Das Alte Reich und seine Archive im Spiegel reichspublizistischer Literatur. Ius archivi,...

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Das Alte Reich und seine Archive im spieget reichspubtizistischer und reichsrechtlicher Literatu r: lus archivi, gerichttiche Beweiskraft und konfessionspotitische lndienstnahme* Markus Friedrich Archive waren - und sind - mehr als bloß Informationsspeicher. Ihre historische Rolle erschöpfte sich nicht in der Bereitstellung von Dokumenten und Informationen' wie *l.Lrrig diese Funktion (sofern sie regelmäßig.erfüllt werden konnte) auch immer gewe- sen sein mochte. Darüb)r hinaus *ui.r. - und ,ir-td - Archive stets Diskursgegenstände' An ihnen entzündeten ,itr *.ir".g"hende Debatten' die nicht nur mit dem reinen Infor- mationsgehalt der aufbewahrten S'chriftstücke zu tun hatten' Archive wurden in diesem Sinn zu Projektionsflächcn komplexer juristischer' politischer, sozialer' historischer oder ."trgior.. Iie.rr rrnd i<o"nit'"' i'''dt'-,' ,.,."" über Archivc schrieb und stritt' konnte man teilweise weit ausgreif""J. n.^g." behandeln, die unmittelbar nicht.mit dem Inhalt ein- zelner Reposir.r..rr rr..b.rrd.r, irr..r-r. Das gilt auch für die Archive des Alten Reichs, die t.n.,ng G.g",'.tn,.d reichsrechtlicher, juristischer und reichspublizistischer Literatur wa- ren. Es ist diese g.f.h.;. literarische Perspektive auf die Archive des Reichs' die hier vorgestellt werden soll. Die ausgewerteten einschlägigen Texte -- Traktate' Speziai- abhandlungen, polemiken - offnä den Blick nuf ,"hi untcrschiedliche Bedeutungsdi- mensionen der Reichsarchive, die für die Autoren der Frühneuzeit, nicht aber unbedingt für moderne Betrachter, immer wie selbstverständlich mitschwangen' wenn von Archi- ven die Rede war. Die Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Thematisierungen der Archive hilft also dabei, die vielfältigen Bedeutungsebenen der-Reichsarchive zu er- kennen, die für di" b.;;i.;"n Ju.isten,-Politiker und selbst einfachen Leute bestanden' Die Rekonstruktion fullh.r".tr.i,iicher Archivthematisierungen gibt dem vormodernen Archiv die ganze Breite seiner zeitgenössischen Relevanz zurück'l '.1.d""k'",*ElisabethBrunertganzherz-lichfürKopienausdenFahncnderActaPacis.Westpba' /lcae sowie für zahlreichc r"f"r,.rri."".. Harriet Rucloiph hat de' Beitrag durch kritische Lektürc und viele Anregungen entscheidend verbcssert' Vgl. für einen ersten Übe.bli.k Markus Friedrich: Die Gcburt des Archivs. Eine \üissensgeschichte, München 2013.

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Das Alte Reich und seine Archive im spieget

reichspubtizistischer und reichsrechtlicher

Literatu r: lus archivi, gerichttiche Beweiskraft

und konfessionspotitische lndienstnahme*

Markus Friedrich

Archive waren - und sind - mehr als bloß Informationsspeicher. Ihre historische Rolle

erschöpfte sich nicht in der Bereitstellung von Dokumenten und Informationen' wie

*l.Lrrig diese Funktion (sofern sie regelmäßig.erfüllt werden konnte) auch immer gewe-

sen sein mochte. Darüb)r hinaus *ui.r. - und ,ir-td - Archive stets Diskursgegenstände'

An ihnen entzündeten ,itr *.ir".g"hende Debatten' die nicht nur mit dem reinen Infor-

mationsgehalt der aufbewahrten S'chriftstücke zu tun hatten' Archive wurden in diesem

Sinn zu Projektionsflächcn komplexer juristischer' politischer, sozialer' historischer oder

."trgior.. Iie.rr rrnd i<o"nit'"' i'''dt'-,' ,.,."" über Archivc schrieb und stritt' konnte man

teilweise weit ausgreif""J. n.^g." behandeln, die unmittelbar nicht.mit dem Inhalt ein-

zelner Reposir.r..rr rr..b.rrd.r, irr..r-r. Das gilt auch für die Archive des Alten Reichs, die

t.n.,ng G.g",'.tn,.d reichsrechtlicher, juristischer und reichspublizistischer Literatur wa-

ren. Es ist diese g.f.h.;. literarische Perspektive auf die Archive des Reichs' die hier

vorgestellt werden soll. Die ausgewerteten einschlägigen Texte -- Traktate' Speziai-

abhandlungen, polemiken - offnä den Blick nuf ,"hi untcrschiedliche Bedeutungsdi-

mensionen der Reichsarchive, die für die Autoren der Frühneuzeit, nicht aber unbedingt

für moderne Betrachter, immer wie selbstverständlich mitschwangen' wenn von Archi-

ven die Rede war. Die Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Thematisierungen

der Archive hilft also dabei, die vielfältigen Bedeutungsebenen der-Reichsarchive zu er-

kennen, die für di" b.;;i.;"n Ju.isten,-Politiker und selbst einfachen Leute bestanden'

Die Rekonstruktion fullh.r".tr.i,iicher Archivthematisierungen gibt dem vormodernen

Archiv die ganze Breite seiner zeitgenössischen Relevanz zurück'l

'.1.d""k'",*ElisabethBrunertganzherz-lichfürKopienausdenFahncnderActaPacis.Westpba'/lcae sowie für zahlreichc r"f"r,.rri."".. Harriet Rucloiph hat de' Beitrag durch kritische Lektürc

und viele Anregungen entscheidend verbcssert'

Vgl. für einen ersten Übe.bli.k Markus Friedrich: Die Gcburt des Archivs. Eine \üissensgeschichte,

München 2013.

412 | Marl<us Friedrich

1571, gab Jacob von Ramingen - soweit bisher erkennbar - erstmals in der europäi-

schen Archivgeschichte einen eigenständigen Traktatüber Archive und das Archivieren in

den Druck.2 Ramingens Erörterungen erfreuten sich in den Folgejahrzehnten einer gewis-

sen Beliebtheit, doch erst nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges nahm die Debatte

stärker Fahrt auf.3 Nun erschienen in immer größerer Zahl ztsehends spezialisiertere Ab-

handlungen zt ernzelnen Facetten des Archivwesens. Behandelt wurden praktische Fra-

gen genauso wie die juristischen Implikationen der Archive, analysiert wurde die Ge-

schichte des Archivwesens ebenso wie einzelne Institutionen und deren Spezifika.

Doch die Debatte im Reich war nicht nur besonders früh und außerordentlich inten-

siv im internationalen Vergleich, sie wies auch eine Reihe von spezifischen Eigenheiten

auf. Randolph Head hat jüngst in einem scharfsinnigen Aufsatz sogar die These entwi-

ckelt, dass die Archivtheorie im Reich und die Behandlung der Archive in Frankreich

zwei klar erkennbare, distinkte Modelle darsteliten.a In Frankreich habe zunehmend die

entstehende Spezialdisziplin der Diplomatik das Nachdenken über Schriftlichkeit be-

herrscht, was letztlich zu einem Zuricktreten der Archive hinter den Dokumenten - die

ja den eigentlichen Gegenstand der Diplomatik darstellen - führte. Im Reich dagegen

hätten juristische Deutungstraditionen des Schriftguts überwogen, die sich viel stärker

am Archiv als Institution orientiert hätten. Die kennzeichnende Diskursfigur für diese

reichisch-institutionelle Betrachtungsweise war das iws archirti, das Recht, ein vollgül-

tiges Archiv zu gründen und zu unterhalten.5

Was ist ein Archiv?

Mit dem Begriff ,,Archiv" war in der Frühen Neuzeit eine sehr spezifische Einrichtung

gemeint. Rutger Ruland, dessen einschlägige Passagen aus dem TractatLts de commissa-

rüs rmmer wieder zitiert wurden, definierte beispielsweise wie folgt: ,,Das Archiv ist

eine Waffenkammer oder ein öffentliches Sammelbecken für schriftliche Dokumente,

sei es eines Fürsten, einer Obrigkeit oder einer Republik."6 Rulands Definition war tief

Jenny Beat Rudolf: Vom Schreiber zum Ritter. Jakob von Ramingen 1 5 1O - nach 1582, in: Schriften des

Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar und der angrenzenden Landesteile 26 (1966)'

1-66. Jacob von Ramingen: Von der Registratur und jren Gebäuen und Regimenten, Heidelberg 1571.

Frühe Rezeption z.B. bei Adam Keller: De officiis Iuridico-Politicis Chiragogici libri tres, Konstanz

1,6A7,456464.Randolph Head: Documents, archives, and proof around 1700, in: The Historical Journal 56 Qaß),909-934.Zwius archivibisher nur Ernst Pitz: Beiträge zur Geschichte des Ius Archivi, in: Der Archivar 16

(1963),279-286. Friedrich Merzbacher: Ius Archivi. Zum geschichtlichen Archivrecht, in: Archivali-

sche Zcitschrift 7 5 (1979),135-147 . Elio Lodolini: Giurisprudenza della Sacra Rota Romana in materia

di archivi (secoli XVI-XVIII), in: Rassegna degli Archivi di Stato 42 (1982),7-33. vgl. ferner zum

Kontext auch Luciana Duranti: The concept of appraisal and archival theory, in: American Archivist

57 (1994),328 344.

Rutge r Ruland: De commissariis et commissionibus Camerae Imperialis, Frankfurt 1597, UA (Tracta-

,r, II, ""p.

3 Nr. 5): ,,Est autem Archiuum documentorum literariorum armarium, seu publicum

in der euroPär-

das Archiviere n in

clner gewlS-

nahm die Debatte

lisicrtere Ab-

praktische Fra-

wurde die Ge-

Spezifika.

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: ,,Das Archiv ist

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in: Schriltcn des

26 ( tq66).

Heidcibcrg 1571

libri trcs, Konstanz

Journ,Il 56 (201 l),

inl Dcr Archivar 16

in: Archivali-

Romana in mrtcrta

Vgl. ftrncr zum

ican Archivist

1597, 140 (Tracta

scu publicum

)at ail.l frrrcl urd reirt Ällfrive | 4r3

imRömischenRechtverwurzeit.Dorttauchten,,Archive..vorallemimZusammen-hangmitderFrage".'r,*i.-,.di.GültigkeitvonVerträgenundanderenRechtsdoku_menren schützen und garantieren könne.7.Dazu dienten iL römisch"n Recht vor allem

die römische n tobrlloiry oder Notare: Diese, als öffentlich bestallte Akteure, würden

von ihnen authentifizierte Rechtsdokumente erstellen und in ihren Archiven deponie-

ren. Flinter diesen Personen, Dokumenten und Archiven Stand die ,,öffentliche.. Auto-

rität des Gemeinwesens, ebcn deshalb konnte dieses juristische Arrangement die Be-

weiskraft d.r Dokumer1r" ,i.h..r.. Die römischr.chtlii geschulten Juristen der Frühen

Neuzeit adaptierten ait" nttflt'konstruktion' um "Glib en zu etzengen (fid'em face-

re)", müsster. ntth"aoit',''t'." i" "öffentlicher" Fot- verfasst' "öffentiich"

authenti-

fiziert und in ,,öffentlici"r-r.. o.po,s gelagert werden. Öffentliche Dokumente waren

laut Ruland d.-"ntn 'olth"' "die "o" tittt- öffentlichen Magistrat Ejmlcht:"t1:l

und dadurch öff""r[.;;;;;;.ire. l-,"b"r.".8 Das Archiv r.vurde in der Frühen Neuzett

demenrsprecr-r""a -.ir, a.ä"i"., ui, d". ,,öffentliche ort, in dem öffentlich ausgestellte

Rechtsdokumente gelagerr werden".e D"t n.l.iff ,,Archiv" als juristischer Fachtermi-

nus blieb "r,

di. A.rtoli?at d.. .ir-,.i.htenden rlrti,"ri." gebunden, yt.*"t "^:i:tjl,::lfentlich.. ausdrückte. öi.r" o"r"rsung biieb während der gesamten Frühen Neuzert tm

juristischen Diskurs d"t' ntith' domiÄnt' D"t;;l:d"t:t ""ch -llthts' dass die eigentii-

che Grundlag. d", g;;;;Denkgebäudes - die Notariatspraxis - im Europa nördlich

der Alpen ir-, d". f .ti.r, N".rr"i, in.r- -"',. f.äsent war' bbwohl also die praktische

Anwendbarkeit der ömisch.e.htiichen r<."r,i."r.ti"n weitgehend fehlte' blieben doch

die juristisch. T..1nir.ologie und_die "r-r.rp."lh.r1den

Rechtsfiguren erhalten und präg-

ten die frühneuzeitli.h. Ä..hirrdiskussion entscheidend. Erst ganz am Ende des Alten

Reichs wandten sich einige Juristen und att1'i'tt"otetiker explizit gegen diese Ansicht'

besonders deutlich r.i"dilÄ wilhelm a*"" i"y.ltz in "ine.

Altdorfer Spezialabhand-

lung von 1796'

-*-*"h'.ircPrincipi.'sive.Mrgisrratut.''i'cRcipuhlic:er]icuius,it.'.ZalrlrcichclcircrcDcfi-nirions'arianten i" J"iir.", Richtung t.rr-"l.hnL, a["rr'", F.i"th' De iure archivi et cancellariac'

Jena1664'12' 1 r:-:^ .--^l :-'i" nr^{crxrrlr'charta. veluti desusceptum mensae

7 Y' a.Nov XV 2' 2: "sivero etiam cx publicis archivis pro{errt'"t :b-t"' ::1I

gloriosissimoru.p.".{".,o.u*('o'i..',eni,r'etinmaliquidtalcquac.situ.m),etquodexpublicisprofertur ",

p.rt ti.äiJ., ,..ri-.*"- etiam boc susceptibile essc ad collationes manuum Ponl-

mus. ubi<1ue .",,o i;1rä;;';.i"r",r'.ai. h"b";;., .; i"'lurardrun P*.-q:'_" discutientes [cximen-

tesl litteras ."".ir;;;;;-"i publicis solummodo documentis comparatiorem permisimus' Qua-

propter valeat n- .,]1"r" j*'tria, pr""r.",; subdivisione delata ei, iureiurando tamen comparantlum

, ff,ff;Ti:Xf;i"*1" a''- uJ' 11' q 2' Nr' 3): "a

magistratu publico conrecta' publicam

authoritatem habent: quando scilicct & l.l"girr.""*r a"'4..t ;u"o publico scripturam conficit'"

9 7'.B.c"o,g R"do')Miih".l M....",. oi,,",.",io ;;'lug-^li, o" .."l-'ir'is, Rostock 1681, Thcse I. Dcr

öffentliche ch"."k;";;;;;'.r-nr-r", b.i r.;".1"..i.rr1ä.tJloff' oi'pttt"tio inauguralis de Archivorum

publicorum "'i*"'::';';;;.=l"to,lt"*' u"" ioze' These vli : "locus ipublicusl ille in quo Pu-

blica instrument" tltpl"t'ttt""' Praktisch wort;;l;";;;;""cistu' \'t- Neteu' in: Jakob -ffencker:

collectaArchivi,s,i"rttrr.g t715,65f.g**oii"tt;..zusätzlicherinfrastrukturellerDclinitions-

merkmalc bei Fritsch' De iirre archivi (wic Anm 6)' 47-51'

414 | tu1ar-i{ur lr!edrich

Während der gesamten Frühen Neuzeit folgten die Juristen auch der Annahme, dass

die Archive im strengen Vortsinn den in ihnen lagernden Dokumenten besondere Be-weiskraft verliehen. Der richtige Aufbewahrungsort unterstützte die Glaubwürdigkeitvon Schriftstücken. Das galt erst recht für solche Dokumente, denen ein Makel anhafte-te, beispielswcise für Abschriften. Mit dcr Glossa ordinaria war Rutger Ruland und denmeisten anderen Juristen im Reich k1ar, dass ,,das Archiv einem nicht authentischenSchriftstück Kraft gibt."10 Entsprechend wurde gelegentlich die Meinung diskutiert, beiDokumenten aus öffentlichen Archiven müsse man es mit den Echtheitsüberprüfungennicht allzu genau nehmen.l1 Philipp Knipschild betonte später, dass das Archiv auch

Abschriften einen zttsätzlichen ,,robur" verleihe, und zwar insbesondere dann, ,,wenndie Kopie oder das Schriftstück sehr alt ist".12 Augustin von Leyser hielt es ebenfalls fürunstrittig, ,,dass private Schriften im öffentlichen Archiv für öffentiich gehalten wer-den". Allerdings hielt auch Leyser fest, dass man nichtsdestotrotz die ,,Schriften selbst

genau inspizieren muss und oft ist auf Grund der lJmstände doch etwas vom vollständi-gen Glauben abzuziehen." 13

Dieses Authentifizierungspotential der ,echten' Archive wurde dort besonders

wichtig, wo die Überlieferungslage prekär oder eingeschränkt war. Die Funktion derArchive, ,unvollkommene'Dokumente zu autorisieren, war für viele der Rcichsstände inder Frähen Neuzeit angesichts der oft problematischen Überlieferungssituation ihrerPrivilegien und grundlegenden Rechtstexte von großer Attraktivität. Ernst Pitz undjüngst Randolph Head haben nicht ohne Grund festgehalten, dass die römischrechtlicheArchivdefinition eine starke Unterstützung der Reichsstände im Kampf um den juristi-schen Beweis ihrer Landeshoheit darstellte.la

Dokumentansammlungen, die nicht diesen Kriterien entsprachen, waren in einemstrengen Vortsinn ftir die meisten Juristen eigentlich gar keine ,,Archive".1s Johann Ja-

10 Philipp Knipschild: Tractatus Politico-Historico-Iuridicus De Iuribus Et Privilegiis Civitatum Impc-rialium, Straßburgl74a,402: ,,Quia archivum robur addit scripturae non authenticae". Vgl. a. ebd.:

,,in dubio scripturae existentes in publico archivo de consuetudine habcntur pro authcnricis, nisi con-trarium probetur". Skeptischer Friedrich \W. A. Lx1'1i12; Dissertatio Inauguralis Exhibens Observatio-nes Dc Auctoritatc Diplomatum In Archivo Depromtorum, Altdorf 1296, 13: das Archiv würde nureine ,,praesumptio pro veritate" direkt verleihen.Layrttz, Dissertatio Inauguralis (wie Anm. 1O), 23 nit Bezug auf Augustin von Leyser: MeditationesAd Pandectas, Franckenthal 1.778,Fd. 4, 1A25 rc34. Leyser ist dort allerdings delaco skrupulöser, als

dic lX/icdergabe bci Layritz vermutcn lässt.

Knipschild, Tractatus Politico Historico-Iuridicus (wie Anm. 10),402 (Nr.20): ,,Idem est [sc. archi-vum robur additl, si copia, sivc excmplum tantum alicujus scripturae ex archivo producatur eandem

enim virn tribui debere, ac ipsi Originali, debita solemnitate confecto, tradunt [...] ctiamsi originalisscriptura haberi nequeat) praesertim vero si copia, sir e exemplum sit antiquum". Leyser, MeditationesAd Pandcctas (wie Anm. 1I),1A321. war hicr zurückhaltcndcr. Kopicn tibcrzcugcn nut wcnn auch das

Original noch vorhanden ist: ,,Sola pro{ecto antiquitas rei per se lcvissimae, & nullius plane momcntiauctoritatem et pondus addere nequit".Leyser, Meditationes Ad Pandectas (wie Anm. 11.),1A26.

Head, Documcnts (wic Anm. 4), 920.

Ausnahmen gab es. Bernhard Multzius, in: rü/enckeS Collecta (wie Anm. 9), 114, 119 z.B. weistdarauf hin, dass auch Obrigkcitcn ohnc jura majestatis, abcr mit jura superioritarzi - also Land-

l1

l2

13

74

l5

anhafte-

und den

ischen

iert. bei

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wer-

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ion der

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Piu und

Das alle Reich und seine Archive | 4r5

kob Speidel schlug für solche Depots immerhin noch den Begriff des ,,archivum priva-

,rr1n" ,ro., doch war dies eigentlich ein Widerspruch in sich selbst.16 Andere Autoren

vermieden das .Wort ,,archivum" für im juristischen Sinn nicht-öffentliche Schriftgut-

ansammlungen darum vollständig und nannten solche Depots dann beispielsweise kon-

sequenr ,,scrinia".17 Schriftstücke aus diesen galten entsprechend a1s lediglich ,,private"

Schriften. Dabei handelte es sich um Unterlagen, ,,die nicht von öffentlich bestallten

personen angefertigt werden und nicht aus sich heraus Autorität haben, solange sie ihnen

nicht von d.n B.roff"nen zugebilligt oder durch den Vergleich mit anderen Schriften

bewiesen oder durch unterschreibende Zeugen garantiert wird", wie Nicolas de Passeris

in einem viel zitierten Grundlagenwerk zum Thema schrieb.ls Solchen privaten Schriften

und Archiven, insbesondere den Depots der Kaufleute, brachten die Autoren durchaus

große Hochachtung entgegen - nur dass sie eben keine vollumfängliche, sondern besten-

{alls eine ,,semipiena probatio" leisten konnten'le.Vas clas konkret für die juristische Argumentation heißen konnte, wird aus einem

Prozessgutachten des Tübinger Juristen Christoph Besold sehr anschaulich deutlich.2o

Die Klälerin in diesem Prozess vor dem Stadtgericht Tübingen und dann in Revision vor

dem Hoigericht war die Besitzerin einer Mühle, die die Bewohner des Dorfes Gärtringen

zwingen i.ollt", allein in ihrer Mühle zu mahlen. Die Bewohner des Dorfes hatten sich an

die Tlbing". Juristenfakultät gewandt. Besold schrieb also für die beklagten Dorfbewoh-

ner. Das im hiesigen Kontext entscheidende Detail des Prozesses war, dass die Müllerin

zwar angab,ihr ,$4ann seelig / fhabe] ein Pergamentin Brieff gehabt /kralft dessen be-

städte oder Gemeinden (communitates et civitates) -,,Archive" haben könnten, die den Archiven

aus Majestätsre.h,"r-r ".ri anTgdes gleich, an auctoritas ledoch unterlegen seien. Dazu auch Thomas

Vogthe.r, Archivtheorie und ir.hipr"*is im ausgehenden 1 7. Jahrhundert. Ahasver Fritsch, Jacob

g"äh"rd Multz von Oberschönfeliund Georg Äebbtlin, in: Reiner CunzlRaincr Polley/Andreas

Röpcke(Hgg.):FundamentaFlistoriae,GeschichteimspiegelderNunismatikundihrerNachbar-wissenschaften, Flannover 2O04 (veröffcntlichungen der urgeschichtlichen Sammlungen des Lan-

desmuseums zu Hannover, 51)' 4A3-4A9' 446'

l6 Johann J. Speidel: Speculu- lrrriai.o-potitico Philologico-Historicarum obs_ervationum Et Notabi

lium, Nürnberg t657,7a (s.v. ,,Archiv..). Direkt hiergegen z.B. Lynckeq in: \üencker' Collecta (wie

Anm. 9), 85.

17 Z. B. Keller, Dc officiis Iuridico-Politicis (rvie Anm. 3), 355, wörtlich zitiert bei Paul Matthias \fehncr:

Practicarum Juris, obseruationum selectarum liber singularis, Straßburg 1735, 408: ,,Principes EC Sta-

tus Imperii, öo-it", Er Barones, gcc. sua habcnt archiva; sed ii, qui in matricula Imperii non continen-

,rrr, rrJrur, Landsassen / ius archivi non habent, nisi specialiter a superiore concessum, & eorum

scrinia vocantur Schreibstuben'"

lg Nicolas de passeris: l)e scriprura Privata, Speyer 1513 [= 1613], I 1, $3,2: ,,illa fscriptura], quae fit-a

non publicis personis 8c r'ror h"b"t pro ," nu-tho.itnt.-, nisi adversarius id confiteatur, vel nisi per col-

lationem Er .o-p"r"tiolr"* "lt".iü scripturae, subscriptionis ipsiusmet adversarij, 8r testium, qu:i

,rbr.ripr"..rrr, p.ob"tn. contrarium." Vil. nulatd, De commissariis (wie Anm 6), 139 (II 2 Nr' 5):

,,privata instrumenra sunt: quae "

p".ronii privatis in absentia Iudicis & Notarii fiunt, & sola scriben-

tium authoritate subsistunt"'

19 Multzius, in: -ü/enckcr' Collecta (wie Anm. 9), 120. De Passeris, Scripturis (wie Anm. 18), 39.

20 Das Gutachten finden sich in christoph Bcsold: Consultarionum de insignioribus aliquot juris utri-

usquetampubliciquampriu"ti.o't.o-'".,iis,6Bde,Tübingen1632_1633,8d,.5,266_285.Eine(eige-,"j.i.ht".li"h. St"ilrrngr"h-. in äh'lichcm Kontext zitiert auch Le1'seq Meditationes Ad Pandectas

(wie Anm. 1I),1A27f .

416 | Markus Friedrich

klagte in ihr Mühlin gebannen" - diese Urkunde war in einem ,,öffentlichen" Kirchen-

"..hiy i1 Ettlingen deponiert gewesen.2l Allerdings war dieser ,,Brieff / casu fortuito zu

Grund gangen" und nun nicht mehr vorzuzeigen.22 Ersatzweise wollte die Witwe andere

Dokumente als Beweise gegen die Gärtinger anführen. Doch hier widersprach Besold

nun unter Hinweis auf das iws archivi. Denn bei den neuen Beweisstücken der Witwe

handele es sich lediglich um ,,etliche Scartecken oder Blätter / die & consule, fine item 8c

principio carentes, in zweyer Flecken Laden gefunden worden"' und somit nur um

,,r..ipi.r.n. privatae", denen selbst dann nicht ohne weiteres zu trauen sei, wenn sie ,,ex

"..hi..o p.rbii.o tractae" wären.23 Doch davon, dass es sich bei den ,,Laden" der angespro-

chenen ilo.f.1- um ,,öffentliche Archive" handele, könne ohnehin keine Rede sein - hier

folgte er einem Kriterienkatalog für ,echte' Archive, der gleich noch ausführlicher zur

Spä.he kommt. Insgesamt äußerte sich Besold sehr kritisch über die Beweiskraft jener

p.irr",.n und verstümmelten ,,Scartecken", die die Vitwe in einer ,,Lade" in zwei Dörfern

g"fu.rden haben wollte: ,,Es wäre auch sehr gefährlich / und vielen ehrlichen Leuten ubel

leholffen / wannin eines gemeinen Flecken ubel verwahrten Siedlen2a / dergleichen sich

f,efi.rder1de Privat-schrifften vim probandi haben / und einer galtzen Dorffschafft / ver-

mittelst deren /ein so hohe Beschwerd auffgesattelt werden köndt."25

\fas an diesem Fall im vorliegenden Zusammenhang besonders bedeutsam ist, liegt

auf der Hand: Besolds Gutachten zeigt, dass die Frage, was ein ,,Archiv" sei und ob eine

bestimmte Ansammlung von Schriftstücken als ,,Archiv" in vollem Sinn zu gelten habe,

auch für die Menschen der Frühen Neuzeit im Alitag durchaus eine sehr konkrete Be-

deurung haben konnte. Schriftstücke wie die ,,Scartecken" der \7ürttemberger Witwe

waren i.r ih... Bedeutung ganz wesentlich von ihrem Aufbewahrungsort abhängig. Be-

solds Standpunkt setzre das institutionelle Argument des ius arcbivi als wichtiges Krite-

rium für die Entscheidung über die juristische Aussagekraft von Beweisstücken voraus'

Damit folgte er einer im Alten Reich noch lange breit akzeptierten Auffassung'

Besold, Consultationum (wie Anm 2A)' Bd. 5' 266.

Die Dctails des Verlustes des Dokuments werfen ein Schlaglicht auf die Archivrealität der Frühen

Neuzeit: ,,die Klägere fürgeben / daß des Vertrags / so die drey Flecken mit den [...] Müllern / vor

Ta.Jaren/ deß Mühlbann, und "rdere,

articulirter Puncten wegen / eingangen / ein Pergamentiner

Srieff / ir dem Gewölb / in der Kürchen zu Etlingen gelegen / darinn vor etlich und zweinziglaren

Dieb gebrochen / und solchen besigelten Brieff / ncben andern Sachen mehr / darauß gestohlen",

,g1. Bäsold, consultationum (wie Anm.2o), Bd. 5,273. Aneiner anderen Stelle gab die Klägerin an,

dl, Brief sei im Besitz ihres Mannes gewesen, aber bei einem Feuer verbrannt - diese Inkonsistenz

machte Besold nur umso stutziger, ebd.,276.

Besold, Consultationum (wie Anm. 2A), Bd. 5, 27 7 .

Laut Grimm'schem \(/örterbuch bedeutet Siedel ,,Stuhl, Sitz, Bank, 'wohnung" hier wohl erweitert

irn Sinne uon ,Truhe'. .Lade'.Besold, Consultationum (wie Anm' 20),8d. 5' 278'

21.

22

23

24

rntlichen" Kirchen-[f / casu fortuito zu

re die Witwe andere

widersprach Besold

istücken der Witwe:onsule, fine item 8c

und somit nur um:n sei, wenn sie ,,ex

rden" der angespro-

ine Rede sein - hierh ausführiicher zure Beweiskraft jener

le" in zwei Dörfernrlichen Leuten ubel2a / dcrgleichen sich

L Dorffschafft / ver-

bedeutsam ist, liegtriv" sei und ob eine

iinn zu gelten habe,

: sehr konkrete Be-

rttemberger Vitwegsort abhängig. Be-

als wichtiges Krite-veisstücken voraus.

.uffassung.

realität der Frühen

[...] Müllern / vorein Pcrgamentiner

und z-weinzig Jarcndarauß gestohlen",

;ab die Klägerin an,

diese Inkonsistenz

hier wohl crwcitert

Das aite Reich und seine Archive | 4r7

Das ius orchivi und die Archive im Reich

Angesichts dessen drängte sich für die Autoren eine vorhersehbare Frage auf: \(er imReich hatte eigentlich das Recht, ein solches ,,öffentliches" Archiv, das heißt ein Archivim strengen Vortsinn zu gründen, wer hatte das ius archivi? In der einen oder anderen

Art und Weise waren sich die Autoren dabei einig, dass dieses Recht lediglich jenen Per-

sonen oder Korporationen zukommen sollte, die - modern gesprochen - über Landes-

hoheit verfügten. Archivgründung im Sinne des iws arcbiai war Hoheitsrecht. Ruland

brachte in allgemeiner Veise vier Kriterien vor: Das Recht auf ein Archiv, das ius archirti,

kam jenen zu, die entweder dieses Recht ausdrücklich verliehen bekommen hatten; über

iura imperä oder regalia verfügten; die Gesetze erlassen konnten; die Notare ernennen

durften.26 Spätere Autoren, beispielsweise Ahasver Fritsch oder Friedrich Rudloff in ih-ren archivjuristischen Spezialabhandlungen von 1668 und 1681, 1ießen nur noch das

zweite Argument gelten. Die einzige cawsa efficiens für ein Archiv seien,,Imperium ac

Superioritas seu Jus Regalium".27 Auch Georg Engelbrecht, ebenfalls ein Spezialist fürArchivrecht, stimmte in einer Schrift von 1688 zu: Archive waren nur als Ausfluss von

,,;'ura majesti ca" bzw.,,jura superioritatis" möglich.28 Die Gültigkeit solcher Archive und

ihrer Authentifizierungskompetenz waren dabei jedoch nicht an das Territorium des Ar-chivherren gebunden, sondern galten auch außerhalb seines Herrschaftsbereichs.2e

Auf dieser Grundlage entfaltete sich eine komplexe Debatte darüber, wer im Reich

im Einzelnen das iws archioi habe.3o Kein Archivrecht hatten nach vorherrschender Mei-nung alle Korporationen und Landstädte, die keine Territorialhoheit ausübten.31 Doch es

gab auch einzelne Gegenstandpunkte: Balthasar Conrad Zahn etwa verfasste 1650 eine

häufig nachgedruckte und erweiterte Ichnographia Municipalis, eine Abhandlung über

das Recht der Städte. Darin gab es ein ganzes Kapitel zum iws arcbirti, das trocken mitdem Satz beginnt: ,,Die Städte haben das Archivrecht".32 Allerdings war dies eher eine

zweckbezogene Sondermeinung, denn die Mehrzahl der Autoren knüpfte das ius archirti

an die Reichsunmittelbarkeit. Umstritten war allerdings bereits, ob die Reichsunmittel-

Rulant, De commissariis (wie Anm. 6),142 (II4, Nr. 2).

Fritsch, De jure archivi (wie Anm. 6), 20. Rudloff, Disputatio inauguralis (wie Anm. 9), Thcse XiI.Gcorg Engelbrecht: Dissertatio De Iurc Archivorum, Hclmstaclii 1688, fol. Bav (Th. XI).Daswar opinio communis,z. B. Knipschild, Tractatus Polit:ico Historico-Iuridicus (wie Anm. 10),

402. Fritsch, De jure archivi (wie Anm. 6), 61.

Eine kompetente, inhaltlich aber herkömmliche Rekapitulation z. B. bei Knipschild, Tractatus Politico

Historico-Iuridicus (wie Anm. i0), 399f.

Ludwig P Behlcn: Dissertatio Inauguralis Juridica Dc Probatione Per Docume nta Archivalia, Mainz1.764,5.

Balthasar C.Zahn: Ichnographia municipalis, Köln 11209, 189: ,,Municipia jus Archivi seu Chartophy-

licais habere", so mit Hinweis auf Nov XV 5, Nr. 2: ,,Praecepta vero faciat tua eminentia per unamqu-

amque provinciam, ut in civitatibus habitatio quaedam publica distribuatu5 in qua conveniens est de-

fensores lnonumenta recondere, cligendo quodam in provincia qui horum habeat custodialn: quatcnus

incorrupta maneant haec et velociter :inveniantur a requirentibus, et sit apud eos archivum, ct quod

hactenus praetermissum est in civitatibus cmendetur." Fritsch, De jure archivi (wie Anm. 6),24 mitinteressanter Distinktion: nach römischem Recht ja, nach dcm ,,jus hodiernis" jcdoch eher nein.

26

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418 | Markus Friedr!ch

barkeit alleine schon das iws archioi begründete: Ruland negierte dies 1619, der Ar-chivspezialist Ludwig Philipp Behnen bejahte dies dagegen knapp eineinhalb Jahr-hunderte später im Jahr 1760.33

Faktisch liefen all diese Debatten um das ius arcbivi im Reich ietztlich meist auf einearchivtheoretisch legitimierte Stratifikation der Reichsmitglieder hinaus. Die differen-zierte Binnenstruktur des Reiches wurde auf die Archivtheorie übertragen; umgekehrtdiente die Zubilligung des iws arcbioi dazu, die reichsinterne Hierarchie der Stände,Mitglieder und Körperschaften zu illustrieren und zu verfestigen. Zubilligung bzw. Ver-weigerung des iws arcbiai hatte damit eine erhebliche Bedeutung, denn sie war ein Indizfür den Standort in der Reichshierarchie. \flas war beispielsweise mit den Reichsgrafen,hatten sie das iws arcbirti? Friedrich Rudloff sprach es den meisten Grafen und Baronenzu, nicht jedoch jenen, die alleine den Titel ohne Flerrschaft besaßen.3a Und was war mitjenen Grafen, die nicht in der Reichsmatrikel auftauchten, fragte noch einmal Ruland?Diesen landsässigen Grafen, etwa den Ortenburgern in Bayern, wollte er das Archiv-recht verweigern.35 Schließlich die verschiedenen Korporationen des Reichs36: Reichs-kreise hatten ein iws archioi, so etwa Ahasver Fritsch.3T Auch die Hansestädte als Föde-ration besaßen wohl das Archivrecht - weil schließlich einige Reichsstädte darunrerwaren, die es unbezweifelbar hatten.38 Noch einmal anders lagen die Verhältnisse beiden Reichsrittern - sie waren reichsunmittelbar, aber keine Stände. Einige Autorenmeinten deshalb, Rittern würde lediglich als Korporation das Archivrecht zukommen,während beispielsweise Bernhard Multzius auch den einzelnen Mitgliedern der Reichs-ritterschaft jeweils individuell dieses nicht zuletzt symbolisch wichtige Recht zuge-stehen wo11te.3e

Archive dienten also in der Frühen Neuzeit durch die Rechtskonstruktion des iws

archivi dazu, sich innerhalb der Reichshierarchie zu positionieren und bestimmte An-sprüche zu erheben. Erst ganz am Ende des Alten Reichs, in seiner Dissertation von1'796, verwarf der schon erwähnte Friedrich Layritz diese Koppelung von Archivhoheitund Landeshoheit als ,,politischen Aberglauben". Er erkannte genau, dass hier eineRechtsfigur zur politischen Positionierung im Reich benutzr worden war. Seiner Ansichtnach musste stattdessen Archivhoheit all jenen Institutionen zugebilligt werden, die

Rulant, De commissariis (wie Anrn. 6), 146 (V 4, Nr. 3/): ,,Sola enim qualitas, quod scilicet quis im-mediate Imperio sit subiectus, non facit ius Archivi." Anders bei Behlen, Dissertatio Inauguralis (wieAnm.31),5.Fritsch, De jure archivi (wie Anm. 6), 22. Rudloff, Disputatio inauguralis (wie Anm. 9), These XIX.Ruland, De commissariis (wie Anm. 6), 145 (V 4, Nr. 2S).Bemcrkenswerterweise taucht in der gesamten Litcratut soweit ich sie überblickc, nirgends die Frageauf, ob das Cotpws Eoangelicorum eir Archivrecht habe.Fritsch, De jurc archivi (wie Anm. 6), 21.Rudloff, Disputatio inauguralis (wie Anm. 9), These XX-XX.Multzius, in: -Wenckcr, Collecta (wic Anm. 9),119f . Debatte zusammengefasst und im Sinne von Mult-zius bewertet bei Johann F. Pfeffinger: Vitriarii Institutionum Juris Publici Novis notis illustratarum,Gotha 1731, Bd. 4,230f., v. a. Anm. h.

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dies 1619, der Ar-p einernhalb Jahr-

ztlich meist auf cine

inaus. Die differen-

rtragen; umgckehrt

archie der Stände,

ubilligung bzw. Ver-

sie war ein Indizit den Reichsgrafen,

Grafen und Baronen

.la Und was war mith einmal Ruland?

llte er das Archiv-Reichss6: Reichs-

ansestädte als Föde-

ichsstädte darunter

die Verhältnisse bei

Einige Autoren

ivrecht zukommen,

liedcrn dcr Reichs-

ichtige Recht zuge-

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quod scilicet quis im

Inauguralis (wic

9), These XIX.

, nirgcnds drc Frage

im Sinnc von Mult-notis illustrtrtarum.

Das .rlle 11*ith urid se ine hrchive | 419

öffentiiche Aufgaben ausübten - und das betraf dann auch Landstädte, Gemeinden,

Universitäten und Klöster.ao

Archive des Kaisers, Archive des Reichs

An der Spitze dieser archivtheoretischen Pyramide standen unzweifelhaft Kaiser und

Reich miiihren Archiven. Dass hier das ius archiztivorhanden war, bestritt niemand' Alle

Autoren wiesen bei diesen Diskussionen auf die besondere Rolle des Marnzer F"rzkanz'

lers hin, den viele als eine Art obersten Archivar des Reiches ansahen und bezeichneten.4l

Seit Rulands wegweisender Schrift unterschied man die obersten Archive des Reichs in

meist immer gleicher Weise:a2 Es gäbe ein Archiv des Kaisers (archivum Imperatoris) und

ein Archiv dÄ n.i.h, (arcbivum imperii).a3 lJnter dem Archiv des Kaisers verstand man

zunächst einmal sein Archiv in der Residenzstadt Wien; ausdrücklich akzeptierten die

Autoren dabei, dass es sich hier vor der Gründung des Flausarchivs 1749 de facto um ein

Archiv handelte, in dem Reichs- und Flausangelegenheiten vermischt waren'aa Das

Archiv des Reichs umfasste nach der Auffassung der Zeitgenossen vor allem das in Mainz

lagernde Archiv des Reichserzkanzlers, des Reichsvizekanzlers sowie das Kurmainz

ebenfalls formal untersrelke Archiv des Reichskammergerichts.a5 Dort, in diesen Archi-

ven des Reichs, wurden die Vcrträge, Rechtsdokumente und nicht zuletzt die Reichs-

matrikel aufbewahrt.a6

über das juristische Verhältnis von kaiserlichem und reichischem, Wiener und Main-

zer Archiv wurde nur selten geschrieben. Für den Straßburger Autor und ArchivarJakob

\flencker war jedoch einerseiis klar, dass beide Archive meistens einander bestärkten und

miteinander harmonierte n (concwrrere). Andererseits 1ieß er zumindest die Möglichkeit

dezent anklingen, dass das Mainzer und das Viener Archiv nicht nur gleiche Würde

40 Layritz,Dissertatio Inauguralis (wie Anm 10),7f'

41 De. Zusa-me.Lnng z*is-cLen Kanz-lei und Archiv war den meist aus dcr Verwaltungsarbcit kommen-

den Archivexpe.,"r d"b"i bcsrens vertraut, vgl. z.B. Multzius, in: twencker, collecta (wie Anrn 9),

115{. Dort wird dann im Zusammenhang zum Archiv auch detailliert auf das Funktionieren dcr ver-

schicdenen Expeditionen cingegangen. Multz- bctont, dass der konkrcte Aufbewahrungsort vom Ent-

stehungsort der jcweiligen lJnterlagen ablrängig sci'

12 Ner"uiir'.il/er.ke., Coile.ta (*ie Änm. 9), 69 er-ähttt" nu. das Mainzcr und das RKG Archiv, nichts

bei ihm zu'Wicn.43 Ruland, De commissariis (wic Anm. 6),1.42 (II4, Nr. 2). Zit. bei Dominik Arumaeus: commentarius

juridico-hisrorico-politicus de cornitiis Romano-Germanici Impcrij, Jcna 21660, 640. Bci Multzius,

in: \(cnckcr, collecta (wie Anm. 9), 11S, hicß das kaiscrlichc Archiv ,,archivum aulicum". Übcrblick

über dic Geschichte der diversen Archivc jetzt bei Michacl Hochedlinger: Österreichische Archivge-

schichte. Vom Spätmittelalter bis zum Endc des Papicrzeitalters, München 2013 (Historische Hil{s-

wissenschaften, 5), 16-50.

14 L_vnckcr, in: \(encker, collecta (wie Anm. 9),85. zut (vor)Geschichte des Hausarchivs und sciner

i.ütdutg Hochedlinger, Österreichische Archivgeschichtc (wie Anm 43)' 50 56'

45 BesonderJ ausführlich zum Arcbiv des RKG ist Nevcu, in: \üencket Collecta (wie Anm. 9). Lyncker,

in: -ü/encker, Collccta (wie Anm. 9), 86f.

46 Lynckcr, in: \(encher, Collccta (wie Anm. 9), 84'

42O I lvlarKus lnedrtcll

hätten, sondern das Mainzer Archiv unter Umständen sogar noch mehr Glaubwürdig-keit haben könnte (par fides, si non major).a7 Doch jenseits solcher Andeurungen wurdedas Verhältnis von Kaiser und Reich, so weit zu sehen ist, archivtheoretisch nicht weiterbearbeitet. In der Praxis konnte das Nebeneinander der Reichsarchive zwischenMainzund Wien allerdings sehr wohl zum Gegenstand bitteren Konflikts werden. Das geschah1742, als im Zuge der Wahi Karl Aibrechts von Bayern zum neuen Kaiser der MainzerReichserzkanzler Philip Karl von Eltz auf der Flerausgabe der Reichsakten aus Vienbeharrte, da das Wiener Archiv nun ja nicht mehr Reichsarchiv sein.as Der bayerischeKurfürst und angehende Kaiser unterstützte naturgemäß dieses Ansinnen, und selbstMaria Theresia konnte sich der Forderung nicht grundsätzhch entziehen. Indem sie al-lerdings darauf hinwies, dass im Hofarchiv auch zahlreiche Unterlagen der Habsburger-dynastie lagerten, die zunächst abgesondert werden mussten - eine Tatsache, die vonEltz und Karl Albrecht wiederum kaum abstreiten konnten -, vermochte Maria Theresiadie Herausgabe hinauszuzögern. Da das Kaisertum des Bayernherzogs nur kurz währte,kam es schließlich nicht zur Auslieferung größerer Aktenmengen. Dennoch: Dieserzweifellos stark symbolisch aufgeladene Kampf um die Dokumente in wien, die denHabsburgern bei der ersten Gelegenheit entzogen werden sollten, illustriert, welchesSpannungspotential m beschriebenen Aufbau des Reichsarchivwesens enthalten war.

'Vencker wollte de facto die vielen Archive des Reichs und die vielen Archive lzzz

Reich ais ein sich wechselseitig ergänzendes Netzwerk verstanden haben. Er wussterecht genau um die spezifischen Stärken und Schwächen der zahlreichen reichischen undterritorialen, weitlichen und kirchlichen, kaiserlichen und reichsständischen Depots: ,,Esgehört sich", so schrieb er folgerichtig, ,,den Archiven von Kaiser und Reich zuHrlle zukommen oder, besser gesagt, die dortigen Information en zu ergänzen aus den Archivender Reichsständefstatwwm archivisf, v. a. denen der Kurfürsten und Reichskreise."ae Ori-ginale und Abschriften verschiedener Dokumente aus unterschiedlichen Archiven konn-ten und mussten einander komplettieren, wie er mit Blick auf die Kompilation der,,Reichs-Handlungen" in den Editionen von Goldast, Hortleder und Lundorp beronte.soGerne als Musterbeispiel für eine solche archivische Kooperation der Reichsglieder er-wähnten die Zeitgenossen den - zumindest anfangs - regen Austausch von Reichstags-akten zwischen den Reichsstädten im Gefolge des Reichstages 1550/51, als eigene Archi-

\üenckers Anmerkungen zu Lyncker, in: \üencker, collecta (wie Anm. 9), s8. Er zitiert hier sehr kreativ Rudolph Heidcn: Grundfeste des Heiligen Römischen Reichs Teutscher Nation, Frankfurt 1638,88.

Heinz Duchhardt: Philipp Karl von Eltz, Kurfürst von Mainz, Erzkanzler des Reiches (1732-1743).Studien zur kurmainzischen Reichs- und Inncnpolitik (Quellen und Abhandlungen zur mitrelrheini-schen Kirchengeschichte, ß), Mainz 1969.lx/encker, collecta (wie Anm. 9), 98: ,,Archito autem Imperatori €z Imperij succurrere licet, autcomplere potius notitiam Imperialem, ex Statuwm Archivts, Electoralibus cumprimis, Circularibus".Vgl. a. ebd., 106f.: ,,Quin imo dubium nullum est, ex Statuum Archivis, ut & Bibliothecis, si de subsi-diis illi requirantuE quam plurima Imperij Archivis in supplementum cessura esse."Ahnliches gelte für die Konzilien und vicle andere Dokumentgruppen, \(encker, Collecta (wieAnm. 9),99.

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Das alte Reich r-rnd seine Archive | 4zr

ve der Städtebänke durchJakob Sturm und dann Melchior Scherer eingerichtet wurden'51

veitere Beispiele für einä erfolgreiche vernetzung der Archive im Reich gibt es, etwa

wenn 1.629die Hessisch"n Larrdlraf"n und die Ernestiner in Weimar bei der Abwehr des

Restitutionsedikts miteinander kooperierten's2

Allerdings gab es auch zahlreiche Situationen, in denen die archivische Zusammen-

arbeit der Reichsstände untereinander oder mit dem Kaiser nicht funktionierte bze' aktiv

boykottiert wurde. Die anfangs so vorbildliche Kooperation der Reichsstädte bzgl' des

Städt"ba.rk"rchivs zerbrach bäspielsweise schon 1586, als es zwischen ulm und Augs-

burg zu einem Konflikt aniässlich der Kalenderreform kam. Im zuge det anschwellenden

Streltigkeiten wurde auch der Konsens über die gemeinsame Archivierung in Ulm brü-

chig. to.ro.glich wiesen die Reichsstaatsrechtler und Reichsarchivspezialisten angesichts

J"ri.ig.. Aichivkonku rrenzenund -konflikte immer wieder auch auf die vorhandenen

juristislhen Zwangsmittel zur Aktenherausgabe hin. So erwähnte Johann Wagenseil \673

en passant, man könne denF,rzkanzl", g.gÄ.n"nfalls zur Herausgabe jedweden Schrift-

stücks zwingen. Um aus dem Wiener Archiv des Kaisers etwas hervorzuholen' bräuchte

es nur einen Beschluss von Reichshofrat oder Reichskammergericht.5l lJmgekehrt, so be-

tonren die Juristen, könne übrigens die Reichsjustiz ihrerseits per Mandat aus den Terri-

torialarchiven der Reichsständä gegebenenfalls die Aktenherausgabe erzwingen, wofür

Jakob Vencker wenigsten, z*ei deispieie aus dem 17. Jahrhundert zur Hand hatte:54 16A4

hätte das Reichskammergericht bei Sirafe von 1O Goldmark die Städte Straßburg' Nürn-

berg und Frankfurt g.ri't'tg.", die Matrikeln herauszugeben' um zu überprüfen' ob

Braunschweig darin "1,

R.iärr,rdt geführt würde' 1609 hätte der Mainzer Kurfürst

ebenfalls ,,mehrere Städte" ,,r. H".rJrgabe von Informationen genötigt, als es um die

vermeintliche Reichsstandschaft von Erfurt und Herford ging.

Jakob \wencker: Appararus & instructus archivorum ex usu nostri temporis, Strassburg 1'713' 32'

Dort wird Mclchior s.t "r.. "t' ".r,er Registrator erwähnt und mit einem Gutachten zitiert (ebd''

^ Df -i-

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53

4Of). Von Scherer gibt es im Hautstaar.orch]v Bad"n \(/ürttemberg A 602/6242 und 6242a zwei Bände

n-rit,,Auszüge[n]desMelchiorSchereqStadtschreiberszuSpeyer'ausReichstagsaktenüberderStädtefr.rg;S*.hä" sinnd, Stim*, Session, auch Reputation und ait Herkommen " Intensiv bcnutzt und aus-

führlichzitiertsindschercrsPapierez.B.b"l1"tot Fels:Beytragzuder-deutschenReichstags-Ge-

schichte.2Bdc.,Lindau 1767/17äg.Vgl.dazuauchJosefLeeb(Bearb'):Rcichstagsakten1556/57'M.;n

chen 2013, Bd. 2, 1298-1300. Schon täth"' h"ttt Speyer namens der Städte Jakob Sturm mit der "Zu-

,"-_."ri.t .rng.i d", Akt., b."uftragt, vgl. dos Dokrm"nt in \üencker, Apparatus, 36f. Das Archiv der

schwäbischen Städtebank - h.ut" iJ Stätarchit IJlm A 621-713 - cnthält vorwiegend in halbwegs

,yrr"-",,*f... W.ise Abschriften von Protokollen der diversen Reichsversammlungen Dazu Max Hu

ber: Städtearchiv und Reichsstandscha{t der Städte irn 16. Jahrhundert, in: Ulm und oberschwaben 35

1tlsi1, e+:tz Di" G.ti.d.ttg Ji.,", athit', so \we ncker' Apparatus' 34' sei als Reaktion auf die wach-

,.rd" Atf.itdutg der Städte und ihres Stimmrechts zu schen'

Vgl. Fri"drich, G"eburt de, Archivs (wie Anm l), 212 zt dieset Episode'

Ji;a. \r;genseil{acobus B. ton H"ll". Hallerstein: Disputatio Juridica juris p.ublici de Imperii

Archivo,AureaBulla,"tLipsanislmperii, o'O'7673'10'GenauerLyncker'in:\fencker'Collecta(wie

Anm. 9),91.wenckcr, collecta (wie Anm. 9),ga.Layritz,Dissertatio Inauguralis (wie Anm. 1o), l betont, dass

praktisch kein Gerichtsstreit ohne Dokumentenrecherche auskomme'

422 | Markus Frier1rich

Der Reichstag selbst tauchte als Archivort bei diesen Klassifikationen in cler Regelnicht auf - man begnügte sich mit Hinweisen auf die Bände von Reichstagsakten"inMainz. Das Archiv des Reichstagsdirektoriums, des kaiserlichen Prinzipalkommissarsoder gar einzelner Reichstagslegationen fand in diesen systemarisierenden überblickenkeine Erwähnung. Dabei ist ohnehin klar, dass die Gesandtschaften am Reichstag festinstitutionalisierte Archive erst mit der Perpetuierung der Zusammenkunft haben ktnn-ten. Vorher brachten die anreisenden Reichsfürsten bzw. ihre Gesandten je nach Bedarfeinige Schriftstücke mit, die man bei den Beratun gen nr benutzen gedachte. Flessen hat-te beispielsweise 1559 nicht wenige r als 1.9 Archiveinheiten auf d", Fnh.t zum Reichstagnach Augsburg im Gepäck, darunter viele Lehns- und Freiheitsbriefe.s5 Erst am Endldes Alten Reichs, 1784, erwähnte Friedrich Franz Schal in seinen Zuaerlässige[n] Itlach-richten rton dem in Mainz aufberuahrten Reichs=Arcbiv den Reichstag überhaupt ein-mal. Schal unterschied nun fünf Reichsarchive:s6 In \üien bestand das ,,KaiserlicheReichsarchiv" aus der geheimen Reichshofregistratur sowie der Registratur des Reichs-hofrats' Hinzu kam in Vetzlar das Archiv des Reichskam*erg"richts und in Mainz dasErzkanzlerarchiv. Schließlich erwähnte er ausnahmsweise auch ,,zu Regensburg desdeutschen Reichstags=Archiv, welches alle Reichstags=Flandlungen von Zeit der Eröff-nung dieses stets fortdauernden Reichstages bis auf unsere Zeiten einschließt." Aller-dings hatte Schal dann über dieses Archiv auch nichts weirer zu sagen.

Reichsarch ivgesch ichten

Manche der Autoren, die sich mit den Archiven des Reichs befassten, kombinierten der-artige systematisierende oder klassifizierende Zugriffe mit einer historischen perspekti-ve. Johann Christoph'Wagenseil beispielsweise publizierte 1673 erne dünne Dissertationüber das Reichsarchiv, die neben einer Kurzfassung der erwähnten juristischen Erörte-rungen auch einen (allerdings ebenfalls sehr knappen und schematischen) historischenAbriss der Archivgeschichte des Reiches bot. Zahlreiche andere Auroren widmeten sichebenfalls in kurzen Steliungnahmen oder auch ausführlicheren Abhandlungen der Ge-schichte der Archive des Reichs. Zu den wichtigsten und besten historischen Rekonst-ruktionen der Reichsgeschichte in der Frühen Neuzeit selbst gehörten Schals 17g4 er-schienene Zuv erlässige N achrichten.sT

Schal verortete den Ursprung der Archivpraxis des Reiches in der antiken Kirche.Die Bischöfe hätten die Märtyrerlegenden gesammeh und nach dem Ende der Christen-verfolgungen auch begonnen, Briefe und Urkunden zu sammein. Den Beginn einer welt-lichen Überlieferungssicherung verlegten Schal und die and.eren Auroren meist in die

Staatsarchiv Darmstadt 21 A 1/7, unfol.Friedrich F. Schal: Zuverlässige Nachrichten von dem zu Mainz aufbewahrten Reichsarchive, Mainz1784,5f . Der Text wurde unverändert nachgedruckt in G. Ferdinand Döllingcr: Magazin zur Vcrvollkommnung des Registratur \(esens, Münchcn 1gog, Bd 1, zweites stäck.lso ztä.Schal, Nachrichten (wie Anm. 56), 8-16 zum Folgcnden.

55

56

Karolingerzei

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Eine eigene IPregitzcr: Orvor Maxirnili:Schal, Nachri,61

Das aite Reich und seine Archive | 423

Karolingerzeit. Die Anordnung Karls des Großen zur Sammlung der (in Schals Worten)

,,wichtigsten Schriften" war hierbei ein wichtiger Referenzpunkt. Karl habe ,,damit Ar-chive anzulegen" befohle.r. Übe. die weitere Entwicklung waren die Gelehrten dann inden Details uneinig: Manche betonten die Bedeutung der Ottonen, andere das 12. Jahr-hundert als Schlüsselphase. 'Wagenseil, und mit ihm beispielsweise auch Schal, stellten

vor allem die Rol1e Karls IV. heraus. Die Goldene Bulle habe eine neue Aufmerksamkeit

fur die inneren Abläufe im Reich bewirkt, welche ihrerseits zu einer gesteigerten Sorgfalt

beim Archivieren von Dokumenten geführt habe. Doch waren sich alle Autoren einig,

dass diese früh-, hoch- und spätmittelalterlichen Episoden eigentlich kaum mehr waren

als eine Vorgeschichte für den wichtigsten Entwicklungsschub der Reichsarchive: Wie die

meisten seiner Kollegen diagnosttzterte beispielsweise Wagenseil, dass der Beginn der

modernen Archivgeschichte des Reiches am besten auf die Zeit Maximilians I. zu datieren

sei: ,,Sehr spät, erst zur Zeit dieses Kaisers, wurde endlich mit gutem tWillen und Bemühen

die Sorge um die Archive begonnen. Dass der eigentliche Grund dafür die Gründung des

Kammergerichts war, wird man wohl schließen dürfen".s8 Wagenseil (und die vielen Au-toren, die ihm hier folgten) verwies auf die 1495 in Worms beschlossene Handbabung

ertigen Friedens und die dortige Passage, die eine Sammlung der Reichsakten in Frankfurtbefahl.5e Vor dieser Reichsreform dagegen, so Wagenseil und viele seiner Kollegen, habe

nur ,,sorglosigkeit in der Bewahrung der Archive geherrscht", weshalb man sich gar nicht

wundern müsse, dass aus früheren Jahrhunderten nur wenige Dokumente überliefert sei-

en. Andere Autoren, beispielsweise Jakob Vencker 17L3, aber auch Schal, boten ein

grundsätzlich ähnliches Tableau, so dass wir festhalten können: Das Bewusstsein von ei-

ner archivhistorischen Durchbruchsperiode in der Zeit um 1500 war generell bei den

Gelehrten des 17. und 18. Jahrhunderts weit verbreitet.60 Die Geschichte der Archiveverschmolz dabei in der historischen Rückschau oft mit einer lobenden Bestandsaufnah-

me des deutschen Flumanismus um 1500.61 Die Aktivitäten von Vimpfeling, Trithemus

oder Beatus Rhenanus wurden als Versuch rekonstruiert, die Mängel der bisherigen

Archivpraxis des Mittelalters wettzumachen, indem in mühsamer historiographischer

Recherche die alten Urkunden zusammengetragen wurden.An dieser Stelle geht es nicht um die Frage, ob diese archivhistorischen Rekonstruk-

tionen inhaltlich akkurat waren, obwohl die Autoren den auch heute allgemein ange-

nommenen kommunikativen Verdichtungsschub im Reich um 1500 recht präzise diag-

nostizierten. \(ichtiger ist die Beobachtung, dass es eine solche historische Thematisierung

61

lVagcnseil, Disputatio (wie Anm. 53), 8: ,,Scra demum Maximiliani I. Imperatoris aetate, bona fidc, 8e

cum cura, Archivum Imperii nostri custodiri coeptum est. Cujus rei causam in Cameralis Judicii con

stitutionem, non absurde conjicere licet."Arno Buschmann (Hg.): Kaiser und Reich. Verfassungsgeschichte des Heiligcn Römischen Reiches

Deurscher Nation vom Beginn des 12. Jahrhunderts bis zum Jahre 1806 in Dokumenten, München

1e84,168 (s6).

Eine eigene Abhandlung über die Kenntnisse zur Geschichte des Reichs incl. Archiven bei Ulrich

Pregirzcr: Origincs Notitiae Sacri Romani Imperii, Tübingen 1680. Zur mangelhaften Archivicrung

vor Maximilian I., ebd., 16f.

Schal, Nachrichten (wie Anm. 56), 10f. zum Folgenden bzgl' der llumanisten.

58

424 I lvlarr(us rfledilch

zenffaler Verwaltungseinrichtungen wie der Archive überhaupt gab. Auch und geradedie politischen und administrativen Institutionen des Reichs - und die Archive insb"sorr-dere - verfestigten demnach ihre eigene ldentität, indem ihnen eine ,,Eigengeschichte'.gegeben wurde.62 Dabei bauten bereits die Autoren des ausgehen den 1.7 .

""a ags 1 8. Jahr-

hunderts die Archiventwicklung in eine Fortschrittsgeschichte der Bürokratie ein, diezumindest in ihren groben Zigen bis heute ganz ähnlich erzährt wird.

Reichsarchive und Konfessionskonftikt

Wurde das bisher skizzierte Reichsarchivwesen durch die konfessionelle Spaltung inTheorie oder Praxis geprägt? Oder waren die Reichsarchive als eine bürokratische Infra-struktur vor einer solchen Indienstnahme gefeit? Die Antwort auf diese Fragen mussnuanciert ausfallen. Man kann auf der einen Seite nicht übersehen, dass auch in und mitden Reichsarchiven konfessionelle Antagonismen ausgerragen wurden. Als Johann Ge-org Flarpprecht, Assessor am Reichskammergericht und späterer Reichspublizist, Ende1755 vomMainzer Erzkanzler Zugang zu bestimmten Akten die Reichsmatrikel betref-fend erbat, über die er eine historisch-systematische Abhandlung schreiben wollte, ließsich der Kurfürst nur sehr zögerlich dazu herbei, denn es ,,scheinet uns gleichwohlenbedenklich z! seyn) einem und zwar protestantischen Assessori die gantzfreye Einsichtderen daßigen Cantzley=Acten zu gestatten".63 Noch in der Mitte des 18. Jahrhundertswar es also keineswegs ungewöhnlich, dass ein Reichsarchiv wenigstens faktisch in seinerBenutzung von konfessionellen Ressentiments geprägt war.

Eine ganz andere argumentative Indienstnahme der Reichsarchive im Zeichen offe-ner Konfessionspolemik erfolgte ein gutes Jahrhundert zuvor. Anlässlich des hundert-jährigenJubiläums der Confessio Awgwstana entbrannte 1630 ein erbitterter Streit überdieses protestantische Grunddokument zwischen Dillinger Jesuiten und \flittenbergerTheologen, in den auch die Reichsarchive argumentativ hineingezogen wurden. A,rr-gangspunkt war, kurz gefasst, die selbst für Protestanten nicht zu leugnende Festsrel-lung, dass die Confessio Awgwstana (CA) seit ihrer übergabe an Kaiser karl V. in Augs-burg 1530 in verschiedenen, zumindest textlich, vielleicht aber auch inhaltlich variierendenVersionen existierte.6a Diese textuelle Instabilität der CA versuchren die Jesuiten kurz

Das Konzept der ,,Eigengeschichte" stammt von Karl-Siegbert Rehberg, siehc ders.: Institutionen alssymbolische Ordnungen. Leitfragen und Grundkategorien zur Theorie und Analyse institutionellerMechanismen, in: Gerhard Göhler (Hg.): Die Eigenart der Insrirutionen. Zum Profil polirischer Insti-tutionentheorie, Baden-Baden 1,994,47-84. Vgl. zu seiner historischen Anw"rdr;r1g.,.

". Gert Melvil-

lelKarl-Siegbert Rehberg (Hgg.): Gründungsmythen, Gencalogien, Memorialzei-chen. Beiträge zurinstitutionellen Konstruktion von Kontinuität, Kö1n 2004.Bundesarchiv Berlin, Reichskammergericht/Misc 98/, unfol (4."12.1755).Dass dies sehr wohl auch den Lutheranern deutlich war und sie vor einige Probleme stellte, belegtbeispielsweise eine Passage von Polycarp Leyser, zit. bei Johann Daniel iluge: primitiae Tremorienses Programma et orationem inauguralem complexae, Hamburg 1731,1,'l Anm. s, in der berichtctwird, wie Kurfürst August im Vorfeld der Konkordie 1577 ein autoritatives Exemplar suchte . Zu-gleich existierte das dem Kaiser vorgelegte Exemplar damals offensichtlich noch: ,,Nun hat sichs

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Das alte Reirh und seine Archive | 425

vor dem Jubiläum 1630 polemis ch dazu zu nlttzen, die Lutheraner wegen der angeblich

textlich unklaren Glaubensgrundlage aus dem Augsburger Religionsfrieden hinauszu-

definieren - da die Lutheraner letztlichnicht einmal ein eindeutiges Textfundament ihrerüberzeugungen vorlegen könnten, wer könnte da ernsthaft prüfen, ob sie tatsächlich

unter den Religionsfrieden fielen? An dieser Stelle kommt es nur auf eine einzige Facette

der jesuitischen Argumentation an, eben auf jenen Punkt, an dem die Reichsarchive ins

Spiel kamen. Die jesuitische Schrift argumentierte wie folgt:

,,Sollen die Evangelischen des Religion=Friedens sehig und theilhafftig seyn und bleiben

/ so müssen sic versichert seyn, daß sie die rechte ungeänderte Augspurgische Confession

noch haben. Das können sie aber nicht eigentlich wissen noch sagen / dann sie haben das

rechte Exemplar nicht in ihrer Gewalt / sondern e s ist in der Reichs=C antzley beygeleget

worden. \Wie leicht kan es sich nun zutragen / daß eine solche Schrifft verle gt oder verloh-ren wird? Und wie wollen sie gut darfür seyn / daß man das Ketzerische Bekäntniß nicht

gar mit Fleis auß den Archiven weg gethan / und casiret habe?"6s

Die Strategie ist klar: Die Jesuiten behaupteten, weil das Original der CA in Mainz de-

poniert worden war, sei es den Protestanten entzogen, sofern es (was diese nicht wissen

könnten) überhaupt noch existierte. Das Mainzer Reichsarchiv wurde hier im polemi-schen Kontext offensiv dezidiert katholisch konzipiert. Die Protestanten hätten also

über ihre wichtigste Textgrundlage keinerlei archivische Verfügung. Ihre Zugehörigkeitzum Religionsfrieden sei damit (für sie) unüberprüf- und unbeweisbar.

Bemerkenswert an den protestantischen Reaktionen auf diesen Vorstoß der Jesuitenist zunächst einmal ein relativ radikales Argument. Vorsorgiich, so scheint es, hebelten

die Vittenberger das ganze Denkgebäude derJesuiten aus den Angeln, indem sie schlicht-weg die Bedeutung von Originaldokumenten generell relativierten. Die \(ittenbergerbehaupteten nämlich, dass man des Originals der CA im Grunde genommen eigentlich

gar nicht bedurfte: ,,Und wann gleich das rechte Kayser Carln dem Fünfften übergebene

Exemplar nicht mehr vorhanden wäre / (welches wir aber nicht gläuben) so hätte doch

bcfunden, nach dem man zum Druck des Concordien Buchs geschritten, und der hochloebliche

Churfürst zu Sachsen, ein alt Exemplar, (welches meines Vissens, vor Iahren des Hcrrn NicolaiArnsdorf6, oder Spalatini gewcsen) aus der Fürstlichen Bibliotheca zu Jhena hat holen lassen, nach

welchcm man sich im Druck richten solte, das dic Exemplaria, die man zur Hand hatte, nicht mitci-nander ubereinsrimmcn wolten. Das hat dic, so das 'Werck untcr Henden gehabt, nicht wenig be-

stürtzt gemacht, dcnn wer hette sichs vcrsehen, dass in eincmJahr (1531) in einer Stadt (Vittenberg)und in einer Druckerey (bc1' Georg Rhawen) zwcycrley Editiones (in 4. & 8.) herfür gebracht werden

solten? [...] Der hochlobliche Churfürst Augustus [...] hat deswegen an den Churfürstcn und Ertz-Bischoff zu Maintz geschickt und geschrieben, und bcy thme so oie/ erbalten, dass er das ribergebene

Original-Exemplar aus den Archit,en des Imperii, auf Wid.erscbicken hat folgen /assen, welchcs Exem-

plar nun untcr den be1'der 66t,tot ibus des 31 Jahrs mit dem Original Exemplar übereingestimmet,

das hat dcr Churfürst zu Sachscn zum Concordien-tVcrck drücken, das andcr aber, ob es wohl auch

Anno 31 edirt worden, fahren lassen."

65 Zitat nach Nothwcndige Vertheidigung / Des heiligen Römischcn Reichs Evangelischer Chur-Fürs-ten und Stände Aug-Apffels, Lcipzig eL673,168f.

426 | Marl<us Friedrich

dieses so gar viel nicht auff sich".66 Entscheidend, so implizierte dies, sei letztlich dochnicht das Vorhandensein eines im juristischen und diplomatischen Sinn ,originalen' Do-kuments, das im richtigen Archiv aufbewahrt sein müsse. Viele der wichtigsten Doku-mente der christlichen Tradition würden diesen Kriterien nicht genügen - und erfreutensich doch allgemeinen Vertrauens. \7o seien beispielsweise die ursprünglichen Tafeln mitdenZehn Geboten? 'Wo seien die Originale des Alten und Neuen Testaments? Vo seiendie Originale der verschiedenen Glaubensbekenntnisse von Nicäa oder von Athanasius?\fler hätte sie in seinen Archiven? Obwohl die Originaldokumente fehlten, würden aberselbst die Jesuiten an die Inhalte dieser Dokumente glauben. So schlussfolgerten denn die

'Wittenberger: ,,Auff dem einigen Exemplar [der CA] hafftet weder unser Glaub / nochder Religion=Fried: sondern auff der Confession selbst." Damit setzte man gewisserma-ßen ein ,inhaltliches' gegen ein ,juristisches' Autorisierungsverfahren - entscheidend sei

nicht unbedingt das Vorhandensein eines Originals und sein Aufbewahrungsort, son-dern die Tatsache, dass es einen anerkannten Text und Inhalt gebe.

Dieses weitgehende Argument war nicht die einzige Verteidigungslinie der Protes-tanten. Typischer war vielmehr eine sehr viel behutsamere Vorgehensweise. Gegen diejesuitische Andeutung, das Original der CA könnte wirklich verschwunden sein, setztensie ein ungebrochenes Vertrauen auf den Mainzer Kurfürst und das Reich. Ein so bedeu-tendes Dokument würde selbst ein katholischer Erzbischof als ,Archivar des Reichs'niemals aus den Augen verlieren. Gegen die Anfeindungen beteuerten die tVittenberger

also ihren Glauben an die Institutionen des Reichs. Niemand habe, so entgegneten dieattackierten -Wittenberger 1,630, gegenüber dem Mainzer Erzkanzler den

,,Verdacht / einer so grossen Nach= und Fahrlässigkeit,/ oder einer solchen Untreu / daß

sie entweder dergleichen wichtige Originalia nicht wohl genugsam auffheben und ver-wahren / oder ohne Vorbewust der sämptlichen Stände des Reichs / auß ihren Archivenweg thun und cassiren so1le. [...] Und wird niemand den Eyfer wider die AugspurgischeConfession sich so weit einnehmen lassen / daß er deßwegen wider seinen Eyd und Pflichtzu thun begehren wird."67

Schön zu sehen ist hier an diesem verbalen Schlagabtausch, dass und wie Archive bestän-dige Interpretationsspielräume öffneten und Unsicherheiten zuließen. Die momentaneUnauffindbarkeit des Originals war ein unhintergehbares Faktum, doch was dies imKontext von Archivpraxis tatsächlich bedeutete, war eher eine Frage der Überre.rgnrrgund der Bewertung. Durfte man von aktueller Unauffindbarkeit auf tatsächliches Fehlenschließen? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten, denn während man durchaus ganzgenau wissen konnte, was in einem Archiv vorhanden war, war es so gut wie unmöglich,mit dergleichen Sicherheit zu wissen, was es nicht im Archiv gab. Das Archiv hatte undhat beständige Überraschungspotentiale. Diese inhärente Unberechenbarkeit jeden

66 Nothwendige Vertheidigung (wie Anm. 65), 170.67 Nothwendige Vertheidigung (wie Anm. 65),169.

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Das alte Re ich und seine Archive | 4zZ

Archivs - auch des Mainzer Reichsarchivs - deuteten und instrumentalisierten die Jesu-iten und die Wittenberger Theologen 1630 in diametral unrerschiedlicher Weise.

Mag das Argument der Jesuiten auch einigermaßen extravagant und der Streit einwenig weit hergeholt erscheinen, so berührte die Auseinandersetzung offenbar doch ei-nen wunden Punkt. In jedem Fall hatte die Polemik ein langes Nachleben, ja die Behaup-tung der Jesuiten wurde in der archivtheoretischen Literatur des Reichs in den folgendenJahrzehnten zu einem vielzitierten locus classicu.s.68 Besonders 1730 anlässlich der Zwej-hundertjahrfeier der CA wurden die alten Texte erneur hervorgeholt und die Argumenteaktualisiert.6e Ausgangspunkt war die ,Wiederauflage'des;'esuitischen Standpunkts durchden Tübinger Kanzler Christoph Matthäus Pfaff. Dieser gab im Jubiläumsjahr eine neueAusgabe der CA heraus. Im Vorwort zu dieser Publikation berichtete er von einem Be-such im Reichsarchiv in Mainz, bei dem ihm mitgeteilt worden sei, dass es das originaleExemplar der CA, das 1530 dem Kaiser überreicht worden war, nicht mehr gäbe. SeineNeuedition basierte deshalb auf einer Kopie von diesem verschwundenen Original, dieman ebenfalls 1530 gemacht und in die Reichstagsakten inseriert hatte.

Gegen Pfaff erhob sich ein Sturm der Entrüstung. Johann Georg Adami in Hamburgschrieb gegen den Tübinger Kanzler eine Vertheidigwng des Reichs=Archius. Auch Ada-mi ging - wie schon die Wittenberger 1630 - davon aus, dass man in Mainz gerade mitdem unliebsamen Dokument besonders sorgfäitig verfahren würde. Selbst die Jesuiten,so fügte er mit aktualisierendem Hinweis auf die Bollandisten hinzu,würden den letztenSchritt zur willentlichen Vernichtung unliebsamer Dokumente nicht gehen.To AuchJohann Daniei Kluge, neu berufener Rektor des Gymnasiums in Dortmund, ließ eineSchrift gegen Pfaff erscheinen - gedruckt ebenfalls in Hamburg und mit einer \üTidmung

an den orthodoxen \(ortführer Erdmann Neumeisrer, der wohl auch hinter AdamisPamphlet stand.7l Kluge wandte sich ebenfalls gegen diejenigen, ,,die behaupteten, es

fdas Original] sei entweder durch verbrecherische Hand oder durch die Ungerechtigkeitder Zeiten verloren gegangen".72 Denn weder sei das Mainzer Archiv jemals verlagertworden (was Kluge richtigerweise als eine sehr wahrscheinliche Gelegenheit für Akten-verlust identifizierte) noch sei von Böswilligkeit auszugehen. Adami wie Kluge rrautendem Erzkanzler als oberstem Reichsarchivar und sogar denJesuiten als seinen Handlan-gern also ein gewisses Amtsethos zu und dieses Amtsethos stellte ganz eindeutig dieBewahrung von Schriftstücken über die eigene konfessionelle Präferenz. Eine gewisseReverenz dem historisch und 1'uristisch bedeutenden Originaldokument gegenüber, so

68 Selbst Schal, Nachrichten (wie Anm. 56), 32, diskuticrte das Thema noch.69 Ich folge dcm Überblick bei Johann Gcorg Heinsius/Gottfried Büchner{ohann Hübner: Unparthey-

ische Kirchen-Historie Alten und Neuen Testamentes, Bd. 3, Jena 17 54, 1661.7a Johann G. Adami: Vertheidigung des Reichs-Archivs, wieder das von Tit. Herrn D. Christoph Mat,

thäo Pfaffen neulichst ausgesprengete.jcsuitischc Mährlein, [Hamburg] 1230, 7.71 Klugc,PrimitiaeTremonienses(wieAnm.64),5-16.DortmitweitercnLiteraturangaben.72 Kluge, Primitiac Tremonienses (wie Anm. 64), 6: ,,Non defucrunt tamcn, etiam ex nostribus, patrunr

nostraquc memoria, qui, sublatum essc illud e nedio scelerata manu, sive iniuria temporum perditum,asseverarent." Die Gründe für Kluges Zwcifel am Verschwinden des Deutschcn Originals ebd., 1+.

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428 | Markus Friedrich

scheinen diese Ausführungen von 1730 zu suggerieren, konnte man bei historisch orien-tierten und bürokratisch effizienten Akteuren voraussetzen.

Allerdings scheint das protestantische verrrauen in die katholisch dominiertenReichsarchive wenigstens praktisch doch Grenzen gehabt zu haben,was viele hier ein-schlägige Autoren ebenfalls zu erkennen gaben. sie alle führten nämlich im Zusammen-hang der Diskussionen über den Aufbew"ir.r.rgror, der cA noch eine weitere historischeEpisode an:Kurz nach erfolgter Übergabe 1530 an den Kaiser hätten die proresrantenvom Mainzer original der CA vidimierte Abschriften genommen, die dann jeweils in dasArchiv von Kursachsen und Kurbrandenb.r.g g.ko--i"n seien.z3 Zur eigenensicherung,so hieß es, habe man schon damals absi.hthcÄ eine redundante Mehrfachüberlieferungrechtlich sanktionierter versionen geschaffen. wencker srimmte von archivtheorerischerSeite her zu und hielt, zumal nach offiziell sanktionierter einstmaliger Koliationierungmit dem Mainzer lJrtext, auch deren Abschriften aus den reichsständischen Archiven fürbeweiskräftig.ia

Die Strategie, mehrere juristisch sanktionierte Abschriften in verschiedenen Archi-ven des Reiches zu deponieren, kam bei Schlüsseldokumenten im Reich auch sonst inkonfessionell aufgeladenen Situationen zumEinsatz. Dieses verfahren schien plausibel,um eine gewisse konfessioneile Ausgeglichenheit archivalischer Sachverhalte herzustel-len' Häufig zitierten die Archiv- u.rd R"ichrpublizisten in diesem Zusammenhang dieVorgänge vom Februar 1649 bei der endgültigen Ratifizierung des \7estfälischen Frie-dens' Auch dies wurde zu einem locus classicws der Reichspubtistik. oxenstierna hän-digte damals das ausgefertigte und gültige Exemplar des Friedens den Mainzer vertre-tern aus' auf ,,daß es ad Archivum Imperii komme, und aiso sowohl vor die EvangelischeStände, als catholische"' wie es in der Aktenwiedergabe vonJohann Gottfried von Mei-ern hieß.75 Doch es blieb nicht ailein bei dem einen E""*pi". in Mainz: ,,Damit aberauch die Evangelischen vor sich absonderlich dergieichen o.lg;n"i ir. Ha.rd"r. hätten, sowollten sie solches bey Sr. churfürstlichen Durchl. 2.,

"s".h."n verwahren.., sooxenstierna' Auch hier sollte also eine Parallelüberlieferung bei den protesranren vor-

handen sein' Eine solche Mehrfachdokumentation d", "ntrlh"idenden urkunden hat-

ten einzelne Protestantische Stände bereits in einem frühen Stadium der Verhandlungen1'646 und dann noch einmal in den letzten Tagen vor Abschluss der Berarungen auchausdrücklich gefor dert.7 6

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73 Nochmahlige unvermeidenliche und gründliche Haupt-vertheidigung Dcs Heiligen RömischenReichs Evangelischer chur-Fü.r,"r unä Stände hochwerrhcsren arg Äpff"ir, i-";el;g.rurr, ornr'.Heinsius, unpartheyische Kirchen-Historie (wie Anm. 69), 167. t<r.rg"", pd-;tir" Tremonienses (wieAnm 64), 8f' Historisch ausführlich dazu Schar, Zuverlässige Nachrichten (wie Anrn. 56).'ü/encker, collecra (wie Anm. 9), 108. Fritsch, De jure archivi (wie A'm. e), szf. ist lh"r rt

"pt;r.h.Johann G. von Meiern (Hg.): Acta pacis \x/estphiicae, Bd. 6,'Han rrou", rilo, sil,t. vgr. ndt, o;.k-mann: Der rX/esrfälische Frieden, Münster ß5t,492.AP\r III A 3 /3 ' 37a zu den Ideen von 1646. Dort wurden. sechs Exemplare für die Reichskollegie'gefordert, die Ernestiner brachten ein zusätzliches Exemplar für die Reichsritrer irs Spiel. rwenigeTage vor der endgültigen stipulation des osnabrücker Friedens, am 4. August iiis, b.""1,,." a;" er-nestiner die Frage ,,wieviel exemplaria cles friedeninstrumcnti auszufertigJn,. scie', noch einmal zur

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Das alte lleich unC seine Archive | 429

oxenstierna beronte ausdrücklich, er wolle durch diese verdoppelung der Überlie-

ferung kein Misstrauen gegenüber Mainz und dem Reichsarchiv ausdrücken - der

Schwedische Kanzler..knnnt" offenbar hellsichtig das Konfliktpotential' IJnd tatsäch-

lich entspann sich - wie kaum anders zu erwarten war - tfolz Oxenstiernas abwiegeln-

der Bemerkung cin kurzer, heftiger Disput zwischen Mainz und Sachsen über diese

Doppelarchi.ri..ung. Mainzwollte den Sachsen ihr Exemplar des Friedensschlusses nur

,,lo.o i.rfo.-ationis" und ohne ,,vim probandi" zubilligen.77 Die Sachsen umgekehrt

bezeichneten ihr Exemplar ausdrücklich als ,,Original" und beharrten darauf, es habe

,,vim probandi sufficientissimam".Ts Sicher ging es hier um symbolische aufgeladene

Nn.hh.rtg"fechte der Kriegsparteien sowie um Maßnahmen zur zukünftigen Sicherung

des Friedens. Im hiesigen Gn,.*, wichtiger ist jedoch, dass Mainz ganzklar mit der

authentifizierenden Roll. d., Reichsarchivs argumentie rte' ganz ähnlich wie das schon

in den Diskussionen um die Abschriften der CA angeklungen war' Dass diese Episode

aus den Friedensverhandlungen noch jahrzehntelang kolportiert wurde, zeigt, dass bei

allem Vertrauen in die Reichsarchivinstitutionen wenigstens eine gewisse konfessionell

morivierte Ambivalenz nicht völlig überwunden war. Eine Sorge um die rechte Bewah-

rung und Zugänglichkeit zentraler, konfessionell instrumentalisierbarer Dokumente

blieb bestehen.

Am Ende dieses Durchgangs durch die archivbezogenen Teile der relevanten Texte

aus dem Reichsrecht und der Reichspublizistik kann man festhalten, dass eine Reihe von

juristischen, historischen und religionspolitischen Aspekten die Debatte bestimmten.

be. informationelle Aspekt des Archivwesens tauchte in den stellungnahmen immer

wieder auf, wurde aber in dieser reichsbezogenen Spezialliteratur oft nur sehr topisch

erwähnt und generalisierend behandelt. Viel eingehender interessierten sich die Reichs-

juristen und -f,ub[zisten clagegen für die hier vorgestellten Spezialfragen. Entsprechend

iem beträchtlichen Gewichidieser Aspekte in der zeitgenössischen \Tahrnehmung soll-

ten diese Deutungsebenen des Archivwesens im Reich auch in der modernen Historio-

graphie wahrgenommen werden.

Sprache, AP\(/ III A 3 /7 , rc7f . Angeblich (so cler Bambcrger Textzeuge, vgl. ebd',-107 Anm. i 9) brach-

te der Ernestiner Gesandte "n.h "rt "rt

das Exemplar für die Reichsrittcrschaft zur Sprache: "DesRcichs ritterschafft mögte viclleicht auch ein ""e-pla.

hobet wollen. Dr' Larnpadius: Dic ritterschafft

seye kein ,"ichsstandr.J-ü/eitere hilfreiche Informationen zu den vorausschauenden Beratungen über

die F.iederssicherung, :in deren Kontcxt auch die Archivdiskussion ständ, bei Maria-Elisabeth Bru

nert: Fricclenssicherung als Beratungsthema dcr protestantischen Rcichsstände in dcr Anfangsphase

dcs \Wcstfälischen FrieJenskong."rr"r, i., Guido Braun/Arno Strohmeyer (Hgg.): Friedcn und Fric-

denssicherung in der Frühcn N""uz.eir. Das Heilige Römische Reich und Europa. Festschrift für Maxi

milian Lanzinne r ntm 65. Gcburtstag, Münstcr 2013 (Schriftenreihc der Vereinigung zur Erforschung

der Ncuercn Geschichte e'V' 36), 229-258'

77 Ap\r IlI B 1/1, LXXI Anm. 249. Mciern, Acta pacis (wie Anm.75),8d.6, 101/. vgl. dazu Neveu, in:

\(encker, collecta (wic Anm. 9), 79: ,,Archivum autem nostrum non solum publicurn testimonium

.ontirr... acleoque plcnam ficlem faccre, sccl ornnia quoquc ea, quae inde proferuntur exempla seu

C op iae att Tran sumPta vtlgo."78 Zur Beschreibung der Nachausfertigung in Dresden siehc APW III B/1'1' 95'

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