„Prunkwagen und Hirsebrei – Ein Leben wie vor 2700 Jahren“

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Im August 2011 wurde im Freil ichtmuse-um von Mitterkirchen (Bezirk Perg, Ober-österreich) das Projekt „Prunkwagen undHirsebrei. Ein Leben wie vor 2700 Jahren“durchgeführt. Im Folgenden sollen derAnspruch an das Projekt sowie die kon-krete Durchführung vorgestel lt werden.Die Idee, ein experimentel les Wohnpro-jekt im Freil ichtmuseum durchzuführen,ist bereits mehrere Jahre alt, scheitertebisher jedoch an der Finanzierung. DerDirektor des Landesmuseums, Peter Ass-mann, brachte den Stein ins Rollen: In ei-nem direkten Gespräch mit der Leitungdes ORF Oberösterreich wurde die Fragediskutiert, ob das „Steinzeit“-Projekt desSüdwestdeutschen Rundfunks (2006; sie-he SCHÖBEL 2008) in ähnlicher Form auchin Oberösterreich durchgeführt werden

könne. Es ging somit um die Idee, einigeMenschen für einen festgesetzten Zeit-raum von zwei Wochen im Freil ichtmuse-um von Mitterkirchen wie in der frühenHallstattzeit wohnen zu lassen, und die-sen Versuch unter anderem filmisch zudokumentieren, um daraus (vorerst) einehalbstündige Sendung zu machen. DerORF stimmte im Jänner 2011 zu, ein der-artiges Projekt zu unterstützen.

Archäologischer Hintergrund

Vorab kurz zum archäologischen Aus-gangspunkt: In Mitterkirchen wurde in den80-er Jahren ein Gräberfeld der StufeHaC gegraben, das um die 80 reich aus-gestattete Kammergräber erbrachte.1 990wurde in unmittelbarer Nähe, aber nicht

Experimentel le Archäologie in Europa - Bilanz 201 2, S. 234-245

Kategorie: Vermittlung und Theorie

„Prunkwagen und Hirsebrei – Ein Leben wie vor 2700 Jahren“

Experimente zum Alltagsleben und die Vermittlung von Urgeschichte durch dasöffentl iche Fernsehen

Jutta Leskovar, Helga Rösel-Mautendorfer

Summary – „Prunkwagen und Hirsebrei“ – A Live as in 700 BC. Experiments in Daily

Live and Mediating Prehistory through Public Television: The Upper Austrian State

Museum carried out a cooperation project with ORF (Austrian Broadcasting Corporation)

in August 2011. The experiment, lasting two weeks, focused on daily life and

craftsmanship of the Hallstatt period – 4 adults, 2 youths and 3 children lived in the open

air museum ofMitterkirchen in Upper Austria. The experiment was documented by ORF,

short contributions were shown in the regional programme regularly, to be followed by a

documentation of half an hour, which was broadcasted throughout Austria after the end

of the experiment. Besides achieving experimental results we aimed at fascinating the

public for prehistory, and hoped to mediate a picture of daily life in the past which is

based on scientific work.

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exakt am Fundort nach den Plänen desAusgräbers Manfred Pertlwieser ein Frei-l ichtmuseum mit einigen Gebäude-Re-konstruktionen und einem nachgebautenGrabhügel errichtet. Das Museum, das(auch) aufgrund seiner Lage am Donau-radwanderweg kein defizitärer Betrieb ist,wird seither von der Gemeinde betrieben,aber vom Landesmuseum wissenschaft-l ich betreut. Die Gebäude-Rekonstruktio-nen entsprechen nicht den heutigen (ex-perimentalarchäologischen) Vorstel lungenvon Nachbauten, was aber aufgrund desAlters von 20 Jahren auch nicht über-rascht. Grundsätzl ich waren sich al le Be-tei l igten einig, dass sich das Museums-dorf für die Durchführung eines Wohnex-periments eignet.

Mitwirkende

Die erste intensive Diskussion am Beginnder Projektplanungen betraf die Mitwir-kenden. Seitens des Landesmuseumsgab es den Wunsch, Menschen zu beteil i-gen, die aufgrund ihrer berufl ichen Aus-richtung und ihrer Interessen so viel wiemöglich über Urgeschichte wissen undauch schon vieles ausprobiert haben. DieKontaktaufnahme mit Helga Rösel, Kelto-login, Texti lspezial istin und geübt in derDurchführung archäologischer Experi-mente und außerdem eine jener Perso-nen, mit der seit Jahren über ein solchesProjekt diskutiert worden war, wardementsprechend eine logische ersteHandlung. Sie stimmte auch sofort zu,sich mit ihrer Famil ie zu betei l igen.Das Fernsehen bestand jedoch in derersten Projektphase noch darauf, die Mit-wirkenden durch ein Casting über das re-gionale Radio aus der oberösterreichi-schen Bevölkerung auszuwählen. LetztenEndes war die Überzeugungsarbeit er-

folgreich und es durfte mit Personen un-serer Wahl gearbeitet werden.Helga Rösel war mehr als die übrigenMitwirkenden in die Vorbereitungen ein-gebunden, weswegen auch beschlossenwurde, ihr innerhalb der Gruppe die Rolleder Entscheidungsbefugten bei Konfl iktenzu geben. Im Verlauf der beiden Wochenstel lte sich jedoch glückl icherweise her-aus, dass diese Überlegung gar nichtnotwendig war, weil keinerlei Konfl ikte inder Gruppe auftraten.Georg Rösel verfügte wie auch seineGattin über langjährige Kenntnisse derVerhältnisse im Freil ichtmuseum Mitter-kirchen sowie über einen reichen Schatzan Erfahrungen im praktischen Umgangmit Material ien al ler Art, auch im Sinneder Durchführung archäologischer Expe-rimente. Nachdem sie bisher immer undüberal l dabei gewesen sind, waren auchdie Kinder Moriz (8), Anna (5) und Lysan-der (1 ,7) gut vorbereitet.Christian „Fisti“ Fostel und seine Lebens-gefährtin Livia Fuchs waren nicht nur auf-grund der langjährigen Freundschaft mitder Famil ie Rösel eine gute Wahl für dasProjekt, sondern auch aufgrund ihrer Er-fahrungen in der Wildnispädagogik sowieals Absolventen der Universität für Bo-denkultur.Nicht zuletzt um die demographischenVerhältnisse besser an die urgeschichtl i-chen Tatsachen anpassen zu können, wardie Bereitschaft von Katharina (1 7) undBenedikt (1 4) Prokisch zur Projektmitwir-kung höchst wil lkommen. Großes Interes-se an der Urgeschichte stand jahrelangenErfahrungen bei der Erhaltung der im Fa-mil ienbesitz befindl ichen Burg(ruine) ge-genüber und machte die beiden trotz ihrerJugend absolut urgeschichtetaugl ich. Lei-der war es nicht möglich, eine etwas älte-re Person zur Mitwirkung zu gewinnen.

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Fernsehen und Finanzierung

Am Beginn der Projektplanungen schie-nen sich die Vorstel lungen des Fernse-hens noch stärker an Survival-Camp-For-maten zu orientieren als an der Doku-mentation eines Versuches mit dem An-spruch, prähistorisches Leben zuvermitteln. Je deutl icher wurde, welchePersonen konkret für Redaktion und Ka-mera zuständig sein würden, desto stär-ker lösten sich diese anfänglichen Proble-me aufgrund unterschiedl icher Meinungenzwischen Fernsehen und Landesmuseumbzw. Freil ichtmuseum auf. Manfred Ho-schek, erfahrener Redakteur und ehema-l iger Geschichtestudent, zeigte bereitsbeim ersten kurzen Beitrag für die nur re-gional (in Oberösterreich) ausgestrahlteAbendsendung sein Verständnis für dieMaterie. Gemeinsam mit KameramannClaus Muhr wurden im Vorfeld des Pro-jekts in Abständen von mehreren Wochen

solche kleineren Beiträge gestaltet undgesendet. Beide verfügten über die Fä-higkeit, zuzuhören und das Gehörte so-weit umzusetzen, bis nicht nur in denKöpfen aller Betei l igten die gleichen Bil-der verankert waren, sondern letztendl ichauch auf dem Bildschirm.Als problematisch stel lte sich die Finan-zierung heraus. Die anfängliche Hoffnungdes Landesmuseums, der ORF würdesich intensiv betei l igen, stel lte sich erst imVerlauf der Projektvorbereitungen alsfalsch heraus. Das Fernsehen übernahmdie Kosten für den Film an sich – Kame-ramann, Redakteur, Schnittplatz usw. –stel lte ansonsten aber keinerlei finanziel leMittel für die Ausstattung zur Verfügung.Dies al les ging vor al lem zu Lasten desLandesmuseums und, in geringerem Ma-ße auch des Freil ichtmuseums, was sichauch auf die Menge und Qualität der ver-wendeten Ausrüstung auswirkte. Bei-spielsweise l ießen wir zwar verhältnismä-

Abb. 1: Die Kamera war ein fast ständiger Begleiter des Projektes.

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ßig große Mengen an Trink- und Ess-schalen sowie Kochgeschirr herstel len,hatten aber aus Sparsamkeitsgründenkeine bzw. zu wenig Gefäße mit kleine-rem Randdurchmesser, die man auch guthätte verschließen können (beispielswei-se für Honig, Öle usw.), zur Verfügung.Im Laufe der Vorbereitungen stel lte sichaußerdem immer stärker heraus, dass ei-gentl ich zwei voneinander getrennt zu be-trachtende Ziele verfolgt wurden: Einer-seits sol lte ein Versuch durchgeführt wer-den und andererseits ein Film daraus ent-stehen. Die Bedürfnisse des einenüberschnitten sich nicht immer mit denBedürfnissen des anderen, was vor al lemim konkreten Projektverlauf deutl ich wur-de (Abb. 1).

Vorbereitungen – Ausstattung undAusrüstung

An den grundsätzl ich für Wohnzweckegeeigneten Gebäuden (dichte Dächer,

verschl ießbar, ausreichend groß) wurdennur kleinere Adaptierungsmaßnahmenvorgenommen. Hauptsächlich betraf diesdie Herstel lung von Schlafgelegenheiten.Ohne konkrete Bettbefunde richteten wiruns nur nach den Gegebenheiten, demmöglichen Material und dem Anspruch, esden Umständen entsprechend möglichstbequem zu gestalten. Es wurden bettkas-tenartige Strukturen aus vier losen, anden Ecken nur zusammengestecktenBrettern auf den Boden gelegt, mit einerLage Stroh und einer Lage Heu gefül lt,über welche zusammengenähte Leinen-bahnen gebreitet und zwischen Stroh undHolzbrettern festgesteckt wurden, in derselben Weise, wie auch heute noch einnormales Leintuch rund um die Matratzefestgesteckt wird (Abb. 2). Zum Zudeckenstanden Wolldecken aus unbehandelterSchafwolle zur Verfügung, die aufgrundihrer Herstel lung in einem Famil ienbetriebin Rumänien den Anspruch an Qualitätund Authentizität erfül lten. Für die Mitwir-

Abb. 2: Als Betten dienten aus Brettern zusammengesteck-

te Bettkästen mit einer Füllung aus Stroh, Heu, Fellen, Lei-

nenbahnen undWolldecken.

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kenden, die den direkten Hautkontakt mitWolldecken scheuten, standen weitereLeinenbahnen als Zwischenschicht zurVerfügung. Im Vorfeld des Projekts wur-den im Juni und Jul i Testwochenendendurchgeführt, wobei jeweils das Wetterziemlich schlecht war, was uns die Gele-genheit gab, festzustel len, wie viele De-cken wir noch zusätzl ich benötigen wür-den.Obwohl die Gebäude alle über einen alsFeuerstel le definierten Ort verfügen, derjedoch bisher so gut wie nie verwendetworden war, herrschte aus Sicherheits-gründen Einigkeit, kein Feuer in Gebäu-den machen zu wollen, in denen geschla-fen wurde. Nachdem alle drei bewohnba-ren Gebäude auch tatsächlich zum Schla-fen genutzt wurden, wurde beschlossen,eine Freiluftküche einzurichten und aufentsprechendes Wetter zu hoffen.Um das Thema Ernährung so intensiv wie

möglich darstel len zu können, wurde einAcker angelegt. Das Konzept dafürstammte von Nicole Boenke, die auchKontakte zu Saatgut-Anbietern herstel lteund bezüglich Ernte und Weiterverarbei-tung dem Projekt mit Rat und Tat zur Sei-te stand. Ende Apri l wurden Gerste, Hir-se, Einkorn, Linse, Erbse und Bohne aus-gesät. Bei dieser Aktion war die Famil ieRösel bereits anwesend. Das Säen wurdegefi lmt und als Start des Projekts imschon angesprochenen ersten Beitrag imRegionalfernsehen gezeigt.Der Zeitpunkt, um Dinkel (als gut belegtesWintergetreide) auszusäen, war natürl ichaufgrund der relativ späten Entscheidung,ob das Projekt tatsächlich durchgeführtwerden sollte, versäumt worden. Nach-dem aber keine Rede davon war, dasssich die Mitwirkenden nur von dem er-nähren mussten, was auf dem Ackerwuchs, sondern auch ein Vorratslager zur

Abb. 3: Huzulenhengst Attila vor dem rekonstruierten Wagen – für eine au-

thentische Pferdegeschirr-Replik fehlte das Geld.

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Verfügung stehen würde, musste im Pro-jektverlauf nicht auf Dinkel verzichtet wer-den.Die Aussaat im April wurde vergleichswei-se spät durchgeführt, um die Reifungmöglichst nahe Ende August zu gewähr-leisten. Dementsprechend musste mit Be-dingungen gekämpft werden, wie großerTrockenheit, die bei einer Aussaat zu ei-nem (biologisch gesehen sinnvolleren)Zeitpunkt im März nicht aufgetreten wä-ren. Es wurde also (künstl ich) bewässert.Der Zustand des Feldes, vor al lem desUnkrauts, wurde zwar regelmäßig kontrol-l iert, aufgrund des großen Zeitaufwandskonnte das Jäten aber nicht ausreichendvom Museumspersonal bewältigt werden.Das Fazit: Das Einkorn ging bis auf weni-ge einzelne Pflanzen überhaupt nicht auf,die Gerste entwickelte sich sehr gut, wur-de aber ungefähr drei Wochen vor Pro-jektbeginn reif, ebenso die Erbsen und diewenigen Linsen, die Bohnen litten unterder Nässe im Juli und verdarben, dafürgedieh die Hirse prächtig und wurde nochdazu zum richtigen Zeitpunkt reif. DieProbewochenenden wurden also auch zurfrühzeitigen Ernte und zum Trocknen derFeldfrüchte genutzt.Ein wichtiges Thema, sowohl für den Ver-such als auch für den Film, waren dieHaustiere. Manfred Schmitzberger vomNaturhistorischen Museum Wien war hierein wichtiger Partner, mit dessen Hilfe dieSuche nach (Böhmer-)Waldschafen,Gemsfärbigen Gebirgsziegen und einemHuzulen-Hengst erfolgreich war. Sogar ei-ne passende Kuh, eine Ennstaler Berg-schecke, wäre theoretisch zur Verfügunggestanden, jedoch nur für einen einzelnenTag, um sie in die Dreharbeiten einzubin-den. Nachdem exakt dieser Aufwandschon für das Pferd getrieben wurde – derHuzule „Atti la“ sol lte den rekonstruierten

Prunkwagen ziehen (Abb. 3), der auch imTitel des Projektes vorkommt – entschie-den wir uns, auf die Kuh zu verzichten.Nachdem einigermaßen authentisch aus-sehende Schweine ohne extremen finan-ziel len Aufwand nicht zu bekommen wa-ren, mussten wir auch auf dieses Tierverzichten. Letztendl ich wurden die Mit-wirkenden von zwei Schafen und zweiZiegen (Abb. 4), die uns von einem Bio-bauernhof im Bezirk Freistadt dankens-werterweise zur Verfügung gestel lt wur-den, und von zwei Hunden begleitet.Wesentl ich für die Authentizität nicht nurim Film, sondern auch für die Mitwirken-den selbst, war natürl ich die Kleidung.Organisatorisch war es eine enorme Er-leichterung, mit Helga Rösel eine Texti l-spezial istin im Projekt zu haben. Gemein-sam wurden die Ressourcen der direktenUmgebung genutzt – das nördl iche Ober-österreich, das sog. Mühlviertel, ist einetraditionsreiche Region der Leinenher-stel lung. Außerdem hat sich in den letztenJahren auch die Produktion von qualitativhochwertigen Wollstoffen, auch speziel lvom Böhmerwaldschaf, entwickelt. NebenLeinen unterschiedl icher Farben undQualitäten standen also auch Wollstoffe

Abb. 4: Gemsfärbige Gebirgsziegen und

(Böhmer-)Waldschafe als Mitbewohner.

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zur Verfügung, die den passenden Gar-nen und auch den Tieren selbst gegen-übergestel lt werden konnten.Es versteht sich aufgrund der finanziel lenLage fast von selbst, dass keine Rede da-von sein konnte, sämtl iche Kleidungs-stücke von der Wollgewinnung durchsämtl iche Schritte der Verarbeitung tat-sächlich auf authentische Weise herzu-stel len. Der Kompromiss waren stimmigeFarben und Stoffqualitäten sowie eben-solche Schnitte und, wo es zeitl ich mög-l ich war, die Herstel lung von Hand, wienatürl ich vor al lem am Sektor der brett-chengewebten Borten.In den Monaten vor dem konkretenWohnversuch wurden zahlreiche Replikenin Auftrag gegeben. Aus dem Gräberfeldvon Mitterkirchen sind 700 Gefäße und300 Metal lgegenstände erhalten, wovonein Bruchtei l nachgemacht wurde. DieAuswahl bei den Metal len (Herstel ler Da-niel Kumpa) war eine Mischung aus Sinn-vol lem, also Messern und Bratspießen,und ein bisschen Schönem, nämlichSchmuck in Form von Armreifen und Bri l-lenfibeln. Bei der Keramik (Vera und Lud-wig Albustin) ging es, wie schon erwähnt,um Kochgeschirr, Wasserbehälter, Trink-und Essgeschirr sowie außerdem um ein

Gefäß für das Färben von Wolle. So ge-sehen hat das Projekt natürl ich die Mög-l ichkeit geboten, qualitativ hochwertigeRepliken anfertigen zu lassen, die auchfür andere Projekte danach noch nutzbarsind, und die wir sonst mit Bl ick auf unserübliches Budget nie hätten erwerben kön-nen.Große Hilfe wurde durch Wolfgang Lobis-ser geboten, indem er uns seine Nach-bauten authentischer Werkzeuge lieh.Außerdem konnte aus seiner Werkstattdie Sammlung an Hausrat durch Holz-schalen (für den kleinen Lysander),Schöpflöffel, Körbe usw., und vor al lemdurch die Anfertigung von zwei Kämmenaufgestockt werden (Abb. 5-6).

Choreographie

In den Monaten vor dem Projekt wurdegemeinsam mit Helga Rösel eine ArtChoreographie für den Ablauf der beidenWochen erarbeitet, auch um dem Fern-sehteam die Gelegenheit zur Zeitplanung(auch hinsichtl ich der Ausstrahlungster-mine der kleineren Beiträge) zu geben.Vor al lem bezüglich des Films als Instru-ment der Vermittlung war uns daran gele-

Abb. 5: Keramikrepliken als Essgeschirr,

Holzschalen für die Kinder. Abb. 6: Im Vorfeld hergestellte Metallre-

pliken der Funde aus dem Gräberfeld.

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gen, nicht nur den Alltag zu zeigen, dendie neun Mitwirkenden bewältigen konn-ten. Wir wollten die Vielfalt hal lstattzeitl i-chen Lebens zeigen, was vor al lem hieß,mehr Handwerk zu zeigen als nur jenes,das die Mitwirkenden selbst beherrschten.Dementsprechend haben wir uns dazuentschlossen, einige Besuche von soge-nannten Wanderhandwerkern zu insze-nieren. Es ging auch darum, zu zeigen,dass prähistorische Gemeinschaften nichtin sich abgeschlossene Einheiten waren,sondern dass es intensive Kontakte in al lemöglichen (geographischen) Richtungengab. Deshalb wurde der Besuch einesGlasperlenmachers, Klaus Löcker, einesSchmieds, Daniel Kumpa, eines Holzspe-zial isten, Wolfgang Lobisser, und der Be-such einer Delegation aus Hallstatt, HansReschreiter und Kerstin Kowarik, um dasThema Salztransport und -handel anzu-sprechen, organisiert.Darüber hinaus wurde versucht, auf Initia-tive der Mitwirkenden kleinere Schwer-punkte, wie das Färben in der Grube oderdie Herstel lung einer Fischreuse, termin-l ich vorab ungefähr zu fixieren.

Das 21 . Jahrhundert im Hallstatt-Experiment

Die Journalistenfrage schlechthin lautete:„Was ist euch denn aus unserer Zeit er-laubt?“.Zahnbürsten waren vor al lem den Kindernerlaubt, vor al lem aufgrund der Erfahrun-gen im Steinzeit-Projekt – welche Auswir-kungen klebriger Getreidebrei samt Honigauf ungeputzten Kinderzähnen hat, ist al-so bereits bekannt. Die Frage der Zahn-bürsten durften die erwachsenen Mitwir-kenden jeweils für sich selbst entschei-den. Nachdem das Freil ichtmuseum inbewohntem Gebiet l iegt und auch nach

dem Projekt wieder als solches genutztwerden sollte, konnten und sollten dieMitwirkenden die vorhandenen Toilettennutzen. Je nach Witterung und Stimmungsollten die Eltern außerdem entscheidendürfen, ob die Nutzung eines modernenBades für die Kinder notwendig wurde.Bri l len und Medikamente waren natürl ichebenfal ls in Verwendung, ebenso wie Un-terwäsche für jene, die das wollten. Somitwar es tei lweise auch Sache der Mitwir-kenden selbst, wie weit sie sich in diesenDetailfragen authentisch verhalten wolltenoder nicht. Nur die Verwendung von tech-nischen Geräten und das Verlassen desDorfes waren, in vorheriger Absprachemit den Mitwirkenden, nicht erwünscht.Nachdem es sich nicht um ein „Camp“handelte, in das TeilnehmerInnen einge-sperrt werden, um Aufgaben zu erfül len,sondern um ein Experiment, das vonLeuten getragen wurde, die sich tei lweiseschon seit Jahren auf eine solche Mög-l ichkeit gefreut hatten, war es vor al lemoft ein persönliches Anliegen, möglichstauthentisch zu leben.

Die praktische Durchführung

Der Tagesablauf

Grundsätzl ich gab es 2 Fixpunkte am Tag:das morgendliche und abendliche Zie-genmelken um etwa 7 Uhr. Zum Glückwusste die Ziege ganz gut selbst, wanndiese Zeit war und ließ uns das durch in-tensives Meckern auch wissen. Das Zie-genmelken benötigte etwa 2 bis 3 Perso-nen, eine gewisse Ruhe und viel frischesBlattwerk als Futter zum Ablenken derZiege während des Melkvorgangs. Dieübrige Zeit konnten wir quasi selbst ein-tei len. Es kristal l isierte sich heraus, dasswir nach dem morgendlichen Melken ein

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etwas aufwändigeres, warmes Frühstückanfertigten und dann gegen späten Nach-mittag, Abend ein zweites warmes Essenzu uns nahmen. Zwischendurch gab esnach Bedarf Obst oder Brot. Einmal amTag wurde Mehl gemahlen und frischesBrot gebacken. Zwischendurch wurdenGegenstände wie Rindengefäße, Reusen,Holzpflöcke angefertigt, gekocht, abgewa-schen, an längeren Projekten wie demKettescheren für den Webstuhl oder ander Brettchenweberei weitergearbeitet.

Die Dreharbeiten

Von den 1 4 Tagen Projekt wurde nur an 4Tagen (2 mal 2 Tage hintereinander) nichtgefi lmt. Diese recht intensiven Filmauf-nahmen hatten natürl ich Einfluss auf dasExperiment. Zum einen mussten Perso-nen für die Filmaufnahmen zur Verfügungstehen, die sich dann während des Fil-mens nicht um alltägl iche Dinge wie Feu-er machen, kochen oder Mehl mahlenkümmern konnten. Durch den Standortdes Keltendorfs Mitterkirchen an einerstärker befahrenen Straße kam es auf-grund des Verkehrslärms immer wiederzu Tonstörungen. Das führte dazu, dassmanche Szenen öfters wiederholt werdenmussten und somit zu Zeitverzögerungenin unserem Tagesablauf, aber auch beiden von uns geplanten Vorhaben. „Fi lmbraucht Licht“ – Diese Tatsache brachtees mit sich, dass viele Szenen in der Son-ne gedreht wurden, wobei wir von unsaus den Arbeitsplatz im Schatten oder zu-mindest im Halbschatten gewählt hätten.

Häuser und Hausrat

Zu den von der Famil ie Albustin herge-stel lten Keramikrepliken brachten wirnoch eine Menge Körbe, 3 Truhen, einige

Birkenrindengefäße und Stoffbeutel mit,außerdem noch Werkzeuge für das Tex-ti lhandwerk, Stoffe, Rohwolle, Färbe-pflanzen, Holzrohl inge, Schnüre, Holz-werkzeug, Bast, Feuersteine und Zunder-material . Kinderspielzeug wie Filzbäl le,Stoffpuppen und ein Nachziehpferd mitWagen sowie Knochen- und Holzperlenzum Auffädeln brachten die Kinder mit.Trotz dieser Menge an Gegenständenhätten wir noch mehrere verschließbareGefäße zum Lagern von flüssigen Gebin-den wie Essig, Honig, Öl und Met benö-tigt. Ebenso fehlten geeignete Gefäße fürSchmalz, Butter und Salben. Durch Im-provisieren war es möglich, diese Sub-stanzen zu lagern, es war nur keine opti-male und schöne Lösung. Ein weiteresProblem war der fehlende Erdkeller. ImMuseumsdorf gibt es zwar eine mit einemHolzdeckel verschl ießbare Erdgrube, diesich aber aufgrund ihrer geringen Tiefenicht für die Lagerung von leicht verderb-l ichen Milchprodukten eignet. Die Hitze-welle in der ersten Woche des Projektsmit bis zu 37 Grad Celsius im Schattenführte dazu, dass wir sämtl iche Milchpro-dukte wie die tägl ich frische Ziegenmilchsofort weiterverwenden mussten.Die Vorratskammer bestand aus einer fla-chen verschließbaren Holztruhe. In ihr la-gerten wir verschiedene Getreidesorten,Nüsse, Leinsamen und Hülsenfrüchte.Außerdem hatten wir Öl, Essig und Honigzu Verfügung sowie tägl ich frisches Obst,hauptsächlich die gerade reifen Som-meräpfel, Trauben und Beeren und Ge-müse wie Karotten und Kohl. Obst undGemüse bekamen wir al le paar Tagefrisch, meist aus den Gärten der Mitter-kirchner. Unsere Idee auch Wildgemüseund Wildkräuter in der Küche zu verwen-den, war leider aufgrund der Umgebungdes Museumsdorfes nicht umsetzbar, da

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das Keltendorf großteils von bewirtschaf-teten Feldern umgeben ist und in diesemPunkt keiner eisenzeitl ichen Siedlung ent-spricht, die, selbst wenn diese von Fel-dern umgeben wäre, durch die fehlendeUnkrautbekämpfung wesentl ich mehrWildkräuter aufweisen würde.

Die Feuerstel le

Der Platz mit der Feuerstel le wurde zu ei-nem wichtigen Treffpunkt für die Gruppe(Abb. 7); genutzt wurde der Platz nichtnur für das Kochen, sondern auch für al leBesprechungen und das gemütl iche Bei-sammensitzen am Abend. Wenn es dasWetter zul ieß, siedelten sich auch andereArbeitsplätze im Umkreis dieses zentralenTreffpunktes an, wie etwa der Arbeitsplatzfür die Herstel lung des Rindengefäßesoder für das Bauen einer Reuse. Ein Vor-

tei l von dieser Arbeitsplatzkonzentrierungwar sicher, dass sich dadurch mehrerePersonen während ihrer Arbeiten auchum das Feuer kümmern konnten.

Das Essen

Einen wesentl ichen Teil des Projektesverbrachten wir mit kochen, backen undbraten. Hier hatten wir zwei Hauptaugen-merke: Zum einen wollten wir Lebensmit-tel haltbar machen, wie bei dem VersuchTrockenfleisch herzustel len, zum anderenausprobieren, welche Vielfalt an Speisenmit den vorhandenen Lebensmitteln mög-l ich ist. Ein Großteil dieser Speisen warsicher etwas für Festessen, da der Auf-wand wesentl ich höher ist, als das Auf-stel len eines Eintopfs, der quasi vonselbst vor sich hin köchelt und keineübermäßige Betreuung außer gelegentl i-

Abb. 7: Das Zentrum des Dorfes – die Kochstelle.

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ches Umrühren und das Betreuen derFeuerstel le braucht.

Stoffe und Kleidung

Eine interessante Beobachtung war derrelativ hohe Texti lverbrauch für al ltägl icheTätigkeiten, vom Hände abtrocknen, überGeschirr waschen bis zum Sieben vonMilch. Das war für mich insofern span-nend, als dieser für das tägl iche Lebensehr wichtige Bereich der Texti l ien in derForschung weniger Beachtung findet alsetwa die Kleidung.

Die Besucher

Eine für mich sehr spannende Erfahrungwar das große Interesse der Museumsbe-sucher zu dem Projekt und was wir gera-de machten. Obwohl der größte Teil desMuseums für die Besucher gesperrt warund sie uns nur von außen zuschauenkonnten, hatte ich den Eindruck, dass die-se Belebung des Dorfes für sie etwas Be-sonderes darstel lte. Viele von den Besu-chern fragten uns und einige ältere Leuteerzählten uns von eigenen alltägl ichen Er-fahrungen, die sie noch bei ihren Großel-tern beobachtet haben. Manche Mitter-kirchner kamen jeden Tag, um zu sehen,wie es uns ging und ob wir etwas brauch-ten. Ein Anziehungspunkt für die Kinderwaren sicher die zwei Ziegen Agathe undGwendolin und die Schafe Daisy undMolly.

Spuren

Weiters waren die Spuren unserer Tätig-keiten ein sicherl ich spannendes Resultat,das zum Teil noch ausgewertet werdenmuss. Für mich besonders interessantwaren die auch noch nach dem Waschen

bestehenden Schmutzspuren am rechtenÄrmel von Lysanders Kittel , die daherrührten, dass er mit sehr viel Hingabe imWasser mit und ohne Erde darin ge-pantscht hatte. Mir war bisher noch nieaufgefal len, welche Spuren eine ausge-prägte Rechtshändigkeit an einem hellenTexti l hinterlassen können. Aber auch dieBrandlöcher am Saum der Röcke und dienach zwei Wochen Tragezeit zerschl isse-nen Schuhe geben uns Hinweise zumVerschleiß und der Haltbarkeit von Mate-rial ien. Die Abriebspuren vom Abwaschmit Sand bei der Keramik und die Spurenvom Nüsse hacken mit Messern in Holz-gefäßen werden noch mit Spuren auf Ori-ginalgefäßen vergl ichen.

Fazit

Die praktische Durchführung war eineGratwanderung zwischen archäologi-schem Experiment, authentischem Lebenund der fi lmischen Dokumentation. Kla-rerweise werden heutige Menschen nichtso denken und handeln wie prähistori-sche Menschen. Dennoch verhelfen dieseAlltagsexperimente, neben der Belebungeines Museums, was für dessen Besu-cher sehr interessant ist, zu Erkenntnis-sen und Erfahrungen im Kleinen. Benut-zungsspuren wie bei der Keramik könnenmit den Originalfunden vergl ichen und imbesten Fall Tätigkeiten zugeordnet wer-den. Haltbarkeiten von Kleidung oderSchuhwerk kann ausgetestet werden. Er-fahrungen bei bestimmten Handwerks-techniken können gesammelt und doku-mentiert werden. Theorien zu Herstel-lungstechniken können getestet werden.Aber auch eine Museumsanlage kann aufihre Funktionalität geprüft werden.

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Literatur

SCHÖBEL, G. 2008: Erfahrungen und Er-kenntnisse eines Filmprojektes. DieARD/SWR Filmdoku „Steinzeit - Das Ex-periment. Leben wie vor 5000 Jahren“aus der Sicht des Pfahlbaumuseums Un-teruhldingen. In: Experimentel le Archäolo-gie in Europa 7, Bilanz 2008, 111 -1 30.

www.prunkwagenundhirsebrei.blogspot.com

AbbildungsnachweisAbb. 1 -2, 4, 6: Jutta LeskovarAbb. 3, 5, 7: Josef Gusenbauer

AutorinnenHelga Rösel-MautendorferPrähistorische AbteilungNaturhistorisches MuseumBurgring 7A-1 01 0 Wien

Jutta LeskovarAbteilung Ur- und FrühgeschichteOberösterreichische LandesmuseenWelserstraße 20A-4060 Leonding