Hausbrand und Schädelentnahme – Gräber der Salzmünder Kultur im Nordwestteil des Erdwerkes. In:...

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in Sachsen-Anhalt Archäologie Sonderband 21/I Salzmünde-Schiepzig – ein Ort, zwei Kulturen Ausgrabungen an der Westumfahrung Halle (A 143) Teil I Harald Meller/Susanne Friederich (Hrsg.)

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in Sachsen-Anhalt

Archäologie

H. M

eller/S. Friederich

21/I

Archäologie in Sachsen-A

nhalt Sonderband: Salzmünde

Sonderband 21/IArchäologie in Sachsen-Anhalt

Sonderband 21/I

Richard-Wagner-Str. 9 06114 Halle Tel. 0345 · 5247 – 30 Fax. 0345 · 5247 – 351 [email protected] www.lda-lsa.de

issn 161o-6148

isbn 978-3-9445o7-o2-6

Salzmünde-Schiepzig – ein Ort, zwei Kulturen

Ausgrabungen an der Westumfahrung Halle (A 143) Teil I

Harald Meller/Susanne Friederich (Hrsg.)

Halle (Saale) 2014

Salzmünde-Schiepzig – ein Ort, zwei KulturenAusgrabungen an der Westumfahrung Halle (A 143)Teil IHarald Meller und Susanne Friederich (Hrsg.)

iMpreSSuM

Herausgeber Harald Meller, Susanne Friederich, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt

Herausgeber der Reihe Harald Meller, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt

Bibliographische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de/ abrufbar.

gedruckt auf alterungsbeständigem, säurefreiem Papier

isbn 978-3-9445o7-o2-6 issn 161o-6148

Erscheinungsweise unregelmäßig

Wissenschaftliche Redaktion Susanne Friederich, LDA; Christian Lau, LDA; Sabine Stoffner, LDA; Andrea Welk, Weißenfels; Claudia Beutmann, LDA Technische Redaktion Thomas Blankenburg, Halle (Saale); Annett Bohse-Sonntag, LDA; Steffi Lünse, Quedlinburg; Nora Seeländer, LDA

Für den Inhalt der Arbeiten sind die Autoren eigenverantwortlich.

© by Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt – Landes-museum für Vorgeschichte Halle (Saale). Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikrover-filmungen sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Umschlagfoto vorne Ingo Hoffmann, Halle (Saale)

Umschlagfoto hinten Hauke Arnold, LDA

Fotos Seite 163 Rico Popp, LDA

Fotos Seite 166 LDA

Fotos Seite 275, 482–484 Hauke Arnold, LDA

Schriften FF Celeste, BT News Gothic Gestaltungskonzept CarolynSteinbeck•Berlin

Layout und Satz ThomasBlankenburg•Halle(Saale)

Produktion ThomasBlankenburg•Halle(Saale)

Druck Salzland-Druck GmbH & Co. KG

Vorwort 7 Harald Meller

Einleitung 9 Susanne Friederich

Salzmünde – Schulbeispiel der Rechtswissenschaft und Archäologie

17 Helge JareckiArchäologie im Gespräch – Öffentlichkeitsarbeit an der zukünftigen Westumfahrung Halle (A 143)

Naturräumliche Gegebenheiten 23 Karsten Sommerwerk

Salzmünde und das Salz – zur Geologie des tieferen Untergrundes

27 Mechthild Klamm, Wolfgang Kainz, Helge JareckiNaturräumliche Grundlagen im Bereich des namengebenden Fundortes Salzmünde

42 Wolfgang KainzFachfeatureLöss

43 Wolfgang KainzFachfeatureWichtige Bodentypen des mitteldeutschen Trockengebietes

44 Wolfgang KainzFachfeatureKolluvisol/Tschernosem-Kolluvisol

Spätpaläolithikum 45 Thomas Laurat, Enrico Brühl

Zeugen der Eiszeit – Jäger und Sammler bei Salzmünde

Frühneolithikum 53 Helge Jarecki

Die ersten Bauern am Erdwerk von Salzmünde

57 Torsten SchunkeHäuser, Gräben, Zäune – ein Gehöft der Stichbandkeramik und Rössener Siedlungsspuren im Nordwesten des Salzmünder Erdwerks

94 Andrea Moser, Ralph von Rauchhaupt, Torsten Schunke, Peter ViolEin Erdwerk der Rössener Kultur in Salzmünde

In h a lt

MittelneolithikumSchiepziger Gruppe

113 Torsten Schunke, Peter ViolDie »Schiepziger Gruppe« – eine Fundlücke wird gefüllt

122 Claudia Damrau, Andreas Egold, Peter ViolBestattungen der Schiepziger Gruppe

164 Peter ViolFachfeatureDie Angler von Salzmünde

167 Ralph von RauchhauptEine besondere Schiepziger Grabgruppe

175 Andrea MoserPfostengruben – Hausgrundrisse: Rössener oder Schiepziger Häuser?

Baalberger Kultur 182 Andreas Egold, Torsten Schunke, Peter Viol

Die Siedlungsstellen der Baalberger Kultur bei Salzmünde-Schiepzig und Salzmünde

193 Boguslaw Duchniewski, Torsten SchunkeDie Gräber der Baalberger Kultur auf der Hochfläche bei Salzmünde-Schiepzig

Salzmünder Kultur 211 Helge Jarecki, Andrea Moser

Zur Erforschung der Salzmünder Kultur

223 Andrea MoserFachfeatureIrrungen und Wirrungen um die Scherbe mit Jagddarstellung

225 Helge Jarecki, Andrea MoserDas Erdwerk Salzmünde – eine Übersicht mit Ausblick

247 Andrea MoserFachfeatureÜberblick über die mittelneolithische Erdwerksforschung

251 Torsten SchunkeEine Plastik aus Knochen und Ton – ein bemerkenswertes Kindergrab im Salzmünder Graben

257 Hans-Jürgen Döhle, Torsten SchunkeDer erste neolithische Pferdeschädel Mitteldeutschlands – ein frühes Hauspferd?

262 Monika Hellmund

Grannenfragmente von Federgras (Stipa) in mittelneolithischen Befunden von Salzmünde

265 Monika HellmundPollenanalysen an geschichteten Grabensedimenten aus der Salzmünder Kultur am Erdwerk von Salzmünde

268 Helge JareckiDas Erdwerk von Salzmünde und die Bischofswiese in Halle-Dölau – eine Gegenüber- stellung

In h a lt

276 Andrea Moser, Ralph von Rauchhaupt, Peter ViolSalzmünder Gruben

291 Claudia DamrauFachfeature»Sonderbestattungen« in der Prähistorie

294 Ralph von Rauchhaupt, Peter ViolHausgrundrisse der Salzmünder Kultur

302 Ralph von Rauchhaupt, Torsten Schunke, Peter Viol»Klassische« Scherbenpackungsgräber im westlichen Zentrum des Salzmünder Erdwerks

330 Sandra PichlerFachfeatureTodesursache: erschlagen – Spuren der Gewalt aus dem mittleren Neolithikum

332 Andrea Moser, Frank Ramsthaler, Christian Meyer, Kurt W. AltBrandunglück oder Totenritual? – Eine Salzmünder Mehrfachbestattung (Bef. 6582)

355 Hartmut von WieckowskiRestaurierung – Bergung, Bearbeitung, Präsentation

358 Torsten SchunkeHausbrand und Schädelentnahme – Gräber der Salzmünder Kultur im Nordwestbereich des Erdwerks

385 Ralph von Rauchhaupt»Webergräber« – die ältesten Salzmünder Bestattungen im Norden des Erdwerks

398 Sandra PichlerFachfeatureDer »Weber« von Salzmünde

400 Ralph von RauchhauptHirsch und Hundemeute – Salzmünder Gräber außerhalb des Erdwerks

412 Andrea Moser, Torsten SchunkeBestattungen am Rand – Salzmünder Bestattungen in peripheren Siedlungsbereichen

441 Nicole Nicklisch, Sandra PichlerSkelettfunde der Schiepziger Gruppe und der Salzmünder Kultur aus dem Erdwerk von Salzmünde – erste paläopathologische Ergebnisse

450 Mechthild Klamm, Helge JareckiPrähistorische Lehmentnahmegruben am Erdwerk von Salzmünde

455 Mechthild Klamm

FachfeatureLehm

457 14C-Tabelle

471 Literatur

481 Autorenverzeichnis

Fortsetzung siehe Teil II in Vorbereitung

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hausbrand und Schädelentnahme – gräber der Salzmünder kultur im nordwestbereich des erdwerksTorsten Schunke

Im nordwestlichen Abschnitt des Erdwerksinne-ren liegen mindestens zehn Befunde mit Bestattun-gen der Salzmünder Kultur (Abb. 1). Ein weiteres, bereits zerstörtes Grab ist darüber hinaus nach-weisbar. Hinzu kommt ein Komplex mehrerer Gru-ben, der im Zusammenhang mit den Bestattungen zu sehen ist. Die besonderen, herauszuhebenden Befunde werden im Folgenden vorgestellt.

Ein Scherbenpackungsgrab mit »echter« Beigabe

Bei Befund 157o2 handelt es sich um eine annä-hernd kreisrunde Grube von 1,25 m Durchmesser. Zentral darin liegt eine Nordost-Südwest ausge-richtete Bestattung in Hockhaltung auf der rechten Körperseite (Abb. 2). Ein großer Bruchstein, der sich genau auf dem Brustkorb befunden hat, ist beim Aufbaggern der Fläche herausgerissen wor-den und hat den Befund im Norden gestört. Neben diesem Stein ist das Skelett mit einer dünnen Scherbenpackung abgedeckt, die möglicherweise ehemals den gesamten Körper bedeckt hat. Über den Scherben liegt eine Schüttung aus gebranntem Lehm mit Flechtwerkabdrücken und Sandbruch-steinen (Abb. 3). Ganz außergewöhnlich für diese Gattung von Grabbefunden ist, dass am Hinter-haupt des bestatteten Individuums, zwischen drei etwas höher gelegenen Steinen, ein Gefäß steht (Abb. 4). Es handelt sich um eine Kanne in der Form sogenannter Vor-Walternienburg-Tassen, aber ohne Verzierung (Abb. 5). Das Gefäß ist so arrangiert, dass es als echte Beigabe im Sinne einer Mitgabe angesehen werden kann, wie sie sonst für die sogenannten »regulären« Gräber ganz cha-rakteristisch ist. In diesen liegen tatsächlich fast ausschließlich Kannen zu Häupten oder Füßen der Toten (Fischer 1956, 61). Ein ähnlicher Befund mit Scherbenpflaster und einer Kanne am Schädel ist mit Stelle 15 bei den Altgrabungen in Salzmünde untersucht worden (Grimm 1938, Taf. 21,2). Auf-

grund der charakteristischen Beigaben handelt es sich bei diesen beiden Befunden um Zwischen-formen zwischen dem »Scherbenpackungsgrab in runder Grube« und dem »regulären Erdgrab«.

Bei der weiteren Ausgrabung änderte sich das Bild des Befundes. Nach der Entnahme der ers-ten Knochen im Beinbereich und einem weiteren Abtrag des Grubeninhaltes zeigt sich eine durch Hitze veränderte Verfüllung (Abb. 6). Flächig sind einerseits orangerot bis rotbraun verfärbte und andererseits schwärzlich graue Bereiche zu erkennen. Auch Holzkohlepartikel sind nachweis-bar. Direkt unter dem Beckenbereich des Skelettes liegen große Stücke gebrannten Lehms mit Rund-holzabdrücken sowie eine Beilklinge aus Felsge-stein (Abb. 5; 7). Letztere weist Spuren einer star-ken Erhitzung auf. Sie kam vor der Person in die Grube, und zwar ungeschäftet, was anhand des umliegenden Brandlehms gut zu beurteilen ist, denn eine bereits vergangene Schäftung hätte sich darin erkennen lassen müssen. Somit ist fraglich, ob dieses Beil – wie es die Kanne darstellt – als personengebundene Beigabe eines funktionsfähi-gen Gerätes gewertet werden kann.

Wenige Zentimeter tiefer geht der orangefar-bene Lehm in einen grauschwarzen Farbton über. Während die darin enthaltenen großen Stücke gebrannten Lehms eindeutig auf eine Einfüllung gebrannter Objekte hinweisen, wird deutlich, dass innerhalb der Grube ebenfalls ein Feuer gewirkt haben muss. Nur dadurch kann erklärt werden, warum es zur Brandoxidation der oben liegenden Bereiche gekommen ist, während die verdeckt lie-genden reduzierend verbrannt sind. Da es ferner keine Brandspuren am Skelett gibt, ist davon aus-zugehen, dass der Brand vor der Grablege stattge-funden hat. Die Scherben eines kleinen Scherben-pflasters unter dem Schädel und einige weitere aus der unteren Einfüllung stammen darüber hinaus nicht von denselben Gefäßen wie jene der auflie-genden Scherbenpackung. Ein Zusammenhang der

MittelneolithikumSalzmünder Kultur

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15764 mitzugehörigenGruben

15725

15718

1561315614

4968

15625

15702

N

Bestattungen der Salzmünder Kulturmit Scherbenlagenzu den Bestattungen der Salzmünder Kulturgehörige BefundeBestattungen der Salzmünder Kultur(beigabenarm bzw. beigabenlos)Erdwerkandere BefundeGrabungsfläche

0 50 m

0 20 m

Abb. 1 Salzmünde. Die Gräber der Salzmünder Kultur im Nordwestbereich des erdwerkes. Neben den sieben herausragenden Bestattungen, die hier vorgestellt wer-den, befinden sich in der nördlichen randzone des erdwerksplateaus auch noch einige beigabenarme Gräber, die in einem eigenen Beitrag (»Bestattungen am rand ...«) vorgestellt werden, sowie die Deponierungen in den Gräben.

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etwa o,15 m starken Verfüllung, die bereits vor der Beerdigung des Individuums in der Grube lag und dann dem Feuer ausgesetzt wurde, mit der danach

eingebrachten kann demnach nicht hergestellt werden. Daher ist bei Befund 157o2 zunächst nicht auszuschließen, dass seine Entstehung auf profa-

Abb. 2 Salzmünde. Befund 15702, planum 1. im Zentrum

einer annähernd kreisrunden Grube befindet sich eine mit Stei-

nen und Scherben bedeckte Bestattung. Sie ist im Norden

gestört, da sich dort ein großer Bruchstein befand, der beim Auf-baggern der Fläche herausgeris-

sen wurde.

Abb. 3 Salzmünde. Befund 15702. Detail des Grabes im pla-

num 1. Hinter dem rücken ist der schichtige Aufbau der einfül-

lung sehr gut erkennbar: Über einer Scherbenlage liegen grö-

ßere Sandbruchsteine und gebrannter Lehm.

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nes Siedlungsgeschehen zurückzuführen ist – dass also eine ganz alltägliche Siedlungsgrube für die Bestattung verwendet wurde. Das Feuer könnte dann aus Gründen einer rituellen Reinigung der Grube vor der Bestattung oder, in noch direkterem Zusammenhang, als Teil des Bestattungsrituals entfacht worden sein. Die im Folgenden vorzu-stellenden Befunde werden das Bild diesbezüglich weiter klären.

Weniger als 5 m nordwestlich dieses Grabes (Abb. 1) wurde eine weitere kreisrunde Grube (Bef. 15625) untersucht, die keine Bestattung enthält. Sie gleicht jedoch aufgrund ihrer grau aschigen Verfüllung und ihres Inhaltes, der aus einem dicknackigen Felsgesteinbeil von 1o,5 cm Länge, vier verbrannten Feuersteinklingen (Abb. 8), einer gebrannten Knochenspitze und weiteren graubläulich verbrannten Knochen vermutlich eines Tieres (?) sowie verteilt liegendem gebrann-tem Lehm besteht, auffällig dem Unterbau in den

Bestattungsgruben. Daher ist es sehr wahrschein-lich, dass es sich vor dem weitgehenden Abtrag des Befundes ebenfalls um eine solche Grube mit Bestattung gehandelt hat.

Schlafend unter Scherben

Etwa 25 m in südwestlicher Richtung entfernt liegen in einer Ecke des viel älteren stichband-keramischen Hausgrundrisses 5 zwei sehr unter-schiedliche Gräber (Abb. 1; 9). Mit einem Durch-messer von 1,65 m ist die Grube 15613 eine der größten der Salzmünder Kultur, die eine Bestat-tung enthält. Dicht daneben und wohl im Bezug darauf liegt die Bestattung eines Kleinstkindes (Bef. 15614). Die Befunde sind beim Aufbaggern der Fläche durch eine Fundhäufung aufgefallen, weshalb die Schwarzerde dort manuell entfernt wurde. Daher konnte eine Vielzahl an Objekten gesichert werden, die ehemals innerhalb der

Abb. 4 Salzmünde. Befund 15702. Das Grab im planum 3 mit der freiliegenden Bestattung in Hockhaltung und dem hinter dem Kopf befindlichen Beigefäß.

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Schwarzerde lagen bzw. sogar in den Pflughori-zont hineinreichten, wie der große Bruchstein im Norden der Grube (Abb. 1o). Das Kindergrab liegt im untersten Bereich der Schwarzerde und wäre

beim sonst üblichen Abtragen des Oberbodens bis auf den anstehenden Kies stark beschädigt worden. Es enthält ein gehockt auf der rechten Körpersei te liegendes Skelett eines sehr kleinen Kindes in Südost-Nordwest-Ausrichtung, das mit wenigen horizontal liegenden, teilweise stark sekundär gebrannten Scherben abgedeckt ist. In einer ersten Durchsicht konnten keine Zusammenpassungen zwischen den ca. 1 7oo Scherben aus beiden Befun-den ermittelt werden. Das deutet darauf hin, dass sie nicht gleichzeitig angelegt worden sind, obwohl der räumliche Bezug eine zeitliche Nähe und auch familiäre Bande annehmen lässt.

Das in dem großen Grab bestattete Indivi-duum liegt in mäßig gehockter rechter Seitenlage in Nordost-Südwest-Ausrichtung (Abb. 1o,7). Die Arme befinden sich eng am Körper. Der Schädel ruht auf zwei Bruchsteinen, die wie ein Kissen untergelegt sind (Abb. 11). Der Eindruck einer Schlafstellung wird durch die unter dem Kopf liegenden Hände verstärkt. Am Skelett fällt das Fehlen einzelner Knochen wie beispielsweise eini-ger Zehenknochen auf. Noch bemerkenswerter ist, dass der oben liegende Unterarmknochen, die linke Speiche, nur halb vorhanden ist. Aufgrund der sehr guten Knochenerhaltung kann es nicht sein, dass allein diese Knochen im Grab vergangen sind. Entweder ist die Bestattung demzufolge zunächst nicht abgedeckt worden, sodass später Manipula-tionen vorgenommen werden konnten, oder die Person ist – entgegen dem ersten Anschein – dort erst im Rahmen einer Sekundärbestattung nie-dergelegt worden. Gesichert ist hingegen, dass das Individuum unmittelbar nach seiner Bestattung

Abb. 5 Salzmünde. Befund 15702. ein Teil des inventars aus

dem Grab mit dem Beigefäß, einer Kanne in der Form soge-nannter Vor-Walternienburg-

Tassen, und der Beilklinge aus Felsgestein.

Abb. 6 Salzmünde. Befund 15702. Das Grab im planum 4.

Deutlich sind Brandspuren unter-halb der Bestattung zu erkennen,

die verdeutlichen, dass in der Grube ein Feuer gebrannt hat.

Da das Skelett selbst keine Brandspuren zeigt, muss der

Brand vor der Grablege stattge-funden haben – möglicherweise die Spuren einer rituellen reini-

gung der Grabgrube.

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mit einer Lage plattiger Sandbruchsteine bedeckt wurde (Abb. 1o,6), denn die Steine, darunter auch Mahlsteinfragmente, nehmen genau Bezug auf den Körper. Am Grubenrand liegen sie außerdem sehr hoch und zur Mitte hin viel tiefer, was dar-auf hindeutet, dass die Grube zum Zeitpunkt der Bestattung muldenförmig verfüllt war. Die Lage der Steine in der Packung vermittelt den Eindruck, als könnten diese nicht zuerst in Schulterbreite auf dem Körper gelegen haben und dann – in dieser Anordnung zueinander verbleibend – beim Ein-bruch des Körpergewölbes heruntergesunken sein. Auch diese Beobachtung spricht folglich entweder für eine deutlich spätere Abdeckung oder dafür, dass der Körper bereits bei der Bestattung nicht mehr sein volles Volumen besessen hat.

Das nördliche Grubendrittel neben der Bestat-tung wurde nach der Grablege mit humosem Lehm, der mit gebranntem Wandbewurf mit Rundholzabdrücken durchsetzt ist, relativ hoch zugefüllt. Genau über der Steinpackung kam eine durchgängige Lage aus Scherben zutage, vorrangig Teile großer Amphoren. Die Gefäße waren bereits in größere Fragmente zerscherbt gewesen, als sie unvollständig in die Grube gelangten. Auf diese Scherbenschicht wurde eine Lage gebrannter Lehmstücke geschüttet, darauf wurden wiederum Steine gelegt, und nach einer dünnen humosen Zwischenschicht folgte eine weitere Scherbenlage. Die Einfüllungen beziehen sich auch weiter oben immer in ovaler Form auf die darunter liegende Bestattung. Dadurch ist offensichtlich, dass diese Einbringungen jeweils getrennt nacheinander geschehen sind und damit die einzelnen Etappen eines komplexeren Bestattungsvorgangs wider-spiegeln. Erwähnenswert sind zudem die meist kleinen Bruchstücke von Tierknochen, die bläulich oder schwarz verfärbt sind und verteilt in der Ver-füllung vorkommen.

Auch die Grubenverfüllung unterhalb der Bestat-tung ist archäologisch aussagekräftig (Abb. 1o,8). Im Planum lassen sich konzentrische Verfärbun-gen erkennen, die von der haufenartig in der Grube liegenden Einfüllung herrühren. Innerhalb des flachen Lehmkegels liegen drei Bruchsteine und einige wenige Scherben. Allerdings ist eine Anpassung einer solchen Scherbe mit Scherben der obersten Schicht möglich, sodass in diesem Fall, im Gegensatz zu dem vorgestellten Befund 157o2, die Zugehörigkeit der Einfüllung zu den Bestattungs-vorgängen gesichert erscheint. Möglicherweise war der Lehmkegel also bereits vor seiner Einbringung mit Brandschutt (Holzkohle) durchsetzt. Danach jedoch muss auf ihm ein starkes Feuer gebrannt haben. Sehr deutlich ist, dass die Lehmfüllung in der Mitte am stärksten der Hitze ausgesetzt war. In ihrem Inneren haben Reduktionsvorgänge zu einer schwärzlichen Verfärbung geführt. Für ein solches Feuer auf einem Lehmhaufen innerhalb einer Grube gibt es wenige Gründe, die in den

üblichen Arbeitsabläufen innerhalb einer Siedlung zu finden sind, sonst müssten sie viel häufiger auf-treten. Bereits bei Befund 157o2 ist in Erwägung gezogen worden, dass es sich möglicherweise um Reinigungsmaßnahmen der Gruben durch Hitze bzw. Ausräuchern gehandelt haben könnte, und dass dieser Vorgang bereits zur Bestattungszere-monie gehört haben dürfte. Auch die gebrannten Tierknochen, der verziegelte Wandbewurf und

Abb. 7 Salzmünde. Befund 15702. Das Grab im planum 4 (Detail). ein Stück Brandlehm mit rundholzabdrücken (roter pfeil) sowie die innerhalb des Lehms liegende Beilklinge. Da sich im umliegenden Lehm keine Spuren der Schäftung zeigen, muss das Stück ungeschäftet ins Grab gekommen sein. Deshalb ist fraglich, ob es sich um eine personengebundene Beigabe handelt.

Abb. 8 Salzmünde. Befund 15625. Das Fundinventar aus der Grube mit Steinbeil und ver-brannten Feuersteinklingen. Die Grube gleicht in Aufbau und inventar den Gräbern. Sehr wahrscheinlich hat es sich vor dem weitgehenden Abtrag des Befundes ebenfalls um eine Bestattungsgrube gehandelt.

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gelegentlich sekundär gebrannte Scherben, die regelhaft gemeinsam in Scherbenpackungsgrä-bern vorkommen, weisen auf einen Zusammen-hang mit einem weiteren Feuer hin, das jedoch außerhalb der Grube gebrannt haben muss.

Griff nach dem Schädel

Ein viel weniger aufwendig gestaltetes Grab ist Befund 4968, der knapp 6o m nordöstlich des vor-gestellten Scherbenpackungsgrabes liegt (Abb. 1). Die runde Grube hat einen Durchmesser von etwa 1 m. Bereits in den oberen Plana enthält sie vergleichsweise viele Scherben, gebrannte Lehmbröckchen und auch verstreute Teile eines menschlichen Schädels (Abb. 12). Es fällt auf, dass die Scherben in allen möglichen Positionen, also horizontal, schräg und auch vertikal in der Gruben-verfüllung stecken. Ganz anders stellt sich dagegen die Situation etwa o,3 m tiefer im Planum 5 dar. Die gesamte Sohle ist von einer Schicht horizontal angeordneter Scherben bedeckt. Zur darüber lie-genden Verfüllung war beim Abteufen eine deut-liche Abgrenzung zu bemerken (Abb. 13).

Direkt auf der Scherbenpackung befindet sich im Zentrum des Befundes das Nordwest-Südost ausgerichtete Skelett eines auf der rechten Seite liegenden Kleinkindes (Abb. 14). Seine Beine sind angehockt und die Arme so gebeugt, dass die Hände vor dem Gesicht liegen. Der Schädel ist jedoch zerstört. Einige Kalottenteile befinden

sich zwar noch annähernd in der anatomisch kor-rekten Lage, die meisten Teile sind jedoch in den westlichen Bereich verschleppt worden. Vorrangig dort sind auch in den höheren Plana die Schädel-teile gefunden worden. Die Befundsituation der ungestörten unteren Lagen und der vermischten oberen wird durch das Profil gut veranschaulicht. Eindeutig hat hier ein sekundärer Eingriff stattge-funden, der genau bis auf die Tiefe des Skelettes geführt wurde. Offensichtlich war der gezielte Ein-griff auf den Schädel gerichtet, der dabei allerdings zerbrach (oder bereits zuvor geborsten war). Wahr-scheinlich sind die Teile aus diesem Grund in dem Grab verblieben. In großer Deutlichkeit zeugen die Schädeldeponierungen in den Salzmünder Gräben davon, dass die Schädel eine besondere Rolle in den Ritualen der damaligen Bevölkerung spielten und regelhaft entnommen wurden (vgl. Beitrag »Das Erdwerk Salzmünde ...«). Ein genauer Blick auf die Deponierungen von Schädeln zeigt jedoch, dass es offensichtlich gar nicht nötig war, den gesamten Schädel umzubetten. Der Befund in den Gräben kann so gedeutet werden, dass die abfallenden Teile, meist die Unterkiefer und Halswirbel, häu-fig auch die fragmentierten Gesichtsschädel, bei der Entnahme der Schädel am Ort verblieben sein müssen. Gerade im nicht einmal 2o m nördlich des Grabes 4968 verlaufenden inneren Graben liegen gleich mehrere Deponierungen, die nur aus Schä-delfragmenten bestehen, so beispielsweise auch das Bruchstück der Kalotte eines Kinderschädels

Abb. 9 Salzmünde. Befunde 15613 und 15614. Die Scher-

bengrube (Bef. 15613) befindet sich in der ecke des bedeutend älteren stichbandkeramischen

Hauses 5; rechts daneben ist als kleiner, aufgesockelter Block die Kleinstkinderbestattung Befund

15614 zu erkennen.

Abb. 10 Salzmünde. Acht der Abbaustufen des Befundes

15613 vollziehen rückwärts die Verfüllung des Befundes nach: planum 1 mit nördlicher Brand-lehmschüttung, planum 2 mit

oberer Scherbenlage, planum 3 mit flächiger Brandlehmlage,

planum 4 mit Scherbenpackung, planum 5 mit Stein- und Scher-

benschicht, planum 6 mit Stein-packung, planum 7 mit Bestat-

tung, planum 8 mit verziegelter Lehmeinfüllung. Hier wird das

gleiche komplexe ritual wie bei Befund 15702 sichtbar: Das Skelett wird in eine mit Feuer

behandelte Grube gelegt und in offenbar vorgeschriebenen

Handlungen mit Steinen-, Scher-ben- und Brandlehmlagen

bedeckt.

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(Bef. 4965). Auch wenn direkte Zusammenhänge nur durch sehr aufwendige anthropologische und genetische Untersuchungen nachweisbar sind, besteht doch die Möglichkeit, dass es aus dem Grab 4968 oder einem ähnlichen Befund stammt. Eine Zusammensetzung der vorliegenden Einzelteile ergibt nämlich, dass in dem untersuchten Grab nicht mehr alle zum Schädel gehörigen Bruch-stücke liegen. Das Grab 4968 gibt somit einen Hinweis darauf, dass die Entnahme der gesuchten Schädel aus den Gräbern zumindest stellenweise mit relativ wenig Akribie vonstattenging. Ließen sich die Schädel nicht problemlos vollständig ber-gen, so erfüllten Einzelstücke die zugedachte Funk-tion ganz offensichtlich pars pro toto.

Die Deutung dieses auf den Schädel gezielten Eingriffes in die Grube 4968 wird durch weitere

Befunde gestützt (vgl. Beitrag »›Klassische‹ Scher-benpackungsgräber …«). Ihm kann ein sehr ähn-lich gearteter Befund aus Erfurt zur Seite gestellt werden, der der Baalberger Kultur angehört (Bahn 1989; Bach/Bruchhaus 1989, 169). Die spezielle Bedeutung des Schädels als knöcherner und doch noch individueller Repräsentant des einstigen Individuums bzw. bestimmter seiner Charak-ter- oder Wesenszüge (Geist, Kraft) lässt sich an einer Reihe neolithischer Befunde (vgl. Härtl 2oo5, 75–77; Wahl 2oo7, 169–171) und auch solcher aus anderen Zeiten in aller Welt bis zum heutigen Tage ablesen (Härtl 2oo5). Auch im folgenden Befund-komplex spielt der gesonderte Umgang mit dem Schädel wieder eine Rolle.

Rampe, Adorant und Stele

Südlich der vorgestellten Gräber liegt der außer-gewöhnliche Bestattungsbefund 15718 (Abb. 1). Im Planum ist eine langschmale Grube in Nord-nordwest-Südsüdost-Ausrichtung von 5,1 m Länge und bis zu 1,25 m Breite erfasst worden (Abb. 15). Jeweils an ihren Enden liegen kleine Fundkon-zentrationen in Form von Bruchsteinen, einigen Scherben und etwas gebranntem Lehm.

Beim Abteufen zeigte sich schnell, dass sich die Funde ausgehend von der südlichen Fundgruppe in Form einer Rampe schräg nach unten ziehend fortsetzen (Abb. 16). Dagegen steigt das nördliche Grubenende steil nach oben an. Direkt davor steht aufrecht ein längliches eiszeitliches Geröll. Das Planum wurde innerhalb der humosen Schicht auf der Grubensohle angelegt und zieht entsprechend dieser Schicht und der Grubensohle im Süden rampenartig nach oben. Die Grube hat bei einer maximalen Tiefe von o,8 m noch eine Länge von ca. 4,6 m und eine maximale Breite von 1,15 m. Die Profile zeigen deutlich, dass die Grube – von der schräg von Süden aus einfallenden Rampe abge-sehen – eine sehr horizontale und im Kies ver-gleichsweise sorgfältig ausgeführte Sohle besitzt. Auf diese ist vor der Niederlegung des Toten und der aufgefundenen Objekte eine im Nordbereich nur o,o5 m dicke, weiter südlich ca. o,1 m und im Rampenbereich dann sogar bis zu o,3 m starke Schicht aus weitgehend kieslosem, stark humosem Lehm aufgebracht worden. Das Skelett und auch die Funde liegen sämtlich, bis zu o,1 m stark, auf dieser Schicht bzw. in ihrem obersten Bereich. Sie folgen in ihrer schrägen bis horizontalen Position genau dem Schichtverlauf, lagen also ehemals offen an ihrer Oberfläche. Darauf erst ist die Zufül-lung aus einem viel kiesigeren Material gekommen.

Das Individuum befindet sich an der tiefsten Stelle, zentral in der kammerartig verbreiterten Nordhälfte der Grube (Abb. 17). Es handelt sich um ein Infans-II-Skelett (ca. 7–12 Jahre) in mäßig gehockter rechter Seitenlage, das entsprechend der Grube Nordnordwest-Südsüdost ausgerichtet ist.

Abb. 11 Salzmünde. Befund 15613. unter der Steinpackung ruht das individuum in »Schlaf-stellung« mit dem Schädel auf

zwei »Kissensteinen«, die Hände untergelegt. Am unterarm ist

das Fehlen einer Hälfte der auf-liegenden Speiche zu erkennen. Wurden später Manipulationen an dem Skelett vorgenommen

oder ist das Skelett erst im rah-men einer Sekundärbestattung

in die Grube gelangt?

Abb. 12 Salzmünde. Befund 4968. Grab. Die gestörte Scher-ben-Brandlehm-packung ober-

halb des Skelettes. Die Scherben stecken in verschiedenen Stel-lungen (horizontal, schräg und

auch vertikal) in der Grubenverfüllung.

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12

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Der Schädel fehlt, der Unterkiefer des Individuums ruht weit verlagert in der Nordostecke des Befun-des. An der Stelle des Schädels befinden sich ein Mahlstein und ein Hornzapfenrest (Abb. 18). Auf dem Rumpf des Skelettes liegt zudem ein Sand-bruchstein. Bei einer Silexklinge direkt vor dem linken Fuß könnte es sich um eine echte Beigabe

handeln. Ansonsten liegen einzelne Scherben sowohl auf als auch unter den Knochen. Die Bestat-tung und sämtliche weiteren Funde befinden sich direkt über der Sohle, die im Süden die Rampe hinaufzieht. In dem noch nicht ansteigenden Bereich südlich der Füße liegen vereinzelt Scher-ben, mittig durchlochte Muschelschalen (Abb. 19)

Abb. 13 Salzmünde. Befund 4968. Die unter dem eingriff lie-genden Scherben sind horizontal geschichtet.

Abb. 14 Salzmünde. Befund 4968. Das auf dem Scherben-pflaster liegende Kinderskelett. Der fehlende Schädel und die in den oberen Lagen verkippten Scherben bezeugen den antik erfolgten, wohl auf den Schädel gerichteten eingriff. im rahmen kultischer Handlungen spielten Schädel in der Salzmünder Kul-tur eine wichtige rolle.

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und auffällig viel gebrannter Lehm. Mit Beginn der Rampe wird die im gleichen Maße aufstei-gende Scherbenschicht viel dichter und zieht sich bis zur erhaltenen Oberfläche. An Verfärbungen fallen im Planum zwei diffuse Streifen aus beige-grauem Lehm auf, die beidseitig des Skelettes und auch quer südlich der Füße liegen. Möglicherweise kennzeichnen sie eine Hinterfüllung eines hölzer-nen Grabeinbaus. Derartiger Lehm liegt oberfläch-lich auf dem Kies.

Nach der Entnahme des Steines über der Brust des Skelettes sowie des Mahlsteins, der an der Stelle des Schädels liegt, ist die besondere Hal-tung der bestatteten Person sichtbar (Abb. 2o). Sie liegt einschließlich des Beckens auf dem Rücken. Lediglich die Beine sind nach Osten gehockt umge-klappt. Derartig Bestattete werden in der Literatur oft als »Rückenhocker« bezeichnet. Auffällig ist die Haltung der Arme. Diese sind oben beidsei-

tig eng am Oberkörper angelegt, die Unterarme jeweils stark eingebeugt, sodass die erhobenen Hände neben der Schulter liegen. Die anatomi-sche Ordnung der Fingerknochen ist nicht mehr gegeben. Diese Haltung erinnert an jene betender, eine Gottheit verehrender Menschen, sogenann-ter Adoranten, die auf frühneolithischen Gefäßen abstrahiert dargestellt worden sind. Auf Gräber-feldern dieser Zeit können ähnliche Skelettlagen gelegentlich beobachtet werden (Keefer 1993, 1o7 Abb. rechts; Nieszery 1995, 81).

Östlich neben dem linken Unterarm liegt mit der facettierten Seite nach oben und der Spitze nach Norden eine kantenretuschierte, sehr dicke Silexklinge. Wichtige Fundbeobachtungen sind auch im Bereich des entnommenen Schädels möglich. Der Hornzapfen ohne Spitze liegt östlich neben dem Hals, mit der Schädelbruchstelle nach oben. Die Halswirbel des Bestatteten befinden sich

Abb. 15 Salzmünde. Befund 15718. Blick von Westen. Das Grab im planum 3. An beiden

enden der außergewöhnlichen, langschmalen Grube befinden

sich Fundkonzentrationen in Form von Bruchsteinen. ein im

Nordbereich aufrecht stehender, größerer Stein weist in planums-höhe eine gut erkennbare Bruch-

stelle auf (roter pfeil).

Abb. 16 Salzmünde. Befund 15718. Blick von Osten. Das Grab im planum 4. im Süden

wird eine durch eine Schüttung mit Scherben und gebranntem Lehm belegte rampe sichtbar. im Norden befindet sich der in

Höhe des pflughorizontes abge-brochene stelenartige Stein.

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im Rumpfbereich noch im anatomischen Verband, die schädelnahen Wirbel, darunter der Atlas, sind jedoch aus dem Verband gerissen und nach Osten, quasi um den Hornzapfen herum, verlagert wor-den. Dieser Befund kann nicht anders gedeutet werden, als dass auch in diesem Grab der Schädel sekundär entnommen wurde. Der abgelöste, in deutlicher Entfernung liegende Unterkiefer und einzelne Zähne nördlich der rechten Hand, bei denen geprüft werden müsste, ob sie zu dem vor-handenen Unter- oder dem fehlenden Oberkiefer gehören, unterstreichen dies deutlich. Sie geben weiterhin einen Hinweis darauf, dass der Schädel bei der Entnahme bereits vollständig skelettiert gewesen sein muss. Auch kann die Grube zum Zeitpunkt der Entnahme noch nicht verfüllt gewe-sen sein, denn sonst hätte der Unterkiefer nicht o,6 m weit entfernt von dem Skelett auf der Gru-bensohle zu liegen kommen können. Dahingehend ist auch das Längsprofil zu deuten, das keine Ein-grabung bis in die Tiefe des Skelettes zeigt. Nicht zu beantworten ist die Frage, ob das Individuum an dieser Stelle niedergelegt und vor Ort, etwa in einer Holzkiste, skelettiert ist oder ob es in bereits skelettiertem Zustand dorthin umgebettet wurde.

Außer diesen Besonderheiten ist das Grab durch eine weitere auffällige Befundsituation ausgezeich-net. Der am Kopfende im Norden der Grube auf-

recht stehende Stein ist ein ehemals längliches eiszeitliches Geröll aus Granit. Während die Sei-ten und das untere Ende durch alte, eiszeitliche Oberflächen gebildet wurden, fällt das obere Ende durch seine »frische« Bruchfarbe und Oberflächen-beschaffenheit auf. Im Profil zieht sich seitlich eine obere, humose Grabgrubenverfüllung genau bis an die Bruchkante. Wahrscheinlich ist der Stein nachträglich, möglicherweise erst als das Land im Mittelalter oder der Neuzeit unter den Pflug genommen wurde, dort abgebrochen worden. Er brach wohl an einem bereits bestehenden Haarriss, wie eine Kalkversinterung an der Rissoberfläche nahelegt. Auch wenn der Stein relativ unregelmä-ßig ist, sprechen doch die genannten Argumente, sein mittiger Standpunkt an der steilen Gruben-schmalseite vor der Bestattung sowie seine Sin-gularität innerhalb des Befundes dafür, dass es sich um den unteren Teil einer einfachen, nicht weiter zugerichteten und wahrscheinlich nicht sehr langen Steinstele handelt. Das Verhältnis des Steines zum Gesamtbefund lässt sich außerdem noch näher beurteilen. Eindeutig weist der Stein im Norden eine deutlich erkennbare Grube inner-halb der Verfüllung der Grabanlage auf. Diese zieht sich von der Steinbasis schräg südlich nach oben. Der Stein muss nachträglich, nach der Zuschüttung des Grabes, errichtet worden sein, wobei die Lage

Planum 3 Planum 4 Planum 6

Silex

Muschel

Muschel

Muschel

Muschel

menschliche KnochenTierknochenKeramikMuscheln SilexHüttenlehm

Steine Befundfläche Planum 3Befundfläche Planum 4 bzw. 6Grabungsfläche

0 2 m

N

Abb. 17 Salzmünde. Die plana 3, 4 und 6 des Befundes 15718. im Norden der stelenartige Stein, im Süden die mit Keramik, gebranntem Lehm, Muscheln und Steinen ausgelegte rampe, in der Mitte, an der tiefsten Stelle, das Skelett eines Kindes in der ungewöhnlichen position eines sogenannten rücken-hockers mit erhobenen Armen.

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der Grabgrube zu diesem Zeitpunkt noch genau bekannt gewesen sein muss, denn die Position des Steines zur Grube kann unmöglich zufällig sein. Er ist demzufolge wahrscheinlich als nachträglich vorgenommene Grabmarkierung zu deuten oder als Ausdruck einer umfassenderen kultischen Bedeutung der Stätte.

Mit Befund 15718 wurde ein auf der Salzmün-der Fundstelle bislang einmaliger Befund unter-sucht. Angefangen bei der Größe und der Form der Grabgrube, über die besondere Haltung der bestat-teten Person und die nachträgliche Entnahme des Schädels bis hin zum Einsetzen eines stelenarti-gen Steines am Kopfende weicht die Bestattung

Abb. 18 Salzmünde. Der Gesamtbefund 15718 von Nor-den im vierten planum. Mittig

liegt das Skelett, dessen Schädel durch einen Mahlstein ersetzt

wurde, und dem man einen Sandstein auf die Brust gelegt hat. Auch hier ist der Schädel

nachträglich entnommen worden – ausweislich des dabei abgefal-

lenen unterkiefers bereits im skelettierten Zustand. Wurde der

stelenartige Stein im rahmen dieser entnahme ans Nordende des Grabes gesetzt? Größe und

Form der Grube, die Haltung des Verstorbenen und die Schä-

delentnahme unterscheiden die-sen Befund deutlich von den

anderen Gräbern der Salzmünder Kultur. Die weißlichen Tonstrei-

fen beiderseits des Skelettes weisen auf eine Bestattung in

einer Holzkiste hin.

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von anderen ab. Andere Merkmale verbinden sie dagegen mit den üblichen Salzmünder »Scher-bengräbern«: die Rolle der Keramikscherben, der (Sand-)Bruchsteine, des gebrannten Lehms und verschiedener Silexartefakte, die allesamt in einer Art Schüttung in das Grab gelangt sind. Auch Muscheln befinden sich gelegentlich in anderen Gräbern (vgl. Beitrag »Bestattungen am Rand …«). Dass der bestattete Körper nicht auf den anste-henden Kies gelegt wurde, sondern auf eine zuvor eingebrachte Schicht humosen Lehms, ist aus den anderen bereits vorgestellten Scherbengräbern der Salzmünder Kultur bekannt.

Eines Rätsels Lösung?

Obwohl der Befund in den erwähnten Merkmalen singulär ist, so gibt es möglicherweise eine Verbin-dung zu mindestens einem weiteren Befund, der südlich davon liegt. Es handelt sich um die Grube 15725 (Abb. 21). Sie befindet sich genau an der west-lichen Grabungsgrenze, sodass sie in zwei Hälf-ten untersucht werden musste. Später zeigte sich, dass sie eine weitere, wohl frühneolithische Grube schneidet. Die Grube ist im Planum unregelmäßig rundlich mit einem Durchmesser von 1,15 m. Im Profil ist sie unter dem durchgängigen Schwarz-erdehorizont noch o,3 m tief und besitzt eine nach Süden ansteigende Wannenform. Im Schwarzerde-horizont selbst kommen keine Funde vor. Vielmehr hat es den Anschein, dass dieser den Befund oben abschneidet. Auch der frühneolithische Befund wird eindeutig überlagert. Besonders deutlich wird die Schichtgrenze im Fall eines großen Fragmentes einer Opperschöner Kanne innerhalb des Befun-des 15725, das im Süden der Grube liegt und oben, in Höhe der überdeckenden Schicht, abgebrochen ist (Abb. 22). Außerdem befinden sich in der Grube

weitere Scherben, gebrannte Tierknochen sowie mehrere sehr feinkristalline Schleifsteinfragmente. Unter einer Schicht aus eingefülltem Brandlehm liegt abschließend eine ca. 7 cm starke fundlose Humusschicht.

Während die genannten Funde an eine der übli-chen Siedlungsgruben denken lassen, weisen zwei Bruchstücke eines dünnnackigen, geschliffenen Silexbeils, welches wohl durch Hitzeeinwirkung zerstört wurde (Abb. 22), auf eine Ablagerung in einem rituellen Kontext hin. Sehr ähnliche Beile liegen bereits aus den Altgrabungen in Brachwitz, Lkr. Saalekreis, und Salzmünde selbst vor (Grimm 1938, Taf. 12). Zumindest eines davon weist auch

Abb. 19 Salzmünde. Befund 15718. Muscheln in Fundlage. Die mittig durchlochten Muscheln stammen aus der Scherbenpackung auf der rampe im Süden des Befundes und sind eine zwar seltene, aber gängige Beigabe in Gräbern der Salzmün-der Kultur. ungewöhnlich ist die mittige Durchlochung. Wurden sie so aufgefädelt oder half sie bei der Öffnung der Muschel?

Abb. 20 Salzmünde. Befund 15718. Das individuum ohne Schädel, nach Abnahme der auf-liegenden Steine. Die Scherben liegen auf und unter den Kno-chen. Der Körper befindet sich auf einer Schicht eingebrachten humosen Lehms. Diese Art der Niederlegung ist typisch für Bestattungen der Salzmünder Kultur. einmalig im Bereich des erdwerks – und auch sonst sehr selten – ist die Bettung des indi-viduums mit erhobenen Armen, die an die sogenannten Adoran-ten in Anbetungshaltung erinnert.

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Zeichen einer Überhitzung auf (Grimm 1938, Taf. 12,3). Die regelhafte Brandzerstörung von Steingeräten ist bereits bei Grabbefunden aufgefal-len. Noch deutlicher wird die rituelle Komponente durch einen beschädigten menschlichen Schädel

ohne Unterkiefer, der in der Grube 15725 zutage trat. Eine Seite des Oberkiefers ist alt beschädigt.

Das Besondere an diesem Befund ist sein mög-licher Bezug zu dem eben vorgestellten außerge-wöhnlichen Grab 15718, aus dem der Schädel des bestatteten Individuums nachträglich entnommen wurde. Endgültigen Aufschluss darüber kann natürlich erst eine anthropologische Untersuchung bzw. eine DNA-Analyse erbringen. Zurzeit bleibt festzuhalten, dass beide Skelettreste offenbar von einem Individuum vergleichbaren Alters stammen und im Befund 15718 Unterkiefer und einzelne Zähne des Oberkiefers (?) verblieben sind; Teile, die an dem Schädel aus Befund 15725 tatsächlich feh-len. Die Verknüpfung beider Befunde scheint auch über die Keramik möglich zu sein. Zwar konnten in einer ersten Durchsicht keine Scherben festge-stellt werden, die zusammenpassen, jedoch scheint zumindest jeweils eine verzierte Scherbe aus der Verfüllung eines jeden Befundes vom selben Gefäß zu stammen. Sollte sich der Verdacht bestätigen, so läge mit der Befundgruppe 15718/15725 nicht nur ein außergewöhnlicher Grabbefund an sich vor, sondern zugleich die nahezu einzigartige Möglich-keit, einen komplexen rituellen Handlungsablauf in Ausschnitten erschließen und rekonstruieren zu können. Die einzelnen archäologisch sichtbaren Schritte wären:

1. Ausheben der langschmalen Grube2. Einfüllen von humosem Lehm3. Niederlegung der zu bestattenden Person (in einer Holzkiste) gleichzeitig, davor oder danach:4. Niederlegung der Scherben, Muscheln, Steine und des gebrannten Lehms

Abb. 21 Salzmünde. Befund 15725. Die Grube im Westprofil der Grabung bei Auffindung des Schädels. Gegenüberliegend ein

Kannenfragment und ein Mahl-stein. Da sich die Grube am

westlichen Grabungsende befin-det, musste sie in zwei Arbeits-

gängen untersucht werden.

Abb. 22 Salzmünde. Befund 15725. Das Fragment einer

Opperschöner Kanne mit »Anker-symbolen« und das zusammen-

gesetzte Silexbeil mit den auf eine Verwendung im rituellen

Kontext zurückzuführenden Hit-zespuren aus der Verfüllung der

Grube. unterhalb dieser befindet sich eine Schicht aus locker ein-gefülltem Brandlehm und darun-ter eine weitere, ca. 7 cm starke

fundlose Humusschicht.

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5. Beschwerung des Brustkorbes mit einer Sand- steinplatte6. Existenz der Grube (abgedeckt?) in nicht ver- fülltem Zustand bis zur völligen Skelettierung7. Entnahme des Schädels

8. Einsetzen eines Mahlsteines an der Stelle des Schädels9. Verfüllung der Grube1o. Setzen des stelenartigen Steines

15722

15764

15723

15724

15718

15717

15720

15719

15721

15765

15709

15725

15763

M

MM

MGM

0 2 m

menschl. KnochenTierknochenKeramikSilexHüttenlehm

Steine Befundfläche Planum 3Befundfläche Planum 4Grabungsfläche

N

Abb. 23 Salzmünde. Situation im umfeld des Befundkomplexes 15718–15725. Die Fundkonzentration am Anfang der rampe südlich des »Adorantengrabes« (Bef. 15718) innerhalb der Schwarzerde mit den umliegenden Befunden. Links die Grube mit Schädelbestattung (Bef. 15725). Durch dieses ensemble besteht die Möglichkeit, das komplexe Bestattungsritual der Salzmünder Kultur zu entschlüsseln.

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Abb. 24 Salzmünde. Befund 15720. Die einzige vollständig erhaltene Opperschöner Kanne weist dieselbe Kombination von »Ankersymbolen«, Zickzacklinien und ver-tikalen rillen auf wie weitere Kannen der gesamten Befundgruppe. M. 1:3.

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11. Niederlegung des Schädels in der südlich gele-genen Grube, wahrscheinlich nach rituellen Handlungen

Darüber hinaus gibt es auch Argumente dafür, dass ein neben diesen beiden Befunden liegender Befundkomplex, der mit der Bestattung 15764 zu verbinden ist, ebenfalls mit diesen beiden Befun-den in Zusammenhang steht (Abb. 23), worauf im Folgenden eingegangen werden soll.

Eine Bestattung – mehrere Gruben

Auf eine Verbindung der beiden vorgestellten Bestattungsbefunde mit anderen Gruben deutet nicht nur der räumliche Bezug hin, sondern auch das Vorkommen weiterer Opperschöner Kannen in der in Befund 15725 zusammen mit dem Schädel gefundenen Ausführung, mit eben dieser stan-dardisiert wirkenden Verzierung. Obwohl sich die Kannen in ihren Größen und dem Brand vonein-ander unterscheiden, deutet die sehr spezielle Verzierung – aus großen Ritzlinienbündeln und jeweils vier Zwischenfeldern mit den »Anker-symbolen« am Halsansatz und darunter je einer doppelten horizontalen Zickzacklinie – auf eine Zusammengehörigkeit hin; hinzu kommen Ritz-linienbündel am Rand und auf dem Umbruch. Neben einem vollständigen Exemplar einer sol-

chen Kanne aus Befund 1572o (Abb. 24) können mindestens zwei weitere aus den anzuschließen-den Befunden 15722 und 15764/65, sämtlich der Befundgruppe um die Bestattung 15764 zugehörig, rekonstruiert werden. Aus der Salzmünder Kultur ist bisher lediglich eine Kanne bekannt, die eine ebensolche Muster- und Symbolkombination trägt (Grimm 1938, Taf. V,4). Ihr Fundort ist unbekannt, die Herkunft aus Salzmünde nicht ausgeschlossen.

Die mindestens vier gleich verzierten Kannen stammen aus mehreren nahe beieinander liegen-den Gruben. Sie liegen zwar alle sehr hoch, mit ihren oberen Fundlagen bereits innerhalb der nur dünn aufliegenden Schwarzerde (Abb. 25), doch sind sie noch gut erhalten. Der Grund für diesen archäologischen Glücksfall ist in dem dicht unter der Schwarzerde oberflächennah anstehenden Kies zu suchen. Dessen Einpflügung sollte ver-mieden werden, indem der Pflug immer nur sehr flach darüber geführt wurde.

Einige der später abgrenzbaren Befunde (15719, 15721, 15723, 15724) reichen nicht bis in den anste-henden Boden (Abb. 23; 25). Es handelte sich wohl um flache Mulden innerhalb des auch mit Rös-sener und Schnurkeramik durchsetzten Bodens, in denen die Salzmünder Gefäßfragmente depo-niert wurden. Befund 15719 enthält vor allem die Scherben einer größeren Trichterrandschale mit

Abb. 25 Salzmünde. Befund-komplex 15719–15725. Die Fundkonzentration im planum 2 vor der nur 0,25 m höher liegen-den Ackeroberfläche. Blick nach Westen. Da oberflächennah Kies ansteht, wurde der Boden nur sehr flach bearbeitet, um eine einpflügung des Kieses zu ver-meiden: ein Glücksfall für die Archäologie, denn somit haben sich hier auch die nur flach in den Boden eingetieften Befunde erhalten.

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Knubben auf dem Umbruch. Das Gefäß ist bereits vor der Ablagerung zerscherbt gewesen. Die Kera-mik selbst und die Art der Niederlegung sprechen dafür, dass es dem Bestattungskomplex (wohl Bef. 15764) zuzurechnen und daher kein üblicher Sied-lungsabfall ist.

Bei drei Befunden handelt es sich um Gruben, die unter die Schwarzerde reichen (Abb. 26). Als zentraler Befund ist eine achtförmige Scherbenpa-ckung anzusehen, deren zwei Bereiche sich später

als eine Grube mit Bestattung (Bef. 15764) und eine zugehörige Scherbengrube (Bef. 15765) erweisen sollten (Abb. 23; 26).

Die Grube mit Bestattung hat eine rechteckige, abgerundete Form in Südsüdost-Nordnordwest-Ausrichtung. Die westliche ist eher oval. Beide Befunde sind mit Scherben und etwas gebrann-tem Lehm angefüllt. Die Scherben liegen, teils mehrlagig gestaffelt, zumeist horizontal bis schräg zur Grubenmitte hin gekippt. Aufrecht stehende

Abb. 26 Salzmünde. Die vier Hauptbefunde um die Bestat-

tung 15764 im planum 3. Blick nach Osten, im Vordergrund

Befund 15720 und die pfosten-grube 15709. Die Keramik und

die Art der Niederlegung spre-chen dafür, dass die Gruben

einem einzigen Bestattungskom-plex zuzurechnen sind.

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Scherben befinden sich vorrangig an den Gruben-wänden. Besonders auffällig ist ein großes Bruch-stück eines zweihenkligen doppelkonischen Top-fes (»Schüssel«?) mit Knubben auf der Schulter, das die Scherbengrube vom Grab trennt (Abb. 27). Neben den üblichen Scherben großer Amphoren kommen auch Bruchstücke einer Trommel in beiden Befunden vor. Diese trägt u. a. ein Symbol, welches von einem rechteckigen Gitterfeld gebildet wird, das oben einseitig durch eine Zickzacklinie abgeschlossen ist. Die seitlichen Begrenzungsstri-che sind bewusst nach unten verlängert (Abb. 28).

Die Bestattungsgrube ist tiefer als das Scherben-depot. Nach dem Abbau mehrerer Scherbenlagen, die die Bestattung ebenfalls vollständig umgeben, liegt das Skelett frei auf einem durchgängigen einlagigen Scherbenpflaster (Abb. 29). Dieses ruht auf einer dünnen, humosen Lehmschicht, die wahrscheinlich als Tragschicht auf den recht groben anstehenden Kies aufgebracht wurde, um die Unebenheiten der Grubensohle auszugleichen.

Die bestattete Person liegt in Hockhaltung auf der rechten Körperseite mit dem Schädel im Süden und dem Blick nach Osten. Die gebeugten Arme befinden sich eng beieinander ruhend dicht am Oberkörper. Die rechte Hand liegt halb geschlos-sen vor dem Mund, die linke vor dem Hals. Die Beine sind mäßig gehockt. Auffällig sind einige stark verbrannte Knochengeräte. Ein langer, abge-

brochener Meißel (Abb. 3o) liegt am linken Ober-schenkelhals. Ein zugehöriges Bruchstück wurde zuvor über der Scherbenpackung gefunden. Auf dem linken Ellenbogen liegt ein weiteres stark verbranntes und zerbrochenes Knochengerät. In situ ist eine Durchlochung am nördlich gelegenen Ende erkennbar. Unter den verbrannten Tierkno-

Abb. 27 Salzmünde. Die Bestat-tungsgrube 15764 (links) mit anhängender Scherbengrube 15765. ein aufrecht stehendes Gefäßfragment trennt die anein-anderstoßenden Verfüllungen beider Gruben.

Abb. 28 Die Trommel von rös-sen, Lkr. Saalekreis, vereint die Symbolik von Gefäßen des Gru-benkomplexes. Sie trägt am Oberteil sehr ähn liche, im Kon-text wohl gleichbedeutende Sym-bole wie jene, die auf den Trom-melfragmenten in den Befunden 15764 und 15765 gefunden wurden. Am Fuß hat sie »Anker-symbole«, wie sie auf mehreren Kannen angebracht sind.

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chen aus dem Grab fand man später noch einen durchlochten Tierzahn (Abb. 31).

Direkt südlich des vorgestellten Befundkom-plexes liegt eine weitere Grube (Abb. 32), die sich über Scherbenzusammenpassungen als zugehörig und gleichzeitig zu erkennen gibt. Bei der Scher-bengrube Befund 15722 handelt es sich um eine 1,55 m x o,85 m große, ovale Grube in genauer Ost-West-Ausrichtung. Sie besteht aus einer unteren humosen Lehmeinfüllung, auf der im Westteil der Grube eine kompakte Einfüllung aus gebranntem Lehm liegt. Überdeckt wird das Ganze von einer dünnen Scherbenpackung. Nach oben hin wurde die Grube später mit humosem Lehm verschlossen. Auffällig ist vor allem die untere, fast fundlose Lehmlage. Ihre Oberfläche weist im Grubenzent-rum einen rundlichen schwarzen Fleck auf, in dem große Stücke gebrannten Lehms liegen – u. a. ein flächiges Stück mit dünnen Flechtwerkabdrücken. Die Schwarzfärbung rührt eindeutig von einem Brand her. Nicht zu entscheiden ist, ob dieser in der Grube stattgefunden hat. Die fehlenden oran-gefarbenen oder rötlichen Verziegelungsspuren des eingefüllten Lehms der Grubensohle sprechen eher für eine Einfüllung der Brandreste, mögli-cherweise in noch heißem Zustand, sodass die Schwarzfärbung eine Folge des reduzierenden

Milieus sein könnte. Die orangefarbenen Brand-lehmstücke sind mit Sicherheit eingefüllt worden.

Den drei vorgestellten Befunden, die über Scherbenzusammenpassungen eindeutig mitein-ander in Verbindung zu bringen sind, kann mit Fundkonzentration Befund 1572o wahrscheinlich ein weiterer hinzugestellt werden. Die eindeutige Zuordnung kann nur über einen detaillierten Scherbenvergleich erfolgen. Der Befund liegt westlich der genannten Gruben. Im Gegensatz zu diesen wurde dort keine kompakt gefüllte, tief reichende Grube ergraben, sondern eine relativ flä-chige, nicht unter das Schwarzerdeniveau hinaus-reichende Konzentration von Funden, die wohl eher in einer Art Mulde niedergelegt wurde (Abb. 33). In den oberen Bereichen ist der Befund bereits durch auffällig viele Sandbruchsteine, darunter eindeutige Mahlsteinbruchstücke, gekennzeich-net. Weiterhin kommen neben Tierknochen auch Feuersteinklingen vor. Die genauen Ausmaße des Befundes können nicht festgestellt werden, da einige Steine im Nordwesten eindeutig vom Pflug verzogen sind. Die Mindestausdehnung innerhalb der Schwarzerde beträgt ca. 1,3 m. Später zeigte sich, dass einige der Steine im Nordwesten genau mittig innerhalb eines pfostengrubenartigen Befundes liegen, der darunter zum Vorschein kam

Abb. 29 Salzmünde. Befund 15764. Bestattung in Hockhal-

tung. Das Skelett liegt auf einem durchgängigen Scherbenpflaster.

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(Bef. 157o9). Sie sind daher wohl erst nach dem Zie-hen des Pfostens in die Grube gelegt wurden. Das zeitliche Verhältnis des Pfostens zu den Bestat-tungsbefunden ist nicht gesichert, jedoch ist die Benutzung gleichartiger Steine und das Vorkom-men gleicher Fundobjekte bestimmt nicht zufäl-lig. In mittlerer Tiefe liegt innerhalb der Mulde ein vollständiges Exemplar der oben genannten Kannen mit »Ankersymbolen« (Abb. 24; 34). Es ist auffällig dünnwandig und gut gearbeitet. Einige Stellen lassen noch eine dunkelgrau-schwarze Politur erkennen, die einen Hinweis auf das ehe-malige Aussehen vieler, heute nicht mehr sonder-lich ansehnlich wirkender Gefäßoberflächen gibt. Außerdem liegen in dem Befund ein durchlochter Hundezahn und eine angekohlte Spitze eines wei-teren großen, deutlich breiteren Knochenmeißels (Abb. 35).

Mehrere Gruben – ein Ritual?

Es ergibt sich folglich eine Reihe von Indizien, die für die Zusammengehörigkeit der vorgestellten Befunde spricht – eine für die Gesamtanspra-che wichtige Aussage! Alle Befunde sind mit einem humosen Lehm verfüllt, der verschieden stark mit sehr kleinen und größeren gebrannten Lehm klümpchen durchsetzt ist. Vereinzelt, aber regelhaft sind in diesem Lehm meist kleine, stark gebrannte Tierknochenfragmente verteilt. In allen

Befunden kommen als weitere gleiche Objekt-gruppen Bruchsteine und Scherben, vor allem von Amphoren, vor. Insgesamt sind es etwa 6 ooo Keramikfragmente. Hinzu kommen die gleicharti-gen Kannen. Die inhaltliche Zusammengehörigkeit der »Ankersymbole« – auch mit dem rätselhaften Symbol, das auf den Trommelfragmenten aus den Befunden 15764 und 15765 vorliegt, – wird durch ihr gemeinsames Auftreten an der bekannten Trommel von Rössen, Lkr. Saalekreis (Abb. 28), deutlich. Diese Symbole tragen keinen ornamen-talen Charakter, sondern sind Bestandteile eines neolithischen Notationssystems, das besonders für die Salzmünder Kultur charakteristisch ist.

Abb. 30 Salzmünde. Befund 15764. Auffällige Beigaben der Bestattung sind verbrannte Werkzeuge wie der zusammen-gesetzte, 18 cm lange Knochen-meißel und das Bruchstück eines durchlochten Knochengerätes unbekannter Funktion, einer sogenannten Flachshechel.

Abb. 31 Salzmünde. Befund 15764. unter den zahlreichen verbrannten Tierknochen in die-ser Bestattungsgrube befindet sich auch dieser 1,2 cm lange durchlochte Hundezahn.

Abb. 32 Salzmünde. Befund 15722. Scherbengrube. Südlich des Befundkomplexes ist diese Grube gelegen, die unten mit Brandschutt und darüber mit einer kompakten einfüllung aus gebranntem Lehm und als Abschluss mit einer Scherben-lage verfüllt ist. Die Brandlehm-schicht wurde vermutlich im noch heißen Zustand in die Grube gefüllt. Scherbenanpas-sungen belegen einen Zusam-menhang mit der Bestattung 15764.

30 31

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Innerhalb dieses Systems dürften die gleichen Kombinationen an verschiedenen Gefäßen auch die gleichen Bedeutungen besessen haben. Letzt-lich ist noch der räumliche Bezug der Gruben zuein ander anzuführen. Somit ergibt sich die hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Anlage aller Befunde in Verbindung mit der Bestattung in Grube 15764 steht. Hinzuzufügen sind wahrscheinlich auch die zwei Pfostengruben, die diese Befundgruppe im Westnordwesten und Ostsüdosten offensichtlich abschließen. Eine gedachte Achse durch beide ver-läuft zentral durch die Befundgruppe. Die Befunde zusammengenommen ergibt sich ein ähnliches Bild wie jenes in den separat liegenden großen Scherbenpackungsgräbern gewonnene (s. o. Bef. 15613). Nur sind in diesem Fall die Einzelkompo-nenten nicht in einer Grube niedergelegt worden, sondern auf mehrere verteilt (Abb. 36). Die Grube mit der unteren Lehmeinfüllung mit Brandspuren (Bef. 15622) entspräche der unteren Einfüllung in Befund 15613. Die zugehörige Bestattung liegt in Grab 15764. Eine kompakte Lage aus gebranntem

Lehm mit Flechtwerkabdrücken wurde wieder in Grube 15622 abgelegt. Die in Befund 15613 darüber liegende Brandlehm-, Bruchstein- und Scherben-einfüllung findet in der oberen Verfüllung aller zugehörenden Gruben ihre Entsprechung. In die-sem Zusammenhang gewinnt der in Scherbenpa-ckungsgräbern sehr seltene Fund der vollständi-gen Kanne an Gewicht (vgl. Bef. 157o2). In diesen (vgl. Bef. 157o2) sowie in den »regulären« Gräbern sind es regelhaft Kannen, die als ganze Gefäße beigegeben wurden. Somit könnte die vollständige Kanne aus Befund 1572o die Gefäßbeigabe für die Bestattung 15764 darstellen.

Abschließend zu diesem Befundkomplex aus dem »Adorantengrab«, der Grube mit dem Schädel und den letztgenannten Befunden stellt sich die Frage, ob die festgestellte Klammer (»Ankerkan-nen« und der räumliche Bezug) auf einen gleicharti-gen chronologischen, rituellen oder soziologischen Hintergrund – bei verschiedenen Niederlegun-gen – schließen lässt oder auf eine direkte Verbin-dung aller erwähnten Befunde miteinander. Das heißt, dass die Bestattung 15764 also in irgend-einer Weise eng mit der »Adorantenbestattung« Befund 15718 verbunden sein muss. Sollte dies so sein (eine Untersuchung möglicher Scherben-zusammenpassungen zwischen den Befunden könnte hier unter Umständen Klarheit schaffen), so sind zwei Modelle annehmbar. Erstens, dass die Bestattung 15764 und damit alle Kannen mit Ankersymbolik zum Zeitpunkt der sekundären Schädelniederlegung in den Boden gekommen sind. Die Bestattung 15764 und die zugehörigen »Scherbengruben« als Endpunkt komplexer Ritu-ale wären also auch am Ende des oben skizzier-ten Handlungsstrangs (Nr. 11) anzusetzen. Oder zweitens, dass die Primärbestattungen gleichzeitig in den Boden kamen und das Kannenfragment später zusammen mit dem Schädel umgebettet wurde. Bestattung 15764 und die zugehörigen Scherbengruben stünden damit neben dem »Adoranten« am Anfang des Handlungsstrangs (Nr. 1–4). Dass es sich bei diesem Befund um

Abb. 34 Salzmünde. Befund 15720. Das gut erhaltene exem-plar einer Opperschöner »Anker-

kanne« weist teilweise noch eine glatte politur auf. Derartig ver-

zierte vollständige Kannen sind sonst nur in Gräbern anzutreffen.

Abb. 33 Salzmünde. Befund 15720. Die mit Scherben und

anderen Objekten, darunter einer »Ankerkanne« verfüllte Mulde

innerhalb der Schwarzerde. Auch die Verfüllung dieser Grube

gehört zu dem umfänglichen inventar, dass bei den sehr kom-

plexen Bestattungsritualen Verwendung fand.

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keinen außergewöhnlichen Einzelfall handelt, sondern wahrscheinlich um ein viel häufigeres Phänomen, darauf deuten auch die als zusammen-gehörig erkannten Bestattungsbefunde 15814 und 15925 in Schnitt 18 hin (s. Beitrag »›Klassische‹ Scherbenpackungsgräber …«). Ähnliches kann an den ebenfalls der Salzmünder Kultur zugehöri-gen Gräbern vom »Heidenberg« bei Schortewitz, Lkr. Anhalt-Bitterfeld, beobachtet werden (Schiefer 2oo2). Dort konnte der Befund wegen der schlech-ten Überlieferungsumstände des Fundmaterials nicht ganz gesichert werden. Die Interpretation der beobachteten Fundverteilung dort gewinnt nun aber durch die Salzmünder Befunde an Wahrscheinlichkeit. Dass das vorgefundene Bild ein Spiegel vielschichtiger und zeitlich versetzter Handlungen sein dürfte, zeigen vergleichbar kom-plexe Befunde auf dem Gräberfeld von Pevestorf, Lkr. Lüchow-Dannenberg (Meyer 1993).

Poltern und Hausbrand

Die vorgestellten Gräber und zugehörigen Befunde lassen, mit Ausnahme des »Adorantengrabes«, trotz ihrer Unterschiedlichkeit in Detail und Außendar-stellung doch Gemeinsamkeiten erkennen, die auf jeweils ähnliche geistige Hintergründe und kul-tische Handlungen hindeuten. Bereits früh sind die Scherbenpackungen in Salzmünder Gräbern aufgefallen. Dass es sich bei diesen Funden nicht um zufällig entstandenen Siedlungsabfall handeln kann, davon zeugen die umfangreichen Gefäßsets, die sich zuweilen daraus zusammensetzen lassen (vgl. Beitrag »›Klassische‹ Scherbenpackungsgrä-ber …«, Bef. 6289). Das »Scherbenmachen« im Rahmen von Bestattungszeremonien war bereits häufig Gegenstand von Betrachtungen und ist ver-schiedenen Zeiten und Kulturen, wie im Beson-deren der jungbronzezeitlichen Lausitzer Kultur, eigen. Zumindest im Endstadium, bei Einbringung in die Grube, sind die Gefäße bzw. deren Frag-mente nicht mehr als Beigaben in der Funktion eines Behältnisses zu werten. Ob sie zuvor etwa Speisen, im Falle der großen Amphoren Vorräte, enthielten, die innerhalb des Bestattungsrituals eine Rolle – im Sinne einer Wegzehrung oder Ähn-lichem – gespielt hatten oder ob diese Gefäße auch zerscherbt und meist pars pro toto als Beigabe des Hausrates aufgefasst werden können, bleibt noch im Dunkeln. Letzteres ist aber wahrscheinlicher.

Eine genauere Betrachtung verlangen jedoch die weiteren regelhaften Merkmale und Fundkom-binationen innerhalb der »Scherbenpackungsgrä-ber«, die nun durch die neuen Ausgrabungen viel deutlicher werden. Bereits mehrfach ist auf den Zustand der Geräte hingewiesen worden, die in den Gräbern als »Beigaben« liegen. Vor allem die Steingeräte sind meist unbrauchbar und alt frag-mentiert. An den Feuersteingeräten – sowohl den geschliffenen Beilen als auch den kleineren Gerä-

ten – ist aufgrund der milchigen Farbe, der Krake-lierung und der muscheligen Ausbrüche deutlich eine Feuereinwirkung festzustellen (Abb. 8; 22; vgl. auch Beitrag »›Klassische‹ Scherbenpackungsgrä-ber …«, Abb. 16). In einigen Fällen ist diese auch an den Geräten aus Felsgestein zu beobachten (Abb. 5; vgl. auch Beitrag »›Klassische‹ Scherben-packungsgräber …«, Abb. 26). In anderen kann sie nicht ausgeschlossen werden, denn dieses Aus-gangsmaterial ist schwieriger zu beurteilen. Auch die Knochengeräte zeigen oft Verbrennungsspuren, die zu ihrer Zerstörung geführt haben (Abb. 3o; 35). Diese »Behandlung« der Geräte geht einher mit anderen Beobachtungen zu den beigegebenen Objekten. So zeugt der gebrannte Lehm, im Befund 15925 besonders hart gebrannt vorkommend und daher mit außergewöhnlich gut erkennbaren Rundholz- und Flechtwerkabdrücken (vgl. Bei-trag »›Klassische‹ Scherbenpackungsgräber …«, Abb. 28–29), bereits von sich aus von einem großen Brandereignis. Hinzu kommen die vielen kleinen bis mittelgroßen, weißlich grau über bläulich bis hin zu schwarz aussehenden Tierknochenbruch-stücke, die häufig zwischen den Lehmklumpen liegen. Sie deuten ebenfalls auf eine ungewöhn-liche Feuereinwirkung hin, wie sie üblicherweise nicht beim Kochen und Braten auftritt. Bemer-kenswerterweise kommen ähnlich verbrannte Tierknochen auch in annähernd zeitgleichen Kollektivgräbern (z. B. Busch u. a. 1997, 96; 148) und auch der großen Umbettung im Salzmün-der Erdwerksgraben (vgl. Beitrag »Die ›große Umbettung‹ …«, Arch. Sachsen-Anhalt, Sonderbd. in Vorb.) vor! Letztendlich deuten auch die gele-gentlich nachweisbaren Brandschuttschichten auf den Grubensohlen auf ein Brandereignis hin. Früher an anderen Fundplätzen untersuchte, nur

1

2

Abb. 35 Salzmünde. Befund 15720. Die verbrannte Meißel-schneide (1) und der durchlochte Hundezahn (2) sind mit den Fun-den aus der zum selben ritual gehörigen Grube Befund 15764 gut vergleichbar (vgl. Abb. 30–31).

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schlecht dokumentierte Bestattungsgruben lassen sich hier anschließen (Grimm 1938, 27; Fischer 1956, 63–65). Die regelhafte Mitgabe von gebrann-tem Lehm findet sowohl in anderen Zeiten, z. B. in der älteren Baalberger Kultur (vgl. Bahn 1989), als auch gleichzeitig, jedoch recht weit entfernt, in völlig »salzmündisch« geprägten Fundkomplexen Böhmens (Lička/Lutovský 2oo6, 87) Entsprechun-gen. Auch in Gräbern aus der Zeit der Bernburger Kultur können in Pevestorf, Lkr. Lüchow-Dan-nenberg, Brandreste nachgewiesen werden. Sie gaben erstmals einen Hinweis auf komplexe Ritu-ale im Rahmen der Bestattungsvorgänge (Meyer 1993, 26–27). Die Befunde dort zeigen, trotz vieler Unterschiede, auffallende Übereinstimmungen. So treten in den Gräbern Holzkohle und »Branderde« auf (Meyer 1993, 15). Sogenannte »Sekundärgru-ben«, angelegt nach den Bestattungen, enthalten zerschlagene Gefäße und andere Objekte, einge-bettet in Branderde (Meyer 1993, 17). Hitzezer-störte Feuersteinklingen kommen innerhalb von Brandbestattungen vor (Meyer 1993, 19). Zu sol-chen »Sekundärgruben« könnten die einzelnen flachen Gruben zwischen den als zusammengehö-rig ausgewiesenen Gruben gehören (Abb. 23). Der oben erwähnte Befund 15719 mit den Scherben einer größeren Trichterrandschale könnte später, aber im bewussten Bezug auf die anderen Gruben, entstanden sein.

Die für Salzmünde genannten Merkmale las-sen auf ein oder mehrere Feuer schließen, die im Rahmen der Rituale vor der endgültigen Erdbe-stattung unterhalten wurden. Diese haben nicht in der Bestattungsgrube gebrannt, auch wenn dort in einigen Fällen ebenfalls kleinere Feuer vor der Niederlegung der Toten nachgewiesen werden können. Solche kleineren Feuer wurden auch für Pevestorf rekonstruiert: »Offenbar wurden im Rahmen dieser Bestattungszeremonien Feuer angelegt und – nach dem Abbrennen – deren Reste zumindest teilweise einigen Toten mit in das Grab gestreut« (Meyer 1993, 15). Der gebrannte Lehm aus den Salzmünder Befunden muss jedoch von massiven Wänden stammen. An keiner Stelle ergeben sich Hinweise darauf, dass es sich um Teile von Lehmkuppeln, etwa von Öfen, handelt. Vielmehr sind gelegentlich ganz deutlich neben den Flechtwerkabdrücken (Abb. 37) auch dicke Pfosten und glatte Hölzer wie Bretter oder Balken erkennbar (vgl. Beitrag »›Klassische‹ Scherben-packungsgräber …«, Abb. 28b). Es ist also davon auszugehen, dass der gebrannte Lehm von echten Hauswänden oder ebenso gebauten Konstruktio-nen stammt. Wieso ist er derart regelmäßig in die Gräber gelangt? Kann davon ausgegangen werden, dass immer abgebrannte Wände oder Häuser in der Nähe standen? Mit großer Wahrscheinlich-keit wohl nicht. Konsequenterweise muss daher in Betracht gezogen werden, dass die Wände oder Häuser absichtlich niedergebrannt wurden. In sol-

chen Feuern können auch die anderen »Beigaben«, die Waffen, Geräte, Tierknochen und Gefäße, die starken Brandspuren erhalten haben. So wurde auch für die Gefäßreste der großen Mehrfach-bestattung Befund 6528 (vgl. Beitrag »Brandun-glück oder Totenritual? …«) nachgewiesen, dass nur ungewöhnlich hohe Temperaturen ihre Ver-formungen bewirkt haben können. Solche Hitze entstand damals fast nur bei Hausbränden, nicht jedoch innerhalb eines Feldbrandes für Keramik. Töpferöfen wurden in dieser Zeit offensichtlich noch nicht benutzt. Somit ist anzunehmen, dass dieser Befund kein zufälliger ist. Es ist jedoch zu betonen, dass nicht in allen Bestattungsbefunden sekundär gebrannte Keramik vorkommt.

Mit den Brandresten und unterschiedlich stark verbrannten Gegenständen wurden dann die Bestattungsgruben verfüllt – möglicherweise nach dem Verstreichen einer gewissen Zeit. Auch dabei gab es offensichtlich Konventionen, wie ein Blick auf ausgewählte Befunde verdeutlicht (Abb. 36). Hinter dem auf uns gekommenen, zunächst regel-los anmutenden Endzustand scheinen sich gut vergleichbare Handlungen zu verbergen. Offen-sichtlich stehen dahinter festgelegte, ritualisierte, nahezu liturgisch anmutende Handlungen. Gerade die gute Vergleichbarkeit des Grubenkomplexes um die Bestattung 15764, die sich ergibt, wenn alle vermutlich zugehörigen Gruben als Gesamtheit miteinbezogen werden, verdeutlicht dies. Gleich-zeitig zeigt dieser exemplarische Befund, dass die Reste eines einzigen Rituals bzw. die Hinter-lassenschaften eines auf eine Person bezogenen Bestattungsvorgangs mit all seinen Tätigkeiten im Umfeld letztlich nicht zwingend in eine ein-zige Grube gekommen sein müssen. Es können mehrere Gruben gewesen sein, die sich nur unter bestimmten Voraussetzungen (Scherbenzusam-menpassungen) als zusammengehörig erkennen lassen. Bei der Diskussion dieser Möglichkeit fällt

Abb. 37 Salzmünde. eines der vielen Stücke gebrannten Lehms mit Abdrücken von Flechtwerk. Zur Veranschaulichung sind hier entsprechend starke natürliche rundhölzer in die Negative gelegt worden. Daneben ist die Verwendung von Bauholz mit dicken pfosten und Brettern bezeugt. es wird deutlich, dass innerhalb der Bestattungszere-monien Wandfragmente als Teile des Hauses in verbrannter Form – wie eine Beigabe – mit ins Grab gelangten.

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der Blick auf einige der ohne Bestattung aufgefun-denen, also profan erscheinenden Siedlungsgru-ben, die aber ein etwas ausgefallenes Fundinventar mit vielen Geräten aufweisen (vgl. Beitrag »Salz-münder Gruben«). Oder aber die in eine einzige Grube gefüllten Objekte waren pars pro toto als ausreichend erachtet worden.

Die vorgestellten Beobachtungen zusammenge-fasst, muss davon ausgegangen werden, dass im Rahmen der (Erd-)Bestattungsrituale in einigen Fäl-len auch Gebäude oder eigens geschaffene Flecht-werk-Lehm-Konstruktionen, die möglicherweise »private« Räume symbolisierten, abgebrannt wur-den, wahrscheinlich mitsamt dem zugehörigen »Hausrat«, der dem Individuum im Leben zuge-ordnet war oder für die Bestattung zusammenge-stellt wurde. Die durch Hitze zerstörten Waffen und Geräte in den Keramikpackungen über den Toten deuten darauf hin, dass sie keine Zeugnisse eines viel späteren Ahnenkultes sein dürften, wie für Pevestorf angenommen wird (Meyer 1993, 27).

Als wahrscheinlich persönlicher Besitz des toten Individuums zeigen sie einen direkten Bezug zu seiner Beerdigung an. Es muss zunächst offen-bleiben, ob in den erkennbaren Fällen die Holz-Lehm-Konstruktionen (echte oder symbolisierte Häuser) auch konsequent als »Beigabe« zu werten sind – ihre Überreste wurden immerhin in gleicher Art und Weise wie die Scherben und Geräte in die Gräber gefüllt – oder ob der Zerstörungsvorgang, das Auslöschen des »Hauses« und des persönlich gebundenen Inventars, die eigentliche Intension war. Damit verbunden ist die Frage danach, bei welchen Personen diese sehr umfangreichen und Ressourcen zerstörenden Handlungen durchge-führt wurden. Möglicherweise können hier anthro-pologische Untersuchungen Hinweise liefern. Dass es auch Personen gab, denen ein solches Ritual nicht zugestanden wurde, darauf weisen die beiga-benarmen Gräber in den unattraktiven Randzonen des Erdwerksplateaus eindrücklich hin (vgl. Beitrag »Bestattungen am Rand …«).

A b b i l d u n g S n A c h w e i S 1 I. Müller, LDA 2 H. Arnold, LDA 3 T. Schunke, LDA 4–5 H. Arnold, LDA 6–7 T. Schunke, LDA 8–9 H. Arnold, LDA 1o H. Arnold (1–4.8), LDA,

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11 H. Arnold, LDA 12–16 T. Schunke, LDA 17 I. Müller, LDA 18 H. Arnold, LDA 19–21 T. Schunke, LDA 22 H. Arnold, LDA 23 I. Müller, LDA 25–27 H. Arnold, LDA

28 Behrens 1973, 86 Abb. 31u 29–31 H. Arnold, LDA 32–33 T. Schunke, LDA 34–35 H. Arnold, LDA 36 T. Schunke, LDA 37 H. Arnold, LDA