedenen Bünde mit dem „Auftauchen eines neu-

en Kontinents“, der zunächst nur in Inseln sichtbar werde, die aber alle unsichtbar miteinander

in Verbindung stünden. Allen gemeinsam sei das Wissen um eine Krise der Kultur, „… wo

nicht Technik, Organisation, Intellekt und Tradition das Erste und Wichtigste ist, sondern wo

lebendige Seele, […] unberührte Reinheit, […sowie] Mut zur Einfachheit verlangt wird…“192

In der „völkischen“ Ausrichtung eines Teiles des Wandervogels sieht Foerster eine Ge-

fühlslage, die Liebe zu Heimat und Volk enthält, die Volkslieder, Volksbräuche und andere

heimische Traditionen wiedererwecken möchte. Damit werde „… eine neue Ahnung von jenem

wahren deutschen Wesen erweckt, das in der tiefsten Seele dieser Jugend gegen den ganzen

neudeutschen Kitsch protestiert und das sie in die Wälder getrieben hat.“ Diese „Liebe zum

Volk“ sei das genaue Gegenteil des sog. „nationalen Empfindens“ mit „ flatternden Fahnen“,

„ lärmender Machtentfaltung“ und „kollektivem Auftreten in der Welt“. 193 Völkisches Denken

bedeute für diese Jugend nicht Abschließen und Überlegenheitsdünkel gegenüber anderen Völ-

kern, sondern die Liebe zu den Eigenarten und Lebensäußerungen des eigenen Volkes bewirke

Liebe, Verständnis und Achtung auch gegenüber anderen Völkern.194 Und aus der Zeitschrift

„Freideutsche Jugend“ aus dem Jahre 1918 zitiert er: „Wir können ruhig und stark und freude-

voll unser Volks-Ich lieben und brauchen nicht deshalb ‚Humanität’ als ‚Schuld’ anzusehen

und Menschenliebe zu verdächtigen.

190 Köhler, Der Steglitzer Wandervogel, 73. 191 Ziemer: Der Wandervogel – Bild und Deutung, 8. 192 Foerster, 33. 193 Foerster, 163. 194 Vgl. ebd., 164.

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Es ist ganz selbstverständlich für den höheren Menschen, daß wie seine Selbstliebe zur

Volksliebe auch seine Volksliebe zur Menschenliebe sich erweitert.“ 195

Nach Ille habe es kurz vor Kriegsbeginn (1914) innerhalb der Jugendbewegung zwei

Richtungen gegeben, eine „völkische“ und eine „sozialistische“. Die sozialistische sei innerhalb

der Bewegung auf starke Widerstände gestoßen und während des Krieges von der Militärzensur

bekämpft worden; sie habe sich erst mit der Revolution von 1918 entfalten können. Die völki-

sche Richtung, aus einem „bildungsbürgerlichen Krisenbewußtsein“ geboren, sei ein Versuch

gewesen, „… die in Klassengegensätze zerklüftete kapitalistische und materialistische Gesell-

schaft durch die Utopie einer durch Seelenverwandtschaft und ‚Blutsbande’ zusammenge-

schweißten harmonischen ‚Volksgemeinschaft’ zu überwinden,…“ 196 Wegbereiter dieser er-

strebten klassenlosen Gesellschaft sollte die Wandervogeljugend sein.

5.2.4. Die Alkoholfrage in der Jugendbewegung

Einen etwas anderen Akzent in der deutschen Jugendbewegung setzten die sog. „akade-

mischen Freischaren“, welche die Impulse dieser Bewegung an die Hochschulen brachten und

dort weitertrugen. „Vor allem seit 1907 entstanden an allen großen deutschen Universitäten

‚akademische Freischaren’, die sich bewußt von den Traditionsverbindungen und vom her-

kömmlichen Korporationsleben unterscheiden wollten. Neben diesem lebensreformerischen

Motiv [sie lehnten vor allem den ritualisierten Alkoholkonsum radikal ab] ist wiederum der

pädagogische Impuls vorherrschend: Selbstbildung […] ; Mitwirkung in der Studentenvertre-

tung und in der studentischen Selbstverwaltung durch ‚Ämter’ [für verschiedene Aktivitäten].

[…] Um ihre Distanz zur herrschenden politischen Kultur des Kaiserreichs zu dokumentieren,

ließen die Münchner Freistudenten auf ihrem Jahrestag am Vorabend des Ersten Weltkrieges

zwei Redner auftreten, die ihre politische Haltung nach außen deutlich dokumentierten: der

[sic!] Historiker LUDWIG QUIDDE, einer der schärfsten Kritiker des Wilhelminismus und Vorsit-

zender der deutschen Friedensgesellschaft, und CARL SONNENSCHEIN, katholischer Sozialrefor-

mer und Initiator der studentisch-sozialen Arbeitskreise.“ 197

Linse sieht die deutsche Jugendbewegung der Vorkriegszeit als Teil, gleichsam als „Ju-

gendabteilung“ der bürgerlichen Lebensreformbewegung und „… unter dem prägenden Einfluß

von deren gesundheitsorientierten asketischen Enthaltsamkeitsidealen [stehend].“ Ludwig Gur-

litt habe 1902 dem Preußischen Kultusministerium geschrieben, daß es Zweck des Wandervo-

195 Ebd., 165. 196 Ille, Gerhard: Jugendbewegung und Erster Weltkrieg. In: Ille/Köhler, Der Wandervogel, 170-192; hier 181.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 5. Lebensreform und Jugendbewegung

59 / 259

gels sei, „… allen Schädigungen des Leibes und der Seele entgegen zu wirken, die zumal in und

um unseren Großstädten [sic!] die Jugend bedrohen, als da sind … die Gefahren des Alkohols

und des Nikotins – um von Schlimmerem zu schweigen.“. Der „Wandervogel, Deutscher Bund

für Jugendwandern“ fußte auf dem Grundsatz, daß „… Einkehr in Wirtshäuser, Tabak und Al-

kohol in jeder Form […] ausgeschlossen“ seien,198 und auch die weiter unten noch näher be-

schriebene sog. „Meißner-Formel“ hielt ausdrücklich die Alkoholfreiheit als wesentliches Ele-

ment der Jugendbewegung fest.

Die Wandervogelführer Ferdinand Vetter (Jena) und Wilhelm Erhardt (Marburg) bemüh-

ten sich, das Ideal der Alkoholenthaltsamkeit in den Wandervogel hineinzutragen. Beide gehör-

ten schul- bzw. universitätsnahen Abstinenzbünden an und wollten „… die neuen studentischen

Reformideale vom Wandervogel kopiert und so die schulische Abstinentenbewegung ge-

stärkt …“ sehen. Vor allem Vetter propagierte die Parole „Durch den Wandervogel zur Ent-

haltsamkeit“.199 Ein von ihm im Jänner 1907 gestellter Antrag, wonach die Wanderfahrten des

„Alt-Wandervogels“ grundsätzlich alkoholfrei durchzuführen seien, wurde jedoch abgelehnt.

Die Fahrten sollten zwar möglichst enthaltsam durchgeführt werden, ein striktes Verbot sei

aber praktisch undurchführbar. Auch solle der „Alt-Wandervogel“ nicht zu einer „Unterabtei-

lung der Abstinenzbewegung“ gemacht werden.200

Allerdings stellte der „Wandervogel, Deutscher Bund für Jugendwandern“ („Wandervo-

gel-DB“), der sich nach diesen Meinungsdifferenzen vom „Alt-Wandervogel“ 1907 abspaltete,

die Grundregel auf, daß auf den Wanderfahrten der „Alkohol gemieden“ werde.201 Auch die

Schaffung eigener Wandervogelquartiere, sog. „Stadtnester“ und „Landheime“, sollte dazu

dienen, von den Wirtshäusern mit ihrem Trinkzwang unabhängig zu werden und alkoholfreie

Gemeinschaftlichkeit zu ermöglichen. „Eine neue Art edlerer Geselligkeit, die den Geschmack

am Kneipenwesen verloren hat, ist auch im Wandervogel erwacht. So machen sich auch unsere

Wandervogelfeste immer mehr vom Druck der Wände rauchiger Tanzlokale frei […] . Das hat

auch die Wege geebnet für unseren Grundsatz, alkoholische Genüsse und Kneipfreuden zu ver-

achten, die nun einmal der geschworene Feind des Jugendwanderns sind.“ 202

197 Herrmann, Wandervogel und Jugendbewegung, 69-71. 198 Linse, Ulrich: „Wir sträuben uns auch ein wenig gegen fanatische Reformer“: Jugendbewegter Lebensstil

oder lebensreformerische Jugenderziehung? In: Herrmann (Hg.), „Mit uns zieht die neue Zeit …“, 205-231; hier 206.

199 Ebd., 213. 200 Ebd., 214. 201 Ebd., 216. 202 Ebd., 218.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 5. Lebensreform und Jugendbewegung

60 / 259

„Neben dem abstinenten Schülerbund ‚Germania’ […], den ‚Wehrlogen’ [= Jugendgrup-

pen] des Guttemplerordens und den abstinenten Studentenvereinigungen [den Freischaren]

gewann zunehmend eine andere lebensreformerische Organisation Einfluß auf die Jugendbe-

wegung: der von HERMANN POPERT und HANS PAASCHE geführte abstinenzlerische ‚Deutsche

Vortrupp-Bund’. Beide […] waren Verfasser von zivilisationskritischen Kultbüchern der Ju-

gendbewegung.“ 203

Ziemer sieht in der Abstinenz des Wandervogels ein Zeichen der inneren Freiheit,

„… denn zur Unfreiheit des in Klassen aufgespaltenen Wilhelminischen Deutschlands gehörte

der Alkohol, der Zwang eines Trinkcomments, vom Schnaps des Arbeiters über den Stammtisch

des Akademikers bis zum Flüsterwein der Spitzen der Gesellschaft.“ 204 Wandern ohne Alkohol

und Tabak sei das dem „Jugendreich“ Gemäßere gewesen. Auch habe sich durch die Alkoho-

lenthaltsamkeit Kontakt zu den Wehrlogen, den Jugendlichen der Guttempler, ergeben, welche

nun ihr Gruppenleben nach dem Stil und Geist des Wandervogels gestalteten und so Teil der

Jugendbewegung wurden. (� Abb. 13 )

Der Hamburger Richter, Sozialpolitiker und Schriftsteller Hermann Popert (1871-1932)

hatte mit seinem 1910 veröffentlichten Roman „Helmut Harringa“ ein „Schlüsselwerk“ zur

Alkoholfrage verfaßt. Er verdichtete in den handelnden Personen die Probleme, die ihm als

Argumente gegen den Alkohol wichtig erschienen: zunehmende Gewaltverbrechen, sexuelle

Verwahrlosung, Verbreitung von Geschlechtskrankheiten, Alkoholexzesse der studentischen

Corps und hemmungsloses Gewinnstreben der Alkoholwirtschaft auf Kosten der Volksgesund-

heit. Das Buch war ein „Bestseller“ seiner Zeit; im Jahre 1930 erschien die 49. Auflage (311. -

315. Tsd.).

5.2.5. Bündnisse, Gemeinsamkeiten

Einerseits führten die verschiedenen Organisationen, die sich im Laufe der Jahre heraus-

gebildet hatten, ihr Eigenleben mit graduellen Unterschieden in Inhalt und Form, andererseits

gab es jedoch mehrfach gemeinsame Veranstaltungen, auf denen immer wieder Anläufe zu

einem organisatorischen Zusammenschluß genommen wurden. Ein solcher Einigungsversuch

war z.B. der „Allgemeine Kundenkonvent“ zu Pfingsten 1910, zu dem der „Wandervogel-DB“

auf die Sachsenburg im Unstruttal205 eingeladen hatte. Dort wurde u.a. erklärt, daß es kein Al-

203 Ebd., 223. 204 Ziemer, Der Wandervogel – Bild und Deutung., 20. 205 Unstrut, ein Fluß in Thüringen und Sachsen-Anhalt, Nebenfluß der sächsischen Saale.

( � Internet-Quellen „Unstrut“)

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 5. Lebensreform und Jugendbewegung

61 / 259

koholverbot gebe, aber der Alkohol auf Fahrten zu meiden sei. „Alkoholfreiheit auf Fahrten ist

nicht mehr Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck“. Die Wandervögel seien keine „verkappten

Abstinenten“, aber es sei eine Lebensfrage des Wandervogels, am Grundsatz der Abstinenz

festzuhalten. Schließlich wurde die Formel beschlossen, wonach „auf Fahrten im Interesse der

wandernden Jugend Alkohol gemieden werde“.206

Diese „Sachsenburger Einigungsformel“, vom zu jener Zeit größten Wandervogelbund

angestoßen, brachte auch andere WV-Bünde, die bisher abseits gestanden waren, dazu, die

Abstinenz und das Meiden von Nikotin in ihre Satzungen aufzunehmen. „Es gilt als selbstver-

ständliche gute Sitte, den Alkohol auf Fahrten im Interesse der wandernden Jugend zu mei-

den.“ (Aus der Satzung des Alt-Wandervogels).207 Eine weitere gemeinsame Tagung zu Ostern

1912 in Marburg/Lahn (Hessen) schaffte den Durchbruch zu einer „großen Einigungslösung“,

in deren Folge am 30. Juni 1912 in Darmstadt als Einigungsbund der „Wandervogel e.V., Bund

für deutsches Jugendwandern“ gegründet wurde.208

5.2.6. Die Meißner-Tagung

Den Höhepunkt der deutschen Jugendbewegung und ihrer Einigkeitsbestrebungen vor

dem Ersten Weltkrieg bildete zweifellos der „Freideutsche Jugendtag“ auf dem „Hohen Meiß-

ner“209 vom 10. bis zum 12. Oktober 1913. (� Abb. 14 )

Das offizielle Deutschland rüstete im Herbst 1913 zu Feiern und Festlichkeiten im Ge-

denken an die Völkerschlacht bei Leipzig im Jahre 1813 und zum Anlaß des 25-jährigen Regie-

rungsjubiläums Kaiser Wilhelms II. „Mit pomphaftem Gepränge wurden Denkmäler enthüllt,

und in jedem Gottesdienst wurde an die Befreiung vom napoleonischen Joch erinnert.“ 210

Die neue deutsche Jugendbewegung wollte den bürgerlich-patriotischen Gestaltungsplä-

nen zu dieser Feier mit einem Fest ihrer Sicht und ihrer Gesinnung entgegentreten. Dem „Bund

abstinenter Studenten“, der „Akademischen Freischar“ und einigen Wandervogel-Bünden war

klar, „… daß nur ein gemeinsames Treffen aller Glieder der deutschen Jugendbewegung in der

206 Linse, Jugendbewegter Lebensstil, 219. 207 Ebd., 221. 208 Vgl. Köhler, Der Steglitzer Wandervogel, 84-85. 209 „Der Hohe Meißner ist ein bis zu 753,6 m hohes Bergmassiv im Naturpark Meißner-Kaufunger Wald im

östlichen Teil Nordhessens (nahe der Grenze zu Thüringen) und zählt zum Fulda-Werra-Bergland im Norden des Osthessischen Berglandes. Überregional bekannt ist er als eventuelle Heimat des Märchens von der Frau Holle. Große Teile des Bergmassivs sind als verschiedenartige Schutzgebiete, darunter Natur- und Vo-gelschutzgebiete, ausgewiesen.“ ( � Internet-Quellen „Meißner“)

210 Oldenburg, Friedrich: Der Freideutsche Jugendtag auf dem Hohen Meißner im Oktober 1913. In: Ille/Köhler, Der Wandervogel, 139-148; hier 139.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 5. Lebensreform und Jugendbewegung

62 / 259

Öffentlichkeit das Denken, Fühlen und Wollen der Jugend verdeutlichen könne.“ 211 Das Fest

sollte das Gemeinsame der Bewegung herausstellen, das Zukünftige prägen.

In einer vorbereitenden Schrift zum „Meißner-Treffen“ hieß es u.a.: „Schon einmal in der

deutschen Geschichte [...] hat die deutsche Jugend am Anfang einer Bewegung gestanden. [...]

Allem geschraubten und gezwungenen Wesen stellen wir Natürlichkeit, Wahrhaftigkeit, Echt-

heit, Geradheit gegenüber; aller Engherzigkeit das Gefühl der Verantwortlichkeit! Statt des

Strebertums aufrichtige Überzeugungstreue! Statt der Blasiertheit: Jugendfreude und Emp-

fänglichkeit. […] Vor allen Dingen hassen wir den unfruchtbaren Patriotismus, der nur in

Worten und Gefühlen schwelgt, der sich […] rückwärts begeistert und nicht denkt, sich neue

Ziele zu stecken.“ 212

Weiter unten hieß es da: „Die deutsche Jugend steht an einem entscheidenden Wende-

punkt. Die Jugend, bisher … aus dem öffentlichen Leben der Nation ausgeschaltet …, beginnt

sich auf sich selbst zu besinnen. Sie versucht … sich selbst ihr Leben zu gestalten …“ Und

schließlich: „So laden wir denn die Jugend ein, mit uns am 11. und 12. Oktober auf dem Hohen

Meißner bei Cassel [sic!] den Ersten Freideutschen Jugendtag zu feiern. Möge von ihm eine

neue Zeit deutschen Jugendlebens anheben, mit neuem Glauben an die eigene Kraft, mit neuem

Willen zur eigenen Tat.“213 Unterzeichnet war der Aufruf von 13 Jugendbünden, u.a. vom „Ös-

terreichischen Wandervogel“.

Die Tagung wurde mit Liedern, Volkstänzen, Ansprachen, Grußworten, Laienspiel und

einem großen Lagerfeuer gestaltet. Inhaltlich waren die verschiedensten Interessensrichtungen

vertreten: Lebensreformer, Alkoholgegner, Rassehygieniker, Reformpädagogen, anarchistisch

gesinnte Gruppen, Sozialreformer, Menschen aus der Siedlungsbewegung, Naturreligiöse …

usw. Die einzige Gemeinsamkeit, die als „größter gemeinsamer Nenner“ richtungsweisend das

Wesen und das Ziel des Festes und im weiteren Sinne der Jugendbewegung ausdrückte, war die

sog. „Meißnerformel“:

„Die Freideutsche Jugend will aus eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, mit

innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten. Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Um-

ständen geschlossen ein. Zur gegenseitigen Verständigung werden Freideutsche Jugendtage

211 Köhler, Günter: Darstellung und Charakterisierung des Wandervogel [sic!] bis zum Ersten Weltkrieg. In: Ille/Köhler, Der Wandervogel, 86-98; hier 95.

212 „Der erste Aufruf“ (o. Verf.). In: Kracke, Arthur (Hg.): Freideutsche Jugend. Zur Jahrhundertfeier auf dem Hohen Meißner 1913. Jena, 1913; 3.

213 „Der zweite Aufruf“ (o. Verf.). In: Kracke, Freideutsche Jugend, 4.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 5. Lebensreform und Jugendbewegung

63 / 259

abgehalten. Für deren Durchführung gilt: Alle gemeinsamen Veranstaltungen sind alkohol-

und nikotinfrei.“214

Luise Fick meint dazu: „Die Meißner-Formel wurde häufig von Außenstehenden [...] als

Freiheit zum willkürlichen Ausleben mißverstanden. Der Ton lag nach innen durchaus auf

Verantwortung und Wahrhaftigkeit, nur nach außen auf dem ‚eigene’; [...] Hier brach der Ge-

danke der Selbstverantwortung durch, ein uralt germanisch-protestantischer Charakterzug. In

diesem Sinne war die Meißner-Formel Ausdruck des Wollens der deutschen Jugend auch in

Österreich.“ Sie sage auch „... nichts über den Inhalt des gemeinsamen Lebens aus, sondern

nur über die Lebensart...“215

Gerhard Seewann bezieht sich auf Waldemar Gurian, der meint, „Die Freideutsche Ju-

gend weiß genau, was sie nicht will. Was sie will, darüber will sie sich erst klar werden. Es ist

daher durchaus falsch, in die Meißnerformel irgendeinen bestimmten Gehalt hineinzudeu-

ten.“ 216

Auf den ersten Blick mag die „Formel“, abgesehen von der Forderung nach alkohol- und

nikotinfreien Veranstaltungen, unbestimmt und leer erscheinen. Aber gerade deshalb sei sie

imstande, „... die damalige innere geistige Situation der Jugendbewegung am treffendsten zu

zeichnen ... [Sie] bildete den – allerdings mehr formal als inhaltlich abgesteckten - Versuch,

[...] die Autonomie des ‚wahrhaftigen Menschen’ zu proklamieren, um im Rahmen eines fiktiven

Jugendreiches Wege zur Überwindung der allgemeinen Krise zu finden und zu bauen“ 217

5.2.7. Der Wandervogel in Österreich218

Nach mündlichen Überlieferungen soll es in Siebenbürgen (1906), Prag (1908) und Wien

(1910) Gruppen des Alt-Wandervogels gegeben haben, von denen aber keine schriftlichen

Zeugnisse vorhanden sind.

Als dokumentierten Beginn eines Wandervogels in Österreich nennen Ursin/Thums die

Aktivitäten des Prager Studenten Hans Mautschka (1888-1914)219, der 1909 in Prag eine Grup-

214 Oldenburg, 139. 215 Fick, Luise: Die deutsche Jugendbewegung. Jena, 1939; 86f. 216 Seewann, Gerhard: Österreichische Jugendbewegung 1900 bis 1938: die Entstehung der deutschen Jugend-

bewegung in Österreich-Ungarn 1900 bis 1914 und die Fortsetzung in ihrem katholischen Zweig "Bund Neu-land" von 1918 bis 1938. 2 Bde, Frankfurt/Main, 1971, Bd. 1; 8. Dort zit. aus: Gurian, Waldemar: Die deut-sche Jugendbewegung. Halberschwerdt, 1924; 51.

217 Seewann, Österreichische Jugendbewegung, Bd. 1, 8f. 218 Dieses Kapitel beruht zu einem großen Teil auf Ursin, Karl und Thums, Karl: Der Österreichische Wander-

vogel. In: Ziemer/Wolf, Wandervogel und Freideutsche Jugend, 294-326.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 5. Lebensreform und Jugendbewegung

64 / 259

pe gründete. Nach einer kurzen Flaute sei sie ab dem Winter 1910-11 zur wichtigsten Keimzel-

le des Österreichischen Wandervogels geworden. Nach Prag entstanden weitere Gruppen in

Leitmeritz, Reichenberg, Eger und Tetschen. Zu Pfingsten 1911 hatte Mautschka zu einem ös-

terreichischen Gautag nach Hirschberg am See (Nordböhmen) eingeladen. Etwa 40 Personen

waren gekommen, davon sechs aus Wien. „Am Pfingstmontag, dem 5. Juni 1911, zu Mittag

trafen sie in Hirschberg zusammen, und man verstand sich nach wenigen Stunden so gut, daß

am gleichen Abend ‚im Straßengraben vor der Scheuer220 in der wir dann schliefen’ wie

Mautschka später berichtete, die Gründung des Österreichischen Wandervogels […] beschlos-

sen wurde.“ 221

Im Gegensatz zur Situation im Deutschen Reich, wo der Wandervogel in erster Linie eine

Aufstandsbewegung gegen das patriarchalisch-hierarchische System von Elternhaus und Schule

war, war er in Österreich-Ungarn durch den Nationalitätenkampf in der Monarchie, in der es

„Österreich“ als politisches Gebilde nicht gab (es hieß entweder „Cisleithanien“ oder „die im

Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder“) von Anfang an in die Problematik Deutsche

vs. Tschechen, Italiener, Ruthenen oder andere Sprach- bzw. Volksgruppen eingebunden. „So

bedingte nicht der Stammescharakter, sondern die eigenartige Lage des Deutschtums in der

Österreichisch-ungarischen Monarchie überhaupt die Eigenständigkeit des Österreichischen

Wandervogels.“ 222 Die Jugend des Wandervogels in dieser Frühzeit sei fast ausschließlich aus

den deutschen bürgerlichen Familien gekommen. Es habe kaum Jugend aus dem Adel oder den

Offiziersfamilien gegeben, aber auch nicht aus Bauerntum oder Arbeiterschaft.

Luise Fick sieht Unterschiede zwischen dem Wandervogel im Deutschen Reich und dem

in Österreich u. a. darin, daß „Wandern“ in Österreich kein Zeichen des Protestes gegen das

autoritär-starre Elternhaus war. Im Alpenraum war Bergsteigen und Klettern eine weit verbrei-

tete Freizeitbeschäftigung. „Was in Steglitz etwas völlig Neues war, war hier schon angebahnt.

Die Buben gingen erst mit dem Vater und später auch mit ihren Kameraden allein am Sonntag

klettern. Wenn die Mitglieder einer verbotenen Pennalie [...] in wilden Klettereien [...] sich

austobten, [...] so erinnert es uns an die Kilometerfresserei der Steglitzer [...].

219 Köhler nennt ihn in einem kurzen Abriß über den Wandervogel in Österreich auf S. 98 fälschlich Matuschka. Sewann wiederum nennt in „Moutschka“ („Östereichische Jugendbewegung“, 66) und bezieht sich dabei auf verschiedene Zeitschriften aus der Frühzeit des ÖWV sowie auf Fick, Luise: Die deutsche Jugendbewegung, Jena, 1939, 52,

220 = Scheune 221 Ursin/Thums, 295. 222 Ebd., 297.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 5. Lebensreform und Jugendbewegung

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Es ist daher kein Zufall, daß der Führer des österreichischen Vorkriegswandervogels,

Dr. Fritz Kutschera, vorher tätiges Mitglied des Akademischen Alpenklubs Innsbruck war, [...

und daß auch andere WV-Führer] bestbekannte Bergsteiger sind und vom Bergsteigen her zum

Wandervogel kamen.“ 223

Gerhard Seewann behandelt in seinem zweibändigen Werk über die Österreichische Ju-

gendbewegung ihre schrittweise ideologische Prägung: „Die Jugendbewegung entstand spon-

tan, frei von intellektuellen Reflexionen, wenn man ihre ersten schriftlichen Ergüsse betrachtet.

[... Bald] drang in ihr jedoch [...] jenes ideologische Element ein, das sie künftighin immer be-

gleitete und Ursache mancher Fehlinterpretationen und Mißdeutungen geworden ist: ihre pat-

riotisch-völkisch-nationale Rechtfertigung und Sinngebung.“ 224

Bezogen auf Österreich nennt er die Tätigkeit der „nationalen Schutzvereine“, die als

„Zentren politischer Agitation“ bestrebt waren, „breitere Volksschichten zu beeinflussen“. Er

sieht die „deutschnationale Strömung“ vor allem „in Böhmen“ und den „an slawische Gebiete

angrenzenden Alpenländern“ stark anwachsen, wo sie auch einen antisemitischen Charakter

annahm. In dieser Konfliktsituation „Deutsche“ vs. „Slawen“ sieht er auch den Grund, warum

der Wandervogel als „deutsche“ Jugendbewegung in Böhmen am schnellsten und leichtesten

Fuß faßte.225

Im Gegensatz zu den Wandervogelbünden im deutschen Kaiserreich sieht Seewann den

ÖWV vom Beginn an als „politisch“, wenn auch nicht parteipolitisch geprägt. Er sei aus der

„... nationalistischen und rassistischen Tradition eines Schönerers wie eines Alldeutschen Ver-

bandes ...“ hervorgegangen und mit „deutschnationalen Zweigorganisationen“ verbunden ge-

wesen.226 Damit im Zusammenhang ist auch die nachfolgende Äußerung Ernst Keils, des da-

maligen Bundesführers des ÖWV, aus dem Jahre 1913 zu sehen:

„ Im Wandervogel soll sich die Auslese der deutschbewußten Jugend zusammenscharen,

wir wollen […] die großen Ideale unseres Volkes: Heimat, Volkstum und Sprache fester veran-

kern als bisher. […] In [… steter] Fühlungnahme mit deutschem Land und Volk wird der Ju-

gend erst der tiefere Zusammenhang zwischen den einzelnen Mundarten klar; so wird sie auch

weit eher das lebendige Werden unserer teuren Muttersprache verstehen. […]

223 Fick, Luise: Die deutsche Jugendbewegung. Jena, 1939; 55. 224 Seewann, Gerhard: Österreichische Jugendbewegung, Bd. 1; 4. 225 Vgl. ebd., 57. 226 Vgl. ebd., 81.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 5. Lebensreform und Jugendbewegung

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Daß sich mit dem stark entwickelten deutschen Volksbewußtsein eine gänzlich einwand-

freie Staatsgesinnung verträgt, davon hat die Geschichte der jüngsten Tage einen glänzenden

Beweis geliefert.“ 227

Im Aufruf zur „Meißner-Tagung“ stellt der ÖWV seine Position folgendermaßen dar:

„Mehr als anderswo spielten die nationalen Verhältnisse bei der Gestaltung unseres Bundes

eine Rolle. Die Deutschen in Österreich stehen auf Vorwacht gegen fremde Nationen und Ras-

sen, und ein Bund, der so sehr deutsches Wesen betont, wie der Wandervogel, mußte naturge-

mäß bedacht sein, sich diesen Verhältnissen anzupassen.“ Auf einem „Bundestag“ in Krems im

gleichen Jahr habe der ÖWV „... kundgetan, daß wir weder Slaven, [sic!] noch Wälsche, [sic!]

noch Juden in unseren Reihen sehen wollen, weil wir [...] unsere rassische Reinheit bewahren

müssen.“ 228

Ein überbewertetes „Volkstum“, eine Wiederbelebung „heidnischer Bräuche“, eine

„... Abneigung gegen [...] die Strukturen einer als verderbt angesehenen ‚modernen’ Welt, [...]

das alles ging Hand in Hand mit einem Antisemitismus, der – halb unbewußt bis überaus ag-

gressiv – im Juden den Initiator wie den Förderer aller modernen Neuerungen und als ‚zerset-

zend’ gebrandmarkten Einflüsse verfolgte.“229 Eine konkrete Ausformung dieses Antisemitis

mus zeigte sich im „Arierparagraphen“, der auf dem Bundestag des ÖWV im Juli 1913 in

Krems beschlossen wurde.230

Nach einem Zitat des Historikers Adam Wandruszka hieß es: „Die nationale Begeiste-

rung aus der Zeit der ‚Reichsgründung’, die in Deutschland […] vielfach zur hohlen, nur zu

nationalen Festlichkeiten hervorgeholten Phrase geworden war, hatte in Graz, Marburg an der

Drau, Prag und Wien, [obwohl nur aus der Ferne miterlebt…] noch die Kraft eines […] Be-

kenntnisses. Sie war zugleich die Ankündigung der nächsten Welle der ‚deutschen Jugendbe-

wegung’, die dann im Wandervogel […] auch nach Österreich herüberschlagen [… und hier]

einen nationalkämpferischen Charakter erhalten sollte.“231 Aus dieser Einbindung in die Nati-

onalitätenfrage entstand auch ein enger Kontakt zu den sog. „Schutzvereinen“, z.B. dem „Deut-

schen Schulverein“, der „Südmark“, der „Nordmark“, dem „Bund der Deutschen Nordmäh-

227 Ursin/Thums, 298. 228 „Gestaltungsbedingungen im ‚Österreichischen Wandervogel’“ (o. Verf.). In: Kracke, Freideutsche Jugend,

11-15; hier 13. 229 Sewann, Bd. 1, 90. 230 Vgl. ebd., 75. 231 Wandruszka, Adam: Österreichs politische Struktur. Die Entwicklung der Parteien und politischen Bewe-

gungen. In: Benedikt, Heinrich (Hg.): Geschichte der Republik Österreich. Wien, 1954, 289-485; hier 379.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 5. Lebensreform und Jugendbewegung

67 / 259

rens“, deren Anliegen es war, den Bestand der Deutschen Sprache und des deutschen Schulwe-

sens an den Sprachgrenzen zu sichern.

Eine weitere Wurzel in dem Geflecht, aus dem der ÖWV hervorwuchs, war eine bereits

bestehende Abstinenzbewegung. Nach einem internationalen Alkoholgegnerkongreß in Wien

im Jahre 1901 war ein „Akademischer Abstinentenverein“ gegründet worden, der sich 1906 der

Gesellschaft gegen die Trinksitten „Nephalia“ anschloß. Im Februar 1910 kam es zur Gründung

der Guttempler-Loge „Deutsche Kraft“, die sich 1911 in „Deutsch-Akademische Gemein-

schaft“ umbenannte. Unter den Gründungsmitgliedern dieser Gemeinschaft waren u.a. die Brü-

der Otmar und Paul Miklau, die bald darauf im neugebildeten Österreichischen Wandervogel

führende Rollen spielten. Es waren fast ausschließlich Angehörige dieser alkoholgegnerischen

„Deutsch-Akademischen Gemeinschaft“, die zu Pfingsten 1911 in Hirschberg/See den Öster-

reichischen Wandervogel gründeten. So war die alkoholgegnerische Bewegung Österreichs

maßgeblich an der Entstehung des Wandervogels beteiligt.232

Neben der Abstinenzbewegung seien auch andere lebensreformerische Anliegen im

ÖWV gepflegt worden: Tabakgegner, Sozialreformer, Vegetarismus, Boden- und Siedlungsre-

form, freie Schulgemeinden, Bildungsreform, Heimat- und Naturschutz – alle diese Ideen nah-

men Einfluß auf das kultur- und gesellschaftspolitische Weltbild der jungen Wandervögel Ös-

terreichs.233

5.3. Zusammenfassung

Die hier beschriebenen, am Beginn des 20. Jahrhunderts aufgetretenen „Reform“-

Bewegungen lassen sich als Ausfluß eines in der Bevölkerung latent wachsenden Unbehagens

deuten, eines Unbehagens, das durch einen radikalen Wandel der Lebensumstände, einen Bruch

der gewohnten Welt gekennzeichnet ist: Österreich war auf der politischen Ebene 1866 aus

dem Deutschen Bund ausgeschieden (worden), begründete 1867 den Dualismus zwischen der

österreichischen und der ungarischen Reichshälfte und war ab den 1890er Jahren in zunehmend

heftige, aggressiv ausgetragene Nationalitätenkämpfe zwischen den verschiedenen Sprach- und

Volksgruppen der Monarchie verwickelt. Wirtschaftlich stagnierte es eher und blieb hinter dem

exponentiell wachsenden Deutschen Reich zurück.

In Deutschland, das politisch aus einer Unzahl kleinerer und mittlerer Fürstentümer be-

stand, hatte das Bismarck’sche Preußen eine Führungsrolle übernommen, die schließlich 1871

232 Vgl. Ursin/Thums, 305-307.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 5. Lebensreform und Jugendbewegung

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zur Reichsgründung mit der Hohenzollern-Dynastie an der Spitze führte. Die Folge war ein

sich über die Jahre steigerndes Nationalbewußtsein, das allmählich in einen radikal-überheb-

lichen Nationalismus mündete. Gefördert wurde dieses staatliche Selbstbewußtsein durch die

steigende wirtschaftliche Kraft, gekoppelt mit einer gestärkten militärischen Potenz.

Diese Kraft- und Machtentfaltung, dieses Festhalten an Äußerlichkeiten, an Symbolhand-

lungen, an pathetischen Worthülsen schuf bei mehr und mehr Menschen ein unbehagliches

Gefühl der inneren Leere, eines Mangels an Sinn und seelischem Erleben. So wurden Kräfte

freigesetzt, die aus dem Empfinden „So kann es nicht weitergehen“ eine Vielzahl von Reform-

wünschen und Reformbestrebungen auslöste, die im Vorstehenden beschrieben wurden. Oft

noch vage in der Zielsetzung, unsicher in der Form, ungenau artikuliert in den Wunschvorstel-

lungen, tastend suchend nach dem „richtigen Weg“ ging man zunächst einmal vorwärts, ohne

ein klares Ziel definiert zu haben. Aber frei nach den Worten „Der Weg ist das Ziel“ kamen

nach und nach klarere Zielvorstellungen zum Vorschein. Speziell die bürgerliche Jugendbewe-

gung, die das Schwergewicht dieses Abschnittes bildete, nahm einen zahlenmäßig beachtlichen

Aufschwung und wurde zu einer starken, wirksamen gesellschaftlichen Kraft. Sie betonte den

Eigenwert der Jugend, verlangte das Recht auf Eigenverantwortlichkeit und selbstbestimmte

Lebensgestaltung und strebte danach, das Ziel eines eigenen „Jugendreiches“ zu verwirklichen.

Sie „... war ein Aufstand gegen die erzwungene Einbeziehung und [...] Integration in die von

ihr abgelehnte bürgerliche Gesellschaft des wilhelminischen Deutschlands, von der sie sich [...]

für kommende Entscheidungen den Weg zu einer zukünftig-neuen Kultur und neuen Gesell-

schaft freihalten wollte.“234

Der Wandervogel in Österreich war, wie oben beschrieben, von Anfang an stark auf den

Erhalt eines als gefährdet angesehenen „deutschen Volkstums“ eingestellt. Mit seiner antisemi-

tischen Einstellung und dem Kontakt zu verschiedenen „Schutzvereinen“ fand er sich nicht im

Widerspruch zum Bürgertum, sondern konform mit einer zumindest in deutschnationalen Krei-

sen Österreichs weit vertretenen Meinung.

Der Abstinenzgedanke in der Jugendbewegung fand seinen konkreten Ausfluß in der

„Meißnerformel“, in den meisten Bünden war er aber nicht Teil der bewußten Außenarbeit,

sondern galt als Selbstverständlichkeit nach innen, für das Gruppenleben und die persönliche

Lebensführung. Einige wenige Bünde im deutschen Reich sahen sich als bewußte Alkoholgeg-

233 Vgl. ebd., 308. 234 Seewann, Österreichische Jugendbewegung, 25.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 5. Lebensreform und Jugendbewegung

69 / 259

ner, aber die Bestrebungen mancher Einzelpersonen, generell einen kämpferischen Antialkoho-

lismus in die Ziele der Jugendbewegung einzubringen, scheiterten.

Der Weltkrieg brachte durch personelle Verluste und die nachfolgende politische Um-

wälzung in die Jugendbewegung eine nachhaltige Zäsur. Die Folgezeit bis zur Machtübernah-

me des Nationalsozialismus zu behandeln ist aber nicht mehr Aufgabe dieses Abschnittes. Hier

sollten nur die Auslöser und Anfänge der Lebensreform- und Jugendbewegung aufgezeigt wer-

den. Diese Anfänge spielten sich praktisch ausschließlich im Deutschen Reich ab, Österreich

war daran überhaupt nicht beteiligt, hatte bis auf wenige Mitwirkende nur Beobachterstatus und

begann erst 1911 mit der Gründung des „Österreichischen Wandervogels“, sich in die be-

schriebenen Bewegungen einzuklinken.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

70 / 259

6. Vereinsentwicklung

6.1. Die Anfänge

6.1.1. Gründung und Grundsätze

Die „Deutsche Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur“235 wurde am 6. 1. 1920 in Linz ge-

gründet. An der Gründungsversammlung nahmen 57 Personen aus 2 Ortsgruppen teil.236 Die

Satzungen wurden vom Österreichischen Staatsamt des Inneren mit Erlaß vom 25. Jänner 1925,

Zahl 2068, zur Kenntnis genommen.

Als Vereinszweck gaben die Satzungen (� Abb. 15 a-d ): an „Die D. G. sieht im Alkoho-

lismus ein gesellschaftliches Übel, das die Rasse gefährdet und die Entwicklung einer gesunden

und edlen deutschen Kultur hindert. Sie bekämpft daher den Gebrauch alkoholischer und ande-

rer berauschender Genußmittel durch weiteste Verbreitung der enthaltsamen Lebensweise und

erstrebt ein Alkoholstaatsverbot.“ Die wesentlichsten Mittel, um den Vereinszweck zu errei-

chen, waren laut Satzung das „beispielhafte Verhalten der Mitglieder“, die „Erziehung der Ju-

gend, Veredelung der Lebensführung des Einzelnen durch Pflege des Schönen und Förderung

alkoholfreier Geselligkeit“, Trinkerrettung, Aufklärung über Alkoholgefahren, Förderung der

Herstellung alkoholfreier Getränke, Einleitung gesetzlicher Maßnahmen gegen den Alkohol

und Unterstützung amtlicher und privater Tätigkeiten, die eine Kultur auf alkoholfreier Grund-

lage fördern.

Als Vereinsabzeichen (� Abb. 16 ) diente eine aufgehende goldene Sonne auf dunkelblau-

em Grund mit den in die Sonnenstrahlen eingesetzten Buchstaben „DG“.

6.1.2. Gliederung

Der Verein war in Ortsgruppen und fallweise in sog. „Gauverbände“ untergliedert; die

Aufnahme neuer Mitglieder erfolgte in den Ortsgruppen. „Als Mitglied kann jeder Deutsche

arischen Stammes ohne Unterschied des Geschlechtes und unbekümmert um Parteirichtung

235 Der Vereinsname wird im weiteren Text meist mit „DG“ abgekürzt verwendet. 236 Deutsche Gemeinschaft: Mitteilungen der Deutschen Gemeinschaft für Alkoholfreie Kultur, Wien.

4 (1926), 137. Technischer Hinweise: Bei allen Zitaten aus der Vereinszeitschrift wird die Langbezeichnung künftig wegge-lassen und dafür fallweise die Abkürzung „DG-Zs“ verwendet. Es werden nur mehr die Folge (Jahr), die Seite und evtl. die Heftnummer angegeben. Alle Hervorhebungen (gesperrt, Fettdruck) sind aus den Origina-len übernommen.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

71 / 259

und Glaubensbekenntnis aufgenommen werden.“ 237 Bei den Arten der Mitgliedschaft wurde

unterschieden zwischen ordentlichen Mitgliedern („Gemeinschafter“) und außerordentlichen

Mitgliedern („Anhänger“, „ Junggemeinschafter“, „ Gönner“). Die ordentlichen Mitglieder ver-

pflichteten sich zur persönlichen Enthaltsamkeit sowie auch dazu, Rauschmittel nicht zu verab-

reichen, niemanden zu deren Genuß zu veranlassen, alkoholische Getränke nicht zu erzeugen

und nicht damit zu handeln. Für kirchliche Bräuche und ärztliche Maßnahmen bestanden Aus-

nahmen. Weiters waren die Mitglieder verpflichtet, möglichst regelmäßig an den Gruppensit-

zungen teilzunehmen. Jedes ordentliche Mitglied mußte bei seiner Aufnahme ein Versprechen,

die sog. „Gemeinschafterverpflichtung“ 238 abgeben (� Abb. 17 ). Dem Aufnahmewerber wurde

der Text vorgesprochen; anschließend antwortete dieser „Ich verspreche es“:

„Gemeinschafterverpflichtung“

Im Bewußtsein Deiner Verantwortlichkeit gegen Dein Gewissen, Deine Fami-

lie, Dein Volk und gegen die kommenden Geschlechter erklärst Du feierlich,

daß Du, solange Du unserer Gemeinschaft angehörst, Dich gänzlich enthal-

ten willst aller alkoholischen Getränke und anderer berauschender Stoffe.

Dazu gehören Wein, vergorener Most, Bier, Met, Branntwein, Likör, Äther,

Chlorat, Opium, Morphium, indischer Hanf, Kokain.

Eine Ausnahme von dieser Verpflichtung wird nur zugestanden

bei kirchlichen Gebräuchen und auf ärztliche Verordnung.

Für den Fall, daß eine ärztliche Vorschrift Dich zu einer vorübergehenden

Abweichung von diesem Teil der Verpflichtung nötigen sollte,

versprichst Du, dies der Ortsgruppe zu melden.

Du versprichst ferner, daß Du die genannten Getränke und Stoffe zu Genuß-

zwecken weder zubereiten, noch kaufen, verkaufen oder verabreichen, noch

ihre Verabreichung an andere veranlassen willst

und daß Du in jeder anständigen Weise ihren Genuß

in der menschlichen Gesellschaft bekämpfen wirst.

Wenn Du bereit bist, diese Verpflichtung auf Dich zu nehmen,

so antwortest Du mit Handschlag:

Ich verspreche es!“

237 Siehe Vereinssatzungen II./8, ( � Abb. 15a) . 238 Quelle: Privatarchiv Erich V. Kerck. Der hier wiedergegebene Text wurde der besseren Lesbarkeit halber

vereinfacht, alle Wendungen betr. Einzahl/Mehrzahl auf die Einzahl der angesprochenen Person reduziert.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

72 / 259

Anhänger lebten persönlich enthaltsam, unterlagen aber nicht den weiteren Beschränkun-

gen bezüglich Verabreichung, Erzeugung und Handel. Sie nahmen an den Sitzungen nicht teil

und hatten kein Stimm- und Wahlrecht. Junggemeinschafter (bis zum vollendeten 18. Lebens-

jahr) lebten persönlich enthaltsam und konnten in eigenen Jugendgruppen zusammengefaßt und

tätig werden. Gönner hatten keinerlei Verpflichtungen, unterstützten aber den Verein finanziell

oder auf andere geeignete Weise.

6.2. Die Vereinszeitschrift

Aus dem Gründungsjahr 1920 liegen keine Publikationen vor. Ab dem Jahre 1921 wur-

den Vereinsmitteilungen in der Grazer Monatsschrift „Südmark“ veröffentlicht; 1921 nur spo-

radisch, ab 1922 erschienen fast in jedem Heft der „Südmark“ Beiträge der DG.

Ab 1923 gab es eine eigene Vereinszeitschrift (� Abb. 18 ) mit dem Titel „Deutsche Ge-

meinschaft – Zeitschrift für alkoholfreie Kultur“ . Der Untertitel lautete „Mitteilungen der

Deutschen Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur in Österreich und der Deutschen Gemein-

schaft für alkoholfreie Kultur in der Tschecho-slowakischen Republik“ Damit wurde deutlich,

daß auch die alkoholgegnerische Tätigkeit der damaligen Deutsch-Österreicher in der Tsche-

choslowakei einbezogen und über sie berichtet werden sollte.

Die Zeitschrift war meist so gegliedert, daß der Hauptteil größere Artikel zur Alkoholfra-

ge brachte, Grundsatzgedanken über Alkoholenthaltsamkeit oder Berichte von größeren Ta-

gungen. Der Abschnitt „Rundschau“ enthielt Kurzmeldungen über alkoholgegnerische Veran-

staltungen anderer Organisationen und bewarb Bücher und Werbemittel (Flugblätter, Broschü-

ren, Plakate). Im Abschnitt „Von unserem Arbeitsfelde“ wurde meist über die Vereinstätigkeit

auf Bundesebene und die Gründung neuer Ortsgruppen berichtet. Die „Mitteilungen der Bun-

desleitung“ befaßten sich mit organisatorischen Fragen, und in den „Mitteilungen der Orts-

gruppen“ kamen diese mit ihren Tätigkeitsberichten zu Wort. Auf den letzten Heftseiten er-

schienen meist Inserate für einschlägige Produkte und zu Gesundheitsfragen (alkoholfreie Ge-

tränke, Vollkornbrote, Druckschriften o.ä.).

Ab dem Oktober-Novemberheft des Jahres 1924 (2. Jahrgang der Zeitschrift) lautete der

Untertitel „Mitteilungen der Deutschen Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur in Österreich und

der Deutschen Guttempler-Gemeinschaft in der Tschecho-slowakischen Republik“. Das De-

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

73 / 259

zemberheft 1925 enthielt zum letzten Male die „Mitteilungen der D.G.G. [Deutschen Guttemp-

ler-Gemeinschaft] in der Tschechoslowakei“ 239

Ab Jänner 1926 lautete der Untertitel nur mehr „Mitteilungen der Deutschen Gemein-

schaft für alkoholfreie Kultur in Österreich“. Der Hinweis auf die Tschechoslowakei fehlte,

und in den Heften fanden sich auch keine Berichte mehr über die dortige Tätigkeit. Offensicht-

lich wurde der bisherige enge Kontakt zu den Gemeinschaftern bzw. Guttemplern in der CSR

gelockert oder gänzlich gelöst. Es gab aber keinen Hinweis auf eine Entfremdung.

Zunächst hatte die Zeitschrift das Format DIN A5. Ab der Jännernummer 1928 hatte sie

das Format DIN A4, zugleich trat ein Wechsel in der Schriftleitung ein. Im September 1930

gab es ebenfalls einen Schriftleiter-Wechsel; das Format änderte sich auf DIN A5 und ging im

Jänner 1931 nach einem neuerlichen Wechsel der Schriftleitung wieder auf DIN A4 zurück.

Das letzte auffindbare Heft stammt vom April 1934.

Zu den Monatsnamen im Zeitschriftenkopf ist anzumerken, daß nicht nur hier, sondern

auch in der „Südmark“ fast immer die sogenannten „deutschen Monatsnamen“ verwendet wur-

den: Jänner – Eismonat, Eismond; Februar – Hornung; März – Lenzmonat, Lenzmond; April –

Ostermonat, Ostermond; Mai – Wonnemonat, Wonnemond; Juni – Brachmonat; Juli – Heumo-

nat, Heumond, Heuert; August – Erntemonat, Erntemond; September – Herbstmonat, Schei-

ding; Oktober – Weinmonat; November – Wintermonat, Nebelmond, Nebelung; Dezember –

Christmonat, Julmonat, Julmond.240

6.3. Tätigkeiten, Schwerpunkte

6.3.1. Aufbau, Wachstum

Gründungsobmann war der Grazer Stephan (fallweise auch Stefan geschrieben) Schöck.

Schöck, geb. 1880, war Lehrer an der BULME241 und wohnte in der Brockmanngasse 5242. Im

September 1921 schrieb er den ersten Beitrag in der „Südmark“ über das Vereinsziel: „Was

w i l l d i e D . G. f . a . K .? Die deutsche Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur bezweckt, fu-

ßend auf der persönlichen Verantwortlichkeit, die Bekämpfung des Alkoholismus als eines die

Rasse gefährdenden gesellschaftlichen Übels, als eines Haupthindernisses der Entwicklung

239 DG-Zs 3 (1925), 163-164. 240 Siehe die Bemerkungen über sog. „germanische Monatsnamen“ im Abschnitt „Das politisch-ideologische

Umfeld“, S. 25. 241 BULME – Bundeslehranstalt für Maschinenbau und Elektrotechnik in Graz-Gösting. Entspricht dem heuti-

gen Schultyp einer HTL, Höheren technischen (Bundes-) Lehranstalt.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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einer gesunden und edlen deutschen Kultur. Daher bekämpft die Deutsche Gemeinschaft zu-

nächst die Ursache dieser Volkskrankheit, d. i. den Gebrauch berauschender Getränke als Ge-

nußmittel, sowie jede Art von Verführung zum Alkoholgenuß. Sie bekämpft die jetzt herrschen-

den Trinksitten durch weiteste Verbreitung der enthaltsamen Lebensweise in Familie und öf-

fentlichem Leben und erstrebt die Beschränkung des Alkoholverkaufes wie des Verkaufes aller

anderen Gifte und Rauschmittel auf Drogerien und Apotheken.“ 243

Im gleichen Bericht wurde erwähnt, daß der Verein zur Zeit 550 Mitglieder, aufgeteilt auf

14 Ortsgruppen, habe; die Jahreshauptversammlung244 solle anläßlich des 6. Österreichischen

Alkoholgegnertages im Oktober 1921 abgehalten werden. Ein erstes bundesweites Treffen zur

Vorbereitung der Tagung, bei dem es auch Gespräche mit alkoholgegnerischen Jugendgruppen

aus Deutschland gegeben habe, sei Ende Juli 1921 in Klagenfurt abgehalten worden.

Im Rahmen eines Vortragsabends an der Wiener Hochschule für Bodenkultur am

23.3.1922 sprach auch ein Vertreter der US-amerikanischen Alkoholgegner, Emil Hohenthal.

Er „… gab dann Aufschluß über den derzeitigen Stand des Alkoholstaatsverbotes in Amerika,

das auf keinen Fall mehr rückgängig zu machen sei. Er besprach die Umstellung der Industrie

und, was die anwesenden künftigen Landwirte besonders interessierte, den glänzenden Auf-

schwung, den der Weinbau in Kalifornien seit der Verbotsdurchführung gemacht hat.“245 Diese

Kontakte zu amerikanischen Alkoholgegnern wurden auch in den Folgejahren regelmäßig fort-

gesetzt, und es kam auch zu wechselseitigen Besuchen in den USA und in Österreich.

Auch im Österreichischen Bundesheer war die DG bestrebt, alkoholgegnerische Aufklä-

rungsarbeit zu leisten. So wurde z. B. im Mai 1922 in einer steirischen Brigade des Öst. Bun-

desheeres eine sog. „Werbewoche in der Wehrmacht“ abgehalten. ( � Anhang Dokumentationen).

Im Jänner 1923 berichtete der Obmann anläßlich des 3. Jahrestages der Vereinsgründung

von einem Stand von etwa 1600 Mitgliedern, die Zahl der Ortsgruppen sei inzwischen auf 54

angewachsen. Verglichen mit dem Anfangsstand vom Jänner 1920 (300 Mitglieder in 8 Orts-

gruppen), sieht er das als ein erfreuliches Zeichen, daß der Gedanke der Abstinenz auf frucht-

baren Boden falle. „Wir können aber nicht durch Zahlen angeben, wie viele unserer Volksge-

nossen, ohne eingeschriebene Mitglieder unserer Gemeinschaft zu sein, doch im Geiste schon

242 StAG, Meldzettel-Sammlung. 243 „Südmark“ 2 (1921), 245f. 244 Eine kursorische Übersicht über alle Hauptversammlungen und die Mitglieder der Bundesleitung siehe Kapi-

tel 11.5, „Bundestage, Mitglieder der Bundesleitung“, im Anhang. 245 „Südmark“, 3 (1922), 180.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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ganz mit uns gehen; wir können auch nicht zahlenmäßig ausdrücken, um wieviel stärker der

Gemeinschaftergedanke in uns allen Fuß gefaßt und wie weit eine Vertiefung unserer Arbeit

stattgefunden hat. Aber wir haben das sichere Gefühl, daß es überall gut vorwärts geht.“246

6.3.2. Außenwirkung, Öffentlichkeitsarbeit

Im Oktober 1921 wurde über den 16. internationalen Kongreß gegen Alkoholismus in

Lausanne berichtet sowie der Österreichische Alkoholgegnertag für den 23.10.1921 angekün-

digt. Am Vortag, Samstag, dem 22.10. solle in Wien die Jahreshauptversammlung der DG statt-

finden. Erstmals wurde hier auch Bundespräsident (BP) Dr. Michael Hainisch247 als Alkohol-

gegner angesprochen, der anläßlich eines Besuches der Grazer Herbstmesse die Wichtigkeit des

Kampfes gegen den Alkohol und seine Schäden betont habe.248

Am 20.10.1921 lud die Ortsgruppe (OG) Klagenfurt BP Hainisch zur Eröffnung einer al-

koholgegnerischen Ausstellung am 30.10. ein. Sie schrieb, daß „… anlässlich der Kärntner

Alkoholgegnerwoche am Sonntag, den 30. Oktober im hiesigen Künstlerhause eine allgemein

zugängliche Ausstellung [eröffnet wird], welche die Schäden des Alkoholismus in wirtschaftli-

cher, gesundheitlicher und kultureller Beleuchtung zeigen wird.“ Die OG berief sich auf die

Förderung ihrer Arbeit durch den BP, ersuchte um Eröffnung durch ihn und bat um ein Bild,

das in der Reihe weiterer Bilder von „Vorkämpfern gegen den Alkohol“ gezeigt werden solle.249

Anläßlich des Österreichischen Alkoholgegnertages wurde am 21. und 22.10. 1922 in

Wien der 2. Gemeinschaftertag abgehalten. („Gemeinschaftertag“ war die vereinsintern meist

verwendete Bezeichnung für die jährliche Hauptversammlung, bei der es neben den vereins-

rechtlich-organisatorischen Programmpunkten oft auch ein kulturelles Rahmenprogramm gab,

zu dem die örtliche Bevölkerung und auch regionale oder überregionale Politiker eingeladen

wurden.) Bei diesem Gemeinschaftertag waren laut Bericht über 100 Mitglieder anwesend und

alle 14 Ortsgruppen vertreten.250 Zwischen Oktober 1921 und Jänner 1922 sollen 7 neue Orts-

246 „Südmark“ 4 (1923), 36f. 247 Hainisch, Michael, * 15. 8. 1858, Aue bei Schottwien (Niederösterreich), † 26. 2. 1940, Wien. 1882 in Wien

zum Dr. jur. promoviert. „In seiner politisch-weltanschaulichen Haltung war er liberal und später groß-deutsch gesinnt, blieb aber parteilos. Er gehörte zur "Wiener Fabier Gesellschaft", einem 1893 in Wien ge-gründeten Verein, der sich um soziale Reformen bemühte, unter anderem zur Förderung der Volksbildung oder der Frauenbewegung.“ Vom 9.12.1920 bis zum 10.12.1928 (2 Amtsperioden) war er österreichischer Bundespräsident. Seinen landwirtschaftlichen Besitz in Jauern (bei Spital am Semmering) gestaltete er als Musterbetrieb aus. ( � Internet-Quellen „Hainisch“)

248 „Südmark“ 2 (1921), 270. 249 ÖStA, 6028/Pr.K./1921. 250 „Südmark“ 3 (1922), 32.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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gruppen gegründet worden sein, und zwar in Innsbruck, Graz, Wien, Freistadt (O.Ö.), Friesach

(Ktn.), Bruck/Mur und Leoben.

Am 16. Februar 1922 hielt Schöck an der Grazer Technischen Hochschule einen Vortrag,

bei dem „aus Platzgründen“ von 400 Personen nur 300 in den Saal eingelassen werden konn-

ten. Als Sofortmaßnahme gegen den Alkohol, noch vor einem generellen „Alkoholstaatsver-

bot“, verlangte er die Einführung eines „Alkoholzehntels“ für Aufklärungsarbeit, ein Verkaufs-

verbot für Alkohol an Jugendliche unter 18 Jahren, eine Vorverlegung der Sperrstunde und

weniger Schankkonzessionen, ein Gemeindebestimmungsrecht, bei dem die Gemeinden im

eigenen Wirkungsbereich Beschränkungen bezüglich Alkoholausschank erlassen könnten,

Drosselung oder Verbot von Alkoholeinfuhr sowie staatliche Bildungseinrichtungen zur alko-

holfreien Obstverwertung.251 So wie schon bei anderen Vorträgen meldeten auch bei diesem

etliche Besucher ihren Beitritt zur DG an.

Für die Tage vom 7. bis 10. September 1922 wurde zum 3. Gemeinschaftertag nach Kla-

genfurt eingeladen. Zur laufenden Aufklärungsarbeit und Werbetätigkeit des Vereins wurde

kritisch angemerkt, daß das Parlament („unsere Nationalräte“) gänzlich versagt habe, weil zu-

gesagte Geldmittel nicht ausgeschüttet worden seien. „Am Ende des vorigen Jahres [1921] ha-

ben sie beschlossen, fünfzig Millionen Kronen für die Bekämpfung des Alkoholismus zu bewil-

ligen und bis heute haben sie die Flüssigmachung dieser Beträge hinausgeschleppt. Sie schei-

nen auf den Standpunkt der Schnapsbrenner und Spirituosenhändler gekommen zu sein, die in

ihrer Zeitung am 11. Mai 1922 unseren ‚Bettlerstaat als Verschwender’ erklärten, weil er fünf-

zig Millionen Kronen für solche Zwecke ‚verschleudern’ wolle.“ 252

Im Oktober 1922 wurde ausführlich über den Klagenfurter Gemeinschaftertag berich-

tet:253 Schöck erwähnte die zunehmende Zahl an Mitgliedern und knüpfte daran die Hoffnung,

daß damit auch die Außenwirkung verstärkt werde.

Der Kärntner Landeshauptmann-Stellvertreter Schumy254 führte in seiner Begrüßungsan-

sprache u.a. aus, daß die Landesregierung die alkoholgegnerische Tätigkeit der „Gemeinschaft“

als eine wichtige Kulturaufgabe sehe.

251 Ebd., 103. 252 Ebd., 324. 253 „Südmark“ 3 (1922), 359-363. 254 Schumy, Vinzenz, 1878-1962. Kärntner Politiker, zunächst Mitglied des Landbundes, ab 1945 der ÖVP.

Schumy hatte mehrere politische Ämter inne und war von 1923 bis 1927 Kärntner Landeshauptmann. ( � Internet-Quellen „Schumy“)

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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Der Klagenfurter Bürgermeister-Stellvertreter Ing. Pichler begrüßte die Versammlung

ebenfalls und würdigte den Kampf der Gemeinschafter als einen, der der ganzen Menschheit

dienen möge. ( � Anhang Dokumentationen).

Der Bundesvorsitzende, Stephan Schöck, berichtete fünf Stunden lang über die Tätigkeit

der Gemeinschaft, insbesondere der Bundesleitung, er gab Aufschluß über die alkoholgegneri-

sche Bewegung in anderen Ländern und sprach über die Aufgaben, welche die DG in nächster

Zeit zu lösen habe. Über die Organisation nannte er mit Stichtag vom 1. September 1922 den

Stand von über 1500 Mitgliedern in 51 Ortsgruppen, während es im Oktober 1921 600 Mitglie-

der in 14 Ortsgruppen gewesen seien. Der finanzielle Aufwand für die Vereinstätigkeit steige

ständig, von der öffentlichen Hand sei leider keine Unterstützung gekommen, lediglich durch

die Vermittlung von BP Hainisch und dem amerikanischen Arzt Dr. Stüver gebe es etwas pri-

vate Spenden aus den USA und Holland. Wegen des zunehmenden Arbeitsaufwandes sei es

nötig, eine hauptamtliche Arbeitskraft anzustellen, diese Kosten würden aber die derzeitigen

finanziellen Möglichkeiten der Gemeinschaft übersteigen.

Am Abend des 9. September 1922 (Samstag) fand eine öffentliche Versammlung statt, an

der mehr als 800 Personen teilgenommen haben sollen. Hier sprach Hans Wutschnig über die

kulturellen Aufgaben der Gemeinschaft, Schöck behandelte wirtschaftliche Fragen und solche

der Volksgesundheit, und Robert Krapf, führendes Mitglied der Kärntner Gruppe, beschrieb

Kärntner Probleme, wo laut seinen Ausführungen jährlich 2 % der ländlichen Hofbesitzer wirt-

schaftlich durch Alkoholismus zugrunde gehen würden.

Nach Abschluß der Tagung schickte die Bundesleitung am 10. September ein Grußtele-

gramm (� Abb. 19 ) an BP Hainisch: „von der glaenzend verlaufenen tagung

in klagenfurt die heute mit gruendung der ortsgrupp e bauern-

kraft 52- in sankt georgen am sandhof geschloszen w ird sendet

gruesze und dank die deutsche gemainschaft [sic!] fuer alkoholfre-

je [sic!] kultur + “ Die Präsidentschaftskanzlei antwortete am 15. 9. 1922 (� Abb. 20 ):

„Der Herr Bundespräsident wurde durch diese Kundgebung lebhaft erfreut und hat mit beson-

derer Befriedigung die überraschend schnellen Fortschritte im Ausbau Ihrer Gemeinschaft, die

wohl in erster Linie der zielsicheren und unermüdlichen Arbeit der Gemeinschafterleitung zu

danken sind, zur Kenntnis genommen. Er hat die Präsidentschaftskanzlei beauftragt, Ihnen

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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seine besten Wünsche für die Zukunft und das Gedeihen Ihrer so tatkräftig für die Bekämpfung

des Volksfeindes Alkohol wirkenden Vereinigung zum Ausdruck zu bringen.“255

Bei einer Versammlung der Ortsgruppe Salzburg am 6. November 1922 soll es zu hefti-

gen und lautstarken Auseinandersetzungen zwischen Alkoholgegnern und Vertretern der Alko-

holwirtschaft gekommen sein: „Die vom Alkohol leben, sind also zum Kampf gerüstet, sie

scheuen es auch nicht, in Versammlungen ihrer Gegner zu gehen. So versuchten sie die große

Versammlung zu sprengen, die von der Ortsgruppe Salzburg […] in den großen Kurhaussaal

berufen worden war. […] Schon eine Stunde vor Beginn war der vordere Teil des Saales von

Leuten besetzt, die dem Alkoholgewerbe angehören oder den Alkohol mehr als alles lieben.

[…] Bei der Eröffnung entstand ohrenbetäubender Lärm, ein Toben, […] jeden Augenblick

drohte eine Prügelei.“256

Für März 1923 wurde in Graz ein dreitägiger Kurs über die Alkoholfrage angekündigt,

der den Gemeinschaftern einen tieferen Einblick über viele Gebiete der Alkoholfrage bieten

sollte. Am Samstag, dem 17.3. war ein Vortrag von Friedrich Reinitzer257 über die alkoholi-

schen und alkoholfreien Getränke vorgesehen, Hans Wutschnig sollte über „Das geschichtliche

Werden der Alkoholseuche und ihre Verbreitung über den Erdkreis“ sprechen. Die Vortrags-

themen für Sonntag, den 18.3. lauteten: „Schädigung der einzelnen Organe durch Alkoholge-

nuß, Entartung“ (Dr. med. Walter Schwarzacher); „Massenschäden des Alkoholismus auf

Grund der Statistik“ (Dr. med. Hans Schweitzer); „Geschichte des Kampfes gegen Alkohol in

Amerika“ (Stephan Schöck); „Geschichte des Kampfes in England, den skandinavischen Län-

dern und Deutschland“ (Alfred Groß); „Geschichte des Kampfes in Österreich“ (Stephan

Schöck).

Ein Rückblick auf das Jahr 1922 berichtete von einer Alkoholgegnerwoche in Innsbruck,

durchgeführt vom 27. 10. bis 5. 11., die wesentlich von der dortigen Ortsgruppe der DG gestal-

tet worden sei: ( � Anhang Dokumentationen).

255 „Südmark“ 4 (1923); 39 und ÖStA, Bestand PK, 5323/Pr.K./1922. 256 „Südmark“ 4 (1923); 75. 257 Friedrich Reinitzer, * 27.2.1857 in Prag, 16.2.1927 in Graz. Botaniker und Chemiker. 1883 Priv. Doz. an der

deutschen Technischen Hochschule in Prag, 1885 ebendort a.o. Prof. der Botanik, Warenkunde und techni-schen Mikroskopie. Ab 1895 an der Techn. Hochschule in Graz a.o. Prof., ab 1901 o. Prof. für Botanik, Wa-renkunde u.a. R. ist der Entdecker der Flüssigkristalle. (Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Bd. 9 (Lfg. 41, 1984), S. 51. � Internet-Quellen „Reinitzer“).

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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Eine Reihe von Druckschriften und Flugblättern zur Werbung und Aufklärung über die

Alkoholgefahren wurde in der „Südmark“ vom April 1923258 angeboten:

Der Gemeinschaftertag 1923 in Wien, ursprünglich für den 12. Mai geplant, wurde auf

Pfingstsamstag, den 19. Mai verlegt. Zugleich sollte während der Pfingstfeiertage der sechste

österreichische Alkoholgegnertag stattfinden. Bei der Neuwahl der Bundesleitung wurde Ste-

phan Schöck in seinem Amt bestätigt; die Bundesgeschäftsstelle, bisher in Graz bei Hans

Wutschnig eingerichtet, wurde nach Wien in das „Gemeinschafterheim“ in der Hofburg ver-

legt. Deren hauptamtlicher Leiter wurde mit Wirksamkeit vom 1. 7. 1923 Otto Brozek (später

Broschek geschrieben).259

Vom 3. bis 12. 5. 1923 fand in Linz die oberösterreichische Aufklärungswoche gegen den

Alkoholismus statt, die laut Bericht zur Gänze von der DG organisiert wurde. Es gab eine Rei-

he einschlägiger Vorträge, teils von Ärzten gehalten, teils von Vertretern verschiedener Absti-

nenzorganisationen. Auch etwa sechzig Gastwirte und Brauereiarbeiter seien anwesend gewe-

sen, die anfänglich versucht hätten, die Versammlung zu stören, sich aber dann auch an der

Aussprache beteiligt hätten und vor „… ‚extremen’ Maßregeln [der Alkoholgegner] warnten.“

Von seiten der Politik nahmen u.a. der Linzer Bürgermeister Josef Dametz260 teil sowie

die Nationalrätinnen Proft (Sozialdemokraten) und Stradal (Großdeutsche) und Frau Bundesrä-

258 „Südmark“, 4 (1923), 214. 259 Ebd., 293. 260 Dametz, Josef, 1868-1929. Sozialdemokratischer Politiker und Gewerkschafter; 1919-1927 Bürgermeister

von Linz. ( � Internet-Quellen „Dametz“)

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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tin Bichl (Christlich-Soziale). Eine von der Gemeinschafterin Pillwitzer beantragte und in der

Schlußkundgebung angenommene Entschließung verlangte, daß „… die Frauen als Wählerin-

nen den Volksführern zurufen, daß sie die Pflicht haben, über die Tagessorgen hinaus für die

Zukunft vorzubauen und daß sie vorurteilslos zur Alkoholfrage Stellung nehmen müssen. Die

Frauen aller Stände aber werden aufgefordert, die Frauennot des Alkoholismus durch Frauen-

selbsthilfe zu bekämpfen.“261

Auf dem Alkoholgegnertag vom 19. bis 21. Mai 1923 in Wien hielt BP Hainisch die Er-

öffnungsrede, namens der Bundesregierung begrüßte Vizekanzler Felix Frank262 die Teilneh-

mer. Er sagte, daß die Regierung „… die Bestrebungen der Alkoholgegner mit lebhaftestem

Interesse verfolge. Nach seiner persönlichen Meinung sei das Wichtigste die Aufklärungsarbeit,

für die leider zu wenig Mittel zur Verfügung stehen.“ Von der Wiener Stadtregierung war Stadt-

rat Julius Tandler263 vertreten, der berichtete, „… daß die Gemeinde kürzlich eine städtische

Fürsorgestelle eingerichtet habe. Der Kampf gegen den Alkohol sei deshalb so schwer, weil er

gegen drei Gewalten geführt werden müsse. Gegen die Dummheit der Massen, gegen das

feuchtfröhliche Banausentum der Gebildeten und gegen die Raubgier des Alkoholkapitals.“264

Für die Sozialdemokraten nannte Julius Deutsch265 den Kampf gegen den Alkoholismus als

wichtigen Teil des Parteiprogrammes und versprach, daß seine Partei den Kampf gegen dieses

Übel weiterführen werde.

Die Vorbereitungen zum Alkoholgegnertag hatten bereits im Dezember 1922 begonnen,

als ein „Komitee zur Förderung der Totalabstinenz und Verbotsbewegung in Österreich“ unter

Vorsitz von BP Hainisch beschlossen hatte, im folgenden Jahr eine Tagung der österreichi-

schen Alkoholgegner abzuhalten. In diesem Komitee waren Delegierte der größeren österrei-

chischen Abstinenzvereinigungen zur Mitarbeit eingebunden. Am Eröffnungstag, Samstag,

dem 19. Mai hatte Hainisch für 13 Uhr zu einem Frühstück in seiner Privatwohnung eingela-

den. Teilnehmer waren u.a. Emil Hohenthal von der US-amerikanischen Verbotsbewegung,

261 „Südmark“, 4 (1923), 374. 262 Frank, Felix, 1876-1957, in der Ersten Republik Mitglied der Reichsparteileitung der Großdeutschen Volks-

partei; 1920-1925 Abgeordneter zum Nationalrat, 1922-1924 Vizekanzler. ( � Internet-Quellen „Frank“)

263 Tandler, Julius, 1869-1936. Arzt, Lehrstuhl für Anatomie und von 1914-1917 Dekan der med. Fakultät an der Wiener Universität. Ab 1919 sozialdemokratischer Politiker, zunächst Wiener Gemeinderat, Unterstaatssek-retär und Leiter des Volksgesundheitsamtes. Ab 1920 Wiener Stadtrat für das Wohlfahrts- und Gesundheits-wesen. Er vertrat in Aufsätzen und Vorträgen u. a. die Forderung nach der Vernichtung bzw. Sterilisierung von "unwertem Leben". ( � Internet-Quellen „Tandler“)

264 „Südmark“, 4 (1923), 329f. 265 Deutsch, Julius, 1884-1968. Sozialdemokratischer Politiker, u.a. Staatssekretät für das Heerwesen.

1923-1934 Obmann des „Republikanischen Schutzbundes“. ( � Internet-Quellen „Deutsch“)

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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Rudolf Wlassak, Mitbegründer des Arbeiter-Abstinentenbundes, Stadtrat Julius Tandler und

Stephan Schöck von der „Deutschen Gemeinschaft“. Der ebenfalls eingeladen gewesene Jo-

hannes Ude sei leider verhindert gewesen.266

In seiner Eröffnungsrede vom 19. Mai führte Hainisch aus, daß er seit mehr als 20 Jahren

abstinent lebe und es auf diesen Umstand zurückführe, daß er trotz seines „… vorgeschrittenen

Alters von 65 Jahren geistig und physisch vollständig leistungsfähig geblieben [sei].“ Er ver-

misse den Alkohol in keiner Weise und schlafe auch besser als früher. Weiters führte er aus:

„Da es sich hier [bei der Alkoholfrage] um ein sehr tiefgreifendes Problem handelt, dessen

Lösung ausserordentlich viele Interessen berührt, begrüsse ich es lebhaft, daß wir bei Ihrer

Tagung Vorträge hören werden, die neues Licht auf die Alkoholfrage werfen sollen. […]

Ich möchte Ihre Beratungen mit dem Wunsche begleiten, daß sie einen bedeutungsvollen

Schritt auf dem ernsten, aber aussichtsreichen Wege bedeuten mögen, den unser Volk bis zu

seiner geistigen und materiellen Wiedergenesung nach den furchtbaren Einwirkungen zurück-

zulegen hat.“267

Als Vorbereitung auf den Gemeinschaftertag 1924, der vom 12. bis 14. Juli in Graz statt-

finden sollte, verfaßte der Schriftführer, Hans Wutschnig, unter dem Titel „Graz, die Stadt des

fünften Gemeinschaftertages“ 268 eine ausführliche Beschreibung der Stadt, ihrer Lage und ihrer

historischen und gegenwärtigen Bedeutung. Im gleichen Heft erschien von Stephan Schöck

eine kurze Übersicht über die Tätigkeit der DG in der Steiermark, und fünf steirische Ortsgrup-

pen, „Akademische Gruppe“, „Kampfruf“ und „Baldur“ in Graz, „Glückauf“ in Leoben und

„Heilborn“ in Bruck/Mur, berichteten ausführlich über ihre Tätigkeit.269 Knapp nach dem Ge-

meinschaftertag fand in Graz vom 19. bis 21. Juli eine „Vierte internationale Tagung gegen den

Tabak“ statt.270

Den Kern des Gemeinschaftertages bildete die Hauptversammlung am Samstag, dem 12.

Juli in der Technischen Hochschule (� Abb. 21 ). In seinem Bericht sprach Stephan Schöck

davon, daß der Verein seit dem Vorjahr von 56 auf 61 Ortsgruppen, von 1750 auf 2550 Mit-

glieder gewachsen sei. Ein Großteil dieses Wachstums sei auf die Bildung von Junggemein-

schaftergruppen zurückzuführen. In Graz, Linz, Klagenfurt, Innsbruck, Salzburg, Wien und

266 ÖStA, Bestand PK, 3422/Pr.K./1923. 267 ÖStA, ebd. 268 2 (1924), 57-63. 269 Ebd., 63-67. 270 Vgl. Ebd., 69.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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Leoben gebe es alkoholgegnerische Ausstellungen, und der Gemeinschafter Robert Krapf sei

Leiter der Landesstelle zur Bekämpfung des Alkoholismus in Kärnten geworden. Stephan

Schöck sei mit der Einrichtung eines alkoholgegnerischen Unterrichtes an den technisch-

gewerblichen Bundeslehranstalten in ganz Österreich betraut worden und der Gemeinschafter

Groß als sog. „Wanderlehrer“ an den Volks- und Bürgerschulen der Steiermark unterwegs. Die

Wiener Geschäftsstelle unter Otto Broschek gebe neben ihrer vereinsbezogenen Tätigkeit einen

ständigen Nachrichtendienst über alkoholgegnerische Fragen an Zeitungen im ganzen deut-

schen Sprachraum heraus. Insgesamt sei die „Deutsche Gemeinschaft“ als schlagkräftigste al-

koholgegnerische Vereinigung im deutschen Sprachraum anerkannt.271

Der Gemeinschaftertag 1925, für 30. Mai bis 1. Juni nach Spittal/Drau einberufen, sollte

der Öffentlichkeit ein buntes Bild der „Gemeinschaft“ bieten und mit einem Festzug und einem

Wiesenfest die Bevölkerung einbinden. In der Einladung dazu hieß es u. a.: „Spittal soll aber

auch eine frohe Schar sehen. Mit lebfrischem Gesang soll’s durch das Städtel gehen. […] Vo-

ran die ‚große Fahn’, dann die Spielleute mit ihren Fiedeln und Klampfen,272 vielleicht ist auch

eine Flöte drunter, hernach die Bundesleitung und all’ die ‚Völker’. Und gesungen soll werden,

daß es nur so hallt.“273

In einem „Vorbericht zum Gemeinschaftertag“274 in Spittal schildert Stephan Schöck zu-

nächst ausführlich die zahlenmäßige Entwicklung des Vereins, der inzwischen auf ca. 3000

Mitglieder in 64 Ortsgruppen angewachsen sei. Weiters nennt er die Vortragstätigkeit in den

Ortsgruppen und die Pressearbeit, die vorwiegend von Walter Dirmoser und Richard Soyka

geleistet werde. „Wenn auch in einigen Blättern noch immer die schamloseste Alkoholreklame

entfaltet und oft der haarsträubendste Unsinn und die faustdickste Lüge über die Enthaltsam-

keitsbewegung verzapft werden, so ist es doch gelungen, bei vielen Blättern Erfolg zu erzielen.

Seit November 1924 haben 40 österreichische Zeitungen […] über 400 Nachrichten in unserem

Sinne gebracht.“ Grenzüberschreitende Zusammenarbeit bestehe mit der „Deutschen Guttemp-

ler-Gemeinschaft“ in der Tschechoslowakei und mit vielen weiteren deutschen alkoholgegneri-

schen Vereinigungen. Und obwohl Österreich „vor dem Zusammenbruch seiner Wirtschaft“

stehe, rollten täglich „3 bis 4 Waggon tschechisches Bier“ nach Wien, und im Jahre 1924 seien

271 Ebd., 73-77. 272 „Klampfe“, eine im Bereich der völkischen Jugendbewegung gebräuchliche Bezeichnung für die Gitarre, mit

der während des Wanderns die Lieder begleitet wurden. 273 3 (1925), 53. 274 Ebd., 61ff.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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„einige hunderttausend Hektoliter Wein“ importiert worden. Dies alles fördere den allmähli-

chen wirtschaftlichen Zusammenbruch.

Am 26. Jänner 1926 fand in der Volkshalle des Wiener Rathauses eine Versammlung

statt, in der folgende Entschließung gefaßt wurde:

„Wir sehen im Alkoholismus ein gesellschaftliches Übel, dessen Bekämpfung wir bis zu

seiner völligen Beseitigung für dringend notwendig halten.

Wir sind überzeugt, daß die bisherige Aufklärungsarbeit über die Alkoholschäden eine

wertvolle Vorarbeit war, daß sie aber allein nicht genügt, um das Volk wirksam und dauernd

vor diesem seuchenartigen Laster zu schützen. Wir halten es für notwendig, daß die Alkohol-

seuche so wie jede andere Seuche von der Gesamtheit in erster Linie dadurch bekämpft wird,

daß der Seuchenerreger – in diesem Falle der Alkohol – an seiner weiteren Ausbreitung behin-

dert wird.

Wir fordern daher neben stärkster Förderung der Enthaltsamkeitsbewegung durch die

zuständigen Behörden in erster Linie gesetzgeberische Maßnahmen gegen die Erzeugung und

den Verkauf berauschender Getränke.“ 275 Die verlangten Maßnahmen waren: ein streng kon-

trolliertes Ausschankverbot von Alkohol an Jugendliche bis zum 16. Lebensjahr; Mitwirkung

der Wähler einer Gemeinde bei der Vergabe neuer Schankkonzessionen (das. sog. „Gemeinde-

bestimmungsrecht“); Verbot der Erzeugung und des Vertriebs von Branntwein; generelles Aus-

schankverbot für Alkohol von Samstag, 12 Uhr bis Montag, 8 Uhr; verpflichtender Aufklä-

rungsunterricht über die Alkoholschäden an sämtlichen Schulen.

Im Rahmen dieser Versammlung gründete der Initiator, Richard Soyka, den Verein

„Bund für Volksgesundheit“. Hauptaufgabe dieses Vereins sollte es sein, auf Grundlage der

gefaßten Entschließung ein Volksbegehren einzuleiten; das Sammeln von Unterschriften bilde-

te in den Folgejahren die Hauptaufgabe des Vereins. Gleichzeitig schränkte Soyka, der inner-

halb der DG als Mitglied der Bundesleitung bisher vorwiegend mit Presse- und Jugendarbeit

befaßt gewesen war, seine Tätigkeit dort stark ein und konzentrierte sich auf die Arbeiten zum

genannten Volksbegehren.276

275 4 (1926), 17. 276 Anmerkung des Verfassers: Ich habe dieses Thema, die Tätigkeit des „Bundes für Volksgesundheit“ und das

Anti-Alkohol-Volksbegehren, an der KFU Graz im Sommersemester 2007 in einer Proseminar-Arbeit mit dem Titel „Alternativmedizin und Volksgesundheit – Organisatorische und diskursive Vernetzung zwischen Gruppen und Personen. Der ‚Bund für Volksgesundheit’ “ ausführlich behandelt.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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Das Programm des Gemeinschaftertages 1926 in Salzburg277 umfaßte im wesentlichen

einen Begrüßungsabend im Mozarteum, die Hauptversammlung (ebenfalls im Mozarteum) und

etliche Sonderbesprechungen, einen Fackelzug durch die Stadt, eine Morgenfeier, ein Volksfest

und ein Laienspiel. Walter Dirmoser gab bei der Hauptversammlung bekannt, daß er die Lei-

tung der Geschäftsstelle nach nur einem Jahr dieser Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen

zurücklegen müsse.278 Teilgenommen hatten laut Schlußbericht 400 Gemeinschafter und 430

Kinder und Junggemeinschafter.279

Für den Gemeinschaftertag 1927, der vom 1. bis 4. September in Mödling stattfinden

sollte, waren u.a. zwei Lehrgänge geplant, einer über die Gestaltung eines „Nüchternheitsunter-

richtes“, einer über „gärungslose Früchteverwertung“. Außerdem war erstmals vorgesehen,

daß die Junggemeinschafter ein eigenes Bundestreffen durchführen würden.280

Das September-Heft 1927 der Vereinszeitschrift brachte wieder einige Artikel mit grund-

sätzlichen Erwägungen zur Alkoholfrage. So hob z. B. der damalige Sozialminister Josef

Resch281 in einem Beitrag über „Soziale Verwaltung und Enthaltsamkeitsbewegung in Öster-

reich“ 282 die Wichtigkeit der Enthaltsamkeitsbewegung deshalb hervor, weil sie nicht die Frage

nach der Alkoholverträglichkeit für den Einzelnen stelle, sondern die Gesamtschäden aufzeige,

„… welche der Volkskörper durch die Verwendung des Alkohols als Genußmittel [erleide]…“.

Der Gesetzgeber habe sich in den letzten Jahren von der Hilfe für Alkoholkranke weg und

mehr auf Vorbeugungsmaßnahmen gewandt. Dieser Wandel sei durch die Arbeit der Enthalt-

samkeitsbewegung gefördert worden.

Unterrichtsminister Richard Schmitz283 verfaßte einen Kurzbeitrag über „Erziehung und

Alkohol“284 mit der Kernaussage, daß „… es einer Forderung einer wahrhaft sittlichen Lebens-

ordnung [entspreche], das heranwachsende Geschlecht zur Selbstüberwindung und zur Bedürf-

277 Vgl. 4 (1926), 75. 278 Vgl. ebd., 79. 279 Ebd., 137. 280 Vgl. 5 (1927), 116 ff. 281 Josef Resch (1880-1939) war Jurist und Politiker der Christlichsozialen Partei. Von von 1919 bis 1920 war er

Unterstaatssekretär im Staatsamt für soziale Fürsorge, von 1920 bis 1938 (mit einigen Unterbrechungen) ins-gesamt zehn Jahre Sozialminister. ( � Internet-Quellen „Resch“)

282 5 (1927), 121-122. 283 Richard Schmitz (1885-1954) war christlichsozialer Politiker. Ab 1918 Wiener Gemeinderat, 1920 wurde er

Abgeordneter zum Nationalrat, 1922 Sozialminister und 1926 Unterrichtsminister. ( � Internet-Quellen „Schmitz“)

284 5 (1927), 122.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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nislosigkeit in materiellen Dingen zu erziehen. Dadurch wird die Empfänglichkeit junger Men-

schen für geistig-sittliche Werte gesteigert.“

Von Heinrich Reichel285 stammte ein Beitrag über „Die völkische Bedeutung der Alkohol-

frage“286. Einleitend definiert er als „… Volk oder Nation eine Vielheit gleichzeitig lebender

Menschen von gemeinsamer Abstammung und Gesittung, …“ und vertritt die Ansicht, daß völ-

kische Gesinnung die Wohlfahrt des Volkes über die des Einzelnen stellen müsse. „Die Wohl-

fahrt des einzelnen darf betrachtet werden als die vollständige Deckung seiner Bedürfnisse und

das Freisein von Krankheiten und Giften aller Art. Aber die Wohlfahrt eines Volkes ist keines-

wegs gleichbedeutend mit der aller seiner Mitglieder; sie muß vielmehr eine dauernde, auch

für die zukünftigen Geschlechter des Volkes befestigte Wohlfahrt sein, …“.

Die weite Verbreitung von Alkohol als Genußgift leitet Reichel daraus ab, daß andere

Gifte wie z. B. Morphium oder Kokain verboten seien; außerdem sei Alkohol leicht und in gro-

ßen Mengen industriell herstellbar, daher billig und überall erhältlich. Weiters bezieht er sich

auf die von Emil Kraepelin erforschte Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit durch

Alkohol und prangert an, daß vor allem die Biererzeugung dem Volk wichtige Nahrungsmittel

entziehe.

Leider seien in der deutschen Kultur viele mit Alkoholgenuß verbundene Sitten und

Bräuche verwurzelt, die von manchen vorgebrachte Behauptung, „… daß man mit der Aus-

schaltung des Alkohols die Kultur dem Niedergange weihen würde, …“ sei aber gegenstands-

los, denn Alkohol sei niemals schöpferisch. So müsse also, um das Volk und seine Wohlfahrt

zu erhalten, die Gesetzgebung „… rüstig weiterschreiten und unser deutsches Volk von dem auf

ihm lastenden Alpdruck des Alkoholgenusses befreien.“

Herwigh Rieger verfaßte einen Artikel über „Alkohol und Nachkommenschaft“287, in dem

er ausführlich das Problem der Keim- und Fruchtschädigung durch Alkohol behandelte. Gerade

auf diesem Gebiet sei der dauerhafte „mäßige“ Alkoholgenuß schädlicher als fallweise Trun-

kenheit.

285 Heinrich Reichel, 1876-1943, Univ. Prof. für Hygiene an der Karl-Franzens-Universität Graz. 1933-1942 Vorstand des Hygiene-Institutes, 1936-37 Dekan, 1934 Ernennung zum Spitalshygieniker des LKH Graz. (Scheiblechner, Petra: „Politisch ist er einwandfrei “, Graz, 2002. Universitätsarchiv

Graz; 211 ) 286 5 (1927), 128ff. 287 5 (1927), 137ff. Der Verfasser ist in der Zeitschrift fälschlicherweise mit dem Vornamen „Herwegh“ ge-

nannt, richtig hieß er „Herwigh“.

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Über „Öffentliche Maßnahmen gegen die Alkoholseuche“ 288 äußerte sich Erich Kerck289.

Er verglich verschiedene mögliche Gesetzgebungsmaßnahmen in ihrer Wirkung auf den Alko-

holkonsum, ob und in welchem Ausmaß dieser verringert werden könne. Ein staatliches Alko-

holverbot sei derzeit nicht erreichbar, aber steuerliche Maßnahmen (z.B. geringere Steuer auf

alkoholfreie Getränke, höhere Alkoholsteuern), weniger Konzessionen für Alkoholausschank,

eigene Konzessionen für den Ausschank alkoholfreier Getränke, amtliche Stellen gegen den

Alkoholismus, Unterricht über die Alkoholgefahren an allen Schulen, kein Alkoholausschank

bei Sportplätzen – all das seien Maßnahmen, die der Gesetzgeber treffen könne, um den Alko-

holverbrauch einzuschränken.

Auf dem Gemeinschaftertag in Mödling (2.-4. 9. 1927)290 hatten ein katholischer und ein

evangelischer Geistlicher im Rahmen des jeweiligen Gottesdienstes eine Predigt gehalten. Der

katholische Geistliche, P. Georg Hardt, führte u. a. aus, daß man neben dem Verzicht auf Alko-

hol auch auf andere „leibliche Genüsse“ verzichten solle, die „Leib und Seele zugrunde rich-

ten“ könnten:291

Der evangelische Geistliche, Superintendent Theophil Beyer, begann seine Predigt mit

einem Bibelzitat: „Seid nüchtern und wachet, denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher

wie ein brüllender Löwe und suchet welche er verschlinge. Dem widerstehet fest im Glauben.

(I. Petr. 5, 8 und 9).“ 292 Dann schilderte eine Reihe von „Nöten“, die durch Alkohol verursacht

würden: wirtschaftliche Not, soziale Not, gesundheitliche Not, seelische Not. ( � Anhang Doku-

mentationen).

Der 9. Gemeinschaftertag wurde zunächst für den 26. bis 28. Mai 1928 in Eisenerz-

Leopoldsteinersee angekündigt293, dann aber nach Admont verlegt294. In einem Kurzbericht

über die Tagung hieß es, daß die Versammlung diesmal in kleinstem Rahmen stattgefunden

und sich vor allem mit der Frage der inneren Ausgestaltung der DG befaßt habe. Die Jugend in

288 Ebd., 144ff. 289 Kerck, Dr. jur. Erich (Erich L. Kerck), * 25.4.1895, Brünn, † 18.1.1990, Mödling. In der Jugend war er beim

Bielitzer Wandervogel aktiv. Beruflich zunächst als Sekretär des n. ö. Gewerbevereins tätig, dann Mitarbeiter der Bausparkasse „Wüstenrot“, zuletzt Leiter deren Wiener Filiale.

290 Tagungsprogramm siehe 5 (1927), 109-111, 116-118, 155-158. 291 5 (1927), 153ff. 292 Ebd., 159ff. 293 6 (1928), 4, 6. 294 Ebd., 5, 7.

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Form der Jungschar und der Junggemeinschaft mache erfreuliche Fortschritte, und auch in der

Trinkerrettung wirke die DG erfolgreich mit.295

Der 10. Gemeinschaftertag wurde für 18. bis 20. Mai (Pfingsten) 1929 nach Linz einberu-

fen.296 Im Aufruf wurde besonders auf das Frühjahr 1919 verwiesen, als die „deutscharischen

Guttemplergruppen“ beschlossen hatten, sich selbständig zu machen, und im Juli 1919 be-

schlossen, die „Deutsche Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur“ zu gründen. (Die gründende

Hauptversammlung hatte, wie schon erwähnt, am 6. Jänner 1920 in Linz stattgefunden.) Die

Hauptpunkte des Tagungsprogrammes297 waren neben der Hauptversammlung ein Gedächtnis-

abend „Zehn Jahre Gemeinschaft“, Gottesdienste, eine Fahrt mit dem Donaudampfer zum

Junggemeinschaftertag nach Ottensheim298 und eine Morgenfeier auf dem Freinberg299. So wie

für die Mödlinger Tagung 1927 wurden auch für die Veranstaltung in Linz Werbepostkarten

aufgelegt ( � Abb. 22).

Die Linzer Ortsgruppen „Bunge“ und „Donauwacht“ verfaßten zur Einladung zum Ge-

meinschaftertag einige Grundgedanken über das Wesen der DG und außerdem einen Kurzbei-

trag über einen Rundgang zu den baulichen Besonderheiten der Stadt. Von Richard Soyka

stammte ein ausführlicher Rückblick auf „Zehn Jahre Deutsche Gemeinschaft“300, in welchem

er die bisherigen Gemeinschaftertage mit ihren wichtigsten Ergebnissen aufzählte und die eige-

ne Zeitung, die Gründung der Jungschar, das Volksbegehren für ein Alkoholverbot und die

Arbeit über gärungslose Früchteverwertung als wesentliche Tätigkeiten der DG nannte.

Eine am 18. Mai 1929 gefaßte Entschließung forderte ein österreichisches Trinkerfürsor-

gegesetz, in allen Bundesländern die Einsetzung von Landesstellen zur Bekämpfung des Alko-

holismus, steuerliche Begünstigung für Süßmost und strafverschärfende Wirkung bei Ver-

kehrsunfällen unter Alkoholeinfluß, und erhob Einspruch gegen die Aufstellung von Zigaret-

tenautomaten.

295 Ebd., 6, 7. 296 7 (1929), 19 u. 23.

(Im Jahr 1928 wurden die Hefte jeden Monat neu ab Seite 1 numeriert, von 1929 bis 1931 über das ganze Jahr fortlaufend durchnumeriert; ab 1932 erfolgte wieder monatsweise Einzelnumerierung).

297 Ebd., 25. 298 Ottensheim ist eine Marktgemeinde in Oberösterreich, Bezirk Urfahr-Umgebung, am linken Donauufer gele-

gen. ( � Internet-Quellen „Ottensheim“) 299 Der Freinberg ist ein 405 m hoher Berg am westlichen Stadtrand von Linz. 300 7 (1929), 37ff.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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6.3.3. Organisatorisches

Im März 1922 erhielt der Verein ein eigenes Vereinslokal in den Räumlichkeiten der

Wiener Hofburg (� Abb. 23 ): „Mitteilung der Bundesleitung: […] Gemeinschafterheim in

Wien. Durch die Vermittlung des Bundespräsidenten Dr. Hainisch haben unsere Gemeinschaf-

ter in Wien in der Hofburg ein nettes Heim bekommen, was zur Belebung unserer Tätigkeit in

Wien ganz gewaltig beitragen wird. Am 20. März habe ich an einer Sitzung der Ortsgruppe

„Hochwacht“ in diesem Heim teilgenommen, an dessen weiterer Einrichtung emsig gearbeitet

wird. Eingang Michaelerplatz, unter der Kuppel rechts.“ 301

Im Mai 1922 wurde die Geschäftsstelle des Vereins von Linz302 nach Graz verlegt; sie

befand sich nunmehr bei Hans Wutschnig, Maigasse 8/2 [sic!].303

Im Bericht über den Wiener Gemeinschaftertag 1923 war auch eine Aufstellung über den

Stand an Mitgliedern und Ortsgruppen enthalten (� Abb. 24 ). Demnach habe es per Ende März

1923 56 Ortsgruppen mit insgesamt 1754 Mitgliedern gegeben, bis zum Zeitpunkt der Tagung

seien es bereits über 2000 Mitglieder geworden. Im gleichen Bericht wurde auch angekündigt,

daß ab Mitte Juli eine eigene Vereinszeitschrift erscheinen werde, „… in der die Alkoholfrage

ausführlicher behandelt werden soll, als dies in der ‚Südmark’ möglich [ist]. Unser Verhältnis

zur ‚Südmark’ wird dadurch nicht geändert; wir werden auch dort weiter über den Stand unse-

rer Bewegung berichten und legen Wert darauf, daß die Gemeinschafter mit der ganzen Süd-

markbewegung weiterhin in engster Fühlung bleiben …“ 304

Im Juli 1923 erschien das erste Heft der vereinseigenen Zeitschrift (� Abb. 25 ). Die Hefte

standen jeweils unter einem Geleitwort; das der ersten Ausgabe lautete „Ob jemals es uns wie-

der wohlergehen soll, dies hängt ganz allein von uns ab, und es wird sicherlich nie wieder ir-

gend ein Wohlsein an uns kommen, wenn wir nicht selbst es uns verschaffen: und insbesondere,

wenn nicht jeder einzelne in seiner Weise tut und wirket, als ob er allein sei, und als ob ledig-

lich auf ihm das Heil der künftigen Geschlechter beruhe. J. G. Fichte.“ 305

Im September erschien nochmals ein Hinweis auf die eigene Zeitschrift. Ihr Zweck sei es

unter anderem, die Gemeinschaft zu einer großen Familie zu verbinden. Außerdem würden die

Gegner der Abstinenzbewegung, Menschen, die am Alkohol verdienten, immer rühriger, weil

301 „Südmark“, 3 (1922), 179. 302 Als „Alkoholgegnerische Werbestelle“ über Postfach erreichbar. („Südmark“, 2 (1921), 245.) 303 „Südmark“, 3 (1922), 209. 304 „Südmark“, 4 (1923), 332f. 305 1 (1923), 1

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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sie „… teils aus Unverstand, teils aus reiner Geldgier unser Volk trinklustig erhalten und die

Alkoholflut noch vergrößern statt eindämmen wollen.“ Der Massenalkoholismus sei eine junge

Erscheinung, er müsse wieder beseitigt werden. „Unsere Bestrebungen sind nur ein Teil zahl-

reicher anderer Bestrebungen, die das Leben unseres Volkes wieder gesund und kraftvoll ge-

stalten wollen.“306

Im Dezember-Heft der „Südmark“ verabschiedete sich die Bundesleitung der DG von

den Lesern der Zeitschrift, weil es ja nunmehr seit Juli desselben Jahres eine eigene Vereins-

zeitschrift gebe. Abschließend hieß es dort: [Wir besitzen]… seit einem halben Jahr unsere

eigen Zeitschrift „Deu tsche Gemeinscha f t “; sie bringt Aufsätze und Berichte. Auf sie

verweisen wir alle Südmarkleser, die sich genauer über die Alkoholfrage unterrichten wollen.

[…] Da diese Monatsschrift in der Form und mit den Lettern der „Südmark“ erscheint, so lebt

in ihr gleichsam „Die Südmark“ fort.“307 ( � Anhang Dokumentationen).

Im Februar 1924 erhielt die DG eine Buchhandelskonzession, wodurch die Tätigkeit der

Bundesgeschäftsstelle in Wien erweitert wurde. Der Bundesgeschäftsführer, Otto Brozek,

schrieb dazu: „Die ‚Deutsche Gemeinschaft’ ist eben nicht nur eine Vereinigung von Men-

schen, welche das Rauschgift meiden – ein ‚Verein’ – sondern eine Gemeinschaf t von

Menschen , welche auf ‚a l koho l f re ie r Grund lage ’ eine neue Ku l tu r schaffen

wollen.“308

Laut Schlußbericht über den Gemeinschaftertag 1925309 waren 500 Gemeinschafter an-

wesend, davon 165 Junggemeinschafter. Vertreter anderer Alkoholgegnerbünde seien aus der

Tschechoslowakei, aus Württemberg und aus Bayern gekommen. Aus den USA nahm Emil

Hohenthal teil, weiters waren Vertreter des katholischen „Kreuzbündnisses“ und der „Quick-

born-Bewegung“310 gekommen. Der Gemeinschafter Hutter, als Vertreter der „Kinderfreunde“

anwesend, erklärte am Begrüßungsabend, er hoffe, „… daß es in Spittal, wo bisher nur die

‚D. G.’ bewiesen habe, daß man alkoholgegnerisch wirken könne, nach dieser Tagung möglich

sein werde, auch in der Arbeiterschaft eine starke Bewegung ins Leben zu rufen.“

Am Pfingstmontag führte ein Festzug durch die Stadt („Dann zogen 500 froh und hoch-

gestimmte Menschen durch Stadt und Vorstadt. Da öffneten sich Fenster und Türen und groß

306 „Südmark“ 4 (1923), 411f. 307 „Südmark“ 4 (1923), 532.

Die Zeitschrift „Südmark“ wurde 1924 von den „Alpenländischen Monatsheften“ abgelöst. 308 2 (1924), 12. 309 3 (1925), 80ff.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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und klein schloß sich an.“), am Nachmittag gab es ein Wiesenfest („… da warb das bunte Bild,

die Kinder mit dem Kranzel im Haar, Spiel und Tanz.“).

Im August legte Otto Broschek die Leitung der Wiener Geschäftsstelle nieder, da er nach

Meran übersiedelte. Neuer Leiter wurde Walter Dirmoser, der bisher für die Pressearbeit ver-

antwortlich gewesen war.311

Im März 1926 stellte Walter Dirmoser, seit August 1925 Leiter der Geschäftsstelle, diese

Einrichtung und ihre Aufgaben detailliert vor: „„Es war im Jahre 1923 in Wien, als der

Schwung unserer Bewegung sich nicht nur mit der Schaffung einer eigenen Ze i tschr i f t zu-

frieden gab, sondern ebenso dringend und entschieden eine Stelle forderte, von der man nicht

nur alle W a f f e n f ü r d e n K a m p f beziehen könne, sondern von welcher aus auch die

W e r b e a r b e i t eine Förderung erfahren solle. Und die Gründung der Geschäftsstelle war

beschlossen!

Zum Geschäftsführer wurde Bbr. Otto B r o s c h e k erwählt, der in der Hofburg auch

gleich seine Tätigkeit entfaltete und durch zwei mühevolle Jahre hindurch den Betrieb leite-

te. […] Im August vorigen Jahres [1925] erfolgte die Ü b e r g a b e der Geschäftsstelle durch

Bbr. Broschek, welcher aus familiären Gründen aus Wien wegzog.[…]

Die schwierige wirtschaftliche Lage unserer Bevölkerung war jedoch niemals so hart

fühlbar, wie gerade jetzt. […] Schon daraus ergibt sich als Blick in die Zukunft keine sprung-

hafte, sondern eine g le ichmäßige Aufwär t sen tw ick lung . Zähe und arbeitsam müssen

wir, haushaltend mit unseren Mitteln, dieses Ziel in uns nähren und unentwegt daran festhal-

ten. […] Unen tweg t m i t ganzer Kra f t vorwär ts !“312

Am 16. Februar 1927 verstarb Friedrich Reinitzer knapp vor Vollendung seines

70. Lebensjahres. Schöck würdigte in einem ausführlichen Nachruf313 dessen Wirken für die

DG und allgemein in der Abstinenzbewegung. Er nennt ihn „… einen der energischsten und

aufopferungsvollsten Vorkämpfer von der alten Garde, die um die Jahrhundertwende in Öster-

reich den Kampf gegen den Alkohol zielbewußt in Angriff nahm, …“. Reinitzer habe im Win-

tersemester 1902/03 an der Grazer Technischen Hochschule „Vorlesungen über die Alkoholfra-

ge“ gehalten, durch die er (Schöck) überhaupt erst auf dieses Thema aufmerksam geworden sei.

Weiters sei Reinitzer im Jahre 1902 einer der Gründer des „Vereines abstinenter Lehrer“ ge-

310 Siehe Abschnitt 4, „Geschichte der Abstinenzbewegung“, Kap. 4.5.3 „Kreuzbund“. 311 Vgl. 3 (1925), 115-116. 312 4 (1926), 28-29.

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wesen und könne insgesamt charakterisiert werden als „… ein gerader, aufrichtiger Mensch,

ein klarer Denker, ein ganzer Mann, der Halbheiten nicht kannte und daher das schärfste Ge-

genstück zum schwächlichen Beschwichtigungshofrat darstellte.“

Das März-Heft der Vereinszeitschrift war als „Sonderheft der Gemeinschafterin“ gestaltet

und behandelte schwerpunktmäßig „Die Frauenarbeit in der Deutschen Gemeinschaft.“ 314 Die

Verfasserin des Hauptartikels, eine Hermine Jakobartl aus Oberösterreich, beschrieb darin ihren

Weg von der Guttempler-Jugend zur DG, ihre Tätigkeit in der Trinkerfürsorge und jetzt, in

ihrem Beruf als Fürsorgerin, die vielen Probleme, die sie in dieser Tätigkeit als alkoholbedingt

erkennt. Von Michaela Pillwitzer aus Linz stammte ein Artikel über „Elternhaus und Schule im

Kampfe gegen den Alkohol“, eine Frau Beyde schrieb über „Frauenberufe“, und Josefine Sor-

ger, Mitglied der Grazer Ortsgruppe „Baldur“, machte sich Gedanken über die Schulfürsorge.

Die „Schlußworte zur Frauenarbeit“ stammten von Stefan Schöck.

Am 30. 6. 1927 starb, nach längerer Krankheit, Walter Dirmoser im Alter von 27 Jahren.

In seinem Nachruf würdigte der Bundesvorsitzende vor allem die Öffentlichkeitsarbeit, die

Dirmoser über mehrere Jahre hinweg geleistet hatte, und schließlich seine Tätigkeit als Leiter

der Geschäftsstelle seit 1925, die allerdings durch seine Krankheit bereits merklich beeinträch-

tigt war.

Im Rahmen des Gemeinschaftertages 1927 in Mödling waren auch zwei ganztägige

Lehrgänge abgehalten worden, einer über „gärungslose Früchteverwertung“, einer über „Nüch-

ternheitsunterricht“. Am Abend des 3. September führte ein Fackelzug zur St.-Othmar-Kirche,

und anschließend wurde dort „Das Spiel vom Wilhelm Tell“ aufgeführt. Zur Werbearbeit wa-

ren auch eigene Bildpostkarten (� Abb. 26 ) aufgelegt worden.

Im Dezember 1927 verabschiedete sich Stephan Schöck als bisheriger Schriftleiter der

Vereinszeitschrift, weil er durch berufliche Belastung nicht mehr die erforderliche Zeit aufbrin-

gen könne: „Wenn ich mich nun heute als Schriftleiter verabschiede, so soll damit nicht gesagt

sein, daß ich für unsere Zeitung nichts mehr schreiben will. […] Aber – ich muß wegen Zeit-

mangels die Hütung unseres geistigen Rüstzeuges anderen Händen anvertrauen. […]

Die Zeitung wird im neuen Gewande künftig in Wien erscheinen, der neue Schriftleiter,

Bundesbruder Sepp Schmied315, hat durch die Herausgabe […] des ‚Bienenvaters’, bewie-

313 5 (1927), 17ff. 314 Ebd., 37ff. 315 Laut Impressum ab Jänner 1928 hieß er richtig „Schmid“.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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sen, daß er eine Zeitschrift zu leiten versteht; voll Vertrauen können wir daher der neuen Ent-

wicklung entgegensehen.“316

Ab 1928 erschien die Vereinszeitschrift in neuer Gestalt, im Format DIN A4 und mit ge-

ändertem Titelblatt (� Abb. 27 ). Der neue Schriftleiter kündigte sie an als eine Zeitschrift, die

über den Kreis der Mitglieder hinausgehen solle. Es gehe gegen „… den inneren Feind, der

mehr Elend und Not und mehr Unglück über unser Volk gebracht hat, als die Diktate von Ver-

saille [sic!] und St. Germain.“317 Das Blatt solle auf einen weiteren Leserkreis eingestellt wer-

den, vereinsinterne Nachrichten räumlich getrennt vom Hauptteil, und die Schriftleitung liege

nunmehr in Wien.

Bei der Hauptversammlung am 19. Mai 1929 legte des bisherige Bundesvorsitzende,

Stephan Schöck, sein Amt zurück, weil er beruflich nach Deutschland zur Bausparkasse „Wüs-

tenrot“ wechselte. Neuer Bundesvorsitzender wurde Walter Rafelsberger aus Bad Tatzmanns-

dorf im Burgenland. In seinem Schlußwort zur Hauptversammlung führte er aus, daß er den

Eindruck habe, die Notwendigkeit und Wichtigkeit der Arbeit der DG werde „… von weiten

Kreisen unseres Volkes, die unserem Bunde nicht angehören, von anderen Körperschaften und

maßgebenden Stellen anerkannt, kräftig unterstützt und gefördert …“318

Das Novemberheft 1929 der Zeitschrift behandelte als Schwerpunkt das Thema der Trin-

kerfürsorge und Trinkerrettung. Damit ging es kurzfristig von der bisherigen Hauptlinie des

Vereins ab, die sich vor allem auf die Vorbeugung gegen Alkoholismus stützte und Alkohol-

konsum möglichst verhindern wollte. Es gab einen Artikel über „Trinkerfürsorge in Öster-

reich“ von Franz Ertl (Linz), einen „Bericht über die Trinkerfürsorge“ in Salzburg, wo die

Ortsgruppe „Unsere Rettung“ auf diesem Gebiet tätig war, und einen Beitrag von Karl Sprin-

genschmid über „Gemeinschaft und Trinkerrettung“.319

Der nächste Bundestag wurde für 7.-9. Juni 1930 (Pfingsten) nach Klagenfurt einberufen.

Neben den vereinsrechtlichen Angelegenheiten (Sitzung der Bundesleitung, Hauptversamm-

lung) waren wiederum eine Morgenfeier und ein Wiesenfest geplant, außerdem sollte eine The-

ateraufführung stattfinden.320

316 5 (1927), 177f. 317 6 (1928), 1, 8. 318 7 (1929), 56-57. 319 Ebd., 81-87. 320 8 (1930), 19, 34 u. 38.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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Im Frühjahr 1930 entstand der Plan, im Kärntner Gegendtal321, dem Wirkungsbereich der

Ortsgruppe „Vortrupp“, ein sog. „Dorfheim“ zu errichten. Es sollte vielfältige Nutzungsmög-

lichkeiten bieten: „Kein bloßes Vereinshaus mehr schwebt uns als Ziel vor, eine Kulturstätte,

ein ländliches Volksbildungshaus, ein Dor fhe im soll es werden.“ 322 Es sollte einen Saal für

Vorträge und auch Laienspiele enthalten, eine Bücherei mit Lesezimmer, einen eigenen Be-

treuungsraum für Kinder sowie eine „Lehrküche“ für Süßmost- und Kochkurse. Konkrete An-

gaben über Lage, Bau und Finanzierung enthielt dieser Artikel nicht, er sprach lediglich die

Hoffnung aus, daß mit „… Kraft und Unterstützung aller Gemeinschafter und darüber hinaus

aller Gutgesinnten …“ dieser Plan gelingen möge.

Am 3. April 1930 erhielt die DG in der Wiener Hofburg ein neues, größeres Heim. Feder-

führend dabei war die Ortsgruppe „Hochwacht“, die laut Bericht unter intensiver Mitarbeit vie-

ler Mitglieder das Heim renoviert und ausgestaltet hatte.323

Im Bericht über den Klagenfurter Gemeinschaftertag324 wurden neben der Morgenfeier

wiederum Gottesdienste als Teil des Programmes genannt. Am Begrüßungsabend seien als

Ehrengäste u. a. der Klagenfurter Bürgermeister Bercht325 und der Kärntner Landeshauptmann

Arthur Lemisch326 anwesend gewesen. Für den geplanten Bau des Dorfheimes in Einöde (Ge-

gendtal) seien Förderungen vom Unterrichtsministerium und dem Land Kärnten gekommen,

der Bau habe bereits begonnen. Weiters sei beabsichtigt, ab Herbst 1930 die Vereinszeitschrift

mit der Zeitschrift der Junggemeinschaft zusammenzulegen327, um damit „… weiteres kräftiges

Einströmen junger Kräfte in die Gemeinschaft …“ zu fördern. Geleitet solle diese Zeitschrift

von Karl Springenschmid328 werden. Weiters sei die Werbearbeit, vor allem unter der Jugend,

321 Das Gegendtal, früher auch Seetal, liegt in Oberkärnten. „Es erstreckt sich vom Westufer des Ossiacher Sees nach Nordwesten bis nach Radenthein, wo es nach Südwesten zum Ostufer des Millstätter Sees hin abknickt. Im Westen wird es vom Mirnock und im Osten vom Wöllaner Nock und der Gerlitze begrenzt.“ ( � Internet-Quellen „Gegendtal“)

322 8 (1930), 39. 323 Ebd., 46. 324 Ebd., 51ff. 325 Bercht, Adolf Heinrich (1875-1940), großdeutscher Politiker, von 1926 bis 1931 Bürgermeister von Kla-

genfurt. ( � Internet-Quellen „Bercht“) 326 Lemisch, Arthur (1865-1952), Kärntner Politiker, zunächst der Deutschen Volkspartei, später des Landbun-

des. Ab 1897 in verschiedenen politischen Funktionen tätig, von 1927-1930 Kärntner Landeshauptmann. ( � Internet-Quellen „Lemisch“)

327 Wie weiter unten noch näher dargelegt wird, kam dieser Plan nicht zustande. Es gab lediglich einen kurzzei-tigen Wechsel in Inhalt und Erscheinungsbild der Vereinszeitung, beide Zeitschriften blieben aber weiterhin nebeneinander bestehen.

328 Karl Springenschmid, * 19.3.1897, Innsbruck, † 5.3.1981, Salzburg. Beitritt zum Wandervogel, 1912-1915 Ausbildung an der Lehrerbildungsanstalt Salzburg, ab 1915 Soldat. Lehrertätigkeit in Wagrain ab 1923, ne-ben dem Beruf war er als Schriftsteller, Puppen- und Laienspieler tätig. 1932 Beitritt zur NSDAP, 1934 zur

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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zu verstärken, denn die Tagung habe bewiesen, „… daß der aus der deutschen Jugendbewe-

gung gekommene Gemeinschaftergedanke auch in jenen Ortsgruppen und Gliedern unseres

Bundes festen Fuß gefaßt hat, die auf ganz anderen Wegen zu uns gestoßen sind.“

Eine „Entschließung des 11. Bundestages“ forderte 1930 die „Wehrbewegungen Öster-

reichs“ 329 auf, Nüchternheit zu verlangen: „Nichts widerspricht diesem Wehrgedanken mehr,

als der Alkoholismus, weil er einerseits die Willenskraft schwächt, andererseits die Selbstzucht

gefährdet. […]

Wir fordern daher alle Wehrbewegungen Oesterreichs auf, bei allen Aufmärschen, Tref-

fen, Uebungen, f r e iw i l l i gen A l koho lverz ich t zu leisten, dort, wo von den Behörden

A l koho lve rbo te erlassen werden, diese strengstens zu beachten und schließlich auch dar-

über hinaus mitzuarbeiten, daß der A l koho l i smus e ingedämmt werde .“330

Im August 1930 kündigte der bisherige Schriftleiter, Wolf[gang] Soyka, an, daß er sein

Amt zurücklege, vor allem, um die einheitliche Neugestaltung gemeinsam mit der Zeitschrift

der Junggemeinschaft zu ermöglichen;331 neuer Schriftleiter werde Karl Springenschmid sein.

Anschließend meldete sich Springenschmid zu Wort und führte u. a. aus, daß es nicht leicht sei,

„… beide Aufgaben zu erfüllen, einerseits den beharrlichen alkoholgegnerischen Kampfgeist

[…] rege zu erhalten und andererseits das bündische Leben unserer Junggemeinschaft […]

fortzuführen.“332

Ab September 1930 erschien das Blatt in geänderter Aufmachung: Format DIN A5, dun-

kelgrüner Umschlag (� Abb.28 ). Der Untertitel auf dem Innendeckblatt lautete „Monatsschrift

zur Verwirklichung alkoholfreier Kultur“, und Springenschmid nannte als sein Ziel: „Ich habe

kein anderes Ziel mit diesem Blatte, als es so zu schreiben, daß es von allen ganz und gerne

gelesen wird.“ 333 Eine Art „Leitmotiv“ unter dem Titel „Gemeinschafter sein“ (ohne Ver-

fasserangabe) nannte als wesentliche Aufgaben u. a.: „Die Ablehnung und Bekämpfung des

Alkohols ist nur eine Voraussetzung für das Wesentliche: Ein Leben im Sinne der Gemein-

VF, 1934 aus dem Schuldienst entlassen und 1935 zwangspensioniert. (Laserer, Wolfgang: Karl Springenschmid (Biographie ). Graz, 1987.)

329 Damit waren die paramilitärischen Verbände, z. B. Heimwehr oder Republikanischer Schutzbund, gemeint. 330 8 (1930), 59. 331 Wolf[gang] Soyka war als Nachfolger von Sepp Schmid ab Jänner 1929 Schriftleiter der Zeitschrift. 332 8 (1930), 70. 333 Ebd., Heft 8/9, 2. Umschlagseite innen.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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schaft. […] Gemeinschafter sein heißt deshalb an die Aufgabe der Gemeinschaft in unserem

Volke glauben und alles tun, damit diese Aufgabe erfüllt werde.“334

Als „Aufgabe eines Dorfheimes“, wie es in Kärnten im Entstehen war, wurde eine ge-

meinschaftsbildende Wirkung gesehen. Es solle den Bauern eines Dorfes, die durch geänderte

wirtschaftliche Bedingungen auf dem Weltmarkt mehr und mehr von diesem abhängig würden,

einen Ort der Bindung, einen geistigen Mittelpunkt bilden. Die DG wolle eine „österreichische

Dorfheimbewegung“ ins Leben rufen. „Wir bauen am ersten österreichischen Dorfheim in der

Gemeinde Winklern im Gegendtal bei Villach. […] Unsere Gemeinschafterbauern empfinden

naturgemäß das Bedürfnis nach einem solchen Heim sehr stark. […] Die Gemeinde steht hinter

unserer Idee. Wir hoffen, dort durch die Tat zu zeigen, was uns die Idee des Dorfheimes

gilt.“335 Im Oktoberheft erschienen die Ergebnisse einer Umfrage unter Jugendbünden zur Al-

koholfrage (siehe Kapitel „Jugendarbeit“), es gab viele weitere Artikel über die Jugendarbeit,

und mit dem Dezemberheft 1930 legte Springenschmid die Schriftleitung wieder zurück.

Ab 1931 erschien die Zeitschrift wieder im Format DIN A4, allerdings mit neuerlich ge-

ändertem Titelblatt (� Abb. 29 ). Die Übergabe von Karl Springenschmid an Walter Rafelsber-

ger als neuen Schriftleiter wurde ausführlich kommentiert336 ( � Anhang Dokumentationen).

In seinem Tätigkeitsbericht über das Jahr 1930337 nannte Rafelsberger an erster Stelle den

Bau des Dorfheimes in Kärnten, denn damit werde „mitten im Siedlungsgebiet der größten

Bauernortsgruppe“ ein Stützpunkt geschaffen, „… der künftig eine viel tiefergehende und wei-

tergreifende Arbeit ermöglichen wird.“ Als weitere wichtige Arbeit der DG erachte er die Tä-

tigkeit der „Süßmoststellen“, von denen es neben der seit zwei Jahren in Linz bestehenden Stel-

le nunmehr auch eine in Graz gebe. Die Zeitschrift „Junggemeinschaft“ sei aus finanziellen

Gründen eingestellt, statt dessen die „Deutsche Gemeinschaft“ um jugendbezogene Themen

erweitert worden. Weiters gebe es in Salzburg (Bergstraße 16338) eine eigene Geschäftsstelle

für Jugendpflege, um die Wiener Geschäftsstelle zu entlasten.

Am 28. Dezember 1930 wurde das Dorfheim in Winklern fertiggestellt und in einer Fest-

sitzung an die Ortsgruppe „Vortrupp“ übergeben. Walter Rafelsberger knüpfte an das Heim in

334 8 (1930), 73. 335 Ebd., 77-80. 336 9 (1931), Heft 1, 2. Umschlagseite innen. 337 Ebd., 1f. 338 Siehe auch 8 (1930), 55.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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seiner Festansprache die Hoffnung, daß es zum „geistigen Mittelpunkt“ des ganzen Tales wer-

den solle und die „Kraft des gesamten Bundes“ daran wachsen möge.339

Der zwölfte Gemeinschaftertag hatte vom 24. bis 27. September 1931 in Kallwang [sic!]

(Obersteiermark) stattgefunden. In einer Aussprache über die Aufgabe der DG wurde einmütig

festgehalten, daß „Die Gemeinschaft […] ein Bund [sei], der der Erhaltung und Erneuerung

des deutschen Volkes und seiner Gesittung dient und dabei als besondere Aufgabe den Kampf

gegen die Alkoholseuche auf sich genommen hat.“ 340

Der dreizehnte Gemeinschaftertag wurde, mit Angabe der genauen Tagesordnung, für

den 13. bis 18.8.1932 in das Kärntner Dorfheim in Winklern einberufen.341 Im nachfolgenden

Tagungsbericht342 wurden als künftige Tätigkeitsschwerpunkte die Arbeit der Jungschar, die

Süßmostherstellung und -Beratung, die Trinkerrettung und der Betrieb des Dorfheimes ge-

nannt. Von der Bundesleitung war ein Antrag zu einer grundlegenden Satzungsänderung einge-

bracht worden, der das sog. „Führerprinzip“ festlegen sollte:

„1. Nur mehr der Bundesführer, das Schiedsgericht und die Rechnungsprüfer des Bundes

[sollen] vom Bundestag gewählt werden, alle anderen Leitungsmitglieder und Führer aber vom

Bundesführer bestimmt werden.

2. Jeder Führer ist für seinen Bereich voll verantwortlich und im Bereich der Satzung

verfügungsberechtigt, [… so] daß also mit Ausnahme der unter 1 angeführten Fälle alle Ab-

stimmungen unterbleiben.“

Der Antrag wurde mit 25 gegen 4 Stimmen (1 Enthaltung) mit dem Zusatz angenommen,

daß bis zum nächsten Bundestag (1933) voll ausformulierte neue Satzungen vorliegen sollten;

bis dahin blieben die alten Satzungen gültig. Anschließend an den Bundestag fand im Dorfheim

eine Gemeinschafter-Singwoche unter der Leitung von Ernst Antesberger343 statt.

Der 14. Gemeinschaftertag fand am 13. und 14. 8. 1933 im „Landheim“ der Welser Orts-

gruppe „Sonnenland“ statt. Laut Bericht344 sei am Vorabend, dem 12. 8., vor etwa 300 Zu-

339 9 (1931), 9. 340 Ebd., 72. 341 10 (1932), 8, 8-9. 342 10 (1932), 9, 1-4. 343 Siehe weiter unten der Bericht über den Gemeinschaftertag 1931, „Führerring der Junggemeinschaft“. 344 11 (1933), 8-10, 6.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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schauern das Laienspiel „Des Trunkes Totentanz“345 aufgeführt worden. Im übrigen war es eine

reine Arbeitstagung mit Hauptversammlung und internen Aussprachen gewesen. In der Haupt-

versammlung sei die im Vorjahr vorbereitete Satzungsänderung (siehe Bericht über den Ge-

meinschaftertag 1932) beschlossen worden.

Aus dem Jahre 1934 liegen nur mehr wenige Berichte über die Tätigkeit vor. Es existiert

ein Artikel des Bundesobmannes Walter Rafelsberger „An die Gemeinschaft“346 aus dem

1. Heft der Vereinszeitschrift 1934, in dem er, wie schon früher in ähnlichen Artikeln, seine

Sicht über das Wesen und die Aufgaben der DG darlegt. Er nennt als Aufgabe den „Dienst am

Volke“, die „Hinwendung aller Einzelnen zum Dienst am Ganzen“, den Kampf gegen die

Trinksitten und die „Ausdehnung auf volkstümliche Arbeit“. Schwierigkeiten entstünden der

Arbeit durch die „Politisierung des Volkes“, weil die Bekämpfung des Alkohols „gegenüber

dem politischen Erwachen des Volkes wirklich zu einer Angelegenheit der zweiten Linie ge-

worden“ sei. Kritisch sieht er auch jene Phase des Vereins, in der das Augenmerk auf Wachs-

tum und Verbreiterung der Basis gelegt worden sei. Dies sei ein „Irrweg“ gewesen, weil „…

sich ein großer Teil des Volkes nicht für reif und erwacht genug erwies, um die Forderungen

wirklich erfüllen zu können, die wir an ihn herantrugen.“ Jetzt gehe es darum, eine „… Führer-

schichte, für die die völlige Ueberwindung der Trinksitte selbstverständlich sein oder doch

werden muß…“, heranzubilden.

Im Tätigkeitsbericht über das Jahr 1933347 heißt es, daß eine „… an die Allgemeinheit ge-

richtete Aufklärungsarbeit der Gemeinschaft über die Gefahren des Alkoholismus durch Aus-

stellungen und ‚trockene Wochen’ in diesem Jahre nicht mehr stattgefunden ...“ habe, weil an-

gesichts „… der herrschenden politischen Hochspannung nirgends ein entsprechender Wider-

hall zu erhoffen war…“. Auch seien für solche Aktionen zu wenig Geldmittel vorhanden, denn:

„Daß wir ein bettelarmer Staat und ein armes Volk sind, haben wir in diesem Jahr deutlicher

als je vorher gespürt.“ Aufschwung genommen habe die „volkstümliche Arbeit“ der DG, was

sich an drei durchgeführten Singwochen – in Wels, in Alm und am „Grabnerhof“348 bei Ad-

mont – gezeigt habe. Auch die Volkstanzpflege wirke in die gleiche Richtung.

345 Siehe Bericht vom „Junggemeinschafterag“ 1931 auf Schloß Tantalier bei Radstadt im Kapitel 7, „Jugendar-beit“.

346 12 (1934), 1-2, 1f. 347 Ebd., 3f. 348 „Fachschule für Land- und Ernährungswirtschaft – Grabnerhof“ in Hall bei Admont (steir. Ennstal).

( � Internet-Quellen „Grabnerhof“)

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Der Leitartikel des letzten vorliegenden Heftes der Vereinszeitschrift, „Im Zeichen der

Zeit“349, berichtet, daß der Umfang der Zeitschrift eingeschränkt werden müsse, da sich viele

den Bezug nicht mehr leisten könnten. Es gehe auch die Auflage zurück, aber „… wir vertrau-

en auf den gesunden Kern und Willen in unserer Gemeinschaft, der diese Notzeit überdauern

wird und sein und ihr Leben für bessere Zeiten zu bewahren wissen wird …“.

6.3.4. Innere Ausrichtung, Diskurse

Zu Beginn des Jahres 1922 antwortet Schöck in einem 10-seitigen Artikel ausführlich auf

die ihm oft gestellte Frage, „Was will eigentlich Eure Gemeinschaft?“350 Nach einem voran-

gestellten Ausspruch Peter Roseggers zur Alkoholfrage (� Abb. 30 ) behandelt der Verfasser

den Zusammenhang zwischen Gemeinschaft und Heimatschutz. Er bezieht sich dabei auf ein

vorangegangenes Heft der „Südmark“, in welchem „Heimatschutz“ den Leitgedanken gebildet

habe. ( � Anhang Dokumentationen).

Weiters nennt er als konkretes Vereinsziel die Schaffung eines „Alkoholstaatsverbotes“351

und bringt die USA mit ihrem zu jener Zeit bestehenden Alkoholverbot als Vorbild. „Was in

Amerika möglich war, muß auch in Deutschland durchführbar sein. Daß das deutsche Volk

auch alkoholfrei leben kann, hat es während des Krieges bewiesen. […] Das Ziel muß sein ein

Alkoholgesetz nach amerikanischem Muster.“ Auch hier flicht Schöck zur Bekräftigung seiner

Ansichten ein Rosegger-Zitat ein: „Ein Volk, das sein Herz erst mit Spirituosen auffrischen,

seinen Nationalismus aus dem Biere, seine Lebenslust aus dem Weine holen muß, ein solches

Volk wird immer mehr versimpeln und versumpfen und endlich ein Spott seiner Nachbarvölker

sein.“ (� Abb. 31 ) Um ein Absinken in den Abgrund des Alkoholismus zu verhindern, müßten

alle Kräfte, Gesetzgeber, Kirche und Schule, zusammenwirken, den Alkohol endgültig zu ver-

bannen.

Im Abschnitt zur Entwicklungsgeschichte der DG greift Schöck zunächst kurz bis in die

Antike aus, schildert dann die industrielle Massenerzeugung alkoholischer Getränke etwa ab

dem 19. Jahrhundert und konzentriert sich schließlich, nach einem Bezug auf den ersten Öster-

reichischen Alkoholgegnertag vom Jahre 1908, auf die Entstehung des Guttemplerordens, der

von seinen Mitgliedern verlange, Alkohol weder zu trinken noch zu kaufen, zu verkaufen, zu

erzeugen oder zu verabreichen. Schöcks Bericht zufolge wurde die Bildung des Gut-

349 12 (1934), 3-4; 1f. 350 „Südmark“ 3 (1922), 56-65. 351 Der Begriff „Alkoholstaatsverbot“ wurde in den Vereinspublikationen oft verwendet; gemeint war damit ein

staatlich verordnetes Alkoholverbot nach dem Muster der USA.

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templerordens in Österreich nicht bewilligt, daher „… wurde in Österreich als Ersatz für den

Guttemplerorden die 1. österreichische Gesellschaft gegen die Trinksitten ‚Nephalia’ im Jahre

1906 gegründet, die von den Mitgliedern auch die Guttemplerverpflichtung verlangte. Die ‚Ne-

phalia’ stand zuerst unter jüdischer Führung, wurde dann am 6. März 1910 von Professor

Longo in Mödling bei einem Stande von 9 Ortsgruppen und 168 Mitgliedern übernommen, den

ich am 16. Jänner 1912 bei einem Stande von 14 Ortsgruppen und 316 Mitgliedern ablöste.“

Weiters schreibt Schöck, daß er der „Nephalia“ den Namenszusatz „I. Organisation neut-

raler Guttempler“ beigefügt und sich der Verein bis zum Beginn des 1. Weltkrieges auf über

1000 Mitglieder in 60 Ortsgruppen vergrößert habe. Allerdings habe es ständig Streitereien mit

den neutralen Guttemplern gegeben, so daß „… daher im Juli 1914 auf der Hauptversammlung

in Klagenfurt beschlossen [wurde], zwei Reichsverbände zu bilden, einen deutsch-arischen und

einen neutralen oder internationalen. [Schließlich] … wurde am 20. Juli 1919 in Wien zur Auf-

lösung der I. Organisation neutraler Guttempler geschritten. […] Die international fühlenden

Wiener Ortsgruppen und eine Gruppe in Mödling bildeten eine Großloge des ‚Unabhängigen

Guttemplerordens’, der von der republikanischen Regierung nicht mehr untersagt wurde. Die

akademischen Gruppen in Wien und Graz gingen ihre eigenen Wege und die deutscharischen

Ortsgruppen beschlossen, eine neue, unserem süddeutschen Wesen angepaßte und dem Geiste

unserer Zeit entsprechende engere Gesinnungsgemeinschaft zu gründen.“ Am Ende des Ab-

schnitts berichtet Schöck, daß die gründende Versammlung am 6. Jänner 1920 in Linz stattge-

funden habe, „… und an diesem Tage wurde ‚die deutsche Gemeinschaft für alkoholfreie Kul-

tur’ durch Zusammenschluß von 8 Ortsgruppen begründet.“

Über „Die b i sher ige A rbe i t der Gemeinschaf t“ betont Schöck, daß der Verein

seit der Gründung von rund 300 Mitgliedern in acht Ortsgruppen inzwischen (Februar 1922)

auf 20 Ortsgruppen mit rund 700 Mitgliedern angewachsen sei. Mit Ausnahme von Vorarlberg

und dem Burgenland gebe es in allen Bundesländern Ortsgruppen, in etlichen Landeshauptstäd-

ten würden alkoholgegnerische Ausstellungen veranstaltet, der Verein habe Delegierte zu in-

ternationalen alkoholgegnerischen Kongressen entsandt, und auf dem Österreichischen Alko-

holgegnertag am 22. 10. 1921 in Wien sei die Hälfte der Teilnehmer aus der „Gemeinschaft“

gekommen.

„Die Gemeinschaft steht heute als gefestigte Körperschaft da und auch das brauche viel

Arbeit. Als besonders erfreulich müssen wir feststellen, daß viele Führer der Jugendbewegung

in unsere Gemeinschaft eingetreten sind. Es bilden sich auch schon eigene Jugendgemeinschaf-

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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ten; in Kärnten wurde damit begonnen und fast auf allen Hochschulen haben wir Mitkämpfer

gewonnen.“

Als „Pläne fü r d ie Zukunf t“ nennt Schöck in erster Linie Aufklärungsarbeit durch

Vorträge und Ausstellungen. Allerdings seien die finanziellen Mittel des Vereins beschränkt,

und er erhoffe sich Mittel aus den Geldern der staatlichen Trinkerfürsorge.

In einem abschließenden persönlichen Bekenntnis schildert Schöck in knappen Worten

seine Kriegserlebnisse, betont, daß er den ganzen Krieg ohne einen Tropfen Alkohol und ohne

eine einzige Zigarette mitgemacht habe, aber die Schäden von „König Alkohol“ immerfort mit-

ansehen mußte. Seine Schlußworte in diesem Artikel lauten: „Glaubet an uns, denn auch wir

spüren es im innersten Herzensgrund, daß wir auf dem richtigen Wege sind. Habt Vertrauen zu

uns Gemeinschaftern, die wir für eine alkoholfreie Kultur unseres Volkes kämpfen. Im An-

schlusse an uns werdet Ihr rascher und leichter den Heimweg finden und gemeinsam wollen

wir die Brücke bauen, die unser Volk einer schöneren Zukunft entgegenführen soll!“

Im März 1922 erschien in der Südmark ein Artikel von Hans Wutschnig, Graz, in wel-

chem dieser unter dem Titel „Der Kampf gegen die Trinksitten als erster Schritt zur Volkwer-

dung“ die Bekämpfung des Alkohols als Teil der völkischen Bewegung sieht.352 ( � Anhang

Dokumentationen).

Ein Vortrag Hans Wutschnigs, gehalten auf dem „Gemeinschaftertag“ 1922 in Kla-

genfurt, wurde in der „Südmark“ unter dem Titel „Die seelische Not unserer Zeit“ abgedruckt.

Darin beklagt der Verfasser eine seit dem 19. Jahrhundert fortschreitende Materialisierung,

Mechanisierung und Rationalisierung menschlichen Denkens. In der Wissenschaft des 19.

Jahrhunderts sehe er „tödliche Wirkungen“ auf das geistige Leben, und „… Das angehäuf -

te Geld , das Kap i ta l . Das tote Metall […] ist Herr allen Lebens und kann doch das Le-

ben nicht ernähren, sondern nur verdorren lassen.“ 353 Eine wesentliche und wirkmächtige

Bewegung sei nach Ansicht des Redners die Jugendbewegung, aus der er sich eine „Erneue-

rung deutschen Wesens“ erwarte. Weiters spricht er die Hoffnung, ja, die Erwartung aus, daß

aus der Jugendbewegung Menschen zur DG finden, um dort alkoholgegnerisch tätig zu werden.

( � Anhang Dokumentationen).

Schlußworte zur Klagenfurter Tagung, die namens der gesamten Bundesleitung im Jänner

1923 veröffentlicht wurden, richteten den Blick auf die notwendigen weiteren Schritte in der

Zukunft: „… d ie Arbeit, die in Wahrhe i t und Eh r l i chke i t wurzelnd, aus re ins ter

352 „Südmark“ 3 (1922), 92-94.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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L iebe zum Vo lke , von hunderten hilfsbereiten Menschen getan wird, muß früher oder spä-

ter reiche Früchte tragen. Ohne diese Arbeit werden wir auch nie vorwärtskommen. [… Der]

vo l ksschäd l i chen Tä t i gke i t unserer Gegner [muß] ausreichend entgegengewirkt wer-

den. In der vordersten Reihe unserer Gegner stehen diejenigen, die beim Alkoholmassenver-

brauch verdienen, vor allem die großen Schnapsbrenner , B ie rb rauer und We in -

händ le r . Sie sind auch die Anreger des ‚Mäßigkeitsbundes gegen die Übergriffe der Absti-

nenzbewegung’, der jetzt in ganz Österreich […] von dieser Seite gefördert wird. Dieser Bund

soll angeblich die bedrohte Freiheit des Bürgers schützen, in Wirklichkeit dient er nur zur Si-

cherung des glänzenden Alkoholgeschäftes.“354

Im Märzheft 1923 der „Südmark“ wurde ein „Aufruf an die deutschen Studenten“ abge-

druckt und als erster studentischer „Kampfruf gegen das ärgste aller Volksgifte“ begrüßt. Der

Aufruf konstatiert, daß das Volk „in tiefster Not“ liege, „seine schwerste Zeit“ angebrochen,

aber „auch die Stunde der Befreiung nicht mehr ferne“ sei. Als einer der ärgsten inneren Feinde

des Volkes wird schließlich der Alkohol ausgemacht. Der Aufruf war unterzeichnet von Walter

Kolbe, Vorsitzendem der Deutschen Studentenschaft an der Wiener Universität, Robert Körber,

Vorsitzendem der Deutschen Studentenschaft an der Hochschule für Welthandel, Wido Mes-

serklinger für das Amt für Leibesübungen der Wiener Hochschulen und Theo Walter für die

akademischen Ortsgruppen der DG.355 ( � Anhang Dokumentationen).

In der neuen Vereinszeitschrift von 1923 schrieb der Vereinsobmann, Stephan Schöck, in

seinem Leitartikel von einem „ […vermessenen Beginnen], in einer Zeit seelischer Zerrüttung

und wirtschaftlicher Bedrängnis, die schon viele Zeitungen zum Einstellen zwang, eine neue

Zeitschrift zu gründen. Aber war es ein nicht minder vermessenes Beginnen, den Kampf gegen

die Trinksitten aufzunehmen, überhaupt daran zu denken, unser Volk von den Rauschgetränken

zu befreien. […] Wir erfüllen [mit dieser Zeitschrift…] einen Herzenswunsch aller Gemein-

schafter und erbringen damit gleichzeitig wieder den Beweis, daß wir in unserer Arbeit vor-

wärtsschreiten wollen.356 ( � Anhang Dokumentationen).

Bereits im 3. Heft desselben Jahres wurde eine Reihe von Werbematerialien für die Be-

kämpfung des Alkoholismus angeboten, so u.a. Plakate, Klebemarken mit Sprüchen, Briefpa-

pier, Postkarten u.a. (� Abb. 32 )

353 Ebd., 374-381. 354 „Südmark“ 4 (1923), 39. 355 Ebd., 166. 356 1 (1923), 1ff.

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Als „ideologischen Gegenspieler“ sah die DG nicht nur die meist als „Alkoholkapital“

bezeichnete Alkoholwirtschaft an, sondern auch die Vertreter eines „Mäßigkeitsgedankens“,

u.a. in Form des „Österreichischen Verbandes für Mäßigkeit und gegen die Übergriffe der Al-

koholgegner – Mäßig und frei“. Über diesen Verband verfaßte Stephan Schöck einen kritischen

Artikel,357 worin er einleitend anmerkt, der Verband zeige „… sich ‚mäß ig ’ in der Liebe zum

Volke und ‚f r e i ’ von sittlichen Hemmungen …“. Weiters zitiert er Stellen aus einem Rund-

schreiben des Verbandes, in welchem dessen Interventionen bei Abgeordneten, Ministern und

Schulbehörden genannt werden. Man habe u.a. erreicht, daß ein alkoholgegnerischer Film in

den Schulen nicht mehr gezeigt und die staatliche Förderung alkoholgegnerischer Vereine stark

reduziert wurde.

Kommentierend bezeichnet Schöck den beschriebenen Verband als „… Ableger des in-

ternationalen Alkoholkapitals, dessen Vertreter unbekümmert um Volksgesundheit und unbe-

einflußt durch die Notschreie von Millionen von Familien, in welche der Alkohol unsägliches

Leid gebracht hat, sich nur von nackten Geschäftsinteressen leiten lassen.“ Weiters vergleicht

er die finanziellen Mittel des Verbandes einerseits, von dem er angesichts der genannten angeb-

lichen 40.000 Mitglieder ein Budget von etwa 500 Millionen Kronen annimmt, und stellt ihnen

andererseits „die paar Millionen Kronen“ der alkoholgegnerischen Vereine gegenüber. Er

meint, daß die treibenden Kräfte von „Mäßig und frei“ mit „ großem Fanatismus“ die „Wahr-

heit über den Alkohol zu verschleiern“ und „die Massen durch Alkohol zu betäuben“ wünsch-

ten. Die meisten Mitglieder des Verbandes seien aber „Unwissende und Irregeführte“, die von

wenigen treibenden Kräften ausgenützt würden. Schließlich schreibt er: „Wir sind uns bewußt,

keine leichte Aufgabe vor uns zu haben, aber stärker als die Millionen Kronen des fluchbelade-

nen Alkoholkapitals werden sich der Geist der Wahrheit und der Geist der Liebe erweisen, die

unser Tun und Handeln bestimmen und auch zum Siege führen werden.“

Im Rückblick auf das abgelaufene und Ausblick auf das kommende Jahr 1924358 nennt

Schöck als Hemmnis für die alkoholgegnerische Arbeit zunächst die triste Wirtschaftslage der

Zeit. Es tauchten „… wenig erfreuliche Bilder vor uns auf, sobald wir der fürchterlichen wirt-

schaftlichen Not, der seelischen Bedrängnis und der geistigen Knechtung gedenken, unter der

sich ein Großteil unserer deutschen Volksgenossen befand und auch heute noch befindet.“

Grundsätzlich sieht er die alkoholgegnerische Bewegung im Aufstieg, meint aber, daß „… d ie

Bese i t igung Jah r tausende a l t e r Gewohnhe i ten , d ie von mächt i gen Grup -

357 Ebd., 41-45. 358 2 (1924), 1-3.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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pen au f j eden Fa l l geha l ten werden wo l l en , n i ch t i n schwärmer i scher

Bege is terung in e in paar Jah ren er fo lgen kann.“ Beispielgebend wirke sich das

staatliche Alkoholverbot in den USA aus. Fortschritte gebe es auch in der Jugendarbeit, in den

Schulen, wo „einsichtsvolle Behörden und Erzieher“ Unterstützung gäben. Für die alkoholfreie

Obstverwertung (Süßmosterzeugung) biete die Firma Krupp in Berndorf (Niederösterreich)

gute und sinnvolle Geräte an, und die „Alkoholenthaltsamkeit als selbstverständliche völkische

Pflicht“ beginne sich in „nationalen Kreisen“ durchzusetzen. Auch von Ärzten, die sich „.. mit

den Fragen der Volksgesundheit befassen und die auf soziale Betätigung eingestellt …“ seien,

komme erfreuliche Mitarbeit. Insgesamt aber brauchten die Gemeinschafter „… nur in die nach

Glück sich sehnenden Augen unserer Kinder zu blicken und wir wissen, was wir zu tun haben,

und wir fühlen, daß wir siegen werden.“

Im Jänner 1925, fünf Jahre nach der Gründung der „Deutschen Gemeinschaft“, faßte Ste-

phan Schöck diese Zeit in einem Rück- und einem Ausblick zusammen. Er erwähnte nochmals

ausdrücklich den „deutschen“ Charakter jener Alkoholgegner, die aus den Guttemplern hervor-

gegangen waren, und schilderte die Entwicklung zwischen 1906 und 1919. ( � Anhang Dokumen-

tationen).

Im Februar 1925 machte sich Schöck Gedanken über den Bezug Peter Roseggers zur Al-

koholverbots-Bewegung. Das Titelblatt der Zeitschrift brachte einen Leitspruch Roseggers:

„Weg mit dem Alkohol! Weg mit ihm, ohne Volksabstimmung, ohne Umfrage, ob’s allen recht

ist. Eigenmächtig, wie bei einem Staatsstreiche oder wie bei einer Entscheidungsschlacht müß-

te des Landes Herzog die Alkoholgetränke verbieten und mißachten den Hagel von Flüchen,

der sich in kurzer Zeit zu einem Schauer des Segens verwandeln würde. Wenn erst dieser künst-

liche Geist abgeschafft ist, dann wird wieder die natürliche Begeisterung aufflammen – und aus

dem gesunden Körper, aus der klaren Seele die Lebensfreude.“ 359

Weiters zieht Schöck Parallelen zwischen Roseggers Eintreten für die Finanzierung deut-

scher Schulen im Grenzgebiet zum slowenischen Sprachraum und der Verschwendung, die er

(Schöck) durch den Alkoholkonsum in Zeiten wirtschaftlicher Notlange verurteilt. Er nimmt

das US-amerikanische Alkoholverbot von 1920 als Vorbild, um – wiederum mit Bezug auf

Rosegger – Gleiches für Österreich zu verlangen: „Die Forderung – weg mit dem Alkohol –

ist keine neue Erfindung der Nachkriegsjahre, sie ist nicht auf die Nachbetung einer amerikani-

schen Modekrankheit zurückzuführen, sondern [… sie …] wurde von Peter Rosegger schon vor

einem Vierteljahrhundert erhoben.“

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

104 / 259

In der Vorankündung zum Gemeinschaftertag 1926 in Salzburg (Pfingsten, 22.-24. Mai)

stellte sich die einladende Ortsgruppe unter dem Titel „Wir Salzburger in der Gemeinschaft“

auf 5 Seiten der Zeitschrift360 ausführlich vor. So hieß dort es u.a.: „Wir Salzburger sehen im

‚Gemeinschafter’ einen neuen Typus des Alkoholgegners. Der Gemeinschafter ist etwas ande-

res als der ‚Abstinenzler’ oder der ‚Anti’. Sein äußerer Mensch ist von der Jugendbewegung

bestimmt. […] Seine Haltung, […] seine Familienfreudigkeit, seine Auffassung von Gesellig-

keit, […] der ganze äußere Mensch ist ein Erbe der Jugendbewegung. Das, was den einzelnen

Gemeinschafter drängt, […] ist der Wille, die Gegenwart zu meistern. […]

Unsere Gemeinschaft [wird] durch neue Mitglieder und Ortsgruppen wohl beleibter, aber

nicht immer stärker. […] Nicht: erhöhte Mitgliederzahlen bringen erhöhte Kraft, sondern um-

gekehrt: innere Kraft bringt uns äußeres Wachstum. […]“

In seinen Grußworten zum Jahresbeginn 1927361 zitiert Schöck, um die Notwendigkeit

der alkoholgegnerischen Arbeit zu untermauern, aus einem Bericht des Wiener Gesundheits-

stadtrates Julius Tandler über die Folgen des Alkoholismus: „Bedauerlicherweise hat der Alko-

holismus Fortschritte gemacht. Im Jahre 1925 wurden auf dem Steinhof362 2380 Menschen auf-

genommen, von denen 35,2 v. H. Alkoholiker waren, 1926 wurden 2356 Menschen aufgenom-

men, von denen bei 970 Menschen der Irrsinn auf den Alkoholismus zurückzuführen ist. Durch-

schnittlich haben also von 100 Menschen 41 die geistige Umnachtung dem Alkoholismus zu

verdanken […] .“ Über die Wirksamkeit der Tätigkeit der DG blickt Schöck in ihre Entste-

hungsgeschichte zurück, wenn er schreibt: „Den Zweiflern, Nörglern und Kleinmütigen […]

möchte ich heute zurufen: ‚Denkt daran, daß unsere Deutsche Gemeinschaft ein Kind der

Nachkriegszeit ist.’ Die Anfänge […] reichen allerdings auf zwanzig Jahre zurück, […] aber

als […] eine ganz neue Enthaltsamkeitsvereinigung, die sich selbst eine bessere und unserem

Volke organisch verbundene Form zu geben versuchte, […] bestehen wir doch erst seit den

Nachkriegsjahren.“

Walter Rafelsberger363 äußerte im Sommer 1928 seine Gedanken darüber, was denn ei-

gentlich einen „Gemeinschafter“ ausmache364. Dieser solle „ein Kämpfer“ sein, egal, wo ihn

359 Ebd., 17ff. 360 4 (1926), 65-69. 361 5 (1927), 1ff. 362 Steinhof, im 14. Wiener Gemeindbezirk gelegen, war die frühere, im Volksmund gebräuchliche, Bezeich-

nung der dortigen Nervenheilanstalt. Heute firmiert die Anstalt unter der Bezeichnung „Psychiatrisches Krankenhaus – Otto-Wagner-Spital“. ( � Internet-Quellen „Steinhof“)

363 Walter Rafelsberger, * 4. 8.1899, Wien, † 1989. 1917 eingerückt, Kriegsdienst an der italienischen Front. Nach dem Krieg studierte R. an der Wiener Technischen Hochschule und arbeitete in einem burgenländi-

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das Leben hinstelle, ein „Kämpfer für das Leben“. Die Gemeinschaft sei kein Verein gegen den

Alkohol, sondern eben ein Bund, der für „deutsche Kultur“ kämpfe. Diese Kultur sei bedroht

„… von allen erdenklichen Gefahren einer überlebten Zivilisation, von haßerfüllten inneren

und äußeren Feinden.“ An erster Stelle dieses Kampfes stehe die „Niederringung des Alko-

hols“, der „ … als Waffe in der Hand unserer ärgsten Feinde …“ liege.

Ähnlich äußerte sich Rafelsberger nochmals drei Monate später unter dem Titel „Vom

Wesen der Deutschen Gemeinschaft“ 365: Sie sei ein „Volksbund“, der „alle Schichten des Vol-

kes“ umfasse. Eine Gefahr sehe er allerdings in einer speziellen Wesensart der Deutschen:

„Wenn der Deutsche im allgemeinen immer geneigt ist, vor allem Fremden eigenen Wert und

eigene Würde zu vergessen, so verfällt der volksbewußte Deutsche in der Regel gerade in den

entgegengesetzten Fehler: was nur irgendwie deutsch zu sein scheint, für dessen Fehler ist er

blind und wenn es die bedenklichsten Zeichen der Entartung trägt. Wir aber müssen uns klar

werden über die Schäden und Krankheiten, die an unserem Volke zehren, wenn wir ihrer Herr

werden wollen.“ Die Deutsche Gemeinschaft müsse ein „Lichtkämpfertum“ in sich tragen, die-

ser Gedanke sei aber in den letzten Jahren in den Hintergrund gedrängt worden. Die Gemein-

schaft stamme zum großen Teil aus der Jugendbewegung, aus dieser Herkunft und aus dieser

Bewegung gewinne sie „stets erneut treibende Kräfte“. Würde die Gemeinschaft im „Parteiwe-

sen untergehen“ oder zum reinen „Zweckverein versanden“, wäre sie gescheitert. „Wir glauben

noch an die innere Kraft unseres Volkes und damit an unseren Sieg.“

Ein Artikel über „Weg und Ziel“366 (mit „H.K., Wien“ als Verfasser gezeichnet) sah den

Kampf gegen den Alkohol als Teilnahme am „Wiederaufbau des Vaterlandes“. Alkoholische

Genußmittel seien ein Hemmnis für eine gesunde Entwicklung und brächten „Leid und Elend

über unser Volk“. Es sei schwer, „… anders geartet zu sein, als die Mitmenschen, die vom

Strome des Lebens als Sklaven der gerade vorherrschenden Begierde mitgerissen werden, …“.

Als Gemeinschafter solle man nicht „wie das Herdenvieh der Schar der Vorangehenden“ fol-

gen, sondern dort wandern, wo „… man gehen soll!“ Ein großer Haufen sei Beweis des

Schlechtesten, man solle nie das tun, was der Menge genehm sei. Der Weg zur Natur sei der

Weg zu reinem Menschentum, aus dem Erlebnis von Sonne und Natur wachse eine „wunder-

same Kraft“. Abschließend heißt es: „So schreiten wir denn in starker Zuversicht wieder in

schen Bergwerk, ab 1931 bei den Judenburger Gußstahlwerken. Im Mai 1933 Beitritt zur NSDAP, im April 1934 zur SS. (Keller, Fritz: Walter Rafelsberger. In: Wiener Ges chichtsblätter; Hg.: Verein für Geschichte der Stadt Wien. Wien, 2002. - 57.200 2 S. 23-37; hier 24.)

364 6 (1928), 1, 2. 365 Ebd., 4, 4f.

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unser Alltagsleben hinein und werden eins sein in der Liebe zu unseren Mitmenschen, denen

wir Helfer und Führer sein sollen und dürfen. Wir werden schaffen und aufbauen und unser

Land nicht brach liegen lassen, zum Segen für uns und unsere kommenden Geschlechter.“

Unter „Gemeinschaft und Bauerntum“ veröffentlichte Walter Rafelsberger Gedanken

über die Stellung der DG zur Bauernschaft.367 Er meinte, daß gerade in den Bauerngruppen

etwas vom „Wesen der Gemeinschaft im Volkstum verwurzelt“ sei. „Gemeinschafter sein, heißt

aber auch, ein Mensch sein, der seine Kraft aus der Natur, aus dem Boden zieht. Wir wollen

keine himmelblauen Wolkenkukuksheimer [sic!] sein, sondern in unserer Gemeinschaft fest auf

unserem Heimatboden stehen.“ Das Volk habe heute durch „zielbewußte Arbeit innerer und

äußerer Feinde“ den Heimatboden verloren und stehe „in Knechtschaft seiner Feinde“. „ Wenn

wir in diesem Kampf unsere Heimat […] wieder zurückerobern wollen, so ist es eben nahelie-

gend, daß wir uns auch an jene Kreise wenden, deren Leben noch eng mit dem Heimatboden

verbunden ist, eben an das Bauerntum.“

6.3.5. Zeit der Wirtschaftskrise, Radikalisierung

Etwa ab 1930/31 ist angesichts der Wirtschaftskrise und der eintretenden Radikalisierung

der allgemeinen politischen Lage auch in der Vereinstätigkeit eine Reduzierung und Radikali-

sierung erkennbar. Etliche Ortsgruppen stellten ihre Tätigkeit fast völlig ein, manche wurden

von der Vereinsleitung mangels Tätigkeit überhaupt aufgelöst, und die Argumentation in den

Publikationen wendet sich von den eigentlichen Themen des Vereins, der Alkoholbekämpfung,

ab und allgemein-politischen Themen, volkspolitischen Fragen zu. Damit verengt der Verein

seine Argumentation und bindet die Alkoholenthaltsamkeit oft nur mehr als Hilfestellung zu

politisch-völkischen Fragen ein.

Schon aus einer Rückschau von Walter Rafelsberger über das Jahr 1928 läßt sich ent-

nehmen, daß der Schwung der Anfangsjahre, der Zeit von etwa 1922 bis 1924, zurückging. Er

berichtet von mancher „Wiederbelebung“ von Ortsgruppen, manche größere Gruppen würden

überhaupt nicht tätig sein, die Gauleitung von Niederösterreich z. B. bemühe sich, schwach

arbeitende Gruppen wieder zu beleben, und er rufe auf zu „tätiger Mitarbeit jedes dazu Befä-

higten“, um den Bund weiter auszubauen.368

366 9 (1931), 45ff. 367 9 (1931), 8, 58. (Hier trat ein Fehler in der Seitennumerierung auf: Heft 6/7, 1931 endete mit Seite 56, Heft 8

begann nochmals mit Seite 55.) 368 7 (1929), 41-43.

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So formulierte z. B. Karl Springenschmid unter der Überschrift „Was fordert die Zeit von

uns?“ im Spätherbst 1931 seine Gedanken über notwendige Aktivitäten der „Gemeinschaft“ in

nächster Zukunft.369 Eine Niederlage der letzten Jahre sei das Scheitern des vom „Bund für

Volksgesundheit“ vorbereiteten Volksbegehrens gegen den Alkohol gewesen. Statt der erfor-

derlichen 200.000 Unterschriften seien nur 100.000 gesammelt worden, aber auch diese seien

nicht für den notwendigen Druck auf die Politik eingesetzt worden. Hier habe vor allem die

Zusammenarbeit mit den politischen Parteien gefehlt. Das Redeverbot gegen Prof. Ude370 sei

ein weiterer Schlag gegen die Abstinenzbewegung gewesen. Dadurch, daß die „Gemeinschaft“

gemäß Beschluß der Hauptversammlung von 1927 das Volksbegehren abgelehnt hatte,371 habe

sie sich auch aus der alkoholgegnerischen Gesamtbewegung entfernt und sei „aus der Kampf-

front in die Etappe gerückt.“

Durch die wirtschaftliche Not, die nach der Wirtschaftskrise von 1929 eingetreten war,

habe sich die Gesamtlage völlig verändert. Es müsse unbedingt eine „Zentralstelle“ der öster-

reichischen Alkoholgegner geschaffen werden, die gemeinsame Ziele formuliere und die Tä-

tigkeiten der einzelnen Organisationen koordiniere. „Die gemeinsame Grundlage muß der

Kampf gegen das Alkoholkapital sein.“ In den konkreten Forderungen solle man sich an den

Alkoholgegnern im Deutschen Reich orientieren und nur solche aufstellen, die bei realistischer

Einschätzung auch Aussicht auf Verwirklichung hätten. Diese seien z. B., einen Teil der Ar-

beitslosenunterstützung in Lebensmitteln statt in Geld abzustatten; bei Trunkenheit des Emp-

fängers die Unterstützung nicht an ihn, sondern an die Familie auszuzahlen; die Regierung

müsse bei allen politischen Versammlungen ein Alkoholverbot erlassen bzw. dürften nur solche

Kundgebungen bewilligt werden, bei denen Alkoholfreiheit garantiert sei; Milchausschank und

alkoholfreier Haustrunk sollten steuerlich entlastet bzw. steuerbefreit werden, der Hausbrand

steuerlich stärker belastet und an eine Konzession gebunden werden.

„Mit harten Schlägen hat das deutsche Notjahr eintausendneunhunderteinunddreißig

auch an unserem Bunde geschmiedet. Wir freuen uns, sagen zu dürfen, daß die Form unseres

Bundes dabei an Einheit gewonnen hat und seine Kraft gewachsen ist.

369 9 (1931), 82-84. 370 Ude war in der Werbearbeit für das genannte Volksbegehren als Redner in ganz Österreich unterwegs. Da

dies in der Öffentlichkeit mehr und mehr Aufsehen und in kirchlichen Kreisen Unmut erregte, entzog ihm der steirische Fürstbischof Ferdinand Pawlikowski am 7. 12. 1929 die Predigterlaubnis und verbot ihm jedwede politische Betätigung sowie das Auftreten in öffentlichen Versammlungen. (Quelle: „Werbedienst für Volksgesundheit“ 5 (1930) ; 1. Weiters Farkas, Reinhard: Johan-nes Ude und die Amtskirche: Chronologie und Analyse eines Konflikts. In: Mitteilungen des Steiermärkischen Landesarchivs, Bd. 47 (1997), 253 – 276.)

371 s.u., Kapitel 6.5. „Zusammenfassung“, S. 118, Fußnote 397.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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Was seit dem Jahre 1927 unser Wille und unsere Arbeit im Stillen war, ist nun in Er-

scheinung getreten: die Junggemeinschaft ist als lebendige Kraft in die Bewegung eingerückt.“

Mit diesen Worten beginnt Walter Rafelsberger seinen Tätigkeitsbericht über das Jahr

1931.372 Weiter berichtet er von einer „trockenen Woche“ vom 25.4. bis 3.5.1931 in Salzburg,

an der auch andere alkoholgegnerische Vereinigungen mitgewirkt hätten und die durch Plakate,

Presseberichte und eine Ausstellung eine Woche lang „das Stadtgespräch Salzburgs“ gewesen

sei.

Der Betrieb des „Dorfheimes“ in Kärnten leide unter der drückenden wirtschaftlichen

Lage, weil die meisten Mitglieder der Ortsgruppe „Vortrupp“ vorwiegend Wald- und Bergbau-

ern seien, die von der Krise in ihrem „Daseinskampf bedroht“ würden. Dadurch sei die regel-

mäßige Rückzahlung der Kredite, mit denen der Bau finanziert worden war, gefährdet.

Er schließt den Bericht mit einer Forderung nach einem Schankstättengesetz und fordert

weiters „… alle alkoholgegnerischen Verbände, alle verantwortlichen öffentlichen Stellen und

Körperschaften auf, mit uns darauf hinzuarbeiten, daß das Verständnis für die Notwendigkeit

dieser Forderung in alle Kreise unseres Volkes hinausgetragen werde – zu Nutz und Frommen

der kommenden Geschlechter und als wirksamer Schutz gegen die täglich wachsende Not!“

Unter dem Titel „Politische Aussprache“ legte Karl Springenschmid im Jänner 1932 sei-

ne Gedanken über die Stellung der „Gemeinschaft“ zu politischen Parteien, insbesondere zur

NSDAP dar.373 Zunächst beschreibt er den Begriff „Bund“, das Wesen „bündischer Arbeit“,

welche immer den „ganzen Menschen“ erfasse. Der „Bund“ forme das ganze Leben des jungen

Menschen, er umschließe und gestalte Fahrten, Feste, Kleidung, Wohnen, berufliche Stellung

und Familie. „Im Bunde ist der Einzelne daher mit seinem ganzen Sein und Handeln allen an-

deren verantwortlich.“ Damit bestimme der Bund das Leben des Einzelnen bis ins Letzte.

Im Gegensatz dazu liege das Wesen politischer Arbeit in der „Erfassung der Massen“.

Hier müsse sich der Einzelne der Masse einordnen, die Partei brauche ihn nur als Mitglied,

nicht als gestaltendes Einzelwesen. Ein Bund, der sich einer politischen Partei verschreibe, lau-

fe Gefahr, von und in dieser zerrieben zu werden. „Niemand wird also von uns Gemeinschaf-

tern verlangen, daß unser Bund, der sich entschieden zur deutschen Freiheitsbewegung be-

kennt, seine bündische Haltung aufgibt und offen oder verschleiert […] Parteigruppe wird. Das

wäre das Ende der Gemeinschaft.“ Die „Gemeinschaft“ als Bund habe die Aufgabe, Menschen

372 10 (1932), 1, 2f. 373 Ebd., 2, 4f.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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heute so zu erziehen, wie „… das Volk in der kommenden Zeit leben muß“. Den neuen Lebens-

stil – „nüchtern, einfach, natürlich“ – könne nur ein geschlossener Bund entfalten. „Die Absti-

nenz bekommt für uns einen neuen Sinn: Wir lehnen alles, was die Gegenwart an Schlechtem

und Erniedrigendem bietet, ab, um uns körperlich und geistig völlig frei zu halten und mit rei-

nem Leib und freiem Herzen der Zukunft leben zu können.“

Deshalb müsse die „Gemeinschaft“ „… allen politischen Versuchungen gegenüber hart

sein“, denn „Gemeinschaft geht vor Partei“. Er (Springenschmid) sei überzeugt, „… daß dieser

Lebensstil […] nur an einer auserlesenen Schar, an einem Bunde, verwirklicht werden kann.“

Seine Sicht der Entwicklung der „Gemeinschaft“ schilderte Walter Rafelsberger mit dem

Titel „Der Gemeinschafter“ im Sommer 1932.374 Zu Beginn sei es die Fortsetzung der Gut-

templerarbeit gewesen, allerdings auf „nationaler Grundlage“, weshalb in den Satzungen der

„Arierparagraph“ festgelegt worden sei. Auch sei der Gemeinschafter nie ein Mensch gewe-

sen, „… der nur um seiner selbst willen den Rauschtrank und die Trinksitten bekämpfte.“ Mit

der Arbeit der Trinkerrettung sei die soziale Frage, die Auseinandersetzung mit dem Menschen

und seinen persönlichen Problemen akut geworden. Dann müsse, mit der „politischen Frei-

heitsbewegung der letzten Jahre“, auch zur „nationalen Frage“ Stellung genommen werden.

Schließlich sei der Kampf gegen die Trinksitten ein „Kampf um das Morgen“. Dieser Kampf

müsse das Volk frei machen „… von der Seuche, die mit ihrem teuflischen Gefolge sein Le-

bensmark zerfrißt, […] von der Trinkseuche …“ Denn der Gemeinschafter habe erkannt, „…

daß seine Sendung im Ueberirdischen wurzelt und er schöpft aus dieser Erkenntnis seine

stärkste Kraft …“ Er dürfe diese Kraft aber nicht „im Unendlichen“ verlieren, sondern müsse

sie „… in diesem Leben durch Arbeit zum Segen …“ werden lassen.

Das Jahr 1933 wurde eingeleitet mit einem Aufruf an die „Brüder und Schwestern im

deutschen Volk!“ Hier stellte sich die DG als ein „Kampfbund gegen die Trinksitten“ dar und

rief „zur Hilfe in diesem Kampf“ auf. Man solle die Zeitschrift „Deutsche Gemeinschaft“ be-

stellen und nicht zögern, denn „… die Not des Volkes verlangt von Euch raschen Entschluß und

helfende Tat!“375

Seinen Tätigkeitsbericht über das Jahr 1932376 begann Walter Rafelsberger mit der Fest-

stellung, daß „das Volk in Not“ und die Arbeit der DG im vergangenen Jahr unter diesem Zei-

chen gestanden sei. „Wir haben in diesem Jahr die Verbundenheit mit unserem Volke tiefer

374 10 (1932), 6/7, 1f. 375 11 (1933), 1/2, 1.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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erkannt als je zuvor, wir haben die Notwendigkeit gerade unseres Kampfes im Freiheitskampf

des deutschen Volkes klarer erkannt und bekannt als zuvor und wir haben unseren Platz in der

Freiheitsbewegung des jungen kommenden Deutschland bezogen!“

Der Ausbau des Bundes habe vor allem im Ausbau der Jugendarbeit bestanden, die Jung-

gemeinschafter würden in Schulungen „zu wohlgerüsteten und wehrhaften Kämpfern für die

Arbeit der Gemeinschaft“ erzogen. Die ganze „Gemeinschaft“ sei ein „Kampfbund“ und werde

„ immer geschlossener und kampffähiger“ auftreten. Auch zwei Singwochen in Kärnten und

Tirol seien nicht nur Wochen des Erlebens und der Lebensform gewesen, sondern auch

„Kampfwochen der Gemeinschaft“. Allerdings wirke sich die wirtschaftliche Not der Zeit

hemmend auf die Arbeit des Bundes aus, vor allem gebe es keine finanzielle Unterstützung

öffentlicher Stellen mehr. Bei der Jungschar wirkten die Schulen nicht mehr im bisherigen

Ausmaß mit, die Arbeit werde nur mehr halbwegs geduldet. Aber erfreulicherweise würden die

„… Jungschärler, wenn sie der Schule entwachsen, zum größten Teil weiter enthaltsam bleiben

und meist zu kämpfenden Alkoholgegnern werden, …“.

Mit „ Weg und Arbeit der Gemeinschaft“ befaßte sich ein Artikel Rafelsbergers, in dem er

Rückschau auf die Entstehung und Entwicklung der Gemeinschaft hielt und die wesentlichsten

Eckpunkte dieser Entwicklung herausarbeitete.377 Der Leitgedanke sei von Anfang an der

Kampf gegen die Trinksitten gewesen, denn „… für die Gemeinschaft war immer die Trinksitte

als eine Todeskrankheit ihres eigenen Volkes der auszutilgende Gegenstand ihres Kampfes.“

Zur Zeit der Gründung, in den ersten Jahren nach dem Weltkrieg, habe diese Arbeit auch in der

Öffentlichkeit Zustimmung gefunden, weil der Alkoholismus nach Kriegsende stark gestiegen

sei.

Die allgemeine politische Entwicklung, die wirtschaftliche Lage habe aber zunehmend an

Bedeutung gewonnen, so daß für die Alkoholfrage und die Arbeit gegen die Trinksitten „…

kein Gehör mehr zu finden war.“ Die „Politisierung des Volkes“ habe auf die Arbeit der Ge-

meinschaft eingewirkt, „… der Kampf um die politische Freiheit [… nahm] das ganze Denken

und Fühlen des Volkes gefangen …“. Damit war dem Kampf gegen die Trinksitten „der Wind

aus den Segeln genommen“, der bisherige Weg schien abgeschnitten. Diese Entwicklung sei

aber an der Gemeinschaft nicht spurlos vorübergegangen, sie habe „… ihr Bekenntnis zum

kommenden, jungen Deutschland erarbeitet“, der Gemeinschafter diene „… in der bündischen

Front seinem Volke.“ Damit sei die Gemeinschaft ein Bund geworden, ein „kämpferischer Er-

376 Ebd., 1/2, 2f.

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ziehungsbund.“ Sie habe sich als Bund gegliedert in „Führer und Gefolgschaft“, in „ Jungvolk,

Junggemeinschaft und Gemeinschaft.“ Ihre Arbeit setze sie an Stellen ein, wo sie auf „das Le-

ben des Volkes“ einwirken könne: Die Jungschar pflanze „die Grundlage für die Befreiung von

den Trinksitten“ in die Jugend, die Süßmostarbeit fördere „ein wirksames Mittel gegen die

Trunksucht“, mit der Trinkerrettung schaffe sie an einem „sozialen Werk, das sie mit der Not

des Volkes verbindet“, und das Dorfheimwerk habe „für eine geistige und wirtschaftliche

Sammlung des Bauerntums“ den Grundstein gelegt. „Brüderliches Verstehen und Helfen, be-

harrliches Festhalten an Weg und Ziel, treuer Glaube an die Sendung, diese Drei werden die

Arbeit der Gemeinschaft zum Erfolge führen.“

6.3.6. Gärungslose Früchteverwertung – „Süßmost“

Neben der theoretischen, propagandistischen Arbeit in Form von Vorträgen, Ausstellun-

gen und persönlichen Gesprächen befaßte sich ein Teil der Vereinstätigkeit mit praktischen

Dingen, v.a. der Herstellung von Süßmost (unvergorenem, haltbar gemachtem Apfel- oder Bir-

nensaft bzw. Mischsaft). Dazu verfaßte Friedrich Reinitzer einen Aufsatz über „Die Herstel-

lung alkoholfreier Fruchtsäfte im bäuerlichen Kleinbetriebe“.378 Zu Beginn bringt er etliche

statistische Daten über die Menge der von Bauern selbstgebrannten Mengen an Branntwein und

meint schließlich: „Wenn man d iese a l t he rgebrachten und s ta rk e inge leb ten

Gewohnhei ten verdrängen und d ie Bauern zu r E rzeugung a l koho l f re ier

F ruch tsä f te b r ingen w i l l , muß man ihnen e in Ver fahren b ie ten können ,

das mög l i chs t e in fach i s t und von der gewohnten Arbe i tsweise mög l i chs t

wen ig abweich t .“ Als technisches Verfahren, um den Fruchtsaft haltbar zu machen, emp-

fiehlt er dann das Verfahren des Eindickens, beschreibt im Detail verschiedene Methoden und

schließt den Artikel folgendermaßen: „Möge der Gedanke, der in diesen Zeilen ausgesprochen

wurde, von unernehmenden Männern recht bald aufgegriffen und in die Tat umgesetzt werden.

Sie würden damit dem Kampfe für die Gesundung unseres Volkes einen großen Dienst erwei-

sen.“

Wesentlich ausführlicher behandelte ein 15-seitiger Artikel im Oktober 1924 das Thema.

Unter dem Titel „Die gärungslose Früchteverwertung“379 schreiben die Verfasser, Otto Bro-

schek und Stephan Schöck, zunächst über die Auswahl geeigneter Obstsorten. Ausführlich ge-

hen sie auf die verschiedensten Methoden zur Haltbarmachung des Saftes ein. Genannt werden

377 Ebd., 3, 1-3. 378 1 (1923), 25ff. 379 2 (1924), 105-119.

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hier das Eindicken durch Tiefkühlung, Filterentkeimung, chemische Konservierung, Pasteuri-

sieren und Konzentration durch Eindampfen. Auch einschlägige Firmen werden im gleichen

Atemzug genannt, so z. B. die Firma Krupp in Berndorf (Niederösterreich), welche auf Anre-

gung der DG geeignete Geräte herstelle.380 Dasselbe Heft enthielt im Inseratenteil einschlägige

Inserate, so z. B. für „Ceres-Fruchtsäfte“ der Firma Schicht in Wien, für den „Berndorfer

Fruchtsaftkessel“ und für Säfte der „Pomona-Obstverwertung (Zernatto) in Kärnten. Ab dieser

Zeit gab es in den Kurzmeldungen der Vereinszeitschrift eine regelmäßige Rubrik „Gärungslo-

se Früchteverwertung“, fallweise wurden an verschiedenen Orten Kurse mit praktischen Übun-

gen zu diesem Thema abgehalten, und die Bundesgeschäftsstelle in Wien richtete eine Bera-

tungsstelle zur Süßmostbereitung ein.

Das Oktoberheft 1929 der Vereinszeitschrift widmete sich schwerpunktmäßig dem The-

ma der Süßmostgewinnung. Herbert Rafelsberger äußerte grundsätzliche Gedanken über „flüs-

siges Obst“, es gab einen Bericht über die „Süßmostbewegung in der Schweiz“, einen über eine

Wanderausstellung über alkoholfreie Getränke, und eine im Frühjahr 1929 neugeschaffene

„Süßmoststelle Linz“ erstattete einen umfangreichen Tätigkeitsbericht.381 Im Februar 1930 be-

richtete Rafelsberger ausführlich über eine „Süßmostreise in die Schweiz“382, und im Rahmen

der „Österreichischen Gastgewerbeausstellung“ in Linz vom 30. April bis 11. Mai 1930 betrieb

die Linzer „Süßmoststelle“ einen eigenen Stand (� Abb. 33 ).383 Ein Bericht Herbert Rafelsber-

gers über seinen Besuch bei einer „Lehr- und Versuchsanstalt für gärungslose Früchteverwer-

tung“ in Obererlenbach bei Frankfurt/Main schilderte wiederum, angereichert mit etlichen Ab-

bildungen, verschiedene technische Verfahren zur Süßmostbereitung.384

Ab Beginn der 1930er Jahre verschoben sich allmählich die Schwerpunkte der Zeitschrift

(siehe Kapitel „Zusammenfassung“ weiter unten). Im Februar 1931 erschien nochmals ein Be-

richt über die Tätigkeit der Süßmoststelle in Linz,385 aber dann wurde das Thema in der Folge

nur mehr marginal behandelt und verschwand schließlich ganz aus den Publikationen.

380 Die Trennung von fachlichem Inhalt (Bericht) und Produktwerbung im gleichen Text war in diesen Jahren offensichtlich noch nicht journalistisches Gebot.

381 7 (1929), 61-65. 382 8 (1930), 9ff. 383 Vgl. 8 (1930), 49-51. 384 8 (1930), 61-64. 385 9 (1931), 10ff.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

113 / 259

6.4. Endphase und Auflösung

Nach der Wahl Walter Rafelsbergers zum Bundesvorsitzenden lag der Vereinssitz gemäß

den Satzungen an seinem Wohnort in Bad Tatzmannsdorf, Burgenland. Bereits im Bericht über

den Gemeinschaftertag 1931 wird Judenburg als Wohnsitz Rafelsbergers genannt. Vom 19.

Februar 1932 liegt eine schriftliche Meldung des „Bundesvollzugsausschusses der Deutschen

Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur“ an die StmLReg vor, wonach der am 23. 9. 1931 in

Kallwang [sic!] wiedergewählte Bundesvorsitzende Ing. Walter Rafelsberger seinen Wohnsitz

in Judenburg habe.386 Damit wechselte die zuständige Vereinsbehörde von der BH Oberwart

(Bgld.) zur BH Judenburg.

Spätestens ab 1935 (vermutlich schon früher, da es ab 1934 keine Vereinspublikationen

mehr gab) scheint Rafelsberger und damit die Gesamtleitung der DG jede vereinsbezogene

Tätigkeit eingestellt und sich nur mehr parteipolitisch in der illegalen NSDAP betätigt zu ha-

ben. Dies zeigt u.a. der nachfolgende Schriftverkehr zwischen Bundeskanzleramt, SiD Stmk,

BH Judenburg und GdPKdo Judenburg:

Vom 15. Juli 1935 existiert ein Aktenvermerk der SiD Stmk (Zl. 384 Ju 19/1-1935)387,

wonach ein Dr. Nagy vom B.K.A. [Bundeskanzleramt] angerufen und gesagt habe, „… es inte-

ressiere ihn wie derzeit der obgenannte Verein [die Deutsche Gemeinschaft], der seinen Sitz

[…] in Judenburg habe, weiterbestehen könne, da der letzte Obmann Ing. Walter Rafelsberger

wegen politischer Delikte ins Deutsche Reich geflohen ist.“ Dr. Nagy wolle über die Tätigkeit

des Vereins und über dessen Ausschußmitglieder informiert werden.

Am 20. Juli 1935 berichtete das GdPKdo Judenburg an die BH Judenburg (E.Nr.

3435),388 daß der Verein „Deutsche Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur, Ortsgruppe Juden-

burg“ vor einem Jahr etwa 20 Mitglieder gehabt habe, seither keine Tätigkeit mehr entwickle

und nur mehr Mitgliedsbeiträge einhebe. Obmann war „ … der seinerzeit im hiesigen

Gusstahlwerk [sic!] als Ingenieur angestellt gewesene Walter Raffelsberger, [sic!] in Juden-

burg, Bahnhofstrasse 22 wohnhaft gewesen. Genannter hat sich nach dem Juliputsch 1934 wei-

ter für die NSDAP betätigt und ist schliesslich, als seine Verhaftung angeordnet wurde, ge-

flüchtet und soll sich derzeit in der Schweiz aufhalten.“ Derzeit sei der Turn- und Singlehrer

Ernst Antesberger „die führende Person im Verein.“

386 StLA LReg 206 A012-1936 Graz. 387 Ebd. 388 Ebd.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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Ein weiterer Bericht des GdPKdos Judenburg an die BH Judenburg vom 9. November

1935 (E.Nr. 5037)389 zeigt an, daß der Verein „Deutsche Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur“

noch bestehe und seinen Sitz in Judenburg habe. Der seinerzeitige Obmann „… namens Walter

Raffelsberger [sic!] befindet sich gegenwärtig beim Landesgericht I in Wien wegen Hochverrat

in Haft.“ Obmann sei derzeit der Turnlehrer Ernst Antesberger, Schriftführer der Schuhmacher

Franz Pressnig. Die Ortsgruppe entfalte, außer der Einhebung von Mitgliedsbeiträgen, keine

Tätigkeit. „Vom staatspolizeilichen Standpunkte kann gegen die Tätigkeit des Vereines derma-

len nichts Nachteiliges gesagt werden, zumal Ing. Walter Raffelsberger [sic! …] im Verein

nicht mehr tätig ist. Wohl sind die meisten Mitglieder des Vereines national eingestellt und

dürften auch zum Grossteil für die aufgelöste NSDAP sympathisieren. Ein positiver Beweis in

dieser Hinsicht konnte jedoch bis jetzt nicht erbracht werden.“ 390

Am 21. 7. 1954 fragte das Bundesministerium für Inneres bei der SiD Steiermark an

(Zahl 89.174-4/54), ob dort Unterlagen über den Verein „Deutsche Gemeinschaft für alkohol-

freie Kultur“ vorlägen.391 Der Verein habe sich später auch als „Deutscher Bund zur Bekämp-

fung der Alkoholgefahren“ bezeichnet. Die SiD leitete die Anfrage weiter an die StmLReg, an

die BPolDionen Graz und Leoben sowie an alle Bezirkshauptmannschaften und Exposituren.

Von fast allen angeschriebenen Dienststellen kamen Leermeldungen. Die BPolDion Graz be-

richtete von einem Aktenvermerk aus 1929, wonach der Vereinssitz nach Bad Tatzmannsdorf

verlegt worden sei. Die BPolDion Leoben meldete die behördliche Auflösung der OG 21,

„Glückauf“, vom 8. März 1947, allerdings seien sämtliche Vereinsakten der NS-PolDion vor

dem Einmarsch der Russen durch Feuer vernichtet worden. Die BH Judenburg legte einen Akt

vor. Im Schlußbericht an das BMI vom 10. November 1954, Zahl SD IV-Ver Ge 111/23-1954,

teilte die SiD mit, daß laut Aktenlage der BH Judenburg Ing. Walter Rafelsberger, wohnhaft in

Judenburg, Bahnhofstraße 20, am 23.9.1931 beim Bundestag in Kalwang zum Obmann ge-

wählt worden sei. Der Vereinssitz war daher Judenburg, der vorherige Vereinssitz Graz. Außer

diesem Akt der BH Judenburg gebe es noch eine Karteikarte im Vereinskataster der BPD Graz,

sonst sei nichts vorhanden.

389 StLA LReg 392 A-029/1941 Graz. 390 Aus den verschiedenen Aktenvermerken und Schriftstücken zwischen GdPKdo und BH Judenburg, SiD

Stmk und Bundeskanzleramt läßt sich vermuten, daß es Verwechslungen und Mißverständnisse über den Un-terschied zwischen der OG Judenburg und dem Gesamtverein gab, der ja wegen der Obmannschaft Rafels-bergers ebenfalls seinen Sitz in Judenburg hatte.

391 Das gesamte hier beschriebene Aktenkonvolut, einschließlich des Auflösungsbescheides vom 24. Dezember 1955, stammt aus StLA SiDi De-049/1956, Zell am See.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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Am 24. Dezember 1955 erließ das BMI mit der Zahl 153.684-4/55 einen Bescheid „An

den Verein ‚Deutsche Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur’ zu Hd. d. Kurators Herrn Dr.

Erich Kerck , Wien IX., Währingerstraße 23“, daß der Verein „Deutsche Gemeinschaft für

alkoholfreie Kultur“ mit sämtlichen Zweigvereinen (Ortsgruppen) aufgelöst werde, weil er seit

längerer Zeit keine Tätigkeit mehr ausgeübt habe.

6.5. Zusammenfassung

Der „deutsch-arische“ Standpunkt, wie er auch in den Satzungen der DG verankert war,

war von Anfang an einer der Grundgedanken, die zur Gründung des Vereins führten. Wie aus

den diversen Rückblicken und Zusammenfassungen hervorgeht, war die Lösung von den „in-

ternational verankerten“ Guttemplern und die Schaffung einer auf „völkischem Boden“ stehen-

den alkoholgegnerischen Vereinigung das Motiv zur Gründung. Schon in der Aufnahmeformel,

der „Gemeinschafterverpflichtung“, war als Grund für die Alkoholenthaltsamkeit nicht das

persönliche Gesundheits- und Wohlbefinden der Person, sondern der soziale Gedanke des All-

gemeinwohls verankert, sowohl gegenüber der jetzigen Generation als auch für die Zukunft

zum Wohlbefinden kommender Generationen. Der volksverbindende Charakter kam auch in

der engen Verbundenheit zu den Deutschen in der ČSR zum Tragen, wo ebenfalls, nach Festle-

gung des „deutsch-arischen Standpunktes“, der Zusammenschluß von Guttemplern und Deut-

scher Gemeinschaft erfolgte.392

Die Ansicht, daß Alkoholkonsum eine Art „Volkskrankheit“ darstelle, kam in vielen

Grundsatzartikeln über Wesen und Ziel der DG immer wieder zum Ausdruck. Er wurde als

„gesellschaftliches Übel“ gesehen, als „Seuche“, die es zu bekämpfen gelte, als ein Verstoß

gegen die Sitten, der vor allem das Leben der Familien zerstöre, aber auch das öffentliche Le-

ben beeinträchtige.

Der Anerkennung in der Öffentlichkeit zuträglich war als ein wichtiges Element das gute

Verhältnis zu Bundespräsident Hainisch, der, wie er erklärte, selbst Alkoholgegner war. Ohne

dieses nahe Verhältnis wäre es kaum zum Vereinslokal in der Wiener Hofburg gekommen, und

auch die positiven Äußerungen Hainischs über die Tätigkeit der „Gemeinschaft“ förderten das

Ansehen des Vereins.393 Auch die Aussagen anderer Politiker, die bei Versammlungen Gruß-

392 Siehe Abschnitt 9. „Die Entwicklung in der Tschechoslowakischen Republik“. 393 Siehe u.a. den Bericht über die Zusammenkunft von BP Hainisch mit Kärntner Ortsgruppen im Juni 1925 im

Abschnitt 8. „Ortsgruppen“.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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worte sprachen,394 zeigen, daß der alkoholgegnerische Gedanke und vor allem die dahinterste-

hende sozialhygienische Idee keine Einzelmeinungen waren, daß also die DG in dieser Zeit

nicht als sektiererische Kleinstgruppe gesehen werden konnte. Die wirksamste Verstärkung in

der Sachargumentation ergab sich durch das US-amerikanische Alkoholverbot zwischen 1920

und 1933. Hier war auch die Unterstützung durch amerikanische Alkoholgegner (Hohenthal,

Stuewer) hilfreich. So blieb eine der Hauptforderung über mehrere Jahre die Forderung nach

einem staatlichen Alkoholverbot („Alkoholstaatsverbot“) nach US-amerikanischem Muster.

Durch die maßgeblichen Personen (Stefan Schöck, Hans und Karl Wutschnig, Friedrich

Reinitzer) hatte die DG viele Jahre einen starken Steiermark-Bezug und war auch im zweiten

südösterreichischen Bundesland, in Kärnten, sehr erfolgreich. War es in der Steiermark eher

das Bildungsbürgertum mit Akademikern und Angestellten, so war in Kärnten die Bauernschaft

relativ stark vertreten.395 In der Steiermark gab es insgesamt 15 Ortsgruppen, wovon 10 bis

zum Mai 1922 gegründet waren. Kärnten hatte 25 Ortsgruppen, 16 davon bis Juni 1922 ge-

gründet. Die Vergleichszahlen für Niederösterreich dazu lauten 11, 7 davon bis Mitte 1922;

Oberösterreich 14 und 8, Salzburg 7 und 1 (dort wurden erst zwischen 1925 und 1930 weitere

Gruppen gegründet), Wien hatte insgesamt 12 Ortsgruppen, 6 davon mit einem Gründungsda-

tum bis Mitte 1922. Soweit es aus den Berichten zu entnehmen war, bildeten Akademiker, Leh-

rer und Angestellte das Gros der Mitglieder. Abgesehen von Kärnten spielte die Bauernschaft

kaum eine Rolle, über Arbeiter war überhaupt kein Hinweis vorhanden. Andererseits aber war

der „trinkfreudige Arbeiter“, der seinen Lohn „im Wirtshaus vertrinkt und seine Familie ver-

prügelt“, ein häufiges Thema in jener Zeitschriftenrubrik, die Berichte über die gesellschafts-

schädigende Wirkung des Alkohols veröffentlichte.

Einen weiteren Steiermark-Bezug stellte die DG dadurch her, daß sie sich mehrfach auf

Peter Rosegger berief und von ihm einschlägige Zitate verwendete. Eine von Rosegger verfaßte

„Standrede an die Deutschen“,396 in der er sich heftig gegen den Alkohol und die sog. „Wirts-

hauskultur“ wandte, wurde als Werbeflugblatt eingesetzt und auch der Vereinszeitschrift beige-

legt.

Der sog. „völkische“ Gedanke, der Wunsch nach „Volkswerdung“, erstreckte sich über

die gesamte Bestandsdauer der DG. Immer wieder klang die „Idealvorstellung“ von einer „al-

394 Siehe z.B. die Aussagen des Kärntner Landeshauptmann-Stellvertreters Schumy beim Gemeinschaftertag 1922 und die Zitierung des Wiener Gesundheitsstadtrates Julius Tandler durch Stefan Schöck am Jahresbe-ginn 1927.

395 Siehe z.B. die Ortsgruppe „Vortrupp“ im Gegendtal, die etwa 200 Mitglieder hatte. 396 Beilage zu DG-Zs 2(1924), 12.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

117 / 259

koholfreien völkischen Bewegung“ durch. Die Gestaltung der „Gemeinschaftertage“ sollte dazu

dienen, die Alkoholenthaltsamkeit als Grundwert und darauf fußend eine eigene „alkoholfreie

Kultur“ nicht nur selbst zu leben, sondern damit auch auf die Bevölkerung der Veranstaltungs-

orte auszustrahlen und Beispielwirkung zu geben. Die Begrüßungsabende, die Festversamm-

lungen, die Wiesenfeste und das Laienspiel, fixe Bestandteile der „Gemeinschaftertage“, soll-

ten eine Klammer zwischen dem kleinen Kreis der bewußten Alkoholgegner und dem größeren

Kreis der nächstgelegenen Bevölkerung bilden. Der Ausspruch „Wir werden die Sonne aufge-

hen sehen“, angelehnt an das Vereinsabzeichen mit der aufgehenden Sonne, drückte dieses Zu-

kunftsideal einer zunehmenden Breitenwirkung aus.

Ebenfalls Teil des argumentativen Wortschatzes war Kritik am Kapitalismus, an der In-

dustrie, an großen wirtschaftlichen Strukturen. Wenn immer wieder das „Alkoholkapital“, das

„Braukapital“ als Gegner genannt wurde, so hoffte man damit, eine gesellschaftskritische Posi-

tion zugunsten des „kleinen Mannes“ aufzubauen, der von den „gewinnsüchtigen Kapitalisten“

verführt und ausgebeutet werde. Gerade in den Jahren der Wirtschaftskrise mit ihrer steigenden

Arbeitslosigkeit wurde argumentiert, es sei pure Verschwendung von Volksvermögen, wenn

-zig Tausende Hektoliter Bier importiert und wertvolle Nahrungsmittel in sinnlose „Rauschge-

tränke“ umgewandelt würden. Die Vertreter der Alkoholwirtschaft, die „Schnapsbrenner, Bier-

brauer und Weinhändler“, wären nur an ihrem „Profit“ interessiert, sie übten eine „volksschäd-

liche Tätigkeit“ ohne Rücksicht auf die Schäden aus. Hier fällt auf, daß die Wein- und Obst-

bauern nicht als Teil der Alkoholwirtschaft genannt wurden; im Gegenteil wurde diesen mit

dem Forcieren der Süßmostbereitung ein Tor zur wirtschaftlich ertragreichen Arbeit ohne Al-

kohol geöffnet. Neben dem „Alkoholkapital“ galten auch die vereinsmäßig organisierten „Mä-

ßigen“ als Gegner, denn diese seien „Ableger des internationalen Alkoholkapitals“, das sich nur

„von nackten Geschäftsinteressen“ leiten lasse.

Auf medizinischer Ebene gab es zwei Argumentationslinien: die eine, kleinere, war die

Linie der angenommenen geistigen Beeinträchtigung durch Alkoholkonsum. Hier wurde argu-

mentiert, daß durch Alkoholgenuß die Zahl der „Geistesschwachen“, der „Irren“ zunehme, was

einen erhöhten Pflege- und Betreuungsbedarf durch staatliche Anstalten (Kliniken, Heilanstal-

ten) nach sich ziehe. Die zweite, merklich stärker ins Spiel gebrachte Argumentationslinie, be-

traf die Frage der Erbgesundheit, der Frucht-, Keim- und Erbschäden als Folge von Alkohol.

Hier spielte stark der Wunsch nach einem „gesunden, starken und hochwertigen Volk“ eine

Rolle, es wurde das Absinken in „Leistungsschwäche“, die „Entartung“ als drohende Gefahr

dargestellt. In mehreren Artikeln über „Alkoholismus und dessen Vererbung“, „ Alkohol und

Erbschäden“, „ Alkohol und Nachkommenschaft“ wurde dieses Thema behandelt.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

118 / 259

Die vom 1926 gegründeten „Bund für Volksgesundheit“ begonnene Vorarbeit für ein

Volksbegehren gegen Alkohol, das Sammeln von Unterschriften, war Teil der praktischen Ar-

beit in den Ortsgruppen. Hier bot sich außerhalb der Gemeinschaftertage Gelegenheit, mit

Menschen in Kontakt zu treten und ihnen den Enthaltsamkeitsgedanken nahezubringen. Wenn

Karl Springenschmid dazu im Herbst 1931 schrieb, daß die DG dieses Volksbegehren abge-

lehnt habe, ist dies nicht nachvollziehbar, weil in vielen Ortsgruppenberichten immer wieder

das Sammeln von Unterschriften als Tätigkeit genannt wurde.397

Ab Mitte der 1920er Jahre nahm die Jugendarbeit einen größeren Raum im Gesamtge-

schehen der DG ein. Mit der „Jungschar“ gab es intensiven Kontakt zu Schulen und Schulkin-

dern, mit der „Junggemeinschaft“ wuchs ein Kreis von Personen heran, der innerhalb der „Ge-

meinschaft“ begann, seinen eigenen Weg, seine eigene Gestalt, seine eigene Aufgabe zu fin-

den.398 Hier wurde auch immer wieder Bezug zur Jugendbewegung genommen. Einerseits

wurde darauf verwiesen, daß mehr und mehr Gemeinschafter ihre persönlichen Wurzeln in die-

ser hatten, andererseits sah sich die Jugend, vor allem die Junggemeinschaft, selbst als eine

spezielle Ausformung dieser (völkischen) Jugendbewegung in Österreich an.

Mit dem zunehmenden Anteil der Jugendarbeit in der DG ab etwa 1927 zeigte sich auch

allmählich eine Verschiebung der Themen, der Schwerpunkte, der Argumentationsgewichte.

War bisher die Bekämpfung des Alkoholismus im Vordergrund gestanden, zwar als „völkische

Aufgabe“, aber doch mit dem Schwerpunkt der Enthaltsamkeit und der staatlichen Einschrän-

kung, gewann nunmehr der Gedanke des „Volkes“, der „völkischen Politik“, der „nationalen

Frage“ zunehmend Raum. Ende 1927 legte Schöck die Schriftleitung der Vereinszeitschrift

zurück, beruflich wechselte er später nach Deutschland, und beim Gemeinschaftertag 1929

wurde Walter Rafelsberger zum neuen Bundesobmann gewählt. Bis 1927 war dieser publizis-

tisch nicht in Erscheinung getreten, im September 1927 wurde er als stellvertretender „Schatz-

meister“ (= Kassier) Mitglied der Bundesleitung, im Mai 1928 2. Vorsitzender-Stellvertreter

und beim Gemeinschaftertag im Mai 1929 in Linz Bundesvorsitzender.

Rafelsberger, 19 Jahre jünger als Schöck, brachte sehr bald einen wesentlich radikaleren

und militanteren Zug in die „Gemeinschaft“ ein. Dies ist im Zusammenhang damit zu sehen,

daß ganz allgemein das gesamte politische Leben Österreichs gegen Ende der 1920er Jahre

397 Auf dem Gemeinschaftertag 1927 in Mödling war u.a. ein Antrag gestellt worden, das Volksbegehren durch Unterschriftssammlungen nach Kräften zu unterstützen (5 (1927); 117). Der daraufhin gefaßte Beschluß besagte, daß dies nicht die Hauptaufgabe der Gemeinschaft sei; die Unterstützung werde den Gau- und Orts-gruppen im eigenen Wirkungsbereich und nach eigenem Ermessen überlassen. (5 (1927), 166).

398 Dieses Thema wird ausführlich im Abschnitt 7. „Jugendarbeit“ behandelt.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 6. Vereinsentwicklung

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mehr und mehr radikalisiert wurde, gefördert u. a. durch Wirtschaftskrise, steigende Arbeitslo-

sigkeit und Inflation.399 Die innerparteilichen Gegensätze verschärften sich, breite Bevölke-

rungsschichten fielen in Armut, das Thema „Alkohol“ verschwand aus dem öffentlichen Inte-

resse, und auch die DG wandte sich allgemeinen volkspolitischen Fragen zu. Wenn Rafelsber-

ger schrieb, daß die DG kein Verein gegen den Alkohol sei, sondern für „deutsche Kultur“

kämpfe, daß der Gemeinschafter ein „Kämpfer“ sei, der ein „Lichtkämpfertum“ in sich tragen

müsse, wenn er in seinen Artikeln zunehmend Begriffe verwendete wie „Kampf“, „ innere und

äußere Feinde“, „ Kraft“, „ Sieg“, „ Knechtschaft der Feinde des Volkes“, „ Sendung im Überirdi-

schen“, „ Seuche, die das Lebensmark zerfrißt“, „ Freiheitskampf des deutschen Volkes“,

„Kampfbund“ u.ä., dann änderte er damit drastisch die Stoßrichtung des Vereins. Unter seiner

Leitung wandelte sich die „Deutsche Gemeinschaft“ von einem Verein, der eine größtmögliche

Verbreitung des Abstinenzgedankens anstrebte, zu einer Art „elitärer Kampfgemeinschaft“, die

grundsätzliche Volkstumspolitik betreiben und in einen „deutschen Freiheitskampf“ eingreifen

müsse, die eine „Führerschichte zur Überwindung der Trinksitten“ zu bilden habe.

Diese Politisierung der Vereinstätigkeit, der Wandel von der Alkoholgegnerschaft zu ei-

ner radikal-nationalistisch argumentierenden „Kampfgemeinschaft“ muß im Lichte der Tatsa-

che gesehen werden, daß Rafelsberger 1933 der illegalen NSDAP beitrat, 1934 der SS, laut

Archivakten400 wegen dieser illegalen Tätigkeit 1935 vorübergehend in Haft war und anschlie-

ßend nach Deutschland flüchtete. Einen weiterer Hinweis auf die Rückwärtsentwicklung des

Vereins zeigt die Tatsache, daß ab 1928 die ersten Auflösungen von Ortsgruppen nachgewiesen

sind; bis Mitte 1935 waren 21 von 41 dokumentierten OG-Auflösungen vollzogen.

Abschließend läßt sich sagen, daß die „Deutsche Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur“

nach einem schwungvollen Beginn im Jahre 1920 etwa 5 bis 7 Jahre zunehmend an Gewicht

und Bedeutung gewann, dann noch etwa 2 bis 3 Jahre stagnierte und sich ab 1930 einengte und

auf eine „elitäre Minderheit“ schrumpfte. Politisch wandte sie sich mehr und mehr der illegalen

NSDAP zu, eine Entwicklung, die vom Bundesobmann Rafelsberger offensichtlich gewünscht

und gefördert wurde.

399 Zur Frage der politischen Radikalisierung Österreichs siehe Abschnitt 3, „Das politisch-ideologische Um-feld“.

400 StLA LReg 392 A-029/1941 Graz.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

120 / 259

7. Jugendarbeit

In der Jugendarbeit, die ein wichtiges Element der Aufklärungstätigkeit der DG bildete,

war die Verbindung zur Jugendbewegung, speziell zum Wandervogel, am stärksten erkennbar.

So wurde schon in der „Südmark“ vom September 1921 in einem Bericht über eine Arbeitsta-

gung in Klagenfurt von einer Besprechung mit deutschen Jugendgemeinschaftern geschrieben,

welche „… die strengsten Enthaltsamkeitsgrundsätze auch den deutschen Brüdern jenseits der

Grenzpfähle …“401 begreiflich machen sollte. Im Folgejahr hieß es: „Die Villacher Gruppe

„Bergland“ hat ihre Jugendgruppe ausgebaut und wirbt auch unter der Landjugend der Um-

gebung. Auch in anderen Orten arbeiten die Gemeinschafter in enger Freundschaft mit den

verschiedenen Verbänden der Jugendbewegung (wie Wandervogel, Sturmvolk, Treuvolk,402

Neupfadfinder usw.).“ 403

7.1. Selbstverständnis, Bezug zur Jugendbewegung

Grundsätzliches über die Jugendbewegung und die Verbindung zu dieser kam wenig spä-

ter zum Ausdruck. In einer umfassenden Darstellung über das Beziehungsgeflecht zu Bünden

der Jugendbewegung und zwischen diesen wird erwähnt, daß etliche Führungspersönlichkeiten

der DG ihre geistigen Wurzeln in der Jugendbewegung hätten. ( � Anhang Dokumentationen).

Im Rahmen der Hauptversammlung („Gemeinschaftertag“) vom September 1922 kam es

am Nachmittag des 9. September (Samstag) zu einer „Beratung über das Jugendwerk“, an der

auch Junggemeinschafter teilnahmen. „Zweck der Beratung war, zu erfahren, wie weit sich die

Ortsgruppen in den einzelnen Ländern mit der Jugendarbeit befaßt und welche Erfahrungen sie

dabei gemacht haben, um dann Richtlinien für die künftige Arbeit aufstellen zu können. Die

Berichte, die […] erstattet wurden, waren sehr lehrreich. Sie zeigten, daß in allen Ländern

enthaltsame Gruppen von Jugendlichen bestehen, die zum Teil durch die Arbeit der Ortsgrup-

pen, noch mehr aber durch die deutsche Jugendbewegung entstanden sind, die ja durch diesel-

ben Triebkräfte gefördert wird, wie die Gemeinschaft. […]“ Schließlich wurden die Grundzüge

der Jugendarbeit, des sog. „Jugendwerkes“ festgelegt. ( � Anhang Dokumentationen).

401 „Südmark“, 2 (1921), 246. 402 Siehe Anmerkungen dazu im Kapitel 7.6 „Zusammenfassung“. 403 „Südmark“, 3 (1922), 210.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

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7.2. Jugendbezogene Grundsätze, Ziele, Aktivitäten

Im März 1923 veranstaltete die Ortsgruppe Salzburg gemeinsam mit dem Salzburger

„Verband enthaltsamer Lehrer“ in Werfen (Bez. St.Johann/Pongau) eine Tagung für alkohol-

freie Jugenderziehung. „Am ersten Tage (Samstag, den 10. März) wurden die Kinder der drei

oberen Klassen der Volksschulen Werfen, Pfarrwerfen und Werfenweng […] durch die […]

beigestellte Ausstellung gegen den Alkoholismus […] geführt. Hier hielt Fachlehrer Springen-

schmid unermüdlich von 8 Uhr früh bis gegen 2 Uhr nachmittags Führungsvorträge für die

Kleinen.“404

Im Rahmen des 6. österreichischen Alkoholgegnertages vom 19. bis 21. Mai 1923 in

Wien wurde die Alkoholfrage und ihre Behandlung im Schulunterricht thematisiert. Ein Profes-

sor Smola sprach über „Alkohol und Lehrerbildung“, ein Dr. Longo über „Alkohol und Mittel-

schule“. „ Auch Vertreter der Jugendbewegung kamen zu Wort: Wandervogel, Stürmende Ju-

gend, Sozialistische Jugend, Guttemplerjugend. Die Entschließungen dieses Vormittags, die,

wie alle Entschließungen, einstimmig angenommen wurden, verlangen die Einrichtung eines

Unterrichtes über die Alkoholfrage in allen Schulen, besonders an den Bildungsanstalten für

Volksschullehrer und an den Universitäten für Mittelschul-Lehramtsanwärter. Weiter verlan-

gen sie, daß das Gesetz über die Einschränkung der Alkoholverabreichung an Jugendliche

wirksam durchgeführt werde.“ 405

Über die Zusammenarbeit mit dem „Verband enthaltsamer Lehrer“ im Bereich der Ju-

gendarbeit wurde weiters im Juli 1923 berichtet, daß Salzburger Gemeinschafter „… gemein-

sam mit der Landesgruppe Salzburg des Verbandes enthaltsamer Lehrer über Einladung der

zuständigen Schulleitung am 7. und 8. Juli 1923 in Saalfelden eine Tagung für alkoholfreie

Jugenderziehung [abhielten], die trotz der vorgeschrittenen Jahreszeit und des prächtigen Wet-

ters einen schönen Verlauf nahm. Am ersten Tag […] wurden sämtliche Schulkinder des Ortes

[…] meist mit ihren Lehrern, durch die […] aufgestellte Ausstellung gegen den Alkoholismus

geleitet, wobei der Obmann der Landesgruppe Salzburg des Verbandes enthaltsamer Lehrer,

unser B.-Br. [d. i. Bundesbruder] Fachlehrer Karl Springenschmid […] die Führung und Er-

klärung besorgte. Wir hoffen, es ist da manches Saatkorn auf guten Boden gefallen und wird,

404 ebd., 4 (1923), 252. 405 „Südmark“, 4 (1923), 412.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

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gehegt und gepflegt von für unsere Sache begeisterten Lehrern und Volkserziehern, auch

Früchte tragen.“ 406

Im September 1924 berichtete der Leiter der Jugendarbeit, Karl Springenschmid, über Er-

folge des „Goldenen Buches“.407 So seien bisher mindestens 902 Kinder an verschiedenen

Schulen in ein solches eingeschrieben, wahrscheinlich mehr, da von etlichen Schulen noch kei-

ne Zahlen gemeldet worden seien. Der Weg zur Eintragung in ein „Goldenes Buch“ führe meist

über einen Elternabend an der Schule, bei welchem ein Redner aus den Ortsgruppen der DG

über die Alkoholfrage spreche. „Mit großem Vergnügen habe ich dabei beobachtet, wie beide

Teile, die ‚Goldene-Buch-Jugend’ und die Ortsgruppen, gewonnen haben; denn durch die Ar-

beit mit der Jugend blies in das papierene Nacheinander von Vorträgen, Leseabenden und Ver-

einssitzungen bei mancher Ortsgruppe ein frischer Wind hinein. […]

Damit hat sich das ‚Goldene Buch’, wie schon vor dem Kriege, als eine einfache, zweck-

mäßige Einrichtung bewährt, die Jugend ohne vereinsmäßige Bindung in kindertümlicher

Form von der Schule aus an ein alkoholfreies Leben zu gewöhnen. Wenn auch nur ein Teil der

‚Goldenen-Buch-Kinder’ für das ganze Leben enthaltsam bleiben würde, so wäre es doch auch

für die übrigen ein dauernder Gewinn, in den Jahren der körperlichen und geistigen Entwick-

lung den Alkoholgenuß vermieden zu haben.“ 408

Bei einer Versammlung eines sog. „Badischen Jugendbundes“ in Karlsruhe im Juni 1924

wurde eine Entschließung folgenden Inhaltes angenommen: „… ‚Wir erwarten von allen älte-

ren Bündlern einschließlich ihrer Leiter, daß sie sich von Alkohol und Nikotin völlig enthalten.’

Das ist ein entscheidender Schritt auf dem Weg des Bundes deutscher Jugendvereine zur Absti-

nenz. Es wird nicht mehr lange dauern, bis die ganze deutsche Jugendbewegung zur Alko-

hol- und Nikotinenthaltung gelangt sein wird. (In Oesterreich ist dies bereits seit langem der

Fall.)“ 409

Für den „Gemeinschaftertag“ zu Pfingsten (31.5.-1.6. 1925) in Spittal/Drau wurde ein

Wettbewerb zur Gestaltung von „Goldenen Büchern“ ausgeschrieben, und aus Hermannstadt410

(Siebenbürgen-Rumänien) kam von einem Lehrer Simon Schwarz ein Bericht über ein „Golde-

406 ebd., 454. 407 2 (1924), 94f. 408 Ebd. 409 2 (1924), 97. 410 So wie im Kapitel über das Geschehen in der ČSR verwende ich auch hier, bei Berichten aus Ost- und Süd-

osteuropa, dem Originaltext entsprechend die deutschen Ortsnamen. Die heute geltenden Ortsnamen in der

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

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nes Buch“, in welchem 93 Kinder eingeschrieben seien.411 Ebenfalls aus Anlaß des kommen-

den Gemeinschaftertages in Spittal/Drau rief Hans Wutschnig die Gemeinschafter auf, als Zei-

chen der Einsatzbereitschaft mit Wimpeln zur Tagung zu kommen. ( � Anhang Dokumentatio-

nen).

Mit diesem Aufruf wollte der Verfasser offensichtlich Anklänge an die Wander- und Ju-

gendbewegung aufleben lassen, in der der Wimpel als Zeichen einer Gruppe identitätsstiftend

war. Damit sollte eine Gefühlsebene angesprochen werden, um ein nach außen wirkendes

„Wir-Gefühl“ zu erzeugen und Geschlossenheit der auftretenden Gruppe zu symbolisieren.

In einem längeren Artikel in der Vereinszeitschrift412 äußerte Springenschmid grundsätz-

liche Gedanken über die Ziele des Vereins und speziell der Jugendarbeit: „Unser Name [… sagt

deutlich …,] was wir wollen: Die alkoholfreie Kultur. Die Jugend ist mit dem bloß negativen

Enthalten von Alkohol nicht zufrieden. Sie will positive Formen einer neuen Kultur ohne Alko-

hol sehen: Das ist unsere Art, Feste zu feiern, zu wandern, […] unser Sinn für gesunde Lebens-

haltung, Sport, unsere Freude am guten Buch, am geistigen Miterleben der Gegenwart.

[…] Wir haben durch mehrere hundert Gemeinschafterlehrer Verbindung mit allen Schu-

len, von der Volksschule bis zur Hochschule. Dieser Kreis pädagogisch gebildeter und erfahre-

ner Menschen bewahrt unsere Jugendarbeit vor Entgleisungen.

[…] Für sehr wichtig halte ich, daß wir viele Fü rsorger i nnen in unsere Reihen be-

kommen. Eine gute Fürsorgerin ist ein Segen für ihren Bezirk. Sie kann die enthaltsame Le-

bensauffassung verbreiten, […] wenn das Elend, das sie täglich erlebt, in ihr lebendige, soziale

Gesinnung weckt.“

Und über Junggemeinschafter schreibt er: „Die Junggemeinschafter bilden die Zwischen-

stufe zwischen den Kindergruppen und den Älterengruppen. […] Sind die jungen Leute in ir-

gend einem Bund der Jugendbewegung, so haben wir keinen Ehrgeiz, sie dort zu lösen.. […]

Sind aber genug junge Leute da, mit eigenem Sinnen und Trachten, dann wird sich eine Jung-

gemeinschaft formen. Solche Junggemeinschaften bestehen bereits in Steyr, Wels, Freistadt,

Linz, Mauthausen, Graz, Leoben, Spittal, Einöd, Wien und Traiskirchen. Aufgabe dieser Grup-

pen ist es, das Verantwortungsbewußtsein dem Elend und der Not des Volkes gegenüber zu

Landessprache stehen in der Übersetzungstabelle im Abschnitt 9. „Die Entwicklung in der Tschechoslowaki-schen Republik“.

411 vgl. 3 (1925), 25. 412 ebd., 125-130.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

124 / 259

wecken. Der sittlichen Pflicht sozialer Hilfe […] kommen die Junggemeinschafter durch ihre

Enthaltsamkeit nach, die der Ursprung positiver Arbeit gegen den Alkohol ist.“

Zu einer kritischeren Betrachtung und mehr Distanz kommt ein weiterer Artikel in der-

selben Zeitschrift unter der Überschrift „Gemeinschaft und Jugendbewegung“.413 Hier wird u.a.

von einer Versammlung („Kundenkonvent“) mehrerer Jugendbünde auf einer nicht näher be-

schriebenen „Sachsenburg“ im Jahre 1910 berichtet414, wo als einer der wenigen, von allen

Gruppen bejahten, Grundsätze beschlossen worden sei: „Genußgifte zu meiden ist uns selbst-

verständliche Pflicht.“ Und weiter wird gesagt, daß die „Gemeinschaft“ sich nicht bemühen

solle, Menschen aus der Jugendbewegung bei sich einzugliedern, sondern mit den Bünden „gu-

te Nachbarschaft“ halten. ( � Anhang Dokumentationen).

Eine Tabelle über den Stand des Jugendwerkes aus dem Jahre 1925415 nennt 19 Ortsgrup-

pen, in denen zusammen 36 Jugendgruppen mit 1041 Junggemeinschaftern bestanden hätten.

Das März-Heft 1926 der Vereinszeitschrift widmete sich unter dem Titel „Sonderheft des

Gaues Niederösterreich“ der Vereinsgeschichte in diesem Bundesland. Unter anderem wird

auch hier der Bezug zur Jugendbewegung, vor allem in der Frühzeit des Vereins, hergestellt.

Zur Geschichte der Ortsgruppe Nr. 2, „Jungborn“, heißt es: „In langsamer und zäher Arbeit

wuchs die Gemeinschaft in diesem so wie in den anderen Ländern heran. In Wien war für das

Wachstum unserer Bewegung von großer Bedeutung, daß sich ein erheblicher Teil der aus der

Jugendbewegung hervorgegangenen Menschen uns anschloß.“416

Zwei Monate später, in einem Aufruf zum Bundestag in Salzburg, wird der „Gemein-

schafter“ als Mensch in folgender Weise typisiert: „Der Gemeinschafter ist etwas anderes als

der ‚Abstinenzler’ oder der ‚Anti’. Sein äußerer Mensch ist von der Jugendbewegung bestimmt

[…] . Seine Haltung und Kleidung, seine Art, den Körper zu pflegen, sich zu nähren, sein Heim

zu gestalten, seine Familienfreudigkeit, seine Auffassung von Geselligkeit, seine Feste und Fei-

ern, seine Lieder und Spiele, kurzum, der ganze äußere Mensch ist ein Erbe der Jugendbewe-

gung. […] Die Not erzeugt in ihm das Bewußtsein höchster Verantwortung. […] Der Gemein-

schafter ist daher ein durch und durch sozialer Mensch.“ 417

413 3 (1925), 130-131. 414 Siehe Abschn. 5, „Lebensreform und Jugendbewegung“, Kap. 5.2.5 „Bündnisse, Gemeinsamkeiten“. 415 3 (1925), 133. 416 4 (1926), 25f. 417 ebd., 65.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

125 / 259

Ein Artikel in der Vereinszeitung vom Juni 1927 mit dem Titel „Die deutsche Jugend und

die Trinksitten“ 418 spannt einen erzählerischen Bogen von Tacitus und seinen Berichten über

trinkfreudige Germanen über die ersten Universitäten und die Trinkbräuche der Studenten-

schaft bis zum „Freideutschen Jugendtag“ 1913 auf dem „Hohen Meißner“. Hier bezieht sich

der Autor konkret auf Zusammenhänge zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung

und vertritt die Ansicht, daß die Jugendbewegung im Glase Bier und Wein das Sinnbild eines

Zeitalters sehe, das sie ablehnt. ( � Anhang Dokumentationen).

Für den Gemeinschaftertag 1927 in Mödling (2.-4. September) wurde erstmals neben der

eigentlichen Vereinstagung ein eigener Junggemeinschaftertag angekündigt.419 „Diese erste

allgemeine Tagung der Junggemeinschaft soll zunächst die in den einzelnen Ländern sehr ver-

schiedenen Formen klarlegen, über die wesentlichen Grundlagen sich aussprechen und daraus

zu einer Gesamtauffassung über die Junggemeinschaft kommen.“ Bewußt sollte diese Jugend-

tagung „… nicht die Form der Gemeinschaftertage kopieren, sondern aus eigenem Wollen her-

aus auch die eigene Form finden. Die unbedingte Treue zum Gemeinschaftergedanken wird

sich an der Teilnahme bei den eindrucksvollsten Kundgebungen des Bundestages – [… u.a.]

Fackelzug, Morgenfeier, Festversammlung und Volksfest – äußern.“

Dieser Junggemeinschaftertag fand nicht in Mödling, sondern im nahegelegenen Schloß

Laxenburg420 statt. Die Teilnahme an dieser Tagung sollte laut Ausschreibung Vorrang vor der

Teilnahme am allgemeinen Gemeinschaftertag haben. Auch der Kontakt zu anderen Jugend-

bünden wurde gepflegt, denn „… ferners [sic!] werden wir befreundete Bünde (Wandervogel,

Treuvolk usw.) zu gewissen allgemeinen Veranstaltungen einladen, um die Fühlung mit diesen

wertvollen Kreisen zu erweitern.“

Im Herbst 1927 nahm Springenschmid als Leiter der Jugendarbeit in der DG vom 13. bis

zum 27. November in Berlin an einem „Kongreß für alkoholfreie Jugenderziehung“ teil. In

einem ausführlichen Bericht421 schrieb er zunächst von der Arbeit der dortigen alkoholgegneri-

schen Vereinigungen, die engen Kontakt untereinander pflegten und von einer staatlichen Stel-

le, der „Reichshauptstelle gegen den Alkoholismus“, finanziell stark unterstützt würden. Ab-

schließend zitierte er eine Entschließung, die dort gefaßt worden sei. Die wesentlichsten Punkte

418 5 (1927), 91. 419 ebd., 107f. 420 Schloß Laxenburg, etwa 20 km südlich von Wien im Bezirk Mödling gelegen, war neben Schönbrunn der

wichtigste Sommersitz der Habsburger. Es ist durch den daran angrenzenden weitläufigen Schloßpark mit der zu besichtigenden Franzensburg bekannt und ein beliebtes Ausflugsziel. ( � Internet-Quellen „Laxen-burg“)

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

126 / 259

daraus waren die Feststellung, daß die Teilnehmer der Tagung aus allen politischen und welt-

anschaulichen Richtungen stammten, die Forderung nach einem verbesserten Jugendschutz in

einem neugeschaffenen „Reichsschankstättengesetz“, konkret den Ausschank alkoholischer

Getränke an Jugendliche erst nach dem vollendeten 18. Lebensjahr zuzulassen, das Verbot von

Alkoholausschank an Sport- und Spielplätzen, das Verbot von Alkoholausschank bei Festen, an

denen Jugendliche beteiligt seien, und Parteienstellung für die Jugendämter bei der Vergabe

von Schankbewilligungen.

In einem Aufsatz über das „… Wesen der Deutschen Gemeinschaft“ bezog sich der Au-

tor, Walter Rafelsberger, auf den Ursprung in der Jugendbewegung: „Wie schon angedeutet,

stammen die Gemeinschafter zum großen Teil aus der Jugendbewegung. Diejenigen unter uns,

die selbst nicht aus der Jugendbewegung kommen, sind doch in der Deutschen Gemeinschaft in

gewissem Sinne jugendbewegt geworden. Wir können und wollen diese Herkunft und Tatsache

nicht verleugnen: Aus ihr wird unsere Bewegung, stets erneut, treibende Kräfte gewinnen.“ 422

Im Jännerheft 1929 äußerte sich Karl Springenschmid über das langsamere Wachstum

der DG, über ihre Herkunft und über künftige Aufgaben: „Die Gemeinschaft hat […] den Men-

schen der österreichischen Jugendbewegung in den wirren Jahren nach dem Kriege ein deutli-

ches Ziel und einen klaren Weg zu Arbeit im Volke ausgedrückt. […]

Das Aelterenwerk der österreichischen Jugendbewegung erhielt damit eine eindeutige

Richtung zu alkoholgegnerischer Arbeit. Im Reich423 war die Entwicklung anders. Die Jugend-

bewegung stärkte wohl da und dort schon vorhandene Abstinenzvereine […] , aber dieses ge-

schlossene Einschwenken ins Lager der Abstinenz gab es draußen nicht. Daher kommt es, daß

unsere Gemeinschaft im Reich eigentlich nichts Aehnliches findet […].“ 424

Einige Monate später wurde nochmals auf die zwar inhaltlich gleiche, in Organisation

und Aktivitäten jedoch unterschiedliche Ausrichtung von Jungschar425, Junggemeinschaft und

Deutscher Gemeinschaft verwiesen. So seien beide, Jungschar und Junggemeinschaft, nicht das

„Jugendwerk der Gemeinschaft“, wie es z. B. die „Kinderfreunde“ bei den Sozialdemokraten

seien. Die Jungschar habe sich zu einer eigenständigen Bewegung an den Schulen entwickelt,

zu der die DG den Anstoß gegeben habe. Die Junggemeinschaft sei beim Bundestag 1927 in

421 5 (1927), 181-184. 422 6 (1928), 4; 4-5. 423 d.i. das Deutsche Reich. 424 7 (1929), 1. 425 siehe unten, Kapitel 7.4.1. „Jungschar“.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

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Mödling noch „… ein Anhängsel an die Gemeinschaft …“ gewesen, habe sich bei einem

„Junggemeinschaftertag“ 1928 in Admont schon eigenständiger entwickelt und suche nunmehr

in Auseinandersetzung mit dem Wandervogel und anderen Jugendbünden ihre eigene, selb-

ständige Stellung in der österreichischen Jugendbewegung. Es gebe eigene „Führerschulen“,

und der diesjährige „Junggemeinschaftertag“ (1929) in Ottensheim drücke durch die räumliche

Entfernung vom „Gemeinschaftertag“ in Linz noch stärker die eigene Ausrichtung aus. Die

Jugend trete „ … in voller Selbständigkeit [… zusammen] zur Besinnung über Aufgabe und

Arbeit, [sei aber] andererseits im frohen Pfingstfest der Gemeinschaft selbst in Treue verbun-

den.“ 426

Zeitgleich mit dem „Gemeinschaftertag“ zu Pfingsten (7.-9. Juni) 1930 in Klagenfurt

hielt die Junggemeinschaft einen eigenen Bundestag auf Schloß Drasing427 ab. In der Zeit-

schrift428 erschienen ausführliche Berichte darüber, die verschiedene grundsätzliche Gedanken

über künftige Arbeiten und Aufgaben enthielten. So schrieb z.B. der Bundesobmann Walter

Rafelsberger: „Beim Bundestag zu Drasing ist die ganze Gemeinschaft unter dem Eindruck

eines bündischen Erlebnisses gestanden. Der alte Kampfessinn der Gemeinschafter und das

bündische Leben der Jungen vereinten sich zu einem einzigen Bund ‚Gemeinschaft’. Wir glau-

ben, daß das, was in Drasing erlebt und geschaffen wurde, für alle Gemeinschafter gilt.“429

In einer Zusammenstellung von „Gedanken über den Bundestag“ äußerte der Verfasser,

Karl Springenschmid, u.a. Gedanken über das Verhältnis von „Bund“ zu „Verein“, über Zu-

kunftsgestaltung, über eigenverantwortliches Handeln Jugendlicher, über die Abnabelung von

Elternhaus und älteren Leitbildern: „Wir brauchen aber den ganzen Menschen und müssen

ihm daher alles sein. Das heißt nun nicht ‚alles bieten’ im Sinne einer blinden Veranstaltungs-

wut. ‚Alles bieten’ heißt, daß jeder von uns ganz für die Gemeinschaft lebt. Dies ist eine wichti-

ge Erkenntnis: Wi r s ind e iner dem anderen ve ran twor t l i ch . “430 Und weiter unten:

„Wir können seit Drasing nicht mehr von einer ‚Stellung zur Gemeinschaft’ reden; denn wir

sind heute die Gemeinschaft. Wenn wir ‚Bund’ sagen, so meinen wir damit alles, was sich zu

unserer Idee bekennt. Die Unterscheidung von Junggemeinschaft und Gemeinschaft bedeutet

nur einen Unterschied in der Arbeitsweise: Das bündische Leben der Jungen, die stärker be-

tonte Alkoholgegnerschaft der Aelteren, die in Beruf und Familie stehen. Der Aufstieg führt von

426 7 (1929), 40f. 427 Bei Krumpendorf am Nordufer des Wörthersees gelegen. 428 „Junggemeinschaft“, Sommer 1930, Heft 10. 429 Ebd., 2. Umschlagblatt innen. 430 Ebd., 124.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

128 / 259

einem allgemeinen, ganzen Leben als Junggemeinschafter zu bewußter Einengung aller Arbeit

auf den alkoholgegnerischen Kampf als Gemeinschafter.“431

Im Spätsommer 1930 gab es einen Bericht über Entwicklungen in der Jugendbewegung

in Deutschland.432 Einleitend hieß es: „Die Gemeinschaft ist durch ihre geistige Haltung und

durch viele ihrer Menschen der Jugendbewegung eng verbunden. Über ihre Aufgabe innerhalb

der Jugendbewegung Österreichs wird in einem der nächsten Hefte berichtet. Unser Blatt will

seine Leser über die wesentlichsten Vorgänge in der österreichischen und reichsdeutschen Ju-

gendbewegung fortlaufend unterrichten.“ Daran schloß sich ein ganzseitiger Bericht über einen

Zusammenschluß von „Deutscher Freischar, Bund der Wandervögel und Pfadfinder“ mit dem

„Großdeutschen Jugendbund“. Führer der neuen Gruppierung sei ein Admiral von Trotha, bis-

her Führer des letztgenannten Bundes. Im weiteren wird dann die Sorge ausgedrückt, daß durch

eine zentral und straff organisierte, auf einen Führer ausgerichtete Organisation der bündische

Gedanke der Jugendbewegung verlorengehen könne, daß politisches Ziel Vorrang bekomme

vor der freien Entfaltung der Persönlichkeit. „Wir fürchten, daß durch diese politische Gleich-

richtung das wertvollste Gut, das die deutsche Jugendbewegung sich geschaffen hat, das Recht

der freien Selbstbestimmung, verloren geht und daß jene dann recht behalten die in diesem

Zusammenschluß das Ende eines der aussichtsreichsten Bünde der selbständigen deutschen

Jugendbewegung sehen. […] …, so beobachten wir, die wir an eine Neugestaltung des deut-

schen Lebens aus dem Geiste der Jugendbewegung glauben, doch mit Sorge die Entwicklung

des bündischen Lebens im Reiche.“

Im Oktober 1930 richtete die DG eine Umfrage an etwa vierzig Jugendbünde und Ju-

gendorganisationen Österreichs über ihre Stellung zur Alkoholfrage433. Geantwortet haben u. a.

der „Österreichische Wandervogel, die „Adler und Falken“434, die „Deutsche Freischar“, der

katholische Bund „Neuland“, die evangelische Jugend „Kreuzfahrer“, der „Österreichische

Pfadfinderbund“, der „Deutsche Schulverein Südmark“, der „Deutsche Turnerbund“, die

„Christlich-deutsche Turnerschaft“, der „Askö“ (Arbeiterbund für Sport und Körperkultur in

Österreich), der „Deutsche und österreichische Alpenverein“, der „Jugendbund Don Bosco“,

die „Hitlerjugend“, die „Roten Falken“, das „Jugendrotkreuz“ und die „Freie Schule Kinder-

freunde“.

431 Ebd., 125f. 432 8 (1930), 81. 433 Ebd., 89-100. 434 Siehe Anmerkungen dazu im Kapitel 7.6. „Zusammenfassung“.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

129 / 259

Die Ergebnisse wurden so gedeutet, daß „... die bündische Jugend geschlossen hinter den

Bestrebungen der DG stehe“. ( � Anhang Dokumentationen).

Im Oktober 1930 wurde wieder über die Jugendbewegung in Deutschland berichtet:435

Auf einer „Marburger436 Führertagung“437 sei festgestellt worden, daß die „heutige Jugend

nicht mehr in Bewegung, sondern nur ein ‚Zustand’ sei“. Der Kommentator meinte dazu: „Es

scheinen da sehr geruhsame Herren beisammen gesessen zu sein, die vermutlich schon selbst

sehr weit von der eigentlichen Jugend entfernt waren. Sie hätten sonst spüren müssen, daß die

Jugendbewegung heute lebendiger ist als je.“ Weiters wurde über die Einigungsbestrebungen

verschiedener Bünde berichtet, zu denen es abschließend hieß: „Wir stehen auf dem Stand-

punkt, daß alle Einheitsbestrebungen daran scheitern, daß kein echter Bund die Gefahr der

großen Zahl überwinden kann. Viel besser und wesensgemäßer sind daher Freundschaftsbün-

de, die das Leben der einzelnen Gruppen nicht antasten …..“

In den Weihnachtsferien des Jahres 1930 veranstaltete die „Junggemeinschaft“ ein Win-

terlager in Wagrain (Bez. St.Johann/Pongau, Land Salzburg). Laut Bericht438 hatten 62 Perso-

nen daran teilgenommen. An einigen Abenden wurde der Dorfbevölkerung in einem Gasthaus

mit Singabenden, Puppenspiel und heiteren Sketches ein Kultur- und Unterhaltungsprogramm

geboten. In einer Aussprache unter den Teilnehmern wurde als besonders wichtig erachtet, „….

daß jeder Führer mehr als bisher auf die Schulung seiner Gruppe in der Alkoholfrage Gewicht

zu legen habe. Es ist unbedingt notwendig, daß jede Gruppe eine treue verläßliche Kämpfer-

schar bildet, die jederzeit bereit ist, nicht nur durch den guten Willen, sondern auch durch die

Ta t ihre Liebe und Treue zu unserem Bunde zu beweisen.“

In einem längeren Artikel unter der Überschrift „Alkohol und Jugend“ 439 befaßte sich der

Verfasser, Dr. Heinrich Reichel, mit den Gefahren, die seiner Ansicht nach der Alkohol und

andere Rauschgifte für die geistige und seelische Entwicklung junger Menschen bedeutete.

„Um der Jugend, um des Wachstums, des ge i s t igen Wachstum willen soll das Rauschgift

verbannt werden, nicht allein bei der Jugend, sondern beim ganzen Volke.“ Und weiter unten

hieß es dann: „Und in einem Punkte der Erkennung des Rauschgiftes als eines Hemmnisses

jeden wahrhaften Wachstums, in der einmütigen Ablehnung des Alkoholgenusses hat die Ju-

gendbewegung ihren gu ten Geist glänzend bewährt. Alkoholfreiheit ist ihr Se lbs t ver -

435 8 (1930), 101f. 436 Marburg/Lahn (Hessen). 437 Siehe Abschn. 5, „Lebensreform und Jugendbewegung“, Kap. 5.2.5 „Bündnisse, Gemeinsamkeiten“. 438 9 (1931), 15f.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

130 / 259

s tänd l i chke i t , Voraussetzung jeder anderen Freiheit und jeder Entfaltung der inneren

Kräfte.“

Ein Aufsatz Karl Springenschmids im selben Heft der Vereinszeitschrift, den er unter den

Titel „Junggemeinschafter an den Mittelschulen“440 stellte, zeigte einen allmählichen Wandel

in der Zielrichtung vor allem der Junggemeinschafter. Er wandte den Blick von der ursprüngli-

chen Bekämpfung des Alkoholismus weg und hin zu allgemeinen, national- und volkspoliti-

schen Beweggründen. ( � Anhang Dokumentationen).

Für Pfingsten (23.-25. Mai) 1931 wurde ein eigener Bundestag der Junggemeinschaft

nach Schloß Tantalier441 bei Radstadt einberufen. Die Hauptpunkte des Programmes waren eine

Bilderausstellung mit Fotos und Zeichnungen, ein morgendlicher Gottesdienst, verschiedene

sportliche Wettkämpfe, ein Geländespiel, Aussprachen über Ziele und Arbeitsweise der Jung-

gemeinschaft sowie ein abendliches Festspiel beim „Bundesfeuer“.442 An Neuerungen für die

Jugendarbeit wurde bei dieser Tagung ein eigenes „Führerabzeichen“ der Junggemeinschaft

geschaffen: Eine aufgehende silberne Sonne im blauen Feld (statt der goldenen Sonne des all-

gemeinen Vereinsabzeichens). Weiters wurde die Schaffung einer eigenen Zeitschrift, der

„Junggemeinschaft“, und ein neu eingeführtes Junggemeinschafter-Amt in Salzburg angekün-

digt.443

Im Sommer 1931 entwickelte sich ein kurzer Disput zwischen der DG und dem „Öster-

reichischen Wandervogel“ über die Frage, welche Ziele im Lichte der politischen Lage anzu-

streben, welche Aktivitäten zu verstärken seien. Der (ungenannte) Verfasser eines Artikels im

Augustheft der Vereinszeitschrift über „Die Aufgabe der Junggemeinschaft in der bündischen

Jugend Österreichs“ 444 stellt einleitend Unterschiede in der Entwicklung der Jugendbewegung

in Österreich und in Deutschland fest. Der Krieg habe in Deutschland eine bereits entwickelte

Bewegung getroffen, die sich in Österreich aber erst kurz davor (1911) manifestiert hatte. So

sei die Bewegung in Deutschland nach Kriegsende von den aufkommenden divergierenden

Ideologien und politischen Kräften erfaßt und aufgespalten worden, in Österreich aber homo-

439 Ebd., 17ff. 440 9 (1931), 21 ff. 441 Hier wird es „Tantalier“ geschrieben, in diversen Internet-Auftritten heißt es „Tandalier“:

„Schloß Tandalier ist ein Jugendheim in der Pongauer Stadt Radstadt. Es entstand aus einem seit dem 15. Jhd. nachweisbaren Bauernhaus, das 1569 in ein unbefestigtes Renaissanceschloss umgebaut wurde. 1926 kam es in staatlichen Besitz und wurde als Jugendheim eingerichtet.“ ( � Internet-Quellen „Tandalier“)

442 9 (1931), 43. 443 9 (1931), 54.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

131 / 259

gener geblieben. Andererseits seien praktische Ideen der Jugendbewegung wie z.B. das Ju-

gendherbergswesen, die Wanderorganisationen, Singvereinigungen und Laienspielgruppen auf

breiter Front umgesetzt und faktisch Allgemeingut geworden. „Vor dem Krieg wirkte der Wan-

dervogel im Reich wie ein Keimstoff, der die gesamte Masse der deutschen Jugend durchsetzen

konnte, weil er alle politischen, religiösen und sozialen Triebkräfte in sich barg.“ Dahingegen

habe sich der Wandervogel in Österreich zu einer „bürgerlichen Angelegenheit eingeengt“, als

Bund, der auf reine Kulturarbeit eingestellt sei. Auf die politischen, religiösen und sozialen

Fragen der Zeit habe er keine Antworten: „… und die soziale Frage kam bei der durchaus aris-

tokratischen Grundhaltung, die der Vorkriegstradition entspricht, überhaupt nicht zum Durch-

bruch.“ Daraus leitet der Autor ab, daß die Zeit am Wandervogel vorbeigehe.

Es fehle ein jugendbewegter Bund, der politisch denke, der eine „… eindeutige, klare, ös-

terreichische Politik betreiben würde.“ Leider sehe die österreichische Jugendbewegung

„…vor lauter Großdeutschlandarbeit die naheliegenden österreichischen Aufgaben nicht…“

Anstatt politisch neutral zu bleiben, hätte sich die „bündische Jugend“ vielleicht besser in die

Politik der „Heimwehr“ einbringen müssen. Am schwersten sei es ihr gefallen, die sozialen

Probleme der Zeit aufzugreifen und zu behandeln. Neben einer grundsätzlich vorhandenen und

vereinzelt wirksam werdenden sozialen Haltung brauche es einen Bund, „… der in einer sozia-

len Arbeit seine eigentliche Aufgabe sieht.“

An diesem Punkt setzt der Autor an, indem er der „Junggemeinschaft“ diesen Platz zu-

weist, weil ihr durch die Herkunft aus der Abstinenzbewegung die soziale Frage nahestehe. Ehe

hier aber Öffentlichkeits- und Breitenwirksamkeit entstehe, müsse es der „Junggemeinschaft“

erst gelingen, „… ihren Aelterenbund, die Deutsche Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur, mit

ihrem eigenen Wollen zu durchsetzen und umzugestalten.“ Hier fordert er also ganz klar ein

Abgehen vom bisherigen Vereinsziel, den Alkoholismus zu bekämpfen, hin zu einer Erweite-

rung auf darüber hinausgehende soziale Ziele. Beispielhaft wird der Siedlungsdienst genannt,

also das Bestreben, aufgelassene und verödete Bauernhöfe durch Siedler aus dem bürgerlich-

städtischen Milieu wiederzubeleben.

Abschließend stellt der Verfasser apodiktisch fest: „Der ‚zünftige Mensch’ an sich inte-

ressiert uns heute nicht mehr; denn wir leben im Jahre 1931. Wohl aber ist die bündische

Form, wenn hinter ihr ein wacher, aufgeschlossener Geist steht, geeignet, junge Menschen an

444 9 (1931), 66f.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

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die politischen, religiösen und sozialen Fragen heranzuführen und sie zu tätiger Mitarbeit im

Volke zu bilden.“

Zwei Monate später, im Oktober 1931, brachte die Zeitschrift eine umfassende Replik

von Fritz Lang, dem damaligen Bundesführer des Österreichischen Wandervogels.445 Lang

bedauerte, daß ausgerechnet ein Bund, in dem „… wir einen der uns am nächsten stehenden

Bruderbünde sehen…“ ein so falsches Bild vermittle. Zum „politischen Engagement“ der bün-

dischen Jugend schrieb er, daß sich im Jahre 1927 ein großer Teil des ÖWV abgespalten und

als „politisch aktiv“ der reichsdeutschen „Deutschen Freischar“ angeschlossen habe. Nach

wiederholten inneren Kämpfen, Richtungsstreitereien und Abspaltungen habe ein Teil dieser

Gruppen wieder zum ursprünglichen Bund zurückgefunden. Der Vorwurf der „Beschränkung

auf reine Kulturarbeit“ treffe absolut nicht zu, denn der Wandervogel „… hat sich seit dem

Jahre 1927 in allen seinen Gliederungen immer wieder mit den politischen, wirtschaftlichen

und sozialen Fragen unserer Zeit beschäftigt.“ Gerade die verschiedenen vom ÖWV herausge-

gebenen Zeitschriften „… beschäftigten sich immer wieder […] mit den sozialen, politischen

und wirtschaftlichen Fragen des Volkes.“ So mancher aus dem Kreis der älteren Wandervögel

habe „… den Weg zur Scholle gefunden.“

Auch in die Entwicklung der Jugendbewegung im Deutschen Reich und in der Tschecho-

slowakei hätte der ÖWV richtunggebend eingegriffen, und daß neben volkspolitischer Schu-

lung auch die Kulturarbeit ihren Platz habe, sei nicht Mangel, sondern Erweiterung. Eine par-

teipolitische Betätigung oder Stellungnahme werde aber nach wie vor abgelehnt. „Unser klares

Urteil und unser politischer Instinkt hielten uns vor der Heimwehrbewegung […] zurück.“ Der

Wandervogel sehe sein Aufgabengebiet ganz bewußt in „… bündischer Erziehungs- und Schu-

lungsarbeit, [in] Grenzland- und Berufsarbeit, kulturellem und politischem Wirken…“

Als deutlichen Kritikpunkt merkt Lang an, daß es der „Junggemeinschaft“ nicht gelungen

sei, die Alkoholenthaltsamkeit in der bündischen Jugend Österreichs breit zu verankern. Außer

dem Wandervogel und „Quickborn“446 gebe es neben der Junggemeinschaft keinen völlig abs-

tinent lebenden Bund. Abschließend stellt Lang die Frage, ob „… die Freude zur Mitarbeit

unserer Aelteren in der Deutschen Gemeinschaft durch solche überhebliche Aufsätze wie den,

dem unsere Entgegnung gilt, ges tärk t [werde]? “

445 9 (1931), 74ff. 446 Siehe Abschn. 4, „Geschichte der Abstinenzbewegung“ Kap. 4.5.3 Kreuzbund.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

133 / 259

Auf diese Replik von Fritz Lang erschien noch eine kurze Antwort des DG-Bundesvor-

sitzenden Walter Rafelsberger.447 Einleitend schrieb er: „Es erübrigt sich wohl zu beteuern, daß

uns jeder Angriff auf den Wandervogel gänzlich fern gelegen ist. Wir haben daher selbstver-

ständlich der Entgegnung ungekürzt Raum gegeben und danken Fritz Lang für die sachliche

Art.

Wir hoffen, daß diese Auseinandersetzung der Klärung und Einigkeit zwischen den Bün-

den gedient hat und würden es begrüßen, wenn sie im Führerkreis beider Bünde fortgesetzt und

vertieft würde.“ Auf die Kritik an der mangelnden Breitenwirkung der Junggemeinschaft ging

Rafelsberger näher ein und meinte, daß dies ein Personenkreis sei, der erst in die alkoholgegne-

rische Arbeit hineinwachse. Sie habe zwar schon an einigen Aktionen teilgenommen, sehe aber

ihre erste Aufgabe „… in der bündischen Gestaltung der Gemeinschaft“. Die eigentliche alko-

holgegnerische Arbeit sei in erster Linie von der Gemeinschaft selbst zu erbringen.

Zu Beginn des Jahres 1932 erschien ein Sonderheft der Vereinszeitschrift (� Abb. 35 )

mit Berichten über ein zuvor abgehaltenes Winterlager in Wagrain. Diesmal habe es 108 Teil-

nehmer gegeben, im Jahr zuvor seien es 62 gewesen. Eine Woche gemeinsamen Schifahrens,

gemeinsamen Naturerlebens, gemeinsamen Kampfes mit den Widrigkeiten der Abfahrten soll-

ten den Zusammenhalt von jung und alt fördern.448

Unter dem Titel „Jetzt gilt es, Freunde!“449 stellte Walter Rafelsberger zum wiederholten

Male eine geistige Verbindung zwischen der Jugendbewegung und der „Gemeinschaft“ her. Er

sieht in der DG einen Bund, der in seiner geschlossenen Form und in seinem Wollen zielbe-

wußter sei als andere Bünde. Durch die alkoholgegnerische Arbeit habe dieser Bund eine klare

Aufgabe: „die Befreiung des Volkes – in Wirtschafts- und Geisteswelt – von den Trinksitten und

allen ihren kulturmordenden Zusammenhängen und Folgen.“ Er meinte, daß die Jugendbewe-

gung ihren Sinn verliere, wenn sie nur um ihrer selbst willen lebe und auf Auswirkung „auf das

Volk verzichte“. Ihre Lebensart müsse vorbildhaft nach außen wirken. Es gehe jetzt im Frei-

heitskampf „… um die Freiheit des Geistes, der Seele und des Leibes und um die Freiheit des

Heimatbodens.“ In diesem Kampf müsse die Jugendbewegung ihre Kraft einsetzen, um nicht

steckenzubleiben und dürfe nicht „sich selbst vom Leben des Volkes absperren“.

447 9 (1931), 76. 448 10 (1932), 2, 6. 449 Ebd., 2, 2.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

134 / 259

Für Pfingsten 1932 (14.-16. Mai) wurde ein Junggemeinschaftertag in St. Gilgen am

Wolfgangsee angekündigt.450 Außer der Ankündigung war in der Vereinszeitschrift allerdings

weder eine genaue Tagungsfolge noch ein abschließender Bericht zu finden.

Aus der Zeit nach 1932 liegen in der Vereinszeitschrift keine Berichte über die Jugendar-

beit mehr vor. Der letzte Beitrag zum Thema „Jugend“ in diesem Jahr war ein in pathetischen

Worten gehaltener Aufruf an die Jugend mit dem Titel „ Unser Volk in Not!“451 Nach Aufzäh-

lung vieler „Gefahren“, die den Deutschen drohten, schließt der Text: „Eintreten mußt Du mit

Deiner jungen Kraft in den Dienst für Dein Volk! Darum komm in die Junggemeinschaft! Dort

gilt noch das Wort: Lieber tot als Sklav! Dort findest Du Freunde und Helfer im Kampf für das

neue Leben, gegen Rausch und Sumpf, für Sonne und Licht! Im Zeichen der aufgehenden Sonne

wollen wir kämpfen und siegen!“

7.3. Die Jungschar

Eine Sonderform der Jugendarbeit bestand in der sog. „Jungschar“. Hier wurden Schul-

kinder angesprochen, die ein zeitlich befristetes Enthaltsamkeitsversprechen abgaben und dann

eine eigene Zeitschrift zugeschickt erhielten, in der das Thema der Alkoholabstinenz und damit

zusammenhängende Gesundheitsfragen behandelt wurden. Erstmals erwähnt wurde die

Jungschar in der Vereinszeitschrift vom Jänner 1925 als eine in der Tschechoslowakei beste-

hende Einrichtung: „Die ‚ Jungschar ’ , die dem Großvorsteher des Jugendwerkes unter-

steht, umfaßt in rund 40 Orten 6000 Schüler, die das bis zum 18. Lebensjahr bindende

Jungscharversprechen abgegeben haben. […] Die Vorarbeiten für die ab Neujahr erscheinen-

de Jugendzeitschrift wurden noch im abgelaufenen Jahr zu Ende geführt. Die ‚ Jungschar ’

ist kein Bestandteil unserer Gemeinschaft, sie ist eine freie Vereinigung, die nur dem einen

Zwecke dient: der alkoholfreien Jugenderziehung.“452 Zwei Monate später wurde die Zeit-

schrift bereits unter „Bücher und Werbemittel“ angekündigt: „ ‚Jungschar’, Monatsschrift für

die deutsche enthaltsame Jugend. Herausgeber ‚Jungschar’-Geschäftsstelle Mährisch-

Schönberg. […] Die ‚Jungschar’, eine recht gute und wertvolle Jugendzeitschrift, würde auch

unseren Buben und Mädeln von elf bis sechzehn Jahren viel Freude machen.“ 453 ( � Anhang

Dokumentationen).

450 10 (1932), 5, 8. 451 ebd., 11/12, 7. ( � Abb. 43) 452 3 (1925), 9. 453 Ebd., 38.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

135 / 259

In einem Bericht über den Status des „Goldenen Buches“ vom Mai 1925 hieß es, daß die-

se Einrichtung in Kärnten in Feldkirchen und Spittal/Drau bestehe, weiters in Innerteuchen,

Zedlitzdorf, Klein-St.Paul und Ferlach, in Klagenfurt, Villach und Reichenfels/Lavanttal. In

Salzburg gebe es ein solches in Dienten, in Oberösterreich an Schulen in Wels, Kirchdorf

/Krems und Gosau, an mehreren Schulen Wiens und in Bezau in Vorarlberg. In der Steiermark

sei im Raum Leoben eine „Goldene-Buch-Insel“ entstanden, hier vor allem in Leoben selbst, in

Kalwang, Trofaiach und Rottenmann. Aus Niederösterreich und Tirol gebe es keine Meldun-

gen, dafür bestünden „Goldene Bücher“ in Siebenbürgen, in Schlesien, Sachsen und Württem-

berg.454

Mit dem Erlaß Zl. 3100/VII vom 25. November 1925 verordnete der Salzburger Landes-

schulrat die Zeitschrift „Jungschar“ als Schullesestoff: „ Die weiteste Verbreitung und liebevolle

Ausnützung als Ergänzung im Klassenlesestoff verdient eine neue Zeitschrift, die vom Fachleh-

rer Karl Springenschmid geleitet wird und unter dem Titel ‚ Jungschar , Monatsschrift für

die deutsche Jugend’ bei der österreichischen Jungscharstelle Wien, 13. Bezirk, Baumgartner-

straße 28, bestellt werden kann.“ 455

Eine ähnliche Maßnahme setzte das Burgenland: In einem Erlaß des Amtes der Burgen-

ländischen Landesregierung vom 3. September 1925, Zl. Sch 2236/10 wurde den Schulen

„wärmstens empfohlen“, das von der DG zusammengestellte Informationsmaterial wie z. B.

Flugschriften, Bücher, Bildmappen und Wandtafeln für den Anschauungsunterricht über Alko-

hol und Alkoholismus zu verwenden. Weiters wurden die Schulleiter aufgefordert, jährlich

über ihre Tätigkeit zur Bekämpfung des Alkoholismus Bericht zu erstatten.456 Zusätzlich em-

pfahl das Bundesministerium für Unterricht mit dem Erlaß Zl. 395/II, 9, vom 21. März 1927,

die Zeitschrift „Jungschar“ im Unterricht zu verwenden.457

Im Rahmen des „Gemeinschaftertages“ in Salzburg (22.-24. Mai 1926) hielt Alfred

Grimm, „Großvorsteher des Jugendwerkes in der Tschechoslowakei“, einen Vortrag über

Grundzüge der alkoholfreien Jugenderziehung.458 Unter anderem führte er aus, „… daß die

Erziehung zur Jugendenthaltsamkeit nur von Lehrern und Eltern durchgeführt werden soll, daß

daher diese Erziehung auch nur die Enthaltsamkeit im Auge haben müsse und keine noch ir-

gendwie gearteten Nebenabsichten irgend welcher konfessioneller oder parteipolitischer Art

454 Ebd., 69. 455 4 (1926), 10f. 456 Ebd., 87. 457 5 (1927), 68.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

136 / 259

haben dürfe …“. Die alkoholgegnerische Arbeit wende sich an alle Kinder ohne Rücksicht auf

Konfession, Rasse oder Nation und erfolge in Zusammenarbeit mit der Lehrerschaft. Als eigene

Willenserklärung unterschreibe das Kind dann eine Karte, daß es freiwillig bis auf Widerruf auf

Rauchen und alkoholische Getränke verzichte. Nach der Gegenzeichnung dieser Versprechens-

karte durch die Eltern sei das Kind nunmehr Mitglied einer Gruppe der Jungschar geworden.

„Die neue Jungschargruppe wird nun zum Teil durch die Jungscharzeitschrift, zum Teil durch

ihren Lehrer, oder […] durch einen älteren Wandervogel oder Enthaltsamen wenigstens ein-

mal monatlich zu einer Zusammenkunft eingeladen …“ Nach längerer Zugehörigkeit zur

„Jungschar“ könne das Kind anschließend in das „Goldene Buch“ eingetragen werden. Nach

Erreichen des vierzehnten Lebensjahres würden die Kinder aus der Jungschar in die Jungge-

meinschaft übernommen, „…, die einer jungbewegten Gruppe durchaus Gleichwertiges ge-

genüberstellt. Die Junggemeinschaft arbeitet also ganz nach Art unserer Jugendbewegung:

Selbstverwaltung, Führerverantwortlichkeit, Heimabende, Wandern, Sport, Turnen, Singen

usw. […]

Nicht überall […] ist es möglich, heute schon die Jungschar in den oberen Klassen als

Junggemeinschaft weiterzuführen. In diesem Falle haben wir erfolgreich versucht, an Stelle der

Junggemeinschaft andere enthaltsame Jugendgruppen zu gründen. Als solche kommen in Fra-

ge der Wandervogel, die Adler und Falken und der Quickborn.“ Ähnlich berichtete auf dersel-

ben Tagung Karl Springenschmid über die Jugendarbeit.459 Seiner Erfahrung nach sei das

„Goldene Buch“ „… eine Sache der deutschen Schule, ohne Rücksicht auf politische Grenzen.“

Er bezog sich dabei u.a. auf Schulen in Kärnten, Siebenbürgen und Hamburg. Auch wurde in

ganzseitigen Inseraten (� Abb. 36 ) in der Vereinszeitung für die Jungschar und die Jugendarbeit

geworben.

Über die Stellung der Jugend im allgemeinen und der Jungschar im besonderen innerhalb

der „Gemeinschaft“ schrieb Springenschmid 1927460: „ In der Jungschararbeit ist es zur Aus-

bildung zweier verschiedener Auffassungen gekommen. Die einen sehen in der Jungschar vor

allem die unmittelbare Jugendgruppe der Gemeinschaft, also etwas, was im Reiche die Jugend-

logen [der Guttempler] sind, […] in der Schweiz die Bünde der Guttemplerjugend […] . Die

anderen wollen darüber hinaus einen Einfluß auf die Schuljugend überhaupt gewinnen und die

gesamte Jugend zu tatsächlicher Enthaltsamkeit anleiten.“ Beispielhaft für diese auf Schulen

458 4 (1926), 82-86. 459 4 (1926), 94f. 460 5 (1927); 92-95.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

137 / 259

konzentrierte Arbeit nennt der Autor eine zu Ostern 1927 abgehaltene Tagung für alkoholfreie

Erziehung, bei welcher die Gründung „enthaltsamer Arbeitsgemeinschaften an den Schulen“

gefordert worden sei. Nach Springenschmids Ansicht bildeten „… den Kern unserer Jungscha-

ren […] fast überall Gemeinschafterkinder.“ Dadurch, daß sie in einer alkoholenthaltsamen

Umgebung (Elternhaus, Freundes- und Bekanntenkreis) aufwüchsen, sei ihnen der Abstinenz-

gedanke ganz selbstverständlich. Im Gegenzug dazu hätten die Jungschärler an den Schulen

einen schwereren Stand, weil „… der Bub, das Mädel täglich und überall das Gegenteil von

dem sehen, was es selbst will.“ Wichtig sei aber auf jeden Fall neben der eigentlichen alkohol-

gegenerischen Arbeit mit der Jungschar, daß den Kindern und Jugendlichen dort Erlebnisse in

Form von Wanderungen, Schifahrten und Festen geboten würden.

Das Augustheft 1928 der Vereinszeitschrift enthielt eine eigene Beilage zu vereinsinter-

nen Angelegenheiten, u.a. über „Die Jungscharbewegung im Schuljahr 1927/28.“461 Der Ver-

fasser zeichnete mit „K. S.“ (Karl Springenschmid). Dem Bericht zufolge gebe es in Österreich

etwa 5.000 „Jungschärler“, also Schulkinder, die alkoholgegnerisch erzogen würden. Weiters

gebe es einige hundert sog. „Jungscharschulen“, vorwiegend Hauptschulen. Dann berichtete er

über die Entwicklung in den einzelnen Bundesländern, wo es vor allem in Kärnten und in Nie-

derösterreich starken Zuwachs gebe. „Wander leh rer , die den Jungschargedanken von Schu-

le zu Schule tragen, das hat sich heuer als erfolgreichste Form bewiesen. In den Ländern wa-

ren heuer jedoch nur nebenamtliche oder private Wanderlehrer tätig. (Direktor Gläser, Prof.

Fritz Hirt [sic!], Ing. Krapf, Ing. Vogl, Ing. Rafelsberger, Springenschmid). In Oberösterreich,

Steiermark und Kärnten, wo die Wanderlehrerfrage schon in den Landtagen behandelt wurde,

sollte für das kommende Schuljahr unbedingt die Einstellung einer hauptamtlichen Lehrkraft

erreicht werden.“ In der Folge nennt der Bericht Werbemittel, die für die Jungschararbeit zur

Verfügung stünden: So gebe es eine eigene Ausstellung, die sich mit positiven Darstellungen,

weniger mit Hinweisen auf Trinkerelend und Kriminalität, an die Jugend wende. Weiters eine

Lichtbildreihe für Vorträge, einen „Jungscharkalender“ und vor allem die Zeitschrift

„Jungschar“, die bei „… Behörden und Fachleuten als volkstümliche Schulzeitschrift Öster-

reichs gilt, …“

Neben der laufenden Schulungsarbeit habe es auch Sonderaktionen gegeben: Im Winter

1927/28 die Aktion „Der Schifahrer lebt enthaltsam“, die auch vom ÖSV (Österreichischen

Schiverband) unterstützt worden sei; im Frühjahr die Aktion „Milch an die Schulen“, die sich

vor allem an städtische Schulen richtete; für den Herbst 1928 werde die Aktion „Obst an die

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

138 / 259

Bergschulen“ vorbereitet. Um eine größere Breitenwirkung der Informationstätigkeit zu errei-

chen, sollten über die Jungschar möglichst auch die Eltern der Kinder erreicht werden: „Es soll

[sic!] zunächst durch die ständige Beilage ‚Jungscharhilfe’ der Mutter praktische Ratschläge

für den alkoholfreien Haushalt, dem Vater interessante Tatsachen über die Alkoholgegnerbe-

wegung gebracht werden.“ Um die Schüler nach Ende ihrer Schulpflicht in alkoholgegnerische

Jugendbünde, vor allem in die Junggemeinschaft überzuleiten, seien nach Ansicht des Verfas-

sers Sommerfeste und Sonnwendfeiern gut geeignet. Im Jänner 1929 wurden die Jungschar und

die dazugehörige organisatorische Arbeit stärker vom Gesamtverein getrennt und in Salzburg

eine eigene „Jungscharstelle“ eingerichtet. ( � Anhang Dokumentationen).

In einem Artikel über das Selbstverständnis, das Wesentliche der Jungschar462, meinte der

Autor (Karl Springenschmid), daß es unsinnig sei, wollte man versuchen, Vereinsformen, die

für Erwachsene gedacht seien, auf Kinderniveau zu „verkleinern“. Auch Ge- oder Verbote im

Sinne von „du sollst“ oder „du sollst nicht“ würden kontraproduktiv wirken; das Kind sage

dann gerade deshalb: „Und jetzt erst recht!“ Alkohol zu meiden sei nur ein Teil des Themas.

Wichtig sei es, Freude und Begeisterung zu wecken: Freude an der Natur, an den Bergen, am

Wasser, Begeisterung für das einfache Leben, Wandern ohne Quartier in Wirtshäusern, Schla-

fen auf dem Heuboden eines Bauernhofes. Dabei würden die Kinder gleichzeitig das Leben in

der Landwirtschaft und den Kontakt zu Tieren kennenlernen. „Die Jungscharbewegung wuchs

[…] zu einer großen und freien Bewegung, die unseren österreichischen Buben und Mädeln

das ganze Bild des Menschen der Jugendbewegung vor Augen stellte. Es ist sehr wesentlich,

daß sie von selbst in diese größere und freiere Richtung hineinwuchs, […]– Gemeinschafter,

Wandervogellehrer, Gildenleute – die gar nichts anderes wollten, als ihr eigenes Leben unver-

stellt der Jugend vorleben.

So ist heute die Jungscharbewegung ein Weg, auf dem jugendbewegtes Leben in

das alte und verkalkte Schulwesen Oesterreichs eindringt.“

Für die Zeit vom 1. bis 9. Februar 1930 wurde eine sog. „Jungscharwoche“ angekündigt,

deren Ziel es sein sollte, „… alle Kräfte, die sich für eine Ertüchtigung unserer Jugend auf der

Grundlage einer alkoholfreien Lebenshaltung einsetzen, zu sammeln […], diese gesammelten

Kräfte zu einer starken geschlossenen Wirkung zu vereinen [und schließlich …] dadurch den

461 6 (1928), 7, nach S. 8. 462 8 (1930), 2f.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

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Jungschargedanken und seinen besten Träger, die Jungscharzeitschrift, in Oesterreich stärker

zu verbreiten.“ 463

Das März-April-Heft 1932 behandelte neuerlich das Thema „Jungschar“ (� Abb. 37 ). Ei-

ne Vielzahl von Artikeln („Jungschar“, „ Die Jungschar ruft“, „ Warum Jungschar-Arbeit?“,

„Von der Jungschararbeit einer Gemeinschaftergruppe“, „ Die Jungschar in der Landschule“)

befaßte sich mit den verschiedensten Gesichtspunkten dieser Art der Jugendarbeit und der Zu-

sammenarbeit mit Schulen.

Für die Zeit vom 24. bis zum 29. Oktober 1932 wurde wiederum eine österreichweite

„Jungscharwoche“ angekündigt, die gleichzeitig mit der „Weltschulwoche gegen den Alkohol“

stattfinden werde.464 Im Rahmen dieser Woche sollte jede Gruppe der DG an der jeweils örtli-

chen Schule ein Jungscharfest, einen Jungschar-Elternabend und einen Jungschar-Werbevor-

trag durchführen. Zugleich mit dieser Ankündigung wurde eine bemerkenswerte Stellungnah-

me eines sog. „Mäßigkeitsvereines“ zitiert, der sich in heftigen Worten dagegen wandte, daß

alkoholgegnerische Aufklärung von den Schulbehörden unterstützt werde. ( � Anhang Dokumen-

tationen).

7.4. Publikationen

7.4.1. Jungschar

Die erste Zeitschrift, die sich direkt an die Jugend wandte, war die ab Anfang 1925 her-

ausgegebene „Jungschar“ (� Abb. 38 ). Initiiert wurde sie von der „Deutschen Guttemplerge-

meinschaft“ in der ČSR und dem dort für die Jugendarbeit verantwortlichen Alfred Grimm aus

Landskron/Ostböhmen.465 Die Kontaktstelle in Österreich war Richard Soyka in Wien. Inhalt-

lich richtete sie sich an die Altersgruppe von etwa 11 bis14 Jahren. Im Regelfall erschien sie

zehnmal jährlich, vom Septemberheft Nr. 1 (Schulbeginn) bis zum Juniheft Nr. 10 des Folge-

jahres.

Am Beginn jeder Ausgabe stand meist eine Grafik mit jahreszeitlichem Bezug, anschlie-

ßend ein Gedicht, das sich ebenfalls auf den aktuellen Monat bezog. Dann kamen kurze Erzäh-

lungen oder Sachaufsätze, zur altersgerechten Wissensvermittlung aufbereitet: „Drahtlose Te-

legraphie – einst und jetzt“ (1927, 1); „Von Äpfeln, Birnen und anderen guten Sachen“ (1928,

2); „Die alte Thres erzählt Geschichten von der heiligen Nacht“ (1928, 4); „Vom Wald zur Zei-

463 ebd., 4. 464 10 (1932), 9/10,; 7f. 465 Siehe Abschnitt 9, „Die Entwicklung in der Tschechoslowakischen Republik“.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

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tung“ (1928, 7); „Der Taugenichts zieht in die Welt“ (1928, 9); „Die ‚Bremen’ flog nach Ame-

rika“ (1928, 9); „Das Märchen vom Himmelsschlüssel“ (1931, 8). Weiters wurden kurze Thea-

terstücke für Kasperltheater oder Laienspieler gebracht, es gab Berichte über die Tätigkeit von

Jungschargruppen, die Rubrik „Knacknüsse“ enthielt Denksportaufgaben, „Für geschickte

Hände“ beschrieb einfache Bastelarbeiten, und jedes Heft zeigte ein Liedblatt mit Text und

Noten. Das Thema „Alkohol“ wurde kaum direkt behandelt, es war aber in vielen Geschichten

unterschwellig vorhanden, vor allem, wenn über die Arbeit in der Landwirtschaft berichtet

wurde.

7.4.2. Deutsche Jugend466

Diese Zeitschrift, der Vorläufer der „Junggemeinschaft“, trug dasselbe Titelblatt wie die-

se. ( � Abb. 39) Inhaltlich ähnelte sie stark der „Jungschar“, teilweise enthielt sie auch dieselben

Zeichnungen. Es gab, so wie in der „Jungschar“, Erzählungen (z.B. eine Weihnachtsgeschich-

te), jugendgemäße Beiträge zur Alkoholfrage, Berichte über „Männer der Tat“ (z.B. Fritjof

Nansen), ein Liedblatt und eine Rätselseite. Ihre Zielgruppe waren also auch die 11- bis 14-

Jährigen, so wie bei der „Jungschar“.

7.4.3. Junggemeinschaft

Diese erschien erstmals im September 1928 (� Abb. 40 ), sie richtete sich an Jugendliche

von etwa 14 bis 18 Jahren. Ihre Schriftleiter waren Karl Springenschmid aus Salzburg und der

Lehrer Hans Paul aus Hochneukirchen in Niederösterreich. Im ersten Heft stellte Springen-

schmid die Zeitschrift wie folgt vor: „Auf Wunsch verschiedener Gruppen haben wir die ‚Deut-

sche Jugend’ in ‚Junggemeinschaft’ umgetauft […] . Unser Blatt erscheint also heute […] be-

reits unter seinem neuen Namen. Es soll dadurch ausgedrückt werden, daß unser Blatt seit dem

Bundestag in Admont mehr zum Blatt der Junggemeinschaft selbst wurde, während es früher

als ein Blatt der Jugend im allgemeinen galt und vorallem [sic!] auf Werbung eingestellt

war.“467

Der Inhalt bestand im allgemeinen aus einigen Kurzaufsätzen zur Alkoholfrage, aus Be-

richten über verschiedene Fahrten und Jugendtreffen und Kurzmeldungen zum Thema „Alko-

hol und Nikotin“ aus aller Welt. Dazu einige Beispiele: „Kampf“ (1928, 1); „Tracht und Mode“

(1928, 2); „Das Lied“ (Sonderheft 1928, 4); „Der Tanz“ (Sonderheft 1928, 6); „Bauernnot

1929“ (1929, 1); „Die Schule des Mutes“ (1929, 2); „Winterlagerheft“ (1929, 5); „Löns“ (1929,

466 Von dieser Zeitschrift lagen nur zwei Ausgaben vor: Dezember 1927 (Heft1) und Jänner 1928 (Heft 5). 467 „Junggemeinschaft“ 1928, 1, Deckblatt innen.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

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7); „Vom Wohnen und Hausen“ (1930, 6); „Bilder aus der Großstadt“ (1930, 7); „Kärntens

Befreiung 1919 und 1920“ ( 1930, 9).

Eine Besonderheit war die Rubrik „Hieb und Stich“. Hier wurde eine Begründung „pro

Alkohol“ gebracht, und die Leser sollten bis zum nächsten Heft schreiben, wie sie auf ein sol-

ches Argument ein prägnantes Gegenargument geben würden. Ähnlich wie bei den „Trutz-

abenden“468 der Ortsgruppen sollte hier die Überzeugungskraft der Jugendlichen gestärkt wer-

den. Zum Selbstverständnis der „Junggemeinschafter“ hieß es z.B. im Herbst 1931: „Ich bin ein

Junggemeinschafter, weil ich mißachte [sic!] Rauch und Rausch; denn sie knechten unser Volk.

Ich aber will frei sein, weil ich rein, mutig und zuchtvoll leben will; denn mein Volk ist in Not.

Mein Volk hat ein Recht auf meine Kraft und meinen Mut, weil ich treue Kameraden will, die

sich ganz auf meine Seite stellen zu gemeinsamem Kampfe. Dieser Bund ist für mich die Jung-

gemeinschaft.“ 469

Im selben Heft fand sich auch ein deutlicher Hinweis auf die wirtschaftliche Notlage je-

ner Jahre: Unter dem Titel „Notschrei der arbeitslosen Jugend!“ wurde gefordert, einen „frei-

willigen Arbeitsdienst“ zu schaffen und durch „Siedlungsdienst“ brachliegende landwirtschaft-

liche Betriebe wiederzubeleben. Der Arbeitsdienst sollte es den Gemeinden ermöglichen, Ar-

beiten erledigen zu lassen, die aus dem normalen Budget nicht finanziert werden konnten (z.B.

Trockenlegungen, Wegebau, Gewässerregulierungen). Mit dem Siedlungsdienst sollten unren-

tabel gewordene bäuerliche Betriebe durch Gemüse- und Obstanbau nutzbar gemacht werden.

So wie in anderen Bereichen der DG zeigte sich auch hier eine schrittweise Verschiebung, weg

von der reinen Alkoholbekämpfung hin zu allgemeinen, sozial- und wirtschaftspolitisch deter-

minierten Themen.

7.4.4. Jungvolk

Das „Jungvolk“, es lag vom Frühjahr 1933 bis zum Herbst 1934 vor, war dem Inhalt nach

der Nachfolger der „Junggemeinschaft“ (� Abb. 41 ). In Stil und Themenauswahl richtete es

sich an 14- bis 18-Jährige. Themen zur Alkoholfrage waren überhaupt keine mehr zu finden,

stattdessen gab es Berichte von Fahrten und Lagern, das Leben der bündischen Gruppen wurde

beleuchtet, Aufrufe zur „richtigen“ Lebensführung von Buben und Mädeln gebracht und Re-

geln für Ball-, Gelände- und Kampfspiele vermittelt. Zur Lebensführung heißt es z.B.: „Ein

Jungvölkler trägt in sich ein tiefes Wollen. Ihm ist der Bund, die Gruppe mit ihren schönen

468 Siehe Abschnitt 8, „Ortsgruppen“. 469 „Junggemeinschaft“ 1931, 2. Folge, „im Herbst“, 1.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

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Gemeinschaftserlebnissen im Nest und auf Fahrt nicht Selbstzweck. Es geht ihm um mehr.

Deutsches Volk liegt in Not, nicht nur in äußerer, politischer, sondern vielmehr in innerer Not,

in Not, die es an den Wurzeln, am Mark des Lebens schwächt.“ 470 Weitere Titel waren z.B.

„Jungvolk ist wahrhaft lebendes, wehrhaft dienendes junges Volk!“471; „Die Fahne weht!“472;

„Wappenspruch“ 473; „Knallend weht die Fahne!“ 474

Laut Impressum im Heft 1 1933 fungierte die „Deutsche Gemeinschaft“ mit der Anschrift

ihrer Geschäftsstelle in der Wiener Hofburg als Herausgeber. Schriftleiter war Oberlehrer Hans

Paul in St. Peter ob Aspang, Niederösterreich. Ab dem 3. Heft, Herbst 1933, war als Herausge-

ber die Geschäftsstelle der „Deutschen Gemeinschaft“ in Salzburg, Bergstraße 16 angegeben.

Die Schriftleitung hatte weiterhin Hans Paul inne.

7.5. Kulturarbeit

Ein Teil der Junggemeinschafter-Aktivitäten bestand darin, Laienspiele bzw. Kasperlthe-

aterstücke aufzuführen. So gab es z.B. ein von Karl Springenschmid verfaßtes Stück, „Kasperl

wird abstinent“, in dem die Alkoholprobleme auf spielerisch-kindgerechte Weise dargestellt

wurden. Vor allem in der „Jungschar“ wurden mehrmals Kasperlstücke abgedruckt, so z.B.

„Kasperl im Sack“ (1928, 6); „Kasperl kuriert einen rauschigen Bauern“ (1931, 2) oder „Kas-

perl und die Wunderblume“ (1932, 9-10).

An ältere Jugendliche und junge Erwachsene richtete sich das Laienspiel „Des Trunkes

Totentanz“ des Gemeinschafters Wilhelm Flatz. Es war dies ein in einer altertümlichen Sprache

verfaßtes Stück, das aus einem Vorspiel und 14 kurzen Szenen bestand. In jeder dieser Szenen,

„Das Spiel mit ….“ genannt, wird eine Person mit ihrem Alkoholproblem beschrieben. Unter

anderem gibt es „Das Spiel mit dem Bauern“, „ Das Spiel mit dem Liebespaar“, „ Das Spiel mit

dem Weibe“, „ Das Spiel um das ungeborene Kind“ und „Die neue Zeit“. In der Schlußszene,

dem „Lied der Jugend“, siegt die Jugend über den „Trunktod“: „ Neue Jugend, neue Zeit, alte

Welt mach dich bereit. Morsches Holz, dürres Laub, Frühlingssturm wirft dich in Staub.

470 „Jungvolk“, 1933, Heft 1 „Frühling“, 1. 471 Ebd., 3. 472 Ebd., Heft 3 „Herbst“, 7. 473 Ebd., 1934, Heft 3 „Herbst“, 21. 474 Ebd., 22.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

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Wir ziehn in Schritt und Tritt, du Bruder, komm du mit. Denn wir sind Zukunft, neue Zeit,

wer wagt mit uns den Streit?“475 Das Stück wurde u. a. beim Bundestag der Junggemeinschaft

zu Pfingsten 1931 bei Radstadt (Schloß Tantalier) aufgeführt.

7.6. Zusammenfassung

Der Begriff „Jugendbewegung“, der insgesamt eine Vielzahl von politisch, religiös oder

sonst weltanschaulich ausgerichteten Bewegungen umfaßte, bezog sich im Bereich der „Deut-

schen Gemeinschaft“ immer auf die deutsch-völkische Jugendbewegung. Zum größten Teil war

der „Österreichische Wandervogel“ gemeint, fallweise waren es auch ähnlich ausgerichtete

Bünde wie „Adler und Falken“,476 „Sturmvolk“477 oder „Treuvolk“478. Die Anfänge der DG

lagen zwar in der Guttempler-Bewegung (siehe „Vereinsentwicklung“), aber viele Mitglieder,

vor allem die nach der Gründung im Jänner 1920 hinzugekommenen, fühlten sich dieser Ju-

gendbewegung nahe oder hatten in manchen Fällen dort auch ihre „geistige Heimat“ gefunden.

So gab es zwar keine offizielle Verflechtung zwischen DG und ÖWV, aber wie aus etli-

chen Tätigkeitsberichten hervorgeht, waren gerade die kulturellen und der Öffentlichkeit zu-

gänglichen Veranstaltungen immer wieder unter Mitwirkung von Wandervogelgruppen gestal-

tet. Siehe z. B. die Berichte über die Ortsgruppenstiftung in Arriach, über den Alkoholgegner-

tag 1923 in Wien, den Junggemeinschaftertag 1927 in Laxenburg oder spätere Junggemein-

schaftertage.

In den Beschlüssen über das „Jugendwerk“ vom September 1922 wurde bereits darauf

geachtet, zu den Bünden der Jugendbewegung nicht in Konkurrenz zu treten. Nur solche Ju-

gendliche, die keinem Bund angehörten, sollten in die „Jugendgemeinschaft“ eingebunden

werden. Denn wie aus dem dortigen Bericht hervorgeht, sah die DG ihre Jugendgruppen oh-

nedies als Teil einer größeren Jugendbewegung an.479 Dies äußerte sich u.a. im öffentlichen

475 Flatz, Wilhelm: Des Trunkes Totentanz. Wien, ca. 1931. ( � Abb. 42) 476 Die „Adler und Falken, Deutsche Jugendwanderer e. V.“ waren ein der Wandervogelbewegung nahestehen-

der, völkisch geprägter Jugendbund, der 1920 von Wilhelm Kotzde-Kottenrodt gegründet wurde und schon 1921 3000 Mitglieder im Deutschen Reich, in Österreich und in Böhmen hatte.“ ( � Internet-Quellen „Adler und Falken“)

477 „Sturmvolk“ war eine inhaltlich dem Wandervogel nahestehende bündische Jugendgruppierung, die von ihren Mitgliedern Alkoholenthaltsamkeit und vegetarische Ernährung forderte. Ihre gleichnamige Zeitschrift erschien in Leoben-Donawitz.

478 Das „Treuvolk“ – Bund für deutsches Jugendwandern war eine 1919 aus dem ÖWV hervorgegangene bündi-sche Jugendgruppierung. Sie war in Österreich und im Deutschen Reich aktiv; der österreichische Zweig schloß sich 1929 wieder dem ÖWV an. (Quelle: ADJ, A 2-38/2)

479 Siehe dazu auch der Artikel vom Karl Springenschmid über die Jugendarbeit in der Vereinszeitschrift vom Oktober 1925 (3 (1925), 125-130).

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

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Auftreten der Jugendlichen bei den jährlichen „Gemeinschaftertagen“.480 Nachdem in den

Bünden die persönliche Abstinenz meist ohnedies selbstverständlich war, verlegte die DG ihren

Arbeitsschwerpunkt betreffend Jugendarbeit auf die Schulen und die Kinder bis zum Ende der

Schulpflicht. Dazu dienten die Zeitschrift „Jungschar“, die Zusammenarbeit mit den „enthalt-

samen Lehrern“, der Kontakt zu Schulbehörden und die Schaffung des „Goldenen Buches“.

Dieser Bereich der alkoholgegnerischen Arbeit wurde stark gefördert durch öffentliche

Stellen. Es muß gute Kontakte aus der Lehrerschaft zu den Schulbehörden gegeben haben,

denn sonst wären diverse Erlässe, wonach die Zeitschrift „Jungschar“ als Schullesestoff ver-

ordnet wurde, nicht denkbar gewesen. Wie denn überhaupt in diversen Grußadressen und Rede-

texten von Amtsträgern (vom Bundespräsidenten bis zu Vizebürgermeistern) immer wieder

Unterstützung und Anerkennung der Vereinstätigkeit seitens der politischen Öffentlichkeit aus-

gesprochen wurde. Daneben war die Arbeit an und mit Schulkindern auch ein willkommener

Weg, auf Erwachsene einzuwirken, die man auf direktem Wege nicht erreicht hätte. Die Eigen-

ständigkeit der Jungschar und ihre Abkoppelung vom Gesamtverein war jedenfalls noch stärker

ausgeprägt als bei der weiter unten beschriebenen Junggemeinschaft. Es war eben alkoholgeg-

nerische Arbeit für Kinder, bei welcher die DG nur mehr im Impressum der Zeitschrift zu fin-

den war, und diese Unterscheidung zeigte sich auch in der Schaffung der „Jungscharstelle“ in

Salzburg im Jänner 1929 und ihrer Unabhängigkeit von der Geschäftsstelle in der Wiener Hof-

burg.481

In verschiedenen Berichten über Wesen und Ziel des Vereins klang immer wieder durch,

daß sich die Gemeinschafter ihrem Selbstverständnis nach als Teil der völkischen Jugendbewe-

gung betrachteten. Mit dem Begriff „Kultur“ im Vereinsnamen bezog man sich mehrfach auf

eine jugendbewegt geprägte Kultur482.

Mit dem Gemeinschaftertag 1927 in Mödling und der daneben unabhängig davon statt-

findenden Jugendtagung in Laxenburg begann schrittweise eine Verselbständigung und Abna-

belung der Jugend vom Gesamtverein. Neben der „Treue zum Gemeinschaftergedanken“ wur-

de als wesentlich „die eigene Form, das eigene Wollen“ betont. Zugleich verstärkte man die

Verbindung zum Wandervogel und betonte damit wiederum das „jugendbewegte“ Element,

weniger das Wesen eines „Abstinenzvereines“. Der Hinweis auf Eigenständigkeit der „Jung-

480 Siehe der Aufruf Hans Wutschnigs zum Gemeinschaftertag 1925, Wimpel mitzubringen (S. 215-216). 481 Vgl. 7 (1929), 7. 482 Vgl. z.B. 4 (1926), 65.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

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schar“ und der „Junggemeinschaft“ im Jahre 1929483 sollte ausdrücken, daß sich diese beiden

Gruppierungen zwar mit den Zielen der DG, der Bekämpfung des Alkoholismus, solidarisch

zeigten, daß sie sich aber in ihren Strukturen und ihrer Arbeitsweise als selbständige Gruppen

betrachteten. Auch die Winterlager in Wagrain, von der Junggemeinschaft veranstaltet, zeigten

dieses selbständige Agieren. Ältere Gemeinschafter waren zwar als Teilnehmer gerne gesehen,

aber diese Lager waren eben bewußt Jugendveranstaltungen, keine der „Deutschen Gemein-

schaft“ als solche.

Etwa ab 1930/31 begann sich ein veränderter Fokus in den Arbeitszielen der Jungge-

meinschaft bemerkbar zu machen. Wenn Karl Springenschmid im März 1931 z.B. meinte, daß

die Sturm- und Drangzeit der alkoholgegnerischen Bewegung vorbei sei,484 daß Alkohol und

Trunksucht den „Volkskörper erschlaffen lasse“, dann rückte er damit volkspolitische und sozi-

alhygienische Ziele stärker ins Blickfeld. Auch eine gute Portion Kritik am „kapitalistischen

Wirtschaftssystem“ klang mit, wenn vom „Braukartell“ und einem „übermächtigen Kapitalis-

mus“ geschrieben wurde.

Der Junggemeinschafter-Bundestag im Mai 1931 bei Radstadt verlief zeitlich und örtlich

bereits völlig getrennt vom Gemeinschaftertag in Kalwang im September. Der kurz aufge-

flammte Konflikt zwischen DG-Jugend und ÖWV im Sommer 1931 läßt auch darauf schließen,

daß sich die Junggemeinschaft als Teil einer größeren Jugendbewegung empfand, von der sie

den ÖWV als Teil sah, und sich berufen fühlte, diese Bewegung „aufs richtige Gleis“ zu len-

ken. Die zunehmende Verselbständigung der Jugend mit ihren eigenen Bundestagen (siehe Be-

richte über die Tagungen in Drasing und Tantalier) zeigte eine verstärkte Hinwendung zum

„bündischen“ Leben, zu einem Lebensstil, der in der völkischen Jugendbewegung wurzelte.

Auch klangen in den Aussagen über Wesen und Ziel der Bewegung immer wieder Anlehnun-

gen an die sog. „Meißner-Formel“ mit ihren Begriffen von „innerer Freiheit“ und „innerer

Verantwortung“ durch.

Mit der geänderten Zielrichtung einher ging auch eine zunehmend „martialische“ Wort-

wahl in den Texten der „Junggemeinschaft“. Mehr und mehr war von „Kampf“ die Rede, Ge-

denksprüche über Weltkriegsgefallene, Überschriften wie „Wehr und Waffen“, „ Tiroler Bauern

von 1809“, „ Die Schule des Mutes“, „ Kärntens Befreiung 1919 und 1920“, „ Die Heimat siegt“

zeigten dieses kämpferische Element. Dieses wurde oft angereichert mit einer Art elitären Den-

kens und Sendungsbewußtseins der Jugend. Als Beispiel mag hier ein Spruch dienen, der auf

483 Vgl. 7 (1929), 40f.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

146 / 259

dem Junggemeinschafter-Bundestag 1930 auf Schloß Drasing (ohne Verfassernennung) vorge-

tragen wurde485:

Ein Werbeblatt der Junggemeinschaft vom Sommer 1931 nannte als Ziele der Tätigkeit

den „… entschiedenen Kampf gegen die Rauch- und Rauschgifte…“, den Kampf „gegen jede

Entartung und Verweichlichung“ und „ein reines, mutiges, zuchtvolles Leben …“ Denn es seien

„Elend und Not […] im Volke“, tausendfältig werde „Schmutz und Schund“ an die Jugend her-

angetragen, die Großstadt Wien sein ein „Sumpf, der das Land erdrücke“ und es gelte einen

„… Kampf gegen die Masse, die stumpf, im falschen Behagen dahinlebt und unsere Haltung

verspottet, weil ihr die nötige Verantwortung und Einsicht fehlt, zuchtvoll an Leib und

Geist.“486

Als deutlichen Schritt zu einer politischen Radikalisierung, weg vom eigentlichen Absti-

nenzgedanken und hin zu volks- und sozialpolitischen Zielen läßt sich der Aufruf „Unser Volk

in Not!“ vom November 1932 lesen. (� Abb. 43 ) Am stärksten zeigte sich der Themenwandel

in der Zeitschrift „Jungvolk“, welche, wie oben beschrieben, die Alkoholfrage überhaupt nicht

mehr behandelte, sondern sich ausschließlich mit einer „bündischen Lebensform“ der Jugend

befaßte. Auffallend ist auch, daß ab 1932 in der Vereinszeitschrift keine Berichte über die Ju-

gendarbeit mehr erschienen.

Ähnlich wie die politische Radikalisierung und Hinwendung zur NSDAP beim Gesamt-

verein vom Bundesvorsitzenden Rafelsberger ausging, war hier, bei der Jugendarbeit, sicher-

lich der für die Jugendarbeit verantwortliche Karl Springenschmid maßgeblich. Dieser, seit

1932 Mitglied der NSDAP, trennte zwar die Anliegen der DG von jeglicher Parteipolitik487,

übernahm aber in seiner Wortwahl, in den Anforderungen, die er in den Vereinspublikationen

an die Jugend stellte, das militant-radikale Vokabular der späteren Hitlerjugend.

484 Vgl. 9 (1931), 22. 485 „Die Junggemeinschaft“, Sommer 1930, 10. Heft, 128. 486 „Die Junggemeinschaft“, Sommer 1931, Folge 1. 487 Vgl. „Politische Aussprache“ in DG-Zs 10 (1932), 1, 2f und Hinweise auf den Seiten 108-109.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 7. Jugendarbeit

147 / 259

So läßt sich insgesamt feststellen, daß die Jugend innerhalb der DG, anfangs nur ein we-

nig organisierter Teilbereich auf Grund der faktischen Gegebenheiten, sich im Laufe der Jahre

zu einer Form wandelte, die sich äußerlich stark an die bündischen Vorbilder der völkischen

Jugendbewegung anlehnte und die in ihrer Thematik den Abstinenzgedanken zugunsten einer

allgemeinen, an kämpferisch-elitären Ideen orientierten volkspolitischen Motivation zurück-

stellte. Alkoholenthaltsamkeit war nicht mehr das Ziel, sondern wurde zum Mittel, um „höher-

rangige“ nationalistisch-politische Ziele zu erreichen.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

148 / 259

8. Ortsgruppen

Bei ihrer Gründung bestand die „Deutsche Gemeinschaft“ aus 8 Ortsgruppen, die alle aus

der Vorgängerorganisation, der Guttempler-Loge „Nephalia“, bzw. den „Neutralen Guttemp-

lern“ hervorgegangen waren. Es waren dies in Kärnten die Gruppen Klagenfurt, „Bergland“

(Villach) und „Vortrupp“ (Einöde, Bez. Villach), die OG Salzburg (Stadt), in Oberösterreich

„Donauwacht“ (Linz) und „Jungsteyr“, „Kampfruf“ in Graz sowie „Jungborn“ in Wien. Jede

OG war rechtlich ein eigenständiger Verein, der über die Satzungen als Unterorganisation des

Gesamtvereins definiert wurde. Es gab vorgegebene Standardsatzungen, mittels derer die Bil-

dung der OG bei der jeweiligen Vereinsbehörde bekanntgegeben wurde. Aus rechtlichen Grün-

den mußten auch die 8 Gründungsortsgruppen neu als Teil der „Deutschen Gemeinschaft“ ge-

bildet werden, so daß deren amtliches Gründungsdatum (soweit nachweisbar) nach dem des

Gesamtvereins vom 6. Jänner 1920 lag.

Der erste Bericht über Ortsgruppen, ihre Gliederung und Tätigkeit, stammt vom Septem-

ber 1921. Seit der Gründung seien sechs neue Ortsgruppen entstanden: Eisenkappel und Feld-

kirchen in Kärnten, Schärding, „Sturmruf“ (Linz) und „Lugaus“ (Linz) in Oberösterreich, so-

wie St. Pölten; die Mitgliederzahl sei um etwa 250 gewachsen. Am Sonntag, dem 31. Juli 1921,

fand in Klagenfurt eine Tagung von Ortsgruppenvertretern statt: „Sämtliche 14 Ortsgruppen

hatten Vertreter entsendet oder namhaft gemacht. Vom ‚Jungborn’, Wien kamen Ingenieur

Krapf und Stadler, aus Oberösterreich Jungmayr, aus Salzburg Rescheneder, aus Graz Groß,

Huyhammer und Schöck; geradezu glänzend, durch 11 Gemeinschafter, war die Ortsgruppe

‚Vortrupp’ in Einöd [sic!] vertreten, die daher ihrem Namen Vortrupp alle Ehre machte. Aus

Villach waren 6, aus Eisenkappel 3, aus Feldkirchen 1 Vertreter erschienen und von Kla-

genfurt waren zwei Dutzend Gemeinschafter anwesend.“ 488

Bei den Berichten über Ortsgruppengründungen fand sich in der Formulierung ein Unter-

schied zwischen „gegründet“ und „gestiftet“. Eine Stiftung war gemäß den Berichten oftmals

ein feierlicher Akt, manchmal verbunden mit Musikdarbietungen, und von einem erfahrenen

Mitglied einer bestehenden Ortsgruppe geleitet, bei dem die Neumitglieder in die „Gemein-

schaft“ aufgenommen wurden. Bei Berichten über Gründungen fehlt ein Hinweis auf besondere

Feierlichkeiten.

488 „Südmark“, 2 (1921), 246.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

149 / 259

In vielen Fällen war die Stiftung einer Ortsgruppe die Folge eines Vortrages, den ein

Vereinsmitglied am Ort gehalten hatte. Zu unterscheiden ist weiters zwischen dem vereinsin-

ternen Akt als Willenserklärung und dem behördlichen Akt der Anmeldung bei der Vereinsbe-

hörde. Zwischen diesen Schritten lag oft ein längerer Zeitraum.

In den folgenden Detailberichten gliedere ich die Ortsgruppen nach Bundesländern.

8.1. Ortsgruppengründungen

8.1.1. Burgenland

OG 71, „Burgenland“, Oberschützen

Am 20. Februar 1926 als erste burgenländische Ortsgruppe von Wolf[gang] Soyka ge-

gründet. Vorsitzender war Walter Rafelsberger.

8.1.2. Kärnten

Gau Kärnten

Am 13. Jänner 1922 legte Anton Tschebull die Satzungen des neugegründeten Gaues

Kärnten bei der Kärntner Landesregierung vor. Am 17. März teilte er ergänzend mit, „… daß

die vor dem Krieg in Kärnten gegründeten Ortsgruppen der I. Österreichischen Organisation

neutraler Guttempler am 20. Juli 1919 aufgelöst wurden ...“ Am 24. März 1922 erging der Be-

scheid über die Nichtuntersagung (Zl. 2452/Präs.).489

In einer Eingabe vom 4. Mai 1925 an die Kärntner Landesregierung meldete die Bundes-

leitung der DG die Neugründung des Gaues Kärnten. Der Gau Kärnten, Sitz in Klagenfurt, sei

zu löschen und als neuer Verein mit dem Sitz in Spittal/Drau einzutragen. Neuer Obmann sei

Mathias Zmölnig aus Spittal/Drau. Am 12. Mai 1925 gab „Ing. Anton Tschebull (Lehrer an der

Bundeslehranstalt für Maschinenbau und Elektrotechnik) […] als gewesener Gauleiter die Auf-

lösung des Gaues, Sitz Klagenfurt, bekannt.“ Die Nichtuntersagung des neuen Gaues erfolgte

am 28. Mai 1925, Zahl 3071/Präs.490

Am 12. August 1939 wurde der Gau Kärnten behördlich aufgelöst (siehe unten, Kapitel

„Behördenmaßnahmen“).

489 KtLA Präs Vereine, 1026, Vereinskataster 3397. 490 Ebd., 1006, Vereinskataster 3891.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

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OG 4, „Bergland“, Villach

Gründungsortsgruppe (6. Jänner 1920); hervorgegangen aus der Vorgängerorganisation

der „Neutralen Guttempler“.

Am 24. November 1920 meldete Hans Scherr die Gründung der drei Ortsgruppen „Berg-

land“ Villach, „Jungkärnten“ Klagenfurt und „Vortrupp“ Einöde bei der Kärntner Landesregie-

rung an. Die Nichtuntersagung aller drei Gruppen erfolgte in einem Bescheid vom 27. Novem-

ber 1920 unter der Aktenzahl 12.331/1920 Präs.491

Am 22. Jänner 1935 wurde die Ortsgruppe „Bergland“ Villach behördlich aufgelöst (sie-

he unten, Kapitel „Behördenmaßnahmen“).

OG 7, Klagenfurt

Gründungsortsgruppe (6. Jänner 1920); hervorgegangen aus der Vorgängerorganisation

der „Neutralen Guttempler“. (Nichtuntersagung siehe OG 4, „Bergland“, Villach). Am 3. Jän-

ner 1941 wurde die Ortsgruppe behördlich umgebildet (siehe unten, Kapitel „Behördenmaß-

nahmen“).

OG 8, „Vortrupp“, Einöde.

Gründungsortsgruppe (6. Jänner 1920); ursprünglich gegründet am 14. April 1914 als

Ortsgruppe der Vorgängerorganisation der „Neutralen Guttempler“. (Nichtuntersagung siehe

OG 4, „Bergland“, Villach).

In der Folge scheinen in den Akten etliche Ungereimtheiten in Bezug auf diese Ortsgrup-

pe auf: Am 5. August 1930 gab der damalige Bundesvorsitzende der DG, Walter Rafelsberger,

dem Präsidium der Kärntner Landesregierung die neu gegründete Ortsgruppe Nr. 8, „Vortrupp“

Einöde bekannt. Am 20. August erließ die BH Villach den Nichtuntersagungsbescheid (Zahl

8867/I/I), merkte aber gleichzeitig an, daß festzustellen sei, „… ob die gleichnamige Ortsgrup-

pe in Einöde, dessen [sic!] Bildung mit dem h.ä. Bescheide vom 23.12.1920, Zl.i2.33i/Präs.

nicht untersagt wurde (Obmann Josef Gmeiner, insg. Steinhauser, Grundbesitzer in Einöde)

noch zu Recht besteht oder sich allenfalls aufgelöst hat.

Die Bundesleitung, Bundesvorsitzender Ing. Walter Rafelsberger, Bad Tatzmannsdorf

im Burgenland, wird unter Einem im Wege der B.H. in Oberwart auf die Verpflichtung zur

rechtzeitigen Anzeige des Vorstandes der neugegründeten Ortsgruppe Einöde und seiner Mit-

491 KtLA, SiD 12/438.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

151 / 259

glieder an die B.H. in Villach im Sinne des §.i2 des bezogenen Gesetzes aufmerksam ge-

macht.“492

In der Vereinszeitschrift fand sich aber kein Hinweis darauf, daß die OG „Vortrupp“ auf-

gelöst oder neugegründet worden wäre; soweit über die Tätigkeit der Gruppe berichtet wird, ist

keinerlei Bruch oder grundlegender Wechsel erkennbar. Am 30. November 1939 wurde die

Ortsgruppe behördlich aufgelöst (siehe unten, Kapitel „Behördenmaßnahmen“).

OG 9, „Südwacht“, Eisenkappel

Die Ortsgruppengründung vom 30. Dezember 1920493 wird (ohne Datumsangabe) im

September 1921 erwähnt. Am 28. Jänner 1928 wurde die Ortsgruppe, gemeinsam mit den

OGen 26 „Sonnblick“ Villach, „Albeck“ Sirnitz, „Martin Ertl“ Puch, Trebesing, Viktring,

„Drauwacht“ Rosegg und „Jugendwille“ St. Georgen von der DG-Bundesleitung aufgelöst,

weil sie keine Tätigkeit mehr entwickelte (siehe unten, Kapitel „Behördenmaßnahmen“).

OG 13, „Dietrichstein“, Feldkirchen

Die Ortsgruppengründung vom 4. Juni 1921 wird (ohne Datumsangabe) im September

1921 erwähnt. Nichtuntersagung durch Bescheid der Kärntner Landesregierung am 17. Februar

1926 [!], Zahl 1.349/I-1. 494 Am 11. Dezember 1937 wurde die Ortsgruppe behördlich aufgelöst

(siehe unten, Kapitel „Behördenmaßnahmen“).

OG 19, Friesach ?

Diese OG wurde am 11. Dezember 1921 nach einem Vortrag des Gemeinschafters Robert

Krapf gestiftet; die Gründungsversammlung fand am 6. Jänner 1922, dem 2. Jahrestag der Ver-

einsgründung, statt.

Hier besteht eine Diskrepanz zur Tabelle vom Mai 1927. Dort ist als Nr. 19 die Ortsgrup-

pe „Seeburg“ in Feld am See mit dem Gründungsdatum 2. April 1924 verzeichnet. Eine Orts-

gruppe Friesach scheint hingegen nicht auf. Die Nichtuntersagung der OG Nr. 19, „Seeburg“

erfolgte am 17. Februar 1926 mit Bescheid der Kärntner Landesregierung, Zahl 1.349/I-1.495

Eine weitere Diskrepanz besteht zu Admont, weil dort ebenfalls eine Ortsgruppe Nr. 19,

„Grabnerhof“ angemeldet wurde (siehe Kapitel „Steiermark“).

492 KtLA, Präs Vereine, 991, Vereinskataster 4470. 493 Siehe 5 (1927), 83-87, Ortsgruppentabelle. 494 KtLA, Präs Vereine, 1000-1005, Vereinskataster 3959. 495 Ebd.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

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OG 26, „Sonnblick“, Villach

Gegründet am 10. Februar 1922. Die Kontaktperson war Hans Kofler aus Villach. Nicht-

untersagung der OG wie bei OG 13, „Dietrichstein“. Auflösung am 28. Jänner 1928 siehe OG

9, „Südwacht“ Eisenkappel.

OG 30, „Heimat“, Ferlach

Am 1. März 1922 von Robert Krapf gestiftet. Leiter der Ortsgruppe war der Direktor der

örtlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Feuerwaffen, Alois Keßner.

OG 32, „Ortenburg“, Spittal/Drau

Die Gruppe wurde am 25. März 1922 von Robert Krapf gestiftet.

Die Gründung der beiden Ortsgruppen, Ferlach und Spittal/Drau, wurde von der Bundes-

leitung der DG am 30. März 1925 [!] beim Regierungsamt Kärnten angezeigt. Die Nichtunter-

sagung erfolgte am 4.4.1925, Zahl 2329/Präs.496 Am 30. November 1939 wurde die OG 32,

„Ortenburg“ behördlich aufgelöst (siehe unten, Kapitel „Behördenmaßnahmen“).

OG 37, „Albeck“, Sirnitz

Gegründet von Robert Krapf am 30. April 1922 als Bauernortsgruppe in Verbindung mit

der örtlichen Landjugend, die „… das gesellige Leben im Dorf beherrscht, Trunk fernhält und

die alten Bräuche bewahrt.“ 497 Nichtuntersagung der OG wie bei OG 13, „Dietrichstein“. Auf-

lösung am 28. Jänner 1928 siehe OG 9, „Südwacht“ Eisenkappel.

OG 38, „Martin Ertl“, Puch bei Gummern

Am 16. April 1922 durch Robert Krapf gestiftet. Nichtuntersagung der OG wie bei OG

13, „Dietrichstein“. Auflösung am 28. Jänner 1928 siehe OG 9, „Südwacht“ Eisenkappel.

OG 40, Trebesing

Sie wurde am 30. April 1922 vom „Br. Zmölnig“498 eingerichtet. Ihr Obmann war der

evangelische Pfarrer Reinhard Bünker aus Trebesing im Liesertal. Nichtuntersagung der OG

wie bei OG 13, „Dietrichstein“. Auflösung am 28. Jänner 1928 siehe OG 9, „Südwacht“ Eisen-

kappel.

496 KtLA, Präs Vereine, 1007-1009, Vereinskataster 3873. 497 „Südmark“, 3 (1922), 211f. 498 In Berichten über Vereinsaktivitäten wurden die Mitglieder fast ausschließlich mit ihrem Familiennamen und

einem vorangestellten „Schw.“ (Schwester) bzw. „Br.“ (Bruder) genannt. Damit sollte ein familiärer Zusam-

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

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OG 41, Glanegg bei Maria Feicht

Diese Gruppe wurde am 30. April 1922 von Hans Kofler gestiftet und soll zum Großteil

von Bauern getragen worden sein.

OG 44, „Turm“, Arriach

Die Stiftung dieser Ortsgruppe am 11. Juni 1922 durch Hans Kofler wurde laut Bericht

besonders festlich begangen: „72 Bundesgeschwister waren aus allen Teilen Kärntens zur Stif-

tung erschienen, die um 2 Uhr nachmittags in dem mit Blumengewinden festlich geschmückten

Gemeindesaale stattfand. Br. Kofler hielt im Freien eine Ansprache an die zahlreichen Fest-

gäste, ebenso Br. ev. Pfarrer Hildebrand. Ein Gasthofbesitzer und Holzhändler aus dem Mur-

tale spendete unter dem Eindrucke dieser Versammlung 20.000 Kronen für die neue Ortsgrup-

pe, die mit 24 Mitgliedern ihre Tätigkeit aufnahm.“499

OG 46, Viktring (Klagenfurt)

Am 17. Juni 1922 von Robert Krapf gestiftet. Auflösung am 28. Jänner 1928 siehe OG 9,

„Südwacht“ Eisenkappel.

OG 47, „Drauwacht“, Rosegg

Gestiftet am 20. Juni 1922 von Robert Krapf; die Gruppe wurde laut Bericht unter starker

Beteiligung von Lehrern gegründet. Die Gründung wurde gemeinsam mit den Ortsgruppen

Ferlach und Spittal/Drau von der Bundesleitung der DG am 30. März 1925 [!] beim Regie-

rungsamt Kärnten angezeigt. Die Nichtuntersagung erfolgte am 4.4.1925, Zahl 2329/Präs.500

Auflösung am 28. Jänner 1928 siehe OG 9, „Südwacht“ Eisenkappel.

OG 50, „Bergfriede“, Zedlitzdorf

Am 23. Juli1922 von Robert Krapf gestiftet.

OG 51, „Höhensonne“, Fresach bei Paternion

Die Stiftung erfolgte am 27. August 1922 durch Robert Krapf.

OG 52, „Jugendwille“, St. Georgen am Sandhof b. Klagenfurt

Gegründet durch den Bundesvorsitzenden im Rahmen des Klagenfurter „Gemeinschafter-

tages“ am 10. September 1922. Gruppenleiter war der Lehrer Alexander Krebitz aus St. Geor-

menhang innerhalb der Gruppe ausgedrückt werden. Selten wurden auch die Vornamen der Personen ver-wendet.

499 „Südmark“, 3 (1922), 252.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

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gen. Die Mitglieder, 11 Personen, gehörten dem Landjugendbund an. „Da nach langem Re-

genwetter gerade an diesem Sonntagnachmittag die Sonne herauskam, wurde das Stiftungs-

zimmer im Schulhause bald verlassen […] . Der Nachmittag gehörte der Jugend und auch die

Alten wurden wieder jung. Gemeinschafter, Junggemeinschafter und Wandervögel, aus dem

Stadt- und Landvolke stammend, beteiligten sich an den Wiesenspielen […]“. 501Auflösung am

28. Jänner 1928 siehe OG 9, „Südwacht“ Eisenkappel.

OG 56, „Hornburg“, Klein-St. Paul im Görtschitztal

Diese Ortsgruppe wurde, nach einem Vortrag von Robert Krapf am 4. Februar 1923, am

11. März 1923 gegründet.

OG 62, Wolfsberg

Am 9. Oktober 1924 von Robert Krapf gegründet.

Vom 17. Februar 1925 existiert ein Schreiben an die BH Wolfsberg (Zl. 1646/1) um „An-

erkennung der in Gründung begriffenen Ortsgruppe Wolfeberg [sic!] der ‚Deutschen Gemein-

schaft für alkoholfreie Kultur’“ Das Schreiben ist unterzeichnet von Paula Zedrossy, Franz

Liebert und Franz Kerschbaumer. Am 23. Februar 1925 erging der Nichtuntersagungsbescheid

der BH Wolfsberg, Zahl 1592/Präs.502 Am 4. Dezember 1937 wurde die Ortsgruppe behördlich

aufgelöst (siehe unten, Kapitel „Behördenmaßnahmen“).

OG 66, „Goldeck“, Zlan

Gestiftet von Robert Krapf am 8. November 1925 als Folge eines am 18. Oktober gehal-

tenen Vortrages. Nichtuntersagung der OG wie bei OG 13, „Dietrichstein“. Am 12. August

1939 wurde die Ortsgruppe behördlich aufgelöst (siehe unten, Kapitel „Behördenmaßnah-

men“).

OG 68, „Neue Wege“, St. Veit/Glan

Gegründet am 4. Jänner 1926. Kontaktperson war der Eisenbahner Adolf Kupka.

OG 69, „Südwacht“, St. Lorenzen im Gitschtal

Am 7. Februar 1926 vom Kärntner Gauleiter Hias Zmölnig gestiftet.

500 KtLA, Präs Vereine, 1007-1009, Vereinskataster 3873. 501 „Südmark“, 4 (1923), 37f. 502 KtLA, Präs Vereine, 1023, Vereinskataster 3855.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

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OG 73, Emberg ob Greifenburg

Gegründet am 2. Mai 1926 nach einem Vortrag von den „Bbr. Krapf, Burger und Gmei-

ner“. Vorsitzender war der Lehrer und Schulleiter Gottfried Linder.

Weiteres siehe unten, Kapitel „Behördenmaßnahmen“.

OG 74, „Lurnfeld“; Pusarnitz

Am 13. Mai 1926 nach einem Vortrag von Robert Krapf mit 19 Mitgliedern gestiftet.

Am 11. Juli 1926 meldete die Bundesleitung der DG bei der Kärntner Landesregierung

die Gründung dieser Ortsgruppe sowie der Gruppe Emberg an. Am 16. Juli erging der Nichtun-

tersagungsbescheid, Zahl 6.000/I-1.503

8.1.3. Niederösterreich

Gau Niederösterreich

Die Gründungssitzung des „Gaues Niederösterreich“ fand laut Zeitschriftsbericht am 1.

April 1922 unter der Leitung von Richard Soyka in Wien statt.504 Über diese Gründung waren

keine amtlichen Unterlagen auffindbar. In der Vereinszeitschrift vom Oktober 1925 wird be-

richtet, daß Otto Broschek, Leiter der Geschäftsstelle in der Hofburg, die Gauleitung Niederös-

terreichs zurücklegte, da er nach Meran übersiedeln werde. Ihm folgte Wolfgang Soyka

nach.505 Aus späteren Behördenakten geht allerdings hervor, daß der „Gau Niederösterreich“

als eigenständiger Verein erst am 6. Jänner 1926 in Wien gegründet worden sei. Erster Gauvor-

sitzender war Wolfgang Soyka, wohnhaft in Wien XIV., Rauchfangkehrergasse 6/13.506

OG 10, St. Pölten507

Die Ortsgruppengründung vom 6. Jänner 1921 wird (dort ohne Datumsangabe) im Sep-

tember 1921 erwähnt.508

OG 22, „Frauenstein“, Mödling

Diese OG wurde am 18. Jänner 1922 gegründet.509 Sie begann mit 16 Mitgliedern und

wandte sich schwerpunktmäßig an die Schüler der technisch-gewerblichen Bundeslehranstalt

503 KtLA, Präs Vereine, 992, Vereinskataster 4008. 504 „Südmark“, 3 (1922), 210. 505 Vgl. 3 (1925), 138. 506 StLA, LReg 206 A012-1936, Graz, Zahl 206 D 2/1-1926 vom 11.1.1926. 507 Sämtliche Quellenangaben zu den Aktenzahlen der Ortsgruppengründungen Niederösterreichs beziehen sich

auf NöLA, N.Ö. Regierung, Katasterblätter.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

156 / 259

(heute HTL) in Mödling. Kontaktperson war Ernst Rudolf Perl. Die Jugendgemeinschaft, be-

stehend aus etwa 50 Personen, arbeitete mit der dortigen Ortsgruppe der „Südmark“ zusammen.

OG 24, „Kampf“, Perchtoldsdorf

Gegründet am 5. Februar 1922.510 Kontaktperson war Hans Ranftl aus Perchtoldsdorf.

OG 28, „Grenzwacht“, Laa/Thaya

Gestiftet wurde diese Ortsgruppe am 10. Februar 1922 nach einem Vortrag von Richard

Soyka.511 An der Gründung sollen Lehrer und Angehörige des „Wandervogels“ beteiligt gewe-

sen sein; sie hatte zu Beginn 19 Mitglieder.

OG 33, „Die Aufrechten“, Klosterneuburg

Am 3. März 1922 von Richard Soyka nach einem Vortrag gestiftet.512 Anfangsstand 16

Mitglieder.

OG 34, „Treuhort“, Mödling

Gestiftet von Wolfgang Soyka am 24. März 1922 mit 20 Studenten an der technisch-

gewerblichen Lehranstalt (siehe OG 22, „Frauenstein“509).

OG 39, „Sonne“, Stockerau

Die Gruppe wurde am 8. April 1922 von Richard Soyka gestiftet.513 Sie ging hervor aus

einer vorher bestandenen alkoholgegnerischen Gruppe namens „Mimir“.

OG 59, Traiskirchen

Eingerichtet am 25. September 1923 durch den an der Bundeserziehungsanstalt Traiskir-

chen tätigen Lehrer Stephan Löscher.514

508 Nichtuntersagung 1925, L.A.I/6b 1394; amtliche Löschung 1940, Pol. I. 607/6 (Vereinskataster St. Pölten). 509 Nichtuntersagung 1925, L.A.I/6b-1392/0; amtliche Löschung 1931, L.A. I/6b-384/3 (Vereinskataster Möd-

ling). Im NöLA gab es nur eine Ortsgruppe in Mödling, ob „Frauenstein“ oder „Treuhort“ war nicht erkenn-bar.

510 Nichtuntersagung 1926, L.A.I/6b 1553; amtliche Löschung 1931, L.A.I/6b 382/1 (Vereinskataster Perchtoldsdorf).

511 Nichtuntersagung 1925, L.A.I/Vb/1736; amtliche Löschung 1936, L.A.I/Vb 886/5 (Vereinskataster Laa/Thaya).

512 Nichtuntersagung 1926 als OG „Neuburg“, L.A.I/6b 1552; amtliche Löschung 1935, L.A.I/6b 242/5 (Ver-einskataster Klosterneuburg).

513 Nichtuntersagung 1926, L.A.I/6b 1551; amtliche Löschung 1936, L.A.I/ 6b 886/6 (Vereinskataster Stocke-rau).

514 Nichtuntersagung 1925, L.A.I/6b 1393; amtliche Löschung 1931, L.A.I/6b 383/1 (Vereinskataster Traiskir-chen)

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

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OG 77, „Waldviertel“, Horn

Mit der Stiftung dieser Ortsgruppe am 28. November 1926 durch Fritz Hirth und [Br.]

Streicher wurde die Vereinstätigkeit im nördlichen Niederösterreich ausgeweitet, wo bisher nur

die Ortsgruppe 28 bestand.515

OG 79, Krems/Donau

Eine vom Linzer Gemeinschafter Richard Hartmann Ende Dezember 1926 durchgeführte

Schulungswoche löste die Stiftung dieser Ortsgruppe am 16. Jänner 1927 durch Wolf[gang]

Soyka aus.516 Sie hatte zu Beginn 22 Mitglieder.

OG 80, „Steinfeld“, Niederösterreich

Die Stiftung nahm Wolf[gang] Soyka am 5. Februar 1927 „… im Beisein der Bbr. Hans

Paul und Dr. Kerck …“ vor. 517

8.1.4. Oberösterreich

OG 3, „Donauwacht“, Linz

Gründungsortsgruppe (6. Jänner 1920), hervorgegangen aus der Vorgängerorganisation

„Nephalia“ bzw. den „Neutralen Guttemplern“.

OG 6, „Jungsteyr“

Gründungsortsgruppe (6. Jänner 1920); ursprünglich gegründet im Jahre 1913 als Orts-

gruppe der Vorgängerorganisation der „Neutralen Guttempler“.

OG 11, „Sturmruf“, Linz

Die Ortsgruppengründung wird, ohne Datumsangabe, im September 1921 erwähnt. In ei-

ner Auflistung der Ortsgruppen vom 31. März 1923 scheint sie unter ihrem Namen „Sturmruf“

auf, in einem weiteren Ortsgruppenverzeichnis vom Mai 1927 wird sie, mit dem Gründungsda-

tum 6. Oktober 1925, als Ortsgruppe Nr. 11, „Bunge“, genannt.

OG 12, „Lugaus“, Linz

Die Ortsgruppengründung vom 3. Mai 1921 wird (dort ohne Datumsangabe) im Septem-

ber 1921 erwähnt.

515 Nichtuntersagung 1927, L.A.I/6b 714; amtliche Löschung 1933, L.A.I/6b 2482/1 (Vereinskataster Horn). 516 Nichtuntersagung 17.5.1927, L.A.I/ 6b 1164; amtliche Löschung 1935, L.A.I/ 6b 3222/1 (Vereinskataster

Krems).

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

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OG 14, Schärding

Laut Bericht in der „Südmark“ vom September 1921 soll diese Ortsgruppe bereits im Jah-

re 1921 gegründet worden sein. Im Ortsgruppenverzeichnis vom Mai 1927 hat sie das Grün-

dungsdatum 6. Juni 1921. Der Nichtuntersagungsbescheid, Zl. 8144/11 stammt allerdings vom

28. März 1922.518

OG 18, Freistadt

Mit 10 Gründungsmitgliedern gestiftet am 11. Dezember 1921 durch das Linzer Mitglied

Fritz Hirth.

OG 36, „Sonnstein“, Ebensee

Die Stiftung erfolgte mit 20 Mitgliedern am 21. Mai 1922 durch Fritz Hirth im Rahmen

einer alkoholgegnerischen Ausstellung.

OG 42, „Jahn“, Schwanenstadt

Die Ortsgruppenstiftung vom 29. Juni 1922 durch Fritz Hirth war Folge einer am Ort

durchgeführten alkoholgegnerischen Ausstellung. Sie galt als Turner-Ortsgruppe.

OG 48, „Traunsee“, Gmunden

Gegründet am 21. Juni 1922. Kontaktperson war der Linzer Gemeinschafter Fritz Hirth.

OG 54, „Sonnenland“, Wels

Diese Ortsgruppe, gegründet am 24.November 1922 von Fritz Hirth und Otto Jungmair,

war die letzte Gründung des Jahres 1922. Sie begann ihre Tätigkeit mit 16 Mitgliedern.

OG 58, „Kremstal“, Kirchdorf/Krems

Gegründet, nach einem Vortrag von Otto Jungmair vom 15. Mai 1923, am 14. August mit

16 Mitgliedern.

OG 60, „Inngau“, Ried/Innkreis

Der Anstoß zur Ortsgruppengründung erfolgte im Juli 1923 bei einer alkoholgegneri-

schen Ausstellung durch Fritz Hirth; die faktische Gründungsversammlung fand am 11. Okto-

ber 1923 statt. 9 von 14 Mitgliedern sollen Lehrer gewesen sein. Die Gruppe sah ihre Haupt-

aufgabe in der Jugendarbeit.

517 5 (1927), 35. Nichtuntersagung 1927, L.A.I/ 6b 715; amtliche Löschung 1936, L.A.I/ 6b 133/3 (Vereinskatas-ter Wr. Neustadt).

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

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OG 86, „Heideland“, Marchtrenk b. Wels

Gegründet wurde die Ortsgruppe am 23. März 1930 nach Vorarbeiten des Welser Ge-

meinschafters Max Witzelsteiner.

OG 88, Reichraming

Die Ortsgruppe wurde am 16. April 1931 gegründet.

8.1.5. Salzburg

Gau Salzburg

Die Gründung (Nichtuntersagung) erfolgte am 24. Februar 1926, Zahl 1885 L.A.D.519

Am 31. März 1940 löste sich der Gau freiwillig auf (siehe unten, Kapitel „Behördenmaß-

nahmen“).

OG 1, Salzburg

Gründungsortsgruppe (6. Jänner 1920). Ursprünglich gegründet am 28. September 1909

als Ortsgruppe der Vorgängerorganisation „Nephalia“.

Am 11. Jänner 1939 wurde die Ortsgruppe behördlich umgebildet und löste sich am 31.

März 1940 freiwillig auf (siehe unten, Kapitel „Behördenmaßnahmen“).

OG 65, „Pinzgau“, Saalfelden

Gegründet durch Max Rescheneder am 14. Juni 1925 war dies die erste Ortsgruppe im

Land Salzburg. Laut Bericht sei sie aus einer „Überbündischen Arbeitsgemeinschaft der Pinz-

gauer Alkoholgegner“ entstanden.

OG 67, „Knappschaft“, Mittersill

Am 30. November 1925 von Hans Welser eingerichtet. Bei der Gründung wurden acht

neue Mitglieder, hauptsächlich Bergleute, aufgenommen.

OG 75, „Friedrich Reinitzer“, Salzburg

Diese am 14. Juli 1926 gegründete Gruppe war die zweite in der Stadt Salzburg. Vorsit-

zender war Fritz Stürmer, Salzburg-Itzling. Am 24. März 1927 zeigte Stefan Schöck die Bil-

dung der OG bei der Salzburger Landesamtsdirektion an, am 29. März 1927 (Zahl 479/LAD.)

518 OöLA, BH Schärding, Schachtel 71, Abt. XVII, Zl. 892/1922. 519 SbLA, Präs. 1927, 18/n, Akt 4470.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

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erfolgte die Nichtuntersagung. Im Vereinskataster wurde sie mit der Nummer 911 eingetra-

gen.520

OG 82, „Unsere Rettung“, Salzburg

Die Stiftung nahm Max Rescheneder am 19. September 1927 vor. Die Gruppe arbeitete –

im Gegensatz zur sonstigen präventiven Ausrichtung der meisten Ortsgruppen – auf dem Ge-

biete der Trinkerfürsorge und -Rettung.

Behördlich angemeldet wurde die Gruppe durch die DG-Bundesleitung bereits am

16. Juli 1927. Am 23. Juli 1927 erließ die Salzburger Landesregierung die Nichtuntersagung

(Zahl 9.205/L.A.D.)521 Die Auflösung erfolgte am 8. Dezember 1931 (siehe unten, Kapitel

„Behördenmaßnahmen“).

OG 85, „Dr. Josef Schweighofer“, Salzburg

Die Meldung über die Gründung der OG durch die Bundesleitung ging am 7. März 1931

an die SbLReg. Da die beigelegten Satzungen keine Stempelmarken aufwiesen, verzögerte sch

der Aktenlauf. Nachdem die Bundesgeschäftsstelle der DG am 15. Dezember 1931 die Stem-

pelmarken nachgereicht hatte, kam am 18. Dezember 1931 (Zahl 15547/L.A.D.) die Nichtun-

tersagung.522

Freiwillige Auflösung der OG am 31. März 1940 (siehe unten, Kapitel „Behördenmaß-

nahmen“).

OG 87, „Pongau“, Radstadt

Der Bundesvorsitzende-Stellv. Kurt Pitsch und der „Zahlmeister“ Max Kremer meldeten

am 29. September 1930 die Gründung der Ortsgruppe bei der SbLReg an. Die Nichtuntersa-

gung (Zahl 12.390/L.A.D.) erfolgte am 11. Oktober 1930.523

Im Tätigkeitsbericht über das Jahr 1930 wurde in einem Nebensatz zugleich mit der Orts-

gruppengründung „Marchtrenk“ (Nr. 86) über eine neu entstandene Ortsgruppe Radstadt be-

richtet524, von deren Gründung sonst weiter kein Bericht zu finden war. Allerdings wurde im

Februar 1932 aus der Ortsgruppe „Pongau“ der Tod eines Alois Gappmeier bekanntgegeben.525

520 SbLA, Präs. 1927, 18/n. 521 Ebd. 522 Ebd. 523 Ebd. 524 9 (1931), 2. 525 10 (1932), 2, 10.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

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8.1.6. Steiermark

Gau Steiermark

Am 27. Jänner 1925 meldete Stefan Schöck bei der StmLReg die Gründung des Gaues

Steiermark an. Am 5. Februar 1925 erfolgte die Nichtuntersagung (Zahl 8 652/1-1925). Gau-

vorsitzender wurde Gustav Kurka. Die Einladung zu einem „Gautag“ am 16. und 17. März

1929 in Frohnleiten nannte als Programmpunkte u.a. einen Vortrag in der Hauptschule Frohn-

leiten, einen Begrüßungsabend im Gasthof Weissenbacher und einen Volksliedernachmittag im

Frohnleitener Kinosaal. Dieser Nachmittag werde gestaltet von der DG-Gruppe „Sturmvolk“

und „… dem Lehrer Rohry mit seinen Schülern…“ unter Mitwirkung mehrerer Wandervogel-

gruppen.526

Die behördliche Auflösung des Gaues erfolgte am 3. September 1941 (siehe unten, Kapi-

tel „Behördenmaßnahmen“).

OG 5, „Kampfruf“, Graz

Gründungsortsgruppe (6. Jänner 1920). Ursprünglich entstand sie aus einer Vereinigung

des am 1. November 1900 gegründeten „Vereines der Abstinenten in Graz“ mit der am 5. Ok-

tober 1912 gegründeten Ortsgruppe „Baldur“ der „Neutralen Guttempler“.

Am 28. Dezember 1920 meldete Stefan Schöck die Gründung der Ortsgruppe Graz

schriftlich an (Zahl St.Z. 3062-1920). Ortsgruppenleiter war Friedrich Reinitzer, Graz. Der Ak-

tendeckel der StmLReg zur Nichtuntersagung vom 12. Jänner 1921, Zahl 8 3062-1920, enthält

einen handschriftlichen Zusatz: „Die Bildung eines Vereines mit den aus beiliegenden Satzun-

gen hervorgehenden Zwecken ist vom Resortstandpunkt [sic!] zu begrüssen. Der Verein wäre

auch dem Landesjugendamt von Interesse. Graz am [unleserlich] Jänner 1921“.527 Am 24. Mai

1925 wurde die OG in „Kampfruf, Graz“ umbenannt (Zahl 8 2534/2-1925).

Am 13. September 1941 wurde sie behördlich aufgelöst (siehe unten, Kapitel „Behör-

denmaßnahmen“).

OG 16, „Baldur“, Graz

Gegründet am 12. Dezember 1921 durch Stefan Schöck. Die Gruppe „…umfaßt haupt-

sächlich Führer der Jugendbewegung und wird sich besonders mit Pflege der Innenarbeit be-

526 StLA, LReg 392 A-029/1941, Graz 527 Ebd., LReg 206 A052-1936, Graz.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

162 / 259

fassen, während die Stammgruppe in Graz mehr die Außenarbeit, Werbetätigkeit im ganzen

Land besorgen wird.“ 528

OG 19, „Grabnerhof“, Admont?

Der Bestand dieser Ortsgruppe als Nr. 19 ist unsicher (siehe OG 19, Friesach in Kärnten).

Jedenfalls meldete die Bundesleitung der DG (Unterschrift Karl Kramer) am 22. Mai

1933 bei der StmLReg die Gründung einer Ortsgruppe Nr. 19, „Grabnerhof“529, in Admont an.

Am 1. Jun 1933 erging der Bescheid der Nichtuntersagung, Zahl 206 GA 22/1/1933.

Am 20. Juli 1935 berichtete die BH Liezen auf Anfrage an die SiD Stmk, daß der Verein-

sausschuß ausschließlich aus Schülern und Lehrern der Schule bestehe und die Tätigkeit der

OG völlig einwandfrei erscheine. Sie verfolge nur den Zweck, ihre Mitglieder zum Antialkoho-

lismus und zur Vermeidung des Rauchens zu erziehen (Zahl 384 Ju 19/1-1935). Am 25. Mai

1936 schrieb die SiD Stmk an die BH Liezen, daß die Vereinstätigkeit „schärfstens zu überwa-

chen sei“ (Zahl 206 GA 33/1/1936). Am 26. Juni 1936 berichtete das GdPKdo an die BH Lie-

zen (Zahl 2026), daß der Verein unbedenklich sei. „Die Genannten haben niemals Anlass ge-

geben, an ihrer staatstreuen Einstellung zu zweifeln. Insbesondere gilt Fachlehrer Anton Stein-

berger als regierungstreu eingestellt.

Der Verein erhält sehr wenig Post, solche aus dem deutschen Reiche überhaupt nicht. Es

ist bei der äusserst korrekten Einstellung des Fachlehrers Steinberger auch nicht anzunehmen,

dass der Verein in irgend einer Form zu regierungsfeindlichen Bestrebungen missbraucht

wird.“530

OG 20, „Heilborn“, Bruck/Mur

Gestiftet am 20. Dezember 1921 durch Stefan Schöck nach einem von ihm gehaltenen

Vortrag mit anfangs 11 Mitgliedern und 5 Anhängern. Mit Gründung dieser Ortsgruppe wurde

die Vereinstätigkeit in die Obersteiermark ausgeweitet. Am 4. Mai 1934 wurde sie behördlich

aufgelöst (siehe unten, Kapitel „Behördenmaßnahmen“).

OG 21, „Glückauf“, Leoben

Die Gründung dieser OG am 27. Jänner 1922 war eine Folge eines Vortrages von Stefan

Schöck (siehe OG 20). Zu Beginn zählte sie 16 Mitglieder, größtenteils Studenten der Monta-

528 „Südmark“, 3 (1922), 32. 529 „Grabnerhof“, siehe S. 81. 530 StLA, LReg 206 GA-033/1936, Grabnerhof.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

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nistischen Hochschule. Am 11. Februar 1924 gab Schöck die Gründung der OG bei der StmL-

Reg bekannt, am 7. März 1924 erfolgte die Nichtuntersagung (Zahl 8 2065/1-1924).531

Auflösung der OG am 8.März 1947 (siehe unten, Kapitel „Behördenmaßnahmen“).

OG 25, Akademische Ortsgruppe Graz

Die Gruppe wurde am 16. Februar 1922 von Stefan Schöck gestiftet. Sie sollte „… die für

unsere Gedanken zugänglichen Hochschüler sammeln, damit sie in enger Verbindung mit den

übrigen Ortsgruppen in Steiermark für unsere Bewegung arbeiten.“ 532

Am 6. April 1922 meldete Schöck die geplante Gründung der Ortsgruppe bei der StmL-

Reg an (Zahl 8 1489/1-1922). Die Stellungnahme der Technischen Hochschule dazu (Zahl

1137/22 vom 22. April 1922) besagte, daß gegen Bildung des o.g. Vereins „vom Standpunkte

der akademischen Disziplin eine Einwendung nicht erhoben wird.“ Unterschrift Rektor, Dr.

Heger (??).

Die Karl-Franzens-Universität äußerte sich am 27. April (Zahl 2237) ähnlich, wonach

„… der Akademische Senat mit Umlaufschreiben vom 25. April Z.2237 beschlossen hat, gegen

die Gründung der Akademischen Gruppe der Deutschen Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur

vom Standpunkte der Akademischen Disziplin und Ordnung aus keinen Einwand zu erheben.

Das Rektorat bittet jedoch, die Vereinigung zu veranlassen, die Satzungen unter 5.I. dahin ab-

zuändern, daß als ordentliche Mitglieder der Vereinigung lediglich die an der Grazer Universi-

tät inskribierten ordentlichen Hörer aufgenommen werden können.“ Unterschrift Rektor Mi-

chelitsch. Die Nichtuntersagung der Ortsgruppe durch die StmLReg erging am 6. Mai 1922,

Zahl 8 1489/3-1922.533

Zur Auflösung der OG am 7. Oktober 1937 siehe unten, Kapitel „Behördenmaßnahmen“.

OG 31, „Sturm“, Graz

Es war dies die „… erste Gruppe in der Wehrmacht …“, die Stefan Schöck nach einem

Vortrag am 30. März 1922 stiftete.534 Sie hatte zunächst 20 Mitglieder. Über ihre Gründung

lagen keine Behördenunterlagen vor.

531 StLA, LReg 206 Le-056-1936, Leoben. 532 „Südmark“, 3 (1922), 104. 533 StLA, LReg 206 A053-1936, Akademische Gruppe Graz 534 „Südmark“, 3 (1922), 180.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

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OG 31, „Vorwärts“, Kalwang?

Der Bestand dieser Ortsgruppe ist unsicher (siehe oben, OG 31, „Sturm“, Graz).

Jedenfalls meldete die Bundesleitung der DG (Unterschrift Karl Kramer) am 8. Novem-

ber 1931 bei der StmLReg die Gründung einer Ortsgruppe Nr. 31, „Vorwärts“ in Kallwang

[sic!] an. Die Nichtuntersagung erging am 28. November 1931 (Zahl 206 Ka 133/1/1931). Am

25. Mai 1936 forderte die SiD Stmk die BH Leoben auf (Zahl 206 Ka 45/1/36), die Tätigkeit

des Vereins „schärfstens zu überwachen“535 (siehe OG 19, „Grabnerhof“). Die behördliche

Auflösung erfolgte am 16. Jänner 1937 (siehe unten, Kapitel „Behördenmaßnahmen“).

OG 35, „Aufbau“, Graz

Dies war eine „bautechnische“ Gruppe mit anfangs 25 Mitgliedern, welche Stefan

Schöck am 17. März 1922 einrichtete. Am 23. Mai 1925 wurde die Vereinsanmeldung bei der

StmLReg eingereicht, am 3. Juni 1925 erfolgte die Nichtuntersagung (Zahl 8 2530/1/1925).536

Am 7. Mai 1935 wurde sie aus dem Vereinsregister gelöscht (siehe unten, Kapitel „Behörden-

maßnahmen“).

Fragliche OG 35, Judenburg

Diese Ortsgruppe ist in den verfügbaren Publikationen des Vereines nicht genannt. In

den Archivalien des Landesarchivs Steiermark existiert allerdings ein Akt537 über die Gründung

einer Ortsgruppe Nr. 35 in Judenburg. So meldete die Bundesleitung der DG mit der Unter-

schrift des 2. Bundesvorsitzenden, Karl Kramer, am 16. Jänner 1931 bei der StmLReg die

Gründung der OG 35, Judenburg an. Am 22. Jänner 1932 erfolgte die Nichtuntersagung, Zahl

206 J 2/1-1932. Weitere Schritte und Auflösung am 17. Dezember 1941 siehe unten, Kapitel

„Behördenmaßnahmen“.

OG 43, „Voran“, Graz

„Die Ortsgruppe des technischen Bataillon Nr. 5 des Bundesheeres in Graz wurde am 24.

Mai von Br. Schöck gegründet.“ Das hier genannte Gründungsdatum stammt aus der „Süd-

mark“, die Ortsgruppentabelle vom Mai 1927 zeigt allerdings als Datum den 31. Mai 1922.

535 StLA, LReg 206 KA-045/1936, Kalwang. 536 StLA, LReg 206 KU-018/1935, Graz. 537 StLA, SiDi Ju-015/1946, Judenburg.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

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OG 45, „Willenskraft“, Graz

Diese Gruppe bestand an der „BULME“, an der Schöck unterrichtete. Er stiftete die OG

am 28. April 1922 und hielt anschließend an den Stiftungsakt vor den Schülern einen Vortrag

über die Entstehungsgeschichte der „Deutschen Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur“. In den

Akten der StmLReg ist sie mit dem Namen „Jugendkraft“ Gösting vermerkt. Die Anmeldung

geschah am 25. Mai 1925, die Nichtuntersagung (Zahl 8 2531/1/1925) am 3. Juni 1925. Die

Behördliche Auflösung stammt vom 25. August 1936. (siehe unten, Kapitel „Behördenmaß-

nahmen“).

OG 61, „Reichenstein“, Trofaiach

Gegründet von [den Bbr.] Vogel und Fölsche am 17. Juli 1924 nach einem von der OG

Leoben veranstalteten Vortrag vom 31. Mai mit anschließender Ausstellung. In der Ortsgrup-

pentabelle vom Mai 1927 ist allerdings als Gründungsdatum der 17. Juni 1924 angegeben.

OG 64, „Radmannsdorf“, Weiz

Gegründet am 20. Februar 1925 durch den Gauvorsitzenden der der Steiermark, Alfred

Groß. Am 23. Mai 1925 wurde die Gründung bei der StmLReg angezeigt. Der Nichtuntersa-

gungsbescheid (Zahl 8 2533/1-1925) stammt vom 5. Juni 1925.538 Am 1. Dezember 1928 wur-

de die Ortsgruppe behördlich aufgelöst (siehe unten, Kapitel „Behördenmaßnahmen“).

OG 78, „Sturmvolk“, Graz

Gegründet am 4. Jänner 1927 vom Bundesvorsitzenden Stefan Schöck. Am 15. März

1927 erfolgte die Anmeldung der Vereinsgründung bei der StmLReg, die Nichtuntersagung

(Zahl 206 A 18/1/1927) am 4. Mai.539

Die Behördliche Auflösung trägt das Datum 18. März 1948. (siehe unten, Kapitel „Be-

hördenmaßnahmen“).

OG 81, „Eckart“, Graz

Diese Gruppe, gegründet am 15. März 1927 durch Stefan Schöck, bestand aus Altmit-

gliedern und Freunden der Akademischen Gruppe (OG 25). Dem Bericht über die Gründung

zufolge betrachtete sie sich als sog. „Altherrengruppe“.

538 StLA, LReg 206 W-122/1928, Radmannsdorf. 539 StLA, SiDi 206 A-097/1947, Graz.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

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Am 22. März 1927 gab Stefan Schöck namens der Bundesleitung der „Gemeinschaft“ bei

der StmLReg bekannt, daß die Ortsgruppe „Eckart“, Altmitglieder und Freunde der Akademi-

schen Gruppe Graz, gegründet werde. Am 1. April 1927 erfolgte die Nichtuntersagung (Zahl

206 A 17/1-1927).540 Die Auflösung der OG erfolgte am 3. September 1941 (siehe unten, Kapi-

tel „Behördenmaßnahmen“).

OG 83, „Bergwacht“, Eisenerz

Gestiftet am 13. November 1927 von Gustav Kurka. Schon vorher, am 20. Oktober 1927,

meldete Stefan Schöck bei der StmLReg die Gründung der OG an; die Nichtuntersagung durch

die StmLReg, Zahl 206 E 36/1-1927, erfolgte am 24. Oktober 1927.541

Die Behördliche Auflösung geschah am 25. Jänner 1934 (siehe unten, Kapitel „Behör-

denmaßnahmen“).

8.1.7. Tirol

OG 15, Innsbruck

Gegründet am 29. November 1921 mit 15 Mitgliedern und 10 Aufnahmewerbern. Kon-

taktperson war Hans Gröbner, Innsbruck.

8.1.8. Vorarlberg

OG 63, Bregenz

Dies war die erste Ortsgruppe in Vorarlberg. In der Vereinszeitschrift vom Dezember

1924 wurde die beabsichtigte Gründung durch Walter Grimm angekündigt. Diese erfolgte am

28. Dezember 1924.

8.1.9. Wien

OG 2 „Jungborn“, Wien

Gründungsortsgruppe (6. Jänner 1920), hervorgegangen aus den Vorgängerorganisatio-

nen „Nephalia“ und „Neutrale Guttempler“.

OG 17, „Hochwacht“, Wien

Gestiftet am 10. Dezember 1921 durch Richard Soyka. Es war dies eine akademische

Gruppe mit anfangs 20 Mitgliedern.

540 StLA, LReg 206 A-055-1936, Altmitglieder Graz. 541 StLA, LReg 206 E-061/1933, Eisenerz.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

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OG 23, „Sonnenfelsburse, Wien

Gegründet am 19. Jänner 1922 durch Stefan Schöck. „Sonnenfelsburse“ war der Name

eines Studentenheimes im 1. Wiener Gemeindebezirk; die Ortsgruppe war eine reine Hoch-

schülergruppe.

OG 27, „Bodenkultur“

Sie wurde von Richard Soyka am 8. Februar 1922 mit 18 Personen als zweite Wiener

Hochschülergruppe gegründet.

OG 29, Hietzing

Gegründet am 2. März 1922 durch Richard Soyka.

OG 49, „Lichtland“, Wien

Diese Gruppe, gestiftet von Richard Soyka am 16. Mai 1922, bestand vorwiegend aus

Pflegerinnen. Der Bericht über die Gruppenstiftung schreibt, daß sie deshalb besonders segens-

reich wirken könne, weil Pflegerinnen einen wichtigen Wirkungskreis hätten.

Nachdem die Gründungsmitglieder in der Folgezeit beruflich versetzt worden waren, war

die Gruppentätigkeit zum Erliegen gekommen. Anfang 1924 wurde die Gruppe durch Mitglie-

der aus dem „Singkreis“ der DG wiederbelebt. „Als unsere Hauptaufgabe betrachten wir

selbsterzieherische Innenarbeit. Die Aufklärungsarbeit auf dem Lande unterstützen wir durch

Volksfeste, Krippenspiele usw. Fast alle unsere Geschwister arbeiten im Singkreis der Deut-

schen Gemeinschaft mit, unsere Brüder auch bei der Bauernmusik.“ 542

OG 53, „Hochschule für Welthandel“

Es war dies die vierte Wiener Hochschulgruppe, gestiftet von Leo Pokorny und Sepp

Stadler am 24.Oktober 1922 mit 11 Mitgliedern, die laut Bericht „… fast alle aus der Wander-

vogelbewegung kommen …“

OG 55, Wien-Hetzendorf

Auf der Tagung des Gaues Wien am 11. Februar 1923 wurde sie vom Wiener Gauleiter,

Otto Brozek, eingerichtet. Sie verstand sich als ausgesprochene Bezirksgruppe.

OG 57, Wien-Wieden

Gegründet am 22. Februar 1923; Otto Brozek übernahm selbst den Vorsitz.

542 2 (1924), 37.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

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OG 70, Währing

Gegründet am 9. Februar 1926 vom Niederösterreichischen Gauleiter, Wolf[gang] Soyka.

Sie arbeitete mit der Ortsgruppe „Bodenkultur“ zusammen, um in den Ferien, bei Abwesenheit

der Studenten, deren Tätigkeit fortzusetzen.

OG 72, „Burg“ (Bezirk Josefstadt)

Am 1. April 1926 gegründet von Gustav Hanns Baumgartner, dem früheren Vorsitzenden

der OG Wieden.

OG 76, Wien – 1. Bezirk

Diese am 6. Oktober 1926 von Hans Wedtgrube gegründete Gruppe ging aus der Grün-

dungs-Ortsgruppe „Jungborn“ hervor.

8.2. Ortsgruppenaktivitäten (Beispiele)

Solange die „Südmark“ als Vereinszeitschrift diente, wurde, vor allem wegen des gerin-

gen Platzes, der der „Gemeinschaft“ zur Verfügung stand, kaum über Ortsgruppentätigkeiten

berichtet. Neben Aufsätzen über Grundsatzgedanken zur Vereinstätigkeit gab es meist nur

Kurzmitteilungen über organisatorische Fragen, die Gründung von Ortsgruppen, die Ankündi-

gung der jährlichen Hauptversammlungen („Gemeinschaftertage“) und Berichte darüber. Ab

der Gründung der eigenen Vereinszeitschrift im September 1923 gab es eine regelmäßige

Rubrik „Von unserem Arbeitsfelde“ mit einem Unterkapitel „Mitteilungen der Ortsgruppen“,

Ein Großteil der Tätigkeit der Ortsgruppen bestand darin, Vorträge zu veranstalten. Das

Hauptthema bildete naturgemäß die Alkoholfrage, es gab aber auch Vorträge mit gesundheitli-

chen, politischen und allgemein sozialen oder volksbildnerischen Themen. Z. B. veranstaltete

die Ortsgruppe Schwanenstadt im September 1922 einen sog. „Roseggerabend“, die Gruppe

Salzburg im August 1923 einen Vortrag über „Atmungslehre, System Müller“, einen über

„Kleinkinderfürsorge und Alkoholismus“ und einen über „Politik und Partei“; 543 die Ortsgruppe

Wien-Wieden behandelte im Oktober 1923 das Thema „Segelflug“ (� Abb. 44 ).

Beispielhaft für die Bandbreite der Vortragsthemen seien hier noch einige weitere ge-

nannt: „Der protestantische Geist und Enthaltsamkeit“, „ Alkoholismus, Impfung und Naturheil-

kunde“, „ Radiotelegraphie“, „ Aus der Welt des Kaufmannes“, „ Bodenreform“, „ Gesunde Er-

nährung“, „ Das Heim im Grünen“, „ Alkohol und Kulturleben“, „ Abstinenz – eine soziale

543 1 (1923), 16.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

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Pflicht“, „ Die Mendel’schen Vererbungsgesetze“, „ Arbeitswährung, Rechenwirtschaft und Ab-

schaffung des Geldes“, „ Geschichte des Wandervogels“, „ Alpenländische Bauernspiele“, „ Goe-

thes Ahnen“, „ Die Jugendbewegung und der Kampf gegen den Rauschgeist“, „ Edward Griegs

Leben und Werke“ u. v. a.

Auch eine Ausstellung über die Alkoholgefahren, die als „Wanderausstellung“ an ver-

schiedenen Orten jeweils über einige Tage aufgestellt wurde, diente der Verbreitung der Ver-

einsziele. Diese Ausstellungen bildeten, ebenso wie manche Vorträge, manchmal den Anstoß

zur Gründung neuer Ortsgruppen. Sog. „Wiesenfeste“, speziell bei den ländlichen Gruppen, mit

musikalischen Darbietungen, Tanz und Laienspiel, die öffentlich zugänglich waren, sollten den

kulturellen Aspekt des Vereinszieles fördern. Es gab z.B. einen „Singkreis der Gemeinschaft“

in Wien, der in Niederösterreich Volksliederabende, Spielnachmittage für Kinder und Krippen-

spiele veranstaltete.544

Die regelmäßig in den Ortsgruppen abgehaltenen sog. „Trutzabende“ dienten der rhetori-

schen und argumentativen Schulung der Mitglieder. In einem Streitgespräch mußte eine Person

einen eifrigen Alkoholbefürworter, die zweite einen ebenso heftigen Alkoholgegner darstellen,

und im Wechselgespräch sollte die Überzeugungskraft der Redner gestärkt werden. Während

die geselligen Abende (Vorträge, Kulturarbeit u. ä.) auch für Gäste zugänglich waren, waren

diese „Trutzabende“ geschlossene Veranstaltungen, bei denen auch keine Anhänger zugelassen

waren.

Über ihre Tätigkeit mußten die Ortsgruppen vierteljährlich in einem Standardformular ei-

nen Tätigkeitsbericht an die Bundesleitung liefern (� Abb. 45 ). Außerdem führten sie ein Tage-

buch, in dem alle Sitzungen detailliert protokolliert wurden. So heißt es z. B. im Tagebuch der

OG Wieden aus dem Jahre 1923 u. a.: „Geschloßene [sic!] Sitzung am 5. Juli. Beginn 730h. An-

wesend 16 Geschwister. Gleich nach Eröffnung der Sitzung nimmt der Vorsitzende – Bruder

Otto Brozek – die Neuwahl der Ortsgruppenleitung für das III. Vierteljahr vor. […]

Br. Brozek teilt mit, daß er bereits dem Herrn Bundespräsidenten [Hainisch] ein Gesuch

um weitere Zuweisung von Räumlichkeiten übermittelte.“545

Nach dem „Gemeinschaftertag“ vom 7.-10. September 1922 in Klagenfurt besuchten ei-

nige Mitglieder den Bauernhof des Gemeinschafters Gmeiner in Winklern, „… der als einer

der Ersten in Kärnten seine Bauernwirtschaft auf vollkommen alkoholfreie Grundlage gestellt

544 2 (1924), 37. 545 Tagebuch der OG Wieden, 1923-1926. ( � Abb. 44)

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

170 / 259

hat. […] im Keller liegen 1000 Flaschen herrlicher süßer Obstsäfte. So machen es auch eine

ganze Reihe anderer Bauern und erbringen dadurch den Beweis, daß die alkoholfreie Bauern-

wirtschaft durchführbar ist.“546

An der „Haushaltungsschule für Bauerntöchter“ in Drauhofen547 veranstaltete die OG

„Ortenburg“ im Februar 1924 ein Faschingsfest mit einem Vortrag sowie Gesangs- und Musik-

darbietungen, bei dem 22 Frauen als Mitglieder aufgenommen wurden. Der Bericht schreibt,

daß die Schulleiterin, Frau Stückler, selbst Anhängerin der „Gemeinschaft“ sei und mit diesem

Fest nunmehr „… neue Vorkämpferinnen aus bäuerlichen Kreisen…“ 548 gewonnen worden

seien.

Die akademische Gruppe „Hochwacht“ in Wien veranstaltete am 23. Mai 1924 im klei-

nen Festsaal der Universität „… einen öffentlichen Vortrag, der sich zu einer machtvollen

Kundgebung gegen die Trinksitten und für ein Alkoholstaatsverbot gestaltete. Bundespräsident

Dr. Michael Ha in i sch und Se. Magnifizenz, Rektor Dr. Dö l l e r wohnten dem Abend bei,

über zweihundertdreißig Zuhörer füllten den großen Saal bis aufs letzte Plätzchen.“ 549

Zu Pfingsten (31.5.-1.6.) 1925 eröffnete BP Hainisch in Villach eine Wirtschaftsausstel-

lung; anschließend „… sprach er den Wunsch aus, die bäuerlichen Gemeinschaftergruppen

kennen zu lernen. Es wurde vereinbart, daß Dr. Hainisch […] die Gemeinschafter der Gruppen

Vortrupp und Arriach in Treffen empfangen sollte..

[…] Obwohl die Gemeinschafter weit verstreut wohnen, erschienen sie fast vollzählig,

[…] . In der tausendköpfigen Menge, die gespannt auf den Bundespräsidenten wartete, war die

Gemeinschaft eine so mächtige geschlossene Schar, daß die Treffener große Augen machten.“

Hainisch solle der „Gemeinschaft“ besondere Aufmerksamkeit gewidmet haben, „… und man-

che Bäuerin, Söhne und Töchter wurden angesprochen und durften den [sic!] höchsten Herrn

unserer Republick [sic!] die Hand drücken. Sie hätten sonst wohl nie diese Ehre gehabt, wenn

sie nicht Gemeinschafter wären.“550

Die Ortsgruppe Jung-Steyr berichtete über eine Veranstaltung mit Prof. Ude: „Alles über-

ragt die Ude-Massenversammlung am 28.1. [1928], die wohl unseren größten bisherigen Er-

folg darstellt und die Kräfte unserer Arbeitsmitglieder auf das äußerste anspannte. Kaum eine

546 „Südmark“, 4 (1923), 38. 547 Heute „Landwirtschaftliche Fachschule Drauhofen“ in Möllbrücke, Gem. Lurnfeld, Bez. Spittal/Drau. 548 2 (1924), 35. 549 Ebd., 85. 550 3 (1925), 87.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

171 / 259

Handvoll Leute waren es auch, die dann die 2000 Unterschriften für das Volksbegehren551

sammelten.“ 552

Mit der Umgestaltung der Vereinszeitschrift im Jahre 1928 änderte sich der inhaltliche

Aufbau. Vereinsbezogene, interne Nachrichten wurden stark verringert, dadurch erschienen

kaum mehr Mitteilungen über die Tätigkeit der Ortsgruppen.

8.3. Behördenmaßnahmen, Umbildung bzw. Auflösung von Ortsgruppen

8.3.1. Kärnten

Gau Kärnten

Am 13. Juli 1937, Zahl 5618/37, schrieb der Landesschulrat für Kärnten an den Gauleiter

der DG, Franz Koschier, daß das Bundesministerium f. Unterricht mit Erlaß vom 30.6.1937,

Zl. 22907/I/4 die nach Art. I, § 2, Abs.2 des Jugendgesetzes, BGBL Nr.2/1937, in der Fassung

BGBL 76/1937 erforderliche Zustimmung zur Führung oder Errichtung von Ju-gendgruppen

im Sinne des Art.I, §1, Abs.3 des genannten Gesetzes nicht erteilt habe. „Es dürfen sohin in

dem genannten Vereine Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr zu Jugendgruppen

nicht zusammengefasst werden. Auf ein allfälliges Zuwiderhandeln gegen obiges Verbot würde

die zuständige Vereinsbehörde sofort aufmerksam gemacht werden. Die do. Vereinsleitung

wird hiemit aufgefordert, alle Ortsgruppen entsprechend zu verständigen.

Für den Vorsitzenden Dr. Hurdes eh.

Für die Richtigkeit der Ausfertigung: Kuss [Unterschrift]“553

Am 4. November 1937 schickte die Sicherheitsdirektion Kärnten eine Verordnung an alle

Bezirkshauptmannschaften, an die Expositur Feldkirchen und die Polizeikommissariate Kla-

genfurt und Villach, mit dem Vermerk „Sehr dringend“, die den „…Gau Kärnten und Orts-

gruppen in Kärnten des Vereines „Deutsche Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur“ mit dem

Sitz am Wohnorte des jeweiligen Bundesvorsitzenden, Maßnahme nach dem Jugendgesetz

BGBL. Nr. 2/1937“ betreffe. Demnach werden die genannten Vereine „mit Rücksicht auf die

Zusammensetzung, speziell der Leitungen [… der …] Zweigvereine in Kärnten“ angewiesen,

Jugendliche nur mit Zustimmung der Landesschulbehörde als Mitglieder zu behalten oder auf-

zunehmen. Es müsse eine „vaterländische Erziehung der Jugend“ gewährleistet sein und dafür

551 Seit dem Frühjahr 1927 liefen die Vorarbeiten für ein Volksbegehren gegen Alkoholismus und Alkoholmiß-brauch.

552 7 (1929), 2, Beilage.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

172 / 259

gesorgt werden, „… dass Arbeitspläne und Tageseinteilung der gegenständlichen Vereine so

gestaltet werden, dass den Jugendlichen die Erfüllung ihrer religiösen Pflichten in würdiger

Weise und ihre Erziehung in religiös-sittlichem Sinne […] gesichert ist.“ Die Vereinsleitungen

der Zweigvereine der „Deutschen Gemeinschaft“ seien von dieser Verordnung „… unverzüg-

lich und in entsprechender Weise zu verständigen.“ 554

Am 12. August 1939, Zahl 7991/Präs. erging ein Sammelbescheid der Landeshauptmann-

schaft Kärnten, daß über Antrag des „Stillhaltekommissars …..“ 555 eine Reihe von Vereinen

aufgelöst würden. Unter Pos. 728 wurde der „Gau Kärnten der Deutschen Gemeinschaft für

alkoholfreie Kultur“ aufgelöst, unter Pos. 729 die Ortsgruppe Ortenburg.556

OG 4, „Bergland“, Villach

Am 16. Jänner 1935, Zahl I-559/1/31, berichtete das PolKoat Villach an die SiD Kärnten,

daß die Ortsgruppe seit 1927 keine regelmäßige Vereinstätigkeit entfaltet und keine Vor-

standsmitglieder bestellt habe. Es gebe auch keine Aufzeichnungen über die Finanzgebarung;

es werde beantragt, den Verein aufzulösen. Am 22. Jänner 1935 löste die Landeshauptmann-

schaft Kärnten die Ortsgruppe per Bescheid (900/Präs.) auf.557

OG 7, Klagenfurt

Am 11. Jänner 1939 (Zahl IV Ac 22/F Se-12) ordnete der „Reichskommissar …..“ 558 mit-

tels Standardformular (siehe OG Thurn u.a.) an, daß die Ortsgruppe Klagenfurt der DG beste-

hen bleibe und der Aufsicht der „Reichsstelle gegen den Alkoholmißbrauch …..“ unterstellt

werde. Eine Aktennotiz des Präsidialbüros der Landeshauptmannschaft Kärnten an den Poli-

zeidirektor Klagenfurt vom 3. Jänner 1941 (Zahl Ia-Pol-17262) hielt fest, daß die Ortsgruppe

Klagenfurt umgebildet werde in „Deutscher Bund zur Bekämpfung der Alkoholgefahren-

Deutsche Gemeinschaft Klagenfurt“ und der Aufsicht des „Deutschen Bundes zur Bekämpfung

der Alkoholgefahren“ unterstehe.559

553 KtLA, SiD Vereinsakten, 12/437. 554 Ebd., Zl. 12.801 Präs vom 4.11.1937. 555 Siehe Kapitel 8.6., „Vereinsüberleitung im NS-System“. 556 KtLA, Präs Vereine, 1006, Vereinskataster 3891. 557 Ebd., 1000-1005, Vereinskataster 3959. 558 Siehe Kapitel 8.6., „Vereinsüberleitung im NS-System“. 559 KtLA, SiD Vereinsakten, 12/438.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

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OG 8, „Vortrupp“ Einöde

Das Ende der Ortsgruppe Einöde verlief ähnlich kompliziert wie ihre Gründung (siehe

dort, Erstgründung am 23. Dezember1920, Neugründung (?) am 20. August 1930). Im Kärnt-

ner Landesarchiv befinden sich zwei Aktenkonvolute, die diese Ortsgruppe betreffen: Das ers-

te, in der Gruppe Präs Vereine, mit der Signatur 991, Vereinskataster 4470. Hier sind die Un-

terlagen über die Vorgänge zwischen 1930 und 1939 archiviert. Das zweite, Gruppe SiD, Ver-

eine, Signatur 12/404, enthält Unterlagen über den Zeitraum von 1941 bis 1956. Die Auflösung

scheint deshalb komplizierter verlaufen zu sein, weil die Ortsgruppe Eigentümerin des sog.

„Dorfheimes“ in Winklern war.

Am 11. Jänner 1939 verfügte der „Reichskommissar …..“ in einem Erlaß (Standardfor-

mular, Zahl IV Ac 22/F Se-12) an die Landeshauptmannschaft Stmk. (!), daß die OG Wink-

lern, Gem. Einöd, [sic!] selbständig bestehen bleibe und der „Reichsstelle …..“ unterstellt wer-

de. Am 17. Jänner 1939 fragte die Stmk. Landeshauptmannschaft bei der Expositur Gröbming

an (Zahl 206 WI 1/1-1939), ob die OG Winklern, Gem. Einöd, [sic!] im Vereinskataster ver-

zeichnet sei. Die Expositur verneinte. Hierauf antwortete die Landeshauptmannschaft (Zahl 206

Wi 1/3-1939) an den „Stillhaltekommissar ….“, daß dem Erlaß nicht entsprochen werden kön-

ne, da „…der Verein weder h.a. noch im Vereinskataster der Außendienststelle Gröbming re-

gistriert ist.“560

Weiters liegt ein Bescheid vom 30.11.1939, Zahl 15.769/Präs. vor, wonach „… der Ver-

ein ‚Vortrupp Einöde’, Ortsgruppe der ‚Deutschen Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur’, über

Antrag des Stillhaltekommissars […] unter Bezugnahme auf den §3 des Gesetzes vom 14.Mai

1938, GBL.Nr.136/38 aufgelöst wird.“ Dieser Bescheid ist noch Bestandteil des ersten Akten-

konvolutes (Präs Vereine, 991).

Der folgende Schriftverkehr von März bis Dezember 1941 ist Bestandteil des zweiten

Aktenkonvolutes (SiD Vereine, 12/404). Vom 7. März 1941 existiert eine Bescheidabschrift

(Zahl Ia-Pol-3475), welche die Auflösung wiederholt, das Vereinsvermögen werde in die „Auf-

baufonds Vermögensverwaltungs-Gesellschaft m.b.H., Wien“ eingewiesen. Am 22. April 1941,

Zahl 704/41 erließ das Amtsgericht Villach einen Beschluß, daß „… Auf Grund des vollziehba-

ren […] Bescheides der Landeshauptmannschaft Kärnten […] vom 30.11.1939,

Zl. 15769/Präs.[…] und des Antrages der Gauleitung Kärnten der NSDAP vom 17.3.1941,

St/K. 1200 […] bei der Liegenschaft E.Z. 99 der K.G. Winklern des ‚Vortrupps-Einöde – Deut-

560 StLA, LReg 206 WI-001/1939, Einöd.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

174 / 259

sche Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur’ die Einverleibung des Eigentumsrechtes für die

Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei – Körperschaft des öffentlichen Rechtes mit

dem Sitz in München bewilligt [wird].“

Zwischen dem 25. Jänner 1951 und dem 27. Juni 1956 entwickelte sich ein reger Schrift-

verkehr zwischen dem Amt der Kärntner Landesregierung, der Sicherheitsdirektion Kärnten,

dem Innenministerium in Wien, dem Amtsgericht Villach, der BH Villach und dem örtlich zu-

ständigen Gendarmerieposten Treffen, was mit der Liegenschaft (dem „Dorfheim“) geschehen

solle. Nachdem es nach der erzwungenen Vereinsauflösung in das Vermögen der NSDAP über-

gegangen und nach 1945 als deren Parteivermögen an die Republik Österreich gefallen war,

müsse nunmehr festgestellt werden, ob ein Voreigentümer darauf Anspruch erhebe.

Der letzte Obmann der Ortsgruppe, Johann Gmeiner, erklärte, er habe keine Absicht, den

Verein wieder zu gründen. Allenfalls wäre er aber privat an einem Kauf der Liegenschaft inte-

ressiert. Am 24.6.1952, Zahl 95.986-4/52, bestellte das Bundesministerium für Inneres in ei-

nem Erlaß an die Sicherheitsdirektion Kärnten Johann Gmeiner zum Liquidator der Liegen-

schaft. Nach behördlicher Auflösung der „Deutschen Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur“ am

24. Dezember 1955 durch das Bundesministerium für Inneres mit dem Bescheid Zahl 153.684-

4/55 (Bescheidempfänger war Dr. Erich Kerck, Wien 9., als Kurator) wurde Dr. Erich Kerck

am 19. Juni 1956 vom BMI (Zahl 94.671-4/56) als neuer Liquidator bestellt.

OG 9 „Südwacht“, 26 „Sonnblick“, 37 „Albeck“, 38 „Martin Ertl“, 40 „Trebesing“,

46 „Viktring“, 47 „Drauwacht, 52 „Jugendwille“:

Am 28. Jänner 1928 schrieb die Bundesgeschäftsstelle der DG in Wien an die Kärntner

Landesregierung, daß der Bundesvorsitzende die oben genannten Ortsgruppen gem. 14a der

Bundessatzungen aufgelöst habe, da sie keine Tätigkeit mehr ausgeübt hätten.561

OG 13, „Dietrichstein“, Feldkirchen

Die politische Expositur Feldkirchen beauftragte am 18.11.1937, Zahl 7366, das GdPK-

do, zu erheben, ob die Ortsgruppe „Dietrichstein“ noch bestehe und wer Obmann sei.

Bericht des GdPKdo vom 25.11.1937, Zahl 5749 an die Expositur Feldkirchen: Die Orts-

gruppe bestehe noch; nach Auskunft des Malermeisters Peter de Cillia jun. übe sie seit der

Flucht des Obmannes Martin Rauter am 21.10.1936 („wegen Verbrechens nach dem Staats-

schutzgesetz“) keine Tätigkeit mehr aus. Bisher sei kein neuer Obmann gewählt worden, der

561 KtLA Präs Vereine, 993-999, Vereinskataster 3959, Zahl i627/I/I vom 14.2.1931.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

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bisheriger Obmann unbekannten Aufenthaltes. Er wurde wegen §1 Staatsschutzgesetz zur Ver-

haftung ausgeschrieben.

Am 11.12.1937, Zahl 14337/Präs./SD, erließ die Landeshauptmannschaft Kärnten den

Bescheid, daß die Ortsgruppe von amtswegen aufgelöst werde, da sie keine Tätigkeit mehr aus-

übe.562

OG 32, „Ortenburg“, Spittal/Drau

Die Ortsgruppe wurde am 30. November 1939, Zahl 15.769/Präs., über Antrag des „Still-

haltekommissars ….“ aufgelöst.563

OG 62 Wolfsberg:

Bericht des Gendarmeriepostenkommandos Wolfsberg (Zahl 4073 vom 25.11.1937) an

die BH Wolfsberg über die Einvernahme von Rosa Hollauf: Ihr Sohn Michael sei der Orts-

gruppe Wolfsberg vorgestanden und habe bis zu seiner Abreise nach Deutschland bei ihr ge-

wohnt. Über andere Mitglieder des Vereins sei ihr nichts bekannt. Weiter im Bericht: „Es be-

steht somit die Möglichkeit, dass dieser Verein seine Tätigkeit im Juli 1934, also beim Juli-

putsch, eingestellt hatte.“

Am 4.12.1937 wurde die Ortsgruppe Wolfsberg mittels Bescheid der Sicherheitsdirektion

(Zahl SD 13960/Präs.) behördlich aufgelöst, da sie seit 1934 keine Tätigkeit mehr entfaltete. 564

OG 66, Zlan

Diese Ortsgruppe wurde, gemeinsam mit der OG 32, Ortenburg, am 12.8.1939, Zahl

7991/Präs. und c-3/3935 in einem Sammelbescheid der Landeshauptmannschaft Kärnten über

die Auflösung von Vereinen auf Antrag des „Stillhaltekommissars …..“ aufgelöst. In der Liste

der aufzulösenden Vereine hat sie die Pos. 736.565

OG 73, Emberg ob Greifenburg

Am 11. Jänner 1939 ordnete der „Stillhaltekommissar …..“ in einem Standardformular

(Zahl IV Ac 22/F Se-12) an die Landeshauptmannschaft Steiermark (!) an, daß die OG Emberg

„…selbständig bestehen bleibt und der Aufsicht der Reichsstelle gegen den Akoholmißbrauch

e.V., Berlin-Dahlem, Habelschwerdter Allee untersteht. Der Verein hat seine Satzungen ent-

562 KtLA, Präs Vereine, 1000-1005, Vereinskataster 3959. 563 Ebd., 992, Vereinskataster 4008. 564 Ebd., 1023, Vereinskataster 3855. 565 Ebd.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

176 / 259

sprechend der Einheitssatzung dieser Reichsstelle abzuändern“. Daraufhin fragte die Landes-

hauptmannschaft Steiermark beim Landrat in Bruck/Mur an, ob die Ortsgruppe im dortigen

Vereinskataster registriert sei, welcher antwortete, sie sei nicht registriert, scheine aber auch

nicht unter den gelöschten Vereinen auf.. Diese Antwort leitete die Landeshauptmannschaft an

den „Stillhaltekommissar…..“ weiter. Es ist kein weiterer Schriftverkehr dokumentiert.566

OGen Thurn, Feld am See, Treffen

Am 21. November 1939 ordnete der „Reichskommissar …..“ in einem Standardformular

an die Landeshauptmannschaft Kärnten, Vereinsbüro, an, daß die Ortsgruppen Thurn, Feld am

See und Treffen weiterbestehen bleiben „… und der Aufsicht der Reichsstelle gegen den Alko-

holmissbrauch e.V. Berlin-Dahlem …“ unterstünden. Weiters seien die Vereinssatzungen „…

entsprechend der Einheitssatzung dieser Reichsstelle abzuändern.“ 567

Am 28. November 1939 schrieb die Landeshauptmannschaft Kärnten, Präsidium, mit

Zahl 14633/Präs. an den Landrat in Villach und die Außendienststelle Feldkirchen, daß gemäß

Anordnung des „Stillhaltekommissars …..“ die Ortsgruppen Fresach, Thurn, Feld am See, Tref-

fen, Feldkirchen freigestellt und der Aufsicht der „Reichsstelle …..“ unterstellt werden (siehe

oben).

Am 13. Dezember 1939 berichtete der Landrat des Landkreises Villach an die Landes-

hauptmannschaft Kärnten (Zahl AI 711/1/39, Abt. III Dr. R.F.), daß laut Meldung des Gendar-

meriepostens Fresach die genannte Ortsgruppe seit 1923 nicht mehr bestehe; der seinerzeitige

Obmann Otto Possegger lebe seit 15 Jahren in Amerika.568

Am 15.2.1940 berichtete die Außenstelle Feldkirchen an das Präsidium der Landes-

hauptmannschaft Kärnten (Zahl 6984/1), daß die OG Feldkirchen bereits 1935 aufgelöst wor-

den sei.

Wie aus den Archivbeständen hervorgeht, bestand zwischen März und November 1940

ein reger Schriftwechsel zwischen der Landeshauptmannschaft Kärnten, dem Landrat in Vil-

566 StLA, LReg 206 E-003-1939, Emberg. 567 KtLA, SiD Vereinsakten, 12/439, Zahl IV Ac 22/F Se-12. Dieses standardisierte Formular wurde nach dem

„Anschluß“ Österreichs an das Deutsche Reich in Vereinsangelegenheiten oftmals verwendet. Es gab drei verschiedene Maßnahmen, den jeweiligen Verein betreffend: 1. Der Verein wurde in eine andere Organisati-on eingegliedert und behielt fallweise seine Rechtspersönlichkeit bei. 2. Der Verein blieb bestehen und wurde evtl. einer Zentralstelle (meist in Berlin) zur Aufsicht unterstellt. 3. Der Verein wurde aufgelöst und sein Vermögen eingezogen. ( � Abb. 39 und Kapitel 8.6, „Vereinsüberleitung im NS -System“)

568 Ebd., Zahl AI 711/1/39, Abt.III Dr. R.F.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

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lach und der Außenstelle Feldkirchen, ob die drei genannten Ortsgruppen überhaupt noch be-

stünden.

Mit Bescheid vom 2. Oktober 1940 Zahl Ia-Pol--12574 verfügte der „Stillhaltekommissar

…..“ daß den Ortsgruppen Fresach, Thurn, Feld am See, Feldkirchen und Treffen der „Deut-

schen Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur“ jede weitere Tätigkeit untersagt und ev. vorhan-

denes Vermögen eingezogen werde. Abschließend berichtete der „Reichsstatthalter in Kärn-

ten“ an den „Beauftragten des Gauleiters der NSDAP“ (Zahl Ia-Pol-14595), daß alle drei Ver-

eine aufgelöst seien und kein Vermögen besessen hätten.

Nachtrag: In der Ortsgruppen-Tabelle der DG vom Mai 1927 scheint keine der drei ge-

nannten Ortsgruppen (Thurn, Feld am See, Treffen) auf!

8.3.2. Salzburg

Gau Salzburg

Der Gau, im Vereinskataster unter 861 registriert, wurde 1926 gegründet. Nichtuntersa-

gung durch die SbLReg unter Zahl 1885/L.A.D.569 Er löste sich am 31. März 1940 freiwillig

auf und wurde, ohne eigene Rechtspersönlichkeit, in den „Deutschen Bund zur Bekämpfung der

Alkoholgefahren, Berlin-Dahlem“, eingegliedert. 570

OG 1, Salzburg

Am 11. Jänner 1939 (Zahl IV Ac 22/F Se-12 ordnete der „Reichskommissar …..“ mittels

Standardformular an, daß die Ortsgruppe Salzburg der DG bestehen bleibe und der Aufsicht

der „Reichsstelle …..“ unterstellt werde.571 Am 31. März 1940 löste sich die OG, im Vereinska-

taster unter 658 registriert, freiwillig auf und wurde, ohne eigene Rechtspersönlichkeit, in den

„Deutschen Bund zur Bekämpfung der Alkoholgefahren, Berlin-Dahlem“, eingegliedert (Siehe

„Gau Salzburg“).

OG 82, „Unsere Rettung“, Salzburg

Die Gauleitung Salzburg (Fritz Vogl) meldete der BPolDion Salzburg, daß der Bundes-

vorsitzende der DG, Ing. Walter Rafelsberger, die Ortsgruppe am 8. Dezember 1931 aufgelöst

569 SbLA, Präs. 1931, 18/n. 570 Ebd. 1940 2496/n-17/1940, Zahl 2496/n/49/IV/1940. 571 Ebd. 1940 2496/n-5/1940.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

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habe. Am 7. Jänner 1932 nahm die Landesamtsdirektion Salzburg (Zahl 15.617/31) die Auflö-

sung zur Kenntnis.572

OG 85, „Dr. Josef Schweighofer“, Salzburg

Die OG, im Vereinskataster unter 1083 registriert, löste sich am 31. März 1940 freiwillig

auf und wurde, ohne eigene Rechtspersönlichkeit, in den „Deutschen Bund zur Bekämpfung der

Alkoholgefahren, Berlin-Dahlem“, eingegliedert (Siehe „Gau Salzburg“).

8.3.3. Steiermark

Gau Steiermark

Am 8. Juli 1935 berichtete das staatspolizeiliche Büro der BPolDion Graz an die SiD

Stmk über die Überprüfung des Gaues Steiermark und einiger Ortsgruppen der „Deutschen

Gemeinschaft“: Gauvorsitzender sei Gustav Kurka, sein Stellvertreter Alfred Gross. Über Kur-

ka liege nichts Nachteiliges auf, Gross, der auch in mehreren Ortsgruppen Ausschußmitglied

sei, sei staatspolizeilich vorgemerkt. Er sei Mitglied der NSDAP und es bestehe der Verdacht

auf nationalsozialistische Umtriebe. Eine 1934 durchgeführte Hausdurchsuchung habe aber

keine Beweise auf einen Straftatbestand erbracht.573 Überprüft worden seien die Ortsgruppen

„Akademische Gruppe“, „Kampfruf“, „Eckart“ und Sturmvolk.

Am 25. Mai 1936 ordnete die SiD Stmk bei der BPolDion Graz an (Zahl 206 A 51/1-

1935), daß der Verein (der Gau Stmk) „schärfstens zu überwachen“ sei. Am 13. Juni gleichen

Jahres berichtete die BPolDion der SiD (Zahl Ver. X/259-8), daß der Verein seine Tätigkeit vor

allem in Form von Vorträgen ausübe. „Trotz schärfster Überwachung“ könne bis jetzt keine

staatsfeindliche Tätigkeit nachgewiesen werden.

Am 12. Juli 1937 richtete der Landesschulrat der Steiermark an die SiD ein Schreiben

(Zahl 3 Du 1/4-1937), wonach die „Deutsche Gemeinschaft …..“ laut Erlaß des BM f. Unter-

richt vom 30.6.1937, Zl. 22.907-I/4 keine Jugendgruppen errichten dürfe. Jugendliche bis zum

18. Lebensjahr dürften nicht als Mitglieder aufgenommen, bestehende Jungmitglieder nicht zu

Jugendgruppen zusammengefaßt werden. Am 5. August 1937 erließ die SiD einen Bescheid

(Zahl 206 A/52/4-1937), wonach die DG verpflichtet werde, Jugendliche künftig nur mit Be-

572 Ebd. 1931, 18/n. 573 StLA, SiDi 206 A-097/1947, Graz.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

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willigung der Landesschulbehörde als Mitglieder beizubehalten, aufzunehmen oder an Veran-

staltungen teilnehmen zu lassen.574

Der Reichsstatthalter der Steiermark fragte am 1. August 1941 beim Polizeipräsidenten

von Graz (Zahl I Pol 392 A 29/1-1941) an, ob der Gau Steiermark der „Deutschen Gemein-

schaft …“ im Vereinskataster registriert sei. Am 15. August 1941 antwortete der Polizeipräsi-

dent (Zahl V a Ver. X/259-16), daß außer dem Gau Steiermark noch die Ortsgruppen

5, „Kampfruf“ Graz, 81, „Eckart“ Altmitglieder und 78 „Sturmvolk“ Graz im Vereinskataster

registriert seien. Gauvorsitzender sei Gustav Kurka, der aber angegeben habe, daß der Gau und

die drei Ortsgruppen seit 1940 keine Tätigkeit mehr ausgeübt hätten.

Am 3. September 1941 löste der Reichsstatthalter der Steiermark den Gau Steiermark per

Bescheid I Pol 392 A 29/2-1941 auf.575

OG 5, „Kampfruf“, Graz

Bericht der BPolDion Graz vom 8. Juli 1935 an die SiD Steiermark: Eine staatspolizeili-

che Überprüfung der Ortsgruppe (siehe „Gau Steiermark“) habe außer Alfred Gross keine ver-

dächtigen Personen erbracht. Ein weiterer Überprüfungsbericht vom 13. Juni 1936, Zahl Ver.

X/105-1, stellte fest, daß die Ortsgruppe ihre Tätigkeit in Form von Vorträgen ausübe. „Trotz

schärfster Überwachung konnte bis jetzt keine staatsfeindliche Tätigkeit nachgewiesen wer-

den.“ 576

Am 13. September 1941 löste der Reichsstatthalter für die Steiermark die Ortsgruppe mit-

tels Bescheid, Zahl I Pol 392 A 27/2-1941, auf.577

OG 20, „Heilborn“, Bruck/Mur

Am 24. Jänner 1934 antwortete das GdPKdo Bruck/Mur (Zahl 14 V 2) der BH Bruck auf

deren Anfrage, ob die Ortsgruppe noch eine Tätigkeit entfalte, daß der Steinmetzmeister Au-

gust Ortner als letztes namentlich bekanntes Vorstandsmitglied über die Tätigkeit der OG nicht

informiert sei. Die BH Bruck löste die OG mit Bescheid 206 BU 75/1-1934 vom 4. Mai 1934

behördlich auf.578

574 StLA, LReg 206 A052-1936, Graz. Siehe auch „Gau Kärnten“, gleichartiges Schreiben vom 13. Juli 1937. 575 Ebd. 392 A-029/1941, Graz. 576 Ebd 206 A052-1936, Graz. 577 Ebd 392 A-027/1941, Graz. 578 Ebd 206 BU-075/1934, Bruck/Mur.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

180 / 259

OG 21, „Glückauf“, Leoben

Bei einer behördlichen Überprüfung von Ortsgruppen der DG im Herbst 1935 berichtete

die BH Leoben an die SiD Stmk (Zahl 206 A 12/17-1935), daß gegen Funktionäre der OGen

„Vorwärts“ in Kallwang (sic!) und „Glückauf“ in Leoben in staatspolizeilicher Hinsicht nichts

vorliege. Funktionäre seien Michael Jansenberger und Gottfried Lichtenegger, beide national

eingestellt. Gegen Jansenberger habe im Mai 1934 eine Anzeige wegen Verdachtes nationalso-

zialistischer Schmieraktionen bestanden, das Strafverfahren sei eingestellt worden. Er solle

angeblich ausgewandert sein, lebe aber in Wald. Seither liege gegen beide nichts vor.579

Am 30. Oktober 1946 berichtete die BH Leoben an die SiD Steiermark in einem Auszug

aus dem Vereinskataster, daß die OG 21, „Glückauf“ im Register nicht aufscheine. Laut Be-

richt des PolKoates Leoben vom 15. Oktober 1946 habe sie sich bereits im Jahre 1928 aufge-

löst und übe keine Tätigkeit aus. Daraufhin erließ die SiD am 8.März 1947, Zahl Sd. IV-Ver.

Le 61/1-1946 einen Bescheid, daß der Verein behördlich aufgelöst werde. Am 10. Mai 1947

berichtete die Sicherheitswache Leoben, daß der Bescheid nicht zugestellt werden konnte, da

weder der Vereinsobmann noch ein anderer Vereinsfunktionär feststellbar sei.580

OG 25, Akademische Ortsgruppe Graz

Laut einer Überprüfung des Vereinsausschusses vom 8. Juli 1935 (stud. phil. Walter

Knoll, stud. phil. Gernot Reinitzer) sei niemand staatspolizeilich vorgemerkt (siehe „Gau Stei-

ermark“). Am 13. Juni 1936 berichtete das staatspolizeiliche Büro der BPolDion Graz neuerlich

an die SiD, daß die Akademische Gruppe Graz ihre Tätigkeit in Form von Vorträgen ausübe.

„Trotz schärfster Überwachung konnte bis jetzt keine staatsfeindliche Tätigkeit nachgewiesen

werden.“ Vom 2. Oktober 1937 existiert ein weiterer staatspolizeilicher Bericht an die SiD

(Zahl Ver X/190-2-1937), wonach der Obmann, Gernot Reinitzer, derzeit wegen nationalsozia-

listischer Betätigung in Haft sei. Der Verein habe sich mangels Mitgliedern aufgelöst, dies sei

am 16. September 1937 in der „Grazer Zeitung“ kundgemacht worden.581

Am 7. Oktober 1937 ordnete die SiD mit Zahl 206 A 53/4-1937 bei der BPolDion an, daß

der Verein aus dem Vereinskataster zu löschen sei.582

579 Ebd 206 Le-056-1936, Leoben. 580 StLA, SiDi Le-061-1946, Leoben. 581 StLA, LReg 206 A053-1936, Akademische Gruppe Graz. 582 Ebd. 206 A053-1936, Akademische Gruppe Graz.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

181 / 259

OG 31, „Vorwärts“, Kalwang?

Am 9.Dezember 1936 berichtete das GdPKdo an die SiD, daß der Verein seit 1931 keine

Versammlungstätigkeit entwickle und aufzulösen sei. Am 16. Jänner 1937 ordnete die SiD die

amtliche Auflösung an (Zahl 206 Ka 45/3-1937).583

OG 35, „Aufbau“; Graz

Am 12. April 1935 meldete die BPolDion Graz an die SiD Stmk (Zahl 697/32 Ver), daß

der Verein nach Angaben des letzten Obmannes seit 1929 keine Tätigkeit mehr entfaltet habe;

eine freiwillige Auflösung sei mangels Mitgliedern nicht möglich. Die SiD ordnete am 7. Mai

1935 die Löschung aus dem Vereinsregister an (Zahl 206 Ku 18/1-1935).584

Fragliche OG 35, Judenburg585

Vom 9. November 1935 existiert ein Bericht des GdPKdo Judenburg an die BH Juden-

burg, wonach der Verein noch bestehe; Obmann sei der in Wien wegen Hochverrates inhaftier-

te Ing. Walter Raffelsberger. [sic!] Da ein gleichlautender Bericht bei den Akten aufliegt, die

den Gesamtverein betreffen (siehe StLA, LReg 392 A-029/1941, Graz) und auch der Sitz des

Gesamtvereins in dieser Zeit Judenburg war (Anm.: Walter Rafelsberger war zwar in Wien in

Haft, hatte aber seinen ordentlichen Wohnsitz in Judenburg, daher war der Sitz des Gesamtver-

eins ebenfalls Judenburg), ist zu vermuten, daß die Behörden die Ortsgruppe Judenburg und

den Gesamtverein verwechselten.

Weiters existiert eine Anordnung der SiD Stmk vom 25. Mai 1936, Zahl 206 Ju 17/1-36,

an die BH Judenburg, daß der Verein schärfstens zu überwachen sei, und ein Bescheid der SiD

Stmk vom 5. August 1937, Zahl 206 A/52/4-1937, daß „… der Verein Jugendliche nur mit Be-

willigung der Landesschulbehörde als Mitglieder behalten oder aufnehmen dürfe…“ Dieser

Bescheid richtete sich aber, wie aus der Formulierung erkennbar ist, an die Ortsgruppe.

Am 17. Dezember 1941 teilte der Judenburger Landrat dem Reichsstatthalter für die Stei-

ermark (Zahl 14 Ju 36/2-41) auf dessen vorherige Anfrage mit, daß die Ortsgruppe Judenburg

noch im Vereinskataster eingetragen sei, laut Auskunft des Bürgermeisters aber keine Tätigkeit

mehr ausübe. Daraufhin erging am selben Tag ein Bescheid des Reichsstatthalters Steiermark

(Zahl I Pol 392 Ju 21/2-1941), daß „…..die Ortsgruppe 35, Judenburg, der ‚Deutschen Ge-

583 StLA, LReg 206 KA-045/1936, Kalwang. 584 Ebd. 206 KU-018/1935, Graz. 585 Alle hier beschriebenen behördlichen Schriftstücke sind Teil des Aktenkonvolutes

StLA, SiDi Ju-015/1946, Judenburg.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

182 / 259

meinschaft für alkoholfreie Kultur’ behördlich aufgelöst …..“ werde. Am 6. März 1942 schrieb

der Landrat des Kreises Judenburg an den Reichsstatthalter der Steiermark, daß von der aufge-

lösten Ortsgruppe kein Leitungsmitglied festgestellt werden konnte, der Bescheid werde öffent-

lich angeschlagen.

Am 6. Juli 1946 erstattete das Stadtpolizeiamt an die BH Judenburg einen Sammelbericht

über die Tätigkeit verschiedener Vereine (Zahl 1443/46), wonach u.a. die „Deutsche Gemein-

schaft für alkoholfreie Kultur“ keine Tätigkeit ausübe. Am 13. Dezember 1946 zeigte die SiD

Stmk bei der BH Judenburg an, daß die OG 35, Judenburg, bereits mit dem Bescheid des

„Reichsstatthalters …“ vom 17. 12. 1941 aufgelöst worden sei; die Löschung im Vereinskatas-

ter sei nachzuholen.

OG 45, „Willenskraft“ (bzw. „Jugendkraft“), Graz-Gösting

Am 25. Mai 1936 forderte die SiD Stmk die BH Graz auf, die Vereinstätigkeit „schärfs-

tens zu überwachen“ (Zahl 206 GA 33/1/1936); am 26. Juni 1936 berichtete das GdPKdo Gös-

ting an die SiD, daß der Verein keine Mitglieder habe und keine Tätigkeit entfalte (Zahl 2540);

am 25. August 1936 wurde die OG behördlich aus dem Vereinskataster gelöscht (Zahl Ver.

X/259-10-1936).586

OG 64, Radmannsdorf

Am 1. Dezember 1928 löste die StmLReg die Ortsgruppe mit Bescheid 206 W122/2/1928

auf, weil sie keine Tätigkeit mehr entfaltete.587

OG 78, „Sturmvolk“, Graz

Aus einer staatspolizeilichen Überprüfung vom 8. Juli 1935 (siehe „Gau Steiermark“):

Außer über den Schatzmeister Alfred Gross gebe es keine Vormerkungen.

Am 26. Mai 1936 schrieb die SiD Stmk (Zahl 206 A 51/1/36) an die BPolDion Gaz: „Zu-

folge Erlaß des Bundeskanzleramtes vom 26.02.1936, Zl. G.D. 312.182-St.B. ist die Tätigkeit

des Vereines ‚Deutsche Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur’ schärfstens zu überwachen und

dieser von Amts wegen aufzulösen, falls der Nachweis einer staatsfeindlichen Tätigkeit inner-

halb des Vereines zu erbringen ist. Hievon ergeht mit der Einladung die Mitteilung, die Tätig-

keit obiger Ortsgruppe schärfstens überwachen zu lassen und sowohl im Falle von wahrge-

nommenen Unzulänglichkeiten, als auch für den Fall, als obige Ortsgruppe keine Tätigkeit

586 StLA, LReg 206 Go-031/1936, Gösting. 587 Ebd. 206 W-122/1928, Radmannsdorf.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

183 / 259

mehr ausüben sollte, einen entsprechenden Antrag auf Auflösung anher vorzulegen. Der Si-

cherheitsdirektor: I.V.“ (Unterschrift unleserlich).

Am 13. Jun 1936 antwortete die BPolDion (Zahl Ver. X/188-1), daß „trotz schärfster

Überwachung keine staatsfeindliche Tätigkeit wahrgenommen werden konnte“. Der Verein

veranstalte hauptsächlich Vorträge.588

Aktenvermerk der BPolDion Graz vom 18. April 1947: „Es erscheint die ehem. Schrift-

führerin des Vereines ‚Deutsche Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur, ‚Ortsgruppe Graz’ Frl.

Franziska Hempfling, … gibt an, daß kein Geld und kein Inventar vorhanden ist; der Verein

übt seit 1936 keine Tätigkeit aus. Wiederaufleben kommt nicht in Frage, um freiwillige Auflö-

sung wird gebeten.“ Nach einem längeren Schriftwechsel zwischen BPolDion und SiD erließ

diese am 18. März 1948 (Zahl SD IV-Ver A 97/3-1948) den Auflösungsbescheid.589

OG 81, „Eckart“, Graz

Auszug aus einer staatspolizeilichen Überprüfung vom 8. Juli 1935 (siehe „Gau Steier-

mark“): Schatzmeister sei Alfred Gross, beim Schriftführer Ing. Walter Neunteufel bestehe der

Verdacht auf kommunistische Umtriebe; ansonsten bestünden keine Vormerkungen. Ein weite-

rer Bericht des staatspolizeilichen Büros der BPolDion Graz vom 13. Juni 1936, Zahl Ver.

X/187-1 an die SiD besagt, daß die Ortsgruppe ihre Tätigkeit in Form von Vorträgen ausübe.

„Trotz schärfster Überwachung konnte bis jetzt keine staatsfeindliche Tätigkeit nachgewiesen

werden.“ 590

Die Ortsgruppe wurde am 3. September 1941 mittels Bescheid des Reichsstatthalters

Stmk., Zahl I Pol 392 A 26/2-1941 aufgelöst.591

OG 83, „Bergwacht“, Eisenerz

Am 26. Oktober 1933 fragte die BH Leoben (Zahl 837/33) bei der Marktgemeinde Eisen-

erz an, ob die Ortsgruppe 83, „Bergwacht Eisenerz“ der DG noch bestehe. Es habe seit dem 8.

Februar 1931 keine Hauptversammlung mehr gegeben, auch seien keine Ämterführer gemeldet

worden. Am 9. November 1933 antwortete die Marktgemeinde Eisenerz (Zahl 2189/S.W.-33),

588 StLA, SiDi 206 A-097/1947, Graz. 589 Ebd. 590 StLA, LReg 206 A-055-1936, Altmitglieder Graz. 591 Ebd. 392 A-026/1941, Graz.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

184 / 259

daß der Obmann der Ortsgruppe, Rudolf Walcher, nach Deutschland abgereist sei. Es seien

auch keine weiteren Auskunftspersonen ermittelbar. 592

Am 25. Jänner 1934 ordnete die SiD mit Zahl 206 E 61/3-1933 bei der BH Leoben an,

daß der Verein aus dem Vereinskataster, Nr. 11.083/XXVIII, zu löschen sei, da er keine Tätig-

keit mehr entfalte.593

8.4. Mitgliederstand, Ortsgruppengründungen und Bestandsdauer

Tabelle 1 Anzahl der Ortsgruppengründungen je Quartal

Die Zahl der neugegründeten Ortsgruppen zeigt einen deutlichen Spitzenwert um die Mit-

te des Jahres 1922 (siehe Tabelle 1). Nach einer Zeit der Stagnation stieg die Zahl 1926/27

nochmals kurz an; die letzte dokumentierte Gründung (OG 88, Reichraming) stammt vom 16.

April 1931.

592 StLA, LReg 206 E-061/1933, Eisenerz 593 Ebd.

Zahl der Ortsgruppen-Gründungen (nach Quartal)

0

2

4

6

8

10

12

14

16

18

1920

1921

/02

1921

/04

1922

/01

1922

/02

1922

/03

1922

/04

1923

/01

1923

/03

1923

/04

1924

/02

1924

/04

1925

/01

1925

/02

1925

/04

1926

/01

1926

/02

1926

/03

1926

/04

1927

/01

1927

/03

1927

/04

1930

/01

1931

/02

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

185 / 259

Datum Ortsgr. Gemein-schafter

Anhänger Junggemein-

schafter Enthaltsame

ges. davon Frauen

Frauen %

31.01.1920 8 290 5 295 119 40

31.12.1920 9 355 24 379 145 38

31.12.1921 19 645 60 705 263 37

31.12.1922 53 1289 172 149 1610 541 34

31.12.1923 60 1517 212 604 2333 835 36

31.12.1924 63 1634 261 933 2828 1098 39

31.12.1925 67 1636 329 693 2689 1076 40

31.12.1926 77 1754 307 850 2911 1158 40

Tabelle 2 Entwicklung der Ortsgruppen und Mitgliederzahlen bis 1926

Bis 1921 wurden Jugendliche (Junggemeinschafter) nicht extra aufgeführt. Erst nach der

Hauptversammlung vom September 1922, in deren Rahmen die Jugendarbeit definiert und

formal geregelt wurde, gibt es eigene Aufzeichnungen über die Zahl der Junggemeinschafter.

Ab 1927 liegen keine kompletten Veröffentlichungen über den Mitgliederstand mehr vor. Da

nach 1931 auch keine neuen Ortsgruppen mehr gegründet wurden, ist zu vermuten, daß sich die

Zahl der Mitglieder bei etwa 3000 einpendelte. Der Frauenanteil mit bis zu 40% ist relativ

hoch, anders sieht es allerdings (soweit dokumentiert) in den Leitungspositionen aus. Zwischen

1922 und 1931 waren Frauen nur sechsmal in der Bundesleitung vertreten. fünf davon als

Schriftführerinnen, eine im kollektiven Leitungsorgan der Junggemeinschaft. Von 81 Orts-

gruppen (Stand Mai 1927) waren 71 mit ihren Gruppenleitern genannt, davon waren 9 Frauen,

also 12,7%.

Die nachfolgende Tabelle enthält nur jene 40 Ortsgruppen, bei denen das Ende dokumen-

tiert ist. Bei Datumsunterschieden zwischen vereinsinterner Ankündigung und amtlichem Be-

scheiddatum (Nichtuntersagung) wurde das jeweils frühere Datum angenommen. Bei den 10

niederösterreichischen Ortsgruppen war in den Akten immer nur das Jahr der amtlichen Lö-

schung vermerkt. Als „Arbeitshypothese“ wurde bei diesen zur statistischen Darstellung immer

der 30. Juni des dokumentierten Jahres angenommen.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

186 / 259

9,2

6,3

4,5

14,7

9,6

8,6

21,5

6,7

14,0

3,8

13,3

7,9

5,5

5,7

5,7

14,5

5,8

14,4

5,9

5,8

11,1

13,3

13,5

17,9

5,3

14,6

6,1

15,9

9,5

9,6

25,5

12,6

16,8

19,8

7,2

20,2

21,3

22,0

15,3

20,5

12,0

85 "Dr. Josef Schweighofer" Salzburg

83 "Bergwacht" Eisenerz

82 "Unsere Rettung" Salzburg

81 "Eckart" Graz

80 "Steinfeld" Wr. Neustadt

79 Krems

78 "Sturmvolk" Graz

77 "Waldviertel" Horn

66 "Goldeck" Zlan

64 "Radmannsdorf" Weiz

62 Wolfsberg

59 Traiskirchen

52 "Jugendwille" St. Georgen am Sandhof

47 "Drauwacht" Rosegg

46 Viktring (Klagenfurt)

45 "Willenskraft" Graz

40 Trebesing

39 "Sonne" Stockerau

38 "Martin Ertl" Puch bei Gummern

37 "Albeck" Sirnitz

35 Judenburg

35 "Aufbau" Graz

33 "Die Aufrechten" Klosterneuburg

32 "Ortenburg" Spittal/Drau

31 "Vorwärts" Kalwang

28 "Grenzwacht" Laa/Thaya

26 "Sonnblick" Villach

25 Akademische Ortsgruppe Graz

24 "Kampf" Perchtoldsdorf

22 Mödling

21 "Glückauf" Leoben

20 "Heilborn" Bruck/Mur

13 "Dietrichstein" Feldkirchen

10 St. Pölten

09 "Südwacht" Eisenkappel

08 "Vortrupp" Einöde

07 Klagenfurt

05 "Kampfruf" Graz

04 "Bergland" Villach

01 Salzburg

00 Durchschnitt

Tabelle 3 Bestandsdauer der Ortsgruppen (Jahre)

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

187 / 259

Ortsgruppe Gründung Auflösung aufgelöst von 78 "Sturmvolk" Graz 04.01.1927 18.03.1948 Behörde 21 "Glückauf" Leoben 27.01.1922 08.03.1947 Behörde 35 Judenburg 16.01.1931 17.12.1941 Behörde 05 "Kampfruf" Graz 06.01.1920 13.09.1941 Behörde 81 "Eckart" Graz 15.03.1927 03.09.1941 Behörde 07 Klagenfurt 06.01.1920 03.01.1941 Behörde 10 St. Pölten 06.01.1921 30.06.1940 Behörde 01 Salzburg 06.01.1920 31.03.1940 freiwillig 85 "Dr. Josef Schweighofer" Salzburg 07.03.1931 31.03.1940 freiwillig 08 "Vortrupp" Einöde 06.01.1920 30.11.1939 Behörde 32 "Ortenburg" Spittal/Drau 25.03.1922 30.11.1939 Behörde 66 "Goldeck" Zlan 08.11.1925 12.08.1939 Behörde 13 "Dietrichstein" Feldkirchen 04.06.1921 11.12.1937 Behörde 62 Wolfsberg 09.10.1924 04.12.1937 Behörde 25 Akademische Ortsgruppe Graz 16.02.1922 07.10.1937 Behörde 31 "Vorwärts" Kalwang 08.11.1931 16.01.1937 Behörde 45 "Willenskraft" Graz 28.04.1922 25.08.1936 Behörde 28 "Grenzwacht" Laa/Thaya 10.02.1922 30.06.1936 Behörde 39 "Sonne" Stockerau 08.04.1922 30.06.1936 Behörde 80 "Steinfeld" Wr. Neustadt 05.01.1927 30.06.1936 Behörde 33 "Die Aufrechten" Klosterneuburg 03.03.1922 30.06.1935 Behörde 79 Krems 16.01.1927 30.06.1935 Behörde 35 "Aufbau" Graz 17.03.1922 07.05.1935 Behörde 04 "Bergland" Villach 06.01.1920 22.01.1935 Behörde 20 "Heilborn" Bruck/Mur 20.12.1921 04.05.1934 Behörde 83 "Bergwacht" Eisenerz 13.11.1927 25.01.1934 Behörde 77 "Waldviertel" Horn 28.11.1926 30.06.1933 Behörde 82 "Unsere Rettung" Salzburg 16.07.1927 08.12.1931 Vereinsleitung 22 Mödling 18.01.1922 30.06.1931 Behörde 24 "Kampf" Perchtoldsdorf 05.02.1922 30.06.1931 Behörde 59 Traiskirchen 25.09.1923 30.06.1931 Behörde 64 "Radmannsdorf" Weiz 20.02.1925 01.12.1928 Behörde 09 "Südwacht" Eisenkappel 30.12.1920 28.01.1928 Vereinsleitung 26 "Sonnblick" Villach 10.02.1922 28.01.1928 Vereinsleitung 38 "Martin Ertl" Puch bei Gummern 16.04.1922 28.01.1928 Vereinsleitung 37 "Albeck" Sirnitz 30.04.1922 28.01.1928 Vereinsleitung 40 Trebesing 30.04.1922 28.01.1928 Vereinsleitung 46 Viktring (Klagenfurt) 17.06.1922 28.01.1928 Vereinsleitung 47 "Drauwacht" Rosegg 20.06.1922 28.01.1928 Vereinsleitung 52 "Jugendwille" St. Georgen am Sandhof 10.09.1922 28.01.1928 Vereinsleitung

Tabelle 4 Auflösung von Ortsgruppen, absteigend sortiert nach Auflösungsdatum

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

188 / 259

8.5. Zusammenfassung

Nach der Gründung im Jänner 1920 und einer Art „Einstiegsphase“ bis Ende 1921 kam

es 1922 zu einem starken Wachstum bei der Zahl der Ortsgruppengründungen. Von den insge-

samt nachgewiesenen 88 Ortsgruppen wurden 53, also mehr als 60%, bereits in den ersten bei-

den Bestandsjahren bis 1922 gegründet. Die restlichen 35 Gründungen verteilten sich auf wei-

tere 9 Jahre, bis zum April 1931 (OG Reichraming). Andererseits löste die Bundesleitung der

DG bereits Ende Jänner 1928 acht Ortsgruppen auf, weil sie keine Tätigkeit entwickelt hatten.

Dies deutet darauf hin, daß in einer jungen, aufstrebenden Bewegung zunächst ein starker Mo-

tivationsschub bestand, eine Gruppe zu gründen, meist ausgelöst durch publikumswirksame

Vorträge und eindrucksvolle Ausstellungen. Andererseits scheint in mehreren Fällen nach einer

anfänglichen Begeisterung bald Stagnation, bedingt durch „die Mühen der Ebene“, eingetreten

zu sein. Die kürzeste Bestandsdauer hatte die OG „Radmannsdorf“ Weiz mit 3 Jahren und 10

Monaten.

Im Gegenzug blieb die Gründungsgruppe „Kampfruf“ Graz am längsten bestehen, sie

wurde erst im September 1941 im Zuge der Gleichschaltungs- und Auflösungsmaßnahmen des

NS-Systems aufgelöst. Die „mittlere“ Phase der behördlichen Auflösungen, zwischen 1934 und

1937, erfolgte, weil die OGen entweder keine Tätigkeit entwickelten oder keinen Vereinsvor-

stand gemeldet hatten. Anzumerken ist, daß trotz der oben erwähnten „schärfsten Überwa-

chungsmaßnahmen“ 594 in der Zeit des Ständestaates keine Gruppe aus politischen Gründen

aufgelöst wurde. Die dritte Phase der Auflösungen geschah im Zuge der NS-Maßnahmen zur

Gleichschaltung von Vereinen. Hier wurden die meisten Gruppen aufgelöst, einige wenige in

einen reichsdeutschen Gesamtverband eingegliedert. Die letzten beiden behördlichen Auflö-

sungen, 1947 „Glückauf“ in Leoben und 1948 „Sturmvolk“ Graz, dürften deshalb so spät er-

folgt sein, weil die Behörden nach dem Wiedererstehen der Republik Österreich schrittweise

ihre Vereinsakten durchforsteten und bereinigten.

Allerdings läßt sich allgemein, sowohl aus der Vereinszeitschrift als auch aus dem be-

hördlichen Schriftverkehr, ableiten, daß in der Zeit der Wirtschaftskrise und der zunehmenden

politischen Radikalisierung, in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren, die Begeisterung

der Menschen, sich für die Abwehr des Alkohols zu engagieren, nachließ. Denn wenn in den

Amtsberichten ab etwa 1933 gemeldet wird, daß Vereinsfunktionäre entweder „auf der

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

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Flucht“, „ nach Deutschland ausgewandert“, „ unter staatspolizeilicher Beobachtung“ oder „in

Haft“ seien,595 läßt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit vermuten, daß sie sich in der NSDAP

betätigt haben. So kam also die alkoholgegnerische Tätigkeit in den Ortsgruppen schrittweise

zum Stillstand, was schließlich bei vielen Gruppen dazu führte, daß sie sich freiwillig auflösten

oder behördlich aufgelöst wurden.

8.6. Vereinsüberleitung im NS-System596

Nach dem „Anschluß“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 bestand einige

Wochen ein verfassungsrechtlicher „Schwebezustand“ über den Status Österreichs. Arthur

Seyß-Inquart, der auf massiven Druck Hitlers am 12. März 1938 vom noch amtierenden Bun-

despräsidenten Miklas zum Bundeskanzler ernannt worden war, erließ am 13. März 1938 ein

Verfassungsgesetz, wonach Österreich ein „Land des Deutschen Reiches“ sei.597 Am 15. März

ernannte Hitler in einem sog. „Führererlaß“ Seyß-Inquart zum „Reichsstatthalter in Öster-

reich“, und die bisherige Österreichische Bundesregierung wurde in „Österreichische Landes-

regierung“ umbenannt.598 Um die Umwandlung und Einbindung des bisherigen Österreich in

das reichsdeutsche Staats- und Verwaltungssystem raschestmöglich umzusetzen, ernannte Hit-

ler am 23. April 1938 Josef Bürckel,599 seit 13. März kommissarischer Leiter der NSDAP in

Österreich, zum „Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen

Reich“.600

Eine der Aufgaben Bürckels in dieser Funktion war es, Vereine und vereinsähnliche Or-

ganisationen (Genossenschaften, Stiftungen, Fonds o.ä.) in den Dienst und unter die Kontrolle

der NSDAP zu stellen. Für diesen Teilbereich seiner Aufgaben ernannte er bereits am 18. März

1938 Albert Hoffmann zum „Stillhaltekommissar für Vereine, Organisationen und Verbän-

594 Siehe Gau Steiermark, weiters die Ortsgruppen 5 „Kampfruf“ Graz, 19 Grabnerhof, 25 „Akademische Grup-pe“ Graz, 31 „Vorwärts“ Kalwang, 35 „Judenburg“, 45 „Willenskraft“ Gösting, 78 „Sturmvolk“ Graz sowie 81 „Eckart“ Graz.

595 Siehe die Ortsgruppen 13 „Dietrichstein“ Feldkirchen, 21 „Glückauf“ Leoben, 25 „Akademische Gruppe“ Graz, 35 Judenburg, 62 Wolfsberg und 83 „Bergwacht“ Eisenerz.

596 Dieses Kapitel fußt inhaltlich auf der Dissertation von Gertrude Rothkappl: „Die Zerschlagung österreichi-scher Vereine, Organisationen, Verbände, Stiftungen und Fonds“. Wien, Univ., Diss., 1996.

597 Rothkappl, 4. 598 Ebd., 5. 599 Josef Bürckel (1895-1944) war ein nationalsozialistischer Gauleiter und Bürokrat in hohen politischen Äm-

tern. Zwischen 1935 und 1936 war er „Reichskommissar für die Rückgliederung des Saarlands“, später u.a. „Reichsstatthalter der Westmark“ mit Sitz in Saarbrücken sowie „Chef der Zivilverwaltung“ (CdZ) in Loth-ringen. Zwischen 1939 und 1940 war er Gauleiter in Wien und Reichsstatthalter der Ostmark ( � Internet-Quellen „Bürckel“)

600 Rothkappl, 7f.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

190 / 259

de“.601 Konkret sollte die Dienststelle des „Stillhaltekommissars“ alle notwendigen Maßnah-

men treffen, um die österreichischen Vereine, Organisationen und Verbände mit denen des

Deutschen Reiches „gleichzuschalten“.602

Am 14. Mai 1938 erließ Bürckel ein von Hoffmann formuliertes „Gesetz über die Über-

leitung und Eingliederung von Vereinen, Organisationen und Verbänden.“ Die Kernpunkte des

Gesetzes besagten, daß der „Reichskommissar“ berechtigt sei, in die Struktur von Vereinen

einzugreifen, sie umzugliedern, in bestehende reichsdeutsche Organisationen einzugliedern

oder sie aufzulösen. Auf die Satzungen der Vereine müsse keine Rücksicht genommen werden,

und die Bescheide zu Umbildung, Eingliederung oder Auflösung bedürften keiner Begrün-

dung.603 Hoffmann schuf damit einerseits die Möglichkeit, auf das Vereinsvermögen zuzugrei-

fen, andererseits aber auch, unliebsame Vereine aufzulösen, wenn dies im Interesse der

NSDAP läge, auch wenn ihre Tätigkeit nicht ausdrücklich als „staatsfeindlich“ zu bezeichnen

wäre.604 In einer parteiinternen Rede sagte er dazu: „Es ist selbstverständlich, daß es hier letz-

ten Endes der Sinn des Gesetzes ist, nur solche Vereine bestehen zu lassen, die im nationalsozi-

alistischen Staat existenzberechtigt sind. Nicht existenzberechtigt sind nicht nur solche Vereine,

die staatsfeindlich sind, sondern auch solche, die […] in den Aufbau des nationalsozialisti-

schen Staates […] nicht hineinpassen “ 605

Gegenüber den Vereinen gab es vier verschiedene Vorgehensweisen:

a) die völlige Auflösung;

b) die Eingliederung in eine andere Organisation unter Verlust der eigenen Rechts-

persönlichkeit (meist in eine bereits bestehende Reichsorganisation);

c) die Freistellung (den Fortbestand der Rechtspersönlichkeit), verbunden mit einer

Unterstellung unter eine Reichsorganisation;

d) die totale Freistellung, also den unbeschädigten Fortbestand.606

Im Falle a) (völlige Auflösung) erstellte der Stillhaltekommissar einen Schlußbericht, in

dem er die Auflösung ohne Begründung anordnete. Dieser Schlußbericht ging an die zuständi-

ge Vereinsbehörde (Polizeidirektion bzw. Kreisamt als Nachfolger der früheren Bezirkshaupt-

601 Rothkappl, 21. 602 Ebd., 1. 603 Ebd., 26. 604 Ebd., 25. 605 Ebd., 28f.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 8. Ortsgruppen

191 / 259

mannschaften). Die Vereinsbehörde stellte den Auflösungsbescheid aus, der sich als „Begrün-

dung“ auf die Anordnung des Stillhaltekommissars berief und gegen den keine Berufung zuläs-

sig war, und löschte den Verein aus dem Vereinsregister.607

Im Falle b) (Eingliederung in andere Organisation) wurde der Verein ebenfalls aus dem

Register gelöscht, das vorhandene Vermögen ging an die neue Organisation über, und die Mit-

glieder waren ab sofort Mitglieder dieser „Übernahmeorganisation“.608

Im Falle c) (Freistellung, aber Unterstellung unter eine Reichsorganisation) blieb der

Verein bestehen und wurde zu einer Unterorganisation der übernehmenden Organisation. Die-

ses Verfahren wurde meist bei Vereinen ohne nennenswertes Vermögen gewählt, welches dann

bei ihnen verblieb.609

Im Falle d) (Freistellung) blieb der Verein selbständig bestehen. Auf jeden Fall aber wur-

den die Obleute von der NSDAP, der GESTAPO und dem Sicherheitsdienst der SS auf ihre

Parteitreue überprüft, die der Freistellung zustimmen mußten. In allen Fällen des Fortbestandes

(b, c und d) mußten die Satzungen immer dahingehend geändert werden, daß es für die Ämter-

führer keine Wahl gab, sondern sie wurden entsprechend dem „Führerprinzip“ ernannt. „Die

Satzungen mußten stets den Hinweis enthalten, daß die Besetzung der Vereinsleitung nur im

Einvernehmen mit […] der NSDAP erfolgen kann. Mitglieder […] konnten, mit wenigen Aus-

nahmen […] , nur deutsche Staatsangehörige sein, die arischer Abstammung und politisch zu-

verlässig waren.“ 610

In allen Fällen erließ der Stillhaltekommissar seine Anordnungen mittels eines Standard-

formulars, auf dem die zutreffenden Anordnungen angezeichnet, die übrigen durchgestrichen

wurden, und das allenfalls ein paar ergänzende Anweisungen enthielt (� Abb. 46 ). Am 30. No-

vember 1939 endete die Tätigkeit des Stillhaltekommissars, ab 1. Dezember war für die Bil-

dung von Vereinen die Zustimmung des örtlichen Gauleiters der NSDAP oder eines von ihm

Beauftragten erforderlich .611

606 Ebd., 49. 607 Ebd., 52. 608 Ebd., 57. 609 Ebd., 68. 610 Ebd., 64. 611 Ebd., 167.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 9. Die Entwicklung in der Tschechoslowakischen Republik

192 / 259

9. Die Entwicklung in der Tschechoslowakischen Republik

9.1. Chronologie, Tätigkeiten

Auch in der Tschechoslowakei (ČSR), in der 1930 etwa 3,2 Millionen Deutsche lebten

(22,3% der Gesamtbevölkerung),612 faßte die Deutsche Gemeinschaft Fuß.

Ein erster Hinweis auf eine einschlägige Tätigkeit fand sich im Februar 1923, als berich-

tet wurde, daß in Witkowitz (Mähren)613 „… noch vor Weihnachten die erste außerhalb Öster-

reichs befindliche und in unserem Sinne arbeitende Gemeinschaft begründet [wurde]. Wir wün-

schen ihr im Kampf gegen die Rauschgetränke guten Erfolg und hoffen auf Fortsetzung, denn

wir möchten ja unser ganzes deutsches Volk in einer großen a l koho l f re ien Gemeinschaft

zusammengeschlossen sehen.“614

Im Juli d.J. hieß es, daß der Gedanke, alle „… Volksgenossen, die die Rauschgetränke als

Feinde des Aufstieges des deutschen Volkes erkannt haben, in einer engen Gesinnungsgemein-

schaft zusammenzufassen, auch […] in der Tschechoslowakei Fuß gefaßt [habe].“615 Seit dem

3. Jänner 1923 bestehe dort eine Deutsche Gemeinschaft, als Kontaktperson wird Dr. Erich

Kerck in Přivoz 779 genannt. Auch seien seit dem Jänner bereits 7 Ortsgruppen entstanden und

über 100 Mitglieder aufgenommen worden. Die Ortsgruppen befänden sich in Witkowitz,

Neutitschein, Groß-Petersdorf, Friedeck, Mährisch-Ostrau, Oderberg, Oderfurt. Der angestrebte

enge Zusammenhalt der Gemeinschafter in Österreich und der Tschechoslowakei kam auch im

bereits erwähnten Untertitel der seit 1923 erscheinenden vereinseigenen Zeitschrift zum Aus-

druck: „Mitteilungen der Deutschen Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur in Österreich und

der Deutschen Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur in der Tschecho-slowakischen Republik“ .

Im September 1923 berichtete Erich Kerck ausführlich über die Anfänge und ersten Fort-

schritte in der Tschechoslowakei. Unter anderem führte er aus, daß das Auftreten der neuen

Gruppe von Alkoholgegnern anderer Richtungen mit unfreundlichen Augen betrachtet worden

sei. „Wir wiesen jedoch von Anbeginn auf die Notwendigkeit hin, daß jenen Mitbürgern, die in

ihrem Denken und Fühlen unbedingte Naturen sind und immer ehrliches Farbebekennen for-

dern, ein Alkoholgegnerbund geboten werden müsse, der nicht durch eingegangene internatio-

612 Brockhaus, Bd. 19, Tou-Wam, 133. S.v. Tschechoslowakei – Bevölkerung. 613 Ich verwende im Folgenden weitestgehend die deutschen Ortsnamen, wie sie auch in den Quellen vorkom-

men. Die tschechischen Namen stehen in der Tabelle am Ende des Kapitels. 614 „Südmark“ 4, 75. 615 ebd., 333.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 9. Die Entwicklung in der Tschechoslowakischen Republik

193 / 259

nale Bindungen dazu verhalten wäre, in wichtigen Lebensfragen des Volkes eine unentschiede-

ne Zwitterstellung einzunehmen.“ Kerck vertrat die Ansicht, „… eine Bewegung gegen den

Rauschteufel müsse frei von jeglichem, aus fremder Wurzel entsprossenen Zierrat (sic!) geführt

werden … […] Und aus der B indung an Heimat und Vo lks tum werden wi r

d ie Kra f t zum Kampf gegen unseren g r immigs ten Fe ind, den A l koho l i s -

mus , schöpfen!“ 616 Über die bereits oben erwähnten Ortsgruppen hinaus nannte er auch noch

Aussig an der Elbe als neuen Stützpunkt.

Ab diesem Heft der Vereinszeitschrift erschienen regelmäßig Mitteilungen aus der ČSR

unter einer eigenen Überschrift: „Mitteilungen der D. G. in der Tschechoslowakei“. So standen

hier z. B. Namen und Anschriften von Kontaktpersonen, weiters wurde für Oktober 1923 der

erste geplante Gemeinschaftertag angekündigt. Die definitive Einladung dazu erfolgte einen

Monat später; der Gemeinschaftertag werde am Sonntag, dem 21. Oktober 1923, in Groß-

Petersdorf bei Zauchtl in Mähren abgehalten. Die Gemeinschafter Kerck und Krischke würden

einen Vortrag über die Ziele der Bewegung halten, weiters habe Kerck eine neue Ortsgruppe in

Teschen gestiftet. Neue Kontaktadressen wurden für Znaim, Iglau und Bilin-Ugest in Böhmen

genannt.617

Im November erstattete Erich Kerck als bisheriger Obmann der Deutschen Gemeinschaft

in der Tschechoslowakei einen ausführlichen schriftlichen Bericht über die Tagung.618 Zum

wiederholten Male brachte er grundsätzliche Gedanken zum völkischen Auftrag der DG,

wünschte einen „Wiederaufstieg unseres Volkes“ herbei und verlangte, „verwerflichen Genüs-

sen zu entsagen“, die einem solchen Aufstieg hinderlich seien. Nach Kercks Bericht über die

Tätigkeit im Großen folgten Berichte der einzelnen Ortsgruppen: „Es ergab sich ein geschlos-

senes Bild des Bestehenden mit verheißungsvollem Ausblicke auf das Werden, das in Böhmen

und Schlesien, gleichwie in Mähren seine Kreise zieht.“

In einem Nachwort zum Tagungsbericht bedauerte Stephan Schöck, daß dieser Gemein-

schaftertag leider so spät angekündigt worden sei, daß keine Vertreter aus Österreich mehr ent-

sandt werden konnten. Er beglückwünsche aber „… als Bundesvorsitzender der Deutschen

Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur in Österreich […] alle Gemeinschafter unseres Nachbar-

staates, besonders Bruder Kerck, zu ihren bisherigen Erfolgen und begrüße […] die neue Bun-

desleitung mit einem herzlichen: G lückauf !“ Die neugewählte Bundesleitung bestand aus

616 1 (1923), 20ff. 617 Ebd., 32. 618 Ebd., 33-35.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 9. Die Entwicklung in der Tschechoslowakischen Republik

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Dr. Fritz Koberg (Prag) als Vorsitzendem, Engelbert Rimanek (Witkowitz) als Vors.-Stellv.,

Wilhelm Hellmann (Witkowitz) als Zahlmeister und Angela Heinrich (Witkowitz) als Schrift-

führerin. Karl Gottwald (Witkowitz) wurde Leiter der Geschäftsstelle. Weiters habe es neue

Ortsgruppengründungen in Oderberg und Nesselsdorf gegeben.

Im Dezember 1923 wurde „… bei der Wintersonnwendflamme im schneeigen Walde […]

der Grundstein gelegt für eine tatkräftige Ortsgruppe, die den Namen Egerland führen

soll.“619 Im Februar 1924 hielt Erich Kerck eine dreiwöchige Vortragsreise ab. „Immer wieder

wurde der Wunsch laut, solche Veranstaltungen, welche der Volksaufklärung über die unge-

heuren Schädigungen, so auch mäßiger Alkoholgenuß unserem Volke in Gegenwart und Zu-

kunft zufügt, in hervorragender Weise dienen, recht oft durchführen zu können.“620 Als Folge

der Vortragsreise sei eine Reihe neuer Ortsgruppen gegründet worden: Freudenthal, Böhmisch-

Kamnitz, Komotau, Falkenau, Karlsbad.

Auch über die Tätigkeit einer „tschechischen Nüchternheitsbewegung“ wurde berichtet.

So habe es z.B. in Schlesisch-Ostrau von der schlesischen Landeszentrale des tschechoslowaki-

schen Abstinentenvereines auf dem Wege der Schulen eine Umfrage gegeben, was zur Ein-

dämmung des Alkoholismus künftig unternommen werden solle: a) die jetzigen Verhältnisse

beibehalten; b) ein Branntweinverbot erlassen; c) ein völliges Alkoholverbot erlassen. Von

10.000 Fragebögen seien 6915 Antworten zurückgekommen. 4.700 (68%) seien für ein völliges

Alkoholverbot eingetreten, 1.550 (22,4%) für ein Verbot von Branntwein und 168 (2,4%) für

ein Beibehalten der bisherigen Verhältnisse. Etwa 500 (7,2%) der Rückläufer seien leer gewe-

sen. „Diese Abstimmung beweist, was planmäßige Aufklärungsarbeit vermag, denn Schlesisch-

Ostrau mit seinen vielen Bergarbeiterfamilien kann durchaus nicht als leichtes Arbeitsfeld ge-

wertet werden. Man kann aber auch erkennen, wie tüchtig die tschechische Lehrerschaft in

Schule und Volk für die Enthaltsamkeit wirkt.“ 621

Weiters habe das tschechische Handelsministerium im November 1922 einen Erlaß her-

ausgebracht, wonach die Anzahl von Gasthaus- und Schankkonzessionen abhängig von der

Einwohnerzahl einer Ortschaft zu beschränken sei. „Da die in dieser Verordnung festgesetzten

Höchstzahlen gegenwärtig in allen Orten weit überschritten sind, dürfen neue Konzessionen

nicht erteilt werden.“621

619 2 (1924), 8. 620 Ebd., 30f. 621 Ebd., 31.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 9. Die Entwicklung in der Tschechoslowakischen Republik

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Die Arbeit der Ortsgruppen bestand größtenteils aus Vorträgen zum Alkoholproblem,

aber auch Themen zu Volkstum, Volkskultur, Lied, Tanz und Laienspiel wurden behandelt.

Mehrfach gab es Berichte über Ortsgruppen, die Kulturabende für die Bevölkerung der jeweili-

gen veranstaltet hatten; auch Kindernachmittage mit Märchenspielen, Vorlesungen, gemeinsa-

mem Singen und Tanzen waren auf dem Programm gestanden. Manchmal fanden die Veran-

staltungen auch gemeinsam mit örtlichen Wandervogelgruppen statt. So hielt z.B. Erich Kerck

am 27. Februar 1924 bei der Ortsgruppe Egerland in Mies einen Vortrag über „Rasse und Alko-

hol“, wonach anschließend „… im Neste der Wandervögel einer Reihe von tatfreudigen Men-

schen in weihevoll erhebender Feier die Gemeinschafterverpflichtung [abgenommen wur-

de].“622 Für Mai wurde ein Bergfest auf dem Wolfsberg angekündigt, außerdem wurden Vorge-

spräche zur Bildung eines Gaues „Böhmerland“ geführt.

Ende April 1924 hatte die DG in der Tschechoslowakei 408 Mitglieder: 251 Männer, 50

Frauen, 93 Junggemeinschafter und 14 Anhänger:

Im Begleittext zur obenstehenden Tabelle hieß es: „In der Aufstellung über unseren Mit-

gliederstand, die wir heute veröffentlichen, seien uns einige Bemerkungen gestattet. Ehrliche

Freude muß uns erfüllen, wenn wir an den Zahlen ersehen, daß unser Mühen nicht vergeblich

war und daß es uns gelungen ist, trotz der Ungunst der Verhältnisse […] schon an so vielen

Orten Fuß zu fassen […]. Unser Bund wird weiterschreiten in seiner inneren und äußeren

622 Ebd., 39.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 9. Die Entwicklung in der Tschechoslowakischen Republik

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Entwicklung, weil der Wille in uns lebendig ist, unserem Volke Wegbereiter zu einer neuen, auf

naturgegebener Grundlage aufgebauten Volkskultur zu sein.“623

Im Mai 1924 hielt die Ortsgruppe Nesselsdorf ein Wiesenfest ab. 200 Teilnehmer, Ge-

meinschafter, aber auch Gäste aus dem Ort und den Nachbarorten, waren gekommen. „… in all

den Stunden vom frühen Vormittag bis zum Abend äußerte keiner von ihnen ein Verlangen nach

geistigen Getränken. Entzücken und lauterste Freude, eine Hochspannung der Begeisterung

und kindliche Hingabe an die natürliche, selige Heiterkeit waren über die Auen gebreitet, als

die Reigentänze und Volkslieder, die alten Spiele, der Kaspar, […] die überaus frisch und

schön gegebenen Schauspiele vom Kampf zwischen Winter und Sommer […] und von Hans

Sachs die Gemüter und Sinne packten.“624

Im Zuge des weiteren Wachstums wurden im August Vorbereitungen zur Gründung einer

Gruppe in Halbendorf bei Deutsch-Jaßnik getroffen. Für September wurde der Gemeinschafter-

tag in Neutitschein angekündigt, allerdings ohne genaue Datumsangabe. Im Septemberheft der

Vereinszeitschrift gab es zwar keinen detaillierten Bericht über alle Ereignisse der Tagung, das

wichtigste Ergebnis war jedoch der bevorstehende Zusammenschluß der DG mit dem Guttemp-

lerorden der Tschechoslowakei. ( � Anhang Dokumentationen).

Als Ergebnis dieses Zusammenschlusses lautete der Untertitel der Vereinszeitschrift ab

Oktober 1924: „Mitteilungen der Deutschen Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur in Österreich

und der Deutschen Guttempler-Gemeinschaft in der Tschecho-slowakischen Republik“.

Weiters wurden wieder einige neue Ortsgruppen gegründet und zwar in Freiwaldau, Jä-

gerndorf, Jauernig und Zuckmantel.625

Nachdem im Herbst 1924, nach dem Einigungs-Gemeinschaftertag von Neutitschein im

September, nur kurz über den Zusammenschluß mit den Guttemplern berichtet worden war,

gab es im Jänner 1925 dazu einen ausführlichen Nachtragsbericht:626 „Das Jahr 1924 stand im

Zeichen der Vereinigung der beiden gleichstrebigen Körperschaften, die bisher unter den Su-

dentendeutschen nebeneinander im Sinne der Volkserneuerung gewirkt hatten. Mancherlei Wi-

derstände mußten überwunden, vielerlei recht unfruchtbare, zeit- und geldraubende Arbeiten

geleistet werden, ehe das gesteckte Ziel erreicht war. Daß aber trotzdem eine Menge frucht-

bringender Arbeit durchgeführt werden konnte, zeigt der nachstehende Bericht.“

623 Ebd., 53. 624 Ebd., 70. 625 Ebd., 124.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 9. Die Entwicklung in der Tschechoslowakischen Republik

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P. Hirmke (der Verfasser des zitierten Berichtes) hatte auf eigene Faust mit dem damali-

gen Obmann der „Deutschen Gemeinschaft“, Dr. Fritz Koberg, unverbindliche Vorgespräche

geführt. Die Guttemplertagung in Zwittau vom 6. Juli 1924 hatte die Voraussetzungen für die

Vereinigung mit der „Deutschen Gemeinschaft“ geschaffen und die Unabhängigkeit von sämt-

lichen Weltverbänden der Guttempler beschlossen. Der sog. „deutscharische Standpunkt“ war

festgelegt und der Entschluß gefaßt worden, konkrete Verhandlungen zur Vereinigung der bei-

den Organisationen einzuleiten.

Am 6. September 1924 beschloß ein Einigungsausschuß die Verschmelzung der beiden

Verbände, am Folgetag tagten in Neutitschein gleichzeitig Hauptversammlungen beider Ver-

bände und genehmigten die zur Vereinigung getroffenen Vereinbarungen. Die Gründungsver-

sammlung des neuen Vereines fand am 30. November in Mährisch-Schönberg statt.

Der Vorstand des Vereines bestand laut Bericht aus Otto Kühnert (Mährisch-Schönberg),

Paul Hirmke (Mährisch-Schönberg), Adolf Müller (Mährisch-Schönberg), Karl Schroth (Mäh-

risch-Schönberg), Wilhelm Körner (Zöptau), Alfred Grimm (Landskron/Ostböhmen), Engel-

bert Rimanek (Witkowitz) und Robert Müller (Niedergrund bei Warnsdorf).

Der Verein war in sieben Gaue gegliedert: Nordböhmen (9 Ortsgruppen), Kuhländchen627

(17 Ortsgruppen), Nordmähren (7 Ortsgruppen), Schönhengst628 (7 Ortsgruppen), Westböhmen

(8 Ortsgruppen), Südmähren (5 Ortsgruppen) und Schlesien (4 Ortsgruppen). Die alkoholgeg-

nerische Arbeit bestand aus Vorträgen, der Herausgabe von Aufklärungsschriften, Gestaltung

einer Wanderausstellung und Pressearbeit. Weiters existierte eine Jungschar, bestehend aus

etwa 6000 Schülern im Alter von bis zu 18 Jahren, und in Prag war eine gemeinsame Vertre-

tung eingerichtet worden: „Zum Schlusse sei bemerkt, daß die als gemeinsame Vertretung aller

deutschen Enthaltsamkeitsverbände (vor allem auch gegenüber den Staatsbehörden) notwendi-

ge ‚Zent ra ls te l l e ’ am 7. Dezember in Prag gegründet worden war und daß unser Bruder

Ingenieur Alfred Ledwina die Leitung übernahm, die uns als dem stärksten deutschen Ver-

band zufiel.

Wenn dieser gedrängte Bericht unseren Mitgliedern und Freunden, insbesondere auch

den österreichischen ‚Gemeinschaftern’ ein Bild unserer Arbeit gegeben hat, wenn er gezeigt

626 3 (1925), 6-9. 627 Kuhländchen, eine Landschaft im Tal der oberen Oder in Nordmähren; bekannt durch seine Rinderzucht.

(Brockhaus 1931, Bd. 10, KAT-KZ; 683. S.v. Kuhländc hen.) 628 Schönhengstgau, eine deutsche Sprachinsel an der böhmisch-mährischen Grenze, benannt nach dem 660 m

hohen Berg Schönhengst. (Brockhaus 1933, Bd. 16, ROC-SCHQ; 774f. S.v. Schön hengst(er)gau.)

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 9. Die Entwicklung in der Tschechoslowakischen Republik

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hat, daß wir das geworden sind, was wir sein wollen, eine wahre ‚Deutsche Guttemplergemein-

schaft’, dann hat er auch seinen Zweck erfüllt.“626

Weitere Ortsgruppengründungen gab es in Sörgsdorf (Nr. 57), in Schnobolin bei Olmütz

(Nr. 58), in Eger (Nr. 59) und in Reichenberg (Nr. 60).

Am 2. und 3. Mai 1925 wurde in Botenwald ein sog. „Maiweihetag“ veranstaltet. Die

Einleitung bildete ein Vortrag über „Menschenkenntnis und Charakterkunde“. Weiters gab es

einen katholischen Gottesdienst, eine „Morgenweihe“, ein öffentliches „Gauthing“ und schließ-

lich als Abschluß ein Wiesenfest mit Volkstänzen, Schauturnen, Laienspiel und Kasperltheater,

an dem laut Bericht über 600 Personen teilgenommen haben sollen. „Um halb drei Uhr beweg-

te sich ein ungemein stattlicher Festzug in Achterreihen durch den Ort. Wohl 250 Gemein-

schafter, 400 Gäste aus allen Kreisen der enthaltsamen Jugendbewegung, wie die besonders

zahlreich vertretenen Jungturner, Pfadfinder, Wandervögel, Vertreter des ‚Weißen Kreuzes’

und einige hundert ‚Jungschärler’ marschierten unter Musik und Liederklang zum ‚Wiesenfes-

te’, das aber des einsetzenden Regens wegen im Saale stattfinden mußte. […] Das gute Beispiel

der wackeren Kuhländer sei allen anderen Gauen zur Nacheiferung empfohlen!“629

Im Juni 1925 fand in Mährisch-Trübau eine als „mächtige Erneuerungstagung“ betitelte

Zusammenkunft statt: „Am 13. und 14. Juni veranstaltete der Sonderausschuß für Volkserneue-

rung des Schönhengster Gaubildungsausschusses eine gewaltige Kundgebung gegen Spießer-

tum und veraltete, verderbliche Lebensform, die sich der Tagung des Kuhländchens in Boten-

wald würdig zur Seite stellte. […] Der Geschäftsleiter der ‚Deutschen Guttemplergemein-

schaft’, Br. Karl Schroth‚ […] wies ‚Wege zur Volkserneuerung’, als deren schwerstes Hin-

dernis der Alkoholismus, die deutsche Trinksitte, anzusehen ist.“ Nach einem Festgottesdienst

und einer anschließenden Tagung des Gaues „Schönhengst“ führte am Nachmittag ein Festzug

durch die Stadt. „Dann marschierten mit wehenden Wimpeln zahlreiche Gruppen enthaltsamer

Jugendverbände, desgleichen Jungschargruppen von nah und fern und schließlich die Gut-

templergemeinschafter. Der von der Stadtkapelle geführte Mährisch-Trübauer Turnverein

machte den Beschluß des Zuges. […] Der Besuch war sehr gut; die Anhänger des Erneue-

rungsgedankens waren diesmal nicht ‚unter sich’, sie gaben vielmehr ein öffentliches Beispiel,

wie man wahre Volksfeste auch ohne die sonst unvermeidlich scheinenden ‚Festräusche’ feiern

629 3 (1925), 74.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 9. Die Entwicklung in der Tschechoslowakischen Republik

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kann.“ 630 Mit solchen Veranstaltungen sollten der Kontakt zur örtlichen Bevölkerung gepflegt

und die Idee einer alkoholfreien Lebensführung praktisch gelebt und gezeigt werden.

Die Jahreshauptversammlung (im Bericht631 als „Großgruppentagung“ bezeichnet) wurde

vom 4. Juli (Samstag) bis zum 6. Juli in Reichenberg abgehalten. Als Vertreter der Deutschen

Gemeinschaft war Fritz Hirth (Linz) gekommen, Emil Hohenthal als Vertreter der US-ameri-

kanischen Alkoholgegner. Berichtet wurde u.a., daß im Jahre 1924 102 öffentliche Vorträge

stattgefunden hätten, im laufenden Jahr bisher 45. An 4 Orten war eine alkoholgegnerische

Ausstellung durchgeführt worden, und es gebe 62 Ortsgruppen in 7 Gauen. Weiters bestünden

51 Jungschargruppen, die eigenständig agierten, aber in einem Naheverhältnis zur D.G.G.632

stünden.

Eine „Wanderlehrerin“ aus Breslau, Maria Lachnitt, hielt einen Vortrag mit dem Titel

„Die Frau als Bundesgenossin im Kampfe gegen den Alkoholismus“. Sie meinte, daß die Frau-

en bereits vor der Eheschließung, bei der Auswahl ihres künftigen Gatten, darauf achten soll-

ten, daß er keinen Alkohol trinke. Und als Hausfrauen sollten sie dafür sorgen, daß kein Alko-

hol im Hause sei. „Wenn kein Mädchen einen Trinker heiratet, jede Hausfrau für gute, alkohol-

freie Getränke im Hause sorgt und sich um die entsprechende Erziehung der Kinder kümmert,

wenn die Frauenvereinigungen Reformgasthäuser eröffnen und insbesondere die politisch täti-

gen Frauen in Parlament und Gemeinde ihre Pflicht in sozialer Hinsicht erfüllen, dann sind

Frauen unentbehrliche Mitstreiterinnen im Kampfe gegen den Alkoholismus.“

Vom 25. bis zum 30. August 1925 fand in Bad Stramberg (Kuhländchen) eine alkohol-

gegnerische Schulungswoche statt. Sie sollte dazu dienen, den Mitgliedern Wissen und Werk-

zeuge in die Hand zu geben, um im alkoholgegnerischen Sinne zu wirken. Etwa 40 Personen

hatten teilgenommen. Emil Hohenthal berichtete über Geschichte und praktische Durchführung

des Alkoholverbotes in den USA, ein Dr. Reinhard Strecker (Berlin) über die Lage im Deut-

schen Reich, und abschließend wurden Richtlinien für die alkoholgegnerische Arbeit ausgear-

beitet. 633

Im Dezemberheft 1925 der Vereinszeitschrift gab es letztmalig noch einige Berichte über

Ortsgruppengründungen, über Vortragsveranstaltungen, Gausitzungen und Werbearbeit der

„Deutschen Guttemplergemeinschaft“ in der Tschechoslowakei. Ab Jänner 1926 fehlt der bis-

630 3 (1925), 98. 631 Ebd., 118-122. Im Bericht wird irrtümlich „August“ genannt; das richtige Datum ist 4.-6. Juli 1925. 632 Häufig verwendete Abkürzung für „Deutsche Guttemplergemeinschaft“. 633 3 (1925), 140f.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 9. Die Entwicklung in der Tschechoslowakischen Republik

200 / 259

herige Untertitel „Mitteilungen der Deutschen Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur in Öster-

reich und der Deutschen Guttempler-Gemeinschaft in der Tschecho-slowakischen Republik“,

wie er seit Oktober 1924 lautete. Es findet sich aber kein Hinweis auf ein Auseinanderleben der

beiden Vereine, jedenfalls gab es ab 1926 in der österreichischen Vereinszeitschrift keine Be-

richte mehr über das Geschehen in der ČSR.

9.2. Zusammenfassung

An der Entwicklung in der Tschechoslowakei und den Berichten darüber erscheinen mir

einige Dinge besonders erwähnenswert: Zum Unterschied von Österreich, wo die DG aus den

Guttemplern hervorging, bestanden in der ČSR beide Bünde eine Zeitlang nebeneinander. Die

Einigung vom Oktober 1924 war also kein Aufgehen des einen Bundes (Guttempler) im ande-

ren (Deutsche Gemeinschaft), sondern ein Zusammenschluß auf gleicher Ebene. Im Bericht

über die Gründung wurden die Ortsgruppen getrennt nach ihrer Entstehungsgeschichte aufge-

zählt: Von den 56 Gruppen waren 35 ehemalige Guttempler, 12 ehemalige Gemeinschafter und

9 neuentstandene Mischgruppen. Auch die Bezeichnung der Vereinsfunktionäre wurde aus dem

Sprachgebrauch der Guttempler übernommen. So heißt es z.B. „Groß-Templer“ statt „Vorsit-

zender“, „Groß-Kanzler“ statt „Geschäftsführer“, „Groß-Schriftführer“ statt „Schriftführer“

und „Groß-Schatzmeister“ statt „Schatzmeister“ oder „Finanzreferent“.

Weiters fällt auf, daß z.B. über die Tätigkeit eines tschechischen Verbandes ausgespro-

chen sachlich berichtet wurde (siehe Bericht über die Umfrage an Schulen 1924). Bei aller Be-

tonung des eigenen Deutschtums wird also die tschechische Arbeit auf dem gleichen Gebiet

durchaus gewürdigt. Eine solche Einstellung wäre angesichts des zunehmenden Nationalitäten-

kampfes zwischen Deutschen und Tschechen einige Jahre später nur schwer vorstellbar gewe-

sen.

Aus den letzten Berichten über das Geschehen in der ČSR im Dezemberheft 1925 der ös-

terreichischen Vereinszeitschrift war nicht zu erkennen, daß solche künftig nicht mehr erschei-

nen würden, auch in den Folgeheften der Zeitschrift wurde nichts Diesbezügliches erwähnt.

Deren neuer Untertitel lautete ab 1926: „Mitteilungen der Deutschen Gemeinschaft für alkohol-

freie Kultur in Österreich.“

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 9. Die Entwicklung in der Tschechoslowakischen Republik

201 / 259

9.2.1. Deutsch-tschechische (bzw. rumänische) Ortsnamen

Aussig (an der Elbe) Ústí (nad Labem)

Bad Stramberg Štramberk

Bilin Bílina

Böhmisch-Kamnitz Česká Kamenice

Botenwald Butovice

Deutsch-Jaßnik Jeseník nad Odrou

Eger Cheb

Egerland Chebsko

Falkenau (an der Eger) Falknov (nad Ohří)

Freiwaldau Jeseník

Freudenthal Bruntál

Friedeck (Friedeck-Mistek) Frýdek-Místek

Groß-Petersdorf Dolní Vražné

Hermannstadt Sibiu (rumänisch)

Hermsdorf Heřmanice

Iglau Jihlava

Jägerndorf Krnov

Jauernig Javorník

Karlsbad Karlovy Vary

Komotau Chomutov

Kuhländchen Kravařsko

Landskron/Ostböhmen Lanškroun

Mährisch-Ostrau Moravská Ostrava

Mährisch-Schönberg Šumperk

Mährisch-Trübau Moravská Třebová

Mies Stříbro

Nesselsdorf Kopřivnice

Neutitschein Nový Jičín

Oderberg Bohumín

Oderfurt (Priwoz) Přivoz

Olmütz Olomouc

Reichenberg Liberec

Schlesisch-Ostrau Slezská Ostrava

Schnobolin Slavonín

Schönhengstgau Hřebečsko

Sörgsdorf Uhelná

Stramberg Štramberk

Teschen Český Těšín

Warnsdorf Varnsdorf

Witkowitz Vítkovice v Krkonoších

Zauchtl Suchdol nad Odrou

Znaim Znojmo

Zöptau Sobotín

Zuckmantel Zlaté Hory

Zwittau Svitavy

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 10. Schlußbetrachtungen

202 / 259

10. Schlußbetrachtungen

Die Abstinenzbewegung als soziale Bewegung läßt sich nach Raschke an Hand ihrer

Zieldefinition als kulturorientierte Bewegung klassifizieren. Entsprechend den bei Schneider

und Raschke beschriebenen Voraussetzungen als „Unbehagen gegenüber geänderten sozialen

Lebensbedingungen“ waren die zunehmende Massenproduktion billiger alkoholischer Getränke

und in der Folge der erhöhte Alkoholkonsum der Bevölkerung der Anstoß für die Bildung einer

Gegenbewegung. Ausgehend von den USA und dort vor allem religiös-ethisch motiviert, fand

die Bewegung ihren Weg über Großbritannien und Skandinavien nach Mitteleuropa.

Mit der zunehmenden Industrialisierung und Verstädterung befaßten sich im deutschen

Raum einige Mediziner mit der Frage des Alkoholismus und brachten neben den ethischen Ge-

sichtspunkten medizinische und sozialhygenische Argumente in den Diskurs ein. Um die Wen-

de vom 19. zum 20. Jahrhundert wurde die Thematik noch um eugenische Fragen und eine da-

von abhängige „Höherentwicklung der menschlichen Rasse“ erweitert. Hauptbeteiligt am Dis-

kurs waren die Ärzte Hufeland, Bunge, Forel und Kraepelin. Die Verknüpfung ethischer, medi-

zinischer und gesellschaftspolitischer Argumente verschaffte dem Thema starke Überzeugungs-

kraft und Wirkmächtigkeit.

Ausgehend vom ideologischen Hintergrund der handelnden Personen entwickelte sich die

organisierte Abstinenzbewegung mit einem christlichen, einem sozialdemokratischen, einem

international-überstaatlichen und einem völkischen Theoriemodell. Speziell die Guttempler, in

den USA entstanden und ähnlich den Freimaurern international organisiert und agierend, sahen

sich als weltweit wirkende Organisation gegen den Alkoholismus und verlangten von ihren An-

gehörigen völlige Enthaltsamkeit. Drei Argumentationsstränge bildeten den Kern der Absti-

nenzbewegung: Alkoholismus als medizinisches Problem, das die Gesundheit des Einzelmen-

schen schädige; Alkohol als eugenisches Problem, erweitert um rassehygienische Motive, das

behinderte und degenerierte Nachkommenschaft bewirke; Alkohol als gesellschaftliches Prob-

lem, das Verelendung und soziale Verwahrlosung fördere.

Analog zur Abstinenzbewegung ist auch die Lebensreform-Bewegung der Kategorie

„kulturorientierte Bewegungen“ zuzuordnen. Ihre Entstehung im deutschen Kaiserreich hatte

als auslösendes Element das Unbehagen über den rapiden Wandel in Wissenschaft, Technik,

Wirtschaft und Politik des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Wachstum und Fortschritt zeugten in

der Bevölkerung nicht nur Freude, Zuversicht und Hoffnung, sondern lösten im Gegenzug auch

Gefühle der Angst, Hoffnungslosigkeit und Vereinsamung aus. Das Gemeinsame verschiedener

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 10. Schlußbetrachtungen

203 / 259

konkreter Reformströmungen war die Forderung, daß der einzelne Mensch selbst sein Leben in

die Hand nehmen, sich von staatlicher Bevormundung und als allgemeingültig anerkannten

Verhaltensnormen lösen müsse, um nicht nur die eigene Existenz, sondern letztlich die Ge-

samtheit der Gesellschaft zu ändern, zu verbessern, zukunfts- und überlebensfähig zu machen.

Ebenso erstrebten alle thematisch unterschiedlichen Reformbewegungen, Körper, Geist

und Seele des Menschen ganzheitlich zu betrachten, das Leben und die bisherige Lebenspraxis

grundlegend zu ändern. In der Zielsetzung oft vage, in der Form unsicher, in den Wunsch-

vorstellungen ungenau artikuliert, war die Lebensreform auch im politischen Spektrum nicht

eindeutig positioniert, ihre Bandbreite reichte von rassisch-völkischen Vorstellungen über sozi-

alistisch-kommunistische Ideen bis zu anarchistischen Zirkeln.

Bei der um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert im Berliner Raum entstandenen

deutschen bürgerlichen Jugendbewegung lag der auslösende „Leidensdruck“ vor allem in der

formkonservativen, nach sozialen Rangordnungen gegliederten und „hurrapatriotisch“ orien-

tierten Gesellschaftsordnung, die sich im preußischen Schulsystem spiegelte. Erziehung zu Pat-

riotismus und Militarismus war ein wesentliches Element der Schulpädagogik.

Aus einer kleinen Schülerwandergruppe rund um den Gymnasiasten (und späteren Stu-

denten) Karl Fischer entstand nach 1901 in Form des Wandervogels eine Bewegung, die sich

innerhalb weniger Jahre über das gesamte Deutsche Kaiserreich ausbreitete und organisatorisch

in verschiedene Vereine gegliedert war. Diese Bewegung, ihrem Selbstverständnis nach ein

„Jugendreich“, sollte der Jugend einen Lebensabschnitt bieten, der ihr Eigenständigkeit, ju-

gendgemäße Lebensformen und Entfaltungsmöglichkeiten in der Phase zwischen der Abhän-

gigkeit von Elternhaus und Schule einerseits und Familiengründung und Berufstätigkeit ande-

rerseits ermöglichte. Die in der Meißnerformel von 1913 enthaltenen Begriffe von „eigener

Bestimmung“, „ eigener Verantwortung“ und „innerer Wahrhaftigkeit“ drückten als „Fahnen-

wörter“ die wesentlichsten Inhalte der Bewegung aus. Der Gedanke der Abstinenz war von

Beginn an in der Jugendbewegung systemimmanent enthalten, allerdings nicht als Ziel (wie bei

der eigentlichen Abstinenzbewegung), sondern als selbstverständliche Voraussetzung für ein

jugendgemäßes Leben im neuen Geiste.

Ab 1911 war auch Österreich in der Bewegung präsent; hier verband sich der Wandervo-

gel, angeregt durch den Nationalitätenkampf, mit jenen Gruppierungen, die die deutsche Spra-

che und Kultur an den Grenzen zu den nichtdeutschen Sprach- und Kulturräumen schützen

wollten.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 10. Schlußbetrachtungen

204 / 259

Die „Deutsche Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur“, aus den Guttemplern hervorge-

gangen, sah ihre Grundausrichtung von Anfang an im „deutsch-arischen“ Standpunkt, der wört-

lich auch in den Satzungen verankert war. Damit lag sie weitgehend konform mit dem damali-

gen Zeitgeist und stieß auch bei den Behörden auf keinerlei Widerspruch. Die ritualisierte Auf-

nahmeformel für Mitglieder, die sog. „Gemeinschafterverpflichtung“, nannte als Grund für die

Alkoholenthaltsamkeit nicht das persönliche Gesundheits- und Wohlbefinden der Person, son-

dern den sozialen Gedanken des Allgemeinwohls auch kommenden Generationen gegenüber.

Somit vereinte sie sozialhygenische und eugenische Motive. Das starke Wachstum in den ers-

ten Jahren nach der Gründung (von 1920 bis 1924 stieg die Zahl der Mitglieder von rund 290

auf fast 2900 an, die Zahl der Ortsgruppen von 8 auf 63) deutet auf einen relativ starken Wi-

derhall in der Bevölkerung hin. Förderlich für das Vereinswachstum war auch die weitgehende

Anerkennung durch öffentliche Stellen, vor allem der fast freundschaftliche Kontakt zu BP

Hainisch, der selbst Alkoholgegner war.

Geographisch war der Verein stark in Südösterreich vertreten. Praktisch die gesamte Ver-

einsführung lebte in Graz, in der Steiermark gab es bis 1922 bereits 15 Ortsgruppen, in Kärnten

im gleichen Zeitraum 16. Die Mitglieder rekrutierten sich zu einem großen Teil aus dem mittle-

ren und höheren Bildungsbürgertum (Akademiker, Lehrer, Angestellte), in Kärnten war die

Bauernschaft stark vertreten. Aus der Arbeiterschaft gab es kaum Mitglieder; für diese war der

sozialdemokratische Arbeiter-Abstinentenbund erste Anlaufstelle.

Im Diskurs, in den Argumenten gegen den Alkoholismus, waren Begriffe wie „Heimat“,

„Vaterland“, „Volk“, „Volkstum“, „Volkswerdung“, „Volksgift“, „alkoholfreie völkische Be-

wegung“, „Erneuerung“, „Jugend“, „Jugendbewegung“, „Kampf für das Leben“, „Kampffront“

Fahnenwörter, die zur Bekräftigung der Vereinsziele immer wieder verwendet wurden. Auf der

Seite der Gegner stand das „Alkoholkapital“, manchmal auch die „kapitalistische, am Profit

orientierte Alkoholwirtschaft“, womit eine gesellschaftskritische Position zugunsten des „klei-

nen Mannes“, der von den „gewinnsüchtigen Kapitalisten“ verführt und ausgebeutet werde,

aufgebaut werden sollte.

Als etwa um 1927 die Jugendarbeit mehr Bedeutung gewann, verschoben sich die Ge-

wichte von der alkoholgegnerischen Aufklärungsarbeit schrittweise zur Aufklärung an Schulen

und für junge Heranwachsende. Die „Jungschar“ war ein lose an den Verein gebundenes Ar-

beitsgebiet, bei dem mit Unterstützung aus der Lehrerschaft Schulkinder bis zum Alter von ca.

14 Jahren schrittweise an den Abstinenzgedanken herangeführt werden sollten. Die „Jungge-

meinschaft“ hatte, neben der Arbeit im Verein, ihre eigenen Unternehmungen in Form von Ju-

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 10. Schlußbetrachtungen

205 / 259

gendtagungen, Fahrten und Lagern. Sie lehnte sich im Formenkanon stark an den Wandervogel

als Teil der Jugendbewegung an, sah sich in zunehmendem Maße selbst als Teil der Jugendbe-

wegung und nur lose mit dem propagandistischen Abstinenzgedanken des Hauptvereins ver-

bunden.

Mit dem Wechsel der Obmannschaft von Schöck zu Rafelsberger 1929 und der gleichzei-

tig auftretenden Wirtschaftskrise trat ein militanterer Zug in die „Gemeinschaft“ ein. Diese Zu-

spitzung verlief parallel zur allgemein zunehmenden politisch-ideologischen Radikalisierung

der Bevölkerung zu Beginn der 1930er Jahre. Begriffe wie „Kämpfer“, „Lichtkämpfer“, „inne-

re und äußere Feinde“, „Freiheitskampf des deutschen Volkes“, „Kraft“ und „Sieg“ bestimmten

den Diskurs. Gleichzeitig schrumpfte der Verein zahlenmäßig; manche Ortsgruppen stellten

ihre Tätigkeit faktisch ein, manche wurden von der Vereinsleitung mangels Tätigkeit überhaupt

aufgelöst, und die Haupttätigkeit richtete sich auf eine „völkisch-kämpferische“ Jugendarbeit

aus. Die „Deutsche Gemeinschaft“ wandelte sich von einem Verein, der eine größtmögliche

Verbreitung des Abstinenzgedankens anstrebte, in eine Art „elitärer Kampfgemeinschaft“ um,

die grundsätzliche Volkstumspolitik betreiben, in einen „deutschen Freiheitskampf“ eingreifen

müsse und eine „Führerschicht" zur Überwindung der Trinksitten“ zu bilden habe. Die beiden

Hauptproponenten der frühen 1930er Jahre, Walter Rafelsberger und Karl Springenschmid,

traten der in Österreich illegalen NSDAP bei, übernahmen zu großen Teilen deren radikale na-

tionalistische Ziele und das kämpferisch-martialische Auftreten und sahen ihre Hauptaufgabe

nicht mehr in der Bekämpfung des Alkoholismus, sondern in national-politischer Betätigung.

So verlor der Verein nach einer schwungvollen Entstehungs- und Aufbauphase von etwa

8 bis 10 Jahren zunehmend an Gewicht und Öffentlichkeitswirksamkeit, wurde unter fast völli-

ger Aufgabe des Abstinenzgedankens Teil der radikal-volkspolitischen Debatte und schließlich

zwischen 1938 und 1941 aufgelöst oder in Teilen mit reichsdeutschen Organisationen gleichge-

schaltet.

Der Bezug zur Jugendbewegung in Form des Österreichischen Wandervogels äußerte

sich vor allem in der inneren Einstellung vieler Vereinsmitglieder, in fallweiser Zusammenar-

beit bei öffentlichen Auftritten, im Formenkanon der Junggemeinschafter und im Selbstver-

ständnis des Vereins. Offizielle strukturelle Verflechtungen bestanden nicht, beide Organisati-

onen waren darauf bedacht, einander nicht zu konkurrieren, nicht „in die Quere“ zu kommen.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 11. Anhang Dokumentationen

206 / 259

11. Anhang Dokumentationen

11.1. Zu Kap. 6.3. Tätigkeiten, Schwerpunkte

S. 74 Werbearbeit im Öst. Bundesheer:

„Werbewoche in der Wehrmacht. Vom 15. bis 20. Mai wurde in der österreichischen

Wehrmacht großzügig für den Kampf gegen den Alkohol geworben. Ueber die Durchführung

liegt bisher nur der Grazer Bericht vor. Hier wurde die Aufklärungsarbeit von den Brüdern

Groß, Schöck und H. Wutschnig geleistet. In sechs verschiedenen Abteilungen der 5. Brigade

wurden Vorträge (zum Teil mit Lichtbildern) gehalten. […]

Den festlichen Höhepunkt der Werbearbeit bildete die Bildungsfeier ‚Das Gift im guten

Tropfen’, veranstaltet vom Bildungsausschuß der Brigade Steiermark Nr. 5. Der landschaftli-

che Rittersaal war gefüllt mit Offizieren, Wehrmännern und deren Frauen. Auch der Bürger-

meister von Graz, Herr Muchitsch634, kam und zeigte dadurch, wie sehr ihm der Kampf gegen

den Alkohol am Herzen liege.“ 635

S. 77 Bericht über den Klagenfurter Gemeinschaftertag vom Oktober 1922:

„Ob wir äußerlich wachsen, können wir zahlenmäßig feststellen, ob wir aber auch in-

nerlich, als Gemeinschaf te r , reicher, stärker, einiger und zielsicherer geworden sind, das

können wir immer nur auf unseren Tagungen ergründen, die deshalb auch immer schon mit

größter Spannung erwartet werden. Wenn wir gleich eingangs die Erlebnisse auf unserem Ge-

meinschaftertag kurz in Worte kleiden wollen, so können wir sagen: Unsere Gemeinschaft hat

seit dem letzten Herbste, in nicht ganz elf Monaten, so große Fortschritte gemacht, das Ver-

ständnis für unsere Arbeit ist in so weite Kreise gedrungen, die Aufgaben stehen heute so klar

umrissen vor unseren Augen, daß nun wohl jeder Gemeinschafter den Spruch auf unseren Wer-

bemarken: –‚… und wir werden die Sonne aufgehen sehen!’ – als lebendigen Glauben empfin-

den kann. Alle, die unsere Tagung miterlebten, sind erfüllt von diesem Glauben, und jenen, die

nicht kommen konnten, soll dieser knappe Bericht den Glauben an den Sieg unserer Gedanken

stärken helfen.“ 636

634 Muchitsch, Vinzenz, 1873-1942, sozialdemokratischer österreichischer Politiker, vom 14. Juni 1919 bis zum 12. Februar 1934 Bürgermeister von Graz. ( � Internet-Quellen „Muchitsch“)

635 „Südmark“, 3 (1922), 211. 636 „Südmark“ 3 (1922), 359-363.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 11. Anhang Dokumentationen

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S. 76 Grußworte LH-Stv Schumy:

„Die Landesregierung von Kärnten verfolgt die a lkoho lgegner i sche Arbeit nicht

nur mit Interesse, sie ist auch bemüht, sie zu fördern. Wir wissen, daß es sich um große und

hehre Kulturaufgaben handelt. Wir sind überzeugt, daß der Fortschritt Ihrer Bestrebungen

zweifellos zur wirtschaftlichen, moralischen und physischen Stärkung unseres Volkes führen

wird. Nie ist Ihre Tätigkeit so notwendig gewesen wie jetzt, wo wir uns in einer Zeit des wirt-

schaftlichen und moralischen Verfalles befinden. Wir wissen, daß Sie mit großen Schwierigkei-

ten zu kämpfen haben, vor allem mit der Unvernunft weiter Kreise der Bevölkerung; allmählich

wird es aber besser. Anfangs hat man Sie belächelt, heute wird Ihre Bewegung schon geachtet.

Sie haben zu kämpfen gegen die Trinksitten und schließlich auch zu kämpfen mit jenen Kreisen,

die an der Alkoholerzeugung und am Massenverbrauche wirtschaftlich interessiert sind.“ An-

schließend berichtete Schumy über verschiedene Maßnahmen, die das Land Kärnten zur Be-

kämpfung des Alkoholismus durchführen werde, und schloß seine Rede mit den Worten: „Wir

werden uns bemühen, Ihnen jede Hilfe angedeihen zu lassen und ich gestatte mir, Sie namens

der Landesregierung nochmals zu begrüßen und den herzlichen Wunsch auszusprechen, daß

Ihre Beratungen von Vorteil für Sie und das ganze deutsche Volk sein mögen.“

S. 77 Grußworte Bgmst-Stv Pichler:

Er würdigte den Kampf der Gemeinschafter als einen, der der ganzen Menschheit dienen

möge, den „… sie zum großen Teil mit reiflicher Überlegung und zum Teil mit jugendlicher

Begeisterung aufgenommen haben, [es sei] nicht der Kampf einer Klasse und nicht der Kampf

eines Volkes, es soll der Kampf der ganzen Menschheit sein […]. Es ist der Kampf gegen ein

Gift, das sich im gefährlichsten Gewande, dem der Annehmlichkeit, der Menschheit nähert und

wie kein anderes Schaden stiftet.“ Weiters sagte Pichler, daß der Kampf von vielen Seiten zu

führen sei, sowohl seitens privater Organisationen als auch seitens des Gesetzgebers, um den

Alkohol zu verbannen. „Wenn das deutsche Volk einst so weit ist, daß es den Alkohol ein für

allemal aus seinen Reihen vertrieben hat, dann wird es den verlorenen Weltkrieg wieder ge-

wonnen haben.“

S. 78 Alkoholgegnerwoche Innsbruck:

„ Im Mittelpunkte der Veranstaltung stand die Ausstellung gegen Alkoholismus, die vom

Gau Oberösterreich der Deutschen Gemeinschaft beigestellt und im Parsissaale des Landhau-

ses untergebracht wurde. Die Eröffnung erfolgte bei großem Andrange der Bevölkerung durch

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 11. Anhang Dokumentationen

208 / 259

den Landeshauptmann Dr. S tumpf ,637 der […] auf die Bedeutung des Kampfes gegen den

Alkoholismus hinwies. Seine Ausführungen wurden […] durch den ersten Führungsvortrag

ergänzt, den anschließend Professor H i r th aus L inz hielt. […] Die Ausstellung war eine

Woche hindurch [….] geöffnet, […] von den Gemeinschaftern H i r th , De i senhammer ,

Gröbner und Schöck […wurden] über 60 Führungsvorträge gehalten. […] Die katholi-

schen Kreise, besonders Priester kamen in Scharen zum Vortrag des Professor [sic!] Dr. Ude

aus Graz , der am 3. November im kleinen Stadtsaale über ‚Alkohol und Charakterbildung’

sprach. Als Frucht seines Vortrages ist die Bildung einer Gruppe abstinenter Priester in Inns-

bruck zu verzeichnen.“638

S. 86 Gemeinschaftertag in Mödling:

P. Georg Hardt: „Füge dem Verzicht auf Alkohol und Nikotin den freien edlen Verzicht

auf alle Genüsse bei, die deinen Leib und deine Seele zugrunde richten können. Es ist etwas

ganz Großes, in diesen Zeiten einer solchen Gemeinschaft mit Treue ergeben zu sein. Tust du

es, dann hast du ein Recht, auf andere zu wirken. […] Verstand, Wille und Gemüt zeigen dir

dann klar den Edelmenschen, wie Gott und dein Vaterland ihn will.“ 639

Superintendent Theophil Beyer: „Es geht nicht um den einzelnen, das wissen wir. Es geht

nicht um diese oder jene Schichte in unserem Volke. Es geht heute gerade auch in dem Kampf,

wie wir ihn führen, um die ganze Volksgemeinschaft; ja, es geht um viel mehr; es geht um alles

Reine, Edle und Schöne nicht bloß, es geht um alles Gute und Heilige.“ 640

S. 89 Abschlußbeitrag in der „Südmark“:

„Seit zweieindrittel Jahren war ‚D ie Südmark ’ zugleich Zeitschrift der Deu tschen

Gemeinscha f t f ü r a l koho l f re ie Ku l tu r . Im Herbstmonatshefte des Jahres 1921 stellte

sich die Deutsche Gemeinschaft den Südmarklesern vor als eine Vereinigung von 14 Ortsgrup-

pen mit 550 Mitgliedern. Wir wissen, daß viele Leser, die noch nicht in die Reihen unserer

Kampftruppe getreten sind, aufmerksam das Wachsen der Gemeinschaft auf 60 Gruppen mit

über 2000 Mitgliedern verfolgt haben und daß sie sich freuten, daß die Gemeinschafterbewe-

gung jüngst auch in der Tschechoslowakischen Republik Fuß gefaßt und es auf sieben Orts-

gruppen mit 200 Mitgliedern gebracht hat. Die Zusammenarbeit mit der Südmark war uns sehr

637 Stumpf, Franz, 1876-1935. Christlichsozialer Politiker in verschiedenen Funktionen, u.a. Mitglied des Reichsrates, der provisorischen Nationalversammlung und des Bundesrates. 1921-1935 Landeshauptmann von Tirol. ( � Internet-Quellen „Stumpf“)

638 „Südmark“, 4 (1923), 165. 639 DG-Zs 5 (1927), 153ff.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 11. Anhang Dokumentationen

209 / 259

wertvoll; wir konnten zu einer Zeit, da wir zu schwach waren, um eine eigene Zeitung heraus-

zugeben, doch unseren Mitgliedern monatlich Bericht erstatten; wir konnten, was uns ebenso

wichtig war, den Gedanken einer alkoholfreien Kultur einem weiteren Leserkreise vortragen

und wir hatten schließlich die Gewähr, daß unsere Gemeinschafterarbeit vor Freunden und

Fremden als Teil der allgemeinen Kulturarbeit erschien. Heute […] sagen wir der Hauptlei-

tung des Vereines Südmark und dem Schriftleiter Dr. Papesch herzlich Dank für ihre Gast-

freundschaft. Wir wollen uns auch für die Zukunft nicht trennen.

[Wir besitzen]… seit einem halben Jahr unsere eigen Zeitschrift „Deu tsche Ge-

me inschaf t “; sie bringt Aufsätze und Berichte. Auf sie verweisen wir alle Südmarkleser, die

sich genauer über die Alkoholfrage unterrichten wollen. […] Da diese Monatsschrift in der

Form und mit den Lettern der „Südmark“ erscheint, so lebt in ihr gleichsam „Die Südmark“

fort.“ 641

S. 95 Wechsel in der Leitung der Zeitschrift:

„Von der Schriftleitung

Die Rücksicht auf meine Familie sowohl, als auch eine große und wichtige berufliche Ar-

beit, die vor mir liegt (Landschulreform), zwingen mich, die Schriftleitung der ‚Deutschen Ge-

meinschaft’ niederzulegen. Ich danke allen, die meiner Arbeit Vertrauen entgegengebracht ha-

ben, und bitte, es meinem Nachfolger zu übertragen. Karl Springenschmid

Wenn ich hier Karl Springenschmid für seine Arbeit als Schriftleiter dieser Zeitschrift

namens der Gemeinschaft herzlich danke, so muß ich gleichzeitig meinem aufrichtigen Bedau-

ern Ausdruck geben, daß diese Arbeit leider allzu rasch ein Ende finden mußte.

Als der neue Schriftleiter unserer Zeitschrift weise ich darauf hin, daß es deren Aufgabe

ist, uns in unserem Bunde, die Junggemeinschaft und die Gemeinschaft, zu verbinden, uns für

den Kampf weiterzubilden, aber auch unsere Gedanken und unseren Kampf in andere Kreise

unseres Volkes hinauszutragen. Wenn unsere Zeitschrift dieser Vielheit von Aufgaben gerecht

werden soll, so muß der ganze Bund dabei mitarbeiten. Daher leset die Zeitschrift nicht nur,

sondern arbeitet für sie und werbet für sie. Walter Rafelsberger“642

640 Ebd., 159ff. 641 „Südmark“ 4 (1923), 532.

Die Zeitschrift „Südmark“ wurde 1924 von den „Alpenländischen Monatsheften“ abgelöst. 642 DG-Zs 9 (1931), Heft 1, 2. Umschlagseite innen.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 11. Anhang Dokumentationen

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S. 98 Stefan Schöck über „Heimatschutz“:

„Das Wort Heimat vermag in vielen Menschen eine Unsumme von Empfindungen wach-

rufen, die kein Sterblicher in Worte zu kleiden vermag. […] Ich habe das Gefühl, daß wir in

einer Zeit leben, wo wir nach langen Irrfahrten wieder he im zu finden beginnen. Das Wort

Heimat hat man schon vor Jahrzehnten häufig gehört, [aber] wir waren vielleicht durch die

stürmische zivilisatorische, technische Entwicklung des abgelaufenen Jahrhunderts zu ober-

flächlich geworden, um den Begriff Heimat voll erfassen und erleben zu können. Heimatliebe

kann nur der Mensch voll empfinden, der einer Verinnerlichung fähig ist, […] .“ 643 Weiter

spannt Schöck den Bogen vom Heimatschutz zum Menschenschutz und vertritt bedauernd die

Ansicht, daß Menschen durch Alkoholgenuß freiwillig ihre Kraft, ihre Gesundheit und Men-

schenwürde zugrunde richten. Auch mache Alkohol arbeitsuntüchtig, und gerade in wirtschaft-

lichen Notzeiten sei die Herstellung alkoholischer Getränke eine unnötige Verschwendung von

Volksvermögen.

S. 100 Hans Wutschnig über den Kampf gegen die Trinksitten:

„ Ich will im folgenden zeigen, daß der Kampf gegen die Rauschgetränke für die nächsten

Jahre die Kernfrage der völkischen Bewegung ist. Dabei nehme ich völkische Bewegung nicht

als Geschäftigkeit eines kleinen Kreises, sondern als eine Bewegung, die ihrem Wesen nach auf

das Volksganze geht.“ Weiters sieht er die Bekämpfung des Alkohols als „… eine Willensschu-

le für das ganze Volk…“, so daß es schließlich so weit kommen müsse, „… daß alle Deutschen

freiwillig auf Rauschgetränke verzichten, so daß dann das Staatsverbot nur mehr d ie neu

geb i l de te S i t t e zu beschützen und zu bekräftigen hat. Ist dieses Werk gelungen, dann hat

das ganze Volk zum erstenmal ein gemeinsames Werk getan, zum erstenmal bewußt als Einheit

gehandelt, es i s t e in Vo l k geworden . Denn ein Volk sein, heißt nicht, sich als Einheit

f üh len , sondern als Einheit hande ln !“ In Hinblick auf das Gefüge der politischen Parteien

und ihre gegenseitigen Konkurrenzkämpfe meint Wutschnig, daß gerade die Alkoholfrage aus

dem Parteienstreit herausgehalten werden müsse, weil sie alle Staatsbürger, das ganze Volk

betreffe. „Ist es so ein erstesmal gelungen, eine Volksfrage nicht mehr als Parteifrage zu be-

handeln, so werden die Deutschen aller Parteien auch glauben, was sie heute noch nicht be-

greifen können, daß es Fragen gibt, die nicht nur Teile (das sind Parteien) angehen, sondern

das ganze Volk, und daß solche Fragen nur dann gelöst werden können, wenn alle in einer

Richtung ziehen und nicht ständig gegeneinander arbeiten.“ Abschließend wendet er sich di-

643 „Südmark“ 3 (1922), 57.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 11. Anhang Dokumentationen

211 / 259

rekt an die Leserschaft der Zeitschrift, indem er schreibt: „Soweit ich umherblicke auf den wei-

ten Gebieten des Staates und der Kulturarbeit, ich finde keine Frage, die heute wichtiger wäre,

als der Kampf gegen die Rauschgetränke. Ich finde überhaupt nichts, was uns in den Nöten des

Augenblickes helfen könnte. Darum sollten alle völkisch Fühlenden, sollte vornehmlich die

ganze große Südmarkgemeinde diese Frage e rns t nehmen.“ 644

S. 100 Hans Wutschnig über „Die seelische Not unserer Zeit“: 645

Einleitend beklagt der Verfasser eine seit dem 19. Jahrhundert fortschreitende Materiali-

sierung, Mechanisierung und Rationalisierung menschlichen Denkens. „Die geistige Not ist ein

Erbe des 19. Jahrhunderts; wir tragen schwer daran, aber wir wollen nicht ungerecht urteilen

über dieses Jahrhundert und über das, was seine Menschen an Wissen und technischem Kön-

nen errungen haben. Die Leistungen waren groß, doch einseitig; es ging über die Kraft dieses

Jahrhunderts der Übergänge, die neuen Dinge, die in riesiger Fülle über uns kamen, in das

richtige Verhältnis zu den Menschen zu setzen.“ In der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts sehe

er „tödliche Wirkungen“ auf das geistige Leben, „… weil sie einerseits ihr Ziel allzuoft in einer

riesigen Anhäufung von Wissensstoff sah, der tot blieb, […] und weil sie andererseits mit der

Schärfe ihres zergliedernden Geistes sich auch auf Gebiete wagte, die ihr nicht zustanden, auf

Gebiete, deren Leben nicht aus dem Verstand erwachsen war, sondern aus dem Gemüt.“

Ein Ding, das früher ein Werkzeug der arbeitenden Menschen gewesen sei, sei nunmehr

Herr über die ganze Erde geworden: „Das angehäu f te Geld , das Kap i ta l . Das tote

Metall […] ist Herr allen Lebens und kann doch das Leben nicht ernähren, sondern nur ver-

dorren lassen.“ Als Zeichen von Erneuerungsbewegungen nennt Wutschnig beispielhaft Schul-

reformbewegungen, Heimatschutzverbände, Bodenreformer und Siedlungsbewegungen. Auch

sieht er Zusammenhänge zwischen alkoholgegnerischen Vereinen und Ansätzen zu umfassen-

der Lebensreform, zu Lebenserneuerung.

Eine wesentliche und wirkmächtige Bewegung sei nach Ansicht des Redners die Jugend-

bewegung. „Diesen Glauben [an eine Erneuerung deutschen Wesens] gibt uns unsere Jugend;

ich meine die deutsche Jugendbewegung, die im Wandervogel, im Sturmvolk, bei den Neupfad-

findern und in anderen Gemeinschaften lebt. […] Aber die Jugendbewegung allein rettet uns in

unserer schweren Not nicht. Wir müssen heute den vielen erwachsenen Leuten helfen, die Hilfe

heischen; deren Zahl ist groß. In unseren Alpenländern bietet diese Hilfe weithin die Südmark,

644 „Südmark“ 3 (1922), 92-94. 645 Ebd., 374-381.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 11. Anhang Dokumentationen

212 / 259

d ie neue Südmark . Sie will allen Volksgenossen helfen, wieder deutsch zu werden in ihrer

Arbeit, in ihrem täglichen Leben, in ihren Festen. Jugendbewegung und Südmark, das sind die

zwei hoffnungsvollsten und mächtigsten Bewegungen.“

Dann spricht Wutschnig die Hoffnung, ja, die Erwartung aus, daß aus der Jugendbewe-

gung Menschen zur DG finden, um dort alkoholgegnerisch tätig zu werden. „Der Teil unserer

Jugend, der in der deutschen Jugendbewegung steht, verwirft aus gesundem Empfinden die

Rauschgifte und steht uns schon durch seine Lebensart nahe. Wenn die jungen Leute nun her-

anwachsen, … [fühlen sie] das Bedürfnis, mit einem Kreis Erwachsener zusammenzukommen

und in ihrer Gemeinschaft mit der Welt vertraut zu werden, in der sie wirken wollen als Weg-

weiser und Vorkämpfer des neuen Geistes.“ Weiters meint er, „Was in de r Jugend l eb t

und i n der Südmark , l eb t auch i n uns . Unsere Bewegung ha t zu se in d ie

Fo r tse tzung der Jugendbewegung und der Kern der Südmarka rbe i t.“

S. 101 Aufruf an die Studentenschaft:

„Er [der Alkohol] lähmt jede Tatkraft, trübt die Klarheit des Urteils und ist d i e

Grundursache zu dem tiefen sittlichen Verfall unseres Volkes.“ Schließlich wird gefordert,

daß Studenten im Kampf gegen den Alkohol eine führende Rolle einnehmen sollten, „… fragt

vor allem, was i h r eurem Vo lke schu ld ig se id : Kampf gegen a l l e Fe inde un -

seres Vo lkes , vorb i l d l i che Lebens führung, höchs te En t fa l tung eure r Ga-

ben!“ 646

S. 101 Leitartikel Schöck 1923:

[…] Wir kennen viele Hemmer und Feinde unseres Aufstieges. Einer der gefährlichsten

inneren Feinde ist das Rauschgift. […] Ein kleiner Teil unseres Volkes, der zu dieser Einsicht

gekommen ist, hat sich in der Deutschen Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur zusammenge-

schlossen. Über ganz Österreich zerstreut befinden sich unsere Gemeinschafter, und auch au-

ßerhalb unserer Grenzen, besonders in der Tschechoslowakischen Republik, haben sich gleich-

gesinnte Seelen gefunden. […] Bescheiden in der Aufmachung und im Umfange beginnt unsere

Zeitung ihr Dasein. Ich habe die Schriftleitung neben meinen vielen Berufspflichten und ande-

ren Arbeiten zu besorgen und kann daher nur wenig Zeit aufbringen. […]

Während ich diese Zeilen schreibe, tönt wüster Lärm aus einer Schenke in mein Zimmer.

Gröhlende Männer, kreischende Frauen, schreiende Kinder sind in einer tabakgeschwängerten

Stube zusammengepfercht. […] Diese Zustände zu ändern und unser Volk für edlere Genüsse

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 11. Anhang Dokumentationen

213 / 259

empfänglich zu machen, ist die schwere Arbeit, die unser noch harrt. [Unsere Zeitung] …soll

uns eine treue Gefährtin auf unserem Wege bleiben, der uns hoffentlich immer weiter aufwärts

führt, und mit einem herzlichen ‚G lückauf ’ lasse ich sie ihren ersten Weg zu allen Bundes-

geschwistern, Anhängern und Freunden unserer Bewegung antreten. “ 647

S. 103 Rückschau Schöck 1925:

„Der Gedanke, daß durch engeren Zusammenschluß deutscher Volksgenossen auf

alkoholfreier Grundlage am besten der Aufartung unseres Volkes gedient und an der Vertie-

fung unseres kulturellen Lebens gearbeitet werden könne, wurde schon lange vor dem Welt-

krieg geboren, er hat während des Krieges nicht geschlummert und hat nach dem Kriege sich

immer klarer gestaltet. Es bedeutete daher die am 20. Juli 1919 erfolgte Auflösung der

I. Organisation Neutraler Guttempler nur den Schlußpunkt einer Entwicklung, die durch innere

seelische Triebkräfte bedingt war. Durch diese Auflösung wurden die Fesseln gesprengt, die

die Entfaltung des neuen Geistes gehemmt hatten, und die auf deutscharische Grundlage sich

stellenden Ortsgruppen der früheren Guttemplerorganisation suchten nun eine neue Form, um

eine geregelte Tätigkeit aufnehmen zu können. Schon am 6. Jänner 1920 war es möglich,

durch die Gründung der Deutschen Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur in Linz

die neue Form einzuweihen.“ Und weiter: „Der Guttemplergedanke wurde in Österreich erst

durch die am 7. November 1906 behördlich anerkannte „Erste Österreichische Gesellschaft

gegen die Trinksitten Nephalia“ vertreten, die am 28. November 1911 sich in die „Erste Orga-

nisation Neutraler Guttempler“ umwandelte. Ihr sogenannter neutraler Flügel, der bei der

Auflösung der IOGTN648 am 20. Juli 1919 so stark war, wie die deutscharische Gruppe, wurde

damals sofort im „Unabhängigen Guttemplerorden“ zusammengefaßt, der heute rund 700 Mit-

glieder zählt. Mit unseren 2800 ergibt das rund 3500 Enthaltsame, während wir, wenn wir den

Bevölkerungsschlüssel Deutschlands zu Österreich wie 10:1 annehmen, 4400 Mitglieder haben

müßten, um gleich stark dazustehen.“ 649

646 „Südmark“ 4 (1923), 166. 647 DG-Zs 1 (1923), 1ff. 648 Eine wortgetreue Erklärung dieser Abkürzung war nicht zu finden; vermutlich wurde sie seinerzeit für die

englische Bezeichnung der „Internationalen Organisation neutraler Guttempler“ verwendet. 649 DG-Zs 3 (1925), 2ff.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 11. Anhang Dokumentationen

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11.2. Zu Kap. 7.1. Selbstverständnis, Bezug zur Jugendbewegung

S. 120 Bezug zur Jugendbewegung:

„ Immer herzlicher und verständnisvoller wird das Zusammenarbeiten unserer D.G. mit

einem großen Teil der deutschen Jugendbünde, die ja in ihrer Gesamtheit, soweit sie wirklich

auf neuen Pfaden sich bewegen, als ein alkoholgegnerisches Jugendwerk des deutschen Volkes

bezeichnet werden können. Bei der am 11. Brachmonat [=Juni] in Arriach in Kärnten erfolgten

Stiftung der Ortsgruppe 44, die sich zu einem großen Gemeindefeste gestaltete, waren auch

Wandervögel, Treuvolk, Sturmvolk, Pfadfinder u.a. gekommen, deren Führer Gemeinschafter

waren. Am Nachmittag, nach der Stiftung, führten sie ihre Reigen und Spiele auf, die Dorfju-

gend tat jauchzend mit und die Mütter empfanden freudig bewegt, daß da eine neue Zeit im

Werden sei. – Aber nicht nur in Kärnten, auch in allen übrigen Ländern erwachsen uns aus

dieser Jugendbewegung die tatkräftigsten, verständigsten und wertvollsten Mitarbeiter. – In

Kärnten haben die Br. Scher r und Löscher auch mit ihrer ‚Deutschen Jugend-Gemein-

schaft’, einer wandervogelmäßigen, durch die Pflicht des persönlichen Opfers veredelten, auf

Selbsterziehung im D iens te der A l lgemeinhe i t gerichteten Jugendbewegung, die im

engsten Zusammenhange mit unserer D.G. arbeiten will, sehr große Fortschritte zu verzeich-

nen “ 650

S. 120 Regelung des „Jugendwerkes“:

„Nach längerer Wechselrede wurde beschlossen, das Jugendwerk nach folgenden Richt-

linien zu führen:

1. Kinder bis zu 14 Jahren, die ihre Enthaltsamkeit bekunden wollen, sollen sich mit Er-

laubnis ihrer Eltern in einem sogenannten ‚Goldenen Buche’ einschreiben. Das ‚Goldene

Buch’ ist eine Einführung, die […] vor dem Kriege gemacht wurde. [… Es] wurde nicht nur in

Österreich, sondern auch in Deutschland von mehreren Vereinigungen eingeführt. […] Günstig

ist es, wenn der Leiter des ‚Goldenen Buches’ die Kinder gelegentlich versammelt, sie über die

Alkoholfrage gründlich unterrichtet, aber auch sonst in geeigneter Weise beschäftigt.

2. Jugendliche von 14 bis 18 Jahren können durch Anmeldekarten das Enthaltsamkeits-

versprechen ablegen und in eigenen Verbänden zusammengefaßt werden, wo sie zu regelmäßi-

gen Zusammenkünften veranlaßt werden, um dort nicht nur über die Alkoholfrage Aufklärung

zu erhalten, sondern auch alkoholfreie Geselligkeit zu pflegen. […]

650 „Südmark“, 3 (1922), 251f.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 11. Anhang Dokumentationen

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3. Jugendliche bis zu 18 Jahren, die vom Geiste der Jugendbewegung schon erfaßt sind,

aber sich keiner der bestehenden Gruppen wie Wandervögel, Sturmvolk, Pfadfinder usw. an-

schließen, sondern den Kampf gegen die Rauschgetränke als Hauptaufgabe betreiben und dies

auch äußerlich stärker zum Ausdrucke bringen wollen, können sich als eigene Jugendgemein-

schaften zusammenschließen […]. Solche deutsche Jugendgemeinschaften sollen aber nur dort

gebildet werden, wo in der Jugend selbst ein großes Bedürfnis danach besteht, weil wir Ge-

meinschafter in das frisch pulsierende Leben der übrigen deutschen Jugendbewegung nicht

eingreifen wollen.

4. Das Verhältnis zur deutschen Jugendbewegung. Die Gemeinschaft verfolgt zum großen

Teile die gleichen Kulturaufgaben, wie die deutsche Jugendbewegung, was schon dadurch zum

Ausdrucke kommt, daß viele frühere Wandervögel jetzt zu unseren tüchtigsten Mitarbeitern

zählen und auch heute zahlreiche Führer der Jugendbewegung Gemeinschafter sind. Dadurch

wird das Verständnis für die Alkoholfrage und für die Arbeit der Gemeinschaft in diesen Krei-

sen gefördert. Da nun in den Jugendbünden, die wir zur deutschen Jugendbewegung rechnen,

die persönliche Enthaltsamkeit von den Rauschgiften als eine Selbstverständlichkeit aufgefaßt

wird, so können ihre Mitglieder, soweit sie damit einverstanden sind, durch Zählkarten erfaßt

und als jugendliche Anhänger der Gemeinschaft gezählt werden, ohne daß sie damit irgend

welche neue Verpflichtungen eingehen.

5. Die Jugendarbeit soll womöglich von jeder Ortsgruppe aufgenommen und die Zahl der

Junggemeinschafter, nach den verschiedenen unter Punkt 1 bis 4 genannten Gruppen getrennt,

in den Vierteljahresberichten der Bundesleitung mitgeteilt werden. Ausführlichere Berichte

über den Stand des Jugendwerkes sind an den vorläufigen Leiter des Jugendwerkes, Ing.

Richard Soyka, Wien 13/4, Baumgartenstraße 28/5 zu senden. Wenn die Bewegung größeren

Umfang annimmt, ist die Bestellung von eigenen Leitern für jede der Gruppen in Aussicht ge-

nommen.“ 651

S. 123 Aufruf Hans Wutschnigs zum „Gemeinschaftertag“ 1925:

„Habt ihr schon lustige Wanderscharen gesehen? Voran der Wimpelträger, Pfeifer oder

Zupfgeiger nebenan und hintendrein der lustige Schwarm, blumengeziert und singend. Sind’s

Wandervögel, […] sind’s Schüler […]? Und die Schar freut sich ihres Wimpels. Wie er so bunt

und keck flattert. Er ist ihnen Freund, ist Mittelpunkt und Zeichen der Gemeinschaft.

651 „Südmark“, 3 (1922), 399-401.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 11. Anhang Dokumentationen

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[…] Aber es gibt auch einen anderen Marsch, als den des Wanderns, einen anderen

Schritt, als den leicht hüpfenden oder weitausgreifenden froher Spielschar. Ich sehe Menschen,

eng geschart um ihre Fahne, Ernst im Blick, Entschlossenheit im Schritt, Mut im Herzen: Ein

Fähnlein Streitgesellen, eine Gemeinschaft der Tat. Sie ziehen aus, den Drachen zu töten, den

Sumpf zu trocknen, eine neue Welt zu bauen. Heilig ist ihnen das Zeichen, unter dem sie ziehen:

Wi r werden d ie Sonne au fgehen sehen!

Schwestern und Brüder! Laßt uns mit Wimpeln und Fahnen zu Pfingsten nach Kärnten

fahren. Zum erstenmal haben wir den Gemeinschaftertag in einem kleineren Orte. Unser Tref-

fen wird ein Ereignis für Spittal an der Drau sein. Man wird uns sehen und soll uns sehen als

entschlossene und frohe Kämpferschar. Jede Gruppe sollte ihren Wimpel bringen, auch wenn

nur ein Vertreter kommt. Im Festzug sollen viele Zeichen flattern und am Festplatz sollen sie

das Bild beleben.“ 652

S. 124 Über das Verhältnis zu den Bünden der Jugendbewegung:

„Seit dem Tage auf der Sachsenburg653 stehen also die Bünde der Jugendbewegung den

Bünden der Enthaltsamkeitsbewegung innerlich nahe. Daher wurde in der Folge oft versucht,

Menschen aus Jugendbünden zur Belebung in Jugendgruppen alkoholgegnerischer Vereine

einzugliedern. […] Es war immer im Stillen wie ein Drängen zweier Mächte um ein Arbeitsfeld,

ein Ringen um die Jugend.“ Und abschließend meint der Autor: „Jugendführer haben immer

gezögert, aus Menschen der Jugendbünde Mitglieder von Junggemeinschaftsgruppen zu ma-

chen. Der junge reifende Mensch kann nur e inem Führer folgen; zweien Herren kann er

nicht dienen. Er kann nur ganz in dem Jugendbunde sein oder ganz in der Junggemeinschaft.

Halb dort und halb da, das gibt oft zwei Halbheiten, die noch lang kein Ganzes sind.

So wird die Gemeinschaft besser daran tun, mit der Jugendbewegung alte gute Nachbar-

schaft zu halten, zu helfen, wo Hilfe not tut, ohne die Bünde unbedingt vereinsmäßig erfassen

zu wollen.“ 654

S. 125 Über die deutsche Jugend und die Trinksitten:

„Trotzdem hat sich ein Teil der deutschen Jugend, ungefähr seit Beginn des 20. Jahr-

hunderts, in größeren Scharen von den Trinksitten abgewendet. Es waren dies junge Leute, die

die Richtung des Lebens aus sich selbst heraus bestimmten, die ihre Ideale selbst gestalteten

652 DG-Zs 3 (1925), 34f. ( � Abb. 34) 653 Siehe Abschn. 5, „Lebensreform und Jugendbewegung“, Kap. 5.2.5 „Bündnisse, Gemeinsamkeiten“. 654 3 (1925), 130-131.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 11. Anhang Dokumentationen

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und die tiefsten Kräfte ihres Lebens nicht durch Gewohnheiten des Lebens unterdrücken lassen

wollten. […] Die Jugend lehnte die Trinksitten ab, ja sie gab sich in dem auf dem hohen Meiß-

ner geprägten Leitsatz sogar ein Gesetz, [… welches besagte, daß…] alle Feste und Veranstal-

tungen […] alkohol- und nikotinfrei ausgestaltet [würden].

[…] Zweifellos erfolgte ursprünglich die Ablehnung der Trinksitten durch die Jugendbe-

wegung ganz unbewußt. Die Führer jedoch, die die Meißnerformel prägten, hatten bereits er-

kannt, daß die seelischen Kräfte durch den Genuß geistiger Getränke vernichtet werden. […]

Die Jugendbewegung sah und sieht im Glase Bier und Wein das Sinnbild eines Zeitalters, das

sie ablehnt.“ 655

S. 129 Umfrage an etwa vierzig Jugendbünde und Jugendorganisationen Öster-

reichs über ihre Stellung zur Alkoholfrage:

„ Im Allgemeinen stellen wir fest:. Sie lehnt zwar, wie es dem Wesen der Jugendbewegung

entspricht, Bindungen ab. Aber wir wissen, daß aus diesen Bünden unsere besten Streiter kom-

men; dann [sic!] auch der Weg von der ‚selbstverständlichen Abstinenz’ zur ‚bewußt-einsei-

tigen Abstinenz’ ist einer der Wege, der vom Bund ins wirkliche Leben führt. Die Pfadfinder

sehen in der Alkoholbekämpfung einen Teil ihres Programmes von Dienen und Helfen. Die völ-

kische Jugend äußert sich zurückhaltender. Deutlicher sprachen die Turner, Sportler, Bergstei-

ger und Schifahrer. Unter ihnen haben wir viele Kampfgefährten. Interessant sind die Antwor-

ten der politischen Jugendbünde. Wir betonen, daß alle Antworten einliefen, ehe die Neuwah-

len656 bekannt waren.“ 657

S. 130 Über „Junggemeinschafter an den Mittelschulen“

„Es ist nicht zu leugnen, daß auch die Alkoholgegnerbewegung ihre Sturm- und Drang-

zeit vorüber hat. Heute kann man wohl überall schon, wenn man nur etwas ‚Zivilkurage’[sic!]

[…] besitzt, abstinent sein. Und viele sind abstinent, ohne davon zu reden, mehr oder weniger

selbstverständlich.“ Später meinte er dann, unter Bezug auf die sozialschädliche Wirkung des

Alkohols: „Hier begegnet sich unsere Bewegung mit dem Streben der Jugend, national und

sozial zu wirken. Die Keimschädigung durch Alkohol, die zu einer Verschlechterung der Rasse

655 5 (1927), 91. 656 „Die Nationalratswahl am 9. November 1930 war die vierte in der Geschichte Österreichs und die letzte der

Ersten Republik. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreichs wurde stimmen- und mandatsstärkste Partei. Den zweiten Platz belegte die Christlichsoziale Partei, die gemeinsam mit der Heimwehr antrat. Ein Listenverband aus Großdeutschen und Landbund wurde drittstärkste Kraft. Ebenfalls in den Nationalrat schaffte es eine als Heimatblock kandidierende Heimwehr-Abspaltung um Ernst Rüdiger Starhemberg und Carl Vaugoin.“ ( � Internet-Quellen „Nationalratswahl 1930“)

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 11. Anhang Dokumentationen

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führt, die Zersetzung der Familie durch die Trunksucht, die Erschlaffung des Volkskörpers

durch den Alkoholismus, das sind Gründe, welche die neue Auffassung vom Volkstum treffen,

die Verelendung durch den modernen Massenalkoholismus, die Ausbeute, ja Zerstörung des

Volks durch einen übermächtigen Kapitalismus (Braukartell!) usw. trifft auf das tiefe soziale

Verständnis der neuen Jugend.“ Schließlich bezog er sich auf persönliches Verhalten und Vor-

bildwirkung des Einzelnen, wonach es nicht darauf ankomme, „… was einer über die Alkohol-

frage weiß, sondern es kommt alles darauf an, wie er sich in seinem Gewissen verpflichtet fühlt,

mit dem Alkoholverzicht Ernst zu machen. Es ist leicht, bei diesem und jenem Verein Mitglied

zu sein, man bezahlt eben seinen Beitrag und man besucht die Versammlungen. Aber es ist

nicht leicht, Junggemeinschafter, das heißt Alkoholbekämpfer zu sein. Eine gesunde Jugend

jedoch sucht das Unbequeme und liebt den Widerstand.“ 658

11.3. Zu Kap. 7.3. Die Jungschar

S. 134 Über die Arbeit der „Jungschar“

„Eine Reihe von Anfragen habe ich [= Dr. Alfred Grimm, Landskron659] von Lesern der

Zeitschrift ‚Jungschar’ bekommen, die vor dem Erscheinen der Zeitschrift noch nichts von der

Bewegung ‚Jungschar’ gehört haben. Ich möchte im nächsten Heft etwas über die ‚Jungscha-

ren’ schreiben.

Das ist nun nicht so leicht. Denn unsere ‚Jungscharen’ sind kein Verein, haben keine Sat-

zungen, keine Mitglieder […] – die Jungschar ist eigentlich nichts – und doch ist es schon eine

ganz gewaltige Bewegung in unseren Schulen.

Sie fing so an: einige Lehrer und Eltern klärten ihre Jungen und Mädeln [sic!] über die

Folgen des Rauch- und Rauschgenusses auf. Sie schilderten, wie der kindliche Körper unter

den Giften leide, wie er in seiner Entwicklung gehemmt werde und böse Krankheiten schon im

rüstigsten Lebensalter zur Folge habe.

[…] Und als unsere Buben und Mädeln [sic!] hörten, welches Elend durch diese beiden

Gifte unter die Menschheit gekommen ist […] , da versprachen die Kinder gerne, auf solch

zweifelhaften Genuß verzichten zu wollen. […] Seht, so kam es zur ‚Jungschar’. Heute haben

schon an die 6000 Kinder so ein Versprechen abgegeben. Mancher ist wohl durch das allge-

657 5 (1927), 89-100. 658 9 (1931), 21 ff. 659 Siehe Abschnitt 9. „Die Entwicklung in der Tschechoslowakischen Republik“.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 11. Anhang Dokumentationen

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meine Beispiel der Großen schwach geworden und hat den Zettel zurückgegeben. […] Trotz-

dem wird unsere ‚Jungschar’ immer größer und stärker.“ 660

S. 138 Die „Jungscharstelle“ in Salzburg

„Ab 1. Jänner 1929 wird die Jungschars te l le von unserer Geschäftsstelle getrennt,

um einerseits unseren Geschäftsführer zu entlasten, andererseits die Zusammenarbeit zwischen

Schriftleitung und Geschäftsstelle der Jungschar zu erleichtern. Im übrigen bleibt das Verhält-

nis der Jungschar zur Deutschen Gemeinschaft vollständig wie bisher. Wir bitten, sich vorzu-

merken: Jungscharstelle, Salzburg, Rupertgasse 13. Alle Angelegenheiten der Jungschar und

Junggemeinschaft, wie Bestellung der Zeitschriften, Abzeichen, Flugblätter, Postkarten usw.

bitten wir nunmehr dorthin zu richten. Wir erwarten, daß alle Bundesgeschwister durch ver-

mehrte Arbeit für unser Jugendwerk, besonders durch stärkere Verbreitung der Zeitschriften,

die schwierige Neueinrichtung und Erhaltung der Salzburger Stelle fördern werden.“ 661

S. 139 Stellungnahme eines „Mäßigkeitsvereins“ gegen alkoholgegnerische Ar-

beit an Schulen

„Welche Bedeutung diese [Jungschar-] Arbeit hat, geht u.a. daraus hervor, daß sie von

den Freunden des Alkoholkapitals sehr ernst genommen und bekämpft wird. So äußert sich

dazu der sattsam bekannte Verband ‚Mäßig und frei’ in seinem Tätigkeitsbericht über 1931

wörtlich folgendermaßen: ‚Die Weltschulwoche gegen den Alkoholismus wurde über Anregung der

österreichischen Alkoholgegner vom Deutschen Bund enthaltsamer Erzieher […] und vom Internatio-

nalen Lehrerverband gegen den Alkoholismus in Oesterreich, dem Deutschen Reiche und anderen

Ländern durchgeführt. Als Zweck dieser Veranstaltung war […] ‚alkoholfreie Jugenderziehung’ ange-

geben, in Wirklichkeit aber war sie eine systematische Antialkoholpropaganda unter der Jugend, der

Lehrerschaft und in Elternkreisen…..

Höchst bedauerlich ist, daß das Bundesministerium für Unterricht […] durch einen Erlaß an

sämtliche Schulbehörden Oesterreichs [der …] Lehrerschaft […] die Mitarbeit empfohlen hat. […]

Wenn eine derartige Antialkoholpropaganda hemmungslos fortgesetzt wird […] , werden wir schon in

wenigen Jahren vor einer mächtigen Alkoholgegnerschaft stehen, die ihre staatsbürgerlichen Rechte in

diesem Sinne ausüben wird, woraus sich zwangsläufig eine schwere Schädigung der berechtigten Inte-

ressen der Getränkewirtschaft […] ergeben wird. Es erscheint daher notwendig, diesen Umtrieben in

geeigneter Weise entgegenzutreten.’

660 3 (1925), 47f. 661 7 (1929), 7.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 11. Anhang Dokumentationen

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Sorgen wir dafür, daß dieses ‚Entgegentreten’ […] immer notwendiger werde! Sorgen

wir dafür, daß das profitgierige Treiben des Alkoholkapitals immer mehr erkannt und damit

immer erfolgloser werde, und sorgen wir dafür, daß unsre Jugend immer mehr vom Geiste der

Jungschar erfaßt werde!“ 662

11.4. Zu Abschn. 9. Die Entwicklung in der Tschechoslowakischen Repub-

lik

S. 196 Zusammenschluß der DG mit den Guttemplern in der ČSR

„ In dem Augenblicke, wo der Guttemplerorden in der Tschechoslowakei sich auf

deutsch-arische Grundlage stellte, die internationalen Bindungen aufgab und sich unabhängig

machte, war sowohl in den Reihen der Guttempler, als auch in den Reihen der Gemeinschafter

der Wunsch nach Vereinigung beider Gruppen laut geworden. Um über die Art des Zusammen-

schlusses einig zu werden, hielten beide Bünde am 6.und 7. Herbstmonat [September] ihre

Hauptversammlungen in Neutitschein ab. Das Ergebnis dieser Tagungen war die Vereinigung

beider Bünde in der „Deu tschen Gut temp lergeme inschaf t “, für die jetzt die Satzun-

gen und die Geschäftsordnung ausgearbeitet werden. Im wesentlichen wird dieser neue Bund,

der gegen 2000 Mitglieder zählt, im selben Geiste geleitet werden, wie die Deutsche Gemein-

schaft in Österreich, sein Abzeichen wird die aufgehende Sonne mit den Buchstaben D. G. sein

und als Bundeszeitschrift ist das Blatt „Deutsche Gemeinschaft“ in Aussicht genommen. Den

Schluß der Beratungen bildete eine gemeinsame Sitzung mit einem anschließenden Freund-

schaftsabend. Die Beschlüsse wurden einmütig gefaßt und allgemein wurde der Befriedigung

und der Freude darüber Ausdruck gegeben, daß nun gemeinsam mit neuer Schwungkraft

fruchtbare Arbeit im Dienste unseres Volkstums geleistet werden kann. Zum Vorsitzenden des

neuen Bundes wurde Prof. Otto Kühner t in Mähr isch -Schönberg gewählt, auch die

übrigen Ämterführer sind bereits bestellt und es ist zu hoffen, daß die praktische Durchführung

der Vereinigung bis in alle Einzelheiten in Bälde durchgeführt ist.

F. H.

Anmerkung der Schr i f t l e i t ung : Wir freuen uns über die Einigung und begrüßen

die neue Kampfgemeinschaft mit einem herzlichen Glückauf.“ 663

662 10 (1932), 9/10, 7f. 663 2 (1924),; 100.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 11. Anhang Dokumentationen

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11.5. Bundestage, Mitglieder der Bundesleitung

Gründungs-Bundestag 1920664 6.1., Linz

Gemeinschaftertag 1921665 21.-22.10., Wien

(gemeinsam mit dem österreichischen Alkoholgegnertag)

Bundesvorsitzender666 Stephan Schöck, Graz

1. Vors.-Stellvertreter Hans Kofler, Villach

2. Vors.-Stellvertreter Friedrich Reinitzer, Graz

Altvorsitzender Fritz Hirth, Linz

Geschäftsstelle Alkoholgegnerische Werbestelle Linz, Postfach

Gemeinschaftertag 1922667 7.-10.9., Klagenfurt

Bundesvorsitzender668 Stephan Schöck, Graz

1. Vors.-Stellvertreter Friedrich Reinitzer, Graz

2. Vors.-Stellvertreter Robert Krapf, Klagenfurt

Altvorsitzender Johann Gmeiner-Steinhauser, Winklern b. Villach

Schriftführerin Emma Hutterer, Graz

Schriftf. Stellvertreter Anton Tschebull, Klagenfurt

Geschäftsstelle Hans Wutschnig, Graz

Schatzmeister Karl Wutschnig, Graz

Leiter der Werbearbeit Fritz Hirth, Linz

Leiter der Jugendarbeit Richard Soyka, Wien

Leiter der sozialpolitischen Unternehmungen

Erich Kerk [sic!], Wien

Gemeinschaftertag 1923669 19.5., Wien

(gemeinsam mit dem österreichischen Alkoholgegnertag)

Bundesvorsitzender670 Stephan Schöck, Graz

1. Vors.-Stellvertreter Friedrich Reinitzer, Graz

664 „Südmark“, 2 (1921), 246 665 Ebd., 3 (1922), 32 666 Ebd., 2 (1921), 245 667 Ebd., 3 (1922), 359 668 Ebd., 399 669 Ebd., 4 (1923), 213, 251

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 11. Anhang Dokumentationen

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2. Vors.-Stellvertreter Robert Krapf, Klagenfurt

Altvorsitzender Johann Gmeiner-Steinhauser, Winklern b. Villach

Schriftführer Hans Wutschnig, Graz

Schriftf. Stellvertreter Hans Haberscheck, Graz

Schatzmeister Karl Wutschnig, Graz

Leiter der Werbearbeit Fritz Hirth, Linz

Leiter der Jugendarbeit Richard Soyka, Wien

Leiter der sozialpolitischen Unternehmungen

Otto Jungmair, Linz

Geschäftsstelle (Hofburg, Wien) Otto Brozek

Gemeinschaftertag 1924671 12.-14.7., Graz

Bundesvorsitzender672 Stephan Schöck, Graz

Vors.-Stellvertreter Friedrich Reinitzer, Graz

Altvorsitzender Johann Gmeiner, Winklern b. Villach

Schriftführer Hans Wutschnig, Graz

Schriftführer-Stellv. Hans Haberscheck, Graz

Schatzmeister Karl Wutschnig, Graz

Schatzmeister-Stellv. Otto Jungmair, Linz

Beirat Fritz Hirth, Linz

Beirat Richard Soyka, Wien

Beirat Karl Springenschmid, Wagrain

Geschäftsstelle (Hofburg, Wien) Otto Broschek

670 Ebd., 4 (1923), 293 671 DG-Zs 2 (1924), 73 672 Ebd., 78

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 11. Anhang Dokumentationen

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Gemeinschaftertag 1925673 31.5.-1.6., Spittal/Drau

Bundesvorsitzender674 Stephan Schöck, Graz

Vors.-Stellvertreter Friedrich Reinitzer, Graz

Altvorsitzender Johann Gmeiner, Winklern b. Villach

Schriftführer Hans Wutschnig, Graz

Schriftführer-Stellv. Hans Haberscheck, Graz

Schatzmeister Karl Wutschnig, Graz

Schatzmeister-Stellv. Hans Stübchen-Kirchner, Graz

Beirat Walter Dirmoser, St. Katharein/Lamitz,

ab Mitte August Leiter der Geschäftsstelle Wien

Beirat Fritz Hirth, Linz

Beirat Richard Soyka, Wien

Beirat Karl Springenschmid, Wagrain

Geschäftsstelle (Hofburg, Wien) Otto Broschek;

ab August 1925 Ing. Walter Dirmoser

Gemeinschaftertag 1926675 22.-24.5., Salzburg

Bundesvorsitzender676 Stephan Schöck, Graz

1. Vors.-Stellvertreter Friedrich Reinitzer, Graz

2. Vors.-Stellvertreter Robert Krapf, Klagenfurt

Altvorsitzender Johann Gmeiner, Winklern b. Villach

Schriftführer Hans Wutschnig, Graz

Schriftführer-Stellv. Hans Haberscheck, Graz

Schatzmeister Karl Wutschnig, Graz

Schatzmeister-Stellv. Alfred Groß, Graz

Beirat Fritz Hirth, Linz

Beirat Hans Paul, Wien

Beirat Karl Springenschmid, Parsch b. Salzburg

Geschäftsstelle (Hofburg, Wien) Hans Paul

673 3 (1925), 53 674 Ebd., 87 675 4 (1926), 75 676 Ebd., 136

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 11. Anhang Dokumentationen

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Gemeinschaftertag 1927677 1.-4. 9., Mödling

Bundesvorsitzender678 Stephan Schöck, Graz

1. Vors.-Stellvertreter Erich Kerck, Mödling

2. Vors.-Stellvertreter Hans Wutschnig, Graz

Altvorsitzender Johann Gmeiner, Winklern b. Villach

Schriftführer Hans Haberscheck, Graz

Schriftführer-Stellv. Rella Hausenblas, Wien

Schatzmeister Wolfgang Soyka, Gußwerk

Schatzmeister-Stellv. Walter Rafelsberger, Bad Tatzmanndorf

Beirat Fritz Hirth, Linz

Beirat Robert Krapf, Klagenfurt

Beirat Alfred Nowak, Mödling

Beirat Karl Springenschmid, Parsch b. Salzburg

Gemeinschaftertag 1928679 26.-28.5., Admont

(ursprünglich geplant in Eisenerz-Leopldsteinersee)

Bundesvorsitzender680 Stephan Schöck, Graz

1. Vors.-Stellvertreter Erich Kerck, Mödling

2. Vors.-Stellvertreter Walter Rafelsberger, Bad Tatzmanndorf

Altvorsitzender Johann Gmeiner, Winklern b. Villach

Schriftführer Hans Wutschnig, Graz

Schriftführer-Stellv. Mizzi Stern, Wien

Schatzmeister Wolfgang Soyka, Gußwerk

Schatzmeister-Stellv. Otto Broschek, Wien

Beirat Franz Ertl, Linz

Beirat Robert Krapf, Klagenfurt

Beirat Alfred Nowak, Mödling

Beirat Karl Springenschmid, Parsch b. Salzburg

677 5 (1927), 116 678 Ebd., 165 679 6 (1928), 4, 6 und 5, 7 680 Ebd., 6, 7-8

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 11. Anhang Dokumentationen

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Gemeinschaftertag 1929681 18.-20. 5., Linz

Bundesvorsitzender682 Walter Rafelsberger, Bad Tatzmanndorf

1. Vors.-Stellvertreter Franz Ertl, Linz

2. Vors.-Stellvertreter Max Kremer, Wien

Altvorsitzender Stephan Schöck, Graz

Schriftführer Robert Krapf, Klagenfurt

Schriftführer-Stellv. Gustav Kurka, Göß b. Leoben

Schatzmeister Wolfgang Soyka, Gußwerk (Stmk.)

Schatzmeister-Stellv. Emil Heß, Wien

Beirat Karl Springenschmid, Parsch b. Salzburg

Beirat Johann Gmeiner, Winklern b. Villach

Beirat Alois Muckenschnabel, Salzburg-Lehen

Gemeinschaftertag 1930683 7.-9.6., Klagenfurt

Bundesvorsitzender684 Walter Rafelsberger, Bad Tatzmanndorf

1. Vors.-Stellvertreter Franz Ertl, Linz

2. Vors.-Stellvertreter Kurt Pitsch, Wien

Altvorsitzender Stephan Schöck, Graz

Schriftführer Robert Krapf, Klagenfurt

Schriftführer-Stellv. Gustav Kurka, Göß b. Leoben

Schatzmeister Max Kremer, Wien

Schatzmeister-Stellv. Emil Heß, Wien

Leiter des Jugendwerkes Karl Springenschmid, Parsch b. Salzburg

Beirat Alois Muckenschnabel, Salzburg-Lehen

Beirat Johann Gmeiner, Winklern b. Villach

Beirat Wolfgang Soyka, Reichraming (O.Ö.)

Beirat Hr. Mayrzedt, Linz

681 7 (1929), 25 682 7 (1929), 56 683 8 (1930), 37 684 Ebd., 57

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 11. Anhang Dokumentationen

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Gemeinschaftertag 1931685 26.-27.8., Kallwang [sic!]

Bundesvorsitzender686 Walter Rafelsberger, Judenburg

1. Vors.-Stellvertreter Franz Ertl, Linz

2. Vors.-Stellvertreter Karl Kramer, Wien

Altvorsitzender Stephan Schöck, Ludwigsburg (Württemberg)

Schatzmeister Wolfgang Soyka, Reichraming (O.Ö.)

Schriftführer Robert Krapf, Klagenfurt

Schriftführer-Stellv. Gustav Kurka, Bruck/Mur

Statt der Beiräte gehörten die Gauleiter der Bundesleitung an:

Niederösterreich Stephan Löscher, Wien

Oberösterreich Max Witzelsteiner, Gmunden

Salzburg Fritz Vogl, Zell am See

Kärnten Hubert Petz, Klagenfurt

Steiermark Gustav Kurka, Bruck/Mur

Weiters bestand als Teil der Bundesleitung ein sog. „Führerring der Junggemeinschaft“

aus folgenden Personen:

Karl Springenschmid, Parsch b. Salzburg; Berta Baumberger, Wels; Peter Knoll, Salz-

burg; Herbert Posch, Wien; Rudl [Rudolf] Werner, Steyr; Franz Peterschilnig, Salzburg;

Franz Kutschera, Spittal/Drau; Ernst Antesberger, Judenburg.

Gemeinschaftertag 1932687 13.-15.8., im Dorfheim Winklern, Kärnten

Bundesvorsitzender688 Walter Rafelsberger, Judenburg

1. Vors.-Stellvertreter Franz Ertl, Linz

2. Vors.-Stellvertreter Karl Kramer, Wien

Altvorsitzender Stephan Schöck, Ludwigsburg (Württemberg)

Schatzmeister Wolfgang Soyka, Reichraming (O.Ö.)

Schriftführer Robert Krapf, Klagenfurt

Schriftführer-Stellv. Emma Stöckl, Graz

685 9 (1931), 59f. 686 Ebd., 78 687 10 (1932), 8, 8f. 688 10 (1932), 9/10, 2

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 11. Anhang Dokumentationen

227 / 259

Statt der Beiräte gehörten die Gauleiter der Bundesleitung an:

Niederösterreich Stephan Löscher, Wien

Oberösterreich Max Witzelsteiner, Gmunden

Salzburg Fritz Vogl, Zell am See

Kärnten Hubert Petz, Klagenfurt

Steiermark Gustav Kurka, Bruck/Mur

Gemeinschaftertag 1933689 12.-14.8., im Landheim der OG „Sonnenland“; Wels

Es liegt kein Bericht über die Bundesleitung vor, auch kein Bericht über Wechsel in ein-

zelnen Funktionen.

Für das Jahr 1934 und die Folgejahre waren weder Berichte über Gemeinschaftertage

noch solche über die Zusammensetzung der Bundesleitung aufzufinden.

689 11 (1933), 6/7, 9

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung Quellen- und Literaturverzeichnis

228 / 259

12. Quellen- und Literaturverzeichnis

12.1. Quellen

Adler, Viktor: Alkoholismus und Gewerkschaft. Referat, gehalten auf dem fünften österreichischen Gewerkschaftskongreß 1907 zu Wien. Wien; Arbeiter-Abstinentenbund in Österreich, 1907.

Bundessatzungen der „Deutschen Gemeinschaft für alkoholfreie Kultur“ (Privatarchiv Hermann Soyka )

Bunge, Gustav: Die Alkoholfrage. Antrittsvorlesung an der Universität Basel, 23. Nov. 1886.

Deutsche Gemeinschaft: Mitteilungen der Deutschen Gemeinschaft für Alkoholfreie Kultur, Wien. Vereinszeitschrift, nachweisbar von 1923 bis 1934.

Deutsche Jugend. Eine Monatsschrift für die reifere Jugend; hg. von der Deutschen Gemeinschaft für Alkoholfreie Kultur, Graz. Nachgewiesen 2.1927/28,4-5=Dez.-Jänner –Dezember 1927 (4), Jänner 1928 (5)

Die Junggemeinschaft. Kampfblatt der Junggemeinschaft, 1931-1931. Erscheinungsverlauf: 1.1931-2.1931.

Flatz, Wilhelm: Des Trunkes Totentanz. Wien: Verlag der deutschen Gemeinschaft f. alkoholfreie Kul-tur, (ca. 1931).

Forel, Auguste und Schwiedland, Eugen: Warum soll man den Alkohol meiden? Wien, Leipzig, München, 1924.

Hufeland, Christoph Wilhelm: Über die Vergiftung durch Branntwein. Berlin, 1802.

Jungschar. Monatsheft für die deutsche enthaltsame Jugend Wien. Jungscharstelle, 1926-Jg 2.1925,4. 3.1926-12.1935/36.

Jungvolk. Blatt des Jungvolkes der deutschen Gemeinschaft. - Wien ; Salzburg, 1933, 1934

Kraepelin, Emil: Alkohol und Jugend: Nach einem Vortrage vor den Oberklassen der Heidelberger Mittelschulen. Neue, durchges. Aufl., 26.-30. Tsd. Basel, Schriftstelle des Alkoholgegnerbundes, 1915.

Sturmvolk. Jugendzeitschrift für die deutsche Volkswanderbewegung. 1. Jahrgang 1920, Donawitz bei Leoben.

Südmark, Die. Alpenländische Monatsschrift für deutsches Wesen und Wirken. 1.1920-4.1923, Graz

Tagebuch der Ortsgruppe Wien-Wieden der Deutschen Gemeinschaft. (Privatarchiv Hermann Soyka)

Ude, Johannes: Der Katholik im Kampfe gegen den Alkohol oder Was will das katholische Kreuzbündnis. Kinderfreund-Gabe Nr. 237. Flugschrift o.J., StLB-Signatur 102889 I.

12.2. Literatur

Baumgartner, Judith: Antialkoholbewegung. In: Kerbs, Diethart und Reulecke, Jürgen (Hg.): Handbuch der deutschen Reformbewegungen 1880-1933. Wuppertal, 1998, 141-154.

Breuer, Stefan: Die Völkischen in Deutschland. 2. Aufl., Darmstadt, 2010.

Bruckmüller, Ernst: Sozialgeschichte Österreichs. Wien-München, 1985.

Brückner, Wolfgang: Denkmusterkritik: Volksmythos, Urzeitwahn, Kulturideologien. In: Puschner / Großmann (Hg.): Völkisch und national. Zur Aktualität alter Denkmuster im 21. Jahrhundert. Darmstadt, 2009; 15-30.

Der Große Brockhaus. Leipzig, 1932-1934. 21 Bde., Bd. 10 und Bd. 16.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung Quellen- und Literaturverzeichnis

229 / 259

Der Große Brockhaus. Wiesbaden, 1953 ff. 12 Bde., Bd. VII.

Enzyklopädie der Neuzeit (EDN), Bd. 14, Vater-Wirtschaftswachstum. Stuttgart/Weimar, 2011.

Fick, Luise: Die Deutsche Jugendbewegung. Jena, 1939.

Foerster, Friedrich Wilhelm: Jugendseele, Jugendbewegung, Jugendziel. Erlenbach-Zürich, 1923.

Galton, Francis: Fortpflanzungs-Hygiene (Eugenik). Ihre Definition, ihr Zweck, ihre Ziele. In: Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie (ARGB), 1905, Bd. 2, Heft 5/6, S. 812. In: Konopasek, Hei-ner: Rassenhygiene; Entwicklung und Rezeptionn. Graz, Univ., Dipl.-Arb., 2004; 15.

Gläß, Theo und Biel, Wilhelm: Der Guttempler-Orden in Deutschland. 2 Bde., Hamburg, 1979. Band 1, 1889-1945; Band 2, 1945-1980.

Hanisch, Ernst und Urbanitsch, Peter: Die Prägung der politischen Öffentlichkeit durch die politischen Strömungen. In: Die Habsburgermonarchie, Band VIII, Politische Öffentlichkeit und Zivilgesell-schaft. 1. Teilband: Vereine, Parteien und Interessenverbände als Träger der politischen Partizipati-on. Wien, 2006, 15-111.

Hanisch, Ernst: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahr-hundert. Österreichische Geschichte 1890-1990, hg. von Herwig Wolfram. Wien, 1994, 2005.

Hartung, Günter: Völkische Ideologie. In: Puschner/Schmitz/Ulbricht (Hg.): Handbuch zur „Völki-schen Bewegung“ 1871-1918. München u.a., 1996; 22-41.

Haupt, Joachim: Völkisch oder national? Eine grundlegende Auseinandersetzung mit der deutsch-„nationalen“ Oberschicht. Aus der Reihe „Völkisches Rüstzeug“, Heft 4. München, 1924.

Heinz, Walter R. und Schöber, Peter: Kollektives Verhalten – alte Fragen, neue Perspektiven. In: Heinz/Schöber (Hg.): Theorien kollektiven Verhaltens, Beiträge zur Analyse sozialer Protestak-tionen und Bewegungen, 2 Bde. Darmstadt und Neuwied, 1972, Bd. 1, 7-51.

Herrmann, Ulrich: Wandervogel und Jugendbewegung im geistes- und kulturgeschichtlichen Kontext vor dem ersten Weltkrieg. In: Herrmann, Ulrich (Hg.): „Mit uns zieht die neue Zeit …“ Der Wandervogel in der deutschen Jugendbewegung. Weinheim und München, 2006, 30-79.

Hölzer, Cordula: Die Antialkoholbewegung in den deutschsprachigen Ländern (1860-1930). Serie: Europäische Hochschulschriften. Reihe III, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, Bd. 376; 12-110.

Ille, Gerhard: Jugendbewegung und Erster Weltkrieg. In: Ille, Gerhard/Köhler, Günter (Hg.): Der Wandervogel. Es begann in Steglitz. Berlin, 1987, 170-192.

Ille, Gerhard: Schülernot und Jugendkult im deutschen Kaiserreich – zur Situation der bürgerlichen Jugend um 1900. In: Ille/Köhler: Der Wandervogel, 30-53.

Imboden, Gabriela/Ritter, Hans Jakob/Braunschweig, Sabine/Küchenhoff, Bernhard/Wecker, Regina: Wie nationalsozialistisch ist die Eugenik? In: Imboden/Ritter/Braunschweig/Küchenhoff/Wecker (Hg.): Wie nationalsozialistisch ist die Eugenik? Internationale Debatten zur Geschichte der Euge-nik im 20. Jahrhundert. Wien/Köln/Weimar, 2009, 13-21.

Ist Alkohol Gift? Die Alkoholfrage im Lichte ärztlicher Urteile. Schriften zur Alkoholfrage, Hg. im Selbstverlag der Arbeitsgemeinschaft der Gärungsgewerbe. Berlin, ca. 1925.

Keller, Fritz: Walter Rafelsberger. In: Wiener Geschichtsblätter. Hg.: Verein für Geschichte der Stadt Wien. Wien, 2002, 57.2002, 23- 37.

Kerbs, Diethart/Reulecke, Jürgen: Einleitung der Herausgeber. In: Kerbs/Reulecke: Handbuch der deutschen Reformbewegungen, 10-18.

Kevles, Daniel K.: Die Geschichte der Genetik und Eugenik. In: Kevles, Daniel J./ Hood, Leroy (Hg.): Der Supercode. Die genetische Karte des Menschen. München, 1993, 13-47.

Klages Ludwig: Mensch und Erde. In: Kracke, Arthur: Freideutsche Jugend. Zur Jahrhundertfeier auf dem Hohen Meißner 1913. Jena, 1913; 89-107.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung Quellen- und Literaturverzeichnis

230 / 259

Klönne, Arno: Eine deutsche Bewegung, politisch zweideutig. In: Buchholz, Kai/Latocha, Ri-ta/Peckmann, Hilke/Wolbert, Klaus: Die Lebensreform: Entwürfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900. Darmstadt 2001. 2 Bde., Bd. 1., 31-32.

Köhler, Günter: Darstellung und Charakterisierung des Wandervogel [sic!] bis zum Ersten Weltkrieg. In: Ille/Köhler: Der Wandervogel, 86-98.

Köhler, Günter: Der Steglitzer Wandervogel 1896-1914. In: Ille/Köhler: Der Wandervogel, 54-85.

Köhler, Günter: Steglitz zur Jahrhundertwende – Preußens größtes Dorf, ein zentraler Ort des Bil-dungsbürgertums. In: Ille/Köhler: Der Wandervogel, 9-27.

Krabbe, Wolfgang E.: Gesellschaftsveränderung durch Lebensreform. Göttingen, 1974.

Krabbe, Wolfgang R.: Die Lebensreformbewegung. In: Buchholz/Latocha/Peckmann/Wolbert: Die Lebensreform, Bd. 1, 25-29.

Kracke, Arthur: Freideutsche Jugend. Zur Jahrhundertfeier auf dem Hohen Meißner 1913. Jena, 1913.

Laserer, Wolfgang: Karl Springenschmid (Biographie). Graz, Weishaupt, 1987.

Linse, Ulrich: „Wir sträuben uns auch ein wenig gegen fanatische Reformer“. Jugendbewegter Lebens-stil oder lebensreformerische Jugenderziehung? In: Herrman (Hg.): „Mit uns zieht die neue Zeit …“, 205-231.

Mogge, Winfried: Jugendbewegung. In: Kerbs/Reulecke: Handbuch der deutschen Reformbewegun-gen, 181-196.

Neue deutsche Biographie (NDB). Internet-Version: http://www.ndb.badw-muenchen.de/

Oldenburg, Friedrich: Der Freideutsche Jugendtag auf dem Hohen Meißner im Oktober 1913. In: Ille/Köhler: Der Wandervogel, 139-148.

Puschner, Uwe/Großmann, G. Ulrich (Hg.): Völkisch und national. Zur Aktualität alter Denkmuster im 21. Jahrhundert. Darmstadt, 2009.

Puschner, Uwe/Schmitz, Walter/Ulbricht, Justus H. (Hg.): Handbuch zur „Völkischen Bewegung! 1871-1918. München u.a., 1996.

Raschke, Joachim: Soziale Bewegungen. Frankfurt/Main [u.a.], 1985.

Rothkappl, Gertrude: Die Zerschlagung österreichischer Vereine, Organisationen, Verbände, Stiftun-gen und Fonds: Die Tätigkeit des Stillhaltekommissars in den Jahren 1938 – 1939. Wien, Univ., Diss., 1996.

Schaller, Sabine: Kampf dem Alkohol. Weibliches Selbstverständnis und Engagement in der deutschen alkoholgegnerischen Bewegung (1883 - 1933). Freiburg/Br., Univ. Diss., 2009.

Schneider, Norbert F.: Was kann unter einer „sozialen Bewegung“ verstanden werden? Entwurf eines analytischen Konzeptes. In: Wasmuht, Ulrike C. (Hg.): Alternativen zur alten Politik? Neue soziale Bewegungen in der Diskussion. Darmstadt, 1989, 196-206.

See, Klaus von: Freiheit und Gemeinschaft. Völkisch-nationales Denken in Deutschland zwischen Französischer Revolution und Erstem Weltkrieg. Heidelberg, 2001.

Seewann, Gerhard: Österreichische Jugendbewegung 1900 bis 1938: die Entstehung der deutschen Jugendbewegung in Österreich-Ungarn 1900 bis 1914 und die Fortsetzung in ihrem katholischen Zweig "Bund Neuland" von 1918 bis 1938. 2 Bde., Frankfurt/Main, 1971.

Türcke, Christoph: Eugenik. Revision eines diskreditierten Begriffes. In: Steiner, Theo (Hg.): Genpool. Biopolitik und Körper-Utopien. Beiträge des Symposiums „Genpool, Menschenpark, Freizeitkör-per. Vorträge und Diskussionen zur Biopolitik", veranstaltet vom Steirischen Herbst (Oktober 2001). Wien, 2002. 121-130.

Ursin, Karl und Thums, Karl: Der Österreichische Wandervogel. In: Ziemer, Gerhard/Wolf, Hans (Hg.): Wandervogel und Freideutsche Jugend. Bad Godesberg, 1961, 294-326.

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung Quellen- und Literaturverzeichnis

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Wasmuht, Ulrike C.: Zur Untersuchung der Entstehung und Entwicklung sozialer Bewegungen. Ein analytischer Deskriptionsrahmen. In: Wasmuth: Alternativen zur alten Politik? Neue soziale Bewe-gungen in der Diskussion. Darmstadt, 1989, 159-176.

Wilkinson, Paul: Soziale Bewegungen. Von Rousseau bis Castro. Reihe „List Taschenbücher der Wis-senschaft“, Bd. 1562. München, 1974.

Witte, Emil: Die Alkoholfrage in religiöser Beleuchtung. Bonn, 1907.

Wolbert, Klaus: Die Lebensreform – Anträge zur Debatte. In: Buchholz/Latocha/Peckmann/Wolbert: Die Lebensreform, Bd. 1, 13-21.

Wundt, M.: Volk, Volkstum, Volkheit. Aus der Reihe „Friedrich Mann’s Pädagogisches Magazin“, Heft 987, Schriften zur politischen Bildung. Herausgegeben von der Gesellschaft „Deutscher Staat“, VII. Reihe, Volkstum, Heft 3. Langensalza, 1927.

Zald, Mayer N. und Ash, Roberta: Organisationsformen sozialer Bewegungen. Wachstum, Zerfall und Wandel. In: Heinz/Schöber: Theorien kollektiven Verhaltens, Bd. 2, 7-44.

Ziemer, Gerhard: Der Wandervogel – Bild und Deutung. In: Ziemer, Gerhard/Wolf, Hans (Hg.): Wandervogel und Freideutsche Jugend. Bad Godesberg, 1961, 7-28.

Ziemer, Gerhard: Karl Fischer und seine Bachanten. In: Ziemer/Wolf: Wandervogel…, 48-52.

12.3. Internet-Quellen

Titel / Datum des Aufrufes Quelle

Adler und Falken 11.2.2013 http://de.wikipedia.org/wiki/Adler_und_Falken

Arbeiter-Abstinentenbund

17.06.2012 http://www.dasrotewien.at/arbeiter-abstinentenbund.html

Arbeitslosigkeit 1919-1937

11.11.2013 http://www.demokratiezentrum.org/index.php?id=417&index=2007

Archiv der deutschen Jugendbewegung

6.3.2013 http://www.burgludwigstein.de/Archiv.161.0.html

Bachant 10.4.2013

Grimm’sches Wörterbuch: http://woerterbuchnetz.de/DWB/?lemma=baebae

Baer Abraham 17.06.2012 http://www.zeno.org/Pagel-1901/A/Baer,%20Abraham%20Adolf

Bercht Adolf Heinrich 6.3.2013 http://austria-forum.org/af/AustriaWiki/Adolf_Heinrich_Bercht

Blaues Kreuz-1 Blaues Kreuz-2

17.06.2012

http://de.wikipedia.org/wiki/Blaues_Kreuz

http://www.blaueskreuz.at/index.htm

Bunge Gustav 17.06.2012 http://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_von_Bunge

Bunge-Alkoholfrage 27.06.2012

http://www.edimuster.ch/alkoholgeschichte/alkoholfrage.htm

Bürckel Josef 3.2.2013

http://de.wikipedia.org/wiki/Josef_B%C3%BCrckel

Dametz Josef 27.11.2012

http://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Dametz

Deutsch Julius 27.11.2012

http://austria-lexikon.at/af/AEIOU/Deutsch%2C_Julius

Forel Auguste 17.06.2012 http://de.wikipedia.org/wiki/Auguste_Forel

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung Quellen- und Literaturverzeichnis

232 / 259

Titel / Datum des Aufrufes Quelle

Frank Felix 28.11.2012

http://austria-lexikon.at/af/AEIOU/Vizekanzler

Galton Francis 10.6.2013

http://de.wikipedia.org/wiki/Francis_Galton

Gegendtal 12.3.2013 http://de.wikipedia.org/wiki/Gegendtal

Grabnerhof 11.3.2013

http://www.regionalsuche.at/fachschule-fuer-land-und-ernaehrungswirtschaft-grabnerhof--10051.htm

Grillparzer 13.11.2013

http://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Zitate/Grillparzer,%20Franz

Guttempler 17.06.2012

http://de.wikipedia.org/wiki/Guttempler

Hainisch Michael 29.08.2012

http://austria-lexikon.at/af/AEIOU/Hainisch%2C_Michael

Hufeland Christoph 17.06.2012 http://de.wikipedia.org/wiki/Christoph_Wilhelm_Hufeland

Kalokagathos 18.4.2012

http://de.wikipedia.org/wiki/Kalokagathia

Klages Ludwig 6.6.2013

Neue Deutsche Biographie: http://www.deutsche-biographie.de/sfz41239.html

Historisches Lexikon der Schweiz: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D46056.php

Konservative Revolution 3.5.2013

Deutsches Historisches Museum: http://www.dhm.de/lemo/html/weimar/wegbereiter/revolution/index.html

Kraepelin Emil 17.06.2012

http://de.wikipedia.org/wiki/Emil_Kraepelin

Kreuzbund-1 Kreuzbund-2 17.06.2012

http://de.wikipedia.org/wiki/Kreuzbund

http://www.kreuzbund-rheinberg.de/03c1989d0b0b0d601.html

Laxenburg 21.2.2013

http://de.wikipedia.org/wiki/Laxenburg

Lemisch Arthur 6.3.2013

http://austria- fo-rum.org/af/Wissenssammlungen/Bibliothek/%C3%96sterreichisches_Personenlexikon_1992/Lemisch%2C_Arthur

Meißner 18.4.2013

http://de.wikipedia.org/wiki/Hoher_Mei%C3%9Fner

Muchitsch Vinzenz 11.3.2013 http://de.wikipedia.org/wiki/Vinzenz_Muchitsch

Nationalratswahl 1930 6.2.2013

http://de.wikipedia.org/wiki/Nationalratswahl_in_%C3%96sterreich_1930

Naugard 10.3.2013

http://de.wikipedia.org/wiki/Nowogard#Geschichte

Neue Deutsche Biographie 8.6.2013

http://www.ndb.badw-muenchen.de/

Ottensheim 13.3.2013

http://de.wikipedia.org/wiki/Ottensheim?uselang=en

Ploetz Alfred 11.6.2013

Neue Deutsche Biographie: http://www.deutsche-biographie.de/sfz96415.html

Quickborn 7.2.2013

http://www.quickborn-ak.de/bundesordnung_1.html

Reinitzer Friedrich 25.3.2013

Österreichisches Biographisches Lexikon: http://www.biographien.ac.at/oebl/oebl_R/Reinitzer_Friedrich-Richard-Kornelius_1857_1927.xml

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung Quellen- und Literaturverzeichnis

233 / 259

Titel / Datum des Aufrufes Quelle

Resch Josef 2.3.2013

http://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Resch

Schmitz Richard 2.3.2013

http://de.wikipedia.org/wiki/Richard_Schmitz_(CS)

Schönerer 9.11.2013 http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.s/s337483.htm

Schulstufen 5.4.2013

http://de.wikipedia.org/wiki/Jahrgangsstufe

Schumy Vinzenz 30.08.2012

http://austria-lexikon.at/af/AEIOU/Schumy%2C_Vinzenz

Sedantag 15.4.2013

http://de.wikipedia.org/wiki/Sedantag

Steglitz 15.4.2013

http://de.wikipedia.org/wiki/Berlin-Steglitz

http://de.wikipedia.org/wiki/Bezirk_Steglitz#Geschichte

Steinhof 28.2.2013

http://de.wikipedia.org/wiki/Steinhof_(Wien)

Stumpf Franz 26.11.2012

http://austria-lexikon.at/af/AEIOU/Stumpf%2C_Franz

Tandalier (Tantalier) 6.2.2013

http://www.salzburg.com/wiki/index.php/Schloss_Tandalier

http://schloss-tandalier.com/

Tandler Julius 26.11.2012

http://austria-lexikon.at/af/AEIOU/Tandler%2C_Julius

Ude Johannes 27.11.2012 http://austria-lexikon.at/af/AEIOU/Ude%2C_Johannes

Unstrut 18.4.2013

http://de.wikipedia.org/wiki/Unstrut

Wandervogel-Grabstein

Käthe Branco 8.4.2013

http://www.hartwig-w.de/friedhof/google/06/06-01/06-01-05.htm

12.4. Archive

Archiv der deutschen Jugendbewegung; Burg Ludwigstein, D - 37214 Witzenhausen

http://www.burgludwigstein.de/Archiv.161.0.html

Archiv der Stadt Graz; Schiffgasse 4, 8020 Graz

http://www.graz.at/cms/beitrag/10163928/657902

Kärntner Landesarchiv; St. Ruprechter Straße 7, 9020 Klagenfurt

http://www.landesarchiv.ktn.gv.at/214172_DE

Niederösterreichisches Landesarchiv; Landhausplatz 1 – Kulturbezirk, 3109 St. Pölten

http://www.noe.gv.at/Bildung/Landesarchiv-/Landesarchiv.html

Oberösterreichisches Landesarchiv; Anzengruberstraße 19, 4020 Linz

http://www.ooe-landesarchiv.at/

Österreichisches Staatsarchiv; Nottendorfer Gasse 2, 1030 Wien

http://www.oesta.gv.at/

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung Quellen- und Literaturverzeichnis

234 / 259

Salzburger Landesarchiv; Michael-Pacher-Str. 40, 5020 Salzburg

http://www.salzburg.gv.at/archive

Steiermärkisches Landesarchiv; Karmeliterplatz 3, 8010 Graz

http://www.landesarchiv.steiermark.at/

12.5. Abkürzungen, Siglen

ADJ Archiv der Deutschen Jugendbewegung

BH Bezirkshauptmannschaft

BKA Bundeskanzleramt

BMI Bundesminiserium für Inneres

BP Bundespräsident

BPolDion Bundespolizeidirektion

DG Abkürzung des Vereinsnamens

DG-Zs Vereinszeitschrift „Deutsche Gemeinschaft. Zeitschrift für alkoholfreie

Kultur“.

EDN Enzyklopädie der Neuzeit

GdPKdo Gendarmerie-Postenkommando

KtLA Kärntner Landesarchiv

KtnLReg (Amt der) Kärntner Landesregierung

NDB Neue Deutsche Biographie (Internet-Ausgabe)

NöLA Niederösterreichisches Landesarchiv

OöLA Oberösterreichisches Landesarchiv

ÖStA Österreichisches Staatsarchiv

ÖWV Österreichischer Wandervogel

PolKoat Polizeikommissariat

SbLA Salzburger Landesarchiv

SbLReg Salzburger Landesregierung

SiD Sicherheitsdirektion bzw. Sicherheitsdirektor

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung Quellen- und Literaturverzeichnis

235 / 259

StAG Stadtarchiv Graz

StLA Steiermärkisches Landesarchiv

StLB Steiermärkische Landesbibliothek

StmLReg (Amt der) Steiermärkischen Landesregierung

VF Vaterländische Front

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 13. Personenregister

236 / 259

13. Personenregister

Adler 38, 42

Antesberger 114, 226

Baer 34

Baumberger 226

Baumgartner 168

Broschek 79, 82, 89, 90, 112, 155, 167, 169, 222,

224

Bunge 35, 87, 157, 202

Bünker 152

Bürckel 189, 190

Burger 155

Cillia 174

D e i s e n h a m m e r 208

Dirmoser 82, 84, 90, 91, 223

Erhardt 59

Ertl 92, 224, 225, 226

Fischer 52, 53, 56, 203

Flatz 142

Fölsche 165

Forel 36, 202

Frank 80

Gmeiner 150, 155, 169, 174, 221, 222, 223, 224,

225

Gottwald 194

Grimm 135, 139, 166, 197, 218

Gröbner 166, 208

Groß 82, 148, 165, 178, 179, 182, 206, 223

Gurlitt 58

Haberscheck 222, 223, 224

Hainisch 75, 77, 80, 88, 115, 169, 170, 204

Hartmann 157

Hausenblas 224

Heinrich 194

Hellmann 194

Hempfling 183

Heß 225

Hildebrand 153

Hirmke 197

Hirth 137, 157, 158, 199, 208, 221, 222, 223, 224

Hoffmann 189, 190

Hoffmann-Fölkersamb 52

Hohenthal 74, 80, 89, 116, 199

Hollauf 175

Hufeland 34, 202

Hutterer 221

Huyhammer 148

Jansenberger 180

Jungmair 158, 222

Jungmayr 148

Kerck 221

Kerck Erich 11, 86, 115, 157, 174, 192, 193, 194,

195, 224

Kerschbaumer 154

Keßner 152

Klages 44

Knoll 180, 226

Koberg 194, 197

Kofler 152, 153, 221

Körner 197

Koschier 171

Kraepelin 34, 36, 85, 202

Kramer 162, 164, 226

Krapf 77, 82, 137, 148, 151, 152, 153, 154, 155,

221, 222, 223, 224, 225, 226

Krebitz 153

Kremer 160, 225

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 13. Personenregister

237 / 259

Krischke 193

Kühnert 197, 220

Kupka 154

Kurka 161, 166, 178, 179, 225, 226, 227

Kutschera 226

Lang 132

Ledwina 197

Lichtenegger 180

Liebert 154

Linder 155

Löscher 156, 214, 226, 227

Mautschka 63

Miklau 67

Muchitsch 206

Muckenschnabel 225

Müller A. 197

Müller R. 197

Neunteufel 183

Nowak 224

Ortner 179

Paul 140, 142, 157, 223

Perl 156

Peterschilnig 226

Petz 226, 227

Pichler 77, 207

Pitsch 160, 225

Pokorny 167

Popert 60

Posch 226

Possegger 176

Pressnig 114

Rafelsberger 92, 95, 97, 105, 106, 108, 109, 110,

113, 114, 118, 126, 127, 133, 137,

149, 150, 177, 181, 205, 209, 224,

225, 226

Rafelsberger H. 112

Ranftl 156

Rauter 174

Reichel 85, 129

Reinitzer 78, 90, 111, 116, 161, 180, 221, 222, 223

Rescheneder 148

Rieger 11, 85

Rimanek 194, 197

Rosegger 98, 103, 116

Scherr 150, 214

Schmi[e]d 91, 94

Schöck 73, 76, 77, 78, 79, 81, 82, 90, 91, 92, 98, 99,

101, 102, 103, 104, 112, 116, 118,

148, 159, 161, 162, 163, 164, 165,

166, 167, 193, 205, 206, 208, 210,

212, 213, 221, 222, 223, 224, 225, 226

Schroth 197, 198

Schumy 76, 207

Seyß-Inquart 189

Soyka R. 11, 82, 83, 87, 139, 155, 156, 166, 167,

215, 221, 222

Soyka W. 11, 94, 149, 155, 156, 157, 168, 224, 225,

226

Springenschmid 92, 93, 94, 95, 107, 108, 109, 118,

121, 123, 125, 126, 127, 130, 135,

136, 137, 138, 140, 142, 145, 209,

222, 223, 224, 225, 226

Stadler 148, 167

Steinberger 162

Stern 224

Stöckl 226

Streicher 157

Stübchen-Kirchner 223

Stuewer 116

S t u m p f 208

Stürmer 159

Tandler 80, 81, 104

Tschebull 149, 221

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 13. Personenregister

238 / 259

Ude 37, 81, 107, 170, 208

Vetter 59

Vogel 165

Vogl 137, 177, 226, 227

Walcher 184

Wedtgrube 168

Welser 159

Werner 226

Witzelsteiner 159, 226, 227

Wutschnig 215

Wutschnig H. 77, 78, 79, 81, 88, 100, 116, 123, 206,

210, 211, 212, 221, 222, 223, 224

Wutschnig K. 221, 222, 223

Zedrossy 154

Zmölnig 149, 152, 154

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 14. Abbildungen

239 / 259

14. Abbildungen

Abb. 1 Gustav v. Bunge Abb. 2 Auguste Forel Abb. 3 Emil Kraepelin

Abb. 4 Johannes Ude

Abb. 5 Guttempler-Symbol Abb. 6 Blaues Kreuz - Symbol

Abb. 7 Kreuzbund-Symbol Abb. 8 Arbeiter- Abstinentenbund

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 14. Abbildungen

240 / 259

Abb. 9 Der „Dritte Weg“ der Lebensreform

Abb. 10 Gedenktafel zur Gründung des Wandervogels

Abb. 11 Grabstein Käthe Branco Abb. 12 Symbolfigur „Greif“

Abb. 13 Werbekarte der Guttempler-Wehrlogen Abb. 14 Meißner-Gedenktafel zum Freideutschen Jugendtag 1913

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 14. Abbildungen

241 / 259

Abb. 15 a-d Bundessatzungen

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 14. Abbildungen

242 / 259

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 14. Abbildungen

243 / 259

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 14. Abbildungen

244 / 259

Abb. 15 a-d Bundessatzungen

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 14. Abbildungen

245 / 259

Abb. 16 Das Vereinsabzeichen

Abb. 17 Die Gemeinschafter-Verpflichtung

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 14. Abbildungen

246 / 259

Abb. 18 Der Kopf der ersten Ausgabe der Vereinszeitschrift

Abb.20 Konzept der Antwort auf das Grußtelegramm an BP Hanisch vom 10.9.1922; erstellt am 15.9.1922

Abb. 19 Grußtelegramm an BP Hainisch vom 10.9.1922

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 14. Abbildungen

247 / 259

Abb. 21 Gemeinschaftertag 1924

Abb. 22 Gemeinschaftertag Linz 1929

Abb. 23 Das Vereinslokal („Gemeinschafterheim“) in der Wiener Hofburg

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 14. Abbildungen

248 / 259

Abb. 24 Stand der Mitglieder und Ortsgruppen Ende März 1923

Abb. 25 Die erste Ausgabe der Vereinszeitschrift

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 14. Abbildungen

249 / 259

Abb. 26 Gemeinschaftertag Mödling 1927

Abb. 27 Titelblatt der Vereinszeitschrift ab 1928

Abb. 28 Titelblatt der Vereinszeitschrift ab Sept. 1930

Abb. 29 Titelblatt der Vereinszeitschrift ab Jan. 1931

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 14. Abbildungen

250 / 259

Abb. 30 Peter Rosegger zur Alkoholfrage

Abb. 31 Peter Rosegger zur Alkoholfrage

Abb. 32 Werbemittel (Klebemarke, Flugblatt, Plakat)

Abb. 33 Die Linzer „Süßmoststelle“ auf der Gastgewerbe-Ausstellung 1930

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 14. Abbildungen

251 / 259

Abb. 34 Zwei Wimpel der Ortsgruppe Wien-Wieden

Abb. 35 Sonderheft vom Jänner 1932

Abb. 37 Werbung für die Jungschar

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 14. Abbildungen

252 / 259

Abb. 36 Inserate zur Jugendarbeit

Abb. 38 Titelblatt der „Jungschar“

Abb. 39 Titelblatt der „Deutschen Jugend“

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 14. Abbildungen

253 / 259

Abb. 40 Titelblatt der „Junggemeinschaft“ Abb. 41 Titelblatt des „Jungvolkes“

Abb. 42 Flatz, „Des Trunkes Totentanz.“ Titelblatt und Schlußszene

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 14. Abbildungen

254 / 259

Abb. 43 Aufruf an die Jugend 1932

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 14. Abbildungen

255 / 259

Abb. 44 Tagebuchseite der OG Wieden vom Oktober/November 1923

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 14. Abbildungen

256 / 259

Abb. 45 Formular der Ortsgruppenberichte an die Bundesleitung

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 14. Abbildungen

257 / 259

Abb. 46 Standardformular zur Überleitung von Vereinen nach dem „Anschluß“ 1938

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 14. Abbildungen

258 / 259

14.1. Bildquellen

Abbildung Quelle 01 Gustav v. Bunge http://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_von_Bunge

02 Auguste Forel http://www.ak-trinken.de/images/Postkarten/450x450/005-Forel-1927.321x450.jpg

03 Emil Kraepelin http://www.kraepelin.org/

04 Johannes Ude http://austria-forum.org/af/AEIOU/Ude%2C_Johannes

05 Guttempler http://www.gg-gropiusstadt.de/Index.html

06 Blaues Kreuz http://www.blaueskreuz.at/

07 Kreuzbund http://de.wikipedia.org/wiki/Kreuzbund

08 Arbeiter-Abstinenten-bund

http://www.bildindex.de/obj02890224.html#|home

09 Der „Dritte Weg“ der Lebensreform

Kerbs/Reulecke, Reformbewegungen, 16.

10 WV-Gedenktafel Ille/Köhler: Der Wandervogel, 303

11 Grabstein Käthe Branco

http://www.hartwig-w.de/friedhof/google/06/06-01/06-01-05.htm

12 Symbolfigur „Greif“ Privatarchiv Hermann Soyka

13 Guttempler-Werbekarte

Ille/Köhler: Der Wandervogel, 145

14 Meißnertreffen-Gedenktafel

http://commons.wikimedia.org/wiki/File:GedenktafelFreideutscherJugendtag.JPG

15 a-d Bundessatzungen Privatarchiv Hermann Soyka

16 Vereinsabzeichen Privatarchiv Hermann Soyka

17 Gemeinschafter- verpflichtung Privatarchiv Erich V. Kerck

18 Vereinszeitschrift Universitätsbibliothek Graz, Signatur I 182256/1-3

19 u. 20 Hainisch- Grußtelegramm

ÖStA, Bestand PK, 5323/Pr.K./1922

21 Gemeinschaftertag 1924 Graz

DG-Zs 2 (1924), 75

22 Gemeinschaftertag 1929 Linz Privatarchiv Hermann Soyka

23 Gemeinschafter-heim Wiener Hofburg

Privatarchiv Hermann Soyka

24 Mitgliederstand 1923 „Südmark“, 4 (1923), 333

25 Vereinszeitschrift 1923 Universitätsbibliothek Graz, Signatur I 182256/1-3

26 Gemeinschaftertag 1927 Mödling

Privatarchiv Hermann Soyka

27 Vereinszeitschrift 1928 Universitätsbibliothek Graz, Signatur I 182256/6-10

28 Vereinszeitschrift 1930 Universitätsbibliothek Graz, Signatur I 182256/6-10

29 Vereinszeitschrift 1931 Universitätsbibliothek Graz, Signatur I 182256/6-10

30 Rosegger-Zitat „Südmark“ 3 (1922), 56

31 Rosegger-Zitat DG-Zs 3 (1925), 19

32 Werbemittel DG-Zs 3 (1925), 167 und 4 (1926), 60

33 Süßmoststelle in Linz DG-Zs 8 (1930), 49

34 Ortsgruppenwimpel Privatarchiv Hermann Soyka

35 Sonderheft Wagrainer Winterlager

DG-Zs 10 (1932), 2

36 Inserate zur Jugendar-beit

DG-Zs 4 (1926), 114, 115

Zwischen Jugendbewegung und Abstinenzbewegung 14. Abbildungen

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Abbildung Quelle 37 Werbung für die

Jungschar DG-Zs 10 (1932), 3/4, 2.

38 Titelblatt der „Jungschar“ Universitätsbibliothek Graz, Signatur: I 707870

39 Titelblatt der „Deut-schen Jugend“

Universitätsbibliothek Innsbruck, Brenner-Archiv. Signatur Z III

40 Titelblatt der „Jungge-meinschaft“

Privatarchiv Hermann Soyka

41 Titelblatt des „Jungvol-kes“

Universitätsbibliothek Salzburg, Signatur 102795 I

42 „Des Trunkes Toten-tanz“

Universitätsbibliothek Salzburg, Signatur 102380 I

43 Aufruf an die Jugend DG-Zs 10 (1932), 11/12, 7.

44 Tagebuchseite der OG Wieden

Privatarchiv Hermann Soyka

45 Formular Ortsgruppenbericht

Privatarchiv Hermann Soyka

46 NS-Standard-formular zur Überleitung von Vereinen

KtLA, Bestand „Sicherheitsdirektion, Vereinsakten“ 12/439