Sultanspracht im Papstpalast oder: Das Recht des Teppichs. Beobachtungen zu orientalischen...

37
EOTHEN MÜNCHNER BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DER ISLAMISCHEN KUNST UND KULTUR Im Auftrag der Gesellschaft der Freunde Islamischer Kunst und Kultur herausgegeben vom Vorstand BUCHINHALT Augustin, Bernd*: Aus Preußens Erbe – eine osmanische Systemtruhe aus der Zeit Sultan Süleymans I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Bürgel, Johann Christoph*: Auf Spuren östlicher Weisheit – Autobiographische Skizzen aus dem Leben eines Orientalisten . . . . . . . . . . 27 Busse, Heribert*: Das islamische Jerusalem – Eine Stadt der Sicherheit und des Schutzes vor dem Bösen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Erduman-Çalış, Deniz*: Yıldız Porzellan – Zeugnis einer Epochenschwelle. Die Hofmanufaktur Sultan Abdülhamids II. (1887–1909) in Istanbul . . . . . 75 Kreiser, Klaus*: Turkologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München – Eine Spurensuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Morar, Alexander: Der Wirt im Diwan des Ḥāfiẓ – Eine Einführung . . . . 106 Muhawi, Ibrahim: Das Andere im Text – Reflexionen über Literarisches Übersetzen aus dem Arabischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Nagel, Tilman*: Die Welt ist im Heil – Al-Buḫārī († 870) und die Geschichte des sunnitischen Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Fulda, Gerhard*: Das Saz-Blatt und sein Mythos – Überleben in Stil und Schönheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Günaltay, Güven: Kulturgeschichten aus dem Museum für Islamische Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Kuehn, Sara*: Ungeheuer als Träger lebensspendender Macht? – Transreli- giöse Migrationen einer alten Symbolik im Vorderen Orient (9.–14. Jh.). . . 168 Mages, Emma: Beschriftete Sakralarchitektur – Die Moschee in Penzberg, die Synagoge Ohel Jakob und die Herz-Jesu-Kirche in München . . . . . . . . 189 Pilz, Marcus: „Die Türkenfahne zeuge Bayerns Ruhm“ – Zur Geschichte und Rezeption einer osmanischen Fahne in München. . . . . . . . . . . . . . . . 212 Scharrahs, Anke*: ʿaǧamī, ablaq und mehr – vergessene Dekorations- techniken in Damaszener Wohnhäusern des 17. bis 19. Jahrhunderts . . . . 228 Niewöhner, Elke*: Die Welt als Abbild und Mythos – Neue Erkenntnisse zur Berliner Indischen Weltkarte . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Schulz, Vera-Simone: Sultanspracht im Papstpalast oder: Das Recht des Teppichs. Beobachtungen zu orientalischen Knüpfteppichen in der italienischen Malerei des 14. Jahrhunderts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Siegmund-Mairinger, Gabriele: Der Orient in der weltgeschichtlichen Perspektive des Historismus – „Muhameds Einzug in Mekka“ und das Islambild der Historischen Galerie im Maximilianeum . . . . . . . . . . . . . . . 337 * Mitglied der Gesellschaft SONDERDRUCK Band VI · 2014 Kunstverlag Josef Fink

Transcript of Sultanspracht im Papstpalast oder: Das Recht des Teppichs. Beobachtungen zu orientalischen...

EOTHENMÜNCHNER BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE

DER ISLAMISCHEN KUNST UND KULTUR

Im Auftrag der Gesellschaft der Freunde Islamischer Kunst und Kultur

herausgegeben vom Vorstand

BUCHINHALT

Augustin, Bernd*: Aus Preußens Erbe – eine osmanische Systemtruhe aus der Zeit Sultan Süleymans I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .7

Bürgel, Johann Christoph*: Auf Spuren östlicher Weisheit – Autobiographische Skizzen aus dem Leben eines Orientalisten . . . . . . . . . . 27

Busse, Heribert*: Das islamische Jerusalem – Eine Stadt der Sicherheit und des Schutzes vor dem Bösen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

Erduman-Çalış, Deniz*: Yıldız Porzellan – Zeugnis einer Epochenschwelle. Die Hofmanufaktur Sultan Abdülhamids II. (1887–1909) in Istanbul . . . . . 75

Kreiser, Klaus*: Turkologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München – Eine Spurensuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

Morar, Alexander: Der Wirt im Diwan des Ḥāfiẓ – Eine Einführung . . . . 106Muhawi, Ibrahim: Das Andere im Text – Reflexionen über

Literarisches Übersetzen aus dem Arabischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125Nagel, Tilman*: Die Welt ist im Heil – Al-Buḫārī († 870)

und die Geschichte des sunnitischen Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131Fulda, Gerhard*: Das Saz-Blatt und sein Mythos – Überleben

in Stil und Schönheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146Günaltay, Güven: Kulturgeschichten aus dem Museum

für Islamische Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153Kuehn, Sara*: Ungeheuer als Träger lebensspendender Macht? – Transreli-

giöse Migrationen einer alten Symbolik im Vorderen Orient (9.–14. Jh.). . . 168Mages, Emma: Beschriftete Sakralarchitektur – Die Moschee in Penzberg,

die Synagoge Ohel Jakob und die Herz-Jesu-Kirche in München . . . . . . . . 189Pilz, Marcus: „Die Türkenfahne zeuge Bayerns Ruhm“ – Zur Geschichte

und Rezeption einer osmanischen Fahne in München. . . . . . . . . . . . . . . . 212Scharrahs, Anke*: ʿaǧamī, ablaq und mehr – vergessene Dekorations-

techniken in Damaszener Wohnhäusern des 17. bis 19. Jahrhunderts. . . . 228Niewöhner, Elke*: Die Welt als Abbild und Mythos –

Neue Erkenntnisse zur Berliner Indischen Weltkarte . . . . . . . . . . . . . . . . 279Schulz, Vera-Simone: Sultanspracht im Papstpalast oder: Das Recht

des Teppichs. Beobachtungen zu orientalischen Knüpfteppichen in der italienischen Malerei des 14. Jahrhunderts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302

Siegmund-Mairinger, Gabriele: Der Orient in der weltgeschichtlichen Perspektive des Historismus – „Muhameds Einzug in Mekka“ und das Islambild der Historischen Galerie im Maximilianeum . . . . . . . . . . . . . . . 337

* Mitglied der Gesellschaft

SONDERDRUCK

Band VI · 2014

Kunstverlag Josef Fink

EOTHEN_VI_2014_SDUmschlag_RZ.indd 1EOTHEN_VI_2014_SDUmschlag_RZ.indd 1 27.11.14 11:3827.11.14 11:38

302

SULTANSPRACHT IM PAPSTPALAST ODER: DAS RECHT DES TEPPICHS.

Beobachtungen zu orientalischen Knüpfteppichen in der italienischen Malerei des 14. Jahrhunderts

Vera-Simone Schulz

Als ein Fotograf am 23. September 1950 Konrad Adenauer, umgeben von seinem Wirtschaftsminister Ludwig Erhard und von den Hohen Kommissaren der Ver-einigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs, John J. McCloy, Sir Ivone Kirkpatrick und André François-Poncet, im Hotel Petersberg bei Königswinter fotografierte, entbehrte die Platzierung der Dargestellten nicht einer gewissen Ironie: hinter ihnen eine mit einem Läu-fer bedeckte Treppe, vor ihnen, aus-schnitt haft zu sehen, ein Teppich (Abb. 1). Dabei hatte just ein Teppich ein Jahr zuvor an eben diesem Ort bei den Anwesenden für diplomatischen Aufruhr gesorgt. Anlass der Zusammen-kunft am 21. September 1949 war die Überreichung des Besatzungsstatutes an Konrad Adenauer gewesen, wofür ein streng geregeltes Zeremoniell fest-gelegt worden war. So hatte man ver-abredet, dass sich die deutsche Delega-tion in angemessenem Abstand vor einem Teppich einzufinden habe, auf welchem allein die Hohen Kommissare stehen durften. Erst als der Vorsitzende das Inkrafttreten des Besatzungsstatu-tes verkündet hatte, sollte auch Ade-nauer den Teppich betreten. Die deut-sche Delegation hielt sich zunächst an das Protokoll und machte wie vorge-schrieben vor dem Teppich halt. Als jedoch der französische Kommissar gleich zu Beginn der Zeremonie einen Schritt nach vorn trat, um Adenauer zu begrüßen, nutzte dieser geistesgegen-wärtig sofort die Gelegenheit, François-

Abb. 1: Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und die Hohen Kommissare im Hotel Petersberg

Abb. 2: Konrad Adenauer betritt den Teppich der Hohen Kommissare

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 302EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 302 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

303Vera-Simone Schulz

Poncet höflich entgegenzutreten und damit gleichfalls auf dem Teppich zu stehen (Abb. 2).1 Das Petersberger Abkommen ging in die Geschichte ein – ebenso Ade-nauers voreiliges Betreten des Teppichs.

Die Symbolkraft des Teppichs als abgegrenzter Raum der Macht reicht weit zurück. Eine der von Charles Le Brun entworfenen Tapisserien mit Darstellungen ausgewählter Ereignisse aus dem Leben des Sonnenkönigs zeigt etwa die Audienz, welche Ludwig XIV. dem spanischen Botschafter Fuentes am 25. März 1662 gewährte (Abb. 3). In der traditionell ausgezeichneten linken Bildhälfte genießen die um den französischen König stehenden Personen eine zweifache Sonderstellung: Zum einen dürfen allein sie ihre Hüte in Gegenwart des Herrschers tragen, andererseits teilen sie sich mit diesem den durch einen persischen Bodenteppich unübersehbar hervorgehobenen Bereich. Ludwig XIV. war ein Liebhaber orientalischer Knüpftep-piche und förderte außerdem die Textil- und Teppichproduktion im eigenen Land.2 Die Darstellung des importierten Knüpfteppichs auf der in Frankreich gefertigten 1 Vgl. Adolf M. Birke, Nation ohne Haus. Deutschland 1945–1961, Berlin 1989, S. 253 f. Anders als

im darauffolgenden Jahr war der Kommissar Großbritanniens am 21. September 1949 Brian H. Robertson. Zur Teppichepisode siehe jüngst auch Costanza Caraffa und Avinoam Shalem, „Hitler’s carpet: A tale of one city“ in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 55, 2013, S. 119–143, hier S. 133.

2 Zu Bodenteppichen am Hof Ludwigs XIV. vgl. Alberto Boralevi, „The carpets of ‚Le Roi Soleil‘ “, in: Halι 6.1, 1983, S. 38–39; Edith Appleton Standen, „A king’s carpet“, in: The Metropolitan Museum of Art Bulletin 13.9, 1955, S. 257–265; Pierre Verlet, „Les tapis de la chapelle de Versailles au XVIIIe siècle“, in: Revue de l’art 1–2, 1968, S. 65–71. Zum Medium Tapisserie siehe Wolfgang

Abb. 3: Ludwig XIV. empfängt den Botschafter Fuentes, Tapisserie, 1673-1680, Paris, Mobilier National, GMTT 95

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 303EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 303 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

304 Sultanspracht im Papstpalast oder: Das Recht des Teppichs

Tapisserie wirft nicht nur Fragen nach dem Verhältnis verschiedener textiler Medien zueinander auf, wie auch nach der Verkettung von Tapisserie, Teppich und Malerei, sondern sie verweist darüber hinaus auf den Gebrauch von Bodenteppichen am französischen Hof. Unter Ludwig XIV. war streng festgelegt, wer einen Teppich betreten durfte, auf dem der König thronte, stand oder eine Amtshandlung vollzog. Zahlreiche Beschreibungen geben Einblick in das komplizierte ‚Teppichzeremoniell‘, welches etwa vorsah, dass Teppiche in der Schlosskapelle mit Ausnahme des Regen-ten nur dessen engster Familie, insbesondere dem Dauphin und den Enkeln des Königs vorbehalten waren.3 Wolfgang Brassat hat deshalb in seiner Studie zu der Tapisserien-Folge mit G. A. Varron auch von einem „Recht des Teppichs“ gespro-chen.4 Während zeremonielle Fragen hinsichtlich des Gebrauchs von Knüpfteppichen am Abbasidenhof in Bagdad von Avinoam Shalem und in Europa darüber hinaus zum Beispiel von Lisa Monnas erörtert wurden, steht eine solche Untersuchung speziell für den italienischen und päpstlichen Kontext im ausgehenden Mittelalter noch aus.5 Dieser soll deshalb im Folgenden mittels Analysen früher Teppichdar-stellungen in der italienischen Malerei sowie Schriftzeugnissen über den Gebrauch von Teppichen für eine erste Annäherung der Boden bereitet werden.6

GIOTTOS TEPPICH-PARADOX UND DIE PAPAGEIEN DER PÄPSTE

I.

In der wohl in den 1320er Jahren von Giotto di Bondone ausgemalten Bardi-Kapelle der Florentiner Franziskanerkirche S. Croce bieten sich dem Betrachter zur Rechten gleich zwei Audienzszenen dar: im mittleren Wandfeld die Feuerprobe

Brassat, Tapisserie und Politik: Funktionen, Kontexte und Rezeptionen eines repräsentativen Mediums, Berlin 1992.

3 Siehe Élisabeth Charlotte d’Orléans, Secret memoirs of the court of Louis XIV. and of the regency extracted from the German correspondence of the duchess of Orleans, mother of the regent, London 1824, S. 418. Zu weiteren Differenzierungen vgl. Alexandre Maral, La Chapelle Royale de Versailles sous Louis XIV: Céremonial, liturgie et musique, Wavre 2010, S. 46, 117, 225, 237, 306, 347, 352, 354 und 357.

4 Wolfgang Brassat, „Monumentaler Rapport des Zeremoniells. Charles Le Bruns ‚tenture de l’Histoire du Roy‘ “, in: Zeremoniell als höfische Ästhetik in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Jörg Jochen Berns und Thomas Rahn, Tübingen 1995, S. 353–381, hier S. 364 und Anm. 34; G. A. Varron, „Der Teppich als Kennzeichen der Macht“, in: Ciba-Rundschau II 21, 1938, S. 738–740.

5 Avinoam Shalem, „Forbidden territory. Early Islamic audience-hall carpets“, in: Halι 99, 1998, S. 70–77; Caraffa/Shalem 2013 (wie Anm. 1), S. 126–132; Lisa Monnas, Merchants, princes, and painters: Silk fabrics in Italian and Northern paintings, 1300–1500, New Haven [u.a.] 2008, S. 242–245. Zu Ausstattungsobjekten am Abbasidenhof siehe auch Marcus Milwright, „Fixtures and fit-tings: The role of decoration in Abbasid palace design“, in: A medieval Islamic city reconsidered: An interdisciplinary approach to Samarra, hg. von Cynthia Robinson, Oxford 2001, S. 79–109, hier S. 105–109. Für eine Untersuchung von orientalischen Knüpfteppichen in Florenz aus wirtschaftshis-torischer Perspektive siehe Marco Spallanzani, Oriental rugs in Renaissance Florence, Florenz 2007.

6 Der vorliegende Text bietet Einblick in Überlegungen, welche im Rahmen der Dissertation der Verfasserin Eindringliche Dinge: ‚Orientalisierungen‘ und textile Ästhetik in Florenz und der Tos-kana, 1175–1450 weiter verfolgt und ausgeführt werden.

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 304EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 304 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

305Vera-Simone Schulz

vor dem Sultan und direkt darüber die Bestätigung der Ordensregel (Abb. 4).7 Allein das herrschaftliche Attribut des Teppichs ist ungleich verteilt. Während zum Thron des Ayyubidensultans Malik al-Kāmil Stufen unbedeckt emporführen,

knien die Minderbrüder vor dem Papst auf einem Teppich (Abb. 5); – ein kont-rastreiches, in der Forschung bislang übersehenes Detail, dessen visuelle Tragweite sich erst durch eine Kontextualisierung erschließt.

So erscheint ein Teppich in einer Papstdarstellung bereits auf Giottos Stig-matisationstafel im Louvre, und auch hier ist das Bildsujet die Bestätigung der Ordensregel (Abb. 6).8 Durch einen Nimbus von den übrigen fratres ausgezeich-net, kniet Franziskus vor dem auf einem Podest thronenden Papst und nimmt von diesem die Schriftrolle entgegen. Der gesamte Raum ist mit einem Teppich ausgelegt, von dessen rotem Grund sich auffällig weiße Adler in weißgerahmten Hexagonen abheben.9 Während sich in der an diese Szene angrenzenden Darstellung der Vogelpredigt die unterschiedlichsten Vogelarten vor Franziskus niedergelassen haben,10 finden sich die uniformen Adler in der Bestätigung der Ordensregel in die Felder des Rastermusters des gemalten Teppichs gleich einzelnen Käfigen gesperrt.

7 Vgl. Rona Goffen, Spirituality in conflict. Saint Francis and Giotto’s Bardi Chapel, University Park u.a. 1988 und Michael Viktor Schwarz, „Ephesos in der Peruzzi-, Kairo in der Bardi-Kapelle: Materialien zum Problem der Wirklichkeits-Aneignung bei Giotto“, in: Römisches Jahrbuch der Bibliotheca Hertziana 27./28, 1991/1992 (1992), S. 23–57 mit weiterer Literatur.

8 Vgl. Élisabeth Ravaud, Linda Pisani und Donal Cooper, „Giotto di Bondone. La Stigmatisation de saint François d’Assise“, in: Ausst.-Kat. Giotto e compagni, hg. von Dominique Thiébaut, Paris 2013, S. 76–93 mit weiterer Literatur, aus der auch die unterschiedlichen Datierungsvorschläge aufgeführt werden. Ravaud/Pisani/Cooper selbst datieren die Tafel auf um 1298.

9 Der Teppich fiel bereits Julian Gardner auf, vgl. Julian Gardner, „Saint Louis of Toulouse, Robert of Anjou and Simone Martini“, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 38, 1975, S. 23, Anm. 74 und 75. Vgl. auch den Adlerteppich vor dem Bett Innozenz‘ III. in der angrenzenden Szene Der Traum Innozenz‘ III., Ravaud/Pisani/Cooper 2013 (wie Anm. 8), S. 80, Abb. 51.

10 Zu den Vogeldarstellungen vgl. Linda Pisani, „Giotto di Bondone. La Stigmatisation de saint François d’Assise“, in: Ausst.-Kat. Paris 2013 (wie Anm. 8), S. 79–87, hier S. 87 sowie Johannes

Abb. 5: Detail von Abb. 4(←) Abb. 4: Giotto, Szenen aus dem Leben des Heiligen Franziskus, 1320er Jahre, Florenz, S. Croce, Bardi-Kapelle

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 305EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 305 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

306 Sultanspracht im Papstpalast oder: Das Recht des Teppichs

Dabei korrespondieren die Farbtöne Rot und Weiß mit dem prunkvollen Ornat des Papstes. und bilden zusammen mit den kostbaren Seidengewändern der Bischöfe einen unverkennbaren Kontrast zu den voluminös zu Boden fallenden schlichten, braunen Kutten der Mönche. Dass letztere in das Vorrecht gelangt sind, direkt auf und nicht etwa nur vor dem Teppich des Papstes zu knien, verdeutlicht die im Vordergrund sichtbare Folge von Adlerhexagonen. Durch diese wird der gesamte Boden des Bildraumes gleichsam kartiert. Nur anderthalb Hexagone trennen Fran-ziskus von dem Papst, doch hat der Maler auch nicht auf ein humoristisches Detail verzichtet: Hinter den knienden Brüdern löst sich der Teppich vom Boden und schiebt sich am linken Bildrand deutlich die Wand empor. Der vermeintlich flache, zweidimensionale Teppich erweist sich als biegbares, dreidimensionales Objekt mit Eigendynamik und ragt von der Fläche des Fußbodens in den Bildraum.

Eine dritte päpstliche Audienzszene zeigt ebenfalls einen Teppich (Abb. 7): In der Predella des zwischen 1326 und 1329 entstandenen Carmine-Altarbildes Pietro Lorenzettis schildert sie die Begebenheit, wie die Karmeliter 1287 von Papst Hono-rius IV. den weißen Mantel als neuen Ordenshabit überreicht bekamen.11 Während links die Kardinäle im päpstlichen Audienzsaal Platz genommen haben, knien die Mönche – noch in schwarze Kutten gekleidet – im Zentrum des Bildes. Von einem Pfeiler halb verdeckt, nimmt schließlich rechts ein Greis den neuen Habit demütig entgegen. Er befindet sich auf einem hölzernen Podest, auf welchem – nochmals leicht erhöht – der seidenbehangene Thron des Papstes steht. Zu Honorius‘ Füßen liegt – in Material, Muster und Farbigkeit deutlich von dem Ehrentuch in seinem Rücken geschieden – ein Läufer. Dieser bedeckt nicht wie zuvor eine ebene Fläche, sondern führt nun über eine niedrige Stufe vom Thron herab.

Überhaupt wird der ganze Raum durch Textilien bestimmt: Im Gewölbe überfängt die Dargestellten als ‚Himmelszelt‘ ein gemalter Sternenhimmel, dessen Glitzern der mit Goldfäden gewobene Seidenbaldachin des Papstes wieder aufnimmt. Die Kardinäle sitzen auf mit mille fiori-Tapisserien behangenen Bänken, deren dreifarbiger Besatz auf das geometrische Fliesenmuster des Fußbodens vorausweist, auf welches wiederum der Läufer zu Füßen Honorius‘ IV. im textilen, in Falten liegenden Medium rekurriert. Die kompositorische Bedeutung der Stoffe für das Narrativ der Szene erschließt sich dagegen in der rechten Bildhälfte, wo sich die Hauptprotagonisten Papst Honorius IV. und der greise Karmelitermönch auf drei-erlei Weise verbunden zeigen: einmal durch den jeweils auf den anderen gerichteten, ja gebannten Blick; zum anderen durch den zwischen beiden wallenden weißen Habit; zuletzt wirkt aber auch der von rechts nach links im Bildraum verlaufende

Tripps, Giotto malt ein lachendes Kamel. Zur Rolle des Tieres in der toskanischen Malerei des 14. Jahrhunderts, Freiburg 2003, S. 35–43.

11 Vgl. Hayden B. J. Maginnis, „Pietro Lorenzetti‘s Carmelite Madonna: A re-construction“, in: Pan-theon 33, 1975, S. 10–16 und Joanna Cannon, „Pietro Lorenzetti and the history of the Carmelite order“, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 50, 1987, S. 18–28; Chiara Frugoni, „La Pala del Carmine (1326?–1329)“, in: Pietro e Ambrogio Lorenzetti, hg. von Chiara Frugoni, Florenz 2002, S. 63–75 und Klaus Krüger, „Selbstdarstellung im Konflikt. Zur Repräsentation der Bettelor-den im Medium der Kunst“, in: Die Repräsentation der Gruppen. Texte – Bilder – Objekte, hg. von Otto Gerhard Oexle und Andrea von Hülsen-Esch, Göttingen 1998, S. 127–186, hier S. 153–158.

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 306EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 306 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

307Vera-Simone Schulz

Abb. 6: Giotto, Bestätigung der Ordensregel, Detail der Stigmatisationstafel, um 1298,

Paris, Musée du Louvre

Abb. 7: Pietro Lorenzetti, Bestätigung der Ordensregel durch Honorius IV., Detail der Pala del Carmine, 1326-29, Siena,

Pinacoteca Nazionale

Teppich als Bindeglied zwischen den jeweils im Profil dargestellten Figuren, zumal sich dessen Farben in den Gewändern wiederholen: im Rot des Papstpluviale, im Schwarz der Kutte und im Weiß der neuen Ordenstracht.

In der Bestätigung der Ordensregel der Bardi-Kapelle kommt dem Teppich keine vergleichbare kompositorische Rolle zu. Fransenlos führt er bis vor die Stufen des Thronpodestes und wird größtenteils von den Kutten der knienden Mönche verdeckt (Abb. 5). Dieser Teppich, dessen Muster sich schemenhaft als eine durch blaue Linien unterbrochene Abfolge von rötlichen Vögeln auf gelbem Grund abzeichnet, fällt nur deshalb auf, weil ein entsprechendes Exemplar in der darunter dargestellten Feuerprobe vor dem Sultan fehlt (Abb. 4). Und so wie der Teppich in der Bestätigung der Ordensregel der Bardi-Kapelle in zahlreichen päpstlichen Audienzszenen sein Pendant findet, so ‚teppichlos‘ erscheint der Thronbereich des Sultans in anderen Darstellungen der Feuerprobe und des Besuches des Heiligen Franziskus in Ägypten in der italienischen Malerei des 13. und 14. Jahrhunderts.12

12 Ein Teppich ist auch in einer zweiten Predellaszene des Carmine-Altarwerkes, der 1226 erfolgten Bestätigung der Ordensregel durch Honorius III. vor den Füßen des Papstes dargestellt, siehe Frugoni 2002 (wie Anm. 11), S. 75, Abb. 1. Vgl. außerdem die Bodenteppiche in Papstszenen aus dem Franziskus-Zyklus in der Oberkirche von S. Francesco in Assisi, aufgeführt von Werner Brüg-gemann, „The Islamic-Oriental carpet in Giotto’s fresco Christmas Mass at Greccio in Assisi“, in: Facts and artefacts. Art in the Islamic world, hg. von Avinoam Shalem und Annette Hagedorn, Leiden 2007, S. 373–393, hier Abb. 2–4. Hinsichtlich prominenter Sultansdarstellungen finden sich weder auf der Bardi-Tafel noch im Zyklus der Oberkirche von S. Francesco in Assisi Teppiche. Ein textiler, an einen Teppich erinnernder Thronbezug, der auch den Boden bedeckt, erscheint im 15. Jahrhundert in der Darstellung der Feuerprobe vor dem Sultan Fra Angelicos und ein Bodentep-pich danach bei Ghirlandaio in der Cappella Sassetti in der Florentiner Kirche S. Trinità.

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 307EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 307 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

308 Sultanspracht im Papstpalast oder: Das Recht des Teppichs

II.

„Kairo in Florenz“ – in der Forschung wurde der Feuerprobe der Bardi-Kapelle hin-sichtlich der Darstellung des fernen Herrscherhofes bereits besondere Beachtung zu teil. Laut Bonaventuras Schilderung in der Legenda maior (IX, 7–8) und Tommaso da Celano war Franziskus 1219 ins Ayyubidenreich gereist, wo er nahe Damietta Gelegenheit erhielt, mit dem Machthaber zu sprechen. Zur Demonstration seines Gottvertrauens soll Franziskus dem Sultan Malik al-Kāmil vorgeschlagen haben, ein Feuer anzuzünden, in das er gemeinsam mit Anhängern des muslimischen Glaubens treten wollte. Der Sultan gebot ihm jedoch sofort Einhalt, da er fürchtete, keiner seiner Imāme würde sich diesem Wagnis stellen. Im Fresko der Bardi-Kapelle ent-fliehen letztere folglich furchtsam am linken Bildrand, während rechts Franziskus mit geraffter Kutte und sein Gefährte Illuminatus direkt vor den hochlodernden Flammen des gemäß der Legende eigentlich nie entzündeten Feuers stehen (Abb. 4). Aufmerksamkeit erregen indes zwei links des Sultansthrones als Nubier gedeutete, Turban tragende Figuren. Während in der angrenzenden Peruzzi-Kapelle, wie Michael Viktor Schwarz schlüssig argumentiert hat, die gemalte Architektur auf die Johanneskirche in Ephesos und somit auf den entlegenen Schauplatz des hagio-graphischen Geschehens aus dem Leben Johannes des Evangelisten verweist, wird in der Bardi-Kapelle das Ayyubidenreich anhand der Physiognomie und Kleidung der Dargestellten aufgerufen.13

Kenntnisse um die Gegebenheiten in entlegenen Städten und Regionen sowie das Interesse, diese in Werken zur Schau zu stellen, beruhten nicht nur auf Pilgerbe-richten oder den großräumigen missionarischen Aktivitäten des Franziskanerordens, sondern insbesondere auf den weitgespannten merkantilen und diplomatischen Netzwerken der spätmittelalterlichen Stadt Florenz. Zumal gerade den erfolgrei-chen Florentiner Bankiers- und Kaufmannsfamilien der Peruzzi und Bardi an einer Demonstration ihrer weit verzweigten Handelskontakte und -niederlassungen gelegen sein musste; nicht zuletzt schlossen diese sogar die in den Heiligenviten genannten Orte ein.14 In der Tat gingen Wirtschaft und Mission oft Hand in Hand. So reisten Missionare häufig in Gesellschaft von Händlern, und mit dem Codex Cumanicus ist in der Biblioteca Marciana in Venedig ein umfangreiches persisch-kumanisch-lateinisches Wörterbuch aus dem Jahr 1330 erhalten, welches Sektionen merkantiler wie missionarischer Wortlisten und Übersetzungen christlicher Gebete in die persi-sche Sprache enthält.15 Ebenso ist es wohl kein Zufall, dass eines der berühmtesten

13 Schwarz 1992 (wie Anm. 7); Karen-edis Barzman, „Islamic North Africa in Trecento Italy: Costume in the Assisi and Bardi chapel frescoes of Francis in Egypt“, in: Power, gender, and ritual in Europe and the Americas, hg. von Peter Arnade und Michael Rocke, Toronto 2008, S. 29–51. Vgl. außerdem John Tolan, Saint Francis and the sultan: The curious history of a Christian-Muslim encounter, Oxford 2009, S. 93–108, 135–146 und 173–205 sowie Anne Müller, „Bettelmönche und Islam: Beobachtungen zur symbolischen Darstellung von Missionsprinzipien der Mendikanten in Text, Handlung und Bildkunst des 13. Jahrhunderts“, in: Lateinisch-griechisch-arabische Begegnungen. Kulturelle Diversität im Mittel-meerraum des Spätmittelalters, hg. von Margit Mersch und Ulrike Ritzerfeld, Berlin 2009, S. 285–308.

14 Schwarz 1992 (wie Anm. 7). 15 Vgl. Felicitas Schmieder und Peter Schreiner (Hg.), Il Codice Cumanico e il suo mondo: Atti del

colloquio internazionale, Venezia, 6–7 dicembre 2002, Rom 2005.

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 308EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 308 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

309Vera-Simone Schulz

spätmittelalterlichen Fernhandelshandbücher, die Pratica della mercatura (1340), gerade von einem Florentiner Vertreter des Unternehmens der Bardi, Francesco Balducci Pegolotti, stammt.16 Und es ist entsprechend anzunehmen, dass auch das Wissen um die Gegebenheiten an den Höfen muslimischer Regenten durch dieses vielseitige Netzwerk in die Toskana gelangte.

Bodenteppichen kam an den Herrscherhöfen der islamischen Welt besondere Bedeutung zu, wie Avinoam Shalem speziell für die Zeit der Umayyaden und Abbasiden jüngst demonstriert hat.17 Dass Teppiche auch über den Zeitraum der Abbasidendynastie hinaus für Unbefugte „verbotenes Terrain“ kennzeichneten und begrenzten,18 wird bei einem Blick auf eine wohl in den 1330er Jahren in Iran entstandene Miniatur aus dem Großen Šāhnāma ersichtlich (Abb. 8).19 Auf dieser 16 Silvia Agnoletti (Hg.), I fiorentini alle cruciate: Guerre, pellegrinaggi e immaginario orientalistico

a Firenze tra Medioevo ed età moderna, Florenz 2007; Rosamond E. Mack, Bazaar to piazza: Islamic trade and Italian art, 1300–1600, Berkeley [u.a.] 2001; Franco Cardini, Toscana e Terra-santa nel Medioevo, Florenz 1982; Luciano Petech, „Les marchands italiens dans l’empire mongol“, in: Journal asiatique 250, 1962, S. 549–574; Silvano Borsari, „L’espansione economica fiorentina nell’Oriente cristiano sino alla metà del Trecento“, in: Rivista storica italiana 70, 1958, S. 477–507; Eduard Friedmann, Der mittelalterliche Welthandel von Florenz in seiner geographischen Ausdeh-nung (nach De pratica della mercatura des Balducci Pegolotti), Wien 1912.

17 Vgl. Shalem 1998 (wie Anm. 5); Caraffa/Shalem 2013 (wie Anm. 1), S. 126–132.18 Shalem 1998 (wie Anm. 5).19 Vgl. zu der Darstellung Robert Hillenbrand, „The arts of the book in Ilkhanid Iran“, in: Ausst.-

Kat. The legacy of Genghis Khan. Courtly art and culture in Western Asia, 1256–1353, hg. von Linda Komaroff und Stefano Carboni, New York 2002, S. 155–167, hier S. 161 und Kat.-Nr. 38.

Abb. 8: Detail aus dem Großen Šāhnāma, Iran, 1330er Jahre, Dublin, The Trustees of the Chester Beatty Library (Per 111.4)

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 309EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 309 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

310 Sultanspracht im Papstpalast oder: Das Recht des Teppichs

ist Zāl vor Šāh Manučehr getreten, um diesem demütig den Fuß zu küssen, wobei der vor dem Thron ausgebreitete Teppich Zāls Verhalten maßgeblich bestimmt. Nur zwei Höflingen ist es vorbehalten, auf diesem Teppich zu stehen, während Zāl nicht einmal an dessen Rand herantritt. In der Miniatur erweisen sich Nähe und Ferne zum Herrscher damit aufs Engste verschränkt, kommt doch Zāl mit dem Šāh durch den Fußkuss körperlich in Kontakt und ist gleichzeitig vermittels des Teppichs und der Distanz, die er zu diesem zusätzlich einzuhalten hat, unmissverständlich auf Abstand gehalten. Ein Chiasmus, weiß der Betrachter um den Umstand, dass häufig nicht etwa der Fuß des Herrschers, sondern zuerst und meist ausschließlich der Teppich zu dessen Füßen von einem Bittsteller geküsst wurde, ja dass nur die Borte des Sultansteppichs küssen zu dürfen, bereits als Ehre betrachtet wurde.20

Kenntnisse über fern gelegene Architektur, urbanistische Strukturen und Land-schaften lassen sich aufgrund ihrer Größe, weitgehenden Immobilität und Ortsge-bundenheit neben dem Phänomen der Spolie in erster Linie durch Beschreibungen, schriftliche oder visuelle (Auf-)Zeichnungen ›transportieren‹.21 Menschen und Artefakte entlegener Gegenden sind dagegen beweglicher und fanden entsprechend als Gesandte, Reisende, Kaufleute und Sklaven ihren Weg in die Toskana bzw. wurden als Beutestücke, diplomatische Geschenke und vor allem als Handelsgüter in diese importiert.22 Teppiche gehörten zu den Objekten, welche beide Bereiche auf originelle Weise verknüpfen: Als mobile Artefakte, die gehandelt und leicht befördert werden konnten und, wie insbesondere die Arbeiten Marco Spallanzanis kenntlich machen, auch tatsächlich nach Florenz eingeführt wurden,23 ist die Funktion eines Teppichs auf dem Boden grundsätzlich raumbezogen. Bodenteppiche strukturieren Räume, indem sie einzelne Kompartimente abgrenzen und optisch wie taktil hervor-heben; sie stehen also in unmittelbarem Zusammenhang zur Architektur. Zugleich determinieren sie die Bewegung des Körpers durch den Raum und kennzeichnen und manifestieren damit soziale und politische Hierarchien: Aspekte, die die Frage aufwerfen, ob nicht nur die Teppiche selbst, sondern ebenso das Wissen um ihren Gebrauch von einem Ort an einen anderen übertragen wurden.

So fiel die enge Verwobenheit von Architektur, Teppichen und Textilien sowie Zeremoniell an den verschiedenen islamischen Höfen auswärtigen Besuchern

20 Šaraf al-Dīn ‘Alī Yazdī, The history of Timur-Bec, known by the name of Tamerlain the Great, Emperor of the Moguls and Tartars: Being an historical journal of his conquests in Asia and Europe, übersetzt von John Darby, 2 Bde., Bd. I, London 1723, S. 141, 149, 205, 211, 213 f., 224; 227 f., 230, 258, 272, 281 f., 284, 290, 296, 302, 337 und 401.

21 Zu Möglichkeiten der Mobilität von Architektur und deren Dinghaftigkeit vgl. jüngst Alina Ale-xandra Payne, „Architecture as object: introduction“, in: The challenge of the object. 4. Congress proceedings, hg. von G. Ulrich Großmann und Petra Krutisch, Nürnberg 2013, S. 1417–1419.

22 Vgl. zu dieser Diskrepanz auch Schwarz 1992 (siehe Anm. 7) sowie Avinoam Shalem, „The por-traiture of objects: A note on representations of Islamic objects in European painting of the 14th-16th centuries“, in: Europa e Islam tra i secoli XIV e XVI, hg. von Michele Bernardini und Clara Borrelli, 2 Bde., Bd. I, Neapel 2002, S. 497–521.

23 Spallanzani 2007 (wie Anm. 5).

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 310EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 310 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

311Vera-Simone Schulz

durchaus auf.24 Berühmtheit erlangten die Berichte über das Textil- und Teppich-spektakel während des byzantinischen Gesandtschaftsbesuchs am Hof al-Muqtadirs in Samarra 917. Laut dem anonymen Verfasser des Kitāb al-Hadāyā wa al-Tuḥaf wurden die Botschafter aus Byzanz durch eine schier endlos wirkende Zahl von Gängen, Hallen, Vestibülen und Höfen in den Audienzsaal des Herrschers geführt, wobei sie nicht weniger als 38.000 Draperien (sutūr, 12.500 davon aus Goldbro-kat) passierten und 22.000 Fußbodenbeläge, Teppiche (busuṭ) und Läufer (niḥāḥ) aus Armenien sowie aus Ğahrom und Dawraq, dem heutigen Šadegan in Iran beschritten.25 Der Dominikaner Simon de Saint-Quentin, der Ascelino di Lombardia als Gesandter des Papstes Innozenz IV. ins Mongolenreich begleitete, schilderte fasziniert und im Detail die Krönungszeremonie des Mongolenherrschers Güyüg auf einem weißen Filzteppich,26 und auch der spanische Diplomat Ruy González de Clavijo und der Florentiner Seidenhändler und ‚Meerkonsul‘ (console del mare) Federico Brancacci berichteten aufmerksam von Textilien und Teppichen an den Herrscherhöfen Timurs im Reich von Samarkand bzw. Barsbāys in Kairo.27 Nun würde man folgern, dass Kenntnisse um den Teppichschmuck an Sultanshöfen in deren bildnerische Darstellungen in Italien Eingang fanden.

III.

Dass eine der frühesten Darbietungen eines Teppichs in der italienischen Malerei gerade dem sizilianischen Kontext entstammt, ist nicht verwunderlich (Abb. 9).

24 Vgl. Bernard O’Kane, „From tents to pavilions: Royal mobility and Persian palace design“, in: Ars Orientalis 23, 1993: Pre-modern Islamic palaces, S. 249–268. Grundlegend zur Rolle von Textilien in der islamischen Kunst siehe Robert B. Serjeant, Islamic textiles: Material for a history up to the Mongol conquest, Beirut 1972; Thomas T. Allsen, Commodity and exchange in the Mongol Empire: A cultural history of Islamic textiles, Cambridge [u.a.] 1997; Lisa Golombek, „The draped universe of Islam“, in: Content and context of visual arts in the Islamic world, hg. von Priscilla P. Soucek, University Park [u.a.] 1988, S. 25–49, wiederabgedruckt in: Late antique and medieval art of the Mediterranean world, hg. von Eva R. Hoffman, Oxford 2007, S. 97–114. Für al-Andalus vgl. Olga Bush, Architecture, poetic texts and textiles in the Alhambra, PhD thesis, New York University 2006.

25 Book of Gifts and Rarities. Kitāb al-Hadāyā wa al-Tuḥaf, übersetzt und kommentiert von Ghāda al-Ḥijjāwī al-Qaddūmī mit Vorwörtern von Oleg Grabar und Annemarie Schimmel, Cambridge, Mass. 1996, S. 148–151. Vgl. auch Guy Le Strange, „A Greek embassy to Baghdad in 917 A.D.“, in: Journal of the Royal Asiatic Society 1897, S. 38–42.

26 Der Bericht ist in Teilen in Vincent de Beauvais’ Speculum Historiale erhalten, vgl. Ron Sela, „Ritual and authority in Central Asia: The khan’s inauguration ceremony“, in: Papers on Inner Asia 37, 2003, S. 1–78, hier S. 28 f.

27 Vgl. Clavijos Reise nach Samarkand 1403–1406, aus dem Altkastilischen übersetzt und mit Ein-leitung und Erläuterungen versehen von Uta Lindgren, München 1993, S. 123 f.; Dante Catellacci, „Diario di Felice Brancacci ambasciatore con Carlo Federighi al Cairo per il Comune di Firenze“, in: Archivio Storico Italiano 4.8, 1881, S. 157–188, hier S. 171: „La sala dove entramo, e dov’era il Soldano, era come chiesa, però ch’aveva 3 navi con colonne di pietre, e la nave del mezo era più larga che quelle da lato assai; ed erano aperte dinanzi d’onde entramo, ma aveva una rete di filo tutta dinanzi. Il pavimento o spazio era tarsiato di marmo, e quasi la metà coperto di tappeto; e dirimpetto all’entrata era a modo d’un pergamo, e aveva scala da due lati. Nel mezo del pergamo a sedere in terra era il Soldano: e nota che ‘l pergamo non avea sponda dinanzi, nè le scale da lato, sì che si poteva ben vedere; ed era vestito di boccaccino come gl’altri, huomo di 38 in 40 anni, con barba bruna.“

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 311EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 311 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

312 Sultanspracht im Papstpalast oder: Das Recht des Teppichs

Die engen Beziehungen Siziliens zur islamischen Welt auch nach Beendigung der arabischen Herrschaft auf der Insel sind bekannt; diese bestimmten nicht nur Staatszeremoniell und Kunst der Normannenherrscher, sondern blieben ebenso zur Zeit der Staufer prägend.28 Die Miniatur zeigt eine Herrscheraudienz, und obgleich es sich um die Darstellung eines Teppichs vor einem christlichen Regenten handelt, lässt sie sich mit Beschreibungen der ‚Teppich-Protokolle‘ aus dem arabischen Raum bestens ver-gleichen. Auf dem in leichten Lasurfarben ausgeführten Widmungsbild der wohl vor 1258 entstandenen Manfredbibel thront Manfred von Hohenstaufen rechts auf einem Faltstuhl und empfängt das fertig gestellte Buch von einem mit unterschlagenen Beinen sitzenden, reich gekleideten Mann auf einem Teppich, während der Schreiber Johensis – noch mit der Feder in der Hand – im Vorder-

grund das Knie gebeugt hat und sorgsam darauf bedacht ist, nicht einmal dessen Fransen zu berühren.29

Der gemalte Teppich mag auf ein importiertes oder in der muslimischen Kolonie Lucera auf dem italienischen Festland gefertigtes Exemplar verweisen und lässt sich aufgrund seines Dekors mit einem ägyptischen Knüpfteppich des 8.-10. Jahrhunderts in der Keir Collection in Verbindung bringen (Abb. 10). Während das Mittelfeld des letzteren abwechselnd von roten und blauen Adlern gesäumt wird, als wollten diese den auf dem Teppich thronenden Herrscher nicht nur bewachen und stützen, sondern sogar in die Lüfte heben,30 ziert die Bordüre des Teppichs auf dem Widmungsbild das Wappen Manfreds von Hohenstaufen: schwarze Adler auf silbernem Grund. 28 Manfreds Vater Friedrich II. hatte die muslimischen Einwohner Siziliens aufs italienische Festland

nach Lucera deportieren lassen, wo in der Folge eine muslimische Kolonie bestand, Julie Taylor, Muslims in medieval Italy: The colony at Lucera, Lanham 2003; Lukas Clemens/Michael Matheus, „Christen und Muslime in der Capitanata im 13. Jahrhundert. Eine Projektskizze“, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 88, 2008, S. 82–118. Für den sizilianischen Kontext unter den Normannen vgl. Gerhard Wolf, „Alexandria aus Athen zurückerobern? Perspek-tiven einer mediterranen Kunstgeschichte mit einem Seitenblick auf das mittelalterliche Sizilien“, in: Mersch/Ritzerfeld 2009 (wie Anm. 13), S. 39–62; William Tronzo, The cultures of his kingdom: Roger II and the Cappella Palatina in Palermo, Princeton 1997; Jeremy Johns, „The Norman kings of Sicily and the Fatimid caliphate“, in: Anglo-Norman Studies 15, 1993, S. 133–159.

29 Zum Gebrauch von Teppichen in Süditalien vgl. auch Philip Ditchfield, La culture matérielle médiévale. L’Italie méridionale byzantine et normande, Rom 2007, S. 95 f.

30 Vgl. zu diesem Teppich Shalem 1998 (wie Anm. 5), S. 76.

Abb. 9: Manfredbibel, fol. 522v, vor 1258, Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 312EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 312 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

313Vera-Simone Schulz

Dabei wechselt der heraldische Adler der Staufer, wie Alessandra Rullo stichhaltig aufzeigen konnte, jeweils mit dem Wappen von Piazza Armerina ab, einer auf Sizilien gelegenen, Manfred über Jahre abtrünnigen Stadt, welche erst dessen Onkel Federico Lancia seit 1255 im Zuge der militärischen Wiedereinnahme Siziliens befrieden konnte.31 Rullo identifizierte den prunkvoll in einen fellbesetzten Mantel Gekleideten auf dem Teppich als Lancia, der Manfred nicht nur die kostbar gefertigte Bibel überreichen, sondern in eben diesen Jahren auch Sizilien als Herrschaftsgebiet zurückgeben konnte. In der Miniatur sind nun die Staufer-Adler und die senkrechten roten Balken der sizi-lianischen Stadt im Medium des Teppichs untrennbar miteinander verknüpft, und zugleich haben Lancia und Manfred auf Piazza Armerina Platz genommen, ja letz-terer thront sozusagen auf und über der staufischen „Teppich-Insel“ Sizilien.

So überzeugend sich die Rolle eines Teppichs in der Manfredbibel ausnimmt, so überraschend wirken dessen Absenz in Darstellungen von Sultanshöfen in der italienischen Malerei des 13. und 14. Jahrhunderts und dessen gleichzeitig so häufige Gegenwart in Audienzszenen vor dem Papst. Dabei lässt sich letztere auch über das Trecento hinausgehend beobach-ten. In einem Werk des Sienesen Giovanni di Paolo ist die Heilige Katharina von Siena vor Papst Gregor XI. getreten, um ihn zur Rückkehr nach Rom zu bewegen (Abb. 11).32 Die Szene spielt im Audienzraum des Pontifex im Papstpalast in Avi-gnon, wo dieser in einem mit kostbaren Tüchern ausgekleideten Raum in mitten seines Gefolges aus Kardinälen und zwei Schreibern auf einem mit einem Seidenstoff bedeckten Sessel thront. Zwischen ihm und seiner jungen Besucherin erstreckt sich über die Stufen des Podestes ein Teppich, welchen auf goldgelbem Grund blaue und rosafarbene papageienartige Vögel mit auffällig gebogenen Schnäbeln zieren. Der Teppich schließt mit einer hellroten mit Fransen versehenen Borte ab, auf welcher Katharina in ihrem voluminösen Ordensgewand kniet.33

31 Alessandra Rullo, „Alcune novità sulla Bibbia di Manfredi della Biblioteca Apostolica Vaticana (Ms. Vat. lat. 36)“, in: Arte medievale 6.2, 2007, S. 133–140.

32 Vgl. John Pope-Hennessy: Giovanni di Paolo. 1403–1483, New York 1938, S. 131–133.33 Friedrich Spuhler hatte auf dieser Borte eine kufische Inschrift zu lesen gemeint, doch Mills konnte

dies widerlegen. Stattdessen sieht man auf ihr nur eine dekorative Füllung aus zusätzlichen Vögel-motiven, vgl. Friedrich Spuhler: The Thyssen-Bornemisza collection: Carpets and textiles, London 1998, S. 10, Abb. 1; John Mills, „In saintly company“, in: Halı 90, 1997, S. 62 f.

Abb. 10: Teppich-Fragment, Ägypten, 8.–10. Jh., Ham, Surrey, Keir Collection

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 313EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 313 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

314 Sultanspracht im Papstpalast oder: Das Recht des Teppichs

Papageien? Damit scheint die Exotik nicht nur in dem Teppich als kostbarem Importgut, sondern ebenso in dessen Muster zu liegen. Außerdem wird die Thematik des päpstlichen ‚Papageienzimmers‘ aufgerufen, welches Historiker und Kunsthistoriker gleichermaßen zu einer Vielzahl unterschiedlicher Untersuchungen animierte. Papa-geien wurden nachweislich seit der Regierungszeit Johannes‘ XXII. von den Päpsten gehalten, die Kosten für ihre Anschaffung, die notwendigen Käfige, Transport und Unterhalt finden sich in den Ausgabenbüchern der Apostolischen Kammer detailliert aufgelistet. Die päpstliche Faszination für diese zunächst ausschließlich aus Indien eingeführten Tiere hat Hermann Diener neben der Namens ähnlichkeit der pap[p]agalli und des Papstes selbst (papa) mit ihrer Kostbarkeit sowie mit ihrem Vermögen, die menschliche Sprache nachzuahmen, begründet.34 Diener ist ferner eine Analyse der spätmittelalterlichen Papageienzimmer an den verschiedenen Aufenthaltsorten der 34 Hermann Diener, „Die ‚Camera Papagalli‘ im Palast des Papstes. Papageien als Hausgenossen der

Päpste, Könige und Fürsten des Mittelalters und der Renaissance“, in: Archiv für Kulturgeschichte 49.1, 1967, S. 43–97.

Abb. 11: Giovanni di Paolo, Die Heilige Katharina in Avignon, ca. 1460, Madrid, Thyssen-Bornemisza Museum

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 314EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 314 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

315Vera-Simone Schulz

Päpste zu verdanken, einschließlich des Papageienzimmers im Vatikanischen Palast in Rom, dessen Raumfunktion, -ausstattung und Zeremoniell im 16. Jahrhundert schließlich Tristan Weddigen eine umfangreiche Studie gewidmet hat.35

Ob sich im Papstpalast in Avignon, wo Giovanni di Paolos Szene der Heiligen Katharina vor Papst Gregor XI. spielt, gleichfalls ein Papageienzimmer befand, ist ungeklärt, auch wenn Gottfried Kerscher überzeugende Indizien für ein solches anführen konnte.36 Textilien mit Papageiendekor sind jedoch belegt und erhalten,37 und sogar ein aus Wolle gefertigter Fußbodenbelag mit weißen Schwänen und grünen Papageien ist für die Regierungszeit Benedikts XII. (1334–1342) dokumen-tiert.38 Rosamond Mack vermutete entsprechend, dass Giovanni di Paolo intendiert hatte, eben dieses Artefakt darzustellen, um auf den Papstpalast als Schauplatz der Begegnung Gregors XI. und Katharinas von Siena zu verweisen.39 Zumal der Papst in einen goldgewobenen, seidenen Mantel mit kleinteiligem, abbreviaturhaften lotos- oder chrysanthemenartigem Blütenmuster – von Brigitte Klesse als „chinesi-sches Kleinmuster“ betitelt – gekleidet ist, einen Seidenbrokat, aus dem wiederum Benedikt XI. (1303–1304) nachweislich Paramente besaß.40 Nach wie vor unklar ist, worauf die Bezeichnung ‚Papageienzimmer‘ zurückgeht, ob auf die Gegenwart lebendiger oder gemalter Papageien oder aber, wie Hermann Diener schlüssig vor-schlug, möglicherweise auch auf textilen (und somit mobilen) Papageienschmuck in diesen Räumen.41 Im Folgenden wird keine Lösung für dieses Problem angestrebt; vielmehr ist es das Ziel, die polyvalente Rolle dieser textilen und geknüpften Ausstattung insbesondere von Bodenteppichen am Papsthof näher zu beleuchten.

35 Tristan Weddigen, Raffaels Papageienzimmer: Ritual, Raumfunktion und Dekoration im Vatikan-palast der Renaissance, Emsdetten 2006.

36 Gottfried Kerscher, Architektur als Repräsentation: Spätmittelalterliche Palastbaukunst zwischen Pracht und zeremoniellen Voraussetzungen: Avignon – Mallorca – Kirchenstaat, Tübingen 2000, S. 150 f. und S. 332, Anm. 419 sowie ders., „Privatraum und Zeremoniell im spätmittelalterlichen Papst- und Königspalast (zu den Montefiascone-Darstellungen von Carlo Fontana und einem Grundriss des Papstpalastes von Avignon)“, in: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte 26, 1990, S. 87–134.

37 „1 pannus aureus non integer seminatus de papagallis continens circa 2 canas“, wie es im Inventar des päpstlichen Schatzes beim Regierungsantritt Innozenz’ VI. 1353 heißt, siehe Hermann Hoberg (Hg.), Die Inventare des päpstlichen Schatzes in Avignon 1314–1376, Vatikanstadt 1944, S. 286. „Item 2 canne panni auri pulcri seminati de papagays viridibus“, ebd., S. 199.

38 „Unus pannus de lana viridi coloris obscuri seminatus per totum papeguays viridis, et cignis albis pro ponendo subtus pedes domini nostri in capella et consistorio“, Arch. Vat., Reg. Aven. 303, fol. 45v, zitiert nach Diener 1967 (wie Anm. 34), S. 59 f.

39 Mack 2001 (wie Anm. 16), S. 199, Anm. 15.40 Brigitte Klesse, Seidenstoffe in der italienischen Malerei des 14. Jahrhunderts, Bern 1967,

S. 54–63. Die Dalmatika Benedikts XI. aus eben diesem Stoff ist in Perugia erhalten, vgl. hierzu M. Ludovica Rosati, „Nasicci, baldacchini e camocati: Il viaggio della seta da Oriente a Occidente“, in: Ausst.-Kat. Sulla via della seta. Antichi sentieri tra Oriente e Occidente, hg. von Mark A. Norell, Denise Party Leidy und The American Museum of Natural History, (Rom, Palazzo delle Esposizioni), Turin 2012, S. 233–270, hier S. 243 und Abb. 4.

41 Diener 1967 (wie Anm. 34), S. 59 f.

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 315EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 315 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

316 Sultanspracht im Papstpalast oder: Das Recht des Teppichs

TEPPICHBODEN UND ‚BISCHOFSPFLICHT‘: AVIGNON UND ASSISI

I.

Tappetia im Inventar Papst Bonifaz‘ VIII.,42 tapetis de Yspania pro pedibus im Inventar Papst Johannes‘ XXII.,43 ein wertvolles Dokument über den von der päpst-lichen Kammer beabsichtigten Einkauf von Teppichen aus Marokko44– Teppiche waren im 13. und 14. Jahrhundert am päpstlichen Hof tatsächlich in Gebrauch. Seit 1305 residierten die Päpste im avignonesischen Exil, wo Clemens V. (1305–14) im Palais des Papes 54 Knüpfteppiche (tapetia pilosa) und Johannes XXII. (1316–1334) 24 türkische Teppiche (tapetis di Turquia) besaßen.45 Dieser Luxus passt zu der berühmten Kritik Petrarcas an der päpstlichen Hofhaltung in Avignon, über die dieser klagte, er lebe in occidentalis Babilon, im Babylon des Westens; dort, wo die Prälaten hemmungslose Feste feierten und schneeweiße Pferde mit goldenen 42 „Item, c. viiij tappetia, computatis magnis et parvis“, siehe Émile Molinier, „Inventaire du Trésor

du Saint Siège sous Boniface VIII (1295). Suite“, in: Bibliothèque de l‘École des Chartres 47, 1886, S. 126, Nr. 1466.

43 „Pro 2 petiis minus 1 alna burdi ultramarini et 40 libris cotoni pro quodam matalacio domini et pro factura ipsius et pro fustanio et capsalibus et 1 capalecto ad compassum et pro 2 tapetis de Yspania pro pedibus et pro 2 bancalibus 5 alnarum et pro 1 cortina de tela viridi 61 cannarum, pro veta, anellis et factura ipsius 55 fl. minus 2 s. 7 d.“, wie in den expensa pro vestibus, pannis et forraturis Johannes’ XXII. im Jahr 1317 ausgeführt wird, siehe K. H. Schäfer (Hg.), Die Ausgaben der apostolischen Kammer unter Johann XXII. nebst den Jahresbilanzen von 1316–1375, Pader-born 1911, S. 201 f.

44 „Cum fuisset dicto collectori [Fulconi Pererii] ex parte d. thesaurarii mandatum, ut faceret provi-sionem pro papa de cera alba in capitis et non inveniretur in toto regno Aragonie cumque fuisset sibi dictum per episcopum de Marroquie, quod in Barbaria inveniret de pulcrioribus mundi, et ordinavit cum Clemente de Partella, mercatore de Maioricis, qui ibat ad illas partes ex parte regis Aragonum, ut faceret fieri cum armis d. pape certos tapetos et carrellos et certam quantitatem cere albe, vero grossa moneta sive aurea sive minuta non habet cursum in illis partibus, ad consi-lium mercatorum emit aliquas merces in Barchin. videl. gingiberum viridum et alia jocalia usque ad quantitatem 433 fl. 8 s. barchin., ut ex illis emeret supradictos tapetos et ceram albam. Et dicto mercatori fuit datus in socium Galhardus de Barayre, scutifer suus. Qui cum fuit in Maio-rica, naute noluerunt dictum Galhardum recipere, quia erat de regno Francie. Tandem dum dictus Clemens rediit de illis partibus, asseruit, quod propter tempestatem maris dicte merces fuerant iactate in mari. Et quia dictus collector fuit informatus postea, quod dictus Mercator non posuerat dictas merces in galiota, quia non fuerant scripte in libro notarii galiote, quia si scripte fuissent, alii mercatores contribuissent in dictis jactatis mercibus; et dump ape collector de predictis se inform-abat, dictus Mercator aufugit“, Collect. 116, fol. 136, abgedruckt in Hoberg ed. 1944 (wie Anm. 37), S. 161. Vgl. auch Robert Delort, „Note sur les achats de draps et d’étoffes par la Chambre Apostolique des Papes d’Avignon (1316–1417)“, in: Mélanges d‘archéologie et d’histoire 74, 1962, S. 215–288, S. 269. Zu Teppichen siehe außerdem ebd., S. 220 und Anm. 1–3.

45 „Item 54 tapetia pilosa sana et fracta diversarum formarum, de quibus 4 dicuntur esse circa corpus domini in ecclesia“, wie es im Nachlass Clemens’ V. (1314–1316) heißt, siehe Hoberg ed. 1944 (wie Anm. 37), S. 31. „Pro munitura 1facistorii 3 fl., pro 18 alnis tele subtilis cerate pro fenestris camera 7 fl. 12 tur. arg., pro 24 tapetis de Turquia 72 alnarum 238 fl., pro 6 logeriis Parisien., quolibet 5 alnarum, et pro 4 longeriis, 7 alnarum quolibet, 8 fl. 10 tur. arg. […]“ werden als expensa pro ornamentis 1318 Johannes’ XXII. aufgeführt, siehe Schäfer ed. 1911 (wie Anm. 43), S. 243. Vgl. Monique King, „French documents relating to Oriental carpets, 15th-16th century“, in: Oriental carpet & textile studies II. Carpets of the Mediterranean countries 1400–1600, hg. von Robert Pinner und Walter B. Denny, London 1986, S. 131–137, hier S. 131 f.

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 316EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 316 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

317Vera-Simone Schulz

Satteldecken ritten, diese mit Gold gefüttert würden und wenn Gott, der Herr, diesem sklavischen Luxus nicht Einhalt geböte, die Pferde wohl auch bald goldene Hufeisen trügen. Ein Hauptkritikpunkt Petrarcas waren die zahlreichen teuren Textilien im Besitz der Päpste, der armen Fischer Galiläas, die, wie er höhnisch schrieb, nun schwer in Gold und Purpur gekleidet seien, ja, „Perser- und Par-therkönige“ seien „sie zu nennen, die man anbeten muss und die ohne Geschenk zu besuchen ein Unrecht ist“.46 Und in der Tat: Über Johannes XXII. wissen wir, dass er 40 mit Goldfäden durchwobene, verschiedenfarbige Stoffbahnen für seine persönliche Garderobe in Damaskus kaufen ließ – dies im Wert von nicht weniger als 1.276 Goldflorin.47 Zum Vergleich: Ein leitender Angestellter verdiente um diese Zeit ungefähr 40, ein Lehrjunge 5 bis 20 Florin pro Jahr.48

Unter der beeindruckend hohen Anzahl von Prachttextilien, welche für teures Geld als Waren und Geschenke an den Papsthof gelangten, finden sich in den Inventaren und Ausgabenbüchern der Apostolischen Kammer ferner immer wieder ‚Teppiche‘, deren Beschaffenheit, Herkunft und Funktion durchaus unterschiedlich aufgeführt werden: als tapitibus pro lectis cubiculariorum pape,49 als tapetis pro coperienda aqua50; oder auch als tapetis Parisiensibus, die extra aus Paris importiert wurden – wobei die Transportkosten und das nötige Leintuch, um die kostbaren Waren darin zu befördern, eigens genannt sind –,51 und von denen einige gar das Wappen des Papstes tragen.52

46 Brief vom 1. April 1352, Francesco Petrarca, Aufrufe zur Errettung Italiens und des Erdkreises. Ausgewählte Briefe Lateinisch-Deutsch, hg., übersetzt und eingeleitet von Berthe Widmer, Basel 2001, S. 234–237.

47 „1347 Juli 23 cum Robertus de Caulhaco, Mercator Montispessulani, de mandato pape a Damas in Suria ultra mare fecerit operari et texere per sarracenos 40 pannos aureos diversorum colorum ipsosque per mare suis pecuniis emerit et per mare adportaverit et realiter pape tradiderit et assignaverit, so erhält er [Schäfer] 1278 fl. de Flor. boni ponderis“, im sechsten Pontifikatsjahr Clemens‘ VI., siehe Schäfer ed. 1911 (wie Anm. 43), S. 369 f. Vgl. auch Thomas Ertl, „Stoffspekta-kel. Zur Funktion von Kleidern und Textilien am spätmittelalterlichen Papsthof“, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 87, 2007, S. 139–185.

48 Siehe zu diesem Vergleich Gottfried Kerscher, „Das mallorquinische Zeremoniell am päpstlichen Hof: Comederunt cum papa rex maioricarum…“, in: Zeremoniell als höfische Ästhetik in Spät-mittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Jörg Jochen Berns und Thomas Rahn, Tübigen 1995, S. 125–149, hier S. 127.

49 „Pro 3 tapitibus viridibus (von je 20 palmi Länge [Schäfer]) pro lectis cubiculariorum pape 16 fl. 6 gr.“, gekauft im dritten Pontifikatsjahr Innozenz’ VI. 1355, siehe K. H. Schäfer (Hg.), Die Ausga-ben der apostolischen Kammer unter Benedikt XII., Klemens VI. und Innozenz VI. (1335–1362), Paderborn 1924, S. 587.

50 „Pro 3 tapetis viridibus folratis de tela pro coperienda aqua 12 fl.“, Ausgaben des ersten Pontifi-katsjahres Benedikts XII.1336 (pro ornamentis), Schäfer ed. 1924 (wie Anm. 49), S. 32.

51 „Dez. 30 pro 8 tapetis Parisiensibus viridibus cum rosis rubeis pro camera pape capientibus 424 ½ alnas emptis Parisius per mercatores societatis Bardorum (8 s. parisien. pro alna) 169 l. 16 s. pari-sien. et pro portatura de Paris. usque ad Auin. et tela linea, in qua fuerunt plicata dicta tapeta, et quibusdam aliis minutis 8 l. 1 s. 10 d. parisien. solvimus Francisco Baldoini, mercatori dicte societatis, 318 fl. 7 tur. gross.“, Ausgaben Benedikts XII. in seinem dritten Pontifikatsjahr 1337, Schäfer ed. 1924 (wie Anm. 49), S. 64.

52 „Pro 3 tapetis viridibus cum rosis rubeis, orlatis in circumferentiis ad arma pape, continentibus 72 ulnas Parisien. in longitudine (17 s. 6 tur. pro ulna) 63 l. tur. p., pro 12 aliis tapetis viridibus cum rosis rubeis ad arma pape in circumferentiis continentibus 451 ulnas Parisien. (zu je [Schäfer] 13 s.

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 317EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 317 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

318 Sultanspracht im Papstpalast oder: Das Recht des Teppichs

Diese nur kurze Aufzählung der zahlreichen Varianten macht das Problem bereits deutlich: Im 14. Jahrhundert war die Bezeichnung tapetum bzw. tappetum nicht eindeutig definiert, insbesondere etwa die begriffliche Unterscheidung zwischen Bodenteppichen und Tapisserien unscharf.53 Entsprechend ist Vorsicht im Umgang mit zeitgenössischen Dokumenten geboten. Allerdings vermögen bisweilen der Kontext der Schriftzeugnisse oder eine nähere Bestimmung – wie Herkunft, Dekor, Funktion, Technik und Materialität – zu klären, welche Art von Einrichtungsstück gemeint ist. So importierte die Firma von Francesco di Marco Datini im Jahr 1365 tapeti mit Darstellungen des Heiligen Georg aus Flandern, wobei Herkunftsregion und Motiv nahelegen, dass es sich um Tapisserien handelte.54 Der Frachtbrief zweier Schiffe, die am 25. November 1394 in Venedig anlegten, führt dagegen tappeti aus Trapezunt auf, woraus sich wohl auf eine Ladung Knüpfteppiche schließen lässt.55 Im Inventar Johannes‘ XXII. sind nacheinander ein tapetum pedum novum – also „ein neuer Teppich für die Füße“ – und „vier alte Bodenteppiche“ –tapeta pedum antiqua aufgeführt.56 Und im siebten Pontifikatsjahr Benedikts XII. werden zwei tapetis mit der camera pape als Bestimmungsort als pilosis, d.h. mit besonderer Betonung auf dem weichen Flor der Knüpfteppiche, näher beschrieben.57 Ja, auch die französische Bezeichnung tapis ist in spätmittelalterlichen Dokumenten nicht eindeutig, weshalb sich Monique King in ihrer Studie dezidiert auf Textpassagen beschränkte, in denen von tapis de Turquie und tapis velus die Rede ist.58

Für den Papstpalast in Avignon besitzen wir allerdings nicht nur schriftliche Zeugnisse über die Rolle und Bedeutung von Bodenteppichen im 14. Jahrhundert,

9 d.) 310 l. 15 d. tur. p., pro 24 sargiis viridibus pro paramento camerarum pape, quarum quelibet continet 5 ¼ ulnas in longitudine et 4 in latitudine (4 l. 13 s. 9 d. tur. pro sargia) 112 l. 10. s. tur.“, im dritten Pontifikatsjahr Clemens’ VI. 1345, Schäfer ed. 1924 (wie Anm. 49), S. 273.

53 Der Terminus arazzo gewinnt für Tapisserien erst im 15. Jahrhundert an Verbreitung, vgl. hierzu Spallanzani 2007 (wie Anm. 5), S. 3.

54 „[…] 1 tapeto a San Giorgio, d’alle xiii ½. ii tapeti di San Giorgio, d’alle viii l’uno per schudi ii alla, e vino. […] Per vittura da Brugia a Parigi […]“, zitiert nach Spallanzani 2007 (wie Anm. 5), S. 80, Dok. 17. Zu Datini vgl. Iris Origo, „Im Namen Gottes und des Geschäfts.“ Lebensbild eines toskanischen Kaufmanns in der Renaissance, Francesco di Marco Datini, München 1993.

55 „Charico di 2 ghalee di Vinegia, venono da la Tana, giunsero a Vinegia a dì xxv di novebre 1396: Trebisonda: seta – fardelli – 33. [...] tappeti – balle 1“, zitiert nach Spallanzani 2007 (wie Anm. 5), S. 85, Dok. 27. Teppiche wurden in Ballen importiert, dabei umfasste eine balla meist etwa 20 Stück und wog zwischen 85 und 90 kg, vgl. Marco Spallanzani, „Tappeti orientali a Firenze nel Rinascimento“, in: Islamic artefacts in the Mediterranean. Trade, gift exchange and artistic trans-fer, hg. von Catarina Schmidt Arcangeli und Gerhard Wolf, Venedig 2010, S. 89–104, hier S.90.

56 „Anno a nativitate Domini 1320 die 21 mensis septembris fuit factum inventarium de rebus infra scriptis, quas Bernardonus de Mandalhis serviens domini pape recognovit se habere et tenere in custodia sua de thesauro camera […] et thesaurario prefati domini pape et Guillermo Gisberti notario supradicto. [...] Item 1 tapetum pedum novum. […] Item 4 tapeta pedum antiqua“, Die Inventare des päpstlichen Schatzes in Avignon 1314–1376, hg. von Hermann Hoberg, Vatikanstadt 1944, S. 44 f.

57 „Sept. 4 Nicholao Benchi de Florentia, Rom. cur. sequenti, pro 2 tapetis pilosis ad ponendum in camera pape (2 ½ fl. pro tapeto)“ und „Nov. 29 Iacobo Fey de Florentia pro 16 tapetis de Yspania pro camera pape (2 fl. 9 tur. gross. pro quolibet) 44 fl.“ (1341), Schäfer ed. 1924 (wie Anm. 49), S.147.

58 King 1986 (wie Anm. 45).

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 318EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 318 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

319Vera-Simone Schulz

vielmehr finden sich im Palais des Papes auch zwei Teppichdarstellungen an den Wänden der Martialkapelle, welche Matteo Giovanetti aus Viterbo zwischen 1344 und 1346 im Auftrag Papst Clemens‘ VI. freskierte.59 In der Lünette der Nordwand schreitet der Heilige Martial von Limoges vor einer Kirche im Außenraum und treibt heidnischen Priestern Dämonen aus, wobei ein großformatiger Teppich den Ort des Wunders visuell wie taktil abgrenzt und markiert (Abb. 12). Hinsichtlich der Darstellung verdienen zunächst zwei Aspekte Beachtung. Zum einen war Martial Bischof – wie der Papst selbst, denn dieser ist traditionell zugleich Bischof von Rom–, auf dem Fresko erscheint er im bischöflichen Ornat, sein Haupt ziert die Mitra. Andererseits mag die Darstellung des übergroßen Teppichs auf der Straße überraschen, würde man ihn doch wohl eher in der dahinter gelegenen Kirche erwarten.59 Eustache de Loray, „Le Tapis d‘Avignon“, in: Gazette des Beaux-Arts 74.6, 1932, S. 162–171. Vgl.

hier auch die Ausführungen zu der zweiten Teppichdarstellung in der Martialkapelle, einem unter und vor einem Bett liegenden Teppich mit einem Dekor von karierten Schwänen, deren Analyse den Rahmen dieser Untersuchung sprengen würde. Siehe außerdem John Mills, „The coming of the carpet to the West“, in: Ausst.-Kat. The Eastern carpet in the Western world: From the 15th to the 17th Century, hg. Donald King und David Sylvester, London 1983, S. 11–23, hier S. 11. Clemens VI., vormals Pierre Roger, wurde 1326 zum Abt von Fécamp berufen und erhielt damals von sei-nem Freund, dem Inquisitor und Historiker Bernard Gui, als Geschenk ein Buch mit der Lebens-beschreibung des Heiligen Martial. Dieser Text bildet eine der Grundlagen für die Ausmalung der Martialkapelle, vgl. Paula Westfall Hutton, The Palais des Papes d‘Avignon and the crisis in papal ideology, PhD thesis, Evanstone (Ill.) 1995, S. 150–156. Zu den Fresken siehe außerdem Enrico Cas-telnuovo, Un pittore italiano alla corte di Avignone. Matteo Giovannetti e la pittura in Provenza nel secolo XIV, Turin 1991; Michel Laclotte und Dominique Thiebaut, L’École d’Avignon, Paris 1983.

Abb. 12: Matteo di Giovanetti, Szenen aus dem Leben des Heiligen Martial, 1344-46, Avignon, Papstpalast, Martialkapelle

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 319EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 319 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

320 Sultanspracht im Papstpalast oder: Das Recht des Teppichs

II.

Ein Fresko in der Oberkirche von S. Francesco in Assisi zeigt die Weihnachts-messe in Greccio, während der plötzlich das Jesuskind in einer Krippe erschien, ein Wunder, welches sich Tommaso da Celano zufolge 1223 ereignete (Abb. 13). Der Priester steht am rechten Bildrand auf einem Teppich, der sich über Stufen vom Altar herab erstreckt.60 Dokumente bezeugen den Gebrauch von Bodenteppi-chen im 14. Jahrhundert in Kirchen auf der italienischen Halbinsel; die römisch-katholische Kirche war ein kaufkräftiger Abnehmer, wie auch eine Passage aus einem Brief, den der in Florenz tätige Kaufmann Inglese di Inglese am 26.

Februar 1391 an die Datini in Pisa adressierte, zeigt. Einige seiner Teppiche seien Kirchenteppiche (tapeti da chiesa) und somit besonders lang: „Ò tapeti lunghi di br. 10 da chiesa e di 6 da letuccio e 4 ½; avisa se credi per Roma avesono uscita e se ài l’amicho che ti servisse“.61 Und im Inventar von S. Francesco aus dem Jahr 1473 werden neben „Item tappeta III. Item tappeta alia media iii. Item tappeta parva, se[p]tem. Item aliud tappetum parvum, quod donavit magister Santes“ auch „in primis tappeta magna III“ genannt.62

Die Präsenz von Teppichen und Textilien war in S. Francesco in der Tat beein-druckend und vielseitig. Bereits 1229 sandte Papst Gregor IX. kostbare Gewebe als Geschenke von Rom nach Assisi.63 Auch von dem ersten Franziskanerpapst Nikolaus IV. sind wertvolle textile Schenkungen belegt.64 Darüber hinaus erreichten

60 Brüggemann 2007 (wie Anm. 12), S. 373–393. Zur Weihnachtsmesse in Greccio siehe Donal Cooper und Janet Robson, The making of Assisi. The pope, the Franciscans and the painting of the basi-lica, New Haven/London 2013, S. 177–180; Pietro Scarpellini, „Assisi e i suoi monumenti nella pit-tura dei secoli XIII-XIV“, in: Assisi al tempo di San Francesco, hg. von der Società Internazionale di Studi Francescani, Assisi 1978, S. 73–121, hier S. 101–108.

61 Zitiert nach Spallanzani 2007 (wie Anm. 5), S. 81, Dok. 22.62 Alessandri Leto und Francesco Pennacchi (Hg.), I più antichi inventari della sacrestia del Sacro

Convento di Assisi (1338–1473). Bibl. Com. di Assisi, Cod. 337, Grottaferrata 1914, S. 39, Dok. 241, 242 und 242a. Der Gebrauch von Teppichen war nicht auf Italien beschränkt, so sind für St. Paul’s Cathedral im Jahr 1297 ein „tapetum coram altari de lanno et lineo“ sowie ein „tapetum rubeum ante altare“ dokumentiert, zitiert nach William Sparrow Simpson (Hg.), Visitations of churches belonging to St. Paul’s Cathedral in 1297 and in 1458, London 1895, S. 44 bzw. S. 5 sowie S. xxxiii.

63 Rosalia Bonito Fanelli, „Tessuti e ricami“, in: Il tesoro della Basilica di San Francesco ad Assisi. Saggi e catalogo, hg. von Maria G.. Ciardi Dupré dal Poggetto, Assisi 1980, S. 77–85; Mack 2001 (wie Anm. 16), S. 33 f.

64 Silvestro Nessi, „Il tesoro di S. Francesco in Assisi: Formazione e dispersione“, in: Ciardi Dupré dal Poggetto 1980 (wie Anm. 63), S. 13–23, hier S. 14 f.

Abb. 13: Giotto und Werkstatt, Messe von Greccio, Ende 13. Jh., Assisi, S. Francesco, Oberkirche

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 320EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 320 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

321Vera-Simone Schulz

S. Francesco Stiftungen von Luxustextilien, zu Beginn des 14. Jahrhunderts beson-ders von den Anjou aus Neapel, darunter zahlreiche panni tartarici, „tartarische Seidenstoffe“, wie man sie aus Zentralasien und Iran einführte, ebenfalls jene mit „chinesischem Kleinmuster“, und Samte.65 Und noch immer finden sich zwei kostbare großformatige Seiden des 13. Jahrhunderts womöglich sizilianischer Provenienz im dortigen Kirchenschatz.66

Doch nicht nur materielle, haptische Textilien gelangten nach S. Francesco, vielmehr wurde der Kirchenraum ferner durch eine Vielzahl im Medium der Male-rei fingierter Vorhänge auf Augenhöhe der Betrachter sowie Textildarstellungen in den Bildwerken der Kirche bestimmt. Zu letzteren zählen beispielsweise die kostbaren Behänge in den Fresken des Isaak-Meisters67 oder in den Szenen des Franziskus-Zyklus in der Oberkirche wie etwa prominent in der Darbietung der Begebenheit, als Franziskus Papst Gregor IX. im Traum erschien, mit einem Blick in einen Innenraum, welcher einzig durch Textilien – vornehmlich wohl andalusischer Provenienz – gestaltet ist.68 Der Bodenteppich in der Weihnachtsmesse in Greccio wurde dagegen mit rumseldschukischen Knüpfteppichen des 13. Jahrhunderts aus Konya und Beyşehir in Verbindung gebracht, laut Marco Polo den schönsten Tep-pichen, die auf der Welt überhaupt hergestellt wurden: „Ibi fiunt soriani et tapeti pulchriores de mundo et pulchrioris coloris“.69 Dabei verschränken die Szene und der Teppich Eingangsbereich und Chor, ist die Weihnachtsmesse in Greccio doch das erste Fresko rechts des Portals, wenn der Besucher das Langhaus von S. Francesco betritt.70 Dennoch wird ihm hier ein Einblick in einen Altarbereich geboten, darf er nicht nur den Christusknaben in der Krippe, sondern gleichfalls die Ausstattung des Chores und das liturgische Gerät im Detail betrachten. Und nicht zuletzt der

65 Ebd., S. 17. Zu panni tartarici in Italien vgl. außerdem Licisco Magagnato (Hg.), Le stoffe di Can-grande. Ritrovamenti e ricerche sul 300 veronese, Florenz 1983.

66 Ciardi Dupré dal Poggetto 1980 (wie Anm. 63), Taf. 14–15.67 Vgl. hierzu auch Gerhard Wolf, „Rothko, Giotto und die Moscheen von New York“, in: Ausst.-Kat.

Rothko – Giotto (Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin 2009 in Zusammenarbeit mit dem Kunsthistorischen Institut in Florenz – Max-Planck-Institut), hg. von Stefan Weppelmann und Gerhard Wolf, München 2009, S. 17–39, hier S. 36 f.

68 Vgl. hierzu Mack 2001 (wie Anm. 16), S. 33 f.69 Marco Polo, Il Milione. Die Wunder der Welt, übersetzt aus altfranzösischen und lateinischen

Quellen von Elise Guignard, Zürich 1983, S. 28. Im Jahr 1283 hatte der venezianische Kaufmann die rumseldschukische Hauptstadt Konya auf seinem Weg ins Mongolenreich passiert, siehe Brüg-gemann 2007 (wie Anm. 12), S. 373–393. Zu den Konya- und Beyşehir-Teppichen vgl. Rudolf M. Riefstahl, „Primitive rugs of the ‚Konya‘ type in the mosque of Beyshehir“, in: The art bulletin 13.2, 1931, S. 177–220.

70 Diese Verschränkung durch die gemalte Architektur und Raumausstattung ist insbesondere des-halb bezeichnend, da S. Francesco aufgrund der baulichen Situation gewestet ist, d.h. der gemalte Chorbereich der Weihnachtmesse in Greccio und somit auch der gemalte Altarteppich erscheinen am Ostende des Langhauses. Allgemein zu S. Francesco vgl. jüngst Donal Cooper und Janet Robson, The making of Assisi: The pope, the Franciscans and the painting of the Basilica, New Haven 2013. Zu illusionistischen Gegenstandsdarstellungen in den Bildwerken in S. Francesco vgl. Michael Viktor Schwarz, „Die Bank, die nichts bedeutet. Pietro Lorenzetti in S. Francesco, Assisi“, in: ders., Visuelle Medien im christlichen Kult. Fallstudien aus dem 13. bis 16. Jahrhundert, Wien 2002, S. 65–99.

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 321EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 321 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

322 Sultanspracht im Papstpalast oder: Das Recht des Teppichs

vor dem Altar liegende Teppich erweist sich als zum Greifen nah. Somit gilt es, die Darstellung des über den Teppich zum Altar schreitenden Priesters genauer in Augenschein zu nehmen und zu kontextualisieren.

Guillelmus Durandus‘ nach 1285 verfasstes Rationale divinorum officiorum gehört zu den bedeutendsten Kompilationen mittelalterlicher liturgischer Schriften und avancierte in kürzester Zeit zu einem der am weitesten verbreiteten Bücher.71 Im Kapitel über Ausstattung und Ausschmückung der Kirche zählt der Autor zunächst Vorhänge und verschiedene, auch purpurfarbene Stoffe auf, bis er sich speziell dem Schmuck des Chorbereiches widmet:

Ornatus chori [consistit] in dorsalibus, tapetis, substratoriis et bancalibus; dor-salia sunt panni in choro pendentes a dorso clericorum; substratoria que pedibus substernuntur; tapeta etiam sunt panni qui pedibus substernuntur, quasi stratio pedum, et precipue episcoporum qui mundana pedibus calcare debent.72

In der Textstelle stechen zwei Wortwiederholungen ins Auge: zum einen die fünf-fache Nennung der Füße (pedes), zum anderen die Häufung von substernari bzw. substratoria, welche das auf dem Boden und zu Füßen Liegen eines Gegenstandes beschreiben. Durandus hat hier auf Definitionen des Wortes tapeta zurückgegriffen, wie sie bereits Isidor von Sevilla (ca. 623) und Johannes Beleth (vor 1165) formuliert hatten.73 Isidor hatte den Bezug des Teppichs zum Boden als maßgeblich angesehen und etymologisch herleiten wollen: „Tapeta dicta quod pedibus primum strarentur, quasi tapedia“: „Teppiche sind das, was vor den Füßen ausgelegt wird, sozusagen das Fußige“.74 Indem er das Wort tapeta auf tapedia, also die latinisierte Form des griechischen τα πόδια („die Füße“) zurückführte, unterstrich er zusätzlich die Rolle

71 Bis 1500 erschienen 43 Ausgaben, die ältesten heute erhaltenen Handschriften lassen sich ins späte 13. Jahrhundert datieren und Durandus‘ Rationale gehörte zu den ersten Büchern, die nach der Erfindung Gutenbergs gedruckt wurden, vgl. Gerhard Wolf, Salus Populi Romani. Die Geschichte römischer Kultbilder im Mittelalter, Weinheim 1990, S. 100. Zu Durandus‘ Rationale vgl. außerdem Thomas Lentes, „Ereignis und Repräsentation. Ein Diskussionsbeitrag zum Verhält-nis von Liturgie und Bild im Mittelalter“, in: Die Bildlichkeit symbolischer Akte, hg. von Barbara Stollberg-Rilinger und Thomas Weißbrich, Münster 2010, S. 155–184.

72 Unter Berücksichtigung von Durandus‘ Wortwiederholungen lautet die Übersetzung der Text-passage: „Der Schmuck des Chores [besteht] in Rückenvorhängen, auf dem Boden ausgebreiteten Teppichen und Tüchern, die die Bänke zieren. Rückenvorhänge sind Stoffe, die im Chor hinter dem Rücken der Kleriker hängen. Auf dem Boden Ausgebreitetes ist dasjenige, was unter den Füßen ausgebreitet liegt. Teppiche sind auch Stoffe, die unter den Füßen ausgebreitet werden, die sozusagen für die Füße ausgebreitet sind und dies insbesondere für die Füße von Bischöfen, welche Irdisches mit Füßen treten sollen“, Guillelmus Durandus, Rationale Divinorvm Officiorvm I-IV, hg. von Anselme Davril und Timothey M. Thibodeau [Corpvs Christianorvm Continuatio Medieulais CXL], Turnhout 1995, Buch I, Kap. 3, § 23. Siehe außerdem Josef Sauer, Symbolik des Kirchengebäudes und seiner Ausstattung in der Auffassung des Mittelalters mit Berücksichtigung von Honorius Augustodunensis, Sicardus und Durandus, Freiburg 1902, S. 220 und Michael von Albrecht, Literatur als Brücke. Studien zur Rezeptionsgeschichte und Komparatistik, Hildesheim u.a. 2003, S. 143, Anm. 33.

73 Der direkte Bezug zu Isidor von Sevilla und Johannes Beleth ist nicht ungewöhnlich, da Durandus mit seinem Rationale größtenteils eine Kompilation älterer Schriften verfasste, vgl. zu dieser Vor-gehensweise auch Wolf 1990 (wie Anm. 71), S. 100.

74 Isidor Hispalensis Episcopus, Etymologiarum sive originum, hg. von W. M. Lindsay, 2 Bde., Bd. II, Oxford 1911, XIX, 26, 5.

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 322EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 322 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

323Vera-Simone Schulz

der Füße für den Teppich. Durandus bezieht sich auf diese Deutung durch die Erläu-terung quasi stratio pedum: die Teppiche seien „gleichsam für die Füße ausgelegt“.

Daneben rezipierte Durandus Johannes Beleths Summa de ecclesiasticis officiis, in welcher Isidors Definition einerseits um die genaue Lokalisierung des Teppichs im Chorbereich und andererseits um seinen symbolischen Gehalt ergänzt worden war: „Ornatus chori consistit in dorsalibus et tapetis substratoriis, ornatus altaris in uelamentis, crucibus, capsis, textis, philacteriis“.75 An anderer Stelle führt Beleth aus: „Tapeta dicuntur panni, qui sternuntur pedibus. Et dicuntur tapeta quasi stratio pedum. Vnde substernuntur pedibus episcoporum, quia mundana pedibus calcare debent“.76 Vor allem der zweite Aspekt verdient es, näher untersucht zu werden. So macht die Verwendung von debere deutlich, dass es sich um einen normativen und nicht um einen rein deskriptiven Text handelt. Der Teppich steht für Luxus sowie für das Irdische, von dem sich die Diener Gottes nicht nur abwenden, sondern welches sie regelrecht zertreten sollen. Das Betreten des Teppichs wird damit symbolisch aufgeladen und insbesondere für Bischöfe zu einem Gebot. Diese Abgewandtheit vom Luxus ist jedoch nur der eine Aspekt. Gleichzeitig besitzt der Bischof gemäß dieser Passage auch das Vorrecht, im Chor die schönsten Teppiche nicht nur zu sehen, sondern sie sogar mit den Füßen zu berühren. Eine besondere Pointe gewinnt die Textstelle darüber hinaus durch den Umstand, dass Durandus nicht zuletzt von seinen eigenen Füßen spricht, – seit 1285 hatte er die Bischofswürde (von Mende) inne.

Die ambivalente Semantik des Bodenteppichs wird in Franziskanerkreisen besonderes Gehör gefunden haben: Um einen Teppich im Chorbereich betreten und so das Irdische mit Füßen treten zu können, musste man das kostspielige Knüpfer-zeugnis besitzen. Der Heilige Franziskus, Sohn eines reichen Textilhändlers, hatte sich gerade durch die öffentliche und demonstrative Entledigung von Textilien – seiner Kleidung – als dem Armutsgebot verschrieben bekundet, eine Szene, die nicht zuletzt in S. Francesco in den Fresken der Unter- wie Oberkirche prominent zur Darstellung kam. Berühmt sind die heftigen Kontroversen, die der päpstlich anerkannte Bettelorden um dieses Armutsgebot führte.77 Doch bereits 1253 – nur 27 Jahre nach Franziskus‘ Tod – erlaubte Papst Innozenz IV. der Mutterkirche des Ordens offiziell den Besitz und Gebrauch von Luxusgütern, welche als Schenkun-gen nach S. Francesco gelangten, und stiftete 1288 selbst eine Vielzahl kostbarer Textilien.78 Denn gerade Stoffbahnen, Teppiche, Draperien und Paramente zählten aufgrund der hohen Material- und Importkosten zu den mit Abstand teuersten Artefakten der spätmittelalterlichen Welt.79

75 Iohannis Beleth, Svmma de ecclesasticis officiis. Textvs – Indices, hg. von Heriberto Douteil [Cor-pvs Christianorvm Continuatio Medieualis XLI A], Turnolt 1976, 85 h.

76 Iohannis Beleth 1976 (wie Anm. 75), 115 Bd.77 Vgl. Malcolm David Lambert, Franciscan poverty. The doctrine of the absolute poverty of Christ

and the apostles in the Franciscan order, 1210–1323, Oxford 1961 und Krüger 1998 (wie Anm. 11) mit weiterführender Literatur.

78 Vgl. Mack 2001 (wie Anm. 16), S. 34.79 Zu den Preisen von Teppichen gerade auch im Vergleich zu anderen Gütern und Kunstwerken vgl.

Mack 2001 (wie Anm. 16), S. 73.

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 323EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 323 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

324 Sultanspracht im Papstpalast oder: Das Recht des Teppichs

Ein in die 1330er Jahre datiertes Tafelbild in der Berliner Gemäldegalerie, welches dem Meister von San Lucchese zugeschrieben wird und vor leuchtendem Goldgrund Maria mit dem Christusknaben umgeben von acht Heiligen zeigt, stellt eine in diesem Kontext besonders interessante Szenerie vor Augen (Abb. 14). Vor dem breiten mit Intarsien verzierten Holzthron, über welchen ein reich besticktes Tuch und ein Kissen gebreitet sind, liegt ein Teppich, dessen „splendore“ bereits Bernard Berenson bemerkte.80

Dieser Teppich hat in gleich mehrfacher Hinsicht eine subtile Bedeutung für die Komposition des Bildes. Großformatig führt er vom rechten zum linken Bildrand, lässt aber im Vordergrund ein Stück des bloßen Fußbodens frei. Seinen Dekor bilden auf leuchtend rotem Grund weiße und goldene Doppeladler in oktogonalen Feldern sowie rote Knotenornamente auf dem dunkelfarbigen Raster der Struktur. Zwei der Adleroktogone stechen in ihrer besonders hellen Farbgestaltung unterhalb der Got-tesmutter heraus und betonen so die Mittelachse, führen den Blick des Betrachters also zur thronenden Maria mit Kind. Zugleich lenken sie die Aufmerksamkeit auf ein Detail mittig am unteren Bildrand: Während der Teppich ansonsten flach auf dem Boden liegt und in Draufsicht dargestellt ist, so dass das Muster bestens zur Geltung kommt, erscheint ein Teil der Teppichbordüre hier gestaut und bildet eine aufragende Falte. Der Teppich bekommt durch diese einerseits haptische Qualität, andererseits weist die Falte pfeilartig direkt zu Christus. Dieser scheint symbolisch gesehen der eigentliche ‚Adler‘ zu sein.

Doch nicht nur Maria und der Christusknabe werden durch den kostbaren Fußbodenbelag ausgezeichnet, sondern ebenso Franziskus, welcher rechts im Vor-dergrund auf dem Teppich steht. Dabei berührt er ihn sogar mit bloßen Füßen.81 Verweist nach Durandus das Betreten eines Teppichs bereits generell auf die Abge-wandtheit von irdischem Prunk, so wird diese Deutung durch die heraldischen Adler unterstrichen. Franziskus löst damit die Forderung des Liturgikers ein, wenn er als poverello in dieser Darstellung Weltliches mit Füßen tritt. Darüber hinaus zeigt sich erneut die Zweideutigkeit der Passage aus Durandus‘ Rationale, denn Franziskus ist auf dem Bild der einzige Heilige, dessen Füße den weichen Teppichflor berüh-ren dürfen. Dadurch unterscheidet er sich von den anderen Heiligen und zeichnet sich gleichzeitig vor ihnen aus. In der Darstellung mag sogar ein Hinweis auf den Auftraggeber des Tafelbildes liegen, welcher sich heute nicht mehr fassen lässt,

80 Bernard Berenson: „Quadri senza casa. Il Trecento fiorentino, II“, in: Dedalo 3, 1930/31, S. 1044. Die Sitzhaltung Mariens, deren Beine üblicherweise vor dem Thron herabgeführt erscheinen, ist ungewöhnlich und erinnert, wie Boskovits zu Recht bemerkte, eher an die typische Haltung einer Humilitasmadonna, vgl. Miklós Boskovits, Frühe italienische Malerei. Katalog der Gemälde. Gemäldegalerie West, Berlin 1988, S. 126. Da die Jungfrau auf dem Berliner Bild aber auf einem Thron anstatt auf dem Boden hockt, ist ihre Körperhaltung mit der von Machthabern aus dem arabischen Raum vergleichbar, welche auf ihren Thronen üblicherweise mit unterschlagenen Bei-nen dargestellt wurden.

81 Vgl. Klaus Schreiner, „‘Nudis pedibus‘. Barfüßigkeit als religiöses und politisches Ritual“, in: For-men und Funktionen öffentlicher Kommunikation im Mittelalter, hg. von Gerd Althoff, Stuttgart 2001, S. 53–124 und Gerhard Wolf, „Verehrte Füße. Prolegomena zur Geschichte eines Körperteils“, in: Körperteile. Eine kulturelle Anatomie, hg. von Claudia Benthien und Christoph Wulf, Reinbek bei Hamburg 2001, S. 500–523.

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 324EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 324 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

325Vera-Simone Schulz

allerdings aufgrund der dargestellten Doppeladler bislang im Umfeld der den Kaiser unterstützenden Ghibellinen oder der Anjou vermutet wurde.82 Aufgrund der hervorgehobenen Stellung des Heili-gen Franziskus ist anzunehmen, dass es sich um einen dem Franziskanerorden verbundenen Stifter handelte.

III.

Anders als Franziskus, der auf der Tafel des Meisters von San Lucchese auf dem Teppich steht (Abb. 14), befindet sich Martial in der Darstellung im Papst-palast in Avignon auf einem solchen in Bewegung (Abb. 12). Stasis entspricht in diesem Werk kinesis, aus status ist motus geworden. Martial ist Bischof, so dass die aus Durandus‘ Rationale zitierte Textpassage für ihn durchaus Gültigkeit besaß. Im Fresko erscheint er allerdings nicht im Chorbereich einer Kirche, son-dern bewegt sich unter freiem Himmel; somit gilt es, zuletzt die Thematik des zeremoniellen Schreitens und dessen (textiler) Grundlage aufzudecken.

Angrenzend an die Martialkapelle spielte das tinellum magnum beim Kon-klave zur Wahl eines neuen Papstes während des avignonesischen Exils eine zentrale Rolle.83 Von dort nahm folglich ein neues Pontifikat seinen Gang. Ob eigens zu diesem Anlass vor den Konklave-Teilnehmern und vor dem neu gewählten Papst Teppiche ausgelegt wurden, auf denen diese nach der Wahl die Kapelle verließen, bleibt zu prüfen, wie dies auch die Rolle von Bodenteppichen anlässlich der Papstkrönungen betrifft. So ist das Herbeibringen von Teppichen im Zuge der Vorbereitungen der Krönung Coelestins 82 So etwa vermutet von Boskovits 1988 (Abb. 80), S. 127. Zu der auf Christus verweisenden Sym-

bolik des Adlers im Zusammenhang mit dieser Teppichdarstellung vgl. Mary Moser, „The eagle and the lion. Musings on the significance and lineage of raptors and felines depicted in the woven surfaces of Trecento and Quattrocento Tuscan paintings“, in: Oriental carpet and textile studies VI, hg. von Murray L. Eiland, Jr., Danville 2001, S. 58–63.

83 Vgl. Hutton 1995 (wie Anm. 59), S. 134 und S. 150. Zu den Palastkapellen siehe Gottfried Kerscher, „Roma nova – Virtuelles Rom. Die Palastkapelle in Avignon und das Zeremoniell der Päpste“, in: Art, cérémonial et liturgie au moyen âge. Actes du colloque de 3e Cycle Romand de Lettres, Lausanne-Fribourg, 24–25 mars, 14-15 avril, 12–13 mai 2000, hg. von Nicolas Bock [u.a.], Rom 2002, S. 585–594.

Abb. 14: Meister von San Lucchese, Maria mit dem Kind und Heiligen, 1330er Jahre, Berlin, Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 325EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 325 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

326 Sultanspracht im Papstpalast oder: Das Recht des Teppichs

V. am 29. August 1294 in L’Aquila eigens beschrieben.84 Daneben kommen die Textpassagen aus Durandus‘ Rationale erneut in den Sinn, wenn es etwa im Codex Avignon 1706 die 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts betreffend heißt, dass Teppiche niedergelegt werden (sternere tapeta), wenn der Papst die Messe zelebriere, ob in Rom oder an einem anderen Ort,85 wie es gleichfalls in weiteren Schriftzeugnissen, insbesondere hinsichtlich des Ausbreitens von Teppichen vor dem Altar für das 13. und 14. Jahrhundert im Papstkontext belegt ist.86 In einer Miniatur Giuliano Amadeis aus dem späten 15. Jahrhundert mit der Darstellung der Zelebration der Messe in der päpstlichen Kapelle thront der Papst in dem festlich mit mille fleurs-Tapisserien geschmückten Raum vor einem über die Stufen herabführenden Teppich, während ein zweiter, in vergleichbare Farben gehaltener Bodenteppich vor dem Altar unter den Füßen des Priesters ausgebreitet ist (Abb. 15).87

Martialkapelle und Papstpalast waren aber auch der Schauplatz einer anderen Form des päpstlichen zeremoniellen Schreitens. In Anlehnung an die jährlich in Rom stattfindende Prozession zwischen den sieben Hauptkirchen zog der Papst in Avignon mit seinem Gefolge jedes Jahr durch die Räume des Palais des Papes.88 Eine Prozession, die in Rom durch den Stadtraum von Kirche zu Kirche führte, wurde in Avignon in das Innere des Palastes als ein rituelles die Gänge, Zimmer und Säle Durchschreiten verlegt. Außenraum und Innenraum, Rom und Avignon wurden so auf komplexe Art und Weise verschränkt, eine Situation, welche nicht 84 „Item servientes nigri portabunt capellam, tapeta, faldistoria, scabella et alia consueta quando

dominus papa vadit cantare in solennibus festis. Item micam de tribus panibus. Item quatuor incisoria de pane, in una tobalea, pro manibus lavandis“, Infrascripta sunt illa que Domini car-dinales et alii prelati de curia, camerarius et alii familiares Domini Pape facere debent quando Dominus Papa consecratur et coronatur in L‘Aquila, zitiert nach Marc Dykmans, Le cérémonial papal dela fin du moyen âge à la Renaissance, Bd. II: De Rome en Avignon ou le cérémonial de Jacques Stefaneschi, Brüssel/Rom 1981, S. 328.

85 „Est tamen sciendum quod, si dominus papa cum sua curia Rome resideat vel moretur et predicte consecrationes infra menia civitatis per ipsum vel ipsius mandato, etiamsi fierent in ecclesia beato-rum Petri et Pauli apostolorum atque Laurentii vel in consimilibus, que sunt extra menia civitatis, que in hoc casu infra esse censentur, quidam cives Romani nomine mapularii, officiales ad hoc antiquitus deputati, de dictis sacris et benedictionibus prelatorum debent habere et recipere etiam partem omnium. Et illas debent pro tertia parte dividere cum camerario, clericis et servientibus supradictis. Qui mapularii partem suam sacrarum huiusmodi equaliter dividunt inter se, utrum sint presentes vel absentes, quia hereditario modo possident officium supradictum et ex consue-tudine observata. Ipsi vero mapularii habent sternere tapeta et parare faldistoria in ecclesia, ubi dominus papa debet celebrare, in Urbe tantum et non alibi“, zitiert nach Bernhard Schimmelpfen-nig, Die Zeremonienbücher der Römischen Kurie im Mittelalter, Tübingen 1973, S. 196. Vgl. zu der Stelle ebd., S. 45–47 sowie Léon-Honoré Labande, „Le cérémonial romain de Jacques Cajétan. Les données historiques qu’il renferme“, in: Bibliothèque de l’école des chartes 54, 1893, S. 45–74.

86 „Et sternantur tapete seu tapetia, et preparent faldistorium cum cossino et panno, qui ipsum cooperiat, et scabellos. [….] Preterea sternant ante altare sacrum tapete seu tapetia, ut provide-ant, quod ipsum altare, priusquam pontifex ad altare accedat, sit decenter ornatum sive pannis, quos ipsin deferant, sive sint eiusdem ecclesie“, De officio sacristarum vel aliorum cappelle curam habentium, quando episcopus cardinalis aut alius pontifex missarum sollempnia est celebraturus, zitiert nach Schimmelpfennig ed. 1973 (wie Anm. 85), S. 378.

87 Giuliano Amadei, 1484–1492, Chantilly, Musée Condé, Divers IV, 402, V, siehe Spallanzani 2007 (wie Anm. 5), S. 215, Abb. 77.

88 Vgl. Kerscher 2000 (wie Anm. 36), S. 175 f. sowie Kerscher 2002 (wie Anm. 83).

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 326EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 326 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

327Vera-Simone Schulz

zuletzt wieder das Schreiten Martials auf einem Teppich unter freiem Himmel im Fresko der Martialkapelle aufruft. Denn sollten für diese Prozession eigens Teppi-che niedergelegt worden sein, setzt das Beschreiten von Bodenteppichen nicht nur Körper, Teppich und Raum in Beziehung und weist auf die performative Dimension von Teppichen, sondern hält zudem die Assoziation eines biblischen Geschehens bereit: So alludiert das textile Schreiten in christlicher Umgebung unmittelbar auf den Einzug Christi in Jerusalem, bei dem die Umstehenden Palmzweige vor dem Gottessohn ausbreiteten, ihm aber auch ihre Kleider zu Füßen legten.

Diese kurze Analyse, welche ausschnitthaft Einblicke in die Teppich-Thematik auf der italienischen Halbinsel sowie in Avignon im 13. und 14. Jahrhundert geben sollte, hat die polyvalente Rolle von Teppichen im Papstkontext verdeutlicht. In Petrarcas „Babylon des Westens“ waren importierte Orientteppiche nicht nur begehrte Luxusartikel, deren Luxuscharakter im sakralen Kontext instrumentalisiert und in ihrem Gebrauch auch semantisch verkehrt werden konnte, sondern sie übernahmen am Papsthof Funktionen ähnlich denen an Herrscherhöfen der islamischen Welt. Diese päpstliche ‚Vereinnahmung‘ reichte gar so weit, dass dem Sultan in direkter Gegenüberstellung das Hoheitszeichen des Orientteppichs im Bild versagt wurde. Doch gaben die Päpste hiermit ein Verhalten vor, welches – und wieder kommt Petrarcas Kritik in den Sinn – nicht auf ihre eigene Hofhaltung beschränkt war.

Am 23. April 1343 wurde Papst Clemens VI. von Kardinal Hannibal Ceccano in Gentilly fürstlich empfangen, ein Besuch, von dem ein zeitgenössischer Bericht erhalten ist:

In erster Linie ist davon zu berichten, dass der Kardinal all seinen Geist und seine Kraft darauf verwendete, die Ankunft [des Papstes] und alle Arten der Ehrbezeugung vorzubereiten. Und wie er hörte, dass er [der Papst] nah war, ging er in seine Kapelle, die reich drapiert war mit Gold und Seide, mit Vorhängen, mit Stoffen und mit Teppichen überall auf dem Boden und überall in der Kirche. Man sah wegen des vielfältigen Schmuckes nicht den Boden, nicht die Wände,

Abb. 15: Giuliano Amadei, Messe in der Capella Papalis, 1484-1492, Chantilly, Musée Condé, Divers IV, 402, V

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 327EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 327 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

328 Sultanspracht im Papstpalast oder: Das Recht des Teppichs

oder die Seiten der Kapelle, weil alles geschmückt war; man sah nur den Altar und den Stuhl des Papstes, der einem Goldmassiv in Form eines Stuhles glich. Der Altar war mit Kreuzen geschmückt, mit Reliquien, mit Bildern aus Gold und Edelsteinen, Mitren und anderen liturgischen Kleidungsstücken und mit anderen herrlichen Schönheiten, wie man sie sich nicht vorstellen kann, wenn man sie nicht gesehen hat.89

Der große Raum wurde so vorbereitet: […] Am Boden vor dem Stuhl befand sich ein Teppich mit weichem Flor, er war so dem anderen Raumschmuck ähnlich, aber noch viel feiner, außerdem aus Seide und völlig neu. Er war schön anzusehen. Rundherum befanden sich an allen Mauern neu angefertigte Vorhänge mit ande-ren und verschiedenen Motiven sowie Bankdecken für das Zimmer und Teppiche überall auf dem Boden.90

Am Ende des Saales, von den beiden Seiten ungefähr zwei Meter entfernt, wurden die Wände mit feinsten Behängen aus Gold und Seide verkleidet, die von der Decke bis zum Boden reichten. In der Mitte hinter dem Stuhl befand sich eine prächtige scharlachrote Gewebebahn, die vom Boden aufsteigend nach oben bis in die Spitze des Daches reichte; unten fiel diese zwei Meter breite Bahn mehr als zwei Meter über den Stuhl, und dies war herrlich anzusehen. Sie hatte die schönste Farbe, die je gesehen wurde. Der restliche Saal war geschmückt mit Vorhängen und ver-schiedenen Motiven. Wie man sich vorstellen kann, waren also die Bankdecken, die Teppiche unter den Füßen und die Tische selbst bedeckt mit diesen Dingen. Es gab nämlich besonders reiche Tischdecken, welche nur den Adligsten zukamen.91

Auch hier werden kostbarste Textilien und Teppiche eigens vor dem Papst ausge-breitet – indes gehören diese am Ende des Tages nicht Clemens VI., sondern zum Haushalt des Kardinals.89 „Primamente afatichato il cardinale di mente e di corpo in pensare e dimetre in opera nuovi modi

d’onorarlo Stete solicito e atento ad atendere la sua venuta. E chom’egli senti ch’era presso entro ne la sua chapella la quale era parata di finisimi drape d’oro e di seta di chapoletti di lana di tapeti per terra in somma inuina parte de la chiesa ned in terra ned intorno ned a lato si vedeva se no l’altare una sedia papale parata d’un drappo che propriamente pareva una massa d’oro in forma di sedia. L’altare ornato di croci di reliquie d’immagine d’oro di pietre di mitre di paramenti di sosali di tante chose e di si maravigliose beleze che parebe inposibile a credere a chi no le vide“, zitiert nach Kerscher 2000 (wie Anm 36), S. 480. Die deutsche Übersetzung orientiert sich an der Übersetzung Kerschers, weist jedoch einige Unterschiede auf, vgl. hierfür und für die folgenden übersetzten Zitate ebd., S. 199–201.

90 „La grande chamera fu chosi parata [...]. E sotto a’piedi fumesso un tapetto veluto a modo dagli altri tapeti salvo ch’era tuto di finisima seta e tutto nuovo. Questo fu una richisima chosa a vedere. Intorno a tute le mura chapoletti tuti nuovi di nuove e diverse storie banchali per la chamera e tapeti tuti per terra e tuta piena“, zitiert nach Kerscher 2000 (wie Anm. 36), S. 480.

91 „I paramenti de la sala dove mangio Nostro Segnore chon sedici chardinali et chon venti altri era parlati ed altri segnori laici ed ebevi una tavola dove furono dodici fanciulli cherici che’l magiore a dodici anni che sono tuti i nipoti del papa o streeti di parentado e chontinuo da una pezza in qua vano e stanno cho’lui dove que sia ed ano maestri chavalieri schudieri che gli amaestrano e schostu-mano e servogli. Questi furono ne la detta sala e le tavole. La quale sala fu chosi parata. Ne la testa de la sala e da le due latora forse una channa furano choperte le mura di finisimi drapi d’oro e di seta dal tetto insino al solaio. Nel mezzo di dietro a la sedia fu una richisima peza di sciamito vermiglio per erto che tene dal solaio insino al cholmo del tetto e poi rivolta sopra la sedia piu d’una channa e fu largha da una channa fu nobilisima chosa a vedere. E fu del piu fine cholore che mai si vide. Poi tuta l’altra sala choperta di finisimi e grandisimi chapoletti di nuove e diverse storie. E chosi banchali e tapeti sotto i piedi chome le tavole furono choperte per queste altre cose si puote imaginare. Che furono tovaglie nobilisimi e richisime“, zitiert nach Kerscher 2000 (wie Anm. 36), S 481.

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 328EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 328 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

329Vera-Simone Schulz

NÄHE UND FERNE: TRECENTESKE TEPPICHDARSTELLUNGEN IN (TRANS-)MEDITERRANER PERSPEKTIVE

Teppich- und Kunstgeschichte, speziell das Studium von orientalischen Knüpf-teppichen und das der italienischen Malerei des 14. bis 16. Jahrhunderts sind eng verflochten – obschon dieser Umstand heute wohl eher Teppich- als Kunst-historikern bewusst ist. Kein geringerer als Wilhelm von Bode begründete einst eine der erfolgreichsten und meist angewandten Methoden für die Datierung und Klassifizierung von Orientteppichen: indem er diese mit deren Darstellungen auf Gemälden verglich, wie ihm das – um nur den berühmtesten Fall zu nennen – mit einem von ihm selbst 1886 in Rom erworbenen Drache-Phönix-Teppich anhand eines vergleichbaren gemalten Exemplars im Fresko der Hochzeit der Findlinge Domenico di Bartolos im Ospedale della Scala (1440–1444) in Siena gelang.92 Der Teppich musste aus der Zeit vor der Fertigstellung des Freskos datieren, so Bode; und die jüngst erfolgte C14-Analyse von einigen mit dem heute im Museum für Islamische Kunst in Berlin aufbewahrten Stück vergleichbaren Teppichfragmenten gab mit ihrer Bestätigung von Bodes Einschätzung einmal mehr Anlass, dieser sogenannten ante quem-Methode zu folgen.93 Doch die Malerei fungierte nicht nur als Datierungshilfe, sondern stiftete oft sogar die Namen der in ihr dargestellten Teppiche. So werden beispielsweise anatolische Exemplare mit einem Gitternetz von stilisiertem Blattwerk auf leuchtend rotem Grund nach Lorenzo Lotto, der sie besonders häufig in seine Bilder integrierte, als ‚Lotto-Teppiche‘ bezeichnet.94

Gerade der italienischen Trecentomalerei kam in der Teppichforschung von Anbeginn an eine signifikante Rolle zu, allerdings eine grundlegend andere als der des 15. und 16. Jahrhunderts. Kurt Erdmann und John Mills veröffentlichten systematische Studien, in denen sie alle derzeit bekannten Teppichdarstellungen des Trecento vorstellten, deren Muster klassifizierten und katalogisierten.95 Da nur sehr wenige Teppiche aus dem 13. und 14. Jahrhundert erhalten sind und diese wenigen meist nicht mit den bildnerischen Darstellungen der Zeit übereinstimmen, sollten die Teppichdarstellungen des 14. Jahrhunderts dazu dienen, Aufschlüsse über verlorene Teppiche zu gewinnen, kurz gesagt: das Ziel der Teppichforscher war es,

92 Wilhelm von Bode, „Altpersische Knüpfteppiche. Studien zur Geschichte der persischen Knüpfar-beit auf Grund eines Teppichs im Besitz der königlichen Museen zu Berlin“, Sonderausdruck aus dem Jahrbuch der Königlich Preussischen Kunstsammlungen 3, 1892, S. 22–24. Vgl. auch Volkmar Enderlein, „Bode’s legacy. Wilhelm von Bode & the Berlin carpet collection“, in: Halı 69, 1993, S. 84–95. Der Zusammenhang zwischen Teppichen und Malerei wurde zuvor bereits gesehen von Julius Lessing, Altorientalische Teppichmuster nach Bildern und Originalen des 15. und 16. Jahr-hunderts, Berlin 1877.

93 Siehe Jürg Rageth, „Dating the Dragon & Phoenix Fragments“, in: Halı 134. 2004, S. 106–109.94 Vgl. Rosamond E. Mack, „Lotto as a carpet connoisseur“, in: Ausst.-Kat. Lorenzo Lotto. Redisco-

vered master of the Renaissance, hg. von David Alan Brown, Peter Humfrey und Mauro Lucco, Washington 1997, S. 59–68.

95 Kurt Erdmann, „Orientalische Tierteppiche des XIV. und XV. Jahrhunderts“, in: Jahrbuch der Preußischen Kunstsammlungen 50.4, 1929, S. 261–298; John Mills, „Early animal carpets in Wes-tern paintings – A review“, in: Halı 1, 1978, S. 234–243 und ders., „The early animal carpets revi-sited“, in: Eiland 2001 (wie Anm. 82), S. 46–51.

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 329EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 329 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

330 Sultanspracht im Papstpalast oder: Das Recht des Teppichs

eine ‚Geschichte des orientalischen Knüpfteppichs‘ anhand dessen Darstellungen in der italienischen Malerei des 14. Jahrhunderts zu rekonstruieren. Dies erwies sich jedoch als schwierig, denn anders als hinsichtlich Teppichdarstellungen des späten 15. und 16. Jahrhunderts war es in denen des Trecento oft kaum möglich, die Mus-ter im Detail zu bestimmen. Mills hat die Beschäftigung mit Teppichdarstellungen des 14. Jahrhunderts deshalb bereits 1978 als „frustrating“ bezeichnet – ein Urteil, das er 2001 wiederholte.96

Das Bestreben dieses Beitrages war es, Teppichdarstellungen in der italienischen Malerei des 14. Jahrhunderts als Forschungsfeld neu zu explorieren. Bezeichnender-weise lag selbst im Zuge einer jüngst wieder verstärkt mediterran ausgerichteten Kunstgeschichte der Fokus bislang hauptsächlich auf den Bezügen zwischen Ori-entteppichen und der italienischen Malerei des späten 15. und 16. Jahrhunderts,97 wurde die Untersuchung von Orientteppichen mithin auf deren ‚Porträt‘ im Bild, den direkten Vergleich ‚reduziert‘. Dabei würde gerade die Erforschung von Tep-pichdarstellungen im Trecento weitreichende Perspektiven eröffnen.

Analysen von Teppichdarstellungen und Schriftzeugnissen des 14. Jahrhunderts geben nicht nur neue Aufschlüsse über die Zirkulation von Objekten im Mittelmeer-raum, Handelsbeziehungen und wechselseitige Geschenke. Sie schärfen zudem den Blick für Fragen der Herrscherrepräsentation hinsichtlich der Ausstattung deren Höfe und deren Darstellungen in Abgrenzung wie auch im Vergleich zu anderen Regenten – selbst über mediterrane Grenzen hinweg. Dabei gilt es, die plurifokalen Dynamiken von Teppichdarstellungen, -handel und -gebrauch zwischen den Stadtkulturen mit ihren merkantilen, gerade auch Fernhandelsbeziehungen, den (Bettel-)Orden und ihren Missionstätigkeiten, dem Papst- und anderen Herrscherhöfen sowie den Spezi-fika von sakralen und säkularen Kontexten in ihren Besonder- und Eigenheiten, aber ebenso in ihren Relationen zueinander, ihren Verknüpfungen, Durchschichtungen und Verdichtungen differenziert in den Blick zu nehmen – etwa um Phänomene wie die Darstellung eines Teppichs zu Füßen eines Papstes in der Kapelle einer prominenten Kaufmannsfamilie in einer Florentiner Franziskanerkirche im Bild näher zu beleuch-ten. Ein Unterfangen, welches der verstärkten Zusammenarbeit unterschiedlichster Disziplinen und Subdisziplinen bedarf, der Mediävistik und Wirtschaftsgeschichte, der westeuropäischen, byzantinischen, islamischen, ja auch jüdischen Kunstgeschichte(n) – man denke an das Thema der spanischen Synagogenteppiche im 14. Jahrhundert –, der Religionswissenschaft und Liturgiegeschichte, den Literaturwissenschaften usf.

96 Mills 1978 (wie Anm. 95), S. 234 und Mills 2001 (wie Anm. 95), S. 46.97 So publizierte Spallanzani zwar eine Reihe von Abbildungen, jedoch nur wenige Schriftzeugnisse,

welche ins 13. oder 14. Jahrhundert datieren; seine Analyse ist ansonsten auf Knüpfteppiche seit dem Quattrocento fokussiert, Spallanzani 2007 (wie Anm. 5); Ausst.-Kat. I tappeti dei pittori. Testimonianze pittoriche per la storia del tappeto nei dipinti della Pinacoteca di Brera e del Museo Poldi Pezzoli di Milani, hg. von Luca Emilio Brancati, Mailand 1999; Ausst.-Kat. Crivelli e l’arte tessile: I tappeti e i tessuti di Carlo Crivelli, hg. von der Associazione Culturale MATAM (Museo di Arte Tessile Milano), Mailand 2010; Ausst.-Kat. Crivelli e Brera, hg. von Emanuela Daffra, Mailand 2009; Almut Goldhahn, „Der Teppich als Hortus Conclusus – Orientalische Knüpftep-piche auf Mariendarstellungen des 15. Jahrhunderts in Italien“, in: Schmidt-Arcangeli/Wolf 2010 (wie Anm. 55), S. 105–114; Mack 2001 (wie Anm. 15), S. 73–93.

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 330EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 330 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

331Vera-Simone Schulz

Erneut zur Debatte stehen kann, wie sinnvoll das Operieren mit binären Oppo-sitionen wie ‚Kairo‘ und ‚Florenz‘ oder ‚Papst‘- und ‚Sultans‘-Hof ist, welche stets die Gefahr eines Rückfalles in Modelle antagonistischer Diskurse von ‚Orient‘ und ‚Okzident‘ bergen.98 Gleichwohl vermögen empirisch-historische Analysen, Binärop-positionen aufzufächern, zu differenzieren und – in der Bardi-Kapelle etwa diejenige zwischen ‚Kairo‘ und ‚Florenz‘ über den Papstpalast in Avignon, über die (Zwischen-)Stationen der Teppichkäufe und -verkäufe – in einem komplexen, den Mittelmeerraum und Regionen jenseits desselben überspannenden Netz verschiedener Akteure zu verorten, ja etwa die Interaktionen der Blickwechsel nicht zuletzt über den Teppich, Bewegungen von Teppichen wie Bewegungen vor und auf Teppichen zu kartieren.

So muss das Papsttum in Avignon einerseits als ein mittelmeerisches betrachtet werden – nicht nur wegen der phantastischen Kartographiestudien Opicinus‘ de‘ Canistris.99 Gottfried Kerscher betonte bereits frühzeitig die Parallelen zwischen dem avignonesischen Papst- und dem mallorquinischen Königszeremoniell sowie die architektonischen Gemeinsamkeiten der Paläste beider Reiche,100 wie sich auch hinsichtlich der Ausstattung der Palasträume Vergleiche ziehen ließen. Ein Aspekt, welcher nicht zuletzt durch das Studium von Teppichen näher beleuchtet werden kann. In den Ausgabenbüchern der Päpste finden sich im 14. Jahrhundert zahl-reiche Ankäufe iberischer Teppiche – meist über Florentiner Händler vermittelt – aufgelistet,101 das prägnanteste Zeugnis für diese Verflechtungen findet sich aber im Medium der Malerei, denn der großformatige Bodenteppich in der Martial-kapelle mit seinem Muster aus achteckigen, mit Sternen und Blumen gefüllten, Fliesen evozierenden Feldern hatte wohl einen spanischen ‚Admiralsteppich‘ als Vorbild (Abb. 16 und 17).102 Doch reichten die diplomatischen Beziehungen der Päpste, ihre Kontakte und Bezugnahmen im 14. Jahrhundert weiter als nur bis nach Mallorca, zur iberischen Halbinsel und in die mehrheitlich christlichen oder muslimischen Gebiete des Mittelmeerraumes. Berühmt sind die Gesandtschaften von Herrschern aus allen Teilen der damals bekannten Welt in Rom im Jubeljahr 1300

98 Zu dieser Problematik siehe auch die Argumentation von Wolf 2009 (wie Anm. 28), insbesondere S. 42–47.

99 Karl Whittington, Body-worlds: Opicinus de Canistris and the medieval cartographic imagination, Toronto 2014.

100 Kerscher 1990 (wie Anm. 36) sowie Kerscher 2000 (wie Anm. 36), S. 330–332.101 „Dez. 1 Ricco Guchii, mercatori de Florentia curiam Rom. sequenti, pro 5 pannis de lana factis a

compas pro aula seu camera pape, quorum 4 sunt longitudinis 15 palm. et unus 12 palmorum: 23 fl.; pro quadam sargia coloris viridis maioris forme 5 fl.; pro 2 tapetis sive marchipes de Ispania 5 fl., zusammen 33 fl.“, Aufgaben Benedikts XII. in seinem fünften Pontifikatsjahr 1339, Schäfer ed., II, 1924 (wie Anm. 49), S. 100; „pro 1 tapeto de Ispania 2 ½ fl.“ im sechsten Pontifikatsjahr Benedikts XII. 1340, Schäfer ed., II, 1924 (wie Anm. 49), S. 127; „apr. 20 Nicholao de Lappobenchi de Florentia pro 2 tapetis de Yspania pro camera pape 5 fl. 9 tur. gross.“ im achten Pontifikatsjahr Benedikts XII. 1342, Schäfer ed., II, 1924 (wie Anm. 49), S. 162; „pro 9 tapetis de Yspania pilosis, qui fuerunt positi in camera pape in turre et quos habuit Iohannes Loumale cambrerius (je 3 fl.) 27 fl.“, im ersten Pontifikatsjahr Clemens’ VI. 1342/1343, Schäfer ed., II, 1924 (wie Anm. 49), S. 214.

102 Vgl. Mills 1983 (wie Anm. 59), S. 11; May H. Beattie, „The ‚admiral‘ rugs of Spain. An analysis and classification of their field designs“, in: Oriental carpet & textile studies II. Carpets of the Mediterra-nean countries 1400–1600, hg. von Robert Pinner und Walter B. Denny, London 1986, S. 271–289.

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 331EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 331 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

332 Sultanspracht im Papstpalast oder: Das Recht des Teppichs

– ausnahmslos, so ein zeitgenössischer Bericht, unter der Leitung von Floren-tinern, was Bonifaz VIII. zu dem Aus-spruch verleitet haben soll, die Bürger der Stadt am Arno seien wohl „das fünfte Element“. Darunter nicht zuletzt hundert Vertreter des Ilkhanidenreiches angeführt von Guicciardo de’ Bastari aus Florenz, alle „nach tartarischer Art“ gekleidet.103 Und auch in Avignon hielt der Austausch mit Gebieten jenseits des Mittelmeerraumes über den Mittleren Osten und Zentralasien bis China an: 1336 erreichte Papst Benedikt XII. eine Gesandtschaft von Toghun Temür, zwei Jahre später wurde der Florentiner Gio-vanni di Marignolli als einer von fünfzig Klerikern von Benedikt nach Beijing entsandt und kehrte 1353 mit einem Brief des Yuan-Kaisers an Papst Innozenz VI. nach Avignon zurück.

Die Anzahl der dokumentierten Teppichkäufe wie das ostentative Zurschaustellen der Teppiche in bildnerischen Darstellungen im Papstkontext rufen einerseits Oleg Grabars Konzept einer common court culture in the medieval Mediterranean wach und werfen zugleich die Frage auf, ob sich mit diesem über das 11. Jahrhundert hinausgehend für den Mittelmeerraum des 14. Jahrhunderts operieren ließe.104 Wobei der Erwerb und Gebrauch von Textil- und Teppichausstattungen an den mediterranen Höfen nicht als eine unidirektionale Bewegung von ‚Ost‘ nach ‚West‘ angesehen oder auf die ‚westliche‘ Faszination für den ‚Orientteppich‘ simplifiziert werden darf: Der Herzog von Burgund Johann Ohnefurcht offerierte Sultan Baye-zid I. nach seiner Niederlage bei Nicopolis 1396 nicht von ungefähr Tapisserien als

103 Peter Armour, „The twelve ambassadors and Ugolino’s jubilee inscription: Dante’s Florence and the tartars in 1300“, in: Italian Studies 52, 1997, S. 1–15, hier S. 3. Vgl. außerdem Felicitas Schmie-der, Europa und die Fremden: Die Mongolen im Urteil des Abendlandes vom 13. bis in das 15. Jahrhundert, Sigmaringen 1994 sowie Marina Münkler, Erfahrung des Fremden: Die Beschreibung Ostasiens in den Augenzeugenberichten des 13. und 14. Jahrhunderts, Berlin 2000.

104 Oleg Grabar, „The shared culture of objects“, in: Byzantine court culture from 829 to 1204, hg. von Henry Maguire, Washington D.C. 1997, S. 115–129.

Abb. 17: Teppich-Fragment, Spanien, 15. Jh., Rippon Boswell & co

Abb. 16: Detail von Abb. 12

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 332EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 332 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

333Vera-Simone Schulz

Teil seines Lösegeldes.105 Andererseits werden transmediterrane Bezüge bis in den Mittleren Osten und nach Zentralasien offenbar.106 Die Vielfalt der merkantilen, diplomatischen und missionarischen Kontakte in diese unterschiedlichen Regionen, deren Herrscherstrukturen und die Fülle der Narrative mögen sich in der Rezep-tion dabei durchaus überlagern. Somit gilt es nicht zuletzt, sich die Problematik zu vergegenwärtigen, welche muslimischen Machthaber, ob in Kairo, Tunis, dem Ilkhanidenreich oder anderen Regionen der islamischen Welt, dem Papst – etwa in der Bardi-Kapelle – als Opponenten überhaupt gegenüber gestellt werden.

Aufeinander zulaufende und sich auch überkreuzende Zugänge zur Thematik des Teppichs als besonderem Terrain eröffnen sich demnach aus unterschiedlichen Richtungen:

Erstens hinsichtlich der Artefakte selbst, ihrer Materialität und Ornamentik, etwa mit Blick auf das Adlermuster des ägyptischen Teppichs aus der Keir Collec-tion (Abb. 10) oder auf die ‚Wesen‘, welche sich auf den anatolischen Tierteppichen tummeln, deren Appropriationen und Transformationen, nicht zuletzt in transme-dialer wie mediterraner Perspektive. Sei es, die Prominenz der Tierteppiche in der italienischen Malerei des 14. Jahrhunderts mit der zeitgleichen Omnipräsenz von Tierdekor im Medium der Seidenstoffe und deren prominenter Darstellung in der Malerei in Bezug zu setzen.107 Sei es, diese in spezifischen Kontexten, etwa dem der Heraldik zu analysieren. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Diskussionen um den Gebrauch von Wappen im Mittelmeerraum, etwa im Mamlukenreich in Relation zur Heraldik in Westeuropa.108 Dabei kommen nicht zuletzt die Adler auf dem gemalten Staufer-Teppich der Manfredbibel in den Sinn (Abb. 9) oder aber die Doppeladler auf der Tafel des Meisters von San Lucchese (Abb. 14). Und gerade die Diskussion um letztere zeigt, wie zentral eine mittelmeerische Betrachtung unter Berücksichtigung aller kunsthistorischen Subdisziplinen ist, werden die Doppeladler auf dem rotem Grund des Teppichs bislang doch vorrangig mit Byzanz oder aber dem Umfeld der Ghibellinen oder Anjou verbunden, während etwa seldschukische Doppeladler, gerade auch im textilen Medium, in der Forschung im Zusammenhang mit dieser Darstellung zu wenig Berücksichtigung fanden.109

Zweitens bezüglich des Terrains des Teppichs in Relation zu den angrenzen-den Oberflächen, durchaus in stereometrischer, auch transmedialer Hinsicht. Dies

105 Adolfo Salvatore Cavallo, Medieval tapestries in the Metropolitan Museum of Art, New York 1993, S. 31.

106 Janet L. Abu-Lughod, Before European hegemony: The world system A.D. 1250–1350, New York 1989. Vgl. etwa die Vermutung Gustave Souliers hinsichtlich der Rezeption persischer Teppiche in der Toskana im 14. Jahrhundert, Gustave Soulier, Les influences orientales dans la peinture toscane, Paris 1924, S. 200.

107 Klesse 1967 (wie Anm. 40).108 Michael Meinecke, „Löwe, Lilie, Adler: Die europäischen Wurzeln der islamischen Heraldik“, in:

Ausst.-Kat. Das Staunen der Welt. Das Morgenland und Friedrich II. (1194–1250), hg. vom Museum für Islamische Kunst Berlin, Berlin 1995, S. 29–31.

109 Im Kunstgewerbemuseum in Berlin befindet sich etwa ein Seidenstoff mit vergleichbaren Dop-peladlern seldschukischer Provenienz, vgl. Leonie von Wilckens, Mittelalterliche Seidenstoffe. Bestandskatalog des Kunstgewerbemuseums Berlin, Berlin 1992, S. 43 f., Kat.-Nr. 66.

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 333EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 333 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

334 Sultanspracht im Papstpalast oder: Das Recht des Teppichs

betrifft nicht nur die Interzone des Teppichs im Herrscherkontext, etwa in Audien-zen – während an den Wänden und im Rücken des Regenten gleichzeitig nordalpine mille fleurs-Tapisserien hängen –, sondern auch den sakralen Kontext, den Teppich als sacred surface,110 bzw. Verknüpfungen beider Bereiche, etwa prominent in Dar-stellungen himmlischer Audienzen wie den Verkündigungsszenen nach dem Vorbild des wundertätigen Freskos in der Florentiner Kirche SS. Annunziata, in welchem der Erzengel Gabriel sich der vor einem Teppich thronenden Maria nähert. Und obschon zeit- und raumübergreifende Dimensionen des Teppichs, sagen wir von den Abbasiden bis Adenauer, auf den ersten Blick nahelegen, dass der Umgang mit Bodenteppichen und deren Funktion über die Jahrhunderte unverändert geblieben sind, bedarf es dennoch jeweils präziser empirisch-historischer Forschung, um die Unterschiede im Gebrauch von Teppichen sowie deren Semantiken von Fall zu Fall zu eruieren. Dass bestimmte Eigenschaften von Teppichen den Umgang mit denselben wesentlich bestimmen konnten, zeigt etwa das Problem, zu welchem der Jurist Taqī ad-Dīn as-Subkī am 15. Oktober 1351 in Kairo Stellung nahm, die Frage nämlich, ob es erlaubt sei, einen Teppich zu betreten, in den die Buchstaben des Alphabets in der Bedeutung der sakralen Begriffe „Segen“ oder „andauernde Stärke“ eingewoben sind. As-Subkī gab an, dass es zwar nicht offiziell verboten, aber doch unbedingt zu vermeiden sei, – im Unterschied zu Durandus‘ Äußerungen geht es in diesem Fall also nicht darum, das Irdische mit Füßen zu treten, sondern vielmehr darum, Heili-ges nicht zu entweihen.111 Dabei gilt es, hinsichtlich Schriftzeugnissen wie Durandus‘ Rationale den mediterranen Kontext stets mit zu bedenken, Teppiche als Luxusgüter, ihren Handel und Import zu erwägen, etwa auch, welche Rolle die faktische oder zugeschriebene Provenienz eines Artefaktes spielte – bei Durandus sind tapeta, nicht tapeta di Turquia aufgeführt –, die Frage, ob die Unterscheidung zwischen Artefakt und importiertem Artefakt bzw. aus dem islamischen Raum importiertem Artefakt eine Bedeutung hatte bzw. welche Art von Bedeutung dieser Unterscheidung zukam.

Drittens gilt es, neben dem Raum des Teppichs, Teppichen als Ausstattung von Räumen und Teppichen in ausgemalten Räumen auch Teppiche in den „Räumen der Maler“ zu betrachten.112 Wobei auf einen Ansatz zurückgegriffen werden kann, welchen bereits Wilhelm von Bode formulierte. So problematisch diese Textstelle in vielerlei Hinsicht auch ist, wird dennoch deutlich, dass Bode hier Gemälde nicht allein als ein Mittel für die Datierung von Knüpfteppichen ansah, sondern überdies nach der Bedeutung der Teppiche für die Malerei fragte:

Dieses Studium [der orientalischen Knüpfteppiche] bietet noch das besondere Inte-resse, dass wir daraus die Bedeutung kennen lernen, die die Teppiche neben den orientalischen Geweben für die occidentale Kunst gehabt haben; nicht nur für das Kunstgewerbe, sondern selbst für die grosse Kunst […]. Wie damals an den Vorbildern

110 Vgl. etwa Patimat R. Gamzatova, „The Oriental carpet in the making of sacred spaces“, in: Ieroto-pija. Issledovanie sakral’nych prostranstv. Materialy meždunarodnogo simpoziuma, hg. von Aleksej M. Lidov, Moskau 2004, S. 177–181.

111 Franz Rosenthal, „Significant uses of Arabic writing“, in: Ars Orientalis 4, 1961, S. 15–23, hier S.15 f.112 Wolfgang Kemp, Die Räume der Maler: Zur Bilderzählung seit Giotto, München 1996. Zu – nicht

zuletzt mit fingierten Textilien – ausgemalten säkularen Räumen vgl. grundlegend Anne Dunlop, Painted palaces: The rise of secular art in early Renaissance Italy, University Park, Pa., 2009.

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 334EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 334 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

335Vera-Simone Schulz

aller Prachtstoffe, Gläser, tauschierten Metallgefässe, Lederarbeiten und ande-rer Gegenstände des Hausrats, die seit Jahrhunderten aus dem Osten eingeführt […], in Venedig selbst ein blühendes Kunsthandwerk im engsten Anschlusse an jene orientalischen Arbeiten sich entwickelte, so bildete sich gleichzeitig in dieser Umgebung auch das Auge der venezianischen Maler. Aus einer kunst- und farblosen Malerei entfaltete sich in wenigen Jahrzehnten die grossartigste koloristische Schule, die die Kunst aufzuweisen hat. Wer vertraut ist mit den orientalischen Teppichen des 15. Jahrhunderts, wird vor den Bildern der gleichzeitigen venezianischen Meister in Zusammenstellung und Wahl der Farben die ähnliche Farbenempfindung wie in den Teppichen herausfühlen.113

Während die Darstellung von Seidenstof-fen in der italienischen Trecentomalerei bereits früh ins Zentrum kunstwissen-schaftlichen Interesses gerückt ist,114 blie-ben Untersuchungen gemalter Teppiche bislang teppichhistorischen Forschungen vorbehalten. Dabei gilt es gerade auch aus genuin kunsthistorischer Perspektive herauszuarbeiten, auf welche Weise das neue Bildelement des Teppichs in die Bildkompositionen eingebettet wurde und die Syntax der Bilder zugleich wesentlich bestimmte. Zu diskutieren ist, wie die Wiedergabe der Teppiche Malern Gelegenheit bot, Fragen der Perspektive, der Schaffung und Gestaltung von Raum, Fragen nach der Zwei- und Dreidimensionalität der Teppich-schauseiten, nach ihrer Farbigkeit und nicht zuletzt nach der je unterschiedlichen materiellen Beschaffenheit von Teppichen und Textilien in ihren Werken auszulo-ten, – wenn etwa versucht wird, vermittels paralleler Linien und verschiedenfarbiger Punkte die Schussfäden und den Effekt schimmernden Teppichflores im Medium der Malerei zu induzieren.115 Es gilt, sich den gemalten Teppichen innerhalb der spezifischen Logik der Bilder zuzuwenden. Ja, selbst die Frage nach der Bedeutung von Teppichen für Werke in anderen Medien und Materialien, nach transmaterialen Teppichevokationen wie prominent im portugiesischen Königspalast in Sintra, wo Fliesen vor dem Altar der Schlosskapelle in Anordnung und Muster einen ‚Teppich‘ bilden (Abb. 18), gehört zu den Thematiken, an welche anzuknüpfen sein wird.

113 Wilhelm von Bode, Vorderasiatische Knüpfteppiche aus älterer Zeit, Leipzig 1901, S. 3.114 Klesse 1967 (wie Anm. 40).115 Gottfried Boehm hat jüngst einige dieser Aspekte für Teppichdarstellungen im Œevre von Henri

Matisse angesprochen, vgl. Gottfried Boehm, „Ausdruck und Dekoration. Henri Matisse auf dem Weg zu sich selbst“, in: Ausst.-Kat. Henri Matisse. Figur Farbe Raum, hg. von Pia Müller-Tamm, Ostfildern-Ruit 2005, S. 277–289, besonders S. 282–284.

Abb. 18: Schlosskapelle, Sintra, Königspalast

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 335EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 335 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

336 Sultanspracht im Papstpalast oder: Das Recht des Teppichs

ABBILDUNGSNACHWEISAbb. 1 akg images, AKG156214.Abb. 2 Caraffa/Shalem 2013 (wie Anm. 1), S. 133, Abb. 10.Abb. 3 Ausst.-Kat. Gli arazzi del Re Sole. Les tapisseries de l’Histoire du Roi, hg. von Daniel

Meyer, Florenz 1982, Tafel 4.Abb. 4, 5 Soprintendenza ai Beni Artistici e Storici, Firenze.Abb. 6 Ausst.-Kat. Paris 2013 (wie Anm. 8), S. 81, Abb. 52.Abb. 7 Frugoni 2002 (wie Anm. 11), S. 74.Abb. 8 Ausst.-Kat. New York 2002 (wie Anm. 19), S. 162, Abb. 189.Abb. 9 Ausst.-Kat. Federico II: Immagine e potere, hg. Von Maria Stella Calò Mariani und

Raffaella Cassano, Bari 1995, S. 126.Abb. 10 Shalem 1998 (wie Anm. 5), S. 76, Abb. 7.Abb. 11 José Manuel Pita Andrade und María del Mar Borobia Guerrero (Hg.), Old Masters.

Thyssen-Bornemisza Museum, Madrid 2009, S. 71.Abb. 12, 16 Archiv der Autorin.Abb. 13 Ausst.-Kat. Paris 2013 (wie Anm. 8), S. 20, Abb. 5.Abb. 14 Boskovits 1988 (wie Anm. 80), S. 223, Tafel III.Abb. 15 Spallanzani 2007 (wie Anm. 5), S. 215, Abb. 77.Abb. 17 http://www.rippon-boswell-wiesbaden.de/de/ergebnisse/auction/11/fragment/full/page/5/

(Zugriff: 16.11.2014 18:55).Abb. 18 Archiv der Autorin.

EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 336EOTHEN_VI_Schulz_04.indd 336 06.12.14 13:4906.12.14 13:49

EOTHEN_VI_2014_SDUmschlag_RZ.indd 2EOTHEN_VI_2014_SDUmschlag_RZ.indd 2 27.11.14 11:3827.11.14 11:38