Jahrmarktbude oder Musentempel? Das Wiener Künstlerhaus und der Kunsthandel

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In den Jahren um 1900 geriet die Genossenschaft der bil-denden Künstler Wiens ob ihrer ‚geschäftlichen Gesinnung‘ zunehmend unter Beschuss. Der einflussreiche Kritiker Her-mann Bahr schimpfte deren Mitglieder „Hausierer“, weil es ihnen angeblich nie um die Kunst, sondern immer nur um das Geschäft ging. Es fehle ihnen an Gesinnung, allein der Profit sei wichtig. „Geschäft oder Kunst“, schreibt Bahr in der ersten Ausgabe von Ver Sacrum, „das ist die Frage unserer Secessi-on. Sollen die Wiener Maler verurtheilt sein, kleine Industrielle zu bleiben, oder dürfen sie es versuchen, Künstler zu werden? Wer der alten Wiener Meinung ist, dass Bilder Waren sind, wie Hosen oder Strümpfe, die man nach der Bestellung der Käufer anzufertigen hat, der bleibe bei der ‚Genossenschaft‘. Wer ma-lend oder zeichnend das Geheimnis seiner Seele offenbaren will, der ist schon bei der ‚Vereinigung‘.“1

CHRISTIAN HUEMER

Jahrmarktbude oder Musentempel? Das Wiener Künstlerhaus und der Kunsthandel

Die historische Portrait-ausstellung im Wiener Künstler hause 1881 (Neue Illustrierte Zeitung 1881, Bd. 1)

Christian Huemer geboren 1970 in Ohlsdorf. Studium der Kunstgeschichte in Wien, Paris und New York. Seit 2008 Leiter des „Project for the Study of Collecting and Provenance“ am Getty Research Institute in Los Angeles. Forschungsschwerpunkte: Geschichte des Kunsthandels, zentraleuropäische Moderne und digitale Kunstgeschichte.

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Vordringliches Ziel dieser Polarisierung war es, den Austritt einer kleinen Gruppe ambitionierter Künstler um Gustav Klimt zu legitimieren, die ihre spezifischen Inter-essen in einer mitgliederstarken und demokratisch orga-nisierten Standesvertretung aufgrund der Mehrheitsver-hältnisse nicht durchsetzen konnte. Die Geschichte sollte ihrer Vorgehensweise insofern Recht geben, als es der Wiener Secession gelang, mit innovativen Pro-dukten und einer Reform des Ausstellungswesens den Anschluss an die internationale Moderne herzustellen. Dass ökonomische Motive für die strategische Positio-nierung der Vereinigung überhaupt keine Rolle spielten, darf wenigstens bezweifelt werden, war doch schon die erste Ausstellung der Secession in den Räumen der k. k. Gartenbau-Gesellschaft 1898 ein finanziell durchschla-gender Erfolg.2 Tatsächlich lagen die prozentuell einbe-haltenen Provisionen bei im Rahmen von Ausstellungen zustande gekommenen Verkäufen in der Secession deutlich über jenen im Künstlerhaus. Die ideologische Opposition zwischen Kunst und Kommerz entstammt

vielmehr dem rhetorischen Waffenarsenal der Moderne. Sie formierte sich in den ästhetischen Debatten des späten 18. Jahrhunderts;3 von den Marketingexperten der Secession wurde sie erfolgreich für die Schärfung des eigenen öffentlichen Profils ausgespielt.

Es lohnt jedoch der Frage nachzugehen, worin das Negativimage des Künstlerhauses seine Begründung finden mochte beziehungsweise welche Aktionen nach-haltig darauf abfärben konnten. Immerhin beklagten auch andere, nicht unmittelbar in die Wiener Graben-kämpfe involvierte Kritiker wie etwa der in Breslau leh-rende Kunst historiker Richard Muther wiederholt den kommerziellen Charakter der Organisation. 1901 ver-suchte er beispielsweise in der Wiener Wochenschrift Die Zeit den Standpunkt der Genossenschaft festzuma-chen und kam dabei zu folgendem Schluss: „Wenn sie überhaupt einen hat, kann es nur der sein, ein Universal-warenhaus müsse alles auf Lager haben.“4 Ein Geschäft für Waren aller Art also?

Abb. 01 Hans Makart, Venedig huldigt Caterina Cornaro, 1872-73 (Belvedere Wien, Inv.-Nr. 5838)

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Die Anfänge der Künstlerhaus-Genossenschaft fallen in eine Zeit ökonomischen Aufschwungs. In den Jahren vor der Weltausstellung 1873 standen die Zei-chen für Wien gut, zum bedeutendsten Umschlagplatz für Kunst im deutschsprachigen Raum zu werden. Das spekulative Fieber der Gründerzeit sprang auf den Kunsthandel über; die Anzahl der Galeristen stieg dras-tisch und die Aufnahmefähigkeit des Marktes schien grenzenlos. Von Beginn an wurden die Räumlichkeiten des Künstlerhauses von Händlern wie Miethke & Wawra, Peter Kaeser, Georg Plach, Alexander Posonyi oder Charles Sedelmeyer angemietet, um prestigereichen Versteigerungen einen angemessenen Rahmen zu ge-ben. Am 10. Dezember 1868 verkündete die Neue Freie Presse, dass die beiden einleitenden Auktionen des diesjährigen Winters ihre besondere Anziehungskraft aus deren Abhaltung im neuen Künstlerhaus beziehen würden. Andererseits unterliege es „keinem Zweifel, dass der freilich etwas profane Lärm eines vorüberge-henden Kunstmarktes auch dem neugeschaffenen

Mittelpunkte unseres Kunstlebens an den Ufern der Wien zugute kommen wird“.5 Der Autor dieser Zeilen, Carl von Lützow, verband mit diesen Veranstaltungen die Hoffnung, dass sich „auch in Wien, wie in Paris, eine regelmäßige Saison der Versteigerungen einbürgert“. Während es in der französischen Kapitale jedoch den Trend gab, Auktionen der exquisitesten Kunstsammlun-gen vom staatlichen Auktionshaus Hôtel Drouot abzuzie-hen und in die luxuriösen Palais der führenden Galeris-ten zu verlegen, musste in Wien ausgerechnet der Musentempel der Künstler den „profanen Lärm“ der Preistreiberei ertragen.

Zweifellos brachten in diesem Zusammenhang die Kunsthändler mitunter qualitativ hochwertige und vor Ort wenig bekannte Werke zur Ausstellung. Peter Kaeser, der viele Jahre bei der renommierten Pariser Firma Goupil & Cie gearbeitet hatte, konnte in einer der erwähnten Auktionen die Sammlung des Stadtbaumeisters Adolph J. Bösch präsentieren, dessen Gemälde der französi-schen und niederländischen Schulen vermutlich sogar

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direkt Einfluss auf die Entwicklung der österreichischen Landschaftsmalerei nahmen.6 Die Werke der Sammlung Bösch stammten zum Großteil aus dem Pariser Kunst-handel, auch Ferdinand Georg Waldmüllers Mütterliche Ermahnung (1850) fand auf diesem Wege wieder zurück nach Wien. Einen der Höhepunkte im Auktionsreigen des frühen Künstlerhauses stellte zweifellos die posthu-me Versteigerung der Sammlung Friedrich Jakob Gsell dar. Die von Georg Plach organisierte Auktion begann am 14. März 1872 und zog sich über zwei Wochen hin. Sein Vermögen hatte der gebürtige Elsässer Gsell im Wollhandel erworben. Nach der Auflassung seines Geschäftes ließ er sich in Wien nieder, wo er zum leiden-schaftlichen Kunstsammler avancierte. Der zweisprachig in Deutsch und – für das internationale Publikum – Französisch publizierte Katalog listet 600 Ölgemälde und mehr als 1 000 Arbeiten auf Papier. Neben einigen erstklassigen Alten Meistern wie Rembrandt, Hals oder Ruysdael bestand die Sammlung aus einem beachtli-chen Mix französischer und österreichischer Realisten. Letztere waren beispielsweise durch je 34 Gemälde von Georg Friedrich Waldmüller und August von Petten-kofen, 300 Aquarelle von Rudolf von Alt und 200 Studi-en von Friedrich Gauermann vertreten. Bei den Franzo-sen fanden sich u. a. Thomas Couture, Alexandre-Gabriel Decamps, Jean-Léon Gérôme, Ernest Meissonier, Jean-François Millet, Théodore Rousseau, Constant Troyon – von Letzterem allein zwanzig Gemälde. Wenige Monate später, kurz vor Weihnachten 1872, brachte der in Wien geborene Pariser Kunsthändler Charles Sedelmeyer eine, was die Franzosen betrifft, überaus ähnliche Kol-lektion im Künstlerhaus unter den Hammer. Im Vorwort des kostbar ausgestatteten Katalogs meinte er dazu: „Wenn es vielleicht Einigen auffallend erscheinen sollte, dass ich eine Sammlung, die so hervorragende und seltene Meister enthält, von Paris, dem großen Kunst-markte Europa’s, weg und nach Wien überführte, so werden mir – so hoffe ich – die geehrten Wiener Kunst-freunde deswegen wohl keinen Vorwurf machen, dass ich in ihre warme Kunstliebe mein volles Vertrauen setz-te und mein bescheidenes Scherflein dazu beitragen wollte, dass meine Vaterstadt allmählich zur Kunststadt ersten Ranges heranblühe, wozu sie bereits einen so erfreulichen Anlauf genommen hat.“7 Selbst in Paris wurde die im Künstlerhaus abgehaltene Auktion mit großem Interesse verfolgt und angesichts der Bedeutung der Kollektion und des glänzenden Ergebnisses zum „Ereignis der Saison für die Wiener Kunstwelt“ erklärt.8

An den Kaufrummel des „famosen Gründerjahres“ 1872 erinnerte sich der Kunsthändler Hugo Othmar Miethke noch Jahrzehnte später in einem Interview mit Berta Zuckerkandl. Angeblich war es damals weitaus leichter, Bilder zu verkaufen, als welche zu akquirieren: „Ich glaube, daß dieser Fall wohl ein Unicum in der Geschichte des Wiener Bilderhandels bleiben wird“, so Miethke noch 1905.9 Die starke Nachfrage vor dem Börsenkrach, der die k. k. Reichshaupt- und Residenz-stadt wenige Tage nach Eröffnung der Weltausstellung erschüttern sollte, dürfte den Import von Werken speziell aus Frankreich beflügelt haben, wo wiederum eine star-ke Überproduktion beklagt wurde. Der Österreichische Kunstverein in den Tuchlauben präsentierte während der Weltausstellung einige Gemälde von Gustave Courbet, darunter Das Atelier des Malers (1855), eines seiner monumentalen Hauptwerke. Im selben Jahr brachte auch Paul Durand-Ruel das kurz davor um eine stattliche Summe erstandene Kolossalgemälde Der Tod des Sar-danapal (1827) von Eugène Delacroix bei dieser Konkur-renzinstitution des Künstlerhauses zur Ausstellung. Außerdem beschickte der später als Impressionisten-Händler legendär gewordene Durand-Ruel nicht nur den französischen Pavillon auf der Weltausstellung, wo er einen frühen Manet (Der Lesende, 1861) einzuschleu-sen wusste, sondern entsandte auch einen Mitarbeiter nach Wien, der in einer eigens angemieteten Galerie in Künstlerhaus-Nähe eine Auslese seiner französischen Meister zum Verkauf anbot.

Um die zentralen Räumlichkeiten des Künstlerhau-ses selbst lieferte sich im Vorfeld der Weltausstellung Alexander Posonyi ein Gefecht mit Miethke & Wawra. Letztere hatten bei Hans Makart das vier mal zehn Meter große Bild Venedig huldigt Caterina Cornaro Abb. 01 um kolportierte 80.000 Gulden in Auftrag gegeben oder zumindest in einem frühen Stadium erworben. Dieses Gemälde sollte als Zugstück für eine Verkaufsausstel-lung fungieren. Beflügelt von fabelhaften Einnahmen in den Jahren davor, waren Miethke & Wawra bereit, auch für die Anmietung des Künstlerhauses während der Weltausstellung eine bedeutende Summe in die Hand zu nehmen. Nach einem Bericht des angesehenen Malers August Schaeffer von Wienwald versuchte Alex-ander Posonyi, sie in zwei Anläufen zu übertrumpfen. Letztendlich entschloss sich der Vorstand der Genos-senschaft allerdings, „bei der in korrektem Vorgehen mit der genannten Firma de jure eingegangenen Pacht zu verharren“.10 Außerdem erhoffte man sich von Miethke &

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Wawra eine würdigere Vertretung der österreichischen Künstler in der Ausstellung rund um Makarts Caterina Cornaro. Die theatralische Inszenierung des Zugstücks erfreute sich jedenfalls enormer Beliebtheit beim Publi-kum. Wie bei heutigen immersive environments bemühte man sich, die Grenze zwischen Bildraum und Betrachter-raum zum Verschwinden zu bringen. Das riesige Gemäl-de nahm die dem Treppenaufgang gegenüberliegende Wand des Hauptsaals im Obergeschoß – die sogenann-te Sensationswand – ein. Angelockt von Riesenaffichen berichtete Makarts künstlerischer Antipode, Anselm Feuerbach: „Schon unter dem Portal, von der Marmor-treppe aus, sieht man die Katharina leuchten. Der Zu-schauerraum ist durch schwarzes Tuch ganz verdunkelt, so daß das Oberlicht haarscharf wirkt. Das Bild müßte durch die raffinierte Aufstellung, selbst wenn es schwach in der Farbe wäre, immerhin eine magische Wirkung erreichen.“11

Obwohl das Bild anschließend jahrelang auf Tour-nee war, konnte Miethke seine hohen Investitionen nur mit Mühe einspielen. Diese finanziell riskanten Events, deren Kosten im Wesentlichen durch den Verkauf von Eintrittskarten und Reproduktionen gedeckt wurden, markieren die konsequente Hinwendung zur Öffentlich-keit und die Erhebung des Publikums zum obersten Kunstrichter. Die weitläufige Praxis der Einzelbildausstel-lung stellte im 19. Jahrhundert eine populäre Form visu-eller Unterhaltung dar.12 Von Kunstkennern wurden diese profitorientierten Unternehmungen jedoch gerne ab-wertend mit Attraktionen im Umkreis von Jahrmärkten und Volksfesten in Verbindung gebracht. In Paris sollte Jacques-Louis David für die separate Ausstellung seiner Sabinerinnen (1799) sogar Vergnügungssteuer zahlen. Die Stadtverwaltung forderte von ihm ein Viertel der Einnahmen unter Berufung auf ein Gesetz, das für Pano-ramen, Feuerwerke, Ballonfahrten und Aufführungen aller Art eine Abgabe vorsah.13 In Wien wetterte Rudolf von Eitelberger wiederholt gegen das nivellierende „Mass der Vereins- und Handelsbilder“, die schon ihrem Gegenstande nach „das laute Geheimnis verrathen, dass sie gemalt sind ohne Auftrag, dass sie für keine staatlichen Bedürfnisse bestimmt sind“.14 Entfunktionali-sierung und Kommerzialisierung der Malerei waren der Preis für die Entlassung des Künstlers aus dem Dienst für Hof, Staat und Kirche, das heimatlose Kunstwerk populären Inhalts ihr sinnfälligster Ausdruck.

Als erste Adresse für Sensationskunst in Wien galt seit seiner Gründung 1850 der Österreichische

Kunstverein, der die abwechslungssüchtige Menge mit weitgereisten Tourneebildern zu unterhalten pflegte. Während der 1870er und 1880er Jahre wurde allerdings auch das Künstlerhaus immer häufiger Schauplatz solch spektakulärer Schaustellungen: Die Bai des Todes, Stanislaus Zolkiewski’s Tod, Die Schlacht bei Grun wald, Der Einzug Karl’s V. in Antwerpen, Die Gesandten Ladislaw’s am Hofe Carl VII. von Frankreich etc. Charles Sedelmeyer nutzte im Jänner 1882 gleich beide Ver-einslokale. Im Künstlerhaus inszenierte er Michael von Munkácsys Kolossalgemälde Christus vor Pilatus Abb. 02; in den Tuchlauben stellte er eine Kollektion von Ölgemäl-den, Studien, Aquarellen und Kupferstichen desselben Meisters aus. Aufgrund eines zehnjährigen Exklusivver-trages hatte der Kunsthändler völlige Kontrolle über die kommerzielle Verwertung von Munkácsys Œuvre. Das bereits im Vertrag eingeforderte Tourneebild war Stadt-gespräch, noch bevor es in Wien einlangte. Grund dafür waren die „fast abenteuerlichen Journalberichte aus Paris, die Gerüchte über den fabelhaften Preis des Bildes, kurz Alles das, was die öffentliche Aufmerksam-keit erregen musste, selbst wenn man in An- und Ab-schlag brachte, was an all’ den Sensationsgerüchten durch eifriges Kunsthändler-Interesse in Curs gebracht worden sein mochte“.15 Dem Künstlerhaus sandte Charles Sedelmeyer präzise Regieanweisungen, wie das von ihm „produzierte“ Monumentalwerk Christus vor Pilatus zu installieren sei. Ein Brief vom 16. Dezember 1881 enthält eine Skizze Abb. 03, welche das auf drama-tische Wirkung kalkulierte Wechselspiel von Licht, Lein-wand und Publikum verdeutlicht.16 Allein die künstliche Beleuchtung durch vier Lampen von Siemens & Halske kostete 2.300 Gulden. Sie bestrahlten von oben, für den Betrachter unsichtbar, das leicht nach vorne geneigte Gemälde. Um den Blick auf das Meisterwerk auch in den hinteren Reihen des abgedunkelten Raumes nicht zu beinträchtigen, sollte ein treppenartiges Podest ein-gebaut werden. Das Fremden-Blatt berichtete von einer ganz hinten in der Menge stehenden Mutter, die tief er - griffen ihr Kind emporhob: „Siehst du jetzt?“, fragte sie. – „Ich sehe“, rief das Kind, „aber ich höre nichts.“17 Diese klassischen Künstlerlegenden nachempfundene Anekdote evozierte die Illusionskraft des Gemäldes und dessen packende Wirkung. Innerhalb von 45 Tagen strömten fast 50 000 Besucher ins Künstlerhaus. Die mit 800 Plakaten in der ganzen Stadt beworbene Schau brachte einen Reinerlös von 13.893 Gulden, wobei 25 Prozent davon für ein Künstler-Stipendium in Paris

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vorgesehen waren. Annoncen in der Presse ist zudem zu entnehmen, dass die gesamten Ein nahmen der ersten Ausstellungswoche den verarmten Opfern der Ringthea-ter-Katastrophe zugute kommen sollten.18 Wurde hier der wohltätige Zweck als zusätzliches Lockmittel verwendet, setzte man im Kunstverein mit Josef Hoffmanns Der Brand des Ringtheaters gleich auf die Massenwirksam-keit des Desasters. Die Steigerung der illusionistischen Wirkung mittels elektrischen Lichts und eingebauter Spiegel fand indes mehr und mehr Kritiker. Adolf Rosen-berg meinte in der Kunstchronik: „Solche Hilfsmittel sollten aber bei einem wahrhaft vornehmen Kunstwerke verschmäht werden, wie überhaupt die ganze Inscenie-rung des Bildes einen schaubudenartigen Charakter hat. Selbst bei den Makartschen Wanderbildern hat man sich solcher Jahrmarktskniffe, zu denen auch die künstli-che Beleuchtung des Abends gehört, nicht bedient.“19

Der kommerzielle Charakter von Ausstellungen trat bei solchen Veranstaltungen besonders deutlich zutage. Wie die Auktionen wurden sie vornehmlich von Kunst-händlern durchgeführt, deren marktschreierische Strate-gien das Image des Künstlerhauses am Ende des 19. Jahrhunderts nachhaltig prägten. Richard Muther applaudierte, als in Wien die früher von Händlern ge-machten Ausstellungen plötzlich von Künstlern ihre Weihe erhielten. Für ihn bezeichneten die europäischen Secessionen einen Markstein in der Geschichte des Ausstellungswesens. Bis in die Zeit um 1890 gab es seines Erachtens nämlich ausschließlich „[...] Riesen-bildermärkte. Sie zermarterten die Nerven des Kunst-freundes, da er durch einen Wust gleichgilter Ware sich durchringen musste. Sie nöthigten den Maler zu nutzlo-ser Kraftvergeudung, zwangen ihn, todgeborene Kinder, sensationelle Schaustücke in die Welt zu setzen, nur weil das Echte, Be scheidene im Jahrmarktgetöse über-schrien ward. Die Secessionen – erst in Paris und München, dann in Berlin und Wien – nahmen den Aus-stellungen diesen Charakter der Schaubude. Alles Commerzielle wurde ausgeschlossen, das grosse Spek-takelstück verbannt.“20 Der traditionsreiche Pariser Salon wurde seit seiner Öffnung für Nichtakademiker im Jahr 1791 mit ähnlichen Vorwürfen attackiert.21 Ist im Zusam-menhang mit dem Künstlerhaus von „Ramschbazar“, „Universalwarenhaus“ und „Jahrmarktbude“ die Rede, stößt man in der Terminologie der französischen Kunst-kritik des 19. Jahrhunderts häufig auf Begriffe wie „gran-de boutique d’image“, „grand marché de l’art“, „bazar“, „entrepôt“ oder „hangar“. Die Nutzung des Palais de

l’Industrie als Mehrzweckhalle, in der nicht nur der jährli-che Salon, sondern auch Expositionen von Waren aller Art abgehalten wurden, trug ebenso zu dessen Diskredi-tierung bei wie die diversen kommerziellen Vermietungen im Künstlerhaus. Hier wie dort kritisierte man die ins Riesenhafte gewachsenen Jahresausstellungen, wo tausende Gemälde in mehreren Reihen, Rahmen an Rahmen und unter äußerster Nutzung der Hängefläche gezeigt wurden. Ein Loch mitten in der Wand klaffte laut Muther im Künstlerhaus nur, wenn ein Käufer sein Bild gleich als Geschenk mit nach Hause nehmen wollte.22 Moderne Franzosen wie Auguste Rodin oder Claude Monet waren im Künstlerhaus lange vor der Secession zu sehen, nur wurden sie in der polyglotten Assemblage von Objekten leicht übersehen. Die Secession reduzier-te deshalb die Anzahl der ausgestellten Kunstwerke beträchtlich, „denn die Aufnahmefähigkeit unseres Au-ges ist nicht grösser als die des Magens oder des Oh-res“, so Muther. „Wir können kein Diner vertragen, das massenhafte Gänge ohne feineres culinarisches Pro-gramm serviert, finden es geschmacklos, wenn in einem Concert bunt durcheinander verschiedene Weisen gespielt werden. Ebenso barbarisch sind Ausstellungen, die ohne festen Plan heterogene Kunstwerke aneinander reihen.“23 Die moderne Kunstausstellung musste für-derhin ihre Exponate zu einer stringenten Erzählung oder wenigstens zu einem dekorativen Ensemble verweben, wollte sie nicht mit den verführerischen Wareninszenie-rungen der Kaufhäuser in Beziehung gebracht werden. Preisangaben zu ausgestellten Werken, wie sie in diver-sen Künstlerhaus-Katalogen noch zu finden waren, mussten verschwinden. Während auf der Mariahilferstra-ße neue Konsumtempel wie Herzmansky oder Gerngroß stolz die glitzernde Fülle der Warenwelt präsentierten, betrieben die Secessionisten programmatisch die Ver-treibung der Wechsler aus dem Tempel der Kunst. Die Räume der Secession erweckten den Eindruck, „als handle es sich gar nicht um eine kurzlebige, für Wochen beschickte Schaustellung, sondern als weile man in der Privatgalerie eines vornehmen Liebhabers“.24 Obwohl auch die Secession eng in den internationalen Kunst-handel verstrickt war, auch ihre symbolischen Güter für den Verkauf bestimmt waren, gelang es ihr im Vergleich zum Künstlerhaus weitaus besser, Ausstellungen eine marktferne Aura zu verleihen Abb. 04. Der feine Unter-schied lag oft eher in den Präsentationstechniken und Marketingmethoden als in der Qualität der ausgestellten Werke.25

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Abb. 02 Michael Nagl, Präsentation des Gemäldes Christus vor Pilatus (1881) in der Ausstellung Munkácsy, Magic & Mystery im Erdgeschoß des Künstlerhauses (31. März bis 3. Juni 2012)

Im Jahr 1882 besuchten im Zeitraum von 45 Tagen 50.000 Menschen die erstmalige Präsentation im Künstlerhaus

Abb. 03 Präzise Regie-anweisungen und eine Skizze zur Inszenierung des Monumentalwerks „Christus vor Pilatus“ sind in einem Brief des Kunsthändlers Charles Sedelmeyer an das Wiener Künstlerhaus (16.12.1881) zu finden. (Künstlerhaus-Archiv, Mappe Personen, Charles Sedelmeyer)

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Abb. 04 Anonym, Einblick in die X. Ausstellung der Secession, Fotografie, 1901 (Künstlerhaus-Archiv). Gustav Klimts Medizin aus der von der Universität beauftragten Serie der alle-gorischen Darstellungen der Fakultäten wurde hier erstmals präsentiert.

Abb. 05 Anonym, Jubiläums-Kunstausstellung 1898 (19.4.-3.7.1998), Fotografie, 1898 (Künstlerhaus-Archiv) Provisorischer Saal-Zubau vor dem Deutschen Saal mit der internationalen Plastik; oben dekorativer Fries mit Jugend-stilmotiven

1 Bahr, Hermann, Vereinigung bildender Künstler Österreichs. Secession, in: Ver Sacrum 1 (1898), Heft 1 (Jänner), 10–15.

2 Mehr als die Hälfte der Werke wurde für insgesamt 85.000 Gulden verkauft und ein Reingewinn von 3.858 Gulden erzielt. Die im Künstlerhaus einbehaltenen Provisionen bei Verkäufen betrugen 2,5–5 %, in der Secession 10 %. Vgl. Aichelburg, Wladimir, Das Wiener Künstlerhaus. 150 Jahre 1861–2011, Wien 2003, 353.

3 Mattick, Paul, Art and Money, in: Mattick, Paul, Art in its Time: Theories and Practices of Modern Aesthetics, London 2003, 24–45.

4 Muther, Richard, Fall Klimt und Künstlerhaus, in: Die Zeit vom 30. März 1901, 202.

5 Lützow, Carl von, Zwei Kunst-Auctionen, in: Neue Freie Presse (Morgenblatt) vom 10. Dezember 1868, 1.

6 Haja, Martina, Der österreichische Stimmungsimpressionismus, in: Czymmek, Götz (Hg.), Landschaft im Licht. Impressionistische Malerei in Europa und Nordamerika 1860–1910, Ausstellungskatalog Wallraf-Richartz-Museum, Köln 1990, 156–163.

7 Auctions-Catalog, Gemälde moderner und alter Meister. Collection Sedelmeyer-Paris, Künstlerhaus Wien (21.–22. December 1872), 6.

8 Vente Sedelmeyer à Vienne, in: La chronique des arts et de la curiosité. Supplément à la Gazette des beaux-arts 1873, Nr. 7 (15. Februar), 59.

9 Zuckerkandl, Berta, Aus dem Leben eines berühmten Kunsthändlers. Interview mit Herrn Miethke, in: Wiener Allgemeine Zeitung (6 Uhr-Blatt) vom 29. Jänner 1905, 3–5. Siehe auch: Natter, Tobias G., Die Galerie Miethke. Eine Kunsthandlung im Zentrum der Moderne, Ausstellungskatalog Jüdisches Museum, Wien 2003, 37–44.

10 Schaeffer, August, Karl Josef Wawra, in: Neue Freie Presse (Morgenblatt) vom 30. Juni 1905, 2. Laut Schaeffer meldete Alexander Posonyi sich mit einem Mehrangebot von 2.500 Gulden beim Künstlerhaus, in einer zweiten Offerte bot er sogar einen Mietzins von insgesamt 40.250 Gulden – angeblich um 23.000 Gulden über jenem von Miethke & Wawra. H. O. Miethke beziffert seine Ausgaben allerdings mit 45.000 Gulden Miete und 50.000 Gulden für den Auftrag bei Hans Makart.

11 Feuerbach, Anselm, Ein Vermächtnis, Berlin 1912, 202–203.

12 Torner, Christian, Ausstellungen einzelner Gemälde vom späten 18. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte bürgerlicher Kunst, Kultur und Mentalität in Europa, Diss. phil. (Ms.), Florenz 1997.

13 Ebenda, 82. 14 Eitelberger, Rudolf von, Öffentliche

Kunstpflege, in: Lützow, Carl von, Kunst und Kunstgewerbe auf der Wiener Weltausstellung 1873, Leipzig 1875, 273.

15 Groller, Balduin, Munkácsy’s „Christus vor Pilatus“, in: Neue Illustrierte Zeitung 1 (1882), Nr. 15, 230.

16 Künstlerhaus-Archiv, Biographische Mappe: Charles Sedelmeyer, Brief von Charles Sedelmeyer an die Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens vom 16. Dezember 1881.

17 Hevesi, Ludwig, Munkácsy’s „Christus vor Pilatus“ (Ausgestellt im Künstlerhause), in: Fremden-Blatt (Morgen-Blatt) vom 1. Jänner 1882, 13. Dieser Bericht bezieht sich allerdings auf die vergleichbar theatralische Inszenierung in Sedelmeyers Pariser Galerie.

18 Siehe z. B.: Neue Freie Presse (Morgenblatt) vom 14. Jänner 1882, 11.

19 Rosenberg, Adolf, Munkácsy’s „Christus vor Pilatus“, in: Kunstchronik vom 13. März 1884 (Heft 22), 361.

20 Muther, Richard, Die Ausstellung der Secession, in: Die Zeit vom 18. November 1899, 103.

21 Mainardi, Patricia, The End of the Salon: Art and the State in the Early Third Republic, New York 1993.

22 Muther, Richard, Wiener Kunstleben, in: Die Zeit vom 30. Dezember 1899, 202.

23 Muther, Richard, Wiener Ausstellungen, in: Die Zeit vom 24. März 1900, 185.

24 Wie Anm. 22, 201. 25 Huemer, Christian, Gustav Klimt – ‚Prophet‘ der

Wiener Moderne: Marketing und Kult im Secessionismus, in: Koja, Stephan (Hg.), Gustav Klimt. Landschaften, Ausstellungskatalog Österreichische Galerie Belvedere, Wien 2002, 145–160.

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So. Wo die herkommen weiß man nicht mehr so genau. Und die Bu???