Vom Urwald zum Maisfeld - Landschaftsgeschichte am Bodensee/Untersee

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Transcript of Vom Urwald zum Maisfeld - Landschaftsgeschichte am Bodensee/Untersee

Inhaltsverzeichnis

Werner Konoid

Aspekte der Kulturlandschaftsentwicklung im westlichen Bodenseegebiet

Manfred Rösch

Vom Urwald zum Maisfeld - Landschaftsgeschichte am Bodensee/Untersee

Rüdiger Specht

,Untersee life': Natur- und Landschaftsschutz am Untersee

Birgit S. Neuer

Insel Reichenau- Historische Strukturen im heutigen Landschaftsbild

Volker Steffens

Weltkulturerbe Klosterinsel Reichenau-Chance und Verpflichtung

I/se Friedrich

Anmerkungen zum Weltkulturerbe

Christian Essmann

Möglichkeiten für eine Iandschafts- und dorfverträgliche Siedlungsentwicklung am Beispiel des Flächennutzungsplans Höri

Heinrich Gloor -

Sind wir auf dem richtigen Dampfer? Stadt Steckborn, Ortsbildschutz und Ortsbildpflege

Christiane Kendel

,...achverdichtung der ufernahen Dörfer am Bodensee

Heinz Morlock

tlachverdichtung und Dorferhaltung am Beispiel Bettnang, Gemeinde Moos

Anne Overlack

Bauen und Bewahren auf der Höri

Erik Roth

J:'.esamtanlage Öhningen- Denkmalpflege und kommunale Planung

Hansjörg Brem

Die Römer am Wasser- der kaiserzeitliche ,vicus' von Eschenz-Tasgetium

9

21

35

41

47

49

51

57

69

73

79

87

91

Helmut Sch/ichtherle

Archäologische Kulturdenkmale in der Uferzone des Untersees

Petra Wichmann

Die Künstlerhäuser in der Landschaft des Untersees

Alfons Raimann

Schlösserlandschaft Untersee zwischen Berlingen und Ermatingen

Gottfried Hage, Kari-Heinz Hoffmann-Bohner

Schutz durch Dokumentation - Projekt eines denkmal- und kulturlandschaftstopographischen Dokumentationssystems

Tagungsprogramm

Anschriften der Verfasser

99

111

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137

149

153

..

Vom Urwald zum Maisfeld -Landschaftsgesch ichte am Bodensee/Untersee

Manfred Rösch

Die Nacheiszeit vor dem Eingriff des Menschen

Während der kältesten Phasen der letzten Eis­zeit war der Rheingletscher mehrmals aus den Alpen vorgestoßen und hatte das Vorland bis weit nach Oberschwaben hinein überfahren. Das Bodenseebecken wurde dabei unter viele hundert Meter mächtigen Eismassen begraben (Abb. 1 ). Nach dem endgültigen Rückzug des würmzeitlichen Gletschers etwa 15 000 Jahre vor heute wurde die hinterlassene Schutt- und Steinwüste um den Bodensee etappenweise durch Pflanzen wieder besiedelt. Das begann mit Rohbodenpionieren und führte über Step­penrasen und Zwergstrauchfluren - zunächst noch beeinflusst von Klimaschwankungen- zu

10km

geschlossenen Wäldern. Pollendiagramme -wie das von Hornstaad aus der Flachwasserzo­ne des Untersees- zeichnen diese Entwicklung der letzten 15 000 Jahre lückenlos nach (Abb. 2). Bis 7000 vor heute entwickelten sich die Wälder, bedingt durch die Entfernung von den Gehölzrefugien, die Wandergeschwindigkeit1

und Konkurrenzkraft der Gehölze nach dem gleichen Schema wie in den vorausgegange­nen Zwischeneiszeiten: Auf niederwüchsige Weiden und Zwergbirken folgten zunächst Ge­büsch aus Sanddorn und Wacholder und dar­auf lichte Birkenhaine. Diese wurden von Kie-

Wanderung bedeutet hier natürlich nicht die Orts­veränderung einzelner Individuen, sondern die Ver­schiebung der Arealgrenzen einer Art.

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Abb. 1: Karte des

würmzeitlichen

Rheingletschers mit

Angabe der Eismäch­

tigkeit und der aus

dem Eise ragenden

Berggipfel (Nuna­

takker), aus Geyer/

Gwinner (1986).

21

Waldentwicklung

nicllt überliefert

Eiche - Hasel· Kiefer

Eiche - Hasel • - Wacholder - Buche

Buche • Hainbuche Hasel-Birke Eiche - Hasel Sirtee-Kiefer

Elche

Buche • Hasel­- Birke • Eiche

Buclle

Hasel - Birke

Hasel-Eiche­• Bir1<e - Esche

Elchenmischwald -·Buche

Elchenmischwald • -(Hasel)

Eichenmischwald . -Hasel

Hasel-- (Eichenmischwald)

Hasel - Klefef -• Eichenmischwald

Kiefer • Hasel .. BirXe

KiafBf

Birite • Kiefer

Birke

w-..- Sanddom

Kleine Eiszelt

Göschenen2

Göschenen1

Lilbben

Rolmoos2

Rolmoos 1

Froanltz

Venediger

Schlaten

JQngere Oryas

Ältere Oryas

Abb. 2: Pollendia­

gramm Hornstaad.

22

-r I

fernwäldern verdrängt. ln diese noch lichten Kiefernwälder wanderten vor etwa 11 000 Jah­ren, am Beginn der Nacheiszeit, Hasel, Ulmen und Eichen ein und drängten die Kiefern all­mählich zurück. Statt der Hasel gewannen an­schließend Eichen, Ulmen, Ahornarten und Esche das Übergewicht und bildeten Misch­wälder, in denen Linden zunehmende Bedeu­tung erlangten. Hier wanderten ab dem 9. Jahrtausend vor heute die SchaUhölzer ein und breiteten sich ab dem 8. Jahrtausend aus. Im westlichen Bodenseegebiet war das die Rotbu-

r

I

Neuzen

Hocl>-l SpAt­mittelalter

Frühmittelalte-

Remerzet

Eisenzeit

Bronzezeit

SpAte Jung-

steinzelt

FMe Jung-

Steinzeit

Mittel-steinzeit

SpAte Alt-

steinzeit

Kalende~ahre vor heute

0

1000

2000

3000

4000

5000

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9000

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11000

12000

13000

14000

Landnutzung

Dreifelderwirt:sc:haft

Feld­Gros­

Wirtschaft, Waldweide

Wald-Feldbau mn Bnmdrodung.

Schnonelwittsclla"

klelnfläclllg Ackerbau auf

.Schwaaerdon"

Jllger und

Sammler

ehe. Die Weißtanne spielte nur eine geringe Rolle und die Fichte fehlte ganz.

Die Landnahme der frühen Jungsteinzeit

Mit der Ausbreitung der Rotbuche am Boden­see sieben Jahrtausende vor heute beginnt eine neue Entwicklung, weil zugleich der Mensch, bislang eingebunden in natürliche Abläufe, Ei­gendynamik entwickelte und zum entschei-

denden landschaftsprägenden Faktor wurde~ Die Ursache dafür ist sein Wechsel von aneig­nender zu produzierender Wirtschaft und von Nomadenturn zu Sesshaftigkeit. Beides wird Mitte des 8. Jahrtausends vor heute mit der jungsteinzeitlichen Kultur der Linearbandkera­mik archäologisch fassbar. Pflanzenbau und Tierhaltung waren keine europäischen Erfin­dungen, sondern die Kulturpflanzen und Haus­tiere wurden via Südosteuropa aus Vorderasi­en eingeführt. Die neue Wirtschaftsweise er­wies sich hier als äußerst erfolgreich. Zwar war Mitteleuropa eine geschlossene Waldland­schaft, doch bedurfte es nur der Rodung des Waldes, um auf tiefgründigen, fruchtbaren Bö­den ertragreiche und krisenfeste Landwirt­schaft zu betreiben. Das war leichter als im Vorderen Orient, wo Wassermangel und arme Böden vielerorts Grenzen setzten. Mit Landwirtschaft konnte auf gleicher Fläche ein Vielfaches an Menschen ernährt werden als zuvor mit Sammeln und Jagen. Diese Möglich­keit wurde auch am Bodensee früh genutzt, was bislang kaum aus archäologischen Funden hervorgeht, wohl aber aus den Pollenprofilen. Bei diesen ist der Beginn produzierender Wirt­schaft gekennzeichnet durch das Auftreten von Getreidepollen des Weizen-Typs, von Lich­tungszeigern und von Holzkohle als Hinweis auf Brandrodung. Verknüpft damit ist ein star­ker Rückgang der Linde, die auf den besten Böden stockte, und die nachfolgende Ausbrei­tung der Rotbuche. Dieser Lindenrückgang in der Mitte des 8. Jahr­tausends vor heute lässt sich nicht nur am Bo­densee, sondern im ganzen nördlichen Alpen­vorland von Oberbayern bis in die West­schweiz beobachten. Die frühe bäuerliche Besiedlung am Bodensee war also kein Son­derfall. Die Rotbuche war zur Zeit der ersten mensch­lichen Eingriffe schon 1 000 Jahre im Gebiet anwesend, konnte sich aber offenbar gegen die anderen Gehölze, besonders die Linde, nicht entscheidend durchsetzen, wie ihr konstantes Vorkommen in gerfnger Menge in den Pollen­diagrammen zeigt. Erste Ausbreitungsschübe im Anschluss an die linearbandkeramischen Rodungen, wie im Pollendiagramm vom Dur­ehenbergried bei Radolfzell dokumentiert, wa­ren lokal begrenzt und von kurzer Dauer (Abb. 3, roter Pfeil). Die endgültige Ausbreitung der Rotbuche erfolgte rund 500 Jahre später, um 7000 vor heute, als erneute menschliche Ein-

griffe- wohl mittelneolithischer Kulturgruppen -und eine Klimaverschlechterung zusammen­trafen. Ob es auch ohne den Menschen zur Buchenausbreitung gekommen wäre, ist frag­lich. Jedenfalls kann ab dieser Zeit nicht mehr von Natur-, sondern muss von Kulturlandschaft die Rede sein.

Die Kulturlandschaft der späten Jungsteinzeit

Die ersten Bauern Mitteleuropas, die Bandke­ramiker, bauten Einkorn und Emmer, Linsen und Erbsen, Flachs und Schlafmohn an, und hielten Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen.

-~0 Jr ~ ~'II

4500

5000

5500

6000

6500

7000

7500

8000

8500

...............

Dank fruchtbarer Böden konnten sie auf klei­nen Flächen ohne Düngung, Brache oder Fruchtwechsel hohe Erträge erwirtschaften. Die Stickstoff-Zeigerwerte der nachgewiese­nen Unkräuter bezeugen die hohe Boden­fruchtbarkeit (Abb. 4). Die Landwirtschaft war jedoch nicht nachhaltig, sondern führte all­mählich durch Bodenabtrag und Nährstoff­entzug zu einer Verschlechterung der natur­räumlichen Bedingungen, wodurch die Erträge sanken. Als Reaktion wurden andere Anbau­verfahren entwickelt, bei denen man sich die

Abb. 3: Pollendia­

gramm Durehenberg­

ried (Ausschnitt);

Skalenwerte in%,

bezogen auf die

Summe terrestrischer

Pollen; ein Teilstrich

entspricht 5%;

die Getreidekurve ist

1 0-fach überhöht.

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Geislingen, 15. Jh. n. Chr.

Weiterdingen, 12./13. Jh. n. Chr. I

Biberach, 12. Jh. n. Chr.

Kirchheim!Teck, 12. Jh. n. Chr.

Ditzingen, 11./12. Jh. n. Chr.

Gerlingen, 11./12. Jh. n. Chr.

Steiflingen, 7./8. Jh. n. Chr.

Vörstetten, 4. Jh. n. Chr.

Knittlingen, 10. Jh. v. Chr.

Unteruhldingen Jh. v. Chr.

Hagnau, 11.-9. Jh. v. Chr.

Bodman, 17./16. Jh. v. Chr.

Bodrnan, 18. Jh. v. Chr.

Bodman, 20./19. Jh. v. Chr.

Hegne, 26. Jh. v. Chr.

Sipplingen, 29. Jh. v. Chr.

Sipplingen, 30. Jh. v. Chr.

Sippllngen, 31. Jh. v. Chr.

Sipplingen, 32. Jh. v. Chr.

Ludwigshafen, 33./32. Jh. v. Chr.

Wallhausen, 33./32. Jh. v. Chr.

Sipplingen, 34. Jh. v. Chr.

Wangen, 34. Jh. v. Chr.

Hornstaad, 36. Jh. v. Chr.

Hornstaad, 39. Jh. v. Chr.

Hornstaad, 40. Jh. v. Chr.

Linearbandkeramik, 55.-51. Jh. v. Chr.

5 6

..

7

Tatsache zunutze machte, dass Wald zunächst noch im Überfluss zur Verfügung stand. Als man ab 6300 vor heute am Bodensee soge­nannte Pfahlbauten errichtete und die Gegend erstmals großflächig aufgesiedelt wurde, wird diese neue Bewirtschaftungsweise erstmals richtig fassbar. Sie basierte auf der Erkenntnis, d_ass Schlagen und Abbrennen von Wald und Ackerbau auf solchen frisch gebrannten Flä­chen das Problem von zu wenig Nährstoffen und zu viel Unkraut löst und mit mäßigem Auf­wand hohe und sichere Erträge liefert. Dieses Anbauverfahren verwandelte durch ständige Verlagerung der Anbauflächen den von Buche, Linde und Ulme dominierten Wald in eine von Hasel und Birke beherrschte Buschlandschaft (Abb. 2). Die Äcker wurden nämlich nach kur­zer Bewirtschaftung der Wiederbewaldung aus Stockausschlägen2 überlassen, und die daraus entstandenen Niederwälder nach ein bis zwei Jahrzehnten erneut auf Stock gesetzt und be­ackert. Die Viehhaltung, vor allem mit Rindern und Schweinen, hatte dabei geringe Bedeu­tung. Es gab kein Grünland, sondern der Wald lieferte Viehfutter, zum Beispiel als Laubheu. Diese Wirtschaftsweise mit den Kulturpflanzen Hartweizen, Mehrzeilige Nacktgerste, Einkorn, Emmer, Flachs, Schlafmohn, Rübenkohl, Erbse und reichlicher Nutzung von Haselnüssen und Beeren auf den Brachflächen lässt sich am Bo­densee während zwei Jahrtausenden, bis zum Ende der Jungsteinzeit Mitte des 5. Jahrtau­sends vor heute fassen.

2 Laubhölzer sterben nicht ab, sondern treiben aus dem Wurzelstock wieder aus, wenn man sie ab­schlägt. Das Wurzelsystem überlebt selbst Brände. Zur endgültigen Vernichtung des Waldes wäre es erforderfich, zu roden, also die Wurzelstöcke aus dem Boden zu reißen, oder die Stockausschläge immer wieder abzuschlagen oder von Tieren ab­fressen zu lassen, bis den Gehölzen sozusagen ,die Luft ausgeht'.

Abb. 4: Mittlere Stickstoff-Zeigerwertenach Ellenberg für Unkraut-Vergesellschaftungen unterschiedlicher Zeitstellung aus archä­

ologischem Kontext, basierend teilweise auf unpublizierten Daten des Landesdenkmalamts Baden-Württemberg; bei Hornstaad,

40. }h. v. Chr., Knittlingen, Leinfelden, Mühlacker, Cerlingen, Ditzingen, Kirchheim, Biberach und Ceislingen handelt es sich um die

Wildpflanzen aus verkohlten Cetreidevorräten, bei den übrigen um gemischtes Material, wobei nur die PFlanzen, die damals

vermutlich als Unkräuter auf den Äckern wuchsen, berücksichtigt wurden. Während für die Linearbandkeramik rnit einem Zeiger­

wert von knapp 7 in der zehnstufigen Skala eine gute Stickstoffversorgung angezeigt wird und die Stickstoffversorgung im Spätne­

olithikum mit Zeigerwerten um 6 noch recht günstig ist, zeigen die metallzeitlichen Fundkomplexe mit Zeigerwerten um 5,5

deutlich ungünstigere Verhältnisse an. Dabei scheint die Nährstoffversorgung der Felder im Hochmittelalter noch etwas schlechter

gewesen zu sein als in Bronzezeit, Eisenzeit und Frühmittelalter.

24

GDU 1 a Glühver1ustkurve i !

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·-.i 0 20 40 60 80 100 " 5 I~ "' ~ "& .2'5 (.) a: (.)lC

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7 33 NeuZelt

1500 32

MiUelatter

80 1000 31 30

=~~ 500 29 28 -Radizellen 27

160 l.Jt-T6ne Laubmoos- Torf

-500 28 25

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220 24

23

-1000 22 Ho A.B

21

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-1500 20

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E -2000 16 u Bmnz~A1 f2

.5 340 Sphagnum- ~ -2500 15

mageltanicum - T orl F 14

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eSB 380 12

11 - 3000 10

Radizellentorf -3500 ...... Jungneolithikum

495 -4000 5 -4500 314 Mitt~um

-5000 2 ... -... 615

Feindetriusmudde

770

SiH/Ton 885

c::::::::J anorganisch organisch

Abb. 5: Glühverlustkurve und Blockdiagramm Durchenbergried nach Rösch (1990), verändert; die weiße Kurve gibt den Ge­

wichtsanteil mineralischen Materials am Torf an und damit das Ausmaß der Bodenerosion in der Umgebung und nachfolgenden

~hwemmung in das Becken. Besonders hoch war die Erosionsrate im Spätglazial (an der Basis) und dann in der Bronzezeit

(fiefe 430 bis 280 cm), Eisenzeit (Tiefe 170 cm) und im Mittelalter (Tiefe 80 bis 10 cm).

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Periode

Frühneolithikum

Spätneolithikum

Frühbronzezeit

Mittlere Bronzezeit

Spätbronzezeit

vorröm. Eisenzeit

Kulturgruppe

Linearbandkeramik

Großgartach-Rössen

Aichbühl Schussemied Pfyn

Horgen Schnurkeramik

Arboner K.

Hügelgräberb.

Urnenfelderkultur

Hallstatt C, D La Tene

Zeit

5600-5000 v. Chr.

5000-4300 v. Chr.

4300-41 00 v. Chr. 4100-3900 v. Chr. 3900-3500 v. Chr.

3500-2700 v. Chr. 270ü-2400 v. Chr.

1900-1600 v. Chr.

1600-1200 v. Chr.

1200-800 v. Chr.

800-450 v. Chr. 450-0 v. Chr.

Wichtigste Kulturpflanzen/neue Kulturpflanzen

Einkorn, Emmer, Erbse, Linse, Gebauter Lein, Schlafmohn Einkorn, Emmer, Mehrzeilige Nacktgerste, Nacktweizen, sonst wie LBK

noch unklar Nacktweizen, Nacktgerste, Einkorn Nacktweizen, Nacktgerste, Einkorn, Gebauter Lein, Schlafmohn Nacktgerste, Emmer, Nacktweizen, Schlafmohn noch unklar

Dinkel, Mehrzeilige Spelzgerste

noch unklar

Dinkel, Mehrzeilige Spelzgerste, Rispen- und Kolbenhirse, Schlafmohn, Erbse, Linse, Ackerbohne

Spelzgerste, Leguminosen Spelzgerste, Hanf

Römische Kaiserzeit

Völkerwanderungszeit

ü-260 n. Chr.

260-500 n. Chr.

Dinkel, Obst-, Wein- und Gemüsebau

Spelzgerste, Dinkel, Emmer, Nackweizen, Hafer, Roggen, Einkorn, Leguminosen, Gebauter Lein, Schlafmohn, Hanf, Gartenbau

Frühmittelalter Merowingerzeit Karolingerzeit Ottonisch

500-750 n. Chr. 750-900 n. Chr. 900-1000 n. Chr.

Dinkel, Hafer, Nacktweizen, Roggen, sonst wie zuvor wie zuvor wohl wie zuvor

Hochmittelalter

Spätmittelalter

Frühe Neuzeit

Abb. 6: Übersicht

ackerbaulicher Kultur­

pflanzen in Südwest­

deutschland für

historische Perioden

vom Frühneolithikum

bis in die frühe

Neuzeit.

26

1 OOü-1250 n. Chr.

1250-1500 n. Chr.

1500-1800 n. Chr. nach 1900:

Roggen, Hafer, Dinkel, Gerste

Hafer, Dinkel, Roggen, Gerste (Buchweizen, Reis)

Dinkel, Gerste, Hafer, Roggen (Mais) Saatweizen (ein Nacktweizen) wird zum Hauptgetreide

Die metallzeitliche Kulturlandschaft

Danach brach die Uferbesiedlung für längere Zeit ab. Es bildeten sich dicht geschlossene Buchenmischwälder, und die Pollendiagram­me registrieren kaum menschlichen Einfluss im Gebiet (Abb. 2). Die Hintergründe sind unbe­kannt. Erst im 39. Jahrhundert vor heute wur­de erneut in den Wald eingegriffen, und zwar sehr heftig. Die Buchenbestände wurden in­nerhalb kurzer Zeit auf die Hälfte dezimiert. Dabei entstand erstmals dauerhaft gehölzfrei­es Offenland in größerem Umfang. Die Boden­erosion nahm sprunghaft zu. Man ist geneigt, von einer regelrechten, der frühbronzezeitli­chen Landnahme zu sprechen (Abb. 5). Im Durchenbergried führt die durch bronzezeitli­che Rodungen und Ackerbau ausgelöste Ein­schwemmung erodierter Böden und Nährstof­fe zu einem völligen Umkippen des Moores: Aus einem sehr nährstoffarmen, Hochmooren nahestehenden Moor wurde ein nährstoffrei­ches Niedermoor (Abb. 5).

Mit der Bronzezeit beginnt die metallzeitliche Kulturlandschaftsgeschichte, die über fast vier Jahrtausende bis ins 19. Jahrhundert unserer Zeitrechnung reicht. Anders ausgedrückt, be­gann für die mitteleuropäische Landwirtschaft das Mittelalter in der Bronzezeit und endete erst spät in der Neuzeit. Die metallzeitliche Landnutzung unterscheidet sich von der jung­steinzeitlichen durch die dauerhafte räumliche Trennung von Wald und Feld und die große Bedeutung der Viehhaltung. Das Vieh als Grenzgänger zwischen Wald und Feld besorg­te den Nährstofftransfer von diesem zu jenem. Die Felder werden mit Kurzbrache (ein bis wenige Jahre) bewirtschaftet und gepflügt, was beim Waldfeld wegen der Durchwurzelung nicht möglich gewesen war. Periodisch dienten sie auch als Weide, besonders in den Brache­zeiten. Hauptnahrungsquelle für die Haustiere blieb jedoch der Wald. Die dort durch Waid­weide entzogenen Nährstoffe sicherten als Mist die Nährstoffversorgung der Felder. Ver­glichen mit der Jungsteinzeit waren die Felder-

4

träge dennoch bescheiden, wie die Stickstoff-zeigerwerte der Unkräuter metallzeitlicher Nahrungspflanzenvorräte zeigen, aber die Ver­unkrautung und die aufgewandte Mühe bei der Bewirtschaftung groß (Abb. 4). Die metall­zeitliche Stallhaltung des Viehs ist eine Voraus­setzung für effektive Mistdüngung und hat nichts mit Klimaverschlechterung zu tun: Die alten Landrassen unserer Haustiere brauchen auch im Winter keinen Stall. Nach dem Prinzip der Nährstoff-Umverteilung von großen beweideten auf kleine, mit Kultur­pflanzen bebaute Flächen funktionierte nicht nur die bronze- bis eisenzeitliche und frühmit­telalterliche Feldgras-Wirtschaft, sondern auch die Dreifelderwirtschaft, die bei uns erst im 19. Jahrhundert mit der Einführung des Mineral­düngers und der Auflösung des Flurzwangs auf­gegeben wurde (Abb. 6).

Wald und Mensch

Am Beginn bäuerlicher Landnutzung war der Wald praktisch allgegenwärtig und verkörperte die mitteleuropäische Landschaft schlechthin. Für den prähistorischen Menschen war er einerseits Verkehrshindernis und Bedrohung, andererseits scheinbar unerschöpflicher Hort von Rohstoffen aller Art einschließlich Anbau­flächen. Durch die fortgesetzte und immer in­tensivere Nutzung änderten sich zunächst sei­ne Zusammensetzung, sein Bestandsaufbau und seine Böden. Zusehends wurde er in den Metallzeiten durch Offenland - künstliche Steppen - ersetzt und auf unzugängliche Ge­biete oder schlechte Böden zurückgedrängt. In den verbleibenden Wäldern wurde seit der Bronzezeit die Eiche gefördert und dadurch zur häufigsten Holzart (Abb. 2). Hauptzweck war die Schweinemast: Das Schwein als einzi­ges allein zur Fleischgewinnung gehaltenes Haustier kann mit der Eichel eine sonst für den Menschen kaum nutzbare Nahrungsquelle er­schließen. Eine weitere Ursache war die Mit­telwaldwirtschaft, bei der eine meist aus Ei­chen gebildete lockere Oberschicht und eine aus schnellwüchsigen Laubhölzern wie Hasel, Hainbuche, Birke bestehende Unterschicht in unterschiedlicher Weise bewirtschaftet wur­den (Abb. 7). In der Oberschicht wurde mit Umtriebszeiten von mehr als 1 00 Jahren Bau-

holz. Dabei wurde in der Oberschicht die Ei­che gegenüber der eigentlich konkurrenzstär­keren Rotbuche bevorzugt, weil sie besseres Nutzholz liefert, durch schwächeren Schatten­wurf der Unterschicht mehr Licht und Wachs­tumschancen lässt, Rinde für die Gerberei lie­fert und Eicheln für die Schweinemast Wo die erzeugte Holzmenge wichtiger war als die Qualität, also für Brenn- und Heizzwecke, wurden Niederwälder bewirtschaftet, die in Intervallen von rund 15 Jahren auf Stock ge­setzt wurden (Abb. 8). Zusätzlich zur Waldwei­de gewann man Laubheu, wenn das Grünland

Abb. 7: Mittelwald in den rumänischen Südkarpathen im Spätsommer. Die

tiefwurzelnden Zerreichen der Oberschicht sind grün, während das Laub der

zweiten Baumschicht wegen Trockenstress bereits bunt ist.

holz erzeugt, in der Unterschicht mit kurzen Abb. 8: Hasel-Niederwald zur Brennholz- und Laubheugewinnung in Slo-

Umtriebszeiten aus Stockausschlägen Brenn- wenien.

27

Abb. 9: Sehneitel­

bäume in einer park­

artigen Weideland­

schaft in den rumäni­

schen Südkarpathen.

28

für die Ernährung des Viehs nicht ausreichte, oder man brannte am Waldboden durch, um mehr Gräser und anderes als Viehfutter geeig­netes pflanzliches Material zu erzeugen (Abb. 9; 1 0). Im Mittelalter und in der frühen Neu­zeit wurden die Wälder durch Rodungen, Waldweide, Streunutzung, übermäßigen Holz­entzug, Köhlerei usw. immer mehr zurück ge­drängt, immer lichter, immer schlechtwüchsi­ger. Gleichzeitig stieg der Holzbedarf für Berg­bau, Metallverarbeitung, Glashütten und andere vorindustrielle Gewerbe ständig an, eine Schere, die immer weiter auseinander klaffte. Während in prähistorischer Zeit Holz stets im Überfluss zur Verfügung gestanden

hatte, wurde es nun zur Mangel- und Handels­ware, die über weite Entfernungen aus den Gebirgen in die Ballungsräume geflößt werden musste. Dem steuerte die Forstwirtschaft ab der Neuzeit durch Verbot von Waldweide, Brennen usw. und vor allem durch planmäßige Aufforstung entgegen. ln großem Umfang wur­de das aber erst möglich durch die Einführung fossiler Energieträger und künstlicher Dünge­mittel im 19. Jahrhundert, wodurch der Wald von seiner Rolle als Energie- und Nährstofflie­ferant für Industrie und Landwirtschaft entbun­den werden konnte. Dass anschließend stand­ortsfremde Nadelhölzer wie Fichte, Kiefer, Douglasie angepflanzt wurden, die aus ökono­mischer Sicht kurzfristigen Nutzen brachten, aber aus ökologischer Sicht viele Nachteile hat­ten, rächt sich in unseren stürmischen Zeiten.

Die Entwicklung der Landwirt­schaft ab der Bronzezeit

Aus Wald und Forst kehren wir zurück zur Landwirtschaft und Landnutzung: Verglichen mit den paradiesischen Zuständen der Jung­steinzeit waren bereits in der Bronzezeit die naturräumlichen Voraussetzungen als Folge langfristiger Nutzung weniger günstig gewor­den, was durch arbeitsaufwändige Nutzungs­systeme kompensiert werden musste. Dazu ka­men andere Kulturpflanzen auf, die auch unter schwierigen Bedingungen noch sichere Erträge brachten (Abb. 6): in der Frühen Bronzezeit der Dinkel, in der Späten Bronzezeit Rispen­und Kolbenhirse, Ackerbohne und Leindotter, in der Eisenzeit Hafer, Roggen und Hanf, die aber erst ab dem frühen Mittelalter zu großer Bedeutung gelangten. Die Römer bauten in der Landwirtschaft auf dem vorhandenen In­ventar auf, favorisierten jedoch den Dinkel, der sich für eine großmaßstäbliche Massenpro­duktion besonders eignete. Besonders vorteil­haft war dabei, dass die großen Ährchen (Vee­sen) dieses Spelzgetreides, die Produkte des Dreschvorgangs, durch Sieben recht gut auch von großen Unkrautsämereien abgetrennt wer­den konnten. Erstmals entwickelte sich näm­lich eine marktorientierte Überschussproduk­tion, verbunden mit einer Differenzierung in Produzenten und Konsumenten. Aufgrund der Infrastruktur wurde Ertragssicherheit zweitran­gig, was Monokulturen ermöglichte. Eine wei­tere römische Neuerung war der Gartenbau

mit Obstbäumen, Gemüsen und Gewürzpflan-· zensowie der Weinbau. Entgegen bisheriger Ansicht übernahmen die Alamannen die römische Gartenkultur und tra­dierten sie weiter, wie zahlreiche Bodenfunde von Obst, Gemüsen und Gewürzpflanzen der Völkerwanderungs- und Merowingerzeit bele­gen (Abb. 11 ). ln der Landwirtschaft kehrten sie zur Selbstversorgerwirtschaft mit einer brei­ten Palette von Getreidearten zurück, ehe sich ab dem Hochmittelalter im Zuge erneuter marktwirtschaftlicher Tendenzen zusammen mit der Dreifelderwirtschaft zunächst Roggen und Gerste, später Dinkel und Hafer als Haupt­Winter- bzw. Sommerfrucht etablierten. Erst im 19. und 20. Jahrhundert konnte sich der früher wenig ertragssichere Saatweizen aufgrund neuer Züchtungen als Hauptgetreide durchset­zen, bevor in jüngster Zeit der Maisanbau zu­nahm, was vielleicht hauptsächlich eine Folge von Notständen bei der Gülleentsorgung ist. Die kleinräumigen Nährstoff-Flüsse des Mittel­alters sind mittlerweile durch globale ersetzt: Die Massentierhaltung der Industrieländer er­folgt mit Nährstoffen, die den Entwicklungslän­dern entzogen werden. Die industrielle Agrar­produktion am Beginn des 21. Jahrhunderts ist jedoch nicht unser Thema.

Relikte mittelalterlicher Kultur­landschaft am Bodensee und Möglichkeiten ihrer Erhaltung

Am Bodensee hatte im Mittelalter der Wein­bau sehr große Bedeutung. Davon sind heute nur Reste geblieben, vor allem am Überlinger­und Obersee. Die Spuren früheren Weinbaus sind am Bodensee nicht so auffällig wie beispielsweise in den Gäulandschaften, wo sich Mauern, Staffeln, Steinriegel an steilen Tal­flanken als Zeugnisse schweißtreibender Arbeit von Generationen von ,Wengertern' erheben. Der Obstbau erlebte seinen großen Auf­schwung erst in der Neuzeit, was einerseits mit dem Rückgang des Weinbaus zusammenhängt, andererseits mit der Ertragssteigerung im Ge­treidebau. Die Obstwiesen nehmen nämlich im Gegensatz zu vielen Weinbergen ackerfähi­ge Standorte ein, die in knappen Zeiten, also früher fast immer, für Ackerbau genutzt wur­den. Alte Ackerterrassen, vielerorts in Grün­land und Streuobstwiesen, auch im Wald in Hanglagen zu beobachten, bezeugen dies. Die

Streuobstwiesen sind Kinder der Aufklärung. Durch die verbesserte Dreifelderwirtschaft mit Einsaat von Leguminosen in der Brache und damit zusätzlicher Stickstoffdüngung waren die Erträge ab dem 18. Jahrhundert etwas ge­stiegen. Gleichzeitig hatte der Bevölkerungs­rückgang als Folge des Dreißigjährigen Krieges die Nachfrage nach Nahrungsmitteln verrin­gert. So konnten viele Flächen aus der acker­bau lichen Nutzung genommen werden, bevor­zugt Grenzertragsstandorte in steilen Lagen oder auf flachgründigen oder schweren toni­gen Böden. Besonders die letztgenannten Standorte waren die typischen Streuobst-La­gen (Abb. 12). Kennzeichnend für die Streu-

Abb. 10: Alte zur

Laubheugewinnung

kopfgeschneitelte

Rotbuche in einem

frisch überbrannten

Waldbestand im

Banater Bergland

(Rumänien).

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Fundort-Nr. 1

Apfel + Birne + Feige + Kirsche + Kornelkirsche Pfirsich Pflaume Walnuss Weintraube Dill Echtes Bohnenkraut Garten-Fuchsschwanz -Hopfen + Kohl Koriander + Majoran Mangold/Rote Beete -Petersilie Sellerie + Senf Wermut + Winter-Bohnenkraut + Zitronenmelisse

Abb. 11: Garten-

pflanzen der Ataman-

nen aufgrund von

archäologischen

Bodenfunden in

Südwestdeutschland.

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2

+

+

Nr.

1 2 3 4 5 6 7 8 9

3 4

+ +

Fundort

Aalen Vörstetten Langenau

5

+ + + +

+ + +

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Kirchheim/Teck lgersheim Mühlheim/Donau Heidenheim Oberflacht Lauchheim

.. 6

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7

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8 9

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Alter Uh. n. Chr.)

4 4 wohl4 3-5 4-7 4-8 5-7 6-7 6-8

obstwiese ist die Doppelnutzung zur Obster­zeugung und als Grünland. Mehrfachnutzung, Mischkulturen, Produktion mehrerer Dinge an einem Standort waren vielfach charakteristisch für die traditionelle Landwirtschaft und unter­scheiden sie von der modernen mit ihren Mo­nokulturen. So war es in Mittelitalien früher üblich, Getreide, Ölbäume und Reben ge­meinsam auf einer Fläche zu haben, was heute noch in kleinbäuerlich geprägten Landschaften bei Ölbäumen und Reben zu beobachten ist. Solche ökologisch besonders wertvollen Struk­turen sind heute unter betriebswirtschaftliehen Kriterien offenbar nicht mehr sinnvoll. Den­noch sollte die Verdrängung der Streuobstwie­sen durch Intensiv-Obstanlagen nicht einfach hingenommen werden. Neben den Streuobstwiesen sind die artenrei­chen Streuwiesen in Ufernähe, auch Pfeifen-

graswiesen genannt, ein typischer und sehr be­drohter Bestandteil der Bodenseelandschaft (Abb. 13). Mangels wirtschaftlicher Nutzung­und hier wären wir wieder beim Maisfeld, der Gülle und der modernen Intensivlandwirt­schaft - drohen sie zu verbuschen, eigentlich eine natürliche Entwicklung zurück zum Feuchtwald, die vom Naturschutz nur mit Mühe verhindert werden kann. Die Streuwie­sen sind keine Natur, sondern Bestandteile al­ter Kulturlandschaft, die vor langer Zeit durch Beweidung, Mahd und Streunutzung aus den Auenwäldern in Ufernähe entstand - die An­fänge dieses Prozesses lassen sich anhand von Pflanzenresten aus Ufersiedlungen bis in die Bronzezeit zurück verfolgen (Abb. 14). Daraus lassen sich für den verantwortungsvol­len Umgang mit Natur und Landschaft einige Lehren ziehen, die ich thesenartig formuliere: - Naturschutz am Bodensee bedeutet Schutz alter Kulturlandschaft, entstanden durch frühe­re wirtschaftliche Nutzung. - Naturschutz kann nicht direkter Artenschutz sein, sondern nur Schutz von Lebensräumen, also von Landschaft mit ihren Strukturen. - Die Strukturen sind aber bedingt durch Pro­zesse, weshalb eine sinnvolle, nicht nur muse­ale Strukturerhaltung nur durch Erhaltung, also Weiterführung oder Wiederaufnahme dieser Prozesse möglich ist, nicht jedoch durch kos­metische Maßnahmen. - Die Prozesse waren früher wirtschaftlich sinnvoll und müssen es wieder werden, wenn Natur- und Landschaftsschutz bezahlbar blei­ben soll. Auf Dauer kann die Streuwiese nicht durch regelmäßige Entkusselung mit schwerem Gerät erhalten werden, sondern nur durch ad­äquate wirtschaftliche Nutzung, wie einmal jährliches Mähen von Hand, schonende Ent­fernung und Weiterverwendung des Schnitt­guts, oder aber durch extensive Beweidung. -Die menschliche Einstellung zur wirtschaftli­chen Ausbeutung der Natur hat sich in Jahrtau­senden nicht verändert. Verändert haben sich nur die technischen Möglichkeiten dafür. Dadurch ist zumindest in Mitteleuropa der un­mittelbare Überlebensdruck gewichen, wes­halb Lebensqualität heute nicht mehr nur ei­nen möglichst vollen Teller bedeutet. Das ist eine Chance. - Für die alte Kulturlandschaft am Bodensee böte sich die Möglichkeit zu einer Wiederbe­lebung, durch sinnvolle, wenngleich aus Sicht heutiger technischer Machbarkeit allerdings

Abb. 12: Streuobstwiese im westlichen Bodenseegebiet

Abb. 13: Ehemalige Pfeifengraswiese (Streuwiese) im westlichen Bodenseegebiet Info/ge Nutzungsauf­

gabe findet im Hintergrund eine Sukzession zurück zum Auenwald statt. Im Vordergrund wird

zumindest dieser Prozess durch Nutzung als Badeplatz verhindert. Der Saum im Mittelgrund hat noch

am ehesten den Charakter einer Streuwiese.

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Deutscher Name

Pfeifengras Kohldistel Lungen-Enzian Bach-Nelkenwurz Mädesüß Blutweiderich Wald-Binse Vierflügeliges Johanniskraut Gliederbinse Glieder- oder Spitzblütige Binse Knäuel-Binse Gottesgnaden kraut Sumpf-Kratzdistel wohl Knoten-Binse wohl Brenndolde Flatter-Binse Wasserminze Purgierlein Blaugrüne Segge Acker-Minze Gewöhnliches Rispengras Sumpf-Rispengras Knoblauch-Gamander Spießmoos Stern-Goldschlafmoos

Wissenschaftlicher Name

Molinia coerulea Cirsium oleraceum Gentiana pneumonanthe Geum rivale Filipendula ulmaria Lythrum salicaria Scirpus sylvaticus Hypericum tetrapterum juncus articulatus }uncus articulatus/acutiflorus }uncus conglomeratus Gratiola officinalis Cirsium palustre }uncus cf. subnodulosus cf. Cnidium dubium }uncus effusus Mentha aquatica Linum catharticum Carex f/acca Mentha arvensis Poa trivialis Poa palustris Teucrium scordium Calliergonella cuspidata Campylium stellatum

Abb. 14: Arten der Pfeifengraswiesen, die in Hagnau in spätbronze­

zeitlichen Kulturschichten nachgewiesen wurden.

äußerst uneffektive privatwirtschaftliche Nut­zung. -So gibt es zunehmend Menschen, für die Le­bensqualität nicht heißt, beispielsweise mit Fahrzeugen ziellos im Kreis zu fahren, sondern gesunde Lebensmittel höchster Qualität für den Eigenbedarf in traditioneller Weise und im Schweiß ihres Angesichts, mit minimalem Ein­satz von moderner Technik, selbst zu erzeu­gen. Andere haben nicht die Möglichkeit für solch archaische Eigenproduktion, aber das entsprechende Bewusstsein und genügend Geld, um beispielsweise Fleisch zu konsumie­ren, das nicht nur nach den gängigen Richtlini­en biologischer Erzeugung mit Gras hochge­düngter Fettwiesen, sondern in extensiver Hai-

tung auf Magerrasen, Heiden und Streuwiesen, in Hudewäldern erzeugt wurde, also unter Mangelbedingungen,- eine Chance für ökolo­gisch orientierte Landwirte, die zu der Erkennt­nis gelangt sind, biologische Produktion könne mehr sein als der bloße Verzicht auf Agroche­mie. ln der Integration und Förderung solcher Entwicklungen, der Ausräumung bürokrati­scher Hemmnisse, in der Abkehr vom Scheu­klappendenken, um Ökologie und Ökonomie wieder unter einen Nenner zu bringen, liegt meines Erachtens die große, vielleicht die ein­zige Chance für Natur- und Denkmalschutz, bei der Bewahrung alter Kulturlandschaft Grö­ßeres und Sinnvolleres als Museen und Zoos zu schaffen.

Ausgewählte Literatur

H. Ellenberg!H. Weber/R. DüiiN. Wirth/W. W€rner/D. Paulißen, Zeigerwerte von pflanzen in Mitteleuropa. Sripta Geobotanica 18 (Göttingen 1991 ).

0. Geyer/M. Gwinner, Geologie von Baden-Württemberg (3Stuttgart 1986).

A. Grüttner, Die Pflanzengesellschaften und Vegetationskomplexe der Moore des westlichen Bodenseegebietes. Diss. Bot. 157 (Berlin/Stuttgart 1990).

G. Lang, Die Vegetation des westlichen Bodenseegebietes (2Stuttgart/New York 1990).

G. Lang, Landschaftsgeschichte des Bodenseeraums- von der Naturlandschaft zur Kulturland­schaft. ln: "Was haben wir aus dem See gemacht?" Kulturlandschaft Bodensee, Landesdenkmal­amt Baden-Württemberg, Arbeitsheft 10 (Stuttgart 2001) 9-1 7.

M. Rösch, Vegetationsgeschichtliche Untersuchungen im Durchenbergried. ln: Siedlungsarchäo­logie im Alpenvorland II. Forsch. u. Ber. Vor- u. Frühgesch. Baden-Württemberg 37 (Stuttgart 1990) 9-64.

M. Rösch, Human impact as registered in the pollen record: some results from the western Lake Constance region, Southern Germany. Veget. Hist. Archaeobot. 1,1992, 1 01-109.

M. Rösch, Prehistoric land use as recorded in a Iake-share core at Lake Constance. Veget. Hist. Archaeobot. 2,1993, 213-232.

M. Rösch, Gedanken zur Auswirkung prähistorischer Holznutzung auf Wälder und Pollendia­gramme. Diss. Bot. 234 [Festschr. Gerhard Lang] (Berlin/Stuttgart 1994), 447-471.

M. Rösch, Archäobotanische Untersuchungen in der spätbronzezeitlichen Ufersiedlung Hagnau­Hurg (ßodcnseekreis). ln: Siedlungsarchäologie im Alpenvorland IV. Forsch. u. Ber. Vor- u. Früh­gesch. Baden-Württemberg 47 (Stuttgart 1996) 239-313.

M. Rösch, The history of crop and crop weed in south-western germany from the Neolithic period to modern times, as shown by archaeobotanical evidence. Veget. Hist. Archaeobot. 7, 1998, 105-125.

M. Rösch, Anthropogener Landschaftswandel in Mitteleuropa während des Neolithikums. Beob­achtungen und Überlegungen zu Verlauf und möglichen Ursachen. Germania 78/2, 2000, 293-318.

M. Rösch, pflanzenreste der Jungsteinzeit und der Völkerwanderungszeit aus Vörstetten, Kreis lmmendingen. Arch. Nachr. Baden 65, 2001 , 29-42.

M. Rösch/0. EhrmanniL Herrmann/E. Schulz/A. Bogenrieder/J. P. Goldammer/M. Haii/H. Page/ W. Schier, An experimental approach to Neolithic shifting cultivation. Veget. Hist. Archaeobot. 11,2002, 143-154.

~ildungsnachweis

Abb. 1: E. Schweizerbarth'sche Verlagsbuchhandlung; Abb. 2-11; 13; 14: LDA Baden-Württemberg; Abb. 12: Alice Rösch.

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