Emotionsregulation - Strategien, neuronale Grundlagen und Altersveränderungen
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1 Emotionsregulation: Strategien, neuronale Grundlagen und Altersveränderungen
1.1 Einleitung
Sei es die Angst vor Abrutschen der Aktienkurse, der Ärger über die jüngste Erhöhung
der Gaspreise, die Trauer angesichts der im Spendenaufruf erwähnten Erdbebenopfer,
oder das Bedauern nach dem Kauf oder Nicht‐Kauf eines Produktes – ökonomische
Entscheidungssituationen sind häufig mit Emotionen verbunden. Die Erkenntnis, dass
Emotionen ökonomisches Verhalten beeinflussen, wird in der Verhaltensökonomie
zunehmend akzeptiert (Bechara & Damasio, 2005; Kenning & Plassmann, 2005). Per‐
sonen handeln in vielen ihrer Entscheidungen nicht rational, sondern werden getrie‐
ben von ihren Vorlieben und Ängsten, von Zielen und Präferenzen, selbstdienlichen
Verzerrungen und Illusionen, kurz, von ihren emotionalen Reaktionen auf Reize in
ihrer Umwelt.
Weniger beachtet wurde allerdings, dass Personen ihren Emotionen nicht passiv aus‐
geliefert sind. Ganz im Gegenteil, Menschen tendieren dazu, nahezu alle ihrer negati‐
ven (und manche ihrer positiven) emotionalen Erlebnisse bewusst oder unbewusst zu
regulieren, meist mit dem Ziel, ihr Wohlbefinden wiederherzustellen oder zu steigern
(Egloff, in Druck; Gross, 1998b). Der Erfolg solcher Regulationsversuche wird Auswir‐
kungen auf ihr emotionales Wohlbefinden, ihre Entscheidungen und ihr alltägliches
Handeln haben. Um ihre Emotionen zu regulieren, können Personen auf verschiedene
Strategien zurückgreifen. Sie könnten die aktuellen Börsendaten gar nicht erst anse‐
hen, um sich die neuesten Schreckensmeldungen zu ersparen. Sie könnten sich vor
deren Durchsicht einen Wein eingießen, oder aber sie könnten sich selbst überzeugen,
dass trotz schlechter Börsendaten die eigenen Fond‐Anlagen sicher sind. Um solche
Strategien der Emotionsregulation, deren neuronale Grundlagen, Effektivität und
kognitiv‐selbstregulative Kosten geht es in diesem Kapitel. Ziel ist es, einen Überblick
über den psychologischen Forschungsstand zur Emotionsregulation – und dadurch
dem entstehenden Forschungsfeld der Neuroökonomie mögliche neue Impulse – zu
geben.
Zu zitieren als:
Scheibe, S. (2010). Emotionsregulation: Strategien, neuronale Grundlagen und Altersverän-derungen [Emoti-on regulation: Strategies, neural basis, and age-related changes]. In M. Reimann & B. Weber. Neuroökonomie (pp. 59-84). Wiesbaden: Gabler. doi: 10.1007/978-3-8349-6373-4_4.
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Zunächst sollen die Begriffe der Emotion und Emotionsregulation definiert und zu‐
grunde liegende Komponenten abgegrenzt werden. Dann wird das Prozessmodell der
Emotionsregulation von James Gross dargestellt, gefolgt von einer Übersicht zum
gegenwärtigen Wissen über die neuronalen Grundlagen der Emotionsregulation. Es
folgt eine Zusammenfassung des Forschungsstands zur differentiellen Effektivität
verschiedener Regulationsstrategien. Schließlich werden kognitive und selbstregulati‐
ve Kosten von Emotionsregulation beschrieben.
Um demographischen Veränderungen in unserer Gesellschaft Rechnung zu tragen,
wird dabei immer wieder darauf eingegangen, wie sich diese Prozesse mit dem Äl‐
terwerden verändern. Im 20. Jahrhundert hat sich die Lebenserwartung in Deutsch‐
land und anderen westlichen Ländern dramatisch verlängert und die Geburtenraten
sind gefallen (Tivig & Hetze, 2007). Der zunehmende Anteil alter Menschen hat Spu‐
ren in den Bereichen der Wirtschaft, Familie, Arbeit und Politik hinterlassen und diese
Spuren werden in den nächsten Jahrzehnten noch deutlicher werden. Mit dem Älter‐
werden ändern sich Ziele, Präferenzen und der Umgang mit emotionalen Situationen,
und somit auch Prädiktoren, Korrelate, und Konsequenzen von Kaufentscheidungen.
Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, sich die Effekte des Alterns auf Prozesse
der Emotionsverarbeitung und –regulation zu vergegenwärtigen.
1.2 Emotionen und Emotionsregulation: Definition und Komponenten
1.2.1 Emotionen
Emotionen entstehen, wenn Personen Reize in ihrer Umwelt als relevant für ihre ge‐
genwärtigen Ziele erachten, mögen diese Ziele bewusst oder unbewusst, kurzfristig
oder langfristig, zentral oder peripher sein (siehe Gross & Thompson, 2007 für einen
Überblick). Ziele geben der Situation eine Bedeutung und diese Bedeutungen lösen
Emotionen aus. Tabelle 1 gibt einen Überblick über den Prozess der Emotionsgenese,
sowie die entsprechenden Ansatzstellen für Emotionsregulation (Gross, 1998b; Gross
& Thompson, 2007). Am Beginn der Sequenz steht eine emotional relevante Situation.
Diese kann external oder internal sein, also auf externen, physischen Gegebenheiten
(z.B. Tageszeit, Ort, anwesende Personen) oder mentalen Repräsentationen (Gedanken,
Erinnerungen, Vorstellungen) basieren. Wenn emotionale Aspekte der Situation in das
Zentrum der Aufmerksamkeit rücken, lösen sie Bewertungsprozesse aus, bspw. dar‐
über, wie vertraut man mit ihnen ist, ob sie positiv oder negativ sind, ungefährlich
oder bedrohlich, inwieweit sie eigene Ziele fördern oder hemmen, oder inwieweit man
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über die nötigen Mittel zur Bewältigung der Situation verfügt (Scherer, Schorr, &
Johnstone, 2001).
Von Emotionen spricht man, wenn eine Veränderung auf mehreren Ebenen ausgelöst
wird: Es ändert sich das subjektive Erleben (wir empfinden Angst), das Verhalten (das
Lächeln erstirbt, wir treten einen Schritt zurück oder rennen davon) als auch physiolo‐
gische Erregung (der Herzschlag wird schneller). Diese Vorgänge sind allerdings nicht
zwangsläufig, sondern können vor, während, oder nach Auftreten des emotionsauslö‐
senden Reizes kontrolliert und moduliert werden. Auch das Zusammenwirken ver‐
schiedener Ebenen kann von Situation zu Situation oder über die Zeit hinweg variie‐
ren, etwa wenn die innere Erregung steigt, ohne dass dies nach außen hin sichtbar
wird. Hier finden sich Ansatzstellen für Prozesse der Emotionsregulation (Gross &
Thompson, 2007).
Tabelle 1. Komponenten von Emotionen und entsprechende Emotions‐
regulationsstrategien mit Beispiel
1.2.2 Emotionsregulation
Von Emotionsregulation spricht man, wenn Personen versuchen, Einfluss darauf zu
nehmen, welche Emotionen sie haben, wann sie sie haben und wie sie ihre Emotionen
erleben und ausdrücken (Gross, 1998b). Emotionsregulation kann bewusst oder un‐
bewusst, automatisch oder kontrolliert ablaufen und an verschiedenen Punkten im
Prozess der Emotionsgenese ansetzen, wie im nächsten Abschnitt erläutert wird.
Prozess der Emotions‐
genese
Strategien der Emo‐
tionsregulation Beispiel: Börsendaten
Situationsselektion Die Börsennachrichten im
TV an‐/abschalten
Situation Situations‐
modifikation
Den Ehepartner herbeiru‐
fen
Aufmerksamkeit Aufmerksamkeits‐
steuerung
Auf positive/negative
Börsentrends achten
Bewertung Kognitive Umbewer‐
tung
„Meine Fond‐Anlagen
sind sicher“
Reaktion
(subjektives Erleben,
Verhalten, Physiologie)
Reaktions‐
modulation
Die besorgte Mine unter‐
drücken
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Dabei gibt es drei grundlegende Ziele, die Verstärkung, die Aufrechterhaltung und die
Abschwächung von Emotionen. In den meisten Kontexten besteht das Ziel der Emoti‐
onsregulation darin, negative Gefühle (z.B. Angst, Trauer, Ärger) herunterzuregulie‐
ren, um das Wohlbefinden wiederherzustellen. Etwas seltener kommt es vor, dass
Personen versuchen, positive Gefühle (z.B. Freude, Begeisterung, Entspannung) zu
steigern mit dem Ziel, ihr momentanes Wohlbefinden zu verbessern. Dies scheint auch
schwieriger zu sein als die Abschwächung negativer Gefühle und kann manchmal
sogar zum gegenteiligen Ergebnis führen. Personen, die in einer Laborstudie vor dem
Abspielen von klassischer Musik instruiert wurden, während des Hörens ihr Wohlbe‐
finden zu steigern, fühlten sich am Ende der Sitzung schlechter als zu Beginn der
Sitzung (Schooler, Ariely, & Loewenstein, 2003). Noch seltener aber durchaus denkbar
sind Kontexte, in denen es darum geht, negative Gefühle zu verstärken oder positive
abzudämpfen, wenn dies momentanen Zielen dient (Parrott, 1993). Der Eine mag
versuchen, das Gefühl des Ärgers über die erhöhten Gaspreise noch zu steigern, um
sich geistig auf das bevorstehende Telefonat mit dem Gaslieferanten einzustellen. Ein
anderer mag versuchen, die Begeisterung angesichts eines gerade besichtigten Hauses
zu dämpfen, um spätere Enttäuschung zu vermeiden, wenn ein anderer Käufer den
Zuschlag erhält.
Emotionsregulationsprozesse kann man auch danach unterscheiden, ob sie intern oder
extern ausgelöst werden. Der überwiegende Teil der Forschung zum Erwachsenenalter
und Alter beschäftigt sich mit interner Emotionsregulation, d.h. der Regulation eigener
Emotionen. Im Kindesalter werden Emotionen jedoch zum großen Teil von außen
moduliert, meist durch Eltern, Lehrer oder andere Erwachsene (Gross & Thompson,
2007). Sowohl interne als auch externe Emotionsregulation ist für die Verhaltensöko‐
nomie von Interesse. Viele ökonomische Entscheidungen werden beeinflusst durch
das Bedürfnis zur Emotionsregulation, der Motivation, Bedauern zu minimieren oder
Zufriedenheit zu maximieren (Mellers & McGraw, 2001). Die Wichtigkeit, die Personen
der Emotionsregulation zuschreiben, hat zudem Einfluss auf den Entscheidungspro‐
zess (Luce, Bettman, & Payne, 1997). Externe Regulation hat sicherlich eine wichtige
Bedeutung im Bereich des Marketings, dessen grundlegendes Ziel darin besteht, die
Emotionen von Konsumenten zu beeinflussen, etwa wenn Produkte darauf abzielen,
Vergnügen zu steigern oder Angst zu reduzieren. Obwohl die in diesem Kapitel vor‐
gestellten Arbeiten fast ausschließlich interne Emotionsregulation thematisieren, sind
Ansatzpunkte für externe Emotionsregulation daraus leicht ableitbar.
1.2.3 Emotionsregulation und Alter
Die Forschung zum emotionalen Erleben im Erwachsenenalter zeigt, dass Personen
mit dem Älterwerden zunehmend motiviert sind, ihre Emotionen zu regulieren und
ihr emotionales Wohlbefinden im Moment zu optimieren (Carstensen, Fung, &
Charles, 2003; Charles & Carstensen, 2007 fuer einen Überblick). Die Theorie der Sozi‐
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oemotionalen Selektivität von Carstensen (2006) nimmt an, dass mit der Wahrneh‐
mung einer abnehmenden Lebenszeit emotionale Ziele wichtiger werden, während
zukunftsorientierte Ziele an Bedeutung verlieren. „Stellen Sie sich vor, dass Sie uner‐
wartet 20 Minuten Zeit haben. Mit wem würden Sie diese Zeit gern verbringen?“ Mit
zunehmendem Alter beantworten Personen diese Frage immer häufiger mit einer nahe
stehenden Person, denn die Interaktion mit dieser verspricht emotional bedeutsame
und meist positiv getönte Erlebnisse (Fredrickson & Carstensen, 1990). Junge Erwach‐
sene favorisieren dagegen meist Personen und Ereignisse, die langfristig oder in der
Zukunft relevant sein könnten. Zukunftsorientierte Ziele gehen häufig mit einem
Fokus auf negative Inhalte und Emotionen einher, etwa wenn man viele Abendstun‐
den im Büro verbringt, um die eigene Karriere voranzutreiben.
Der Fokus auf emotionale Ziele und Inhalte hat weit reichende Folgen dafür, was
Personen wahrnehmen und erinnern, für das emotionale Erleben sowie für die Moti‐
vation und Fähigkeit, Emotionen zu regulieren. Studien zu Aufmerksamkeit und Ge‐
dächtnis zeigen, dass Personen mit zunehmendem Alter emotionale Inhalte und insbe‐
sondere positiv getönte emotionale Inhalte relativ zu neutralen oder negativen Inhal‐
ten verstärkt wahrnehmen und erinnern (Positivitätseffekt, siehe z.B. Charles, Mather,
& Carstensen, 2003; Grühn, Scheibe, & Baltes, 2007; Mather & Carstensen, 2003). La‐
borstudien zur emotionalen Reaktivität und Studien zum Affekt im Alltag zeigen, dass
ältere Personen Stabilität, in vielen Fällen sogar Zugewinne, im emotionalen Erleben
und Wohlbefinden relativ zu jüngeren Personen haben (Carstensen, Pasupathi, Mayr,
& Nesselroade, 2000; Levenson, Carstensen, Friesen, & Ekman, 1991; Mroczek & Ko‐
larz, 1998). Die physiologische Reaktivität auf emotionale Reize scheint allerdings im
Alter abgeschwächt zu sein (siehe aber Kunzmann & Grühn, 2005; Levenson et al.,
1991), was zumindest teilweise auf eine größere Rigidität des kardiovaskulären Sys‐
tems zurückgeführt wird. Dies könnte es älteren Personen erleichtern, ihre Emotionen
zu regulieren. Inwieweit eine verminderte physiologische Reaktivität im Alter Ursa‐
che oder Folge einer verbesserten Emotionsregulation ist, bleibt eine offene Frage für
weitere Forschung (Cacioppo et al., 1997).
1.3 Prozessmodell der Emotionsregulation
Entsprechend ihres zeitlichen Ansatzpunktes im Prozess der Emotionsentstehung
unterscheidet Gross (1998b; siehe auch Gross & Thompson, 2007) fünf verschiedene
Strategien der Emotionsregulation, die in Tabelle 1 aufgelistet sind. Vier Klassen von
Strategien setzen vor Auftreten des emotionsauslösenden Reizes an und werden daher
als antezedenzfokussierte Strategien bezeichnet.
Bei der Situationsselektion geht es darum, Handlungen zu unternehmen, die es mehr
oder weniger wahrscheinlich machen, dass man einem emotionalen Reiz ausgesetzt
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wird. Hierzu zählt das Aufsuchen oder Vermeiden bestimmter Orte, Personen, oder
Ereignisse. Ein Beispiel wäre es, den TV‐Kanal bei Ankündigung der Börsennachrich‐
ten zu wechseln, in dem wir Berichte über beunruhigende wirtschaftliche Entwicklun‐
gen vermuten. Effektive Situationsselektion erfordert, dass man eigene Ziele, Präfe‐
renzen und emotionale Reaktionen auf zukünftige Ereignisse kennt. Die Forschung zu
affektiven Vorhersagen und Erinnerungen zeigt jedoch, dass hier systematische Ver‐
zerrungen auftreten (Wilson & Gilbert, 2005). Dies ist eine Erklärung dafür, warum
Menschen häufig Entscheidungen treffen, die ihrem Wohlbefinden abträglich sind und
die sie später bereuen. Bei der Situationsmodifikation geht es darum, die bereits einge‐
tretene emotionale Situation so zu verändern, dass ihr emotionaler Einfluss abge‐
schwächt oder verstärkt wird. Man kann z.B. den Ehepartner rufen, um die beunruhi‐
gen Nachrichten über die aktuellen Börsentrends zu teilen.
Situationsselektion und –modifikation gehen teilweise ineinander über und sind daher
nicht immer eindeutig voneinander abgrenzbar. Es ist denkbar, dass der Eingriff in
eine bestehende Situation eine qualitativ andere Situation hervorruft, z.B. wenn der
Interaktionspartner in einer Ärgersituation Reue zeigt. Auch werden Situationsselekti‐
on und –modifikation nicht von allen Autoren als Strategien der Emotionsregulation
angesehen. Loewenstein (2007) merkt an, dass die Auswahl und Modifikation von
Situationen mit dem Ziel, unser Wohlbefinden zu optimieren, klassische Themen der
Entscheidungsforschung sind. Im Gegensatz zu den im Folgenden beschriebenen
Strategien geht es hierbei nicht um mentale Strategien, die an der eigenen Person an‐
setzen, sondern um eine aktive Gestaltung der Umwelt (siehe auch die Unterschei‐
dung von primärer und sekundärer Kontrolle; Heckhausen & Schulz, 1995; Rothbaum,
Weisz, & Snyder, 1982).
Eine dritte Strategie der Emotionsregulation, die Aufmerksamkeitssteuerung, betrifft die
Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf mögliche Aspekte der Situation mit dem Ziel,
Emotionen zu modifizieren. Personen können im wörtlichen Sinne die Augen oder
Ohren vor bestimmten Umweltreizen verschließen, sich auf bestimmte Situationsas‐
pekte konzentrieren oder von ihnen ablenken. Eine vierte Strategie der Emotionsregu‐
lation ist die kognitive Umbewertung. Hier geht es darum, die Bedeutung emotionaler
Reize im Hinblick auf eigene Ziele und Bewältigungsmöglichkeiten zu verändern,
denn erst die wahrgenommene Relevanz und Bedrohlichkeit von Umweltreizen für
die eigene Person löst Emotionen aus (Scherer et al., 2001). So kann ein stabiler Bör‐
senkurs im Vergleich zum Vortag für ein Indiz genommen werden, dass den Abwärts‐
kurs nur kurz unterbrochen wurde oder aber die Talsohle erreicht ist und die Wirt‐
schaft wieder aufwärts geht. Dies wirkt sich sicherlich unterschiedlich auf die resultie‐
rende Zukunftsangst sowie weitere Finanzentscheidungen aus.
Eine fünfte Klasse von Emotionsregulationsstrategien setzt während oder nach Auftre‐
ten des emotionalen Reizes an und wird daher als reaktionsfokussierte Emotionsregu‐
lation bezeichnet. Ziel der Reaktionsmodulation ist es, die subjektiven, behavioralen
oder physiologischen Komponenten von Emotionen direkt zu verändern. Das Glas
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Wein bei Durchsicht der Börsendaten ist ein Beispiel, wie physiologische Reaktionen
beeinflusst werden können. Die Einnahme von Medikamenten und Nahrungsmitteln
oder Entspannungstechniken sind weitere Beispiele. Auch können Personen versu‐
chen, ihren Emotionsausdruck zu verändern, beispielsweise wenn jemand seine Be‐
geisterung für das eben besichtigte Haus versteckt, um den Makler zu einem verbes‐
serten Angebot zu verleiten.
1.4 Neuronale Architektur der Emotionsregulation
Sowohl tierexperimentelle als auch Humanstudien geben Hinweise auf die Hirnregio‐
nen, die für die Genese und Regulation von Emotionen verantwortlich sind (siehe
Davidson, Fox, & Kalin, 2007; Ochsner & Gross, 2007 für eine Übersicht). Zwei neuro‐
nale Strukturen, der präfrontale Kortex und das limbische System (welches Hippo‐
campus und Amygdala umfasst), scheinen dabei im Vordergrund zu stehen. Diese
beiden Hirnareale nehmen unterschiedliche Funktionen für die Emotionsregulation
wahr. Ochsner und Gross (2005, 2007) entwickelten das Modell der kognitiven Kon‐
trolle von Emotionen, das die Wechselwirkung zwischen beiden neuronalen Systemen
beschreibt.
1.4.1 Amygdala und präfrontaler Kortex
Die Rolle der Amygdala und angrenzender Regionen wie Nucleus accumbens und
Insula liegt in der unmittelbaren Wahrnehmung und Bewertung emotionaler Reize
(bottom‐up appraisal system; M. L. Phillips, Drevets, Rauch, & Lane, 2003). Diese Bewer‐
tung beruht auf den intrinsischen oder erlernten Merkmalen von Reizen, Verhalten zu
verstärken oder abzuschwächen. Die Amygdala ist vornehmlich auf negative Reize
ausgerichtet (z.B. Einschätzung der Bedrohlichkeit von Umweltreizen), scheint aber
nach neueren Erkenntnissen auch eine universelle Rolle in der Ausrichtung der Auf‐
merksamkeit auf affektiv saliente Reize zu spielen (LeDoux, 2000). Ausgehend von der
Amygdala werden über den Hypothalamus und Kerne des Hirnstamms autonome,
endokrine und behaviorale Reaktionen angestoßen, so dass der Körper angemessen
auf emotionale Reize reagieren kann. Die Amygdala hat ebenfalls Verbindungen zu
kortikalen Strukturen, die für die subjektive Wahrnehmung dieser emotionalen Reak‐
tionen verantwortlich sind.
Im präfrontalen Kortex dagegen sind kognitive Kontrollprozesse lokalisiert, die die
subjektive Bedeutung von Umweltreizen modifizieren und damit Einfluss auf den
Emotionsprozess nehmen (top‐down appraisal system). Im Sinne der Bewertungstheo‐
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rien von Emotionen sind Emotionen das Produkt kognitiver Prozesse, die die Bedeu‐
tung von Reizen im Hinblick auf aktuelle Ziele, Wünsche und Bedürfnisse interpretie‐
ren (z.B. Scherer et al., 2001). Es wird vermutet, dass der präfrontale Kortex Repräsen‐
tationen von Zielen und Mitteln der Zielerreichung aufrechterhält. So repräsentiert der
dorsolaterale präfrontale Kortex die Anforderungen von aktuellen Aufgaben, der
rostrale präfrontale Kortex wägt die Priorität von internen Gedanken und sensori‐
schen Inputs gegeneinander ab, und der anteriore Gyrus cinguli überwacht den Erfolg
kognitiver Kontrollprozesse auf die Emotionsgenese (z.B. Miller & Cohen, 2001).
1.4.2 Interaktion neuronaler Systeme
Gemäß dem Modell von Ochsner und Gross (2005, 2007) interagieren die beiden neu‐
ronalen Systeme im Prozess der Emotionsgenese und –regulation. Das Modell postu‐
liert, dass Emotionen sowohl durch bottom‐up Bewertungsprozesse, die in subkortika‐
len Hirnregionen stattfinden, als auch durch top‐down Bewertungsprozesse in neokor‐
tikalen Hirnregionen erzeugt und moduliert werden können. Top‐down Prozesse sind
dafür verantwortlich, die Aufmerksamkeit auf bestimmte emotionsauslösende Reize
zu lenken. Sobald die bottom‐up Regulation begonnen hat (oder auch davor, wenn
man ein emotionales Ereignis antizipiert), setzen top‐down Prozesse ein, die die Be‐
wertung von emotionsauslösenden Reizen regulieren, umlenken oder verändern. Top‐
down Prozesse können auch selbst Emotionen auslösen, z.B. in Form von Erwartun‐
gen, Annahmen oder Erinnerungen, die die Bewertung und Interpretation von Reizen
lenken. In vielen Fällen ist ein externer Stimulus nicht notwendig, um Emotionen
auszulösen. Personen können Emotionen über Top‐down Prozesse generieren, indem
sie sich an zurückliegende Ereignisse erinnern oder zukünftige Ereignisse antizipieren.
Gemäß diesem Model unterscheiden sich Emotionsregulationsstrategien darin, welche
Reaktionsebene sie verändern (subjektives Erleben, Physiologie oder Verhalten), mit
welchem Ziel (Verstärkung, Aufrechterhaltung oder Abschwächung emotionaler Re‐
aktionen) und welche Kontrollprozesse in welchen Teilen des präfrontalen Kortex
dabei vornehmlich rekrutiert werden (Ochsner & Gross, 2007). Die Forschung zu den
neuronalen Grundlagen und Effekten von Emotionsregulationsstrategien ist noch
jung. Bisher wurden hauptsächlich Untersuchungen zur Aufmerksamkeitssteuerung,
kognitiven Umbewertung und Reaktionsunterdrückung durchgeführt.
1.4.3 Studien zur Hirnaktivierung während Emotions-regulation
Neuere Studien zur Hirnaktivierung untersuchen, welche Strukturen aktiviert oder
deaktiviert werden, wenn man Personen instruiert, verschiedene Emotionsregulati‐
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onsstrategien anzuwenden. Bisherige Studien beschränken sich weitgehend auf die
Regulation negativer Emotionen. Mithilfe verschiedener Methoden werden dazu im
Labor Emotionen ausgelöst, z.B. durch Musik, Filme, oder der Aufforderung, sich an
zurückliegende intensive Erlebnisse zu erinnern.
In einer Untersuchung mit Hilfe funktioneller Magnetresonanztomographie wurden
die Teilnehmer aufgefordert, ihre emotionalen Reaktionen auf negative Bilder mög‐
lichst lange aufrechtzuerhalten (Schaefer et al., 2002). Im Vergleich zu einer Kontroll‐
gruppe, die die Bilder ohne Instruktion ansah, führte dies zu einer verstärkten Aktivie‐
rung der Amygdala. In einer anderen Studie wurden Teilnehmer aufgefordert, negati‐
ve Bilder umzuinterpretieren, um ihnen den emotionalen Gehalt zu nehmen (Ochsner,
Bunge, Gross, & Gabrieli, 2002). Im Einklang mit der Annahme, dass es sich hierbei
um eine antezedenzfokussierte Strategie (kognitive Umbewertung) handelt, wurde
dadurch die Aktivierung des lateralen und medialen präfrontalen Kortex verstärkt,
während die Aktivierung der Amygdala verringert wurde. Goldin, McRae, Ramel und
Gross (2008) zeigten Frauen neutrale und negative Filme und instruierten sie, entwe‐
der kognitive Umbewertungen vorzunehmen oder ihren Emotionsausdruck zu unter‐
drücken. Kognitive Umbewertung führte zu einer frühen Aktivierung des präfrontalen
Kortex und verminderter Aktivierung von Amygdala und Insula. Reaktionsunterdrü‐
ckung hingegen zeichnete sich durch eine späte Aktivierung des präfrontalen Kortex
und erhöhten Reaktionen in Amygdala und Insula aus. Auch dies bestätigt die An‐
nahme, dass diese beiden Strategien zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Emotions‐
prozess ansetzen.
Urry, van Reekum, Johnstone, Kalin, Thurow, Schaefer und Kollegen (2006) untersuch‐
ten die Fähigkeit älterer Personen, emotionale Reaktionen auf negative Bilder durch
kognitive Umbewertung sowohl zu verringern als auch zu verstärken. Diese Instrukti‐
onen führten zu systematischen Veränderungen im präfrontalen Kortex und in der
Amygdala: Wenn die Teilnehmer versuchten, ihre negative Gefühle zu vermindern,
spiegelte sich dies in einer verstärkten Aktivierung des präfrontalen Kortex und einer
verminderten Aktivierung der Amygdala wider. Wenn die Teilnehmer allerdings ver‐
suchten, ihre negativen Gefühle zu verstärken, spiegelte sich dies in einer verstärkten
Aktivierung der Amygdala wider. Nicht alle Teilnehmer waren gleichermaßen erfolg‐
reich in der Unterdrückung ihrer negativen Emotionen. In einer bemerkenswerten
Zusammenführung eines im Laborkontext gemessenen Biosignals mit dem Kortison‐
spiegel im Alltag konnten die Autoren Hinweise auf eine mögliche Rolle der Emoti‐
onsregulation für die längerfristige psychische und physische Gesundheit finden.
Interindividuelle Unterschiede im Amygdala‐Signal während der Emotionsunterdrü‐
ckung waren mit tagestypischen Schwankungen im Kortisolspiegel assoziiert, die
einige Tage nach der Laborsitzung gemessen wurden. Die „schlechteren“ Regulierer,
d.h. die Probanden mit einer geringeren Signalveränderung in der Amygdala während
der Emotionsunterdrückung im Vergleich zur Emotionsaufrechterhaltung, zeigten
höhere Kortisolspiegel im Tagesverlauf, ein Zeichen für chronischen Stress.
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1.4.4 Altersbezogene Veränderungen in den neuronalen Grundlagen von Emotionsregulation
Bisher gibt es noch keine Studien, die direkt die Hirnaktivierung junger und älterer
Erwachsener vergleichen, wenn diese instruiert wurden, verschiedene Emotionsregu‐
lationsstrategien anzuwenden. Indirekte Hinweise finden sich allerdings in der For‐
schung zu Altersunterschieden in der neuronalen Struktur der Emotionsverarbeitung.
Die Befunde stehen weitgehend im Einklang mit der Annahme, dass ältere Personen
verstärkt Emotionsregulation betreiben (Charles & Carstensen, 2007). Gunning‐Dixon
et al. (2003) untersuchten Altersunterschiede in der Hirnaktivierung während der
Verarbeitung emotionaler Gesichter und fanden in den älteren Probanden eine ver‐
stärkte Aktivierung kortikaler Areale sowie eine verminderte Aktivierung der
Amygdala im Vergleich zu jüngeren Erwachsenen. Dies lässt vermuten, dass ältere
Erwachsene verstärkt top‐down Kontrollprozesse nutzen, wenn sie mit negativem
Material konfrontiert sind und könnte ihre verminderte physiologische Reaktivität auf
negatives Material erklären.
Vergleichbare Ergebnisse fanden sich in einer Studie mit emotionalen Bildern (Mather
et al., 2004). Die verminderte Aktivierung der Amygdala mit dem Alter war allerdings
vor allem bei negativem Material zu finden. Während der Verarbeitung positiver Bil‐
der fand sich in älteren Erwachsenen ein stärkeres Amygdala‐Signal als während der
Verarbeitung negativer Bilder, während dies bei jüngeren Erwachsenen nicht der Fall
war. Die Autoren interpretieren diesen Befund als Positivitätseffekt auf neuronaler
Ebene, parallel zu den Befunden, dass Altern mit verringertem negativem Affekt im
Alltag und verringerter Aufmerksamkeit für negatives relativ zu positivem Material
einhergeht.
1.5 Effektivität verschiedener Emotionsregulationsstrategien
Eine wichtige Frage der bisherigen Forschung war die Effektivität verschiedener Emo‐
tionsregulationsstrategien. Mehrere Studien untersuchten die kurz‐ und längerfristi‐
gen affektiven, kognitiven und sozialen Folgen von Emotionsregulation sowohl im
Laborkontext als auch im Alltag (Gross, 2001; John & Gross, 2004). Zusammenge‐
nommen zeigt diese Forschung, dass es effektiver und für soziale Interaktionen förder‐
licher ist, vor Auslösung der emotionalen Reaktion anzusetzen (antezedenzfokussierte
Strategien) statt danach (reaktionsfokussierte Strategien) (Gross, 2001). Strategien, die
früh im Prozess der Emotionsgenese ansetzen, erzeugen außerdem soziales Verhalten,
dass von Interaktionspartnern als angemessener und konstruktiver wahrgenommen
11
wird. Allerdings hängt die Effektivität verschiedener Strategien vom Kontext und dem
Zeitfenster der Betrachtung ab. Tränen können beim Kollegen Empathie auslösen,
beim Chef jedoch zur Wahrnehmung von Inkompetenz führen. Langfristig könnten sie
allerdings auch dazu führen, arbeitsbezogenen Stress zu vermindern, wenn der Chef
seine überzogenen Erwartungen reevaluiert und auf ein vertretbares Maß zurückstuft.
1.5.1 Kurzfristige Effektivität von Emotionsregulation
Laborstudien beschäftigen sich vorwiegend mit kurzfristigen Folgen verschiedener
Emotionsregulationsstrategien. Von den fünf dargestellten Strategien der Emotionsre‐
gulation sind bisher von der Gruppe um Gross vor allem zwei intensiv erforscht wor‐
den: Kognitive Umbewertung (reappraisal) und die Unterdrückung des Emotionsaus‐
drucks (suppression), eine Form der Reaktionsmodulation. Die überwiegende Mehrheit
vorhandener Studien beschäftigt sich mit negativen Emotionen und deren Abschwä‐
chung.
In einer Studie sahen die Teilnehmer einen Film über eine Armamputation, was bei
den meisten Menschen Ekel auslöst (Gross, 1998a). Eine Gruppe wurde zuvor aufge‐
fordert, den Film so anzusehen, dass er keine Emotionen auslöst, z.B. indem sie sich
vorstellen, es wäre Lernmaterial für Medizinstudenten (kognitive Umbewertung). Eine
andere Gruppe wurde instruiert, während des Films keine emotionalen Reaktionen zu
zeigen (Reaktionsunterdrückung) und eine Kontrollgruppe sah den Film ohne In‐
struktion. Die kognitive Umbewertung stellte sich dabei als sehr viel effizienter heraus
als die Reaktionsunterdrückung. Ekelgefühle und Zeichen von Ekel im Gesichtsaus‐
druck wurden erfolgreich reduziert. Auch die Instruktion, den Reaktionsausdruck zu
unterdrücken, war erfolgreich, allerdings nur im Hinblick auf die äußerlich sichtbaren
Zeichen von Ekel. Subjektive Ekelgefühle wurden nicht reduziert und physiologische
Reaktionen wurden sogar verstärkt. Weitere Studien zeigten ähnliche Ergebnisse für
Filme, die Traurigkeit oder Vergnügen auslösten (Gross & Levenson, 1993, 1997).
Effektivität lässt sich auch im Hinblick darauf bewerten, inwieweit verschiedene Stra‐
tegien der Emotionsregulation soziale Kommunikation und Beziehungen fördern oder
hemmen. Die Strategie der Unterdrückung des Emotionsausdrucks sollte sich nachtei‐
lig auf soziale Interaktionen auswirken, da Emotionen vor anderen verborgen werden
und die Diskrepanz zwischen subjektivem Erleben und äußerem Emotionsausdruck
als inauthentisch wahrgenommen werden könnte (John & Gross, 2004). Über die Zeit
könnte dies den Aufbau intensiver sozialer Beziehungen hemmen. In einer Laborstu‐
die sahen Paare miteinander unbekannter Frauen gemeinsam einen unangenehmen
Film und diskutierten danach, welche Reaktionen dieser bei ihnen auslöste (Butler et
al., 2003). Eine Interaktionspartnerin wurde zuvor (ohne Wissen der anderen Partne‐
rin) instruiert, ihren Emotionsausdruck zu unterdrücken, sich natürlich zu verhalten
oder die Situation durch Umbewertung zu neutralisieren. Die Unterdrückung jegli‐
12
chen Emotionsausdrucks führte dazu, dass die „Reguliererin“ von der Konversation
abgelenkt war, weniger auf die Partnerin einging, und die Partnerin zudem einen
erhöhten Blutdruck aufwies, ein Zeichen für Stress. Dies weist darauf hin, dass das
Verstecken eigener Emotionen den natürlichen Ablauf emotionaler Kommunikation
stören kann.
1.5.2 Längerfristige Effektivität von Emotionsregulation
Um die längerfristigen Auswirkungen von kognitiver Umbewertung und Emotionsun‐
terdrückung auf Affekt, Kognition, Sozialleben und Wohlbefinden zu untersuchen,
entwickelten Gross und John (2003) den Fragebogen zur Emotionsregulation, der
interindividuelle Unterschiede in der Nutzung dieser Strategien erfasst. Ein Beispieli‐
tem für die Subskala kognitive Umbewertung (6 Items) ist „Um meine Gefühle zu
kontrollieren, denke ich anders über die Situation nach, in der ich bin“; ein Beispieli‐
tem für Unterdrückung des Emotionsausdrucks (4 Items) ist „Um meine Gefühle zu
kontrollieren, bemühe ich mich, sie nach außen zu verbergen“. Der Fragebogen zur
Emotionsregulation hat diskrimante Validität und ist nicht oder nur schwach mit Intel‐
ligenzmassen, sozialer Erwünschtheit, und den Big Five Persönlichkeitsfaktoren asso‐
ziiert (Gross & John, 1998, 2003).
Parallel zu den Laborstudien zeigen korrelative Studien die höhere Effektivität der
kognitiven Umbewertung im Vergleich zur Unterdrückung des Emotionsausdrucks
(Gross & John, 2003). Personen, die häufig Umbewertungen der Situation vornehmen,
um ihre Emotionen zu kontrollieren, erleben im Alltag mehr positiven und weniger
negativen Affekt, haben bessere soziale Kontakte und eine höhere Lebenszufrieden‐
heit. Dies ließ sich sowohl im Selbstbericht, als auch im objektiveren Fremdbericht
nachweisen, wenn nahe stehende Personen diese Einschätzungen vornahmen. Die
positiven Konsequenzen kommen wahrscheinlich daher, dass „Umbewerter“ es schaf‐
fen, das Gute in stressreichen Situationen zu sehen und versuchen, von schwierigen
Lebensereignissen zu lernen, was langfristig ihrem Wohlbefinden zu Gute kommt.
Weitere Studien zeigen, dass die Bewältigung schwerwiegender Lebensereignisse wie
chronischen Krankheiten oder Unfällen erleichtert wird, wenn Personen positive Ne‐
beneffekte der negativen Ereignisse entdecken, die ihrem Leben einen neuen Sinn oder
eine neue Richtung geben können (Loewenstein, 2007). In einer Gruppe von Frauen
mit Brustkrebs berichteten über die Hälfte der Frauen, dass die Krankheit sie dazu
brachte, ihr Leben in einer positiven Weise neu zu deuten (Taylor, 1983). Frauen, die
einen Sinn in ihrer Krankheit fanden, zeigten zudem besseres Wohlbefinden. In einer
weiteren Studie fanden Affleck, Tennen, Croog und Levine (1987), dass Männer, die
einen positiven Nutzen in ihrem Herzanfall sahen, acht Jahre später eine geringere
Chance hatten, einen weiteren Herzinfarkt zu erleiden und außerdem eine höhere
Überlebenschance hatten. Alle beschriebenen Studien beruhen allerdings auf korrela‐
13
tiven Daten. Längsschnittstudien sind nötig, um Ursache und Folge im Zusammen‐
hang zwischen Emotionsregulation und dem langfristigen Nutzen für Gesundheit und
Wohlbefinden abgrenzen zu können.
Im Gegensatz zur kognitiven Umbewertung scheint die Tendenz, seinen Emotions‐
ausdruck zu unterdrücken, langfristig negative Folgen zu haben. Obwohl diese Strate‐
gie kurzfristig erfolgreich darin ist, die eigenen Emotionen vor anderen zu verstecken,
kommt es längerfristig zu einer Anhäufung negativer Emotionen. John und Gross
(2004) führen dies auf ein chronisches Gefühl der Inauthentizität zurück (der Tendenz,
sich konträr zu inneren Gedanken und Gefühlen zu verhalten, um soziale Ablehnung
zu vermeiden; Briggs & Cheek, 1988), was wiederum zu einer Verschlechterung sozia‐
ler Kontakte und verringertem Wohlbefinden führt. Personen, die gewohnheitsmäßig
ihre Emotionen verstecken, berichteten, dass sie weniger emotionale Erlebnisse – an‐
genehme und unangenehme – mit anderen teilten, weniger enge Beziehungen hatten,
und weniger soziale Unterstützung von anderen empfingen (Gross & John, 2003).
Auch eine kürzlich durchgeführte Studie zur Formung neuer sozialer Beziehungen
bestätigt die sozialen Kosten von Emotionsunterdrückung (Srivastava, Tamir, McGo‐
nigal, John, & Gross, 2009). Studenten, die vor Eintritt in die Universität eine höhere
Tendenz zur Emotionsunterdrückung berichteten, hatten einige Wochen später weni‐
ger enge Beziehungen entwickelt und berichteten weniger soziale Unterstützung und
geringeres soziales Wohlbefinden. Auch ihre Kommilitonen bestätigten dieses Be‐
fundmuster.
1.5.3 Altersunterschiede in der Effektivität von Emoti-onsregulation
Mit zunehmenden Alter scheinen Personen emotional weiser zu werden und eher
solche Emotionsregulationsstrategien einzusetzen, die hoch effektiv und funktional
sind, statt solche Strategien, die uneffektiv und dysfunktional sind (Charles & Cars‐
tensen, 2007; John & Gross, 2004). Mit anderen Worten findet sich ein Alterstrend weg
von reaktionsfokussierten Strategien hin zu antezedenzfokussierten Strategien.
Mehrere Studien zeigen, dass sich die Zusammensetzung sozialer Netzwerke mit dem
Alter verändert, ein Aspekt der Situationsselektion. Ältere Personen haben kleinere
soziale Netzwerke und umgeben sich verstärkt mit Personen, die ihnen nahe stehen;
lockere Sozialkontakte fallen dagegen weg (Lang & Carstensen, 1994; Lang & Carsten‐
sen, 2002). Die sozioemotionale Selektivitätstheorie erklärt dies mit einem zunehmen‐
den Fokus auf emotionale Ziele – emotional bedeutsame und positive Erlebnisse ent‐
stehen eher mit Familienmitgliedern und engen Freunden als mit Bekannten und
Fremden (Carstensen, 2006). Zusammentreffen mit vertrauten Personen sind zudem
meist leichter zu navigieren als Zusammentreffen mit unbekannten Personen; man
kennt sich und kann sich besser aufeinander einstellen (Charles & Carstensen, 2007).
14
Ältere Personen scheinen auch akkurater als jüngere Personen darin zu sein, ihre eige‐
nen emotionalen Reaktionen auf zukünftige Ereignisse vorherzusagen, eine wichtige
Voraussetzung für effektive Situationsselektion (Nielsen, Knutson, & Carstensen,
2008). Dies scheint allerdings auf positive Ereignisse beschränkt zu sein. Scheibe, Mata
und Carstensen (2009) baten in einer Online‐Studie amerikanische Erwachsene im
Alter von 20 bis 80 Jahren, ihre emotionalen Reaktionen auf die zwei potentiellen Er‐
gebnisse der U.S. Präsidentenwahl 2008 vorherzusagen (Obama‐Sieg; McCain‐Sieg)
und verglichen diese Vorhersagen mit den tatsächlichen Gefühlen, die sie zwei Tage
nach der Wahl berichteten. Unter den Anhängern des siegreichen Kandidaten in der
U.S. Präsidentenwahl machten ältere Personen akkuratere Vorhersagen als jüngere
Erwachsene, nicht jedoch unter den Anhängern des besiegten Kandidaten.
Im Hinblick auf die Aufmerksamkeitssteuerung lassen sich im höheren Erwachsenen‐
alter ebenfalls Muster finden, die für das Wohlbefinden förderlich scheinen. Ältere
Menschen tendieren dazu, ihre Aufmerksamkeit verstärkt auf positive Informationen
zu lenken (Positivitätseffekt; Mather & Carstensen, 2005). In einer Aufmerksamkeits‐
aufgabe konnten ältere Personen schneller auf einen Punkt reagieren, wenn dieser
hinter einem positiven Gesicht erschien als wenn er hinter einem negativen Gesicht
erschien, ein Indikator dafür, dass sie gerade auf die positiven Gesichter geachtet hat‐
ten (Mather & Carstensen, 2003). Bei jungen Erwachsenen gab es keinen solchen Bias.
In einer Entscheidungsaufgabe im Gesundheitsbereich riefen ältere Erwachsene einen
größeren Anteil positiver als negativer Entscheidungskriterien ab und konnten sich
später auch an mehr positive als negative Entscheidungskriterien erinnern (Locken‐
hoff & Carstensen, 2007). Im Bereich der Personenwahrnehmung gibt es allerdings
auch gegenteilige Befunde. Hess und Pullen (1994) berichten, dass ältere Personen
besonders empfänglich für negative Information über hypothetische (d.h. fremde)
Personen sind und sich davon in ihrem Gesamteindruck der Person stärker beeinflus‐
sen lassen als jüngere Personen.
Eine Fragebogenstudie von John und Gross (2004) lässt vermuten, dass Personen mit
dem Alter zunehmend kognitive Umbewertungen emotionaler Situationen vornehmen
und weniger häufig versuchen, ihre Gefühle zu verstecken. Dies zeigte sich in einer
Gruppe von Frauen Anfang 60, die den Fragebogen zur Emotionsregulation unter
zwei Perspektiven ausfüllte, nämlich wie häufig sie die beiden Emotionsregulations‐
strategien heute einsetzen und häufig sie diese im Alter von 20 Jahren einsetzten. So‐
wohl der retrospektive Vergleich als auch ein querschnittlicher Vergleich mit jungen
Frauen Anfang 20 ergibt eine Zunahme von Umbewertung und eine Abnahme der
Emotionsunterdrückung. Zunehmende Lebenserfahrung führt also vermutlich zum
bevorzugten Einsatz effektiver und funktionaler Emotionsregulationsstrategien.
Wenn man Personen im Labor emotionalen Situationen aussetzt und sie instruiert, das
subjektive Erleben oder den Ausdruck ihrer Emotionen zu regulieren, gelingt dies
älteren Erwachsenen genauso gut oder sogar besser als jüngeren Erwachsenen (z.B.
Kunzmann, Kupperbusch, & Levenson, 2005; Scheibe & Blanchard‐Fields, 2009). In
15
einer altersvergleichenden Studie sahen junge und alte Erwachsenen drei Filmaus‐
schnitte über medizinische Prozeduren, die Ekelgefühle und andere negative Emotio‐
nen auslösten (Kunzmann et al., 2005). Junge und alte Teilnehmer waren gleich gut in
der Lage, ihren Emotionsausdruck nach Instruktion zu hemmen oder zu steigern und
hatten vergleichbare Veränderungen in ihrem subjektiven Emotionserleben und ihren
physiologischen Reaktionen. Eine andere Studie fand, dass ältere Personen besser als
junge und mittelalte Personen in der Lage waren, sich ihre Gefühle nicht anmerken zu
lassen, während sie von einem traurigen oder einem ärgerlichen persönlichen Erlebnis
berichteten (Magai, Consedine, Krivoshekova, Kudadjie‐Gyamfi, & McPherson, 2006).
Dies führte zudem dazu, dass ältere Erwachsene im Vergleich zu einer uninstruierten
Kontrollbedingung weniger negativen Affekt erlebten und weniger negative Wörter
benutzten. Bei jungen und mittelalten Erwachsenen war dies nicht der Fall. Phillips,
Henry, Hosie und Milne (2008) fanden, dass ältere Personen besser als jüngere Perso‐
nen in der Lage waren, ihre subjektiven Gefühle beim Ansehen von Filmen, die Unge‐
rechtigkeit und Leid thematisieren, mit Hilfe einer positiven Refocussing‐Strategie
(Aktivierung von positiven Erinnerungen) zu vermindern, wenn man sei dazu auffor‐
derte.
1.6 Kognitive und selbstregulative Kosten von Emotionsregulation
Da antezendenzfokussierte Emotionsregulationsstrategien früh im Prozess der Emoti‐
onsgenese ansetzen, verändern sie die gesamte Emotionssequenz, noch bevor emotio‐
nale Antworttendenzen auf den verschiedenen Ebenen (subjektiv, behavioral, physio‐
logisch) ausgelöst werden. Sie sollten daher mit geringem kognitivem und selbstregu‐
lativem Aufwand verbunden sein (Gross, 2001; John & Gross, 2004). Reaktionsbasierte
Emotionsregulationsstrategien setzen dagegen erst nach Auslösung emotionaler Ant‐
worttendenzen an und erfordern daher die kontinuierliche und kognitiv aufwendige
Regulierung dieser Antworttendenzen. Dies sollte mit hohem kognitivem und selbst‐
regulativem Aufwand einhergehen. Da die kognitiven Ressourcen, die zur Selbstregu‐
lation zur Verfügung stehen, begrenzt sind (Baumeister, Vohs, & Tice, 2007), stehen
weniger Ressourcen für gleichzeitig anstehende Aufgaben zur Verfügung.
1.6.1 Kosten für simultan anstehende Aufgaben
Richards and Gross (2000) untersuchten, wie gut sich Personen an Details emotionaler
Filme oder Bilder erinnern können, je nachdem ob sie vorher instruiert wurden, kogni‐
tive Umbewertungen vorzunehmen oder ihren Emotionsausdruck zu unterdrücken.
16
In der Gruppe, die ihre Gefühle versteckten, war die Gedächtnisleistung reduziert,
nicht jedoch in der Gruppe derer, die Umbewertungen vornahmen. Zudem fand sich
ein Zusammenhang zwischen interindividuellen Unterschieden im Einsatz dieser
beiden Emotionsregulationsstrategien (gemessen mit dem Fragebogen zur Emotions‐
regulation) und subjektiven und objektiven Gedächtnismassen. Richards, Butler, &
Gross (2003) fanden ähnliche Effekte bei romantischen Paaren, die im Labor über einen
Beziehungskonflikt diskutierten. Teilnehmer, die vorher instruiert wurden, ihren Ge‐
fühlsausdruck zu unterdrücken, konnten sich später an weniger Details der Konversa‐
tion erinnern als Teilnehmer, die Umbewertungen vornahmen oder ohne Instruktion
in die Diskussion gingen. Die kognitiven Kosten der Unterdrückung ließen sich durch
verstärkte Selbstüberwachungstendenzen erklären – um der Instruktion gerecht zu
werden, waren die Teilnehmer in der Unterdrücker‐Bedingung kontinuierlich damit
beschäftigt, ihren Gesichtsausdruck und ihre Stimme zu kontrollieren. Dadurch stand
ihre Aufmerksamkeit nicht mehr vollständig der Konversation zur Verfügung. Auch
im klinischen Bereich lassen sich Hinweise finden, dass die reaktionsfokussierte Regu‐
lation von Emotionen mit kognitiven Kosten verbunden ist. So zeigen Raucher, die bei
der Arbeit an kognitiven Aufgaben mit Zigaretten‐bezogenen Hinweisreizen konfron‐
tiert werden, verlangsamte Reaktionszeiten und schlechtere Mathematik‐ und Sprach‐
leistungen (Madden & Zwaan, 2001; Zwaan & Truitt, 1998).
1.6.2 Kosten für zeitlich folgende Aufgaben
Nicht nur simultan ablaufende Aufgaben werden durch reaktionsfokussierte Emoti‐
onsregulation gestört, sondern auch kurz danach ausgeführte Aufgaben. Emotionsre‐
gulation ist eine Form der Selbstregulation und gemäß der Ego‐Depletion Theorie von
Roy Baumeister funktioniert das Selbstregulationssystem wie eine Art Muskel, der
durch Gebrauch ermüdet (Baumeister et al., 2007). Daher werden durch Ausführung
von Selbstregulation nachfolgende Aufgaben beeinträchtigt, selbst wenn diese nichts
mit der ursprünglichen Aufgabe zu tun haben. In einer Studie zeigten Baumeister und
Kollegen (1998) ihren Teilnehmern positive und negative emotionale Filme und forder‐
ten eine Gruppe auf, alle aufkommenden Gefühle nach innen wie nach außen zu un‐
terdrücken. Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe waren diese Personen hinterher
schlechter darin, eine Anagrammaufgabe zu lösen, in der sie Buchstaben zu Wörtern
zusammenzufügen sollten. In einer weiteren Studie sollten die Teilnehmer entweder
ihre Gefühle unterdrücken oder verstärken – beide Bedingungen führten dazu, dass
sie eine darauf folgenden Händedruck weniger lange aushielten (Muraven, Tice, &
Baumeister, 1998).
17
1.6.3 Altersunterschiede in den Kosten von Emotions-regulation
Bisher gibt es nur wenige altersvergleichende Studien zu den kognitiven und selbstre‐
gulativen Kosten von Emotionsregulation. Angesichts der Befunde, dass ältere Men‐
schen stärker motiviert und auch erfolgreich darin sind, ihre Emotionen zu regulieren,
lässt sich vermuten, dass sie dies auch mit geringerem kognitivem Aufwand erreichen.
Außerdem ist denkbar, dass im Lebensverlauf der Umgang mit emotionalen Situatio‐
nen hochgradig „geübt“ wird, so dass Emotionsregulation zunehmend automatisiert
wird.
Junge und ältere Erwachsene in einer Studie von Scheibe und Blanchard‐Fields (2009)
übten zunächst die Ausführung einer Arbeitsgedächtnisaufgabe und sahen danach
einen Ekel‐auslösenden Filmclip. Anschließend widmeten sie sich wieder der Arbeits‐
gedächtnisaufgabe. Eine Gruppe wurde direkt nach dem Film instruiert, während der
folgenden kognitiven Aufgabe ihre durch den Film entstandenen negativen Gefühle
innerlich so schnell wie möglich abzuschwächen, ohne dass eine konkrete Strategie
vorgegeben wurde. Im Vergleich zu einer uninstruierten Kontrollgruppe führte dies
bei den jungen Erwachsenen zu einer verminderten Leistung in der kognitiven Aufga‐
be, nicht jedoch bei den älteren Erwachsenen. Ähnliche Ergebnisse erhielten Emery
und Hess (2009) für die intentionale Steigerung oder Abschwächung des Emotions‐
ausdrucks während der Ansicht emotionaler Bilder. Die Unterdrückung des Emoti‐
onsausdrucks führte zu einem verminderten Gedächtnis bei jungen Erwachsenen,
während ältere Erwachsene durch die Emotionsregulationsinstruktion in ihrer Ge‐
dächtnisleistung nicht beeinträchtigt waren. Weitere Studien zu zeitlich folgenden
selbstregulativen Kosten stehen bisher noch aus.
1.7 Zusammenfassung
Ziel dieses Kapitels war es, einen Überblick über den aktuellen psychologischen For‐
schungsstand zur Emotionsregulation zu geben. Emotionen sind im Alltag selten un‐
reguliert – insofern ist es für neuroökonomische Fragestellungen, die emotionale Pro‐
zesse thematisieren, von großem Interesse, sich zu vergegenwärtigen, mit Hilfe wel‐
cher Strategien Menschen ihre Emotionen regulieren und welche Auswirkungen diese
auf ihr emotionales Erleben und ihre Informationsverarbeitung haben.
Es wurde zunächst ein Prozessmodell der Emotionsregulation vorgestellt, dass fünf
Strategien der Emotionsregulation gemäß ihres zeitlichen Ansatzpunktes im Prozess
der Emotionsentstehung unterscheidet: Situationsselektion, Situationsmodifikation,
Aufmerksamkeitssteuerung, kognitive Umbewertung und Reaktionsmodulation. Die
ersten vier Strategien setzen früh im Prozess der Emotionsentstehung an, in der Regel
18
noch vor Auslösung emotionaler Reaktionen, und sind daher hoch effektiv im Hin‐
blick auf subjektive und soziale Kriterien. Außerdem sind sie mit geringem kognitiven
Aufwand verbunden. Die fünfte Strategie, die Modulation emotionaler Reaktionen auf
subjektiver, physiologischer und/oder behavioraler Ebene, setzt erst gegen Ende des
Emotionsprozesses an und ist mit subjektiven, kognitiven und sozialen Kosten ver‐
bunden. Auf neuronaler Ebene zeigt sich, dass Emotionsregulation präfrontale Hirn‐
regionen rekrutiert, die die Aktivierung subkortikaler Areale wie Amygdala und Ba‐
salganglien modulieren.
Die Analyse von Altersunterschieden in der Emotionsregulation weist darauf hin, dass
mit Unterschieden zwischen jüngeren und älteren Konsumenten im Hinblick auf ihren
Umgang mit emotionalen Reizen und Situationen zu rechnen ist. Gemäß der sozio‐
emotionalen Selektivitätstheorie führt die Wahrnehmung einer abnehmenden Lebens‐
zeit zu einer verstärkten Motivation, emotional bedeutsame Erfahrungen zu machen,
und dies hat Auswirkungen auf die Emotionsverarbeitung und sozialen Präferenzen
älterer Menschen. Gleichzeitig scheint zunehmende Lebenserfahrung zum bevorzug‐
ten Einsatz effektiver und funktionaler Emotionsregulationsstrategien zu führen, die
früh im Prozess der Emotionsgenese ansetzen, sowie zum verringerten Einsatz weni‐
ger effektiver und dysfunktionaler Strategien. Beispielsweise sprechen ältere Men‐
schen verstärkt auf emotionales – insbesondere positiv getöntes – Material an und sind
selektiver in der Wahl ihrer sozialen Partner.
Die Analyse von Emotionsregulation kann zur Aufklärung menschlichen Verhaltens in
ökonomischen Entscheidungssituationen beitragen. Auch für die Marketingforschung
sind diese Befunde potentiell von Relevanz, wenn es darum geht, emotionale Reaktio‐
nen beim Konsumenten zu verstärken oder abzuschwächen. Obwohl in diesem Kapi‐
tel der Fokus auf interner Emotionsregulation (d.h. der Regulation eigener Emotionen)
lag, sind die dargestellten Befunde leicht auf externe Emotionsregulation übertragbar.
Insgesamt ist zu hoffen, dass die beschriebene Forschung wesentliche Erkenntnisse
und neue Impulse zum entstehenden Forschungsfeld der Neuroökonomie beizutragen
vermag.
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