Hüter der Botschaft oder Mann fürs Grobe

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Zusammenfassung: David Axelrod hat ein Spezialgebiet: Er kann afroamerikanischen, reform- orientierten Kandidaten den Weg in die weißen Wählergruppen ebnen und sie somit mehrheits- fähig machen. Die darauf ausgerichteten Strategien haben bereits in vielen lokalen und regionalen Wahlkämpfen hervorragend funktioniert, der nationale Test steht jedoch erst noch bevor. Die Chancen, dass Barack Obama die Präsidentschaftswahl 2008 gewinnen und David Axelrod damit endgültig zur Elite US-amerikanischer Politikberater zählen wird, stehen indes nicht schlecht. Schlüsselwörter: Barack Obama · afroamerikanische Kandidaten · narrativer Ansatz · postideo- logische Beratung Abstract: David Axelrod has been a key consultant of the American Democratic Party’s candi- dates for many years. He is an expert in making African-American reform-oriented candidates electabee for the white population and his strategies were extremely successful in many local and regional campaigns. However, the US presidential election 2008 is the first nation-wide bench- mark for this approach. If Barack Obama gets elected President in November, David Axelrod will be considered one of the most important political consultants in the US once and for all. This election could be his golden opportunity. Keywords: Barack Obama · African-American candidates · narrative approach · post-ideologi- cal consulting Hüter der Botschaft oder Mann fürs Grobe? Barack Obamas Chefstratege und Medienberater David Axelrod Martin Thunert BERATUNGSPORTRÄTS ZPB 1 (2008) 2:254-260 DOI 10.1007/s12392-008-0028-8 PD Dr. Martin Thunert (*) Heidelberg Center for American Studies Hauptstr. 120, 69117 Heidelberg, Deutschland E-Mail: [email protected] ZEITSCHRIFT FÜR POLITIKBERATUNG

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Zusammenfassung:  David Axelrod hat ein Spezialgebiet: Er kann afroamerikanischen, reform-orientierten Kandidaten den Weg in die weißen Wählergruppen ebnen und sie somit mehrheits-fähig machen. Die darauf ausgerichteten Strategien haben bereits in vielen lokalen und regionalen Wahlkämpfen hervorragend funktioniert, der nationale Test steht jedoch erst noch bevor. Die Chancen, dass Barack Obama die Präsidentschaftswahl 2008 gewinnen und David Axelrod damit endgültig zur Elite US-amerikanischer Politikberater zählen wird, stehen indes nicht schlecht.

Schlüsselwörter:  Barack Obama · afroamerikanische Kandidaten · narrativer Ansatz · postideo-logische Beratung

Abstract:  David Axelrod has been a key consultant of the American Democratic Party’s candi-dates for many years. He is an expert in making African-American reform-oriented candidates electabee for the white population and his strategies were extremely successful in many local and regional campaigns. However, the US presidential election 2008 is the first nation-wide bench-mark for this approach. If Barack Obama gets elected President in November, David Axelrod will be considered one of the most important political consultants in the US once and for all. This election could be his golden opportunity.

Keywords:  Barack Obama · African-American candidates · narrative approach · post-ideologi-cal consulting

Hüter der Botschaft oder Mann fürs Grobe?Barack Obamas Chefstratege und Medienberater David Axelrod

Martin Thunert

BErATUNgSPOrTräTS

ZPB 1 (2008) 2:254-260DOI 10.1007/s12392-008-0028-8

PD Dr.   Martin Thunert (*)Heidelberg Center for American Studies Hauptstr. 120, 69117 Heidelberg, DeutschlandE-Mail: [email protected]

Z E I T S C H R I F T F Ü R

POLIT IKBERATUNG

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1. Der Stratege aus Chicago

Die Bill-Clinton-Kampagne aus dem Jahr 1992 ist heute legendär. Ihr verdanken wir Begriffe wie „War room“ - für die Wahlkampfzentrale – oder „gegnerbeobachtung“ (opposition research), die heute zum Standardvokabular für moderne Wahlkämpfe ge-hören. Über dem legendären Clinton-War room in Little rock, Arkansas thronte 1992 ein Mann aus New Orleans, der heute in den USA fast so bekannt – allerdings ungleich umstrittener – ist, wie Ex-Präsident Clinton selbst: der wütende Cajun (ragin’ canjun) James Carville, das cholerische Meisterhirn des 92er Wahlkampfs, der unter dem Motto „It’s the economy, stupid“ stand.

16 Jahre später – nach zwei schmerzlichen Niederlagen 2000 und 2004 – schickt sich die Demokratische Partei der USA an, erneut einen Präsidentschaftskandidaten zu nominieren, mit dem ungleich mehr Hoffnungen verbunden sind als mit Bill Clinton, dem 1992 zunächst wenig Chancen eingeräumt wurden, dem Amtsinhaber george H.W. Bush aus dem Weißen Haus zu verdrängen. Dieser Kandidat ist mit fast 100%iger Wahrscheinlichkeit Barack Obama, Junior-Senator aus Illinois seit 2005, insbesondere zu Beginn der Vorwahlsaison im Januar und Februar 2008 Hoffnungsträger und histori-sche Figur seiner Partei: der erste Nicht-Weiße, der an der Tür zum Weißen Haus steht. gibt es in Obamas Wahlkampfteam ähnlich zentrale Persönlichkeiten, wie es James Carville, george Stephanopoulos oder Paul Begala 1992 für Bill Clinton waren? Insbe-sondere Obamas Chefstratege, von der Kampagne offiziell als Medienberater betitelt, David Axelrod, springt ins Auge.

David Axelrod ist in der US-Branche der politischen Berater kein Unbekannter. Be-reits 1984 verließ der heute 53-Jährige seinen Job als politischer Korrespondent der großen Tageszeitung Chicago Tribune, um in das Beratungsgeschäft einzusteigen. Und schon 1987 portraitierte ihn ein Chicagoer Stadtmagazin als den „Mann fürs grobe“ (Hatchet Man).

Zwei Jahrzehnte später ist Axelrod der vielleicht wichtigste und bekannteste poli-tische Berater der Demokratischen Partei außerhalb Washingtons. Axelrod hat nie in Washington DC, sondern stets von seiner Heimatstadt Chicago aus gearbeitet. Zu seinen Klienten gehörten neben Obama vier weitere Mitglieder der diesjährigen Vorwahl-Kan-didatenriege der Demokratischen Partei: Hillary Clinton, John Edwards, Christopher Dodd und Tom Vilsack. Axelrod war der Medienstratege des nach Obama vielleicht zweitgrößten schwarzen Talents der Demokratischen Partei, dem jungen gouverneur des Kennedy-Bundesstaates Massachusetts, Deval Patrick. Einer der einflussreichsten Mitglieder des US-repräsentantenhaus, der ehemalige Bill-Clinton-Vertraute und Chi-cagoer Abgeordnete rahm Emanuel, der im repräsentantenhaus 2006 den siegreichen Wahlkampf der Kongress-Demokraten organisierte, ließ sich von Axelrod ebenfalls stra-tegisch beraten.

Der New York Times Journalist Ben Wallace-Wells hält Axelrod schon heute für den einflussreichsten politischen Berater innerhalb der Demokratischen Partei. Damit übernahm Axelrod die rolle von Bob Shrum, einem Strategieberatungs-urgestein aus Boston, der zwar zahlreiche Kampagnen für demokratische Senatoren und gouverneure in solchen Bundesstaaten gewinnen konnte, die den Demokraten ohnehin freundlich gesonnen sind, aber auf Ebene der Präsidentschaftswahlen ausschließlich Niederlagen

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erleben musste. Die letzte Niederlage stammt aus dem Jahr 2004, sein Klient damals Senator John Kerry aus Massachusetts, der knapp unterlegene Präsidentschaftskandidat der Demokraten. Shrums Spezialität waren Wahlkämpfe mit klassenkämpferischen Bot-schaften, in denen schwerreiche Patrizier-Kandidaten wie Edward Kennedy oder John Kerry als Anwälte der kleinen Leute antraten, die sich mit den Mächtigen anlegen. Axelrod teilt diesen Ansatz nicht, wir dürfen von Obama somit eine andere Strategie erwarten.

2. Der narrative Ansatz Axelrods

Axelrod steht dagegen für einen postideologischen Beratertyp. Seine Beratung setzt weniger bei Themen oder Ideologien als bei den Lebensgeschichten und der Persön-lichkeitsstruktur der Kandidaten an. Axelrod geht es weniger um den Verkauf von po-litischen Inhalten und Botschaften, sondern um den Verkauf von Führungsqualitäten seiner jeweiligen Klienten.

Was Axelrods Starklienten Barack Obama angeht, klingt seine strategische Aufgabe 2008 ähnlich wie die im Jahr 2004 in Illinois, als er aus einem in der lokalen schwarzen gemeinde Süd-Chicagos verwurzelten, aber unbekannten Landespolitiker einen glaub-haften Senats-Kandidaten für den mehrheitlich weißen und außerhalb des großraums Chicago eher ländlich geprägten Bundesstaat Illinois machen musste.

Der erste Schritt Axelrods damaliger Strategie bestand darin, einen innerhalb der zu gewinnenden (weißen) Wählerschaft glaubwürdigen und beliebten Politiker als „Paten“ und „Bürgen“ für den in der Zielgruppe noch unbekannten (schwarzen) Lokalpolitiker Obama zu finden. Axelrod fand 2004 zwei Politiker, auf die die Beschreibung passte: den in Illinois sehr beliebten Ex-Senator Paul Simon und den ebenfalls sehr beliebten Ex-Bürgermeister Harold Washington. Als Simon während des Senatswahlkampfs 2004 starb, übernahm dessen Tochter die rolle des Authentizierers. Obama sei aus demselben Holze geschnitzt wie ihr Vater, verkündete Paul Simons Tochter in einem Obama-Wer-bespot. Ex-Bürgermeister Washington sah in Senatskandidaten Obama bereits 2004 als einen historischen Kandidaten. Obamas Umfragewerte schossen nach oben und blieben dort bis zur Senatswahl am 2.11.2004, die er mit deutlichem Vorsprung gewann.

Die Verbindung Axelrods mit Obama reicht in die frühen 90er Jahre zurück. Obama traf Axelrod, als er Anfang der 90er Jahre damit beschäftigt war, die schwarze gemein-de in Süd-Chicago politisch besser zu organisieren und Schwarze zur Wählerregistrie-rung zu motivieren. Wohlhabende Weiße aus dem linksliberalen Milieu der Chicagoer Innenstadt brachten die beiden zusammen. Doch erst Anfang dieses Jahrzehnts intensi-vierte sich die Zusammenarbeit. Obama konsultierte Axelrod 2002, als er am Vorabend der Kongressentscheidung zum Irak-Krieg als Landtagsabgeordneter, der über Fragen von Krieg und Frieden freilich nicht zu entscheiden hatte, in Chicago eine rede gegen den heraufziehenden Krieg halten wollte, die fünf Jahre später zu einem wichtigen Fundament seiner Präsidentschaftskandidatur werden sollte. 2005 und 2006 las Axelrod vor der Publikation Teile von Obamas zweitem Buch, der Autoboigraphie „Hoffnung wagen“ (The Audacity of Hope).

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3. Authentizität

Axelrod konnte somit über mehrere Jahre beobachten, welche politisch nutzbaren Eigenschaften am besten zu Obamas Persönlichkeit und seiner Biographie passen: Er positionierte Obama als unideologischen und an praktischen Lösungen orientierten Au-ßenseiter, sein frisches, unverbrauchtes gesicht ließ ihn in idealerweise als einen dyna-mischen Agenten des Wandels und des Optimismus erscheinen. Axelrod war sich von Anbeginn bewusst, dass diese Eigenschaften auch als Naivität, mangelnde Erfahrung und instinktive Konfliktvermeidung gedeutet werden können. Axelrods Erfahrungen bei der Beratung jung-dynamischer schwarzer Politiker bei rennen um Oberbürger-meisterämter in großstädten wie Detroit, Cleveland und Philadelphia hatten ihn ge-lehrt, dass nur ein charismatischer afroamerikanischer reformkandidat Chancen haben würde, seine politische Basis bis weit in die weiße Wählerschaft auszubauen. Obamas Lebensgeschichte, so Axelrod, verkörpert authentischer als alles andere seine Botschaft: Wir können das Trennende – z.B. die Hautfarbe – hinter uns lassen und uns auf das konzentrieren, was uns vereint.

Die Erkenntnis, dass für die Wählerschaft der Demokratischen Partei die Zukunft mehr zählt als die Vergangenheit, lernte Axelrod paradoxerweise 1996 in der Wieder-wahlkampagne Bill Clintons. Axelrod war der Miterfinder von Bill Clintons damaligem Kampagnenslogan „eine Brücke ins 21. Jahrhundert bauen“. Wahlkämpfer, so die Er-kenntnis Axelrods, müssen die Distanz zwischen den Menschen und den regierenden abbauen helfen. Wichtiger als alles andere sei, dass die Botschaft authentisch zur Persönlichkeit des Botschafters passt. Dies schließt mit ein, dass man mit vermeint-lichen Schwächen des Kandidaten offensiv umgeht und diese in politischen Tugenden transformiert.

Axelrods erster Beitrag zur Obama-Kampagne war die Produktion eines fünfminü-tigen Internetvideos anlässlich der Bekanntgabe der Kandidatur Obamas am 16. Januar 2007. Deutlich früher als die Hillary Clinton-Kampagne erkannte Axelrod die grund-sätzliche und doppelte Wechselstimmung innerhalb der Demokratischen Parteibasis und ihrer Anhängerschaft: Weg von Wunsch, aber auch weg von einer ära der (faulen) Kompromisse mit den republikanern, was man auch als Absage an die Politik der Clin-ton-ära deuten kann. Somit hielt Axelrod Hillary Clintons Amtsinhaberwahlkampf, der auf die Erfahrung und Kompetenz einer erfahrenen Insiderin setzte, von Anbeginn für falsch und gab in Presseinterviews unumwunden zu, dass dieser strategische grundfeh-ler der Clinton-Berater Obamas Kampagne entscheidend in die Hände spielte. Dennoch waren es nicht nur die strategischen Fehler des Clinton-Lagers, die Axelrod für abseh-bare Zeit zum gefragtesten politischen Berater der USA werden ließen.

Weitere Komponenten waren die Entwicklung der eigenen strategischen Botschaft, die besondere Aufmerksamkeit für den Vorwahlmodus der Parteiversammlung (Caucus) und der Aufbau einer internetgestützten grasswurzelkampagne, auf welcher Obamas immer deutlicher werdender Vorteil beim Spendensammeln beruht.

Axelrods Testlauf für Obamas Präsidentschaftskampagne war indes nicht der Senats-wahlkampf in Illinois 2004 oder der Kongresswahlkampf 2006, sondern das gouver-neursrennen in Massachusetts 2006 als Berater des später siegreichen Deval Patrick. Die gemeinsamkeiten zwischen dem gouverneutskandidaten Patrick 2006 und dem Präsi-

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dentschaftskandidaten Obama 2008 sind auf den ersten Blick offensichtlich: Ein junger schwarzer Politiker, wenig erfahren, entschuldigt sich nicht für seine Hautfarbe, sondern nutzt sie, um beständig auf die historische Dimension der Wahlentscheidung hinzuwei-sen. Der Kandidat verbreitet Optimismus, seine Anhänger antworten „Yes, we can!“, die Biographie des Kandidaten umrahmt seine Botschaften, rhetorischer Missionseifer paart sich mit nüchternem Pragmatismus des Kandidaten als gewählter Politiker. Aus der Kampagne wird eine soziale Bewegung, die den Kandidaten zur Nominierung und letztendlich ins Amt tragen soll.

4. Biographisches

David Axelrod, Jahrgang 1955, wuchs als Sohn linksliberaler jüdischer Akademiker in Manhattan auf. Erste Erfahrungen mit der politischen Beratung sammelte Axelrod bereits als 13-Jähriger durch den Verkauf von Ansteckern für den Präsidentschaftswahl-kampf des im Juni 1968 ermordeten robert F. Kennedy. Zum Studium der Politik-wissenschaft ging Axelrod an die University of Chicago, eine Oase auf der berüch-tigten Südseite Chicagos. An der Universität galt er nicht als Streber, seine Interessen innerhalb und außerhalb des Elfenbeinturms waren so vielfältig, dass er mit seinen Leistungspunkten (credits) manches Mal ins Hintertreffen geriet. Während seines Stu-diums traf erseine spätere Ehefrau Susan Landau – eine Kommilitonin aus der betriebs-wirtschaftlichen Fakultät. Bereits als Student schrieb Axelrod für eine Stadtteilzeitung und erlangte früh eine intime Kenntnis über die die Universität umgebenden Stadtteile Chicagos, die überwiegend von Schwarzen bewohnt werden. Zu diesen Vierteln gehört nicht zuletzt Hyde Park, wo sich Michelle und Barack Obama Anfang der 90er Jahre häuslich niederließen. Mit 23 Jahren erhielt Axelrod eine Festanstellung im Lokalteil der Chicago Tribune und beobachtete knapp acht Jahre die durch das Thema rasse und Hautfarbe hochgradig emotionalisierte Lokalpolitik der Millionenstadt am Michigan See. 1984 wechselte Axelrod als Kommunikationsdirektor in den Senatswahlkampf-stab des weißen Politikers Paul Simon. Schnell wurde er Simons Wahlkampfmanager, ging nach der gewonnenen Wahl aber nicht mit dem Senator nach Washington, sondern gründete in Chicago 1985 seine eigene Firma Axelrod & Associates. 1987 begann die heutige Spezialität Axelrods: Wahlkampfberatung für schwarze reformkandidaten in großstädten und urban geprägten Bundesstaaten der USA. Axelrods Spezilität: schwar-ze reformkandidaten mit einer überwiegend weißen Wählerschaft zusammen zu brin-gen und dort Unterstützung zu finden. Er half bei der Wiederwahl des ersten schwarzen Bürgermeisters von Chicago, Harold Washington, und bei den Kandidaturen schwarzer Bürgermeisterkandidaten landesweit. 2004 heuerte er im Vorwahlkampf bei dem späte-ren Vizepräsidentschaftskandidaten John Edwards als Medienberater an, verlor dort aber bald die Zuständigkeit für die Wahlwerbespots.

Axelrod unterscheidet sich in seiner Persönlichkeitsstruktur von anderen Vertretern der politischen Beraterprominenz: Ob man ihm seine Maxime, er wolle nicht berühmter werden als seine Klienten, angesichts seiner häufigen Auftritte im Regionalfernsehen Chicagos abnehmen kann, sei dahingestellt. Unstrittig ist, dass Axelrod kein Choleriker und Schreihals ist, er wird durchweg als ruhige Kraft, als überlegt und mit guten Ma-

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nieren ausgestattet beschrieben. – nicht immer die typischen Eigenschaften politischer Berater.

Axelrods rolle in der Obama-Kampagne ist mit „Chefstratege“ und „Medienberater“ nur unzureichend beschrieben. Axelrods heutige Firma AKP&D aus Chicago (http://www.akpmedia.com/index.html) ist eine umfassende Strategie- und Mediensmaschine, die auch weitere Wahlkampfdienstleistungen für Obama wie Fundraisingstrategien, re-denschreiben und Umfragen koordinieren. David Plouffe, einer der vier Partner der Beratungsfirma und wie Axelrod ein Veteran des Senatswahlkampfs von 2004, ist der Wahlkampfmanager Obamas und die zweite zentrale Figur der Kampagne.

5. Axelrods Schwächen und Stärken

Axelrod ist darauf spezialisiert, schwarzen Kandidaten den Weg zur Unterstützung durch weiße Wähler zu ebnen, aber er kennt sich in der schwarzen Subkultur, insbesondere in den schwarzen Kirchengemeinden nicht aus, lautete ein früher Standardvorwurf an den weißen Berater.

Die Hauptkritik an Axelrods Strategieempfehlungen müsste indes an der Frage an-setzen, ob der narrative und rhetorisch inspirierende Außenseiterwahlkampf Obamas nicht Erwartungen kreiert, die ein Präsident Obama unmöglich erfüllen kann. Axelrods Testläufer Deval Patrick hat sich als gouverneur von Massachusetts mittlerweile in der von gut organisierten Interessen geprägten Alltagspolitik des Neuenglandstaates fest-gefahren. Seine legislative Bilanz ist dürftig, womit auch zu erklären wäre, weshalb Hillary Clinton diesen sehr linksliberal geprägten Bundesstaat trotz der Unterstützung der heimischen Kennedy-Dynasty für Obama am 5. Februar 2008 souverän gewonnen hat. Mit rhetorik allein ist die „Hardball-Politik“ – ganz gleich, ob auf Bundesebene oder auf Einzelstaatsebene – nicht zu Veränderungen zu bewegen. Axelrod scheint dies zu ahnen, denn bisher war er noch nie bereit, einem siegreichen Politiker beim regieren zu helfen. Axelrod hat seine Qualitäten und seine Klasse als Chefstratege und Hüter der Botschaft, dem es gelingt, bei einer überwiegend weißen Wählerschaft Akzeptanz für und Begeisterung über einen charismatischen schwarzen reformpolitiker herzustellen, mit den Vorwahlsiegen in den überwiegend weißen Bundesstaaten wie Iowa, Wisconsin oder Oregon eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Mit dem Thema Wandel und einem narrativen Kampagnenansatz hatte Axelrod die passende Botschaft für die frühe Phase der Vorwahlen. Anders als die Hillary Clinton-Kampagne hatte Axelrod die richtige Botschaft gerade für diejenigen Staaten des US-Mittelwestens, die bei der Hauptwahl gewöhnlich nicht den Demokraten zuneigen und daher in der US-Farbenlehre als „red states“ bezeichnet werden. Es waren allein der Überraschungssieg im ländlichen Iowa und der Siegesserie Obamas im Februar 2008, die ihm aufgrund der Delegiertenge-winne in den genannten Staaten die Präsidentschaftsnominierung gebracht haben. Die meisten der großen und traditionell den Demokraten zuneigenden Bundesstaaten ge-wann Hillary Clinton.

Nicht zuletzt aufgrund von Axelrods Prägung gilt Obamas Wahlkampf gerade auch bei deutschen Beobachtern als State of the Art, wie etwa Maik Bohne in Heft 3/2008 der Zeitschrift Berliner republik schreibt. Damit wird übersehen, dass eine Wahlkampf-

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strategie, die eine weiße und linksliberale Oberschicht mit den Angehörigen der eigenen Ethnie und veränderungsdurstigen und begeisterungsfähigen Jungwählern in eine Koali-tion schmiedet, zwar dort große Erfolge zeitigen kann, wo diese Wählerkoalition alleine mehrheitsfähig ist. Diesgiet insbesondere in großstädtischen Milieus, in gegenden mit hohem schwarzen Bevölkerungsanteil – oder in Bundesstaaten ohne Industrie, wo die Demokraten als Partei insgesamt schwach sind. Allerdings besitzt sie bei schlechter gebildeten und sozial konservativen Stammwählern und bei anderen ethnischen Min-derheiten klare Mobilisierungsdefizite besitzt. Axelrods narrative Strategieberatung hat dazu geführt, dass ein schwarzer Charismatiker wie Obama bei der gehobenen weißen Mittelschicht zwar keinen weißen Bürgen oder Paten mehr benötigt, um gewählt zu werden, aber er benötigt einen Übersetzer in all diejenigen Schichten, die mit dem per-sönlichen Weg Obamas von der Urlaubsinsel Hawaii nach Indonesien, Los Angeles in die akademischen Milieus New Yorks, Harvards und Chicago wenig bis nichts anfangen können oder die als Latinos gänzlich andere Integrationserfahrungen haben. Politiker wie george W. Bush 2004 oder Hillary Clinton im Vorwahlkampf 2008 können bei den unglamourösen gesellschaftsschichten des mittleren Amerikas, denen gerade in Europa besonders viel Verachtung entgegenschlägt, obwohl es mehrheitlich deren Vorfahren sind, die in den Soldatengräbern des Zweiten Weltkriegs in der Normandie begraben lie-gen, politische Erfolge erzielen. Das liegt weder an der größeren biographischen Nähe Bushs oder Clintons zum Amerika der weißen Blaumänner und kleinen Angestellten noch an falschem Bewusstsein, sondern an der Tatsache, dass diese Wählerschicht Poli-tiker belohnt, die sich vehement für ihre Wertvorstellungen und insbesondere für ihre Sachanliegen einsetzen.

Wie andere Beraterprominenz der Demokratischen Partei vor ihm, muss David Axel-rod erst noch beweisen, dass seine Strategieempfehlungen nicht nur regional und sek-toral, sondern landesweit und in allen Schichten der US-Bevölkerung zu Wahlerfolgen führen können. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass er diesen Beweis am 4. Novem-ber 2008 erbringen und unwiderruflich in die Beraterelite der USA aufsteigen wird.

Dr. habil Martin Thunert ist seit 2007 University Lecturer (Do-zent) und Politikwissenschaftler am Heidelberg Center for Ame-rican Studies (HCA) der ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Davor war er Vertretungsprofessor für Politikmanagement an der Hochschule Bremen und von 2002-2005 Visiting Associate Pro-fessor of Political Science an der University of Michigan, Ann Arbor USA. Martin Thunert ist Mitherausgeber der Zeitschrift für Politikberatung und gehörte 2003 zu den gründern und Spre-chern des Arbeitskreises „Politikberatung“ in der DVPW.