Methodengeschichte der Germanistik zwischen Akkumulationsmodell und Arbitraritätsthese

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Natalia Igl Methodengeschichte der Germanistik zwischen Akkumulationsmodell und Arbitraritätsthese Review article zu Jost Schneider (Hg.): Methodengeschichte der Germanistik. Unter redaktioneller Mitarbeit von Regina Grundmann. Berlin, New York: Walter de Gruyter 2009. VII, 794 S. Gebunden. EUR (D) 149,95. ISBN: 9783110188806. [1] Gegenstand und Programmatik des Bandes [2] In seiner 1999 publizierten Geschichte der Sprachwissenschaft in Deutschland. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert umreißt Andreas Gardt als Ausgangsbasis seiner Darstellung, dass diese sich nicht als »Geschichte der sprachwissenschaftlichen Germanistik« verstehe, könne eine solche Fachgeschichte doch »nicht (oder nur in wenigen ihrer Aspekte) vor das 19. Jahrhundert zurückgreifen und wäre zudem an die Universität als Ort der Institutionalisierung gebunden.« 1 [3] Genau diese Perspektive auf die germanistische Fachgeschichte in ihrer Koppelung an die Institutionengeschichte nimmt nun das zehn Jahre nach Gardts historischem Abriss zur Sprachwissenschaft von Jost Schneider herausgegebene Handbuch Methodengeschichte der Germanistik ein. Wo der Band seinen Gegenstandsbereich einerseits historisch mit Blick auf die Entwicklung germanistischer »Methoden« seit der universitären Institutionalisierungsphase im 19. Jahrhundert eingrenzt, weitet er ihn andererseits systematisch – zumindest dem Anspruch nach – über die einzelnen Teildisziplinen auf die gesamte Germanistik aus. [4] Jost Schneider expliziert in seiner umfangreichen Einleitung (S. 1–31) zunächst die methodischen und terminologischen Vorentscheidungen, die dem Band zugrunde liegen. Anders als es eine systematische Darstellung zu leisten habe, könne eine historische Darstellung nach Schneider nicht mit einer scharfen begrifflichen Unterscheidung zwischen ›Theorie‹ und ›Methode‹ operieren, da diese Systematisierung »zu einer vor pluralistischen und deshalb anachronistischen […] Perspektivierung führen müsste« (S. 2). Der Band legt daher einen weiten Methodenbegriff

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Natalia Igl

Methodengeschichte der Germanistik zwischenAkkumulationsmodell und Arbitraritätsthese

Review article zu

Jost Schneider (Hg.): Methodengeschichte der Germanistik. Unterredaktioneller Mitarbeit von Regina Grundmann. Berlin, New York:Walter de Gruyter 2009. VII, 794 S. Gebunden. EUR (D) 149,95.ISBN: 978­3­11­018880­6.

[1] Gegenstand und Programmatik des Bandes

[2] In seiner 1999 publizierten Geschichte der Sprachwissenschaft inDeutschland. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert umreißt AndreasGardt als Ausgangsbasis seiner Darstellung, dass diese sich nicht als»Geschichte der sprachwissenschaftlichen Germanistik« verstehe, könneeine solche Fachgeschichte doch »nicht (oder nur in wenigen ihrerAspekte) vor das 19. Jahrhundert zurückgreifen und wäre zudem an dieUniversität als Ort der Institutionalisierung gebunden.« 1

[3] Genau diese Perspektive auf die germanistische Fachgeschichte in ihrerKoppelung an die Institutionengeschichte nimmt nun das zehn Jahre nachGardts historischem Abriss zur Sprachwissenschaft von Jost Schneiderherausgegebene Handbuch Methodengeschichte der Germanistik ein. Woder Band seinen Gegenstandsbereich einerseits historisch mit Blick auf dieEntwicklung germanistischer »Methoden« seit der universitärenInstitutionalisierungsphase im 19. Jahrhundert eingrenzt, weitet er ihnandererseits systematisch – zumindest dem Anspruch nach – über dieeinzelnen Teildisziplinen auf die gesamte Germanistik aus.

[4] Jost Schneider expliziert in seiner umfangreichen Einleitung (S. 1–31)zunächst die methodischen und terminologischen Vorentscheidungen, diedem Band zugrunde liegen. Anders als es eine systematische Darstellungzu leisten habe, könne eine historische Darstellung nach Schneider nichtmit einer scharfen begrifflichen Unterscheidung zwischen ›Theorie‹ und›Methode‹ operieren, da diese Systematisierung »zu einer vor­pluralistischen und deshalb anachronistischen […] Perspektivierung führenmüsste« (S. 2). Der Band legt daher einen weiten Methodenbegriff

zugrunde, bzw. ein Methodenverständnis,

[5] das nicht auf einer vorgängigen Differenzierung zwischenTheorien, Methoden, Paradigmen usw. beruht, sondern alle›Ansätze‹ zu integrieren versucht, die zumindest von bestimmtenwissenschaftstheoretischen Positionen aus, die aber nichtdiejenigen des Herausgebers oder des Artikelautors seinmüssen, als Methoden wahrgenommen und bezeichnet wordensind. (S. 2)

[6] Diese methodische Abgrenzung einer Methodengeschichte der Germanistikgegenüber einer systematischen Darstellung gegenwärtiger»germanistischer« Methoden und Theorien trägt grundsätzlich dernotwendigerweise unterschiedlichen Perspektivierung diachroner undsynchroner Darstellungen Rechnung. Dass die spezifischePerspektivierung des vorliegenden Bandes einleitend reflektiert undargumentativ plausibilisiert wird, ist in jedem Fall sehr zu begrüßen. Trotzder im Gesamten nicht zu bestreitenden Leistungen des Bandes 2 weisenmeines Erachtens allerdings sowohl die Konzeption als auch – in der Folge– einzelne Beiträge einige Schwächen auf.

[7] Die weite Fassung des Methodenbegriffs ist dabei zumindest ein strittigerPunkt. Schneider verweist darauf, dass Termini wie ›Theorie‹, ›Methode‹oder ›Paradigma‹ einerseits (wissenschafts)historischem Wandelunterworfen sind, dass andererseits deren Gebrauch zur Benennung dereigenen Position innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses häufigWiderspruch hervorgerufen habe (vgl. S. 2). In seinerAblehnung absoluterBegriffssetzungen ist Schneider durchausanschlussfähig; nicht mehr anschlussfähig erscheint seine Position in derKonsequenz, auch eine differenzierende, relationale Begriffsverwendungzugunsten einer unspezifizierten Begriffsverwendung zu unterlassen und sodie zu Beginn der Einleitung angesprochene Funktion derselben (d.h. die»Vorbesinnung und Reflexion« über die Probleme derMethodengeschichtsschreibung, nämlich »die Selektion und dieReihenbildung sowie die innere Strukturierung und die Anordnung derArtikel«, S. 1) zu verabschieden.

[8] Schneider argumentiert für einen weiten Methodenbegriff mit Blick auf dieVermeidung eines terminologischen Anachronismus (vgl. S. 2).Problematisch dabei ist jedoch, dass sich durch die undifferenzierteVerwendungsweise des ›Methoden‹­Begriffs als Oberkategorie fürTheoriemodelle, Methoden, Paradigmen etc. – so schwierig derenAbgrenzung voneinander im Einzelnen auch sein mag – letztlich eineahistorische Begriffsverwendung ergibt. Die von Schneider proklamierten»neutrale[n] deskriptive[n] Kategorien« (S. 3) können ›Theorie‹, ›Methode‹und ›Paradigma‹ überhaupt erst dann sein, wenn sie in ihrer jeweiligenBedeutung ein­ und abgegrenzt sind. Denn sonst sind siemöglicherweiseneutral in dem Sinne, dass keine klare Wertung mit ihnenverbunden ist, keineswegs jedoch deskriptiv.

[9] Neben dem diskutablen Methodenverständnis werden die konzeptuellenSchwächen des Handbuchs meines Erachtens in zwei zentralen Punktenvirulent, nämlich (1.) in Bezug auf das nominalistische Konzept von

›Geschichte‹, das der Darstellung zugrunde liegt, sowie (2.) in Bezug aufdas faktische Auseinanderklaffen von Anspruch und Einlösung, was denGeltungsbereich einer gesamten Germanistik angeht.

[10] Methodengeschichte der Germanistik – oder doch eher der Literaturwissenschaft?

[11] Zunächst zum zweiten Kritikpunkt: Schneider zufolge wird in dervorliegenden Zusammenstellung »keine Dominanz der Neugermanistikunterstellt, sondern auch – soweit dies im jeweiligen Fall sachlichangemessen ist und soweit es den Artikelverfassern möglich war – dasFeld der Linguistik und der Mediävistik mit einbezogen.« (S. 3) Der Bandsoll damit etwas leisten, was, so Schneider, »nicht in allen Publikationen zudiesem Thema berücksichtigt wird« (S. 3) – doch gerade in Formulierungenwie der obigen zeigt sich, dass auch die vorliegende Publikationdiesbezüglich keine Ausnahme darstellt: Die Perspektive des Handbuchsist dezidiert literaturwissenschaftlich – wäre sie »germanistisch« im Sinneeiner den drei Teilfächern entsprechenden dreifachen disziplinärenPerspektive, würde sich die Frage nach der sachlichen Angemessenheitund der Kompetenz, Zuständigkeit etc. der Artikelverfasser (und desentsprechend zu erwartenden Herausgeberteams) nicht stellen. Linguistikund Mediävistik bzw. ältere Philologie wären dann keine Felder, diemiteinzubeziehen wären, sondern Teilbereiche des Feldes, das in dermethodengeschichtlichen Darstellung abgedeckt werden soll.

[12] Den Anspruch, eine Methodengeschichte der gesamten Germanistikvorzulegen, d.h. sowohl der germanistischen Sprach­ wieLiteraturwissenschaft (der neueren wie älteren Philologie), kann der Bandnicht einlösen. 3 Die »gesamtgermanistische« Öffnung des Sichtfeldserfolgt nur punktuell: Methodisch­theoretische Zugriffe der Mediävistik bzw.der Älteren deutschen Philologie werden etwa im Beitrag von RüdigerNutt­Kofoth zur »Editionswissenschaft« (S. 109–132) und im Beitrag zur»Performativitätsforschung« von Hans Rudolf Velten (S. 549–571) näherbeleuchtet. Der gelungene Beitrag von Doris Mosbach zur »Semiotik«(S. 629–660), der strukturell durch seine differenzierteUntergliederung 4heraussticht, liefert im Abschnitt 3 zuInstitutionengeschichtlichem unter »3.1 Frühe Zeichenkonzeptionen« und»3.2 Klassische Theorien und Schulen der Semiotik im 20. Jahrhundert«einen pointierten methoden­ und theoriegeschichtlichen Überblick. UnterAbschnitt 3.2 gelingt Mosbach auf knapp sechs Seiten eine dichte unddennoch übersichtliche Darstellung der verschiedenen strukturalistischenund poststrukturalistischen Sprach­ und Zeichentheorien mit ihrer jeweiligenAxiomatik, ihrer wissenschaftsgeschichtlichen Kontextualisierung und ihrergegenwärtigen Relevanz. Einen theorie­ und methodengeschichtlichenBeitrag zum »Strukturalismus«, der auch für die Linguistikfach(geschicht)liche Relevanz beanspruchen kann, liefert KerstinKucharczik (S. 679–700). Wie Mosbach nimmt auch Kucharczik diebreiteren wissenschaftsgeschichtlichen Zusammenhänge undtheoriegeschichtlichen Traditionslinien in den Blick. In ihrem Fazit imAbschnitt »Fachgeschichtliche Einordnung« (S. 696 f.) macht sie deutlich,dass eine Methodengeschichte auch methodisch, d.h. in Fragen derSelektion und Reihenbildung (vgl. Einleitung von Schneider, S. 1 ff.) von

einem weniger auf Theorieakkumulation als vielmehr aufTheorie(ko)evolution gerichteten Blick nur profitieren kann. So lässt sich mitKucharczik der vermeintlich arbiträre, synchron vorliegendeMethodenpluralismus als diachroner Prozess der Ausdifferenzierungperspektivieren:

[13] In der Literaturwissenschaft sind trotz z.T. erheblicherDifferenzierungen strukturalistische Grundannahmen auch inaktuelleren wissenschaftstheoretisch orientiertenLiteraturtheorien zu finden, so in der EmpirischenLiteraturwissenschaft, der Systemtheorie, der AnalytischenLiteraturwissenschaft sowie in dem von Umberto Ecokonzipierten semiotischen Textmodell. Letztlich basieren auchDekonstruktion und Poststrukturalismus, die wesentlich zurÜberwindung des Strukturalismus beigetragen haben, auf derMöglichkeit der Anwendung strukturalistischer Methoden undVerfahrensweisen. (S. 687)

[14] Während hier im Artikel zum Strukturalismus die Perspektive auf denliteraturwissenschaftlichen Anwendungs­ und Diskursbereich eher partiellgesetzt wird, steht diese in den Beiträgen von Ulrich Schmid zur»Linguistische[n] Poetik« (S. 323–336) und zum »[Russischen]Formalismus« (S. 155–169) hingegen klar im Zentrum.

[15] Vermisst wird in jedem Fall ein Beitrag zur Begriffsgeschichte und/oderHistorischen Semantik – hier hätte zudem die Chance bestanden, sprach­und literaturwissenschaftliche Theorie­/Methodenentwicklungen zueinanderin Bezug zu setzen. 5 Auch die (in sich keineswegs homogene)literaturwissenschaftliche Emotionsforschung 6 hätte inderMethodengeschichte der Germanistik Beachtung finden können – sei esim Beitrag zur »Literaturpsychologie / PsychoanalytischeLiteraturwissenschaft« von Joachim Pfeiffer (S. 355–384), auf den imFolgenden näher einzugehen sein wird, sei es im Beitrag»Textwirkungsforschung / Empirische Literaturwissenschaft« 7 von MargritSchreier (S. 721–745). Auch hier hätte sich ein fruchtbarer Blick über dieDisziplinengrenzen hinaus ergeben können, da die Emotionsforschung injüngerer Zeit sowohl innerhalb der NDL wie auch der Mediävistik bzw. ÄDPan Relevanz gewonnen hat. 8

[16] Problematische Verengungen des Blicks – fehlende Differenzierungen und Relationen

[17] Problematisch erweisen sich einzelne Beiträge dort, wo der Fokus auf dieTheorie­ und Methodengeschichte einzelner Ansätze den gegenwärtigenForschungsstand ausblendet und hinter den Stand der disziplinärenAusdifferenzierung zurückfällt. Dieses Differenzierungsdefizit resultiertdabei letztlich, wie im Folgenden deutlich gemacht werden soll, aus einernominalistischen Konzeptualisierung theorie­ und methodengeschichtlicherKonstellationen.

[18] Werfen wir zunächst einen Blick auf zwei konkrete Beiträge, an denen die

diesbezüglichen konzeptuellen Schwächen des Bandes exemplarischdeutlich werden: die Artikel »Literaturpsychologie / PsychoanalytischeLiteraturwissenschaft« von Joachim Pfeiffer (S. 355–384) und»Feministische Literaturwissenschaft« von Sara Lennox (S. 133–153). Inbeiden Fällen handelt es sich um Beiträger, deren grundsätzliche fachlicheExpertise außer Zweifel steht. 9 Dennoch liegt in beiden Fällen ein sehrenger Fokus auf die methodisch­theoretischen Konstellationen und damitschließlich ein problematisches – und mit Blick auf theorie­ undmethodengeschichtliche Zusammenhänge meines Erachtens besondersschwerwiegendes – Differenzierungsdefizit vor. In Lennox’ Beitrag blendetdie Subsumption gendertheoretischer Ansätze unter dem Signum»Feministische Literaturwissenschaft« die seit den 1970er Jahrenvollzogene Theorieentwicklung völlig aus: Die zunehmendeInstitutionalisierung der anfänglich klar ideologie­ und gesellschaftskritischausgerichteten feministischen Ansätze in Form von gendertheoretisch (z.T.dekonstruktivistisch, narratologisch oder diskursgeschichtlich)ausgerichteten Zugriffen innerhalb des literatur­ undkulturwissenschaftlichen Kernbereichs. Dass die Unterscheidung zwischen»feministischen« und gender­theoretischen Ansätzen axiomatischbetrachtet nicht immer ohne weiteres vorzunehmen ist, dass aber nichtsdestotrotz Gender Studies eine eigene Forschungsrichtung darstellen,macht etwa die aktuelle Einführung von Franziska Schößlerdeutlich. 10Eine sehr differenzierte Darstellung der entsprechendenTheorie­ und Forschungsgeschichte liefert auch Jutta Osinski mitihrer Einführung in die feministische Literaturwissenschaft (Berlin: Schmidt1998). Anders als der Titel des Bandes suggeriert, nimmt Osinskigerade keine Gleichsetzung von feministischen und gender­orientiertenAnsätzen vor. Stattdessen skizziert sie die unterschiedlichenForschungstraditionen vor allem im französischen, angloamerikanischenund deutschen Sprachraum, beleuchtet die einzelnen Positionen in derenjeweiligen kulturhistorisch­institutionellen Kontexten und zeigt derenmitunter problematische, da ideologisch basierte Prämissen auf. 11 GenderStudies nicht als eigenes Lemma in einer Methodengeschichte anzuführen,ließe sich nun auf der Basis von Osinskis Begriffsexplikation sogarplausibilisieren:

[19] Die Gender Studies sind […] in den 90er Jahren zumSammelbegriff für feministische und nichtfeministische Arbeitenin den Kulturwissenschaften geworden, dieGeschlechterverhältnisse als kontextabhängige Konstrukte inden verschiedensten Bereichen thematisieren. Sie sind keine»Methode« und haben kein »Modell«, sondern sie bezeichnenein thematisches Interesse, das in verschiedenen Disziplinen mitunterschiedlichen Gegenstandsbestimmungen und Verfahrenverfolgt wird. 12

[20] Mit Blick auf den einleitenden Abschnitt in Lennox’ Beitrag wird jedochmeines Erachtens deutlich, dass nicht Vorbehalte gegenüber einerbegrifflichen Unschärfe und der Suggestion einer einheitlichenMethodikgender­orientierter Ansätze Grund für die Abwesenheit diesesLemmas ist – sondern das Ausblenden theorie­ undmethodengeschichtlicher Ausdifferenzierungsprozesse:

[21] Feministische Literaturwissenschaft setzt sich mit inhaltlichenund formalen Repräsentationen von Frauen, von Gender undvon Genderbeziehungen sowie mit der Darstellung vonWeiblichkeit in literarischen Texten auseinander. (S. 133)

[22] In gender­orientierten Ansätzen liegt der Fokus mittlerweile gerade nichtmehr ausschließlich auf literarischen/medialen Repräsentationen von›Weiblichkeit‹, sondern auch auf Repräsentationen von ›Männlichkeit‹ bzw.von Geschlechtlichkeit allgemein.

[23] Ähnlich selektiv bleibt der Blick auf die Theorie­ und Forschungsgeschichteauch im zweiten Fall: Zwar grenzt Pfeiffer ›psychoanalytischeLiteraturwissenschaft‹ von dem weiteren, »auch nicht­analytischeRichtungen« (S. 355) umfassenden Begriff der ›Literaturpsychologie‹ ab,geht im Folgenden jedoch nicht auf die beiden exemplarisch genannten»nicht­analytischen« Ansätze von Norbert Groeben (»empirischeLeserpsychologie«) und Reinhold Wolff (»assoziationstheoretischeVerfahren«) ein. Die faktische Gleichsetzung von Literaturpsychologie mit»psychoanalytischer Literaturwissenschaft« ignoriert völlig dieHeterogenität dieses Theoriebereichs respektive die aktuellenEntwicklungen innerhalb der literaturpsychologisch ausgerichtetenForschung. 13 Dass die in der Auswahlbibliographie aufgeführten Schriftender beiden exemplarischen Vertreter aus den 1970er Jahrenstammen, 14macht den methodengeschichtlichen »Tunnelblick« nocheinmal sehr deutlich: Aktuelle Studien wie die emotionspsychologischeAnalyse der Literatur der Aufklärungsepoche von Katja Mellmann, 15 dieauf evolutions­ und kognitionspsychologischen Ansätzen basieren, findenkeine Erwähnung.

[24] Thomas Anz – dessen einschlägige Arbeiten 16 in derAuswahlbibliographie wie auch im Text selbst ebenfalls nicht genanntwerden – geht in seinem Artikel »Psychologie« im Theorie­ undMethodenband des Handbuchs Literaturwissenschaft auf die aktuelleAusdifferenzierung innerhalb des Forschungsbereichs derLiteraturpsychologie ein:

[25] Im ersten Jahrzehnt des 21. Jh.s existiert nach wie vor einezumindest schwach institutionalisierte, vereinzelt vonausgebildeten Psychologen, in der Mehrzahl von psychologischinteressierten Literaturwissenschaftlern betriebeneLiteraturpsychologie. In ihrem Rahmen hatte diePsychoanalytische Literaturwissenschaft lange eine auffälligeDominanz. Im 21. Jh. hat sie vor allem durchliteraturwissenschaftliche Rekurse auf Theorieelemente undForschungsansätze der Kognitionspsychologie (vgl. II.5.4.3) undder Evolutionären Psychologie (vgl. II.6.14) starke Konkurrentenbekommen. 17

[26] Dass eine diachron ausgerichtete Perspektive auf Theorien und Methodengut daran tut, nicht aufgrund der vermeintlichen »Nichtdarstellbarkeit«gegenwärtiger Entwicklungen zu weit vor der Gegenwart halt zu machen,zeigen Anz’ Ausführungen zum Aktualisierungs­ und»Verwissenschaftlichungspotential« neuerer literaturpsychologischer

Ausrichtungen in Bezug auf tradierte Bereiche philologischerKonzeptualisierung:

[27] Die Leistung kognitionspsychologischer undevolutionspsychologischer Orientierungen in derLiteraturwissenschaft, die im ersten Jahrzehnt des 21. Jh.s.zunehmende Dominanzgewinne für sich verbuchen können,liegen nicht zuletzt in der präzisierenden Reformulierung und ­aktualisierung älterer, vielfach schon ad acta gelegter Begriffeund Konzepte der Poetik, Ästhetik und Hermeneutik. 18

[28] Hier zeigt sich meines Erachtens die Problematik des historisch sehrverengten Blicks, der sich aus Schneiders Selektionsstrategie ergibt. Wieeine Tabelle auf Seite 5 der Einleitung illustriert, liegt der Fokus des Bandesauf der Entwicklung und Etablierung theoretisch­methodischer Ansätze fürden Zeitraum von 1830 19 bis 2009 – unterschieden in Formationsphase,Durchsetzungsphase und Perseveranzphase. 20 Eingang in das Handbuchfinden jedoch nicht alle ›Methoden‹, sondern nur solche, die als bereits vordem Jahrtausendwechsel etabliert gelten können. So lässt der 2009erschienene Band mit Blick auf die Herausbildung neuer Theorie­ undMethodenkonzepte beinahe zwei Dekaden in seiner Darstellung letztlichunberücksichtigt:

[29] Da in diesem Band konzeptionsgemäß nur solche Methodenberücksichtigt werden sollten, die bereits ihre Durchsetzungs­/Akutphase durchlebt haben, wurde in der Tabelle für denZeitraum ab 1990 [!] keine Auflistung der Formationsphasengeliefert. (S. 7)

[30] In diesem Sinne sind die hier exemplarisch umrissenen Beiträge letztlichkaum zu beanstanden – erfüllen sie doch voll und ganz die vomHerausgeber vorgestellte Programmatik. Die einzelnenDifferenzierungsdefizite erweisen sich damit aus meiner Sicht als Effekteeiner konzeptionellen – methodischen – Schwachstelle desmethodengeschichtlichen Handbuchs. Den Schlusspunkt für dieBerücksichtigung sich »formierender« Theorie­ und Methodenzugriffe in dervorliegenden historischen Darstellung um 1990 zu legen, ist alspragmatische Entscheidung nachvollziehbar; unbefriedigend wird siejedoch dann, wenn sie im Einzelnen dazu führt, dass wesentlicheAusdifferenzierungen und relevante Neupositionierungen der vorgestelltenAnsätze ausgeblendet werden.

[31] Geschichte ohne Geschichte – eine Akkumulationliteraturwissenschaftlicher ›Methoden‹?

[32] Damit komme ich zum zweiten eingangs formulierten Kritikpunkt, demnominalistischen Geschichtsbegriff, der innerhalb der Programmatik desBandes deutlich wird. Wie oben bereits umrissen, grenzt sich derBandMethodengeschichte der Germanistik von methodengeschichtlichenDarstellungen wie etwa Thomas Anz’ Handbuch Literaturwissenschaft 21ab(vgl. S. 3, Fußnote 4), die nach Schneider dazu neigen, »›große

Erzählungen‹ (Lyotard) zu produzieren, in denen ›die‹ Entwicklung ›der‹Germanistik als geordnetes Nacheinander von sich ablösendenParadigmen dargestellt wird.« (S. 3)

[33] ›Der‹ Entwicklungsgang der Germanistik führt dann imWesentlichen von einer theologisch­altphilologisch geprägtenVor­ oder Frühzeit des Faches über die Ära derNationalphilologie und die Epoche der Geistesgeschichte hin zuden Innovationen der 1960er­ und 1970er­Jahre. Einegraphische Veranschaulichung der Argumentationsstrukturderartiger Darstellungen würde eine Kette ergeben, von derenEinzelgliedern zwar hier und da Nebenwege abzweigen, diejedoch eine Hauptrichtung, einen Hauptstrom der Entwicklung,erkennen lässt. (S. 3 f.)

[34] Abgesehen davon, dass das Bild der Kette mit den »abzweigendenNebenwegen« und dem »Hauptstrom der Entwicklung« in seinerVerbindung dreier semantischer Felder recht schief ist, stellt sich die Frage,auf welche aktuellen fach­ und theoriegeschichtlichen DarstellungenSchneiders Vorwurf einer solchen unterkomplexen»Argumentationsstruktur« tatsächlich zutrifft – neben dem in Fußnote 4genannten Handbuch Literaturwissenschaft von 2007 führt Schneider alsexemplarisch noch Jost Hermands Geschichte der Germanistik von 1994an, weitere konkrete Beispiele finden sich nicht.

[35] Die – abstrakte – Abgrenzung von wissenschaftsgeschichtlichenDarstellungen, die auf Relationen, Verbindungen und (vermeintlichlinearen) Entwicklungen fokussieren, stellt dennoch eine praktikable Basisfür Schneiders Programmatik: Ihm geht es gerade nicht darum,Traditionslinien in der Konzeption, Rezeption und Veränderung vonTheorien, Modellen und Methoden aufzuzeigen. Sein gewähltes Bild istentsprechend das der Anhäufung, Anlagerung:

[36] Die der vorliegenden Übersicht zu Grunde liegende Vorstellungist demgegenüber [d.h. in Abgrenzung zu Darstellungen, die aufwissenschaftsgeschichtliche Entwicklungen fokussieren, N.I.]eher die einer Akkumulation. Wir haben es dabei nicht mit einerAusdifferenzierung zu tun, wie sie in Gestalt eines sich immerfeiner verzweigenden Baumes graphisch veranschaulichtwerden könnte, sondern mit einer Akkumulation, bei der immermehr einzelne Komponenten von außen hinzutreten und sichanlagern. (S. 4)

[37] Indem er den (Gegen­)Begriff der ›Ausdifferenzierung‹ anspricht, grenztsich Schneider implizit gegen wissenschaftsgeschichtliche Ansätze wieetwa den Niklas Luhmanns ab, der evolutions­ und systemtheoretischeTheoreme vereint: Mit Luhmann bedeutet Ausdifferenzierung im Bereichvon Wissen(schaft), dass von Wissens­ und Forschungstraditionenabweichende Ansätze – also theoretisch­methodische Innovationen–»positives feedback« aus der (disziplinären) Umwelt erfahren. 22

[38] Mit dem von Schneider gewählten Bild des sich verästelnden Baumes wirddeutlich, dass sich für ihn das Konzept der ›Ausdifferenzierung‹ mit der

Annahme eines Organismus­Modells verbindet. Dass ein solches Modell,das zumeist mit ideologisch gefärbten Prosperitäts­ und Dekadenztheseneinhergeht, mittlerweile in wissenschaftsgeschichtlichen Darstellungen einedeutliche Randposition einnehmen dürfte, scheint mir gegeben. Ebenfallsdeutlich wird an dieser Stelle aus meiner Sicht ein grundlegender »radikal­konstruktivistischer« Fehlschluss, nämlich dass Evolutionsmodellen eineTeleologieannahme zu eigen sei. Hier hilft ein – durchaus kritischer – Blickin Luhmanns Ausführungen zur wissenssoziologischen Adaption derEvolutionstheorie, der Abgrenzung von evolutiven Phasenmodellen undeinem teleologisch interpretierbaren Konzept der ›Adaptation‹. 23

[39] Schneiders ›Akkumulationsmodell‹ mag nun gewissermaßen demInnovationsgebot geschuldet sein, dem sich auch der Bereich derWissenschaftsgeschichte nicht entziehen kann; mindestens so relevant wieder innovative Gehalt einer diachronen Darstellungen ist jedoch ihresachliche Angemessenheit. 24 Ein kumulatives Darstellungsprinzip blendetjedoch die vielfältigen Abgrenzungs­ und Ausdifferenzierungsbeziehungenaus, die die Methoden­ und Theoriengeschichte auch der Germanistikprägen. Schneiders erster, »für offenkundig« gehaltener »Befund« (S. 8) istdementsprechend relationsverweigernd:

[40] Die Methodengeschichte der Germanistik folgt dem Prinzip derbeständigen Akkumulation. Es treten fortlaufend neuemethodische Instrumente hinzu, die aber am Ende ihrerDurchsetzungsphase nicht ganz verschwinden, sonderngewissermaßen in der Werkzeugkiste verbleiben und weiterhinzur Lösung bestimmter Spezialaufgaben benutzt werden. (S. 8)

[41] Die wissenschaftsgeschichtliche Annahme eines »Prinzip[s] derbeständigen Akkumulation« hat kaum Erklärungspotential für historischeEntwicklungen – und kann ›Methoden‹ nur als im Wesentlichen nichtzueinander in Beziehung stehende ›Tools‹ in einem Werkzeugkastenerfassen. Um es noch einmal deutlich zu machen: Das Bild vom ›tool kit‹ istnicht generell »schlecht« – für eine diachron ausgerichtete Darstellungliefert es jedoch meines Erachtens kein befriedigendes Konzept. Anders alsdie (eng verstandene) Synchronie bzw. Systematik mussdie DiachronieFragen zu den Gründen und Prinzipien historischenWandels beantworten können. Das hier postulierte ›Akkumulationsprinzip‹scheint dies dem Begriff nach zu leisten, bei genauer Betrachtung zeigt sichaber, dass es sich der Schwierigkeit gerade entzieht, Strukturwandelerklären zu müssen: Wo Kumulation vorliegt, gibt es keinen eigentlichenWandel, sondern nurZuwachs. Entsprechend fällt konsequenterweise auchSchneiders »Resümee« aus,

[42] dass in mehr als 90 Prozent aller dokumentierten Fälle keinAbsterben und endgültiges Verschwinden einer einmaletablierten und konsolidierten Methode konstatiert werden kann,sondern dass in aller Regel erhalten bleibt, was in einerDurchsetzungsphase durchgesetzt wurde und in der alltäglichenBerufspraxis zumindest in bestimmten Anwendungsgebietensolide Arbeitsergebnisse erbringt. Die Bezeichnung einerMethode mag in ihrer Perseveranzphase aus demfachöffentlichen Diskurs verschwinden; die Sache selbst bleibt

jedoch in der Regel erhalten. (S. 9)

[43] Auch wenn Schneider sich hier vermeintlich von einer nominalistischenPerspektive distanziert, liegt seinem Akkumulationsmodell eine ebensolchenominalistische Axiomatik zugrunde, die nicht auf Relationen,Interdependenzen und Abgrenzungsstrukturen blickt, sondern aufunabhängig voneinander existierende ›Entitäten‹, deren jeweiligeBenennung zwar historisch variieren kann, die jedoch selbst keinenhistorischen Wandel erfahren. Nimmt man die Akkumulationsthese ernst,wird Wissenschaftsgeschichte damit letztlich arbiträr.

[44] Dass jedoch auf der Basis der Arbitraritätsthese die Schwierigkeitendiachroner Darstellungen – also ganz zentral: die Probleme der Selektionund Präsentation historischer Ereignisse, Entwicklungen, etc. – nicht zulösen, sondern nur als unliebsamer Ballast über Bord zu werfen sind, wirdbei den entsprechend ausgerichteten Unternehmungen recht schnelldeutlich. Verwiesen sei hier exemplarisch auf den von David E. Wellbery etal. herausgegebenen Band Eine Neue Geschichte der deutschenLiteratur(2007) 25 , der – ganz ähnlich dem hier besprochenen Band – denFaktor der Kontingenz (vgl. S. 18 f.) als grundlegend für historische Abläufeansieht. Martin Huber fasst Wellberys Programmatik in seiner Rezensionzusammen:

[45] Sie [i.e. Wellberys Literaturgeschichte bzw. deren Programmatik,N.I.] geht davon aus, dass die Bedeutung literarischer Texteuntrennbar an den einzelnen Moment gebunden ist, sowie an dieTatsache, dass Texte kontingente Ereignisse sind, die nichtmiteinander im Zusammenhang stehen. TraditionelleLiteraturgeschichten verfehlten diese Dimension, da sie dieTexte als Ausdrucksform einer bestimmten Kraft, Tendenz oderNorm verstehen. Ein Hauptziel der »Neuen Geschichte« sei eshingegen, einen Präsentationsstil zu finden, der diese Dimensionder kontingenten, zufälligen Begegnungen wieder sichtbarmacht. 26

[46] Wie Martin Huber anhand des Auseinanderklaffens von Programmatik undtatsächlich gebotenem Programm zeigt, löst die NeueLiteraturgeschichteden aufgestellten Innovationsanspruch nicht bzw.höchstens im Sinne einer Entäußerung der Textsortenfunktionliteraturgeschichtlicher Darstellungen ein. 27

[47] Literatur­ wie Wissenschaftsgeschichte teilen hier die gleichen Probleme,wie sie Rainer Rosenberg für den Bereich derLiteraturgeschichtsschreibung auf den Punkt gebracht hat: In seinemÜberblickskapitel zu literaturgeschichtlichen Epochenbegriffen in demetwas älteren Einführungsband Literaturwissenschaft. Ein Grundkurs (1992)umreißt er das poststrukturalistische Arbitraritätsaxiom, das die DiskussionEnde des 20. Jahrhunderts kennzeichnete:

[48] Mit dem Auslaufen der meisten größerenLiteraturgeschichtsprojekte in den letzten Jahren ist dieDiskussion um Periodisierungsfragen in der deutschenLiteraturwissenschaft abgeebbt. Während die von Luhmann

erwogene Möglichkeit, die Epochensequenz auch instrukturgeschichtlich konzipierteGeschichtsverlaufsdarstellungen aufzunehmen und nach denStufen der Systemdifferenzierung zu periodisieren, eigentlichdazu angetan war, die Historiker­Debatte über das Verhältnisvon Struktur­ und Ereignisgeschichte neu anzufachen, wird vompoststrukturalistischen Standpunkt aus wieder häufiger die»Arbitrarität der Konstitution von Epochenbegriffen«hervorgehoben und die gesamte Problematik alswissenschaftlich unergiebig angesehen. 28

[49] Erfreulich ist nun, dass post­poststrukturalistisch die Nachfrage nachdiachronen Perspektiven auf die Gegenstands­ wie Fachgeschichte wiederzu steigen scheint; Modellierungsversuche wie der von Wellbery und auchder von Schneider bleiben aufgrund ihrer problematischen Axiomatik jedochunbefriedigend.

[50] Exemplarisch für wissenschaftsgeschichtliche Darstellungen, die denAspekt der Relationalität besonders stark machen, lässt sich im Kontrastder Band Sprachphilosophie der Linguistin Elisabeth Leiss anführen. Indieser – ohne Frage perspektivisch selektierenden – Geschichtesprachwissenschaftlicher und ­philosophischer Theoriebildung präpariertLeiss die verschiedenen Axiomatiken heraus und macht Traditionslinien wieAbgrenzungsverhältnisse, Radikalisierungen wie »Wiederentdeckungen«von Theoriemodellen deutlich. Am Beispiel der verdeckten Traditionslinieeiner aus heutiger linguistischer Perspektive anschlussfähigenGrammatiktheorie, die auf der Mereologie (i.e. der Lehre der Teil­Ganzes­Beziehungen) basiert und von Aristoteles über die mittelalterlichenModisten bis hin zu Peirce und Wittgenstein nachzuzeichnen ist, weistLeiss entschieden darauf hin,

[51] dass man im Bereich der geisteswissenschaftlichenErkenntnisse nicht einfach komplexe Produkte desmenschlichen Geistes aus dem Boden stampfen kann. Genausowenig wie ein Einzelner ohne jegliche Kenntnisse destechnischen Wissenstands einen Satelliten entwickeln kann,genauso wenig kann ein einzelnes Individuum in einergenialischen Geste eine hochentwickelte Grammatiktheorie oderirgendein anderes komplexes geistiges Produkt entwickeln. DerGeniekult hat von dieser einfachen, aber elementaren Einsichtlange abgelenkt. 29

[52] Geht man z.B. auf der Basis eines kumulativen Modells nicht vonEntwicklungszusammenhängen methodisch­theoretischer Ansätze aus –die natürlich nicht unterkomplex als geradlinige »Ketten« gedacht werden –,lassen sich weder »verdeckte« Traditionslinien erkennen, noch lässt sichdie axiomatische Unvereinbarkeit oder Anschlussfähigkeit verschiedenerPositionen erfassen.

[53] Schneiders Ablehnung einer methoden­ und theoriegeschichtlichenDarstellung, die die Bedingungsgefüge (Traditionen, Abgrenzungen) derjeweiligen Perspektiven sichtbar machen will, ist dabei natürlich wenigerdem Geniemodell geschuldet, als eben einer nominalistischen Axiomatik.

›Akkumulation‹ als Ordnungsschema ist aus dieser Perspektive vielleichtdie einzig sinnvolle Strukturierung – in jedem Fall aber weicht diesesSchema den Grundproblemen diachroner Betrachtungen aus,dieErklärungen für historischen Wandel liefern müssen. Dassgeschichtliche Darstellungen (motivierte) Konstrukte sind und überintersubjektiv plausibilisierte Selektionen und Perspektivierungen zustandekommen, steht außer Frage. Dass ein Handbuch, das sich»Methodengeschichte der Germanistik« nennt (man möchte eigentlich alleskursivieren …), gut daran tut, diesen Konstruktionscharakter zu beachtenund die eigenen Selektions­ und Systematisierungskriterien zu reflektierensowie zu plausibilisieren, erscheint als ebenso basal. DieSelektionskriterien, die Schneider in seinem einleitenden Beitragpräsentiert, genügen diesen Ansprüchen dabei meines Erachtens nicht.

[54] Die Stärken des Bandes: gelungene Einzelbeiträge außerhalb der programmatischen Grenzlinien

[55] Die ausführliche Auseinandersetzung mit den programmatischenSchwächen des Bandes soll dennoch nicht über seine Stärkenhinwegsehen: Überzeugen können die Einzelbeiträge gerade dann, wennsie über die von Schneider in dessen Einleitung eng gezogene Grenzlinienhinaustreten – beziehungsweise die programmatisch angekündigten»Grenzöffnungen« auch tatsächlich vornehmen. Wie eingangs bereitsumrissen, lösen etwa die Beiträge von Doris Mosbach zur Semiotik undvon Kerstin Kucharczik zum Strukturalismus die eigentlich angekündigtePerspektive über die germanistischen Teildisziplinen hinweg neben einerHandvoll anderer überzeugend ein.

[56] Ernst nimmt den in der Einleitung angekündigten GeltungsbereichderMethodengeschichte auch Lothar van Laak in seinem Artikel»Literarische Anthropologie« (S. 337–353), hier in historischer Hinsicht:Trotz des problematischen Ausschlusses von Theorie­ undMethodenkonstellationen, die erst nach 1990 ihre »Durchsetzungsphase«(vgl. S. 5 bzw. meine obigen Ausführungen zur dort präsentierten Tabelle)erfahren haben, ist es nach Schneider Ziel des Handbuchs, methodisch­theoretische Entwicklungen bis 2009 zu behandeln (vgl. ebd.). Wieexemplarisch an den Beiträgen »Literaturpsychologie / PsychoanalytischeLiteraturwissenschaft« und »Feministische Literaturwissenschaft« undderen »blinden Stellen« gezeigt wurde, wird der Band diesem Anspruchjedoch nicht durchgehend gerecht. Van Laaks Beitrag bezieht nun imGegensatz dazu die – in Relation zum Publikationsdatum des Handbuchs –aktuelle Forschung in seine Darstellung ein und liefert zudem einenpointierten Ausblick auf erwartbare zukünftige Methodendiskussionen derLiterarischen Anthropologie hin »zu einem umfassenderenForschungsprogramm einer Literatur­ und Medienanthropologie« (S. 352).

[57] Andere Beiträger wiederum ignorieren Schneiders Akkumulationsmodellund legen ihrer Darstellung eine auf Entwicklungszusammenhängeausgerichtete Perspektive zugrunde. So geht etwa Hans­EdwinFriedrichin seinem Beitrag zur »Rezeptionsästhetik / Rezeptionstheorie«(S. 597–628) – der eine knapp neunseitige kommentierteAuswahlbibliographie umfasst – explizit auf kontextualisierende theorie­ und

methodengeschichtliche Entwicklungen und Positionierungenrezeptionsästhetischer Ansätze gegenüber anderen Theoriekonstellationenein, vgl. exemplarisch S. 615:

[58] Die Rezeptionsästhetik als paradigmatische Tradition hob sichvon der werkimmanenten Interpretation kritisch ab.Insbesondere die Auflösung des ontologischen Werkbegriffsmarkierte eine entscheidende Differenz. Weitere Frontlinienverliefen zum Marxismus, dessen heterogenerLiteraturkonzeption Jauß den Entwurf einer autonomenLiteraturgeschichte entgegenhielt. […] Das Verhältnis zumFormalismus und zum Prager Strukturalismus wurde alsFortsetzung und zugleich kategoriale Erweiterung um diesoziologische Komponente verstanden.

[59] Abschließend beleuchtet Friedrich die theorie­ und methodengeschichtlicheRelevanz der Rezeptionsästhetik zudem mit Blick auf umfassendereEntwicklungslinien:

[60] Aus heutiger Perspektive lässt sich die Rezeptionsästhetik nichtals Paradigmawechsel bewerten; man kann höchstensfeststellen, dass Jauß den Versuch unternahm, angesichts destiefgreifenden Wandels in den Geisteswissenschaften eintheoretisches Konzept anzubieten. Sein paradigmatischerAnspruch wurde schon früh in Zweifel gezogen. (S. 617)

[61] Friedrich fasst schließlich pointiert zusammen, weshalb dieRezeptionsästhetik (nach Jauß) nicht mehr praktizierter Forschungszugriff,sondern »zum Gegenstand wissenschaftshistorischer Untersuchungengeworden« (S. 619) ist:

[62] Die Ausdifferenzierung der unterschiedlichen Problemfelder, fürdie die Rezeptionsästhetik trotz ihres holistischen Anspruchskeine arbeitsfähige Grundlage bereitstellte, führte zum Zerfalldes Konzepts. Es ist Ende der 1980er­Jahre faktischaufgegeben worden; seither finden sich auch nur mehrhistorisierende Zusammenfassungen des Gesamtkonzepts. 30

[63] Dem Faktor ›Kontinenz‹ kommt dabei – anders als in SchneidersProgrammatik eigentlich vorgesehen (vgl. S. 18 f.) – in Friedrichsdifferenzierten Ausführungen kaum eine relevante Erklärungsfunktion zu.

[64] Die Ausführungen zu den Qualitäten der verschiedenen Einzelbeiträgeließen sich fortsetzen – bei den Beiträgern liegen die Schwächen desBandes nicht, auch wenn die programmatischen Schwachpunktevorangehend an einzelnen Artikeln demonstriert wurden. Etwas unglücklichist es dennoch: Was der Band leistet, leistet er zum Teil trotz seiner inSchneiders ausführlicher Einleitung explizit gemachten Programmatik, nichtso sehr wegen und mit ihr.

[65] Fazit

[66] Wer sich über historische und aktuelle Perspektiven und Modellierungendes Gegenstandsbereichs, Theoriezusammenhänge und ­entwicklungenund – ja: auch methodische Ansätze innerhalb der germanistischenLiteraturwissenschaft (und dort vor allem der Neueren deutschenLiteraturwissenschaft) informieren möchte, findet in dem von Schneiderherausgegebenen Band eine nützliche Anlaufstelle. Seinen Anspruch, überdie literaturwissenschaftliche Perspektive hinauszugehen, löst dasHandbuch dabei nur in einzelnen Beiträgen ansatzweise ein. Insgesamtliefert es in seiner relativ kompakten Struktur und mit dem überzeugendenAufbau der Artikel eine praktikable, diachron orientierte Ergänzung zusystematisch ausgerichteten Darstellungen wie etwa demdreibändigenHandbuch Literaturwissenschaft von Thomas Anz oder auchdem Standardwerk Grundzüge der Literaturwissenschaft von Heinz LudwigArnold und Arnold Detering (1996 in neu erarbeiteter Fassung, 2008 in der8. Auflage erschienen). Letztere umfasst – anders als der hier besprocheneBand – zudem neben dem Personenregister noch ein umfangreichesGlossar sowie ein Sachregister, was den Gebrauch als Handbuch erheblichbefördert.

[67] In ihrer Grundkonzeption ist Schneiders Methodengeschichte jedochdurchaus kritisch zu sehen. Prämissen können unterschiedlich gesetzt sein– und müssen sich letztlich in der Praxis als fruchtbar erweisen. Auf derBasis der Akkumulationsthese, die Jost Schneider der »Selektion« und»Reihenbildung« in der Einleitung des Bandes zugrunde legt, müssenübergeordnete theorie­ und methodengeschichtliche Entwicklungs­ undAbgrenzungszusammenhänge – wie sie eine diachrone Darstellung ausSicht der Rezensentin in den Blick nehmen sollte – notgedrungen eherrandständig bleiben. Genau genommen liegt dem Band also zwar durchauseine Selektion methodisch­theoretischer Ansätze zugrunde,eineReihenbildung findet aber gerade nicht statt.

[68] Wie oben ausgeführt wurde, werden in einzelnen Beiträgen wie etwa demzur Literaturpsychologie und dem zur Feministischen Literaturwissenschaftproblematische Verengungen des Sichtfelds deutlich, die auf die demHandbuch zugrundeliegende Axiomatik zurückzuführen sind. Und hier liegttrotz der nicht in Abrede stehenden Stärken des Bandes und der imEinzelnen sehr gelungenen Beiträge die Krux: Ein HandbuchzurMethodengeschichte der Germanistik sollte es vermeiden, zum einenGrundlagen diachroner Darstellungen in seiner Programmatik zuverabschieden und zum anderen beim Erscheinen in Hinblick auf einigeBeiträge bereits selbst – historisch zu sein.

Dr. Natalia Igl Universität BayreuthSprach­ und Literaturwissenschaftliche FakultätNeuere deutsche LiteraturwissenschaftDE ­ 95440 BayreuthBesuchen Sie die Autorin auf ihrer Homepage!

Publikationsdatum: 29.10.2012

Fachreferent: Redaktion IASLonline.Redaktion: Veronika Kerschbaum.

Empfohlene Zitierweise:

Natalia Igl: Methodengeschichte der Germanistik zwischen Akkumulationsmodell undArbitraritätsthese. (Review article über: Jost Schneider [Hg.]: Methodengeschichte derGermanistik. Unter redaktioneller Mitarbeit von Regina Grundmann. Berlin, New York: Walterde Gruyter 2009.)In: IASLonline [29.10.2012] URL: <http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=3203>Datum des Zugriffs: 19.12.2014

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Anmerkungen

1 Andreas Gardt: Geschichte der Sprachwissenschaft in Deutschland. VomMittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Berlin, New York: de Gruyter 1999, S. 1. zurück

2 Vgl. hierzu auch die Rezension von Ralf Klausnitzer in der Zeitschrift fürGermanistik (20 [2010], S. 714–718). zurück

3 Allerdings spiegelt er die gegenwärtige Tendenz, ›Germanistik‹ mit der»großen« Teildisziplin Literaturwissenschaft gleichzusetzen; insofern magdas verwendete Etikett »historisch plausibel« sein. zurück

4 Das Grundgerüst der Beiträge besteht aus folgenden Gliederungspunkten: 1.Definition, 2. Beschreibung, 3. Institutionengeschichtliches, 4. Publikationen,5. Fachgeschichtliche Einordnung, 6. Kommentierte Auswahlbibliographie. zurück

5 Zur interdisziplinären Relevanz des Forschungsansatzes siehe aktuellfolgenden Band: Jörg Riecke (Hg.): Historische Semantik. (Jahrbuch fürGermanistische Sprachgeschichte, 2) Berlin, Boston: de Gruyter 2011; darinbesonders die Beiträge von Carsten Dutt, »Historische Semantik alsBegriffsgeschichte. Theoretische Grundlagen und paradigmatischeAnwendungsfelder« (S. 37–50) sowie einleitend Gerd Fritz, »HistorischeSemantik – einige Schlaglichter« (S. 1–19). zurück

6 Über den jüngeren Stand der Forschungsdiskussion informiert u.a. der Bandvon Thomas Anz / Martin Huber (Hg.): Literatur und Emotion. (Mitteilungendes Deutschen Germanistenverbandes 54/3) Aisthesis: Bielefeld 2007. zurück

7 Margit Schreier geht in ihrem Beitrag durchaus auf literaturpsychologischeStudien ein, dabei vereinzelt auch auf den einen oder anderen kognitions­und emotionspsychologisch ausgerichteten Beitrag; ein umfassendererÜberblick zur aktuelleren Methodendiskussion erfolgt jedoch nicht. zurück

8 Vgl. dazu den gelungenen Überblick von Elke Koch: Bewegte Gemüter. ZurErforschung von Emotionen in der deutschen Literatur des Mittelalters. In:Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 49 (2008), S. 33–54. zurück

9 So ist z.B. Joachim Pfeiffer neben Wolfram Mauser und Bernd UrbanMitherausgeber von Literaturpsychologie. Eine systematische, annotierteBibliographie (Würzburg 1989, Fortsetzungen und Nachträge indenFreiburger literaturpsychologischen Gesprächen 1991, 1994, 1998 und2001). zurück

10 Franziska Schößler: Einführung in die Gender Studies. (StudienbuchLiteraturwissenschaft) Berlin: Akademie 2008. zurück

11 In der kommentierten Auswahlbibliographie wird auch Osinskis Bandaufgeführt; die grundsätzlichen Ausführungen von Lennox zu Institutionen­und Fachgeschichtlichem sind – das sei hier noch einmal betont –differenziert und anschlussfähig. Der aus meiner Sicht problematischeDifferenzierungsmangel liegt in Bereich der Begriffsverwendung. zurück

12 Jutta Osinski: Einführung in die feministische Literaturwissenschaft. Berlin:Schmidt 1998, S. 122. zurück

13 Vgl. dazu auch die kritische Anmerkung von Mellmann zur Gleichsetzungvon ›Psychologie‹ mit ›Psychoanalyse‹ innerhalb der Germanistik: »Es isterstaunlich, wie lange sich im Laienverständnis der Philologen einTheoriemodell hat halten können, das in der zünftigen Psychologie längst nurnoch historischen Wert hat.« Katja Mellmann: Emotionalisierung – von derNebenstundenpoesie zum Buch als Freund. Eine emotionspsychologischeAnalyse der Literatur der Aufklärungsepoche. (Poetogenesis, 4) Paderborn:Mentis 2006, S. 14. zurück

14 Norbert Groeben: Literaturpsychologie. Literaturwissenschaft zwischenHermeneutik und Empirie. Stuttgart 1972; Reinhold Wolff: Strukturalismusund Assoziationspsychologie. Empirisch­pragmatische Literaturwissenschaftim Experiment: Baudelaires ›Les chats‹. Tübingen 1977. zurück

15 Katja Mellmann: Emotionalisierung – Von der Nebenstundenpoesie zumBuch als Freund. Eine emotionspsychologische Analyse der Literatur derAufklärungsepoche. (Poetogenesis, 4) Paderborn: Mentis 2006. zurück

16 Zu nennen gewesen wären etwa Anz’ Studie Literatur und Lust. Glück undUnglück beim Lesen (München: Beck 1998 / München: dtv 2002) oder seinBeitrag »Kulturtechniken der Emotionalisierung. Beobachtungen,

Reflexionen und Vorschläge zur literaturwissenschaftlichenGefühlsforschung« in: Karl Eibl / Katja Mellmann / Rüdiger Zymner (Hg.): ImRücken der Kulturen. (Poetogenesis 5) Paderborn: Mentis 2007, S. 207–239. zurück

17 Thomas Anz: Psychologie [Artikel]. In: Handbuch Literaturwissenschaft. Bd.2: Methoden und Theorien. Hg. von Thomas Anz. Stuttgart, Weimar: Metzler2007, S. 478–486, hier S. 479. Die von Anz genannten Ausdifferenzierungender Literaturpsychologie – die Kognitionspsychologie und die EvolutionärePsychologie – werden im Methodenband des Handbuchs im Artikel»Leserorientierte Theorien und Methoden« (Tilmann Köppe / Simone Winko,ebd., S. 324–336, bes. S. 332–336) bzw. im Artikel »Naturwissenschaft«(Karl Eibl, ebd., S. 486–495) behandelt. Die jeweils zitierte einschlägigeForschungsliteratur datiert durchaus nicht nur auf die letzte Dekade. zurück

18 Anz, Psychologie (siehe Anm. 17), S. 485. zurück

19 Der Zeitraum vor 1830 wird in der ersten Spalte zusammengefasst; alsdominante Ansätze werden Editionsphilologie, Gattungstheorie/ ­geschichteund Hermeneutik aufgeführt; als in der Herausbildung begriffen sind markiert:Positivismus, Nationalistisch­rassistische Germanistik, Geistesgeschichteund Mythen­Analyse. zurück

20 In Bezug auf die jeweils ohne Bildunterschriften abgedruckte Tabelle (S. 5)sowie das korrespondierende Liniendiagramm auf Seite 6 stellt sich dieFrage, wie die Datierungen im Einzelnen zustande gekommen sind. Wiewurde etwa die »Durchsetzung« eines methodisch­theoretischen Ansatzes»gemessen«, um die entsprechende Durchsetzungsphase datieren zukönnen? zurück

21 Spezifisch angeführt ist hier der 3. Band des Handbuchs, Institutionen undPraxisfelder. zurück

22 Vgl. Niklas Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft. Frankfurt/M.:Suhrkamp 1990, S. 556. Der grundsätzliche Modus von Strukturveränderungist mit Luhmann »die Differenz von Variation und Selektion« (ebd., S. 557). zurück

23 Vgl. exemplarisch Luhmann, Wissenschaft der Gesellschaft (siehe Anm. 22),S. 554–557. zurück

24 Zumal sich der innovative Gehalt eines radikalkonstruktivistischen Ansatzesdurchaus in Grenzen hält. So bringt etwa der Religions­ undGeschichtsphilosoph Richard Schaeffler in seiner 1973publiziertenEinführung in die Geschichtsphilosophie (im Folgenden zitiert inder 2., erw. Aufl. Darmstadt: WBG 1980) den generellenKonstruktionscharakter von Geschichte auf den Punkt. Kulturhistorisch lässtsich Geschichte nach Schaeffler als Überlieferungszusammenhangverstehen (vgl. ebd., S. 11); an seine Grenzen stößt das kulturgeschichtlicheModell dabei »angesichts des historischen Befundes, daß sich sowohl dieSelektion des Überlieferungsstoffes als auch die Funktionszuweisungdessen, was als überlieferungswürdig ausgewählt wird, nicht allein aus demvorliegenden Material, sondern weit mehr aus der jeweiligen Perspektive der

gegenwärtig Lebenden ergibt. Nicht die »geschehene Geschichte«, sonderndie unter wechselnden Gesichtspunkten »gesehene Geschichte« bildetdiejenige Vergangenheit, zu der die jeweilige Gegenwart sich verhält.« (Ebd.)Dieser Befund lässt sich durchaus auch mit Blick auf den hier besprochenenBand bestätigen. zurück

25 David E. Wellbery / Judith Ryan / Hans Ulrich Gumbrecht / Anton Kaes /Joseph Leo Koerner / Dorothea E. von Mücke (Hg.): Eine Neue Geschichteder deutschen Literatur. Übersetzt aus dem Amerikanischen von Volker vonAue, Christian Döring, John von Düffel, Peter von Düffel, Helmut Ettinger,Gerhard Falkner, Herbert Genzmer, Nora Matocza und Peter Torberg. BerlinUniversity Press, Berlin 2007 [Orig.: Harvard University Press, 2004]. zurück

26 Martin Huber: Im Tigersprung. Zu David Wellberys Neue Geschichte derDeutschen Literatur. In: Literaturkritik.de Nr. 7, Juli 2008.URL:http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=12077&ausgabe=200807 (zuletzt aufgerufen: 06.08.2012). zurück

27 Vgl. Huber, Tigersprung (siehe Anm. 26). zurück

28 Rainer Rosenberg: Epochen. In: Helmut Brackert / Jörn Stückrath (Hg.):Literaturwissenschaft. Ein Grundkurs. Reinbeck: Rowohlt 1992, S. 269–280,hier S. 279. Rosenberg bezieht sich hier auf den Beitrag »Gespräch überEpochen am Freitag dem 13., 1984.« im Band von Hans­Ulrich Gumbrecht /Ursula Link­Heer (Hg.): Epochenschwellen und Epochenstrukturen imDiskurs der Literatur und Sprachhistorie. Frankfurt/M. 1985, S. 503 f. zurück

29 Elisabeth Leiss: Sprachphilosophie. (de Gruyter Studienbuch) Berlin, NewYork: de Gruyter 2009, S. 147. zurück

30 Dass rezeptionstheoretische Ansätze gegenwärtig gerade in Verbindung mitaktuellen psychologischen, kognitions­ und neurowissenschaftlichenForschungsergebnissen in jüngerer Zeit durchaus an Präsenz gewonnenhaben, macht etwa der bereits angesprochene Beitrag »LeserorientierteTheorien und Methoden« von Tilmann Köppe und Simone WinkoimHandbuch Literaturwissenschaft deutlich (siehe Anm. 17). zurück