“Zugabe. Die Geburt des Komischen – Oder: Wie das Nichts seine Authentizität durch Einkleidung...

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1 von 16 Zugabe Die Geburt des Komischen – Oder: Wie das Nichts seine Authentizität durch Einkleidung erlangt by Vera Bühlmann [email protected] 123 Dem Audienz-Körper auf der Spur Enthusiastisch stand Florian Dombois dem Wiederaufbau des Schlosses als Potsdamer Landtagsgebäude nicht gegenüber – es sei eher ein Gefühl gewesen, dass man sich in diesem Fall als gebürtiger Berliner Künstler »nicht einfach vom Acker machen« könne. 4 Es sei ein politischer Raum, daran hält Dombois fest, und »wenn das Volk sich entschließt, ein Schloss hinzustellen, muss man das ernst nehmen.« 5 Wie aber lässt sich als Künstler eine Haltung finden in solch einer Situation? 1 Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Frankfurt am Main 2003 . §18. 2 Søren Kierkegaard, Unwissenschaftliche Nachschrift, übers. von B. u. S. Diderichsen, Köln 1959, S. 219. 3 Ludwig Wittgenstein, ebenda, § 6. 4 Heidi Jäger, Sanssouci, zerschnitten, Potsdamer Neuste Nachrichten 6. September 2012, http://www.pnn.de/potsdam-kultur/678649/ 5 Ebenda. »[…] so frage dich, ob unsere Sprache vollständig ist; – ob sie es war, ehe ihr der chemische Symbolismus und die Infintesimalnotation einverleibt wurden; denn dies sind, sozusagen, Vorstädte unserer Sprache. […] Unsere Sprache kann man ansehen als eine alte Stadt: Ein Gewinkel von Gässchen und Plätzen, alten und neuen Häusern, und Häusern mit Zubauten aus verschiedenen Zeiten; und dies umgeben von einer Menge neuer Vororte mit geraden und regelmäßigen Straßen und mit einförmigen Häusern..« »Was dem Komischen und Pathetischen [= dem Tragischen] zugrunde liegt, ist das Missverhältnis, der Widerspruch zwischen dem Unendlichen und dem Endlichen, dem Ewigen und dem Werdenden.« 2 »Das Aussprechen eines Wortes ist gleichsam ein Anschlagen einer Taste auf dem Vorstellungsklavier.« 3

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Zugabe

Die Geburt des Komischen – Oder: Wie das Nichts seine

Authentizität durch Einkleidung erlangt

by Vera Bühlmann

[email protected]

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Dem Audienz-Körper auf der Spur

Enthusiastisch stand Florian Dombois dem Wiederaufbau des Schlosses als Potsdamer

Landtagsgebäude nicht gegenüber – es sei eher ein Gefühl gewesen, dass man sich in

diesem Fall als gebürtiger Berliner Künstler »nicht einfach vom Acker machen« könne.4

Es sei ein politischer Raum, daran hält Dombois fest, und »wenn das Volk sich

entschließt, ein Schloss hinzustellen, muss man das ernst nehmen.«5 Wie aber lässt sich

als Künstler eine Haltung finden in solch einer Situation?

1 Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Frankfurt am Main 2003 . §18. 2 Søren Kierkegaard, Unwissenschaftliche Nachschrift, übers. von B. u. S. Diderichsen, Köln 1959, S. 219. 3 Ludwig Wittgenstein, ebenda, § 6. 4 Heidi Jäger, “Sanssouci, zerschnitten”, Potsdamer Neuste Nachrichten 6. September 2012, http://www.pnn.de/potsdam-kultur/678649/ 5 Ebenda.

»[…] so frage dich, ob unsere Sprache vollständig ist; –

ob sie es war, ehe ihr der chemische Symbolismus

und die Infintesimalnotation einverleibt wurden;

denn dies sind, sozusagen, Vorstädte unserer

Sprache. […] Unsere Sprache kann man ansehen als

eine alte Stadt: Ein Gewinkel von Gässchen und

Plätzen, alten und neuen Häusern, und Häusern mit

Zubauten aus verschiedenen Zeiten; und dies

umgeben von einer Menge neuer Vororte mit geraden

und regelmäßigen Straßen und mit einförmigen

Häusern..«

»Was dem Komischen und Pathetischen [= dem

Tragischen] zugrunde liegt, ist das Missverhältnis, der

Widerspruch zwischen dem Unendlichen und dem

Endlichen, dem Ewigen und dem Werdenden.«2

»Das Aussprechen eines Wortes ist gleichsam ein

Anschlagen einer Taste auf dem Vorstellungsklavier.«3

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In diesem Text soll behauptet werden, dass Florian Dombois mit Zugabe eine

regelrechte Geburt des Komischen bezeugt, und zwar aus dem Wesen von Verhältnissen

aller Art. Auch diese Vorstellung eines »Wesens« als etwas, das indefinit andauert und

dabei durchgehend es selbst bleibt, muss eine Authentizität begründen und einer

Autorität gehorchen. Die Geburt des Komischen zeigt, so wollen wir behaupten, wie

Authentizität als eine gequantelte Originalität begriffen werden kann, die sich verlautet

mit der Autorität einer in allen Dingen insistierenden, stillen Stimme. Man kann sich mit

keinem der beiden verbunden wähnen, ohne die formlose Selbstaufgabe von

Verhältnissen aller Art als Rätsel zu begreifen, dieses Selbst (von Verhältnissen aller Art)

in seiner Geschicktheit durch Chiffrierung zu bündeln und zu betiteln, und es so in

seiner wesentlich kommunikativen Verteilung diskret in Szene zu setzen. Zugabe ist

weder Werk noch Projekt, so macht Dombois klar, sondern eine »Intervention, die

Intervention bleiben soll« und genau deswegen heißt, wie sie heißt. Alle Ingredienzien,

aus denen wir hier eine Textur weben möchten, werden wir also aus dem Titel von

Florian Dombois’ Intervention zu extrahieren haben.

Nun ist ein Titel weder Name noch Begriff. Es ist vielmehr die allgemeine Bestimmung

von Titeln, Bedeutungsreichtum zu bündeln. Formal betrachtet, etabliert ein Titel ein

Eigentumsrecht von Besitz oder Vermögen, einen quasipolitischen Status dessen, was

mit diesem zugesprochenen Recht kanonisch eingebürgert wird, und er spannt einen

Geltungsraum auf, in welchem die unter dem Titel gefassten Ausführungen zu erwägen

sind.6 Was sind also die skalaren Größen zur Vermessung der Reichhaltigkeit des

betitelten Vermögens, die Dombois’ doppelte Artikulation von Sanssouci im Hof des

zukünftigen Potsdamer Landtagsgebäudes kapselt? Der Begriff »Zugabe«, so das

Grimmsche Wörterbuch, habe sich in der Mitte des 14. Jahrhunderts ausgebildet, und

zwar »im Leben des Marktes«. Das Wörterbuch unterscheidet acht Verwendungen; der

Begriff steht demnach für: (1) was beim Handel über Maß und Gewicht hinzugegeben

wird, (2) was eigentlich nicht zu einer Sache gehört, (3) die Mitgift der Braut, (4) die

Ableitung aus einem Lehrsatz, das Corollarium, (5) die gewohnheitsmäßige Erweiterung

von Fristen, (6) die Coda in der Musik (7) die Handlung des Zugebens, (8) die

Einräumung, das Zugeständnis.

Im Folgenden soll der mit diesem Titel beanspruchten Geltungsraum in einer der

unzähligen bestimmbaren Weisen, die sich daraus anbieten, erörtert, entziffert und mit

diesem Text verbürgt werden.

6 Wir beziehen uns mit dieser Charakterisierung von Titeln auf Jean-Luc Nancy, Philippe Lacoue-Labarthe, The Title of the Letter, A Reading of Lacan (1973), übersetzt von François Raffoul und David Pettigrew, Albany 1992.

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Das Rätsel – Oder: Wo befinde ich mich, wenn ich in der Buchstäblichkeit des

Diskreten bin?

Konstituierend für seine eigene Persönlichkeit als Künstler sei, so hat Florian Dombois

einmal eher beiläufig in einem Gespräch mit mir erwähnt, das komische Gefühl, die

Dinge würden etwas von ihm wollen, nicht umgekehrt. Als Künstler wolle er eigentlich

überhaupt nichts; er wolle nie etwas realisieren oder zum Ausdruck bringen, ein

Problem angehen oder ein Thema durcharbeiten, eine Position vermitteln oder

problematisieren. Er habe in gewissem Sinne gar keine Wahl, wann er arbeite und

woran. Vielmehr gäbe es etwas, das ihn zum Tätigsein nötige. Er folge in diesem Sinn

immer seinem »Material« und suche dabei – ein bisschen wie ein Metallurg vielleicht –

nach Strategien, wie aus dem Nötigenden dessen, was sein »Material« von ihm »will«

(was auch immer es sein mag), die Geste einer überschwänglichen, das Beengende

öffnenden Großzügigkeit zu ziehen sei. Es ist also eine rezeptive, sensible, antwortende

Haltung, in der er sich als Künstler begreift, aber auch eine, die verantworten will, was er

im virtuellen Monolog seines Schaffens zum Ausdruck bringt.7 Die künstlerische

Haltung wird dabei, so scheint mir, vor allem von einer Maxime getragen, die jedoch

nicht anders denn als Frage gefasst werden kann – als eine jedoch, für die keine

abschließende Antwort je zu finden sein wird und deren Formulierung deswegen,

notwendigerweise, eines Sinns für das Komische bedarf: nämlich wie man sich

respektvoll zu einer diffusen Forderung verhalten kann, von der man sich angesprochen

vermutet, ohne sich dabei in ihren Dienst zu stellen indem man sie affirmiert oder

negiert.

In dieser Charakterisierung gibt es kaum Überreste der romantischen Vorstellungswelt

von beflügelnden Insinuationen oder Inspirationen. Zwar bringt sie auch eine Art

Pathos zum Ausdruck, ein Ergriffensein, aber keines, das von Enthusiasmus getragen

würde. Es ist in diesem Sinn auch kein unmittelbar tragisches Ergriffensein, sondern

eher eines, das man in seiner Mittelbarkeit vielleicht als »ziviles« charakterisieren

könnte. Aber verkommt die Kunst nicht zu einem servilen Organ eines bestimmten

7 Jacques Derrida fasst in seiner Ethik der Différance das Ereignis einer Zugabe als »espacement« aus der Immanenz einer Unmittelbarkeit heraus. Eine Praxis des Aufschubs in seinem Sinn erfolgt über eine Erörterung, die nicht hermeneutisch eine Wurzel des ursprünglichen Sinnes zu identifizieren sucht, sondern die buchstäblich ein Stück Ursprünglichkeit als zusätzliches Territorium gewinnen will für die Verwaltung einer generellen Ordnung. Seine Zugabe durch Aufschub verwandelt ursprünglichen Sinn in generelle Topikalität, indem »die Abwesenheit des Wortes« erkannt wird, wie Derrida sagt, und man sich auf die Spurensuche der »Schrift im Wort« macht. Das gesprochene Wort, welches immer eine geistige Gegenwart und Präsenz dessen suggeriert, was es charakterisiert und ausdrückt, gilt es – dies soll der Begriff des Aufschubs leisten – in/different zu setzen. Die antwortende, verantwortende, und in diesem Sinn ethische Haltung besteht demnach weder in einer Negation noch einer Affirmation, sondern kann nur dadurch eingenommen werden, indem die durch ein Wort artikulierte Präsenz ständig aufgeschoben wird. Die Haltung wie ich sie bei Dombois verstehe, weicht vom Derridaschen Schema ab, indem sie nicht zu einer logischen Ordnung, einer Ordnung des Generellen beitragen will, sondern als Künstler/Autor auch selbst Verantwortender seiner Antwort zu bleiben beansprucht. Deswegen werde ich im Folgenden dem Chiffrieren bei Dombois eine kreative Rolle zusprechen, die mit Derridas Ethik der Grammatologie unvereinbar scheint. Vgl. auch Jacques Derrida, Grammatologie (1967), Frankfurt a.M. 1974. Die zitierten Passagen finden sich auf S. 243.

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Korrektiv, wenn sie ihre Kraft aus dem »Gesittetsein« und »Gesetzten« zu ziehen sucht?

Dombois zeigt uns, dass es gerade die Äußerlichkeit der oft verrufenen »Diskretion«

vermag, etwas Authentisches zu artikulieren, das mit der Autorität des Reellen spricht,

und zwar aus einem Element des »Disparsen«, wie es im Gesitteten ziviler Lebensformen

zu bestehen vermag, gerade weil ihm, obwohl es Element ist, jede Regelmäßigkeit fehlt.

Dieser Begriff des »Disparsen« mutet so sperrig an, dass man versucht ist, ihn als

nichtssagend zu diskreditieren und ihm zu unterstellen, er würde einem ein leeres

Wiederholen aufzwingen; genau darin aber besteht seine Kraft:

»Die Wiederholung ist das formlose Sein aller Differenzen, die formlose Macht des

Untergrunds, die jedes Ding in jene extreme ›Form‹ bringt, in der seine Repräsentation

zerfällt. Das Disparse ist das letzte Element der Wiederholung, das der Identität der

Repräsentation gegenübertritt. Daher ist auch der Kreis der ewigen Wiederkunft, der Kreis

von Differenz und Wiederholung (der den Kreis des Identischen und des Widerspruchs

auflöst) ein unwuchtiger Kreis, der das Selbe nur von dem aussagt, was differiert.«8 Woran wir uns mit unserer Behauptung im Folgenden halten werden, ist die

fantastische Vorstellung, dass sich das Nichts in seiner Neutralität ermessen und

erörtern lässt, wenn man nur seinem eigenen Sinn für das Komische vertraut, dessen

Geburt und Natur als erzeugendes Prinzip des Zivilen, Gesetzten und Gesitteten man

damit bezeugt.

Kosmos und Komik: Integrität in der Buchstäblichkeit ziviler Neutralität

Wir wollen erste Stabilität für diese Behauptung suchen, indem wir herausstellen, wie

sich auf unterschiedlichen Weisen »nichts« sagen lässt. Denn die Geburt des Komischen

entkoppelt dieses von den Gestalten der ironischen Rede, die ein Entfremdetsein des

Sprechenden von der Aussagekraft seines eigenen Sprechens ausdrückt: Man redet

ironisch, wenn man sich im Wissen wähnt, nicht zu wissen, was man eigentlich sagt.

Will die Aussage der ironischen Rede darauf hinaus, dass es eigentlich nichts zu sagen

gibt, so münzt sie dieses Nichts in einen Grund für vernünftiges Denken, von dem

behauptet wird, er sei wohl verstellt, könne aber aus prinzipiellen Gründen nicht

freigeräumt werden. Damit ist der Anspruch verbunden, dass gerade diese nicht zu

ergründende Verstelltheit ein Reales bezeugt, das man unweigerlich verraten würde,

wenn man es zu dechiffrieren suchte. Wie die Rede eines Gralshüters macht die

ironische Rede sich dafür stark, dass alles Wirkliche ein Rätsel ist, das Rätsel selbst aber

nichts, an das sich ein vernünftiges Denken wenden könne. Damit schickt sich die

ironische Rede in die Rolle eines Ausdrucksmediums für etwas, das sich vernünftig

gerade nicht sagen lässt: Für sie erlauben die Ordnungsprinzipen kein Vermessen des

Wesentlichen (Rätselhaften), sondern nur ein Ermessen, das seiner eigenen Gültigkeit

nie sicher sein kann. Gerade wegen ihres Insistierens auf dem Primat der reflektierenden

8 Gilles Deleuze, Differenz und Wiederholung (1968), München 1992, S. 82.

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Vernunft vermag die ironische Rede nichts anderes als nichts zu sagen: Für sie sind zwar

auch die Prinzipien zum Umgang mit dem Rätselhaften, ebenso wie das Wesen des

Rätselhaften selbst, verhältnismäßig. Sie will aber diese Verhältnismäßigkeit auf rein

rationale Verhältnisse beschränken, und in der Unendlichkeit der Zahlen lassen sich

Zähler und Nenner nicht aufeinander abbilden (ist kein Vermessen möglich), ohne aus

der Abbildung selbst etwas zu erzeugen, was die gesuchte Transparenz des Rätsels, seine

Neutralität, weiter verstellen würde. Die ironische Rede ist sich dessen bewusst, sie

wähnt sich selbst im Unermesslichen, Kolossalen, als teilhabend an der transparenten

Neutralität des Rätsels. Diese Teilhabe bezeugt sie, indem sie versucht, buchstäblich

nichts zu sagen.

Worin besteht nun der Kontrast zu einer Rede, welche die Geburt des Komischen

bezeugt, wie wir es Dombois’ »Zugabe« unterstellen? Auch er will »nichts« sagen, aber er

wägt sich mit dem Rätsel nicht in einer transparenten innigen, sondern in einer

formalen äußerlichen Verbindung: Er weiß, dass die rationalen Verhältnisse das

Wirkliche nicht in eine abbildende Konstellation zu bringen vermögen, welche sie

erschöpfend zu fassen vermöchten. Verhältnisse, die keinen unbeschränkbaren Rest

lassen (rationale Verhältnisse), bilden Inseln in einem Meer von solchen, die in keiner

Erzählung und in keiner Kalkulation je aufgehen werden (irrationale Verhältnisse).

Anders formuliert, er findet sich, buchstäblich etwas »verwegen«, in der Mittelbarkeit

des Städtischen und ihrer Immanenz von einer stillen und gebieterischen Stimme

angesprochen, der zu entsprechen er damit sucht, »nichts« zu sagen.

Wie ist das möglich? Dombois ist sich bewusst, dass eine solche, gewissermaßen

»kosmische Interpellation« ein komisches Gefühl ist. Das Wort »komisch« kommt zwar

wie ein Verlegenheitsmarker in seiner Formulierung daher, es weist aber einen Weg,

dem wir folgen wollen: Immanuel Kant hatte das Komische auf ein »eigenthümliches

Verähnlichungsvermögen« zurückgeführt, welches buchstäblich »nichts Wirkliches« zu

charakterisieren vermöge, sondern »nur Schein« produziere. Kant charakterisiert das

Komische als das blinde oder mechanische Spiel von reinen Größen, die sich

aneinander reiben, ohne dass sie von einem gemeinsamen Maß gehalten werden. Sein

berühmtes Beispiel ist ein Witz, in dem ein Indianer an der Tafel eines Engländers eine

Flasche Ale öffnet und das Bier, in Schaum verwandelt, herausdringen sieht. Mit »vielen

Ausrufungen« zeigt er seine große Verwunderung an. Auf die Frage des Engländers,

worüber er sich denn so wundere, antwortet er: »Ich wundere mich auch nicht darüber,

daß es herausgeht, sondern wie ihrs habt herein kriegen können«.9 Kant geht es mit

dieser Anekdote nicht darum, über die Unwissenheit von jemandem zu lachen, der

9 Immanuel Kant, Kritik der Urtheilskraft, § 54 in ders.: Werke in zwölf Bänden, Band 10, Frankfurt am Main 1977, S. 265-270.

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noch nie Bier gesehen und getrunken hat: »nicht weil wir uns etwa klüger finden als

diesen Unwissenden, oder sonst über etwas, was uns der Verstand hierin Wohlgefälliges

bemerken ließe; sondern unsre Erwartung war gespannt und verschwindet plötzlich in

Nichts.«10 Der springende Punkt für Kant ist vielmehr, dass das Substrat einer Erwartung

jemanden nicht mehr stetig weiterträgt, sondern seine Tragkraft verlieren und

unverhofft ins Nichts implodieren kann. Wir folgen Kant mit dieser Charakterisierung

des Komischen und behaupten aber, dass Dombois’ »Intervention, die Intervention

bleiben soll« die Geburt des Komischen aus dem Kantschen Element des Scheinbaren

ins Wirkliche bezeugt. Genau diese Erfahrung nämlich, dass wir uns in einer

Vielschichtigkeit von Kontinuitäten einzurichten haben, ist in der städtischen

Lebensweise vollkommen selbstverständlich. Mögen wir auch noch so sehr eine

übergreifende Kongruenz für diese diversen Schichten suchen, so gehört es doch zum

interessanten wie unbequemen Charme der Stadt, dass dies nie ganz gelingen kann.

Die Form von Vernehmlassungen – Oder: Die Präsenz des Kosmischen in der Stadt

Was sich im Komischen geltend mache, sei das Mechanische, das Stoffliche und

Dingliche, schreibt Henri Bergson in seiner Studie über das Lachen und die Bedeutung

des Komischen.11 Im Komischen mache sich ein Etwas geltend, melde sich also mit

einem Anspruch und fordere Gehör zu finden, obschon wir doch eigentlich denken, es

hätte genau dies nicht nötig, da gerade das Mechanische, das Stoffliche und Dingliche

als Inbegriff all dessen gilt, was unmittelbar und unverfälscht immer das tut, was seinem

Wesen, und nur seinem Wesen entspricht. Es scheint wenig übertrieben anzunehmen,

solch Stoffliches sei vielleicht das Einzige überhaupt, von dessen Realität wir glauben,

sagen zu können, sie sei – sogar notwendigerweise – immer und nur »authentisch«.

Indem er den damit beanspruchten Geltungsraum des Stofflichen in einem Element des

Komischen erkennt, spricht Bergson solcher Authentizität aber eine Aktualität zu, die im

geradlinigen (deswegen als unmittelbar und unverfälscht wertgeschätzten) Zeitigen

»insistiert« und sich selbst nicht »in ihr« entfaltet, sondern »aus ihr« entspringt. Im

Element des Komischen vermag die Authentizität des Wirklichen, aus der Rationalität

der Geradlinigkeit eine quellende Aktualität schöpfen – eine Aktualität, die als nichts

anderes denn als eine Absurdität Geltung beanspruchen kann: »Man tut einen

komischen Ausspruch, indem man eine absurde Idee in eine stehende Redensart

kleidet«.12 Im Element des Komischen werde also das Sinnwidrige, das Abwegige, das

Ungereimte in die Aktualität eines Ausdrucks finden, die sich buchstäblich nicht fassen

und konservieren lässt, weil sie die absurde Aktualität des Gleichgültigen, des Neutralen

oder Nichtigen ist.

10 Ebenda. 11 Henri Bergson, Das Lachen. Ein Essai über die Bedeutung des Komischen (1900), übers. von Roswitha Plancherel-Walter, Zürich 1972. 12 Ebd., S. 78.

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Anders gesagt, im Komischen weiß sich Stofflichkeit (das Mechanische oder Dingliche)

Geltung zu verschaffen, und zwar – darin gründet das Verhältnis des Komischen zum

Absurden – für seine eigene gleichgültige Nichtigkeit. Im Element des Komischen ist

Stofflichkeit nichtig und dennoch erzeugend. Vom Komischen wird also gesagt, dass es

sich irgendwie um ein kreatives Ermessen des Nichts dreht: Stofflichkeit, die ihre eigene

Neutralität zur Geltung bringt. Der Anspruch, der in dieser Geltung vorgebracht wird,

entspringt einer Idee, welche nicht zu fassen ist (absurd), weil sie einem ideellen Spiel

inkongruenter Verhältnisse entspringt.

Das Erleben solcher Inkongruenzen zwischen Größenordnungen und deren

Regelmäßigkeiten meinen wir mit dem Disparsen. Im Modus des Komischen bricht es

ins zivile Leben ein, verstreut und verteilt, hier und da ein bisschen, und dringt durch

mehr oder weniger harmlose Ritzen in die Gesetztheit der code-basierten Ordnungen.

Im Element des Disparsen verschafft sich eine Stofflichkeit von purer Neutralität – ein

Etwas, das sich, stofflich, in ein Nichts auflöst – Geltung. Solche Geltung, die nie

gesprochen, sondern nur als Vernehmlassung beansprucht werden kann, ertönt aus den

Reibungsstellen im dynamischen Gefüge ziviler Ordnung und verweist auf die

Inkongruenz etablierter Größen und der darauf etablierten Geltungsordnungen. Es ist in

diesem Sinn, dass wir absurderweise von einer eigentlichen Objektivität der puren

Neutralität reden sollten: weil das Nichts, wo es sich Geltung verschafft, dem erwartet

Folgerichtigen »entgegen« spricht und beansprucht, dass die Weise, wie es

angesprochen werde, zur Disposition stehe. Das Nichts, welches sich selbst zur Geltung

bringt durch eine Wiederholung, die nichts sagt, kann sich nur im Mechanischen des

rein Quantitativen zeigen – und ist genau dadurch verbündet mit dem Komischen. Es ist

der Motor, das animierende Prinzip des Städtischen, weil es das philosophische

Dilemma, welches im Herzen des zahlenbasierten rationalen Ordnens klafft, als

generative Kraft willkommen heißt. Das Städtische versucht, die Kraft des Zwiespalts

dadurch zu neutralisieren, dass es sie ins Werk setzt und aus den zwei Unendlichkeiten

eines Verhältnisses (Zähler und Nenner), die sich nur aufeinander abbilden lassen,

indem sie die Transparenz des Rätsels, seine Neutralität, weiter verstellen, zum Motor

des Differenzierens seiner eigenen »Identität« macht.

Wo sich die ironische Rede als teilhabend an der transparenten Neutralität des Rätsels

versteht und eine Neutralisierung der Kraft des Zwiespalts durch die Nihilierung von

Ansprüchen sucht, indem sie mit aller Macht, die sie bündeln kann, versucht,

buchstäblich nichts zu sagen, tritt die auf komische Weise nichts sagende Rede, die, will

sie authentisch sprechen, einen Sinn für ihre eigene Komik ausgebildet haben muss, in

ein kritisches Verhältnis zu dieser Partizipation. Sie vermag es, nichts zu sagen und

nichts zu wollen, indem sie das buchstäblich durch Wiederholung tut. Den Gehalt (die

Substanz) des Buchstäblichen pflanzt die nichts sagende wiederholende Rede in einem

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symbolischen Grund an. Sie sucht nicht, diesen Grund unverstellt zu begreifen oder vor

weiteren Verstellungen zu schützen, sondern sie vervielfacht dasjenige, was darin

wurzelt, und erzeugt dieses in unterschiedlichen Varietäten, deren Gesamtheit einen

fantastischen Adjunktionskörper (eine »Zugabe«) bildet. Diese Varietäten sind nie in

abschließbarer Weise summierbar, weil sie, erzeugt aus Verhältnissen, die von Codes

gestiftet werden, in einem genuin symbolischen Grund wurzeln. Sie verkörpern eine

Natürlichkeit (Prinzip der Genese), die dem Prinzip des Komischen unterstellt ist und

als dessen Gebürtige sich nur jene identifizieren können, der sich in ihrer zivilen Rolle

von einer diffusen, kosmischen Ansprache gemeint wähnen und Wege finden, dieser

Ansprache dadurch zu antworten, dass buchstäblich nichts gesagt wird. Eben so schickt

sich Dombois an, einen solchen Adjunktionskörper auszustatten mit einigem von dem,

was die Neutralität seiner verkörperten Rätselhaftigkeit in gängige Begriffe einkleidet.

Die Auflösung des Nichts in adjunktive Körper von Codes

Wie aber kann man sich das Einkleiden dessen, was dergestalt im Symbolischen wurzeln

soll, überhaupt vorstellen? Was soll das heißen: sich anzuschicken, das Nichts in seiner

Buchstäblichkeit zu ermessen und damit der Geltung seiner wesentlichen Charakteristik

– der Neutralität – Gewicht und Materialität zu verschaffen, indem man es einfach nur,

allerdings wiederholend, »sagt« und ihm die artikulierten Varietäten als Glieder seines

eigenen phantasmatischen Körpers zuspricht? Wir müssen hier wieder auf dieses

scheinbar Kredit unwürdige Wort des »Disparsen« zurückgreifen. Es sei dasjenige

Element einer Wiederholung, so haben wir schon präzisiert, welches der Identität der

Repräsentation gegenübertrete in einer Weise, die den Kreis von Identität und

Widerspruch aufzulösen vermag. Wir können jetzt sehen, dass diese »Auflösung« in

einem stofflichen Sinn zu begreifen ist: in der Auflösung des Nichts lassen sich die

Körper des Neutralen einkleiden. Das hört sich absurd an! Das Nichts soll viele Körper

haben? Aber genau im Begreifen davon, dass die Möglichkeiten zur Auflösung des

Nichts, wie in der symbolischen Algebra, »unzählig« sind, sehen wir die Geburt des

Komischen! Solche Unzähligkeit wollen wir, ebenfalls wie in der symbolischen Algebra,

über das buchstäbliche Beziffern unbekannter Größen im unermesslichen Raum aller

setzbaren Verhältnisse begreifen. Die Geburt des Komischen wird bezeugt durch das

Antworten auf eine kosmische Interpellation im Raum der Polis, und das Substrat

solcher Körper des Nichts (Absurdität), welches sich in stehende Begriff einkleiden lässt,

ist ein Substrat, das nur wegen seiner genuinen Medialität (Relationalität) überhaupt als

Substrat und Träger von Neutralität gelten kann. Die Auflösung des Nichts durch

wiederholendes, leeres Reden geht nicht vonstatten, ohne Träger des Neutralen

hervorzubringen.

Schauen wir uns etwas genauer um. Die Vorstellung, welche wir gemeinhin mit einem

neutralen Träger für jegliche Qualität verbinden (dasjenige, was sich nach Bergson in

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der Komik zur Geltung bringt), ist die Vorstellung der reinen Größe, der Quantität.

Dazwischen vermittelt, so die philosophische Auffassung, die sich durch die

Jahrhunderte zieht, die sprachliche Ordnung der Buchstaben, deren Manifestation

zumindest in der westlichen Geistesgeschichte seit der Ausgestaltung des

lautkörperlichen (technisch als phonetisch bezeichneten) Alphabets in den 26 Lettern

gesehen wird. Diesen Buchstaben allein wird es zugesprochen, dass sie die pure

Charakteristik von allen tatsächlichen wie auch allen vorstellbaren Dingen ermessend

und erzählend zu gliedern vermögen, genau weil sie Quantität und Qualität

»vermitteln«. Doch als rein Stoffliches, rein Mechanisches oder Dingliches, das sich

selbst (in seiner Bedeutung als neutraler Träger für jegliche Qualität) Geltung verschafft,

verliert die alphabetische Ordnung eben diese für sie konstitutive Transparenz der

eigenen Neutralität in just jenem Moment, da sie für sich selbst eine Geltung und einen

Wert beansprucht. Übertritt man diese Schwelle, so sucht man – absurderweise –, in der

Symbolizität dieses Medialen einer »Authentizität des Nichts« nachzuspüren. Dem

Absurden dieser Weise trotzt aber, immer wieder neu, die Mathematisierung von

Kommunikation, die nichts anderes verdeutlicht, als dass die Lettern des Alphabets

nichts unmittelbar auszudrücken vermögen, sondern einer Vermittlung bedürfen durch

die »Kunst des Lernens« (Mathesis).

Die Domboisschen Kunstgriffe haben uns genau in diese Richtung geleitet. Er vernimmt

als kosmische Interpellation, während er verwegen unterwegs ist in der Stadt, die

Kundgabe einer anonymen oder generischen Stofflichkeit des Geistreichen. Und er

verhält sich zu dieser Forderung, indem er mit den Nachrichten, die er darin zur

Vernehmlassung freigegeben glaubt, diskret verfährt. Wie Wikipedia diffus aber

unverfänglich formuliert, bezeichnen Nachrichten den qua Mitteilung kommunizierten

Inhalt von Informationen. Dombois entspricht dem gebieterischen Anspruch, den er

vernimmt, auf rein formale Weise, indem er zur Frage des Gehalts (der Substanz, der

Bedeutung) der zirkulierenden Informationen schweigt und sich lediglich die Codes, in

denen dieser Gehalt zirkuliert, durch wiederholendes Nichts-Sagen aneignet und als

ästhetische Form veräußerlicht.

In aller Kürze können wir skizzieren, wie sich aus den hier behaupteten

Charakterisierungen dieser Kunstgriffe eine Strategie zur Artikulation von Neutralität

extrahieren und plausibilisieren ließe, die vorläufig in folgende Schritte untergliedert

werden können: (1) Man kultiviere eine Empörungshaltung und widerstehe damit

jedem vorschnellen Engagement (man begreife sich als angesprochen von der

kosmischen Interpellation), (2) man verpflichte sich einer hermeneutischen Praxis, die

an einem originellen Sinn festhält, (3) man verhalte sich so diskret wie möglich, indem

man dem hermeneutischen Kern keine Bedeutung zuzuweisen, sondern aus seiner

Kundgabe den Strom einer Vernehmlassung zu erschließen sucht (so wie man mit den

algebraischen Symbolen imaginäre Wurzeln zieht), und (4) man kleide die Ansprache,

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der man folgt, so kunstfertig wie eben möglich in ihrer Neutralität aus – gemäß seinem

eigenen Sinn für das Komische.

Das Subjekt solcher Artikulation wollen wir als »kosmisches Subjekt in der Stadt«

bezeichnen, und das Objekt, das in solcher Artikulation gegliedert wird, als

»pataphysische Invarianz«. Die Äußerlichkeit oder (mathematische) Form solcher

Gliederung kann uns als (adjunktiver) Körper des Nichts in seiner Buchstäblichkeit

gelten.

Die kosmische Subjektivität und die pataphysische Invarianz

Just zu jener Zeit, als die Mathematik von der abstrakten zur symbolischen und

schließlich zur universellen Algebra voranstürmte, die unsere heutige Informations- und

Nachrichtentechnik konstituiert, hat Alfred Jarry (1873–1907) mit künstlerischer Geste

die Implikationen jener mathematischen Entwicklungen affirmativ vorweggenommen

und per Deklaration die Idee einer Wissenschaft des Partikulären, also des Einzelfalls, zu

artikulieren begonnen, die sich von Aristoteles’ wirkungsreicher Definition absetzt, nach

der sich Wissenschaft immer nur mit dem Generellen beschäftigen könne. Jarrys

Pataphysik solle sich so zur Metaphysik verhalten, wie die Metaphysik sich zur Physik

verhalte, und so Erkenntnisse schaffen, um imaginäre Lösungen zu begründen –

Lösungen also, welche nicht auf notwendige Bedingungen antworten, sondern eine

fantastische Vorstellung mit Eigenschaften von aktuellen Objekten auszustatten

vermögen. Jarry hat in seiner Pataphysik vor allem die Möglichkeit gesehen,

Vorstellungen in ihrer Virtualität beschreiben zu lernen: »Die Pataphysik ist die

Wissenschaft imaginärer Lösungen, welche die Eigenschaften von Objekten, in ihrer

Vitualität geschildert, symbolisch mit deren Grundzügen [linéaments] verträglich

macht.«13 Dieses pataphysische Ausstatten hat lange Zeit einen rein literarischen Sinn

behalten, aber heute können wir darin eine philosophische Interpretation dessen

vorweggenommen sehen, was in den Ingenieurwissenschaften mittlerweile gang und

gäbe ist – nämlich das Ausstatten von generischen Substraten mit zugeteilten

Eigenschaften, die sich zählen, kalkulieren, messen und miteinander vernetzen lassen.

Das Doping von Halbleitern meint das Ausstatten von Trägermedien durch Einprägung

von symbolischen Codierung (die »logistischen Bahnungen« welche den elektrischen

Strom leiten) in ihre Quantenelektrodynamische Struktur. Jegliche physikalische

Größenordnung (Wärme, Licht, Kälte, Bewegung, sogar Energetisierung in den

13 “La pataphysique est la science des solutions imaginaires, qui accorde symboliquement aux linéaments les propriétés des objets décrits par leur virtualité.” (Alfred Jarry, Oeuvre Complète I-III, herausgegeben von Michel Arrivé, Gallimard: Paris, 1972, I, p.669).

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Solarzellen) kann so aus der formlosen Energie der Elektrizität heraus gerendert und

produziert werden.14

Wir wollen Dombois mit seinen Kunstgriffen des diskreten Verhaltens als Pataphysiker

ansprechen. Wir unterstellen ihm, dass er uns vorführen kann, wie die Pataphysik –

nachdem sie das rein Literarische verlassen hat und mittlerweile mit Recht beansprucht,

auch physikalisch »wirklich« zu sein – wiederum zurück in den Bereich des

Literarischen, nun aber in seiner stofflichen Buchstäblichkeit, übertragen werden kann.

Dombois' Strategie zur Artikulation von Neutralität vermag es, so behaupten wir, die

zivile Mittelbarkeit einer kosmischen Kritizität zu eröffnen. Worin besteht die

Herausforderung? Für die Pataphysik, wie auch für das ingeneurtechnische Dopen, wird

alles, was beansprucht, als konstant zu gelten (also »kosmisch« zu sein), in der Struktur

des Satzes, in der es seine Bedeutung behauptet, auf modulierende Weise verfassbar

und artikulierbar. Für beide muss das Konstante als Invarianz gefasst werden, die sich

diskretisieren, artikulieren und der Kapazität der mathematischen Form (Gleichung)

entsprechend bewegen, verschicken und verteilen lässt.15 Das Konstante ist also

aufgehoben und zirkuliert in der Struktur von beliebig komplex formulierbaren

Erhaltungssätzen, wobei Erhaltungssätze als Formeln ausgedrückt werden und heute in

einer für die Kosmologie wie auch für die Physik konstitutiven Weise als Inbegriff von

»Naturgesetzmäßigkeit« gelten.

Wir behaupten, dass Dombois’ Bezeugen einer Geburt des Komischen durch seine

Strategie der Artikulation von Neutralität darauf insistiert, dass die politischen Gesetze

den kosmischen entsprechen können müssten – und zwar performativ (nicht nur

deklarativ) auf der Ebene der Kapazitäten und Mächtigkeiten der jeweiligen

mathematischen Form (in der technischen Kommunikation), in der sie ihren Ausdruck

finden. Wenn nun das Konstante (Kosmische) als artikulierte Invarianz gelten muss, in

dessen Formulierungen das Kosmische mehr oder weniger mächtig auftritt, so kann

Kritik nur bestehen bleiben, wenn die Kraft des Komischen im Wirklichen Geltung

beanspruchen kann. Keine logische Argumentation könne diese Vermittlung je

vollständig neutralisieren, so scheint Dombois überzeugt, wenn er mit Zugabe einer

»Intervention« Platz machen will, »die Intervention soll bleiben können«.

»Präzeption« und die Modulierbarkeit der Maßgabe

14 Vgl. dazu Vera Bühlmann, Ludger Hovestadt (Hrsg.), Printed Physics, Metalithicum I, Vienna 2012. 15 Die deutlichste Vorstellung von Invarianz kann man sich vielleicht aus der Weise erschließen, wie die Wissenschaft heute Energie definiert: über die sogenannten Erhaltungssätze, die von Emmy Noether erstmals formuliert worden sind. Hierzu s. beispielsweise Yvette Kosmann-Schwarzbach, The Noether Theorems, Invariance and Conservation Laws in the Twentieth Century, übersetzt von Bertram E. Schwarzbach, Wien 2011.

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Dombois arbeitet mit digitaler Bildbearbeitung und Fertigungstechniken, mit denen er

Varianten von Repräsentationen von Sanssouci über einen »Schnitt« hinweg in einem

phantasmatischen (Adjunktions-)Körper verwurzelt. Damit bleiben die digitalen

Arbeitsmittel in ihrer eigenen Mächtigkeit gerade nicht a-thematisch und transparent

(reine Operatoren), sondern sind durchwegs auf ihre jeweiligen Referenzebenen

bezogen, und dies in aller digitalen, d. h. Arbitrarität begründenden »Folgerichtigkeit«:

Die Referenzebenen vervielfältigen sich und brechen sich gegenseitig in ihrer jeweiligen

Konsistenz. In Dombois’ Artikulation nun tun sie dies aber nicht nach dem

de/konstruktiven Gestus jener Rede, die sich im Bewusstsein, nichts zu sagen, zum

Komplizen machen will von dem, was die Unmöglichkeit, das Nichts zu ermessen,

bedingt. Ganz anders ist Dombois’ Artikulation von Anfang an eine doppelte, die zudem

das Prinzip zu ihrer eigenen Vervielfachung in sich trägt: Er begreift die Substanz von

Sanssouci als etwas Flüchtiges (wie die Essenz eines Duftes) und fasst sie als

pataphysische Invarianz auf, die in vielfache Varietäten ein und des gleichen

Verhältnisses (eine Reproduktion von Sanssouci) gerendert wird (in unterschiedlicher

Auflösung ein und derselben Essenz als Parfum, Eau de Toilette etc.). Die Vektoren der

De- und der Kon-struktion spielen zwar auch bei ihm zusammen, aber anders als für die

ironische Rede weisen sie in der komischen Rede in unterschiedliche Richtungen und

eröffnen diskrete Geltungsräume. Konkreter formuliert, wird der Pavillon von Sanssouci

zweimal »gesagt«, einmal im Verhältnis 1:3 zum Referenzgebäude, also im Maßstab von

Architektur, und einmal im Verhältnis 1:4, gerendert im Maßstab skulpturaler Arbeiten.

Versuchen wir selbst, diskreter zu formulieren. Wie würde sich ein doppeltes

Artikulieren gestalten, welches den technischen Umgang mit Nachrichten und das

Wirkliche jeweils ineinander abbildet, ohne das eine vollständig in den Dienst einer bloß

registrierenden Aufzeichnung und Darstellung des Anderen zu stellen?

Konkret hat Dombois die Fotos, welche er in seiner Artikulation von Sanssouci auf die

Trägerstrukturen projiziert hat und gemäß denen die Theatermaler die Fassade gemalt

haben, gestretcht und gestaucht. Dieses Vorgehen ist angelehnt an das Gestalten von

Umgebungen in Computerspielen oder auch an Google Earth, wo die verwendete Textur

der gerenderten topografischen Karten aus Satellitenaufnahmen erzeugt werden. Die

fotografischen Aufsichten auf die Struktur einer Umgebung bilden die Überlagerung

eines »äußerlichen« (fotografischen) Perspektivpunktes mit einem »innerlichen«

Perspektivpunkt (von 3D-Rendering-Umgebungen), und dabei kommt es bisweilen zu

den wildesten Verzerrungen. Es geht Dombois mit dieser Vervielfältigung von

Referenzebenen und mit den damit ausgestellten »misfits« nicht darum, dass sich die

Referenzebenen gegenseitig relativieren und in ihrem substanzlosen

Begründungsanspruch bloßstellen. Das Element der Kritizität, in welchem er seine

Artikulationen verwurzelt sieht, erfüllt sich nicht in einem McLuhanschen Spiel des

Medialen (das Medium sei die Botschaft), das sich indefinit fortsetzt, solange nur das

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kommunikative Spiel weiter als Spiel und Unterhaltungsprogramm im Regime der

kritischen Vernunft gespielt wird. In anderen Worten: solange jemand 1.) mit

analytischem Blick hinschaut, 2.) mit eigener Kraft das Übermittelte synthetisiert, 3.) die

Wahrnehmung damit abgleicht und so 4.) erkennen kann, wo sich die Dinge nicht

nahtlos fügen, wo sie nicht zur Passung gebracht werden können, wo ein Rest bleibt, der

einen versichert, dass dies nicht real ist, sondern ein Illusionsraum.

Dombois’ Element der Kritizität macht – nicht weniger spielerisch, aber in komischer

Weise – ernst mit der kommunikativen Wirklichkeit, indem es sich über das Spektakel

durch Diskretion empört. Indem es die Geburt des Komischen bezeugt, ist es gerade

jene von McLuhan in Bezug auf die Medien angesprochene Modulierbarkeit der

Maßgabe, mit der auch Dombois sich auseinandersetzt: »Die Botschaft jedes Mediums

oder jeder Technik ist die Veränderung des Maßstabes, Tempus oder Schemas, die es

der Situation des Menschen bringt.«16 Auch Dombois will daran festhalten, dass es ein

Reales gibt, das uns Authentizität bewahrt. Dies auf jeden Fall postuliert er oft, und am

deutlichsten vielleicht in seinen Sonifikationsarbeiten. »Wir können hören, wie die Erde

klingt!«, sagt er beispielsweise den Studierenden in seinen Vorträgen. »Wir können

wirklich an einem nahezu beliebig wählbaren Ort hören, wie die ganze Erde an einem

bestimmten Moment geklungen hat«. Das ist eine fantastische Vorstellung, im besten

Sinn des Wortes, und wichtig ist dabei nicht so sehr, ob und inwiefern diese Vorstellung

tatsächlich über eine präzis gedachte, logisch haltbare Aussage gestützt werden kann.

Dombois der Künstler ist hier zweifellos mit Dombois dem Wissenschaftler in einer Art

dialogischem Monolog: Schon in seiner Dissertation, in der er als Geophysiker aus den

Natur- in die Kulturwissenschaften migriert ist, hat sich Dombois die Frage gestellt, was

ein Erdbeben sei 17– und dies in einer Weise, die sich der techniktheoretischen und

philosophischen Implikationen von »Was-Fragen« durchaus bewusst war. Er hat die

rätselhaften Satzstrukturen der Orakelsprüche von Delphi dort ebenso zur Struktur der

heute geläufigen Strategien statistisch begründeter Prognosen ins Verhältnis gesetzt wie

die Chiffrierungsweisen aktueller Mess- und Verfahrenstechniken, die darin

indexierend, registrierend und verhältnisstiftend zum Einsatz kommen. Es gibt für ihn

ein Reales – bei Delphi ebenso wie bei Prognosen, die auf seismischen Messungen

gründen –, das Authentizität verkörpert gerade in der Formatierung, in der es als

Nachricht zu zirkulieren beginnt.

Versuchen wir Schritt zu halten mit Dombois’ eigenen Kunstgriffen, die es ihm erlauben,

sich dieser Haltung (um deren Vertretbarkeit er in seinen Arbeiten ringt) in ihrer ganzen

16 Marshall McLuhan, Die magischen Kanäle (1964), Düsseldorf 1992. Weil so viele Deutungen dieser Idee gehandelt werden sei hier eine der wichtigsten Stellen wörtlich zitiert: »Die Botschaft jedes Mediums oder jeder Technik ist die Veränderung des Maßstabes, Tempus oder Schemas, die es der Situation des Menschen bringt.« S. 18. 17 Florian Dombois, Über Erdbenen, Ein Versuch zur Erweiterung seismologischer Darstellungsweisen, Humboldt-Universität Berlin, 1998, online: http://edoc.hu-berlin.de/dissertationen/geologie/dombois-florian/PDF/Dombois.pdf

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Verletzlichkeit zu widmen. Das Wirkliche gilt ihm genau deswegen als authentisch, weil

es sich uns weder »perzeptiv« noch »intuitiv« noch »rational« in unmittelbarer Weise

erschließt. Aus dem zivilen Selbstverständnis einer städtischen Mittelbarkeit heraus ist

die Wirklichkeit authentisch, indem wir ihr Autorität zusprechen. Dombois folgt dem

komischen Gefühl, dass die Dinge etwas von ihm wollen. Genau darin begegnet er dem

Wirklichen in seiner Authentizität – einem Wirklichen, wie es den Dingen selbst gemäß

ist,

d. h.: unvermittelt. Es beansprucht Geltung, indem es auf eine Weise ertönt, die wir nur

diffus vernehmen können und die nicht klingt, bevor wir ein Verhältnis dazu erzeugt

haben, welches seinen möglichen Klang vorausahnend vorwegnimmt. Wir müssen ein

»präzeptives« Verhältnis zum Wirklichen entwickeln, um die von ihm beanspruchte

Geltung vernehmen zu können.

Der Körper des Nichts ist ein elektrisierter Quanten-Körper, der nur chiffriert er selbst

sein kann

Das Kunstwort »Präzept« haben wir fabriziert um das »Perzept« im vollen

Vermögensreichtum seiner genuinen Mittelbarkeit zu betiteln. Denn wie könnte man

eine Vorstellung entwickeln von jenem vorwegnehmenden Aufbereiten dessen, was

gesammelt und gebündelt werden muss, um überhaupt wahrnehmbar zu werden? Wir

haben dieses Kunstwort an einer Analogie zur Elektrizität ausgebildet und müssen etwas

ausholen, um diese Analogie zu erläutern. Dabei wir wollen uns an die Darstellungen

von Karen Barad halten, die in ihrer kleinen Schrift Was ist das Maß des Nichts?18

schreibt:

»Das Elektron ist ein unstrukturiertes Punktteilchen, das in seine Intra-Aktionen mit

virtuellen Teilchen ›gekleidet‹ ist: Es intra-agiert mit sich selbst (und mit anderen

Teilchen) durch den vermittelten Austausch von virtuellen Teilchen. (So kann ein

Elektron zum Beispiel mit sich selbst durch den Austausch mit einem virtuellen Photon

oder einem anderen virtuellen Teilchen intra-agieren und dieses virtuelle Teilchen

wiederum kann sich weiter an anderen virtuellen Intra-Aktionen beteiligen und so

weiter.) Nicht jede Intra-Aktion ist möglich, doch die Anzahl der Möglichkeiten ist

grenzenlos«.19

Was aber soll ein »virtuelles Teilchen« sein? Der Kontext von Barads Thema ist das

Verhältnis von Philosophie und Quantenphysik. Im Kern dreht sich ihre Arbeit darum,

dass die sogenannten virtuellen Teilchen in der Quantenfeldtheorie nicht lediglich eine

18 Karen Barad, Was ist das Mass des Nichts? Unendlichkeit, Virtualität, Gerechtigkeit, Ostfildern, 2012. 19 Ebd., S. 30.

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epistemologische Unschärfe, sondern eine ontologisch Unbestimmtheit bezeichnen.20

Die sperrige Vorstellung, die sich damit verbindet, drückt sie wie folgt aus: »Virtuelle

Teilchen sind nicht in, sondernTeil der Leere.« Das Nichts ist kein Rezeptakulum,

welches Teile aufnehmen und beherbergen kann, sondern es ist mit den Teilchen, die es

aufnimmt, in »positiver« Weise verbunden: als ontologische Unbestimmtheit, und

deswegen virtuell. Dem Nichts, der Leere, dem Vakuum wird hier eine neutrale

Stofflichkeit zugesprochen, die wir auch im Verhältnis von Nachrichten und Wirklichkeit

zu charakterisieren versucht haben. Wir wollen unsere Analogie mit dem Präzeptiven in

eine Formulierung bringen: Das virtuelle Teilchen verhält sich zum Vakuum wie eine

Nachricht sich zum Nichts der Komik verhält.

Damit legen wir nahe, dass das Städtische eine quantenphysikalische Wirklichkeit

betitelt, und Kunst, die ihre Kraft aus dem »Gesittetsein« und »Gesetzten« zu ziehen

sucht, muss darin nicht zu einem moralisierenden Korrektiv verkommen. Fassen wir

rückblickend die wichtigsten Linien zusammen: Statt im Städtischen/Zivilen

unmittelbar eine kosmische Ordnung zu sehen, können wir im Bezeugen der Geburt des

Komischen das Verhältnis von Stadt zu Kosmos in eine Mittelbarkeit und Kritizität

bringen. Wir können die Positivität des Städtischen quantenphysikalisch als neutrale

Stofflichkeit begreifen, die sich selbst zur Geltung bringt in Ansprachen wie jenen, an

denen Dombois sein künstlerisches Schaffen ausrichtet: Das Städtische als

fluktuierendes Vakuum, das nur städtisch ist, wenn es jegliche Zugabe aufnehmen kann.

Wir können auf diese Positivität des Städtischen bezogen denken, was Barad zur

Illustration der Vorstellung einer ontologischen Unbestimmtheit sagt:

»Die leere Seite, sie strotzt vom Begehren möglicher Spuren jeglicher Symbole,

Gleichungen, Worte, Bücher, Bibliotheken, Satzzeichen, Vokale, Diagramme, Kritzeleien,

Inschriften, Grafiken, Buchstaben, Tintenklecksen, wie sie nach Ausdruck verlangen. Ein

Jubel der Leere. Man glaube nicht eine Sekunde lang, dass es keine materiellen

Auswirkungen des Verlangens und Sich-Vorstellens gebe. Virtuelle Teilchen

experimentieren mit den Un/Möglichkeiten des Nicht/Seins, doch bedeutet das nicht,

dass sie nicht wirklich sind, im Gegenteil. Man sehe sich diese kürzlich erschienene

Überschrift an: ›Es ist gesichert: Materie sind lediglich Vakuumfluktuationen‹«.21

20 Sie konturiert den Hintergrund dessen wie folgt: »Die so häufig erzählte Geschichte von der Existenz virtueller Teilchen Iautet, dass sie ein unmittelbares Resultat der Heisenberg'schen Unschärferelation sei. Doch die ›Unschärfe‹- Relation (sic) von Energie und Zeit ist weit davon entfernt, ein beständiger Sachverhalt zu sein. Vor allem die neuere Forschung stützt die Deutung dieser Relation eher unter dem Aspekt der Unbestimmtheit als der Unschärfe. Zur Debatte steht mithin eine ›objektive [ontologische] Unbestimmtheit‹ (Paul Busch), nicht jedoch eine epistemologische Unschärfe. Siehe zum Beispiel Paul Busch, ›The Time-Energy Uncertainty Relation‹, in: Time in Quamum Mechanics, hrsg. v. Juan Gonzalo Muga, Rafael Saia Mayato und Inigo L. Egusquiza, 2. Auf., Berlin: Springer 2008 [Orig. 2002]. Für eine ausführliche Darstellung der Deutungsunterschiede, die durch Fragen der ›Unschärfe‹ (Heisenberg) vs. ›Unbestimmtheit‹ (Bohr) gekennzeichnet sind, siehe auch Barad, Meeting the Universe Halfway (Anm. 3).« 21 Ebd., S. 30.

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Als Zeichen für die Null (und ihren Körper, das Vakuum) repräsentiert die Chiffre

buchstäblich nichts außer das, was sie selbst ist – als Rätsel. Die Chiffre ist Rätsel in der

Weise einer sich selbst erzeugenden »Unmittelbarkeit«: nämlich operativ im Sinn von

indefinit und maßgebend. Die Chiffre gilt als symbolischer Nullpunkt und Leere, d. h.

sie bietet einen neutralen Platz für jegliche Bestimmung. Der verlangende und verteilte

Körper des Nichts, der Quanten-Körper des Neutralen, von dem Barad spricht, kann uns

als die pataphysische Invarianz einer jeden Chiffre gelten.

Mit Dombois’ Zugabe hat das Landtagsgebäude im ehemaligen Schlosspark ein Stück

Chiffrizität erhalten, eine Intervention, die auf sensible, humorvolle, eloquente und

kritische Weise buchstäblich »nichts« sagt – und die, indem sie ihren eigenen Anspruch

verwirklicht, genau deswegen Intervention bleiben kann.