Wolf, P. & Nowotnick, U., Hamadab – eine urbane Siedlung im Mittleren Niltal, in: St. Wenig & K....

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Die Kulturen Nubiens – ein afrikanisches Vermächtnis Herausgegeben von Steffen Wenig und Karola Zibelius-Chen J.H. Röll

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Die Kulturen Nubiens – ein afrikanisches Vermächtnis

Herausgegeben von

Steffen Wenig und Karola Zibelius-Chen

J.H. Röll

© 2013 Verlag J.H. Röll GmbH, Dettelbach

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigungen aller Art, auch auszugsweise, bedürfen der Zustimmung des Verlages.Gedruckt auf chlorfreiem, alterungsbeständigem Papier.Satz: Verlag J.H. Röll GmbHGesamtherstellung: Verlag J.H. Röll GmbH

Printed in Germany

ISBN: 978-3-89754-397-3

Bibliografische Information der Deutschen BibliothekDie Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation inder Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.

Bilder auf dem Umschlag:

Vorderseite:oben links: Ansicht des Gebel Barkal durch den verfallenen ersten Pylon des Großen

Amun-Tempels (B. 500). (Foto: E. Ferorelli und National Geographic Society)oben rechts: Die nördliche Säulenreihe des Zentraltempels (100) der Großen Anlage von

Musawwarat es Sufra. (Foto: St. Wenig)unten links: König Taharqo, aus dem Alten Testament bekannter mächtiger ägyptischer

Pharao der kuschitischen 25. Dynastie (690-664 v. Chr.). Der Kopf ge-hört zu einer Statue, die mit anderen mutwillig zerschlagenen Bildnissen kuschitischer Könige in einer Cachette in Dokki Gel (Kerma) gefunden wurde. Urheber dieser Zerstörung war das Heer des ägyptischen Königs Psammetich II. (595-589 v. Chr.), der die Macht der Kuschiten vernichten wollte und ihr Andenken in Ägypten verfolgte. (Foto: Ch. Bonnet)

unten rechts: Hathorkapelle und Löwentempel von Osten. (Foto: Naga-Archiv)

Rückseite: Pyramiden vom Gebel Barkal. (Foto: A. Lohwasser)

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Pawel Wolf & Ulrike Nowotnick

Hamadab – eine urbane Siedlung im Mittleren Niltal

Einleitung

Trotz des zunehmenden Forschungsinteresses an urbanen Siedlungsstrukturen im Mitt-leren Niltal ist unsere Kenntnis seiner Siedlungstopographie noch sehr lückenhaft. Bei-spielsweise belegen Itinerarien und andere historiographische Quellen, dass das Niltal im Herzen des meroitischen Reiches dicht besiedelt war1. Auf der archäologischen Ebene hat der Nachweis dieser Siedlungskette jedoch gerade erst begonnen2, und Gestalt sowie Charakter der wenigen bekannten Orte bleiben noch unbestimmt, da ihre Gesamtstruk-tur und ihre Profanbauten selten im Fokus der Feldforschungen stehen.

Ein Glied in dieser Siedlungskette war die urbane Siedlung von Hamadab. Als südli-cher Nachbar der drei Kilometer entfernten Hauptstadt Meroe existierte diese Ortschaft in der klassischen bis spätmeroitischen Epoche. Ähnlich der Hauptstadt hatte Hamadab einen mit einer Stadtmauer befestigten Ortskern, der in den späten Perioden seiner Ge-schichte extrem dicht besiedelt war. Daran schloss sich ein ebenfalls mit Lehmgebäuden bebauter Vorort mit größeren handwerklichen Produktionsstätten an. Im Unterschied zu Meroe und anderen Ortschaften jener Zeit zwischen dem Fünften und Sechsten Nil-katarakt – beispielsweise Dangeil, El Hassa, Muweis und Wad ban Naga – verfügte Hamadab jedoch nicht über größere Tempel- und Palastanlagen. Auf dem derzeitigen Stand der Forschung fehlen uns Parallelen für Hamadabs besondere Ortsgestalt im me-roitischen Kernland, was seine Bewertung in der damaligen Siedlungskammer nicht ge-rade erleichtert.

Topographie und Forschungsgeschichte des Fundortes

Etwa mittig zwischen der antiken Hauptstadt Meroe und der heutigen Mündung des Wadi el Hawad liegen zwei langgestreckte Hügel, vermutlich ursprünglich Paläodünen, die während der alljährlichen Nilüberschwemmungen oftmals von Wasserfluten umflos-sene Inseln darstellen (Abb. 1). Die Überreste der meroitischen Siedlung von Hamadab bedecken fast den gesamten nördlichen dieser beiden Hügel auf einer Fläche von etwa 4,5 Hektar. Auf dem nur einen halben Kilometer entfernten, etwa dreimal so großen Südhügel befand sich ein meroitischer Friedhof3. Planierungen zur Gewinnung von

1 Siehe beispielsweise Priese 1984; FHN II: 552-557 (108) mit weiterführender Literatur. 2 Baud (2008: 52) fasst den gegenwärtigen Stand und die neuere Literatur zur Siedlungsarchäologie in

dieser Region zusammen. 3 Die magnetometrische Prospektion zeigte hier ein rechteckiges Areal von etwa einem Hektar, dessen

Anomalien mehrere Hundert Reihengräber vermuten lassen. Einige Gräber wurden 2005 untersucht, siehe Wolf & al. 2008: 213-215 und Abb. 75-77.

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Abb. 1

Abb. 1 (oben): Topographie der Siedlungskammer von Meroe und Hamadab.(Satellitenbild; Quickbiwwrd No. 04JUN03082032-M2AS-000000162917_01_P001, ©2003 Digital-Globe, Inc., Longmont CO USA 80501-6700, Bänder-kombination 4-3-2 mit topographischen Angaben von C. Hof, U. Kapp, P. Wolf)

Abb. 2 (rechte Seite): Hamadab, der Siedlungshü-gel mit dem schematischen Plan der Oberstadt im Norden und dem Magnetogramm der Vorstadt im Süden.(Auszug aus CAD-Zeichnung: P. Wolf, C. Hof auf Magnetogramm; T. Goldmann, M. Abdelwahab auf Satellitenbild aus Abb.1)

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Abb. 2

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Abb. 3 (oben): Schematischer Plan der Oberstadt, Stand Frühjahr 2010. (Auszug aus CAD-Zeichnung: P. Wolf, C. Hof)

Abb. 4 (rechte Seite): Grabungsschnitt an der südlichen Stadtmauer der Oberstadt auf dem Nordhügel.a – auf der Ruine der Stadtmauer errichtete Lehm mauern;b – Lehmziegelkern der Stadtmauerruine;c – Brandziegelverkleidung der Stadtmauer mit Nische;d – Fundament der Stadtmauer;e – Schutt der eingestürzten Stadtmauer;f – Dünensand, in dem die Stadtmauer gegründet wurde.

(Foto HMD-20100317-A-312, P. Wolf)

Abb. 3

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Abb. 4

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Ackerland legten in den vergangenen Jahren einen weiteren Fundplatz im Fruchtland zwischen Hamadab und Meroe frei, der in Lage und Ausmaßen dem Nordhügel von Hamadab entspricht. Die keramischen Oberflächenfunde erlauben dort eine Datierung in die spätnapatanische bis frühmeroitische Periode. Darüber hinaus belegen Scherben-funde kleinere meroitische Siedlungsplätze im Norden von Hamadab. Vermutlich in die nachmeroitische Epoche datiert ein ausgedehntes Tumulus-Feld östlich der heutigen Ortschaften und Siedlungsreste aus mittelalterlich-christlicher Zeit befinden sich im Sü-den des oben erwähnten Südhügels.

Als Fundort ist Hamadab seit dem Jahre 1914 bekannt. John Garstang ließ damals einen kleinen Tempel sowie zwei dessen Eingang flankierende Stelen der Königin Ama-nirenas und des Akinidad am Ostrand des Nordhügels freilegen. Die grundlegende Er-forschung des ansonsten unberührten Fundplatzes begann jedoch erst im Jahre 2001 im Rahmen einer sudanesisch-deutschen Kooperation4. Zunächst wurden Teile der zuvor völlig unbekannten Siedlung auf dem Nordhügel durch Oberflächenschürfe kartiert und einzelne Sondagen am Tempel und an einer Eisenschlackenhalde angelegt5. Seit 2006 konnten die urbanen Strukturen und städtischen Lebensformen in Hamadab dank der Unterstützung der Zentrale des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) in größe-rem Maßstab untersucht werden: Aus einer ersten Finanzierung der Feldarbeiten durch das DAI entwickelte sich in Zusammenarbeit mit dem Projekt ‚Meroe Royal Baths‘ das Projekt ‚Hamadab und Meroe: Stadtstrukturen und Kultureinflüsse im Mittleren Niltal während der meroitischen Zeit des afrikanischen Reiches von Kusch‘6. In des-sen Rahmen wurden eine 3,5 Hektar umfassende magnetometrische Untersuchung des Siedlungsareals unternommen7 und die inzwischen 1,5 Hektar umfassende steingerech-te Kartierung ihres nördlichen Teiles fortgeführt. Ergänzt wird das Programm durch gezielte Ausgrabungen, die eine Vorstellung von der morphologischen Entwicklung der Siedlung vermitteln sowie exemplarisch Architektur, Baugeschichte und Nutzungsweise ihrer Wohnbauten beleuchten.

4 Diese Kooperation zwischen der National Corporation of Antiquities and Museums in Khartoum (NCAM), der Universität von Shendi und der Humboldt-Universität zu Berlin wurde im Jahre 2000 durch Hassan Husein, Ali Burri und Steffen Wenig initiiert.

5 Die Ergebnisse dieser frühen Arbeiten sind in Wolf & al. 2008: 196-219 zusammengefasst. 6 Das Projekt unter Leitung von S. Wolf an der Zentrale des DAI wurde 2007-2010 maßgeblich von der

Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Zu den Vorberichten, die das Gesamtprojekt in den Blick nehmen, siehe Wolf & al. 2008; 2009; Wolf & al. i. Druck.

7 Die geophysikalischen Untersuchungen wurden 2005 von M. Abdelwahab (Wadi Halfa Universität, Sudan) begonnen und 2006 durch T. Goldmann in Kooperation mit dem Institut für Konservierung, Restaurierung und Grabungstechnik der FHTW Berlin fortgeführt. 2009 wurden sie durch Georadar-Messungen am Westrand des Nordhügels und an drei Eisenschlackenhalden ergänzt (Ullrich in Wolf & al. 2009: 250-252). Gleichzeitig wurde von M. Abdelwahab ein magnetometrischer Survey auf dem Südhügel begonnen (Wolf & al. 2009: 252 f. und Abb. 42).

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Die Oberstadt auf dem Nordhügel

Als einer der wenigen umfassend kartierten Siedlungsorte im Mittleren Niltal vermittelt Hamadab das recht detaillierte Bild einer urbanen Ortschaft in den Jahrhunderten um die Zeitenwende (Abb. 2). Die Siedlung war in zwei Ortsteile gegliedert: Eine ursprüng-lich mit einer Stadtmauer befestigte und von uns als ‚Oberstadt‘ bezeichnete Kernstadt im Norden und eine im Süden anschließende Vorstadt. Während die Oberstadt das sa-krale Zentrum der Siedlung, Wohnquartiere und Verwaltungsbauten beherbergte, waren in der Vorstadt Produktionszentren der Eisenmetallurgie, der Töpferei und vermutlich auch weitere Handwerke konzentriert.

Die gestaltbildenden Elemente der Oberstadt

Die etwas mehr als einen Hektar umfassende Oberstadt besaß zumindest in ihren älte-ren Perioden die Form eines leicht geneigten Parallelogramms mit 105 m langen Kanten (Abb. 3). Sie wird durch drei Grundelemente definiert – Hauptstraße, Stadttempel und Stadtmauern. Die Hauptstraße teilte die durch die Mauern eingefasste Ortschaft mittig in zwei gleichgroße Teile. Der Stadttempel und die nördlichen und südlichen Stadt-mauern folgen der Ausrichtung dieser nordwest-südost-verlaufenden Stadtachse, die der Orientierung vieler meroitischer Sakralbauten entspricht.

Die Stadtmauern gehören zu den ältesten Bauten der Oberstadt. Sie sind im Dünen-sand gegründet, bestehen aus annähernd drei Meter starkem, brandziegelverkleidetem Lehmziegelmauerwerk und sind teilweise bis zu 2,5 Meter hoch erhalten (Abb. 4). Ihre für die frühe Ortsgestalt maßgebende Bedeutung und ihre Funktion als Verteidigungs-anlage und Abgrenzung einer städtischen Ansiedlung hatten sie jedoch im Verlauf der Ortsgeschichte weitgehend verloren. Demgegenüber blieb die Hauptstraße mit dem in die umgebenden Baustrukturen integrierten Stadttempel bis in die spätesten Siedlungs-perioden das offenbar gewichtigste gestaltbildende Element der Oberstadt. Sie verband den Ortseingang im Westen mit dem sakralen Zentrum im Osten. Der Vorplatz dieses Stadttempels gehörte mit einer Fläche von 385 m2 zu den größten öffentlichen Räumen innerhalb der Ortschaft. Wie bei vielen der kleineren Tempel im meroitischen Reich wird er bei Tempelfesten als eine Art Festhof gedient haben8. Ihn zierten vermutlich baumartige Gewächse, wie mehrere große Pflanzgruben an seiner Südseite belegen. Für spezifische Funktionen, beispielsweise als Markt- oder Versammlungsplatz, gibt es keine Hinweise.

Der Tempel ist der bislang einzige in Hamadab identifizierte Sakralbau. Er war 1914 fast vollständig freigelegt worden9, wobei auch die beiden Monumentalstelen der Ama-nirenas und ihres Mitregenten Akinidad vor seinen Pylonen ausgegraben und abtrans-

8 Vgl. Wolf 2006: 247 f. 9 Phythian-Adams 1914-16; Török 1997: 232-234, Taf. 195. Ausgrabung und Dokumentation entspra-

chen leider nicht dem heutigen Standard, was eine stratigraphische Einbindung und Bewertung des Tempels erschwert. Er wurde 2001 durch Sondagen im Pronaos- und Sanktuarbereich erneut lokali-siert (Wolf & al. 2008: 205-209, Abb. 62-66).

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portiert wurden10. Die etwa zwei Meter starken Außenmauern des im Kern nur 24 x 8 m messenden Bauwerks entsprechen in Bauweise und stratigraphischer Position den Stadt-mauern. Sie wurden ebenfalls in Dünensand gegründet, bestehen aus brandziegelver-kleidetem Lehmziegelmauerwerk und folgen in ihrer Ausrichtung den Stadtmauern im Norden und Süden der Oberstadt. Die Außenwände des Tempels waren mit einem weißen Kalkputz versehen. Im Unterschied zu dieser typisch meroitischen Bauweise ist die Grundstruktur des Tempels aber sehr ungewöhnlich: Die entlang seiner Längsachse angeordneten Haupträume, ein zweigeteilter Pronaos und das Sanktuar, werden an der Nordseite um fünf erhöhte Nebenräume erweitert, die vom Pronaos aus über mehrere Stufen zugänglich waren. Da keine Parallelen zu diesem ungewöhnlichen Gebäudetyp bekannt sind, soll an dieser Stelle über die Funktion der Nebenräume nicht weiter spe-kuliert werden11. Zum 1914 gefundenen Tempelinventar gehörten eine Sandsteinstatue, Löwenfiguren, Sphingen, eine Opfertafel aus Bronze, versteinertes Holz und Keramik12. Im Zentrum des mit Brandziegeln ausgelegten Sanktuars stand ein Barkenuntersatz aus ferricrete-Sandstein. Bei unseren Sondagen wurde 2001 eine Bronzestatuette des Gottes Sebiumeker im Pronaos neben dem Eingang zum Sanktuar gefunden13, die wahrschein-lich zur ‚Besatzung‘ einer Prozessionsbarke gehörte. Der Schluss liegt also nahe, einen Tempelherrn zu vermuten, dessen Kultrituale auch Barkenprozessionen einschlossen – beispielsweise Amun, dessen Name auch im Text der Monumentalstelen belegt ist14.

Der einzige bislang nachgewiesene Durchgang durch die Stadtmauer befand sich hinter dem Tempel. Das ursprünglich mit Sandstein-Laibungen versehene Tor, dessen Boden im Verlauf der Ortsgeschichte mehrfach mit großen Platten aus ferricrete-Sand-stein gepflastert worden war, mündete in einen klein bemessenen Hof, von dem nur schmale Durchgänge in die Stadt führten. Daher nehmen wir an, dass dieser Eingang kein ‚Stadttor‘, sondern eher der Zugang zu dem hinteren Tempelbereich im Sinne eines ‚Gegentempels‘ war.

Das Erschließungssystem und die Profanbauten der Oberstadt

Die Gliederung der bis an die Stadtmauern reichenden Bebauung der Oberstadt in meh-rere großflächige Baukörper durch Hauptstraße und Seitengassen spiegelt offenbar noch die mehr oder weniger orthogonale Struktur der Entstehungsphase des Ortes wider. Das Wegenetz ist jedoch nicht einheitlich ausgerichtet und Divergenzen wie die inkongruen-te Orientierung der Seitenstraßen und die trapezoide Form der Grundstücke sind sehr wahrscheinlich der Siedlungsentwicklung geschuldet.

10 Zu den Stelen, die sich heute im British Museum (EA 650) und im Nationalmuseum in Khartoum (SNM 32200) befinden, siehe Wolf & al. 2008: 205-209 und Abb. 62-66. Kommentare und um-fangreiche Referenzen zu ihren Texten sind zu finden in FHN II: 719-723 (176) sowie REM 1003 (S. 1378-1381) und REM 1039 (S. 1452 f.). 2009 wurde der Aufstellungsort der großen Stele vor dem Nordpylon des Tempels durch Nachgrabungen untersucht (Wolf & al. 2009: 242 f. und Abb. 34).

11 Vgl. Wolf 2006: 252.12 Török 1997: 233 f., Abb. 115 f., Taf. 196 f. Zur Sandsteinstatue vgl. auch Wolf & al. 2008: Abb. 67.13 Wolf 2003; vgl. Wolf & al. 2008: 208, Abb. 68.14 Vgl. Lloyd 1970: 196 f.; Török 1997: 233; Zach & Tomandl 2000: 132 und Anm. 29.

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In der nördlichen Stadthälfte lässt diese Gliederung noch die Grundzüge einer Orts-planung ohne größere öffentliche Räume erkennen, so dass sich der Hauptverkehr ent-lang der zentralen Hauptader abgespielt haben wird. Die Seitengassen von kaum mehr als einem Meter Breite waren selbst für kleine Karren zu schmal. Aber auch die sich im Westen bis auf zwei Meter verjüngende Hauptstraße war für eine relativ geringe Ver-kehrsdichte konzipiert. Freiflächen, wie beispielsweise ein Marktplatz, werden somit au-ßerhalb des Ortes zu suchen sein. Brunnen und Anlagen einer übergeordneten Wasser-versorgung wurden bisher nicht gefunden.

Die großen Gebäudekomplexe waren anscheinend durch Erweiterung und Verdich-tung jeweils mehrerer Einzelhäuser zu ihrer endgültigen Form angewachsen, wobei der Baugrund bis zur letzten freien Fläche genutzt wurde. Die Binnenstruktur dieser Groß-bauten folgte keinem einheitlichen Bautyp. Detailgrabungen in zwei Gebäuden zeig-ten, dass sie Wohnquartiere mit kleinen Küchen und Wirtschaftseinheiten beherbergten (siehe unten). Das bislang nur teilweise kartierte Gelände südlich der Hauptstraße wies ebenfalls eine dichte Bebauung auf. Abseits des Stadtkerns ließen diese vermutlich spä-ten Baustrukturen kaum noch orthogonale Mauerverläufe erkennen und waren offenbar nicht so klar in Blöcke gegliedert wie im nördlichen Ortsteil. Ein in jener Zeit nicht mehr bebautes Areal von annähernd 350 m2 stellt darüber hinaus einen gewissen Kontrast zu der gleichzeitigen Raumverdichtung in den Gebäuden entlang der Hauptstraße dar. Die Randbebauung entlang der nördlichen Stadtmauer besaß keine Untergliederung durch Gassen und somit keine öffentlichen Zugänge zur Stadtmauer, die auch keine Stadttore aufweist. In einigen Räumen entlang der Mauer befanden sich zylindrische Speicherge-fäße aus ungebranntem Lehm, mitunter dicht beieinander, was auf eine Lagerhaltung in diesem Ortsbereich hinweisen könnte.

In starkem Kontrast zu diesen Flächenbauten muss das möglicherweise mehrstöckige Gebäude H 3000 im Südostviertel der Oberstadt gestanden haben. Seine 1,8 m star-ken, mit weißem Kalkputz versehenen Lehmziegelwände entsprechen denjenigen des Stadttempels und sein quadratischer Grundriss von etwa 400 m2 ähnelt palastartigen Bauten anderer Fundorte. Dies lässt eine repräsentative Grundfunktion vermuten, und es ist denkbar, dass das Viertel südlich des Tempels eine administrative Funktion hatte und hier höher gestellte Personen verkehrten.

Die Wohnarchitektur der Stadtsiedlung

Die Wohnbauten und der Alltag ihrer Bewohner lassen sich anhand unserer Grabungen in den beiden Hauskomplexen H 1200 und H 1600 fassen. Architektur, Befunde und Fundmaterial weisen sie als Wohngebäude aus, die exemplarisch für weitere Lehmbauten ähnlicher Struktur in der Oberstadt stehen dürften. Sie wurden im Laufe ihrer Nutzung immer wieder verändert, erweitert und schließlich bis zu einer extrem hohen Raum-dichte komprimiert. In der untersuchten östlichen Hauseinheit des Blockes 1600 lässt sich diese komplizierte Baugeschichte mit unzähligen Umgestaltungen in drei Phasen unterteilen (Abb. 5), die stratigraphisch den jüngeren Besiedlungshorizonten B und A der Stadt zuzuordnen sind (siehe unten). Die ursprüngliche Baueinheit der ersten Pha-

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se – ein kleineres, quadratisches Gebäude mit 14 Räumen und einer Grundfläche von 154 m² – wurde auf einem Vorgängerbau des älteren Stadthorizontes B errichtet. In der zweiten Phase wurde die Nordfassade des Hauses im Zuge einer Hauptstraßenerweite-rung zurückgesetzt. Daraufhin wurden mehrere Räume an seiner Südseite angefügt. Mit nunmehr 17 Räumen und einer Grundfläche von 200 m² wurde das Haus über einen längeren Zeitraum kontinuierlich genutzt. Schließlich wurde seine Nutzfläche in der letzten Bauphase durch zusätzliche Zwischenwände verdichtet. Einige der neuen Mauern wurden verstärkt, vermutlich damit das Gebäude um ein zweites Geschoss, das zusätzli-chen Raum schuf, aufgestockt werden konnte.

Bauweise der Wohngebäude

Als Baumaterial verwendete man fast ausschließlich Lehmziegel. Brandziegel kamen lediglich bei Schwellen und anderen beanspruchten Bauteilen zum Einsatz. Die Ziegel-formate variieren im Haus 1600 im Laufe seiner Bauphasen: die Hauptformate maßen ursprünglich 35 x 20 cm, später 35 x 20 cm und 40 x 20 cm und dann 36 x 19 cm15. Die in der Regel ein bis zwei Ziegelstein starken Lehmziegelwände waren für einstöckige Gebäude konzipiert. Sie unterteilen die großen Hauskomplexe der Oberstadt in 30 bis 60 meist sehr kleine Räume mit lediglich 3 bis 17 m² Grundfläche und 2,2 m geschätzter Raumhöhe16, so dass nur schwer vorstellbar ist, wie sich das Leben der Menschen darin abgespielt hat17. Fenster, Türen und Dächer waren in den untersuchten Gebäuden nicht erhalten. Vorstellbar sind flache Lehmdächer auf Balken-Matten-Konstruktionen. Mög-

15 Genauere Angaben zu den Ziegelgrößen geben Wolf & al. 2009: 246; Wolf, Nowotnick & Hof i. Druck und Wolf & al. i. Druck.

16 Die Schätzung beruht auf einer umgestürzten Außenwand des Blockes H 1500.17 Allerdings entsprechen diese Grundflächen auch den Raummaßen der Siedlungsbauten im benachbar-

ten Meroe außerhalb der ‚Royal City‘ (Shinnie & Bradley 1980: 68).

Abb. 5: Die drei Hauptphasen des Hauses H 1600 im Zentrum der Oberstadt. (Auszug aus CAD Zeichnung, C. Hof, U. Nowotnick)

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licherweise waren einige Räume lediglich mit durchlässigen Abdeckungen aus Palmblät-tern oder Reisig überdacht, so dass beispielsweise der Rauch des Herdfeuers durch die Decken der Küchen abziehen konnte. Beide Dachdeckungen verwendet man noch heute bei den traditionellen Lehmbauten der Region. Daneben gab es sicherlich auch offene Höfe, um Luft und Licht in das Hausinnere dringen zu lassen. Die Zugänge der unter-suchten Häuser lagen in den Seitengassen. Türangellöcher und Schleifspuren auf ihren Brandziegelschwellen deuten auf einflüglige Holztüren hin.

Raumaufteilung der Wohnquartiere

Standardisierte Haustypen oder einheitliche Raumaufteilungen sind in den bis zu 750 m² großen Gebäudekomplexen der Oberstadt anhand des derzeitigen Forschungs-stands nicht erkennbar. Die funktionale Aufteilung der Häuser in beispielsweise Ar-beits-, Küchen- und Wohnbereiche ließ sich in den beiden untersuchten Bauten nur durch Merkmale wie dem mitunter farbigen Wandverputz, Pfostenlöcher, gemauerte Einbauten und eingegrabene Keramikgefäße sowie Fundobjekte ermitteln, da Mobiliar und viele Haushaltsgegenstände aus vergänglichen, heute nicht mehr erhaltenen Mate-rialien bestanden. Beispielsweise ließen sich an Hand der Durchgänge im Haus H 1600 zwei bis drei Raumfolgen separieren. Obwohl sich diese Bereiche im Verlauf der Bauge-schichte ständig veränderten, weisen zwei Raumfolgen jeweils einen eigenen Eingang, eine Küche und einen rot getünchten Wohnbereich auf. Ob diese Raumfolgen von un-terschiedlichen Personengruppen genutzt wurden und ob sich hier getrennte Haushal-te fassen lassen, müssen weitere Untersuchungen zeigen. Zumindest lassen die wenigen verlorenen bzw. zurückgelassenen Fundobjekte wie Reibsteine, Pfeilspitzen, Spielzeugfi-guren und Schmuck vermuten, dass sich in den Räumen alle Mitglieder einer ‚Familie‘ aufhielten. Eisengeräte, Lampen, Spinnwirtel und Webgewichte weisen auf spezifische Nutzungen der Räume hin, z. B. zur Nahrungsmittelzubereitung oder Textilverarbei-tung. Gekocht wurde in den Küchen auf speziellen ‚Herdgefäßen‘, indem Kochtöpfe auf die heiße Glut in diesen über 50 cm hohen Tongefäßen gestellt wurden. Flache Backtel-ler, kleine Schalen und Schöpfgefäße ergänzen das Fundspektrum in den Küchen. Die übrigen Räume waren mit gemauerten Vorratsspeichern, hohen keramischen Vorrats-behältern und zuweilen mit einzelnen Herd- oder Heizgefäßen ausgestattet. Eindeutige Hinweise auf sanitäre Einrichtungen fanden sich bisher nicht. Der tägliche Bedarf an Wasser wurde wohl vom Fluss herangeschafft und in Keramikbehältern innerhalb der Wohnbauten aufbewahrt. Abflüsse in den Wänden der Häuser leiteten das Brauchwasser auf die Straßen.

Die südliche Vorstadt und ihre Produktionszentren

Magnetometrie und Oberflächensondagen in der offenbar nicht befestigten Vorstadt zeigen, dass Strukturmerkmale wie Konstruktionstechniken, Wandstärken und Bauma-terialien mit denjenigen innerhalb der Oberstadt grundsätzlich übereinstimmen. Aller-dings scheint die Dichte der vergleichsweise regelmäßigeren Baustrukturen außerhalb

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Abb. 6: Brennzentrum der Keramikwerkstatt mit den Öfen H 3201-3204 an der südlichen Stadtmauer der Oberstadt.(Auszug aus CAD-Zeichnung, P. Wolf, M. Wetendorf, M. Böhme auf rektifizierten Planumsfotografien, P. Wolf)

Abb. 7 (rechte Seite): Keramikbrennofen H 3201. a – Lehmziegelmauer der Feuerungskammer; b – in die Feu-erungskammer gestürzter Schutt der oberen Ofenteile [Gewölbebögen für Lochtenne?]; c – Maueransätze für die Gewölbebögen; d – Zugang zur Heizergrube; e – mit Ziegeln verschlossenes Feuerungsloch; f – Antenmauern; g – Aschehalden mit Werkstattabfällen. (Foto HMD-20100310-A-310, P. Wolf)

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der Oberstadt etwas geringer zu sein, und es gab wahrscheinlich mehr unbebaute Freiflä-chen. Das Hauptmerkmal der Vorstadt sind jedoch die metallurgischen Produktionsbe-reiche sowie Überreste weiterer großer Werkstätten wie beispielsweise das 2010 entdeckte Brennzentrum einer Keramikmanufaktur.

Die metallurgischen Produktionszentren

Die magnetometrische Untersuchung der Vorstadt konnte die Ausdehnung der Abfall-halden und Werkstattbereiche bestimmen, die in die Gesamtstruktur der Stadtsiedlung eingebunden werden können (vgl. Abb. 2). Gemessen an den drei Bereichen mit bis zu drei Meter hohen Eisenschlackenhalden im Süden und Osten der Vorstadt stellte Ha-madab neben Meroe ein weiteres großes Zentrum meroitischer Eisenverhüttung dar. Im Süden sind die Halden von Gebäuden umgeben, die möglicherweise als Werkstätten genutzt wurden. Die Untersuchung zweier Halden durch geoelektrische Widerstands-messungen und Bodenradar verdeutlichte ihren komplexen Aufbau mit räumlich dif-ferenzierten Produktionsniveaus in mehreren Nutzungsperioden18. Funde von Tuyère-Fragmenten und Schlackenreste mit eingeschlossenen Holzkohlestücken bestätigten bei der archäologischen Sondierung einer der östlichen Halden19 die unmittelbare Nähe der Verhüttungsöfen. Unterhalb der an der Haldenoberfläche konzentrierten Eisenschlacken gefundene Rohglas- und Fayenceartefakte lassen darüber hinaus eine lokale Fayence- und Glasverarbeitung vermuten.

18 Siehe Ullrich in Wolf & al. 2009: 250-252. 19 Siehe Wolf & al. 2008: 212 f. und Abb. 72-74 a-c.

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Keramikproduktion in der Vorstadt

In einem Bereich am Südostrand der Oberstadt, der ebenfalls auf Grund großflächiger magnetischer Anomalien untersucht wurde, befand sich ein mit Lehmziegelmauern um-grenzter Hof von etwa 380 m2 mit mindestens vier Keramikbrennöfen sowie Halden mit Asche, Scherbenbruch und weiteren Produktionsabfällen (Abb. 6)20. Die zylindri-schen Öfen mit Durchmessern von 1,4-2,2 m sind wahrscheinlich als stehende Doppel-kammeröfen zu rekonstruieren. Bei ihnen wurde die Hitze aus einer Feuerungskammer in den darüber liegenden Brennraum geleitet. Überreste eines Gewölbeansatzes in der Feuerungskammer des untersuchten Ofens H 3201 lassen gemauerte Gewölbebögen als tragende Konstruktion für die Lochtenne zwischen Feuerungs- und Brennkammer ver-muten (Abb. 7)21. An der Nordostseite des Ofens befindet sich ein 80 x 40 cm großes Feuerungsloch, das von einer Heizergrube erreichbar war. Ihren rampenartig herabfüh-renden Zugang flankierten zwei etwa einen Meter lange Antenmauern, die vermutlich die stetig wachsenden Aschehalden mit Werkstattabfällen fernhalten sollten.

Diese Halden enthalten in großer Menge Fehlbrandscherben und überfeuerte Gefäß-fragmente verschiedenster Waren, von grober Gebrauchsware bis zu verzierter Feinware sowie Fragmente von Tierfiguren. Archäometrische Analysen22 an neun Keramikproben aus dem Ofeninneren belegen, dass dort sowohl handgefertigte wie auch scheibengedreh-te Niltonkeramik, daneben aber auch Gefäße aus den Tonen verschiedener Wadis und Feinwaren aus Kaolin gebrannt wurden. Damit ist nunmehr der Beweis erbracht, dass meroitische Feinware auch in nichtelitären Siedlungen des südlichen Kernlandes herge-stellt wurde. Durch die Gegenüberstellung der Keramikproben mit verschiedenen Boden-proben konnten drei Rohstoffquellen lokalisiert werden, die für die Keramikproduktion in Hamadab ausgebeutet wurden: lokaler Nilton, Ablagerungen des Wadi el Hawad sowie das Tonmineral Kaolinit aus einem 14 km entfernten Steinbruch am Gebel Umm Ali.

Angesichts mehrerer möglicherweise synchron genutzter Öfen muss es sich bei dem Werkbereich um einen spezialisierten Brennplatz eines lokalen Keramik-Produktions-zentrums handeln. Gleichartige Ofenanlagen sind auch aus Meroe, Muweis sowie aus nachmeroitischen und mittelalterlichen Fundorten in Unternubien bekannt, wo diese Brennzentren oft am Rande der Siedlungen lagen23. In Hamadab zeigen die keramischen und metallurgischen Werkstattbereiche, dass spezialisierte Handwerke in der Vorstadt angesiedelt waren, wodurch sich in der Gesamtanlage der Siedlung eine klare Trennung von innerstädtischen Wohnquartieren einerseits und vorstädtischen Produktionsbezir-

20 Vgl. Wolf & al. 2008: 198 Abb. 52; Wolf & al. i. Druck; Wolf, Nowotnick & Hof i. Druck. 21 Eine solche mit Luftlöchern versehene Decke war bei einem der von Garstang in der Keramikwerkstatt

M 620 in Meroe ausgegrabenen Öfen noch erhalten (Török 1997: Taf. 143); sich kreuzende Gewölbe-streben stützten auch die Ziegeldecken der Öfen in Abd el Qadir und Debeira in Unternubien (Adams 2004: 46 f. und 112-116).

22 Die Analysen wurden von M. Daszkiewicz, G. Schneider und E. Bobryk durchgeführt (Daszkiewicz & Schneider i. Druck).

23 Meroe (Török 1997: 173 f., Abb. 1 [Kilns M 620], Taf. 140-143); Muweis (Baud 2008: 53 f.; 2010: 215 f. und Abb. 278 f.). Zu den Öfen in den mittelalterlichen Fundorten siehe Adams 1962: 62-75; 1986: 13-33; 2004: 46 f., 112-116. In Musawwarat wurden Werkstattreste einer Töpferei im Hof 224 am Nordrand der Großen Anlage gefunden (Edwards 1999: 40 f.).

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ken andererseits manifestiert. Die bisher nur in Ansätzen untersuchten Werkplätze las-sen in der Vorstadt ein ausgewiesenes Produktionszentrum mit beachtlichem Ausmaß gewerblichen Handwerks vermuten, dessen komplexe Aspekte hier im Rahmen einer Stadtsiedlung kontextualisiert werden können.

Zur Entwicklung der Siedlung

Nach der Aufgabe der Siedlung generierte die natürliche Erosion des Siedlungshügels einen ‚Schnitt‘ durch die Ortsgeschichte (Abb. 8). Sie ist somit am Stadtplan teilweise ablesbar und wurde in den letzten Jahren um stratigraphische Informationen aus den bis zu vier Meter tiefen Grabungsschnitten ergänzt. Unsere Kenntnis der Ortsentwicklung bleibt aber auf diese kleinen Fenster in die Geschichte der Siedlung beschränkt. Insbe-sondere über ihre Gründung und ihr frühes Aussehen lässt sich daher nur spekulieren. Auf Grund der Befunde in diesen Schnitten unterteilen wir die Entwicklung der Ober-stadt derzeit in drei große Perioden – C, B und A. 14C-Datierungen und typologische Vergleiche grenzen diese Entwicklungsperioden in den Zeitraum zwischen dem 2./1. Jh. v. Chr. und dem 4./5. Jh. n. Chr. ein. Dabei gehen wir davon aus, dass die Morphologie der Siedlung in ihrer etwa 500jährigen Geschichte mehr oder weniger kontinuierlichen Umgestaltungsprozessen und sicher auch einzelnen Entwicklungsbrüchen unterlag, die die vermutlich planvolle Siedlungsstruktur der Entstehungsphase in eine schließlich we-niger reguläre Gestalt transformierten.

Entstehung der Oberstadt und ältester Stadthorizont C

Der Stadttempel und die Stadtmauern im Norden und im Süden der Oberstadt, die in gleicher Bauweise errichtet und einheitlich ausgerichtet waren, definieren gemeinsam mit der Hauptstraße die Gestalt der Oberstadt. Die Fundamente des Stadttempels und der Stadtmauern gründen nicht auf Überresten von Vorgängerbauten, sondern in einem dünensandartigen Baugrund24. Die übereinstimmende Höhe ihrer oberen Fundament-

24 Ascheschlieren und gelegentliche Keramikscherben zeigen zwar eine frühere Besiedlung an, in den untersuchten Bereichen wurden jedoch keine Vorgängerbauten gefunden.

Abb. 8: Schematische Darstellung der Erosion des Siedlungshügels. (Zeichnung: C. Hof)

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lagen25 legt nahe, dass das Gelände vor der Errichtung der Oberstadt relativ eben war oder eingeebnet wurde. Diese Gründe sprechen dafür, dass Stadtmauern, Hauptstraße und Stadttempel die ältesten Elemente der Oberstadt waren und als zueinander in Bezie-hung stehendende stadtplanerische Einheiten die Grundbestandteile einer Planstadt mit regelmäßiger Geometrie darstellten. Allerdings schließt der Befund nicht aus, dass im noch nicht untersuchten Gelände abseits dieser Bauwerke frühere Bauten existierten26. Daher muss zunächst noch offen bleiben, ob die Siedlungsgeschichte von Hamadab mit der Gründung der Oberstadt als Planstadt begann, oder ob sie das Resultat einer groß-angelegten städtischen Umgestaltung einer Vorgängersiedlung war.

Drei 14C-Proben aus den Bauhorizonten der südlichen Stadtmauer und aus Boden-schichten unterhalb des ältesten Hauptstraßenhorizontes datieren diese Entstehungspha-se in die Zeit zwischen der Mitte des zweiten und der Mitte des letzten Jahrhunderts v. Chr. (Abb. 9)27. Die im Stadttempel gefundene Statuette des Gottes Sebiumeker lässt

25 Bezogen auf Festpunkt HV 64 mit 10 m lokaler Höhe (entsprechend 359,25 m AMSL) liegen die Fundament-Oberkanten des Tempels bei 7,4 m, diejenigen der nördlichen und südlichen Stadtmauern etwas niedriger bei 6,9 m. Diesen Höhen entsprechen mit 7,1 m die ältesten Begehungshorizonte in der Hauptstraße in der Nähe des Stadtzentrums.

26 Bauschutt mit großformatigen Brandziegelfragmenten unterhalb des ältesten Hauptstraßenhorizontes könnte in der Tat auf planierte Bauten im Zentrum der Oberstadt hinweisen.

27 Die in der Abbildung dargestellte Bayes’sche Sequenz wurde auf der Basis der im Poznań Radiocarbon Laboratory datierten Proben berechnet; für die Kalibrierung wurde OxCal v4.7.1 verwendet (vgl. Rei-mer & al. 2009; Bronk Ramsey 2009; zu den Rohdaten siehe Wolf & al. i. Druck).

Abb. 9: Bayes’sche Sequenz der 14C-Daten der Entstehungsphase des Stadthorizontes C.(Rohdaten der Proben: Poz-41085 [2065 ± 30 BP], Poz-41086 [2055 ± 30 BP]; Poz-41087 [2055 ± 30 BP]; hellgrau – kalib-riert 1σ; dunkelgrau – kalibriert 2σ – Dia-gramme nach OxCal v4.1.7)

445

sich stilistisch in das ausgehende 3. bis 2. Jh. v. Chr. datieren28, eine von Garstang ge-fundene Sandsteinsphinx sogar in das ausgehende 4. bis 3. Jh. v. Chr.29, was für eine frühere Datierung des Stadttempels sprechen würde. In einem gewissen Widerspruch zu diesen frühen Daten stehen aber die beiden in das ausgehende letzte Jahrhundert v. Chr. datierenden Monumentalstelen der Amanirenas und des Akinidad vor dem Tempel. Der erneuten Untersuchung des Aufstellungsortes der nördlichen Stele zufolge wurden sie nach seiner Errichtung, jedoch vor dem Verputz seiner Pylone aufgestellt30. Wenn der Tempel gleichzeitig mit und als zentraler Bau zwischen der nördlichen und südlichen Stadtmauer während der Entstehungsphase der Siedlung errichtet wurde, kann man die Stelen folglich weder mit dem Tempelbau noch mit der Entstehungsphase der Oberstadt in Verbindung bringen.

Der Entstehungsphase folgte ein längerer Zeitraum, in dem sich der 1,8 m mächtige Horizont C akkumulierte – mit kleineren und wahrscheinlich auch größeren Eingriffen in das Gefüge der Oberstadt. Das Resultat einer teilweisen Ortserneuerung könnte bei-spielsweise die von der nördlichen und der südlichen Stadtmauer sowie dem Stadttempel abweichende Orientierung der Stadtmauern im Osten und im Westen und des Gebäudes H 3000 darstellen. Für die Datierung dieser Umbaumaßnahmen gibt es noch keine Hinweise – es sei denn, man nimmt an, dass die Monumentalstelen aus Anlass solcher vermutlich auch den Tempelbereich einschließenden städtebaulichen Maßnahmen auf-gestellt worden waren.

Das Ende der Periode C ist wahrscheinlich von einer stärkeren Überformung der Ortsgestalt gekennzeichnet, denn die Oberkanten dieses Horizontes weisen in mehreren über die Oberstadt verteilten Schnitten annähernd gleiche Höhen auf und weisen somit auf Einebnungen in verschiedenen Stadtquartieren hin. Sehr markant wird dies durch die Zerstörung der Stadtmauer im Süden belegt (vgl. Abb. 4). Hier war ein großer Mau-erblock aus der Stadtbefestigung herausgebrochen und nach außen gestürzt. Danach wurde die südliche Stadtmauer, zumindest in dem untersuchten Bereich, aufgegeben31.

Horizont B und die Expansion der Siedlung

Nach der Aufgabe der südlichen Stadtmauer scheint die Oberstadt in ihr unmittelba-res Umland zu diffundieren oder mit einer möglicherweise schon existenten Vorstadt zu verschmelzen. Denn die Mauern, die nun auf der Ruine der südlichen Stadtmau-er errichtet wurden, gehören zu einem größeren Grundstück der Vorstadt (vgl. Abb. 2 und 4). Ähnliche Prozesse scheinen sich im Westen der Oberstadt abgespielt zu haben, denn auch hier expandieren Gebäude über die Überreste der Stadtmauer hinweg nach außen. Derartige Siedlungserweiterungen lassen sich beispielsweise mit Bevölkerungszu-zug und/oder mit der Erweiterung von Ortsfunktionen erklären. Das Keramikbrennzen-trum und die Eisenschlackehalden belegen beispielsweise ökonomische Funktionen, die nur außerhalb der Oberstadt genügend zusammenhängende Flächen für ihre Entwick-

28 Wolf 2003: 101.29 Török 1997: 234, Nr. 1000-10 und Taf. 196.30 Wolf & al. 2009: 242 f., Abb. 34.31 Wolf & al. i. Druck.

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lung finden konnten. Denn in der dicht bebauten Kernstadt konnten sie sich auf Grund von Bestandsschutz, Emissionsbelastungen, Brandgefahr und der schlechten Verkehrs-anbindung nicht entwickeln. Ob allerdings die Stadterweiterung mit der Entstehung dieser ökonomischen Funktionen zu erklären ist, oder ob einige Produktions- und damit auch Vorortsbereiche schon seit Beginn der Ortsgeschichte existierten, lässt sich ohne großflächige Grabungen im südlichen Teil des Siedlungshügels noch nicht beantworten.

Während in der Vorstadt offenbar ausreichend Raum für Neubauten existierte – dies lässt sich an Hand der relativ regelmäßigen Baustrukturen im Magnetogramm ablesen (vgl. Abb. 2) – gerieten Erneuerungen innerhalb der Kernstadt offenbar in Konflikt mit Altbauten und etablierten Strukturen. So belegt die Baugeschichte der Wohnhäuser ent-lang der Hauptstraße den mehrfachen Versatz von Grundstücksgrenzen zu Beginn dieser mittleren Stadtperiode. Im Unterschied zum Baugeschehen innerhalb der Grundstücks-grenzen scheinen solche den öffentlichen Raum tangierenden Bauaktivitäten durch eine übergeordnete Institution überwacht worden zu sein.

Horizont A und die Degeneration der Siedlung

Mit der Siedlungserweiterung bzw. der Verflechtung von Kern- und Vorstadt verwisch-ten allmählich die Grenzen zwischen den beiden Ortsteilen. Vermutlich existierte die Oberstadt in der letzten Siedlungsperiode nicht mehr in ihrer ursprünglichen Gestalt als geschlossene Ortschaft, sondern war nur noch der alte Kern der Gesamtsiedlung – sozu-sagen die Altstadt. Zu Beginn der Periode A einsetzende Umbauten in den Wohngebäu-den entlang der Hauptstraße, bei denen die Raumstrukturen stark verdichtet und gleich-zeitig um ein zweites Geschoß erweitert wurden, bezeugen einen erneut stark gestiegenen Besiedlungsdruck. Der verfügbare Raum innerhalb der Parzellen wurde komprimiert, bis eine für das Wohnen maximal erträgliche Baudichte erreicht war. Die Grundstücksgren-zen des vorangegangenen Horizontes B wurden jedoch – zumindest entlang der Haupt-straße – beibehalten. Diese Konstanz der Grundstücksgrenzen trug zur Bewahrung alter Ortsstrukturen bei. Die Nutzung einzelner Hausbereiche wie beispielsweise der Küchen lässt ebenfalls eine gewisse Kontinuität erkennen, so dass die Zäsur zwischen dieser und der voraufgegangenen Siedlungsperiode anscheinend nicht einschneidend war.

Die starke Raumverdichtung und das Festhalten an den gewachsenen Strukturen im Ortszentrum stehen im Gegensatz zu größeren Baulücken und einer weniger planvol-len Bebauungsstruktur südlich des Ortskerns. Das erinnert an ein in späten Entwick-lungsphasen urbaner Siedlungen häufig anzutreffendes Kern-Rand-Gefälle in Baudichte und -geometrie. Eine allmähliche Entvölkerung der Siedlung wird schließlich durch den ungewöhnlichen Fund einer spätmeroitischen Bestattung im Südosten der Oberstadt veranschaulicht. Das Begräbnis charakterisiert diese Baulücke als brach gefallenes Areal und seine Grabausstattung datiert das Ende der meroitischen Bautätigkeit in diesem Bereich in das 3./4. Jh. n. Chr.

Prozesse wie der Verlust einer übergeordneten Baukontrolle und das Erlöschen des Siedlungswachstums sind vermutlich in engem Zusammenhang mit dem Niedergang der politisch-ökonomischen Zentralgewalt im 4. Jh. n. Chr. und einer allmählichen Auf-gabe urbaner Siedlungen im untergehenden meroitischen Reich zu sehen. Auch Hama-

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dab hatte offenbar seine Grundfunktion verloren. Die Siedlung wurde aber nicht plötz-lich entvölkert: Keramikscherben und Oberflächenfunde belegen eine nachmeroitische Besiedlung, die keine eigenen Baureste hinterließ. Im christlichen Mittelalter verlagerte sich der Siedlungsschwerpunkt auf den Südhügel von Hamadab. Darauf weisen Brand-ziegelstrukturen und mittelalterliche Keramik hin32. Eine kurzzeitige Wiederbesiedlung des Nordhügels fand erst wieder im 16./17. Jh. statt33.

Zur Funktion und zum Ortscharakter von Hamadab

Der Erkenntnisfortschritt der Feldarbeiten in Hamadab brachte in den letzten zehn Jahren unterschiedliche Interpretationen und Bewertungen des Fundortes hervor. Die Annahme, Hamadab sei ein Kultort34, wurde durch die Freilegung der die Oberstadt do-minierenden und großflächigen Lehmbauten widerlegt. Obwohl Hamadab im Frucht-landgürtel liegt, können wir auf Grund seiner Morphologie und dichten Bebauung ebenfalls ausschließen, dass seine Bevölkerung einer bäuerlichen Lebensweise mit Vieh-haltung und Nahrungsmittelproduktion nachging. Auch die anfängliche Idee, in der ursprünglichen Ortschaft eine Art meroitisches castrum in Anlehnung an vergleichbare römische Militärlager zu sehen35, weicht mit zunehmender Kenntnis der Stadtgestalt und ihrer Entwicklung neueren Einsichten.

Die Strukturmerkmale und der Entwicklungsweg dieser Siedlung haben unseres Er-achtens eindeutig städtischen Charakter, was eingedenk der zum Teil kontrovers geführ-ten Diskussion um den Begriff ‚Stadt‘ zu hinterfragen ist. Die Bewertung einer urbanen Ansiedlung sollte neben ihrer Größe und potentiellen Einwohnerzahl auch Kriterien wie die Komplexität der Ortsstruktur, die Differenzierung der Bevölkerung, die Lage im Verhältnis zu Nachbarorten und die mögliche Funktion im regionalen Gefüge berück-sichtigen – und letzteres nicht nur an Hand der Sakral- oder Palastanlagen. Allerdings kann die Bewertung von Hamadab bei dem derzeitigen Forschungsstand am Fundort und mangels zeitgleicher Parallelen im Mittleren Niltal nur vorläufig sein.

Das Aussehen der Oberstadt, in der wir den ursprünglichen Kern der Siedlung vermu-ten, spricht dafür, dass sie als Planstadt mit regelmäßiger Morphologie angelegt wurde. Als gründende Institution wird man das meroitische Königshaus bzw. sein Einverständ-nis mit der Ortsgründung annehmen dürfen. Die ufernahe Ortslage mittig zwischen der Hauptstadt und der Mündung des Wadi el Hawad, einem weit in das östliche Hin-terland verzweigenden Flusssystem, war hinsichtlich Lebensmittel- und Rohstoffversor-gung, regionalen und überregionalen Austauschbeziehungen sowie unter strategischen Gesichtspunkten durchaus günstig gewählt.

32 Siehe Wolf & al. 2009: 252 f. und Abb. 42. Darunter Scherben der sogenannten Alwa-Ware (D. Wels-by, mündliche Mitteilung).

33 Wolf & al. 2009: 238 und Anm. 53.34 Zu dieser Zeit waren nur die Stelen, der Tempel und ein Teil der dahinter liegenden Umfassungsmauer

bekannt (FHN II: 719; Török 1997: 233 f.).35 Siehe Wolf 2004; hier wurden viele der im Folgenden diskutierten Aspekte nicht ausreichend berück-

sichtigt.

448

Im Verlauf ihrer Geschichte entwickelte die Siedlung eine extrem hohe Bevölkerungs-dichte, die die Frage aufkommen lässt, wie und weshalb man in derart engen Verhält-nissen leben konnte bzw. wollte. Gerade damit erfüllt Hamadab aber eines der Haupt-merkmale von Städten von der Antike bis in die Moderne: hohe Bevölkerungsdichte und überproportional dichte Baustrukturen. Dieser Aspekt erscheint sogar fundamentaler als die Tatsache, dass die Oberstadt durch eine Stadtmauer von ihrem Umland abge-grenzt war. Dabei zeigt die räumliche Trennung von Wohnen in der Oberstadt und spezialisiertem Handwerk in der Vorstadt einen gewissen Entwicklungsgrad ‚städtischer‘ Organisation.

Eine weitere wichtige Eigenschaft von Städten ist die starke Differenzierung ihrer Be-völkerung und deren Abhängigkeit vom Umland bei der Versorgung beispielsweise mit Lebensmitteln. Wie eingangs erwähnt, erlaubt die Ortsstruktur der Siedlung keine au-tonome Landwirtschaft. Für die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Energieträgern war seine Bevölkerung folglich auf enge Beziehungen mit dem Umland und möglicher-weise auch auf die Verteilungsmechanismen der benachbarten Hauptstadt angewiesen. Die Produktionsstätten in der Vorstadt führen fast zwangsläufig zu der Annahme, dass innerhalb dieser Bevölkerung ein hoher Grad an Arbeitsteilung und beruflicher Spezia-lisierung herrschte, woraus auch eine gewisse soziale Differenzierung resultieren müsste. Neben häuslichen Handwerken wie Spinnen und Weben war vermutlich ein Großteil der Bevölkerung mit handwerklicher Produktion in spezialisierten Betrieben beschäftigt. Denn die Befunde in Hamadab indizieren Werkstätten der Eisenverhüttung und -verar-beitung, Keramikherstellung und wahrscheinlich auch Fayence- und Glasverarbeitung. Für diese Handwerke mussten Rohmaterialien wie Tone und Erze, Wasser, Holzkohle und anderes Brennmaterial herangeschafft werden; die Arbeitsprozesse waren zu orga-nisieren und die Produkte waren zu verteilen bzw. zu verhandeln. Neben den Spezialis-ten dieser Handwerke müssen in Hamadab auch gewöhnliche ‚Arbeiter‘, Gehilfen, Pro-spektoren von Rohstoffquellen, Köhler, Aufseher, Verwalter, Händler und Transporteure gelebt haben, und natürlich auch Ziegelmacher und Bauleute, die die Siedlung erbauten und instand hielten, sowie Priester und Wachmannschaften.

Hamadab besitzt damit wesentliche Elemente einer Stadt, so dass der geringe Umfang der Siedlung als Argument gegen ihren Stadtcharakter weniger gewichtig erscheint36. Al-lerdings ist ihre Größe in Relation zu anderen Ansiedlungen ein wichtiges Merkmal in der Bewertung ihrer Rolle innerhalb der Siedlungskammer. Gegenüber Orten wie Dun-geil, Muweis, El Hassa, Wad ban Naga und Naga ist Hamadab etwa drei- bis viermal kleiner37. Gemessen am Umfang dieser Orte war Hamadab also kein zentraler Ort38 und konnte es auch auf Grund seiner unmittelbaren Nähe zur Hauptstadt nicht sein. Orts-

36 Die Größe der antiken Ansiedlungen in der Region des Mittleren Niltals lässt sich ohnehin nicht mit derjenigen moderner Städte vergleichen (vgl. Baud 2008: 52 und 61).

37 Die Einteilung der nilnahen Siedlungen in ‚Hauptstadt‘, ‚königliche Städte‘ und ‚Dörfer‘ bei Baud (2008: 61) erscheint nicht unproblematisch; demnach würde Hamadab auf Grund seiner Größe in die Kategorie der Dörfer fallen. Im deutschen Sprachgebrauch fehlt leider eine begriffliche Differenzierung wie beispielsweise zwischen ‚city‘ und ‚town‘ im Englischen, wo Hamadab wohl der Kategorie ‚town‘ entsprechen würde.

38 Im Sinne des Systems der zentralen Orte Walter Christallers (Christaller 1980).

449

übergreifende sakrale, politische und administrative Funktionen wurden durch die über zehnmal größere Hauptstadt erfüllt. Das mag auch erklären, weshalb Hamadab nicht über monumentale Sakralbauten oder große Palastanlagen verfügte39. Im Gegensatz zu einem bloßen Vorort von Meroe besaß bzw. entwickelte Hamadab jedoch eigenständige Wirtschaftsstrukturen, die seine Bevölkerung mit ausreichenden Arbeitsmöglichkeiten versorgten. Wie der Stadttempel und das südöstliche Viertel der Oberstadt mit dem Ge-bäude H 3000 veranschaulichen, waren auch Teile einer eigenen Infrastruktur vorhan-den. Diese Indizien und die Morphologie des Ortes charakterisieren Hamadab als eine eigenständige Satellitenstadt in der unmittelbaren Umgebung Meroes, die als Planstadt gegründet wurde und sich später selbständig weiterentwickelte.

Bliebe schließlich die Funktion des Ortes im meroitischen Kernland zu beurteilen. Als Handwerker- und Arbeitersiedlung für spezialisierte Warenproduktion trug Hama-dab anscheinend maßgeblich zur ökonomischen Grundlage des meroitischen Reiches bei. Gemessen an dem Umfang der Produktionsbereiche wurden hier mit großer Wahr-scheinlichkeit – und sicher auf dem damals modernstem Stand der Technologie – Pro-dukte und Güter hergestellt, die das Herrscherhaus mit dem Umland oder gar dem römi-schen Ägypten austauschte. Vielleicht ist in dieser ökonomischen Funktion der Ur sprung der Siedlung zu suchen, die vermutlich in der klassischen Periode des Reiches gegründet wurde und den politisch-ökonomischen Niedergang der Zentral macht nicht überlebte.

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Die Kulturen Nubiens – ein afrikanisches Vermächtnis

Herausgegeben von Steffen Wenig und Karola Zibelius-Chen

5

Inhalt

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Teil I

Das Mittlere Niltal vom Paläolithikum bis zur christlichen Zeit

Salah Eldin M. Ahmed Archäologie im Sudan – Einst und Jetzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

Baldur Gabriel & Katharina GabrielNaturressourcen im antiken Sudan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

Lech Krzyzaniak (†) & Mathias Lange Frühe Kulturen des Mittleren Niltals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

Mathias LangeDie nubische A-Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

Brigitte Gratien Die Beziehungen zwischen Ägypten und Nubien von der Frühzeit bis zur Zweiten Zwischenzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

Claudia NäserDie C-Gruppe. Unternubien im 3. und 2. Jahrtausend v. Chr.. . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

Charles BonnetDas Königreich von Kerma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

Karola Zibelius-ChenNubien wird ägyptische Kolonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

Steffen WenigDie Heraufkunft der 25. Dynastie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

Steffen WenigKusch wird Weltmacht. Die 25. ägyptische Dynastie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173

6

Werner DaumDie Erfindung des Kameo in der 25. Dynastie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

Karl-Heinz PrieseDie napatanische Periode des Reiches von Kusch (656 bis ca. 270 v. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

Timothy KendallGebel Barkal und das antike Napata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

Angelika LohwasserDie meroitische Periode des Reiches von Kusch (um 270 v. Chr. - ca. 330/350 n. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

Alessandro RoccatiDer königliche Bezirk von Napata in meroitischer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

Uwe SievertsenDie Profanarchitektur im Reich von Meroe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261

Martin FitzenreiterWohn- und Bautradition zwischen Niltal und Savanne. Die Kleine Anlage von Musawwarat es Sufra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

Petra WeschenfelderTraditionen und Innovationen – Postmeroitische Netzwerke in Nubien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301

Daniela BilligDas christliche Nubien – Ein Abriss zu Geschichte und sakraler Architektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323

Cornelia KleinitzBilder der Vergangenheit: Die Felskunst des Mittleren Niltals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341

Teil II

Deutsche Forschungen im Sudan

Steffen WenigMusawwarat es Sufra. Ein antikes Pilgerzentrum und Nationalheiligtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363

7

Claudia Näser & Thomas ScheibnerWassermanagement im antiken Sudan: technologische Innovationen und ihr sozio-kultureller Kontext am Beispiel neuer Feldforschungen in Musawwarat es Sufra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383

Cornelia KleinitzDie Sekundärbilder und -inschriften der Großen Anlage von Musawwarat es Sufra und das ‚Musawwarat Graffiti Project‘ . . . . . . . . . . . . . . 399

Dietrich WildungNaga – Königsstadt in der Steppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415

Pawel Wolf & Ulrike NowotnickHamadab – eine urbane Siedlung im Mittleren Niltal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429

Claudia NäserDie Humboldt University Nubian Expedition am Vierten Nilkatarakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453

Angelika LohwasserDas Projekt ‚Wadi Abu Dom Itinerary‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475

Friederike JesseDie Festung Gala Abu Ahmed im unteren Wadi Howar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487

Stefan KröpelinNeues aus der sudanesischen Sahara. Ergebnisse aus dem Kölner Sonderforschungsbereich ‚ACACIA‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499

8

Anhang

Liste der Herrscher von Kusch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531

Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535

Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540

Anschriften der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543