Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili?, Lucan. 2,600-608.

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EIN AKROSTICHON IM ZWEITEN BUCH DE BELLO CIVILI? Lucan. 2,600–608 Ziel des vorliegenden Aufsatzes ist es, auf das, soweit ich sehe, bisher unentdeckte Akrostichon ipse nequit (2,600 ff.) in Lucans Bellum Civile hinzuweisen und hinsichtlich seiner Positionierung anhand von Überlegungen zu intertextuellen Bezügen die Frage zu stellen, welche erzähltechnische Funktion es vermutlich hat. 1 1. Der Kontext: Ein schwieriges Gleichnis Während Caesar, der den Rubikon überschritten hat, auf Rom zumarschiert, bereitet sich Lucans Pompeius auf den Krieg vor (2,526ff.). Dazu richtet er eine große Rede an seine Truppen, um deren Kampfgeist zu prüfen. Dies ist sein erster Auftritt als Figur: Er gibt sich siegesgewiss, sagt, dass er nichts unerreicht gelassen habe als die Königswürde und dass seine Hand noch stark genug für den Wurfspieß sei. Er beschließt die Ansprache mit der Auf- zählung seiner militärischen Erfolge. Dann heißt es: 2 verba ducis nullo partes clamore secuntur nec matura petunt promissae classica pugnae. sensit et ipse metum Magnus, placuitque referri signa nec in tantae discrimina mittere pugnae 1) Den Professoren Christiane Reitz (Rostock) und Christoph Schubert (Wuppertal) sowie nicht zuletzt den Gutachtern des RhM sei an dieser Stelle für ihre wertvollen Hinweise und Ratschläge aufs herzlichste gedankt. 2) Diese Begebenheit ist wahrscheinlich eine Erfindung Lucans, innerhalb des Epos steht Pompeius’ Rede an die Soldaten derjenigen Caesars (1,299–351) gegenüber; vgl. W. D. Lebek, Lucans Pharsalia, Dichtungsstruktur und Zeitbezug, Göttingen 1976, 190; J.Radicke, Lucans poetische Technik, Leiden 2004, 221. – Auch auf Caesars Rede reagieren die Truppen zunächst zögernd (1,352ff.), werden aber dann von Laelius (1,356 ff.) schließlich zum Kriegführen überredet (1,386 ff.). RhM 156 (2013) 161–171

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EIN AKROSTICHON IM ZWEITEN BUCH DE BELLO CIVILI

Lucan 2600ndash608

Ziel des vorliegenden Aufsatzes ist es auf das soweit ich sehebisher unentdeckte Akrostichon ipse nequit (2600 ff) in LucansBellum Civile hinzuweisen und hinsichtlich seiner Positionierunganhand von Uumlberlegungen zu intertextuellen Bezuumlgen die Frage zustellen welche erzaumlhltechnische Funktion es vermutlich hat1

1 Der Kontext Ein schwieriges Gleichnis

Waumlhrend Caesar der den Rubikon uumlberschritten hat auf Romzumarschiert bereitet sich Lucans Pompeius auf den Krieg vor(2526 ff) Dazu richtet er eine groszlige Rede an seine Truppen umderen Kampfgeist zu pruumlfen Dies ist sein erster Auftritt als FigurEr gibt sich siegesgewiss sagt dass er nichts unerreicht gelassenhabe als die Koumlnigswuumlrde und dass seine Hand noch stark genugfuumlr den Wurfspieszlig sei Er beschlieszligt die Ansprache mit der Auf-zaumlhlung seiner militaumlrischen Erfolge Dann heiszligt es2

verba ducis nullo partes clamore secunturnec matura petunt promissae classica pugnaesensit et ipse metum Magnus placuitque referrisigna nec in tantae discrimina mittere pugnae

1) Den Professoren Christiane Reitz (Rostock) und Christoph Schubert(Wuppertal) sowie nicht zuletzt den Gutachtern des RhM sei an dieser Stelle fuumlr ihrewertvollen Hinweise und Ratschlaumlge aufs herzlichste gedankt

2) Diese Begebenheit ist wahrscheinlich eine Erfindung Lucans innerhalbdes Epos steht Pompeiusrsquo Rede an die Soldaten derjenigen Caesars (1299ndash351) gegenuumlber vgl W D Lebek Lucans Pharsalia Dichtungsstruktur und ZeitbezugGoumlttingen 1976 190 J Radicke Lucans poetische Technik Leiden 2004 221 ndashAuch auf Caesars Rede reagieren die Truppen zunaumlchst zoumlgernd (1352 ff) werdenaber dann von Laelius (1356 ff) schlieszliglich zum Kriegfuumlhren uumlberredet (1386 ff)

RhM 156 (2013) 161ndash171

Iam vic tum fama non visi Caesaris agmenPulsus ut armentis primo certamine taurusSilvarum secreta petit vacuosque per agrosExu l in adversis exp lo ra t co rnua t runc i sNec redit in pastus nisi cum cerv i c e r e cep taExcussi placuere tori mox reddita v i c to rQuoslibet in saltus comitantibus agmina taurisInvito pastore trahit sic viribus inparTradidit Hesperiam profugusque per Apula ruraBrundisii tutas concessit Magnus in arces

(Lucan 2596ndash609)

Die Naumlhe dieser Verse zu Vergils Beschreibung der kaumlmpfendenStiere in den Georgica (3224ndash241) liegt auf der Hand und wirdschon in den Scholien gesehen3 In seiner narrativen Eigenschaft alsGleichnis steht der Passus freilich den Stiervergleichen der Aeneis(12101ndash106715ndash724) naumlher weswegen es auch sinnvoller schei-nen mag in erster Linie seine Beziehung zu ihnen zu untersuchenDiese Gleichnisse gehen zwar bekanntermaszligen auf die bewussteStelle in den Georgica zuruumlck gleichwohl ergibt sich damit fuumlr Lucans Verse eine andere Perspektive

Zunaumlchst aber zu den Georgica

nec mos bellantis una stabulare sed alterv i c tu s abit longeque ignotis e x su la t orismulta gemens ignominiam plagasque superbivictoris tum quos amisit inultus amoreset stabula aspectans regnis excessit avitisergo omni cura viris exercet et interdura iacet pernox instrato saxa cubilifrondibus hirsutis et carice pastus acutaet temptat sese atque irasci in cornua d i s c i tarboris obnixus t r unc o ventosque lacessitictibus et sparsa ad pugnam proludit harenapost ubi collectum robur v i r e sque r e f e c tae signa movet praecepsque oblitum fertur in hostem

162 Markus Kers t en

3) Vgl Adnotationes super Lucanum ed J Endt Leipzig 1909 zu 2603 Inneuerer Zeit vgl etwa R A B Mynors (ed) Virgil Georgics Oxford 1994 217F H M van Campen (ed) M Annaei Lucani De Bello Civili liber 2 Utrecht 1991372 ff E Fantham (ed) Lucan De Bello Civili book II Cambridge 1992 196 ff

fluctus uti medio coepit cum albescere pontolongius ex altoque sinum trahit utque volutusad terras immane sonat per saxa neque ipsomonte minor procumbit at ima exaestuat undaverticibus nigramque alte subiectat harenam

(georg 3224ndash241)

Hier wird ein allgemeiner Fall beschrieben nec mos (3224) Istein Stier im Brunftkampf geschlagen muss er sich als Verlierer zu-ruumlckziehen Was das fuumlr ihn bedeutet wird umfassend und gerade-zu einfuumlhlsam deutlich gemacht exsulare und discere (3224ndash234)Nachdem er jedoch geuumlbt hat und seine Kraumlfte gesammelt sindgreift er den alten Feind wieder an ndash Wie dieser Kampf ausgehenwird ist wohl einigermaszligen unsicher4 Moumlglicherweise wurde derfruumlhere Sieger in der Zwischenzeit von der Liebe entkraumlftet viel-leicht jedoch ist er immer noch staumlrker

In der Tat ist hier aber der Ausgang des Kampfes gar nicht vonBedeutung sondern vielmehr das Prinzip dass erstens auf einenKampf ein anderer folgt weil das Los des Besiegten schmachvollund schwer zu tragen ist und dass zweitens in einem solchenKampf immer einer unterliegen wird und wohl daher auch Mitleidverdient5 ndash Vergils Bericht von den kaumlmpfenden Stieren ist naumlm-lich dem sbquoLehrsatzlsquo untergeordnet sed non ulla magis viris indus-tria firmat quam venerem et caeci stimulos avertere amoris atque ideo tauros procul atque in sola relegant (3209 ff) Es han-delt sich bei dem Kampf also um ein Beispiel dafuumlr was idealer-weise gerade n ich t geschehen soll

Bei dem ersten Stiergleichnis der Aeneis wird eher auf eine Nie-derlage denn einen Sieg gedeutet Das ergibt sich erstens daraus dasses auf Turnus bezogen ist dessen Ende der Leser ja kennt wenn-

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4) Zwar wird der Angriff mit einem sehr eindrucksvollen ndash und mit Blick aufdie homerische Vorlage Il 4422 ff vielleicht auch hoffnungsvollen ndash Flutgleichnis(3237ndash241) illustriert aber uumlber den Ausgang ist nichts bekannt und jenes Partizipoblitus ist in seiner Knappheit recht unbestimmt wie schon aus einer zusaumltzlichenBemerkung im Serviuskommentar deutlich wird (in Verg georg 3236) oblitvmiam securum ex ante acta victoria ndash et aliter oblitvm quasi exercitationis et viriumquem securitas et amor corruperit adeo ut nec crederet hostem esse rediturum

5) Vgl etwa F Klingner Virgil Zuumlrich 1967 288 zu bdquoPathosldquo und der auf-faumllligen Anwendung des Verbs exsulare auf ein Tier vgl R F Thomas (ed) VirgilGeorgics IIIndashIV Cambridge 1988 83

gleich es noch nicht eindeutig feststeht und zweitens daraus dassder Stier mit dem Turnus verglichen wird eben hauptsaumlchlich jenemsbquoVerliererlsquo aumlhnelt der im dritten Georgica-Buch beschrieben wurde

his agitur furiis totoque ardentis ab orescintillae absistunt oculis micat acribus ignismugitus veluti cum prima in proelia taurusterrificos ciet aut i ra s c i in co rnua t empta tarbor i s obn ixus t runco ventosque lacessitictibus aut sparsa ad pugnam proludit harena

(Aen 12101ndash106)

Dass sich dieser Stier auf seinen ersten Kampf vorbereitet ist ohneRelevanz Er hat schon verloren ndash so suggeriert es das bekannteMotiv irasci in cornua temptat arboris obnixus trunco

Vor dem Hintergrund des ersten deutet dann auch das zweiteStiergleichnis (12716ndash724) eher auf den Untergang des einen alsauf den Sieg des anderen

cum duo conversis inimica in proelia taurifrontibus incurrunt pavidi cessere magistristat pecus omne metu mutum mussantque iuvencaequis nemori imperitet quem tota armenta sequanturilli inter sese multa vi vulnera miscentcornuaque obn ix i infigunt et sanguine largocolla armosque lavant gemitu nemus omne remugit

(Aen 12716ndash722)

Wenn die Zuschauenden sich fragen quis nemori imperitet quemtota armenta sequantur (12719) so heiszligt das natuumlrlich auch Werwird n ic h t herrschen wem wird man n ic h t folgen wer wird un-tergehen Und genau in dieser Weise ist es nach dem Gleichnis uumlberAeneas und Turnus gesagt (12725 ff) Iuppiter ipse duas aequatoexamine lances sustinet et fata imponit diversa duorum quemdamnet labor et quo vergat pondere letum

Lucans Gleichnis das offenbar einige Aumlhnlichkeiten mit denzitierten Stellen aufweist ist auffaumlllig anders geartet6 Zwar ist auch

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6) Hinsichtlich der Stellung des Gleichnisses im Werk lieszlige sich sagen dasses in gewisser Weise dem Loumlwengleichnis gegenuumlbersteht mit welchem Caesar

hier auf einen finalen Kampf gedeutet und der Leser weiszlig dassPompeius am Ende ndash wie Turnus ndash unterliegen wird7 aber imGleichnis wird eine Niederlage uumlberhaupt nicht in Betracht gezo-gen Klagen und Entbehrungen des exul werden nicht erwaumlhntStattdessen malt Lucan die Ruumlckkehr des Stieres heroisch aus undgibt keinen Grund an ihr zu zweifeln Die Bemerkung mox reddi-ta victor quoslibet in saltus comitantibus agmina tauris invitopastore trahit sic viribus impar (2605 ff) ist ausnehmend sug-gestiv Pompeius der von seinem bevorstehenden Untergangnichts weiszlig hofft auf eine zweite Chance und einen groszligen Sieg

Dass aber der explizite Vergleich sic viribus impar conces-sit Magnus noch im selben Vers wie der Houmlhepunkt der Triumph-darstellung einsetzt lenkt den Blick auf den objektiven Kontrastzwischen Pompeius und dem Stier8 Es ist daher bemerkt wordendass der Vergleich vor allem in diesem zweiten auf die Ruumlckkehrbezogenen Teil an sich wenig passend sei da ein Tertium compara-tionis nicht gut entschluumlsselt werden koumlnne9 denn zu einer glor-reichen Ruumlckkehr kommt es bekanntermaszligen nicht Die Angst derTruppen macht es auch nicht wahrscheinlich ndash Wie der profugusPompeius der die Furcht seiner Leute spuumlrt den Ruumlckzug organi-siert beschreibt Lucan nicht Was er hingegen beschreibt ist dassPompeius nun auf sbquowilde Voumllkerlsquo als Verbuumlndete angewiesen ist(2632 ff) und dass Caesar ihn nach Brundisium verfolgt (2650 ff)weswegen ihm am Ende nur die Flucht bleibt (2687 ff) die schlieszlig-

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(1205 ff) bei seinem ersten Auftritt eingefuumlhrt wird vgl Lebek (wie Anm 2) 190Anm 36 Mit Blick auf die Vorstellung dass Stiere wie etwa in Hom Il 16487 ffBeute des Loumlwen sind wird insofern das Machtverhaumlltnis zwischen Pompeius undCaesar unterstrichen Die besagte Passage 1205 ff hat wohl Vergils Loumlwengleichnisfuumlr Turnus (Aen 124 ff) zum Vorbild (vgl P Roche Lucan De Bello CiviliBook 1 ed with a commentary Oxford 2009 216 ad loc) aus dem Lucan hier wie-derum die Wendung excutiens toros (127) fuumlr seinen Stier uumlbernommen hat (Lucan2605 vgl C E Haskins Lucanus Pharsalia with English Notes London 1887 69ad loc)

7) Abgesehen von den historischen Tatsachen denke man etwa an die Rededer Matrone (Lucan 1685 f) hunc ego fluminea deformis truncus harena qui iacet agnosco

8) Auch am Gebrauch des Wortes placere kann man bei aller Parallelitaumlt dieVerschiedenheit der Bewegungsrichtungen bemerken Waumlhrend es Pompeius gefaumllltzu fliehen (2598) wird der Stier wenn ihm seine Muskeln gefallen (2605) angrei-fen

9) Vgl van Campen (wie Anm 3) 373 Fantham (wie Anm 3) 196 ff hier vorallem die Hinweise auf die reddita agmina (2605 f) und den pastor (2607)

lich mit der Apostrophe lassata triumphis descivit Fortuna tuis(2727 f) kommentiert wird

Tatsaumlchlich ist das Gleichnis aber keineswegs irrefuumlhrend Eslaumlsst sich allerdings aus zwei verschiedenen Perspektiven lesen diees beide zu beachten und voneinander zu trennen gilt Da ist zu-naumlchst das ganz subjektive Empfinden des Pompeius der Caesarbesiegen will und sich dazu befaumlhigt glaubt10 Da seine Truppenihm nicht folgen ist er zwar fuumlrs Erste gleichsam geschlagen aberer gibt nicht sofort auf Diese heroische Haltung illustriert dasGleichnis uumlberzeugend und insofern existiert ein Tertium compa-rationis11

Fuumlr den Leser besteht jedoch gleichzeitig die Moumlglichkeit diePassage im groumlszligeren Zusammenhang zu sehen Dabei ist wohl ne-ben den oben behandelten Stiervergleichen der Aeneis auch das ndashfreilich an sich ganz anders akzentuierte ndash Gleichnis fuumlr Agamem-non im Β der Ilias12 bedeutend da es sich wegen einiger Parallelenauf bemerkenswerte Weise mit Lucans Bild vergleichen laumlsst Nachder περα unmittelbar vor dem Schiffskatalog wird Agamemnonals sehr heroischer Stier beschrieben

ΰτε βο13ς γέληφι μέγ ξοχος πλετο πάντωντα13ρος γάρ τε βόεσσι μεταπρέπει γρομένσιτοον ρ $τρεΐδην θ(κε Ζε+ς ματι κείν0κπρεπέ 0ν πολλοσι κα1 ξοχον 2ρώεσσιν

(Il 2480ndash483)

Zwar sind sich Agamemnon und Pompeius darin aumlhnlich dass siebeide eine Probe der Soldaten vornehmen und danach mit einemStier verglichen werden aber im Wesentlichen sind sie und die Tiere mit denen sie in Beziehung gebracht sind recht verschiedenAbgesehen davon dass Agamemnon eben als unumschraumlnkter An-

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10) Vgl auch Pompeiusrsquo Rede (2555 ff) te [sc Caesar] quoque si superi titulis accedere nostris iusserunt valet en torquendo dextera pilo

11) Vgl Lebek (wie Anm 2) 190 mit Anm 36 Das Gleichnis kann auch alsAufwertung des Pompeius gegenuumlber Caesar und als Ausdruck seiner Haltung (wieauch der seiner Gefolgsleute aus deren Reihen eben kein Laelius hervortritt) ver-standen werden

12) Vgl etwa M Lausberg Lucan und Homer ANRW II 323 (1985) 1565 ffvan Campen (wie Anm 3) 372

fuumlhrer der Herde dargestellt wird waumlhrend es von Pompeius heiszligtpulsus ut armentis (2601) will Agamemnon in der Absicht seineSoldaten zum Kampf zu spornen die Maumlnner zunaumlchst zur Auf -gabe uumlberreden damit die eingeweihten Fuumlrsten sie dann zuruumlck-halten und wohl nur desto mehr anstacheln koumlnnen (λλ γετ α5κέν πως θωρήξομεν υ8ας $χαι9νmiddot 272ndash75) Pompeius hat zwarebenfalls die Absicht seine Soldaten zum Kaumlmpfen zu ermutigen(iamque secuturo iussurus classica Phoebo 2528) haumllt dafuumlr abergeradeheraus ndash sozusagen nur typisch selbstbewusst ndash eine Rede

Der Plan des Agamemnon geht auf der des Pompeius nichtTatsaumlchlich folgt nach der temptatio des Pompeius auch kein Trup-penkatalog Da seine Rede die Soldaten nicht uumlberzeugen konntehat er mithin im Gegensatz zu Agamemnon auch keinen Anlassheroisch hervorzuleuchten Mag der historische Pompeius sich alsAgamemnon gesehen und inszeniert haben13 bei Lucan verbindetsie wenig

Aber auch mit Turnus hat er tatsaumlchlich weniger gemein als zu Anfang vielleicht noch gedacht Der todgeweihte Turnus ruumlstetsich zum Kampf und wird dann mit einem Stier verglichen Dertodgeweihte Pompeius aber bricht die Kriegsvorbereitungen abund flieht Pompeius wird schlieszliglich auch nicht dasselbe Ende finden wie Turnus denn dieser stirbt nach einem Zweikampf waumlh-rend jener heimtuumlckisch ermordet wird ndash Auszligerdem hat er in allden Jahren nichts fuumlr die Vorbereitung getan

[ ] alter vergentibus annisin senium longoque togae tranquillior usudedidicit iam pace ducem famaeque petitormulta dare in volgus totus popularibus aurisinpelli plausuque sui gaudere theatrinec reparare novas vires multumque prioricredere fortunae

(Lucan 1129ndash135)

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13) Vgl Lausberg (wie Anm 12) 1577 und E Champlin Agamemnon atRome Roman Dynasts and Greek Heroes in D Braund C Gill (edd) MythsHistory and Culture in Republican Rome Exeter 2003 295ndash315 zu Pompeius 295ndash305 Die Selbstdarstellung als bdquoKoumlnig der Koumlnigeldquo ist besonders greifbar im Thea-terbau des Jahres 55 der von Lucan eigens erwaumlhnt wird (1133) vgl auch Roche(wie Anm 6) 183 ad loc

Dies sind die ersten Worte die Lucan uumlber seinen Pompeius sagtWaumlhrend Pompeius selbst natuumlrlich weder diese Einsicht noch dasVorwissen des Lesers hat kann dieser die Lage des bedraumlngtenHeerfuumlhrers im Buch 2 auf der Grundlage jener Voraussetzungenbeurteilen Aus dieser sbquoobjektivenlsquo Perspektive ist es dann freilichsehr zweifelhaft dass Pompeius tatsaumlchlich mit einem Stier zu ver-gleichen sei der so angelegentlich auf seine Revanche hinarbeitetFuumlr den Stier in den Georgica ist sie immerhin wahrscheinlich (unddies desto mehr je mehr der oblitus hostis [3236] sich so verhaltenhat wie es Lucan von Pompeius berichtet) ndash die Siegesgewissheitim Gleichnis fuumlr Pompeius ist jedoch unerwartet vielleicht garunberecht ig t und dissoniert vor dem Hintergrund der beidenGleichnisse aus der Aeneis erst recht mit dem schmachvollen Ruumlck-zug des alten Feldherrn Dem Leser mag Pompeius dann also ge-rade wegen dieses Gleichnisses nun noch desto schwaumlcher und weniger heroisch erscheinen waumlhrend doch eben erst vermittelstder Darstellung seiner eigenen Perspektive seine Ehrwuumlrdigkeit14

wie seine Entschlossenheit in dem Gleichnis betont worden waren

2 Das Akrostichon als Vorausdeutung des Kommenden

Mit Blick auf die Vielschichtigkeit des Gleichnisses bekom-men die Anfangsbuchstaben der Verse 2604ndash608 eine sehr reiz-volle Wirkung NEQuIT15 ndash Dass es sich dabei um ein bewusstkomponiertes Akrostichon handelt16 ist angesichts der Laumlnge der

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14) Vgl hierzu auch Lebek (wie Anm 2) 190 zur vox veneranda (2530) desPompeius

15) Das Verb nequire benutzt Lucan nur noch zweimal sonst weit spaumlter imWerk in 6823 und 8268 beide Male im Sinne von schicksalhafter NotwendigkeitBei der zweiten Stelle handelt es sich um Pompeiusrsquo eigene Worte er spricht sie nachder Schlacht von Pharsalus in einer Senatssitzung nec sic mea fata premuntur utnequeam relevare caput (8267ndash268) ndash kurze Zeit spaumlter stirbt er verhuumlllten Haup-tes

16) Vgl I Hilberg Ist die Ilias Latina von einem Italicus verfasst oder einemItalicus gewidmet WS 21 (1899) 264ndash305 In der Liste der lateinischen sbquoZufalls-akrostichalsquo ist es nicht enthalten hier werden aber nur Beispiele beruumlcksichtigt dieausschlieszliglich aus den jeweils zeilenersten Buchstaben bestehen C Schubert EinZeugnis aus Neros Dichterkreis Zu den Kryptogrammen der Ilias Latina WJA 23(1999) 137ndash141 arbeitet die Kryptogramme der Ilias Latina als Phaumlnomen der Lite-raturszene unter Nero heraus

Luumlckenlosigkeit der Textsicherheit17 und der inhaltlichen Ange-messenheit immerhin wahrscheinlich18 Wenn man zusaumltzlich nochdie Verse 2600ndash603 betrachtet deren erster allerdings nicht zumText des Gleichnisses gehoumlrt ergibt sich sogar die metrisch19 auf-faumlllige und recht einpraumlgsame Verbindung ipse nequit ndash unmissver-staumlndlicher kann ein Unvermoumlgen wohl nicht ausgedruumlckt werdenWenn die Diskrepanz zwischen Figuren- und Leserwissen bereitsdeutlich geworden ist bieten sich diese Worte nachgerade dazu anals ein versteckter Kommentar genommen zu werden

Sollte das ihre Funktion sein Die akrostichische Bemerkungscheint jedenfalls zu unterstreichen was sich in dem auffaumllligenmox victor zu dem sie im Gegensatz steht bereits andeutet undwas dem Leser im Vergleich mit den oben genannten Texten bereitsaufgefallen sein mag Das Gleichnis ist doppeldeutig und insofernwiderspruumlchlich Was jeder weiszlig was aber innerhalb der Chrono-logie des Bellum Civile noch ungewiss ist wird hier eindeutig ge-sagt Pompeius selbst kann es nicht er wird nicht zuruumlckkehren

Wenn es sich hierbei nicht um ein Zufallsakrostichon han-delt so erweist sich zum einen die differenzierte Betrachtung desGleichnisses als gerechtfertigt und zum anderen wird das Interes-se des Lesers auf die zu erwartende dichterische Ausgestaltung desbevorstehenden Untergangs gelenkt In diesem Fall eruumlbrigt sichauch die Suche nach einem Tertium comparationis das keinen Wi-derspruch zwischen der Situation des Verglichenen (Pompeius) und dem Vorwissen des Lesers entstehen laumlsst Die Ambiguitaumlt desGleichnisses ist beabsichtigt und wird durch das Akrostichon be-tont20 Wie es in der ersten Haumllfte der Passage (600ndash603) heiszligtgleicht Pompeius einem geschlagenen Stier und es ist anzunehmendass er eine triumphale und ndash auch in den vergilischen Stierbildern ndashnie dagewesene Ruumlckkehr fest e rwar te t 21 Allerdings muss man

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17) Vgl Hilberg (wie Anm 16) 267 zur Ilias Latina bdquoWaumlren also die acht-buchstabigen Akrosticha Italicus am Beginn und scripsit am Ende der Ilias Latinauumlber l i e f e r t dann waumlre es geradezu Wahnsinn dies einem Zufall zuzuschreibenldquo

18) Der in Rede stehende Befund passt gut zu den auf Erfahrungswerten basierenden bdquovorlaumlufigen Leitlinienldquo die S Koster Ille Ego Qui Dichter zwischenWort und Macht Erlangen 1988 103 fuumlr Kryptogramme anfuumlhrt

19) Vgl Koster (wie Anm 18) 103 Kriterium (6)20) Vgl Fantham (wie Anm 3) 197 f21) Vgl hierzu Fantham (wie Anm 3) 197 Dass Pompeius etwas Derartiges

erhoffe wird freilich nicht explizit gesagt allerdings hieszlig es uumlber ihn ja in 1134 fmultumque priori credere fortunae

wegen der Bemerkung ipse nequit nun vielleicht erst recht fragenob ihm nicht auch selbst diese Hoffnung als uumlberzogen erscheinensollte Insofern illustriert das Gleichnis va im zweiten Teil die falsche und gewissermaszligen tragische Selbsteinschaumltzung des Pom-peius die der Erzaumlhler bereits in 1129 ff als Charakteristikum derFigur dargestellt hatte Fuumlr den Leser ist der moumlgliche Perspektiv-wechsel und die Folge der sich daraus ergebenden Erkenntnisse sicher besonders reizvoll

Interessant ist schlieszliglich die Frage warum Pompeius mit einem derartig komplizierten Gleichnis gewuumlrdigt wird Eine Ant-wort ergibt sich moumlglicherweise aus dem oben zitierten Stierbilddes dritten Georgica-Buches zu dem Lucans Stelle wohl nicht vonungefaumlhr die groumlszligte textliche Naumlhe hat Da ist vor allem die Vor-stellung vom Stier als Verbanntem (victus abit longeque ignotis ex-sulat oris georg 3225) die Lucan offensichtlich uumlbernommen hatPompeius der geflohen ist wird im Verlauf des Werkes immer wie-der als exul bezeichnet22 Das Akrostichon stellt die Unmoumlglichkeitdes Gegenteils heraus indem es expliziert dass er selbst nicht zu-ruumlckkehren kann Damit wird das Augenmerk auf jene Georgica-Stelle gelenkt Der Stier dort ist kein epischer Held auch ist derKontext an sich unheroisch wenngleich eine militaumlrische Konnota-tion nicht zu uumlbersehen ist Ein wesentliches Element dieses Stier-bildes jedoch war die Wirkung der Niederlage das Ausgestoszligen-sein sowie das damit verbundene Leid Dies wurde wie gesagt alsein zu vermeidendes Geschehnis dargestellt In der Tat passt all diessehr gut auf Pompeius Mitleid wohl auch Wohlwollen gegenuumlbereinem Verlierer der nicht haumltte verlieren muumlssen oder duumlrfen23 ndash ein

170 Markus Kers t en

22) 2730 7379703 820983723) Die Passage kann damit gut in die breite Diskussion um die Vorankuumln-

digung der Ermordung des Feldherrn einbezogen werden Zu Lucans Versen1685 f hunc ego fluminea deformis truncus harena qui iacet agnosco und Ver-gils Bemerkung uumlber Priamos (Aen 2557 f iacet ingens litore truncus avulsum-que umeris caput et sine nomine corpus) vgl etwa Roche (wie Anm 6) 387 bdquothis connection underscores Pompeyrsquos death as emblematic of the destruction of thecommunity he represents in BC just as the details of Priamrsquos body form the climac -tic representation of the destruction of Troy at Verg Aen 2554ndash7ldquo va aber Ro-ches Verweis auf Senecas Agamemnon (901ndash3 habet peractum est pendet exiguamale caput amputatum parte et hinc trunco cruor exundat illinc ora cum fremi-tu iacent) mag in Hinsicht auf das vorliegende Gleichnis das ja u a Pompeiusrsquo Ver-haumlltnis zu Agamemnon behandelt von Interesse sein

Mitleid freilich das nicht zuletzt wegen der uumlbersteigerten Empha-se des mox victor deutlich im Kontext von Schwaumlche vielleicht garSchuld steht und insofern das Problematische an Pompeius keines-wegs verschweigt

Als epische Figur erhaumllt Lucans Pompeius also ein scheinbartraditionelles heroisches Gleichnis wobei aber das auf verschie -dene Praumltexte verweisende Motiv ermoumlglicht dessen Aussage (undsomit schlieszliglich Pompeiusrsquo Eignung als traditioneller epischerHeld) ernsthaft zu hinterfragen Fuumlr eine derartige Interpretationmag das Akrostichon ein bemerkenswerter Hinweis sein

Rostock Markus Kers t en

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Iam vic tum fama non visi Caesaris agmenPulsus ut armentis primo certamine taurusSilvarum secreta petit vacuosque per agrosExu l in adversis exp lo ra t co rnua t runc i sNec redit in pastus nisi cum cerv i c e r e cep taExcussi placuere tori mox reddita v i c to rQuoslibet in saltus comitantibus agmina taurisInvito pastore trahit sic viribus inparTradidit Hesperiam profugusque per Apula ruraBrundisii tutas concessit Magnus in arces

(Lucan 2596ndash609)

Die Naumlhe dieser Verse zu Vergils Beschreibung der kaumlmpfendenStiere in den Georgica (3224ndash241) liegt auf der Hand und wirdschon in den Scholien gesehen3 In seiner narrativen Eigenschaft alsGleichnis steht der Passus freilich den Stiervergleichen der Aeneis(12101ndash106715ndash724) naumlher weswegen es auch sinnvoller schei-nen mag in erster Linie seine Beziehung zu ihnen zu untersuchenDiese Gleichnisse gehen zwar bekanntermaszligen auf die bewussteStelle in den Georgica zuruumlck gleichwohl ergibt sich damit fuumlr Lucans Verse eine andere Perspektive

Zunaumlchst aber zu den Georgica

nec mos bellantis una stabulare sed alterv i c tu s abit longeque ignotis e x su la t orismulta gemens ignominiam plagasque superbivictoris tum quos amisit inultus amoreset stabula aspectans regnis excessit avitisergo omni cura viris exercet et interdura iacet pernox instrato saxa cubilifrondibus hirsutis et carice pastus acutaet temptat sese atque irasci in cornua d i s c i tarboris obnixus t r unc o ventosque lacessitictibus et sparsa ad pugnam proludit harenapost ubi collectum robur v i r e sque r e f e c tae signa movet praecepsque oblitum fertur in hostem

162 Markus Kers t en

3) Vgl Adnotationes super Lucanum ed J Endt Leipzig 1909 zu 2603 Inneuerer Zeit vgl etwa R A B Mynors (ed) Virgil Georgics Oxford 1994 217F H M van Campen (ed) M Annaei Lucani De Bello Civili liber 2 Utrecht 1991372 ff E Fantham (ed) Lucan De Bello Civili book II Cambridge 1992 196 ff

fluctus uti medio coepit cum albescere pontolongius ex altoque sinum trahit utque volutusad terras immane sonat per saxa neque ipsomonte minor procumbit at ima exaestuat undaverticibus nigramque alte subiectat harenam

(georg 3224ndash241)

Hier wird ein allgemeiner Fall beschrieben nec mos (3224) Istein Stier im Brunftkampf geschlagen muss er sich als Verlierer zu-ruumlckziehen Was das fuumlr ihn bedeutet wird umfassend und gerade-zu einfuumlhlsam deutlich gemacht exsulare und discere (3224ndash234)Nachdem er jedoch geuumlbt hat und seine Kraumlfte gesammelt sindgreift er den alten Feind wieder an ndash Wie dieser Kampf ausgehenwird ist wohl einigermaszligen unsicher4 Moumlglicherweise wurde derfruumlhere Sieger in der Zwischenzeit von der Liebe entkraumlftet viel-leicht jedoch ist er immer noch staumlrker

In der Tat ist hier aber der Ausgang des Kampfes gar nicht vonBedeutung sondern vielmehr das Prinzip dass erstens auf einenKampf ein anderer folgt weil das Los des Besiegten schmachvollund schwer zu tragen ist und dass zweitens in einem solchenKampf immer einer unterliegen wird und wohl daher auch Mitleidverdient5 ndash Vergils Bericht von den kaumlmpfenden Stieren ist naumlm-lich dem sbquoLehrsatzlsquo untergeordnet sed non ulla magis viris indus-tria firmat quam venerem et caeci stimulos avertere amoris atque ideo tauros procul atque in sola relegant (3209 ff) Es han-delt sich bei dem Kampf also um ein Beispiel dafuumlr was idealer-weise gerade n ich t geschehen soll

Bei dem ersten Stiergleichnis der Aeneis wird eher auf eine Nie-derlage denn einen Sieg gedeutet Das ergibt sich erstens daraus dasses auf Turnus bezogen ist dessen Ende der Leser ja kennt wenn-

163Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

4) Zwar wird der Angriff mit einem sehr eindrucksvollen ndash und mit Blick aufdie homerische Vorlage Il 4422 ff vielleicht auch hoffnungsvollen ndash Flutgleichnis(3237ndash241) illustriert aber uumlber den Ausgang ist nichts bekannt und jenes Partizipoblitus ist in seiner Knappheit recht unbestimmt wie schon aus einer zusaumltzlichenBemerkung im Serviuskommentar deutlich wird (in Verg georg 3236) oblitvmiam securum ex ante acta victoria ndash et aliter oblitvm quasi exercitationis et viriumquem securitas et amor corruperit adeo ut nec crederet hostem esse rediturum

5) Vgl etwa F Klingner Virgil Zuumlrich 1967 288 zu bdquoPathosldquo und der auf-faumllligen Anwendung des Verbs exsulare auf ein Tier vgl R F Thomas (ed) VirgilGeorgics IIIndashIV Cambridge 1988 83

gleich es noch nicht eindeutig feststeht und zweitens daraus dassder Stier mit dem Turnus verglichen wird eben hauptsaumlchlich jenemsbquoVerliererlsquo aumlhnelt der im dritten Georgica-Buch beschrieben wurde

his agitur furiis totoque ardentis ab orescintillae absistunt oculis micat acribus ignismugitus veluti cum prima in proelia taurusterrificos ciet aut i ra s c i in co rnua t empta tarbor i s obn ixus t runco ventosque lacessitictibus aut sparsa ad pugnam proludit harena

(Aen 12101ndash106)

Dass sich dieser Stier auf seinen ersten Kampf vorbereitet ist ohneRelevanz Er hat schon verloren ndash so suggeriert es das bekannteMotiv irasci in cornua temptat arboris obnixus trunco

Vor dem Hintergrund des ersten deutet dann auch das zweiteStiergleichnis (12716ndash724) eher auf den Untergang des einen alsauf den Sieg des anderen

cum duo conversis inimica in proelia taurifrontibus incurrunt pavidi cessere magistristat pecus omne metu mutum mussantque iuvencaequis nemori imperitet quem tota armenta sequanturilli inter sese multa vi vulnera miscentcornuaque obn ix i infigunt et sanguine largocolla armosque lavant gemitu nemus omne remugit

(Aen 12716ndash722)

Wenn die Zuschauenden sich fragen quis nemori imperitet quemtota armenta sequantur (12719) so heiszligt das natuumlrlich auch Werwird n ic h t herrschen wem wird man n ic h t folgen wer wird un-tergehen Und genau in dieser Weise ist es nach dem Gleichnis uumlberAeneas und Turnus gesagt (12725 ff) Iuppiter ipse duas aequatoexamine lances sustinet et fata imponit diversa duorum quemdamnet labor et quo vergat pondere letum

Lucans Gleichnis das offenbar einige Aumlhnlichkeiten mit denzitierten Stellen aufweist ist auffaumlllig anders geartet6 Zwar ist auch

164 Markus Kers t en

6) Hinsichtlich der Stellung des Gleichnisses im Werk lieszlige sich sagen dasses in gewisser Weise dem Loumlwengleichnis gegenuumlbersteht mit welchem Caesar

hier auf einen finalen Kampf gedeutet und der Leser weiszlig dassPompeius am Ende ndash wie Turnus ndash unterliegen wird7 aber imGleichnis wird eine Niederlage uumlberhaupt nicht in Betracht gezo-gen Klagen und Entbehrungen des exul werden nicht erwaumlhntStattdessen malt Lucan die Ruumlckkehr des Stieres heroisch aus undgibt keinen Grund an ihr zu zweifeln Die Bemerkung mox reddi-ta victor quoslibet in saltus comitantibus agmina tauris invitopastore trahit sic viribus impar (2605 ff) ist ausnehmend sug-gestiv Pompeius der von seinem bevorstehenden Untergangnichts weiszlig hofft auf eine zweite Chance und einen groszligen Sieg

Dass aber der explizite Vergleich sic viribus impar conces-sit Magnus noch im selben Vers wie der Houmlhepunkt der Triumph-darstellung einsetzt lenkt den Blick auf den objektiven Kontrastzwischen Pompeius und dem Stier8 Es ist daher bemerkt wordendass der Vergleich vor allem in diesem zweiten auf die Ruumlckkehrbezogenen Teil an sich wenig passend sei da ein Tertium compara-tionis nicht gut entschluumlsselt werden koumlnne9 denn zu einer glor-reichen Ruumlckkehr kommt es bekanntermaszligen nicht Die Angst derTruppen macht es auch nicht wahrscheinlich ndash Wie der profugusPompeius der die Furcht seiner Leute spuumlrt den Ruumlckzug organi-siert beschreibt Lucan nicht Was er hingegen beschreibt ist dassPompeius nun auf sbquowilde Voumllkerlsquo als Verbuumlndete angewiesen ist(2632 ff) und dass Caesar ihn nach Brundisium verfolgt (2650 ff)weswegen ihm am Ende nur die Flucht bleibt (2687 ff) die schlieszlig-

165Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

(1205 ff) bei seinem ersten Auftritt eingefuumlhrt wird vgl Lebek (wie Anm 2) 190Anm 36 Mit Blick auf die Vorstellung dass Stiere wie etwa in Hom Il 16487 ffBeute des Loumlwen sind wird insofern das Machtverhaumlltnis zwischen Pompeius undCaesar unterstrichen Die besagte Passage 1205 ff hat wohl Vergils Loumlwengleichnisfuumlr Turnus (Aen 124 ff) zum Vorbild (vgl P Roche Lucan De Bello CiviliBook 1 ed with a commentary Oxford 2009 216 ad loc) aus dem Lucan hier wie-derum die Wendung excutiens toros (127) fuumlr seinen Stier uumlbernommen hat (Lucan2605 vgl C E Haskins Lucanus Pharsalia with English Notes London 1887 69ad loc)

7) Abgesehen von den historischen Tatsachen denke man etwa an die Rededer Matrone (Lucan 1685 f) hunc ego fluminea deformis truncus harena qui iacet agnosco

8) Auch am Gebrauch des Wortes placere kann man bei aller Parallelitaumlt dieVerschiedenheit der Bewegungsrichtungen bemerken Waumlhrend es Pompeius gefaumllltzu fliehen (2598) wird der Stier wenn ihm seine Muskeln gefallen (2605) angrei-fen

9) Vgl van Campen (wie Anm 3) 373 Fantham (wie Anm 3) 196 ff hier vorallem die Hinweise auf die reddita agmina (2605 f) und den pastor (2607)

lich mit der Apostrophe lassata triumphis descivit Fortuna tuis(2727 f) kommentiert wird

Tatsaumlchlich ist das Gleichnis aber keineswegs irrefuumlhrend Eslaumlsst sich allerdings aus zwei verschiedenen Perspektiven lesen diees beide zu beachten und voneinander zu trennen gilt Da ist zu-naumlchst das ganz subjektive Empfinden des Pompeius der Caesarbesiegen will und sich dazu befaumlhigt glaubt10 Da seine Truppenihm nicht folgen ist er zwar fuumlrs Erste gleichsam geschlagen aberer gibt nicht sofort auf Diese heroische Haltung illustriert dasGleichnis uumlberzeugend und insofern existiert ein Tertium compa-rationis11

Fuumlr den Leser besteht jedoch gleichzeitig die Moumlglichkeit diePassage im groumlszligeren Zusammenhang zu sehen Dabei ist wohl ne-ben den oben behandelten Stiervergleichen der Aeneis auch das ndashfreilich an sich ganz anders akzentuierte ndash Gleichnis fuumlr Agamem-non im Β der Ilias12 bedeutend da es sich wegen einiger Parallelenauf bemerkenswerte Weise mit Lucans Bild vergleichen laumlsst Nachder περα unmittelbar vor dem Schiffskatalog wird Agamemnonals sehr heroischer Stier beschrieben

ΰτε βο13ς γέληφι μέγ ξοχος πλετο πάντωντα13ρος γάρ τε βόεσσι μεταπρέπει γρομένσιτοον ρ $τρεΐδην θ(κε Ζε+ς ματι κείν0κπρεπέ 0ν πολλοσι κα1 ξοχον 2ρώεσσιν

(Il 2480ndash483)

Zwar sind sich Agamemnon und Pompeius darin aumlhnlich dass siebeide eine Probe der Soldaten vornehmen und danach mit einemStier verglichen werden aber im Wesentlichen sind sie und die Tiere mit denen sie in Beziehung gebracht sind recht verschiedenAbgesehen davon dass Agamemnon eben als unumschraumlnkter An-

166 Markus Kers t en

10) Vgl auch Pompeiusrsquo Rede (2555 ff) te [sc Caesar] quoque si superi titulis accedere nostris iusserunt valet en torquendo dextera pilo

11) Vgl Lebek (wie Anm 2) 190 mit Anm 36 Das Gleichnis kann auch alsAufwertung des Pompeius gegenuumlber Caesar und als Ausdruck seiner Haltung (wieauch der seiner Gefolgsleute aus deren Reihen eben kein Laelius hervortritt) ver-standen werden

12) Vgl etwa M Lausberg Lucan und Homer ANRW II 323 (1985) 1565 ffvan Campen (wie Anm 3) 372

fuumlhrer der Herde dargestellt wird waumlhrend es von Pompeius heiszligtpulsus ut armentis (2601) will Agamemnon in der Absicht seineSoldaten zum Kampf zu spornen die Maumlnner zunaumlchst zur Auf -gabe uumlberreden damit die eingeweihten Fuumlrsten sie dann zuruumlck-halten und wohl nur desto mehr anstacheln koumlnnen (λλ γετ α5κέν πως θωρήξομεν υ8ας $χαι9νmiddot 272ndash75) Pompeius hat zwarebenfalls die Absicht seine Soldaten zum Kaumlmpfen zu ermutigen(iamque secuturo iussurus classica Phoebo 2528) haumllt dafuumlr abergeradeheraus ndash sozusagen nur typisch selbstbewusst ndash eine Rede

Der Plan des Agamemnon geht auf der des Pompeius nichtTatsaumlchlich folgt nach der temptatio des Pompeius auch kein Trup-penkatalog Da seine Rede die Soldaten nicht uumlberzeugen konntehat er mithin im Gegensatz zu Agamemnon auch keinen Anlassheroisch hervorzuleuchten Mag der historische Pompeius sich alsAgamemnon gesehen und inszeniert haben13 bei Lucan verbindetsie wenig

Aber auch mit Turnus hat er tatsaumlchlich weniger gemein als zu Anfang vielleicht noch gedacht Der todgeweihte Turnus ruumlstetsich zum Kampf und wird dann mit einem Stier verglichen Dertodgeweihte Pompeius aber bricht die Kriegsvorbereitungen abund flieht Pompeius wird schlieszliglich auch nicht dasselbe Ende finden wie Turnus denn dieser stirbt nach einem Zweikampf waumlh-rend jener heimtuumlckisch ermordet wird ndash Auszligerdem hat er in allden Jahren nichts fuumlr die Vorbereitung getan

[ ] alter vergentibus annisin senium longoque togae tranquillior usudedidicit iam pace ducem famaeque petitormulta dare in volgus totus popularibus aurisinpelli plausuque sui gaudere theatrinec reparare novas vires multumque prioricredere fortunae

(Lucan 1129ndash135)

167Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

13) Vgl Lausberg (wie Anm 12) 1577 und E Champlin Agamemnon atRome Roman Dynasts and Greek Heroes in D Braund C Gill (edd) MythsHistory and Culture in Republican Rome Exeter 2003 295ndash315 zu Pompeius 295ndash305 Die Selbstdarstellung als bdquoKoumlnig der Koumlnigeldquo ist besonders greifbar im Thea-terbau des Jahres 55 der von Lucan eigens erwaumlhnt wird (1133) vgl auch Roche(wie Anm 6) 183 ad loc

Dies sind die ersten Worte die Lucan uumlber seinen Pompeius sagtWaumlhrend Pompeius selbst natuumlrlich weder diese Einsicht noch dasVorwissen des Lesers hat kann dieser die Lage des bedraumlngtenHeerfuumlhrers im Buch 2 auf der Grundlage jener Voraussetzungenbeurteilen Aus dieser sbquoobjektivenlsquo Perspektive ist es dann freilichsehr zweifelhaft dass Pompeius tatsaumlchlich mit einem Stier zu ver-gleichen sei der so angelegentlich auf seine Revanche hinarbeitetFuumlr den Stier in den Georgica ist sie immerhin wahrscheinlich (unddies desto mehr je mehr der oblitus hostis [3236] sich so verhaltenhat wie es Lucan von Pompeius berichtet) ndash die Siegesgewissheitim Gleichnis fuumlr Pompeius ist jedoch unerwartet vielleicht garunberecht ig t und dissoniert vor dem Hintergrund der beidenGleichnisse aus der Aeneis erst recht mit dem schmachvollen Ruumlck-zug des alten Feldherrn Dem Leser mag Pompeius dann also ge-rade wegen dieses Gleichnisses nun noch desto schwaumlcher und weniger heroisch erscheinen waumlhrend doch eben erst vermittelstder Darstellung seiner eigenen Perspektive seine Ehrwuumlrdigkeit14

wie seine Entschlossenheit in dem Gleichnis betont worden waren

2 Das Akrostichon als Vorausdeutung des Kommenden

Mit Blick auf die Vielschichtigkeit des Gleichnisses bekom-men die Anfangsbuchstaben der Verse 2604ndash608 eine sehr reiz-volle Wirkung NEQuIT15 ndash Dass es sich dabei um ein bewusstkomponiertes Akrostichon handelt16 ist angesichts der Laumlnge der

168 Markus Kers t en

14) Vgl hierzu auch Lebek (wie Anm 2) 190 zur vox veneranda (2530) desPompeius

15) Das Verb nequire benutzt Lucan nur noch zweimal sonst weit spaumlter imWerk in 6823 und 8268 beide Male im Sinne von schicksalhafter NotwendigkeitBei der zweiten Stelle handelt es sich um Pompeiusrsquo eigene Worte er spricht sie nachder Schlacht von Pharsalus in einer Senatssitzung nec sic mea fata premuntur utnequeam relevare caput (8267ndash268) ndash kurze Zeit spaumlter stirbt er verhuumlllten Haup-tes

16) Vgl I Hilberg Ist die Ilias Latina von einem Italicus verfasst oder einemItalicus gewidmet WS 21 (1899) 264ndash305 In der Liste der lateinischen sbquoZufalls-akrostichalsquo ist es nicht enthalten hier werden aber nur Beispiele beruumlcksichtigt dieausschlieszliglich aus den jeweils zeilenersten Buchstaben bestehen C Schubert EinZeugnis aus Neros Dichterkreis Zu den Kryptogrammen der Ilias Latina WJA 23(1999) 137ndash141 arbeitet die Kryptogramme der Ilias Latina als Phaumlnomen der Lite-raturszene unter Nero heraus

Luumlckenlosigkeit der Textsicherheit17 und der inhaltlichen Ange-messenheit immerhin wahrscheinlich18 Wenn man zusaumltzlich nochdie Verse 2600ndash603 betrachtet deren erster allerdings nicht zumText des Gleichnisses gehoumlrt ergibt sich sogar die metrisch19 auf-faumlllige und recht einpraumlgsame Verbindung ipse nequit ndash unmissver-staumlndlicher kann ein Unvermoumlgen wohl nicht ausgedruumlckt werdenWenn die Diskrepanz zwischen Figuren- und Leserwissen bereitsdeutlich geworden ist bieten sich diese Worte nachgerade dazu anals ein versteckter Kommentar genommen zu werden

Sollte das ihre Funktion sein Die akrostichische Bemerkungscheint jedenfalls zu unterstreichen was sich in dem auffaumllligenmox victor zu dem sie im Gegensatz steht bereits andeutet undwas dem Leser im Vergleich mit den oben genannten Texten bereitsaufgefallen sein mag Das Gleichnis ist doppeldeutig und insofernwiderspruumlchlich Was jeder weiszlig was aber innerhalb der Chrono-logie des Bellum Civile noch ungewiss ist wird hier eindeutig ge-sagt Pompeius selbst kann es nicht er wird nicht zuruumlckkehren

Wenn es sich hierbei nicht um ein Zufallsakrostichon han-delt so erweist sich zum einen die differenzierte Betrachtung desGleichnisses als gerechtfertigt und zum anderen wird das Interes-se des Lesers auf die zu erwartende dichterische Ausgestaltung desbevorstehenden Untergangs gelenkt In diesem Fall eruumlbrigt sichauch die Suche nach einem Tertium comparationis das keinen Wi-derspruch zwischen der Situation des Verglichenen (Pompeius) und dem Vorwissen des Lesers entstehen laumlsst Die Ambiguitaumlt desGleichnisses ist beabsichtigt und wird durch das Akrostichon be-tont20 Wie es in der ersten Haumllfte der Passage (600ndash603) heiszligtgleicht Pompeius einem geschlagenen Stier und es ist anzunehmendass er eine triumphale und ndash auch in den vergilischen Stierbildern ndashnie dagewesene Ruumlckkehr fest e rwar te t 21 Allerdings muss man

169Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

17) Vgl Hilberg (wie Anm 16) 267 zur Ilias Latina bdquoWaumlren also die acht-buchstabigen Akrosticha Italicus am Beginn und scripsit am Ende der Ilias Latinauumlber l i e f e r t dann waumlre es geradezu Wahnsinn dies einem Zufall zuzuschreibenldquo

18) Der in Rede stehende Befund passt gut zu den auf Erfahrungswerten basierenden bdquovorlaumlufigen Leitlinienldquo die S Koster Ille Ego Qui Dichter zwischenWort und Macht Erlangen 1988 103 fuumlr Kryptogramme anfuumlhrt

19) Vgl Koster (wie Anm 18) 103 Kriterium (6)20) Vgl Fantham (wie Anm 3) 197 f21) Vgl hierzu Fantham (wie Anm 3) 197 Dass Pompeius etwas Derartiges

erhoffe wird freilich nicht explizit gesagt allerdings hieszlig es uumlber ihn ja in 1134 fmultumque priori credere fortunae

wegen der Bemerkung ipse nequit nun vielleicht erst recht fragenob ihm nicht auch selbst diese Hoffnung als uumlberzogen erscheinensollte Insofern illustriert das Gleichnis va im zweiten Teil die falsche und gewissermaszligen tragische Selbsteinschaumltzung des Pom-peius die der Erzaumlhler bereits in 1129 ff als Charakteristikum derFigur dargestellt hatte Fuumlr den Leser ist der moumlgliche Perspektiv-wechsel und die Folge der sich daraus ergebenden Erkenntnisse sicher besonders reizvoll

Interessant ist schlieszliglich die Frage warum Pompeius mit einem derartig komplizierten Gleichnis gewuumlrdigt wird Eine Ant-wort ergibt sich moumlglicherweise aus dem oben zitierten Stierbilddes dritten Georgica-Buches zu dem Lucans Stelle wohl nicht vonungefaumlhr die groumlszligte textliche Naumlhe hat Da ist vor allem die Vor-stellung vom Stier als Verbanntem (victus abit longeque ignotis ex-sulat oris georg 3225) die Lucan offensichtlich uumlbernommen hatPompeius der geflohen ist wird im Verlauf des Werkes immer wie-der als exul bezeichnet22 Das Akrostichon stellt die Unmoumlglichkeitdes Gegenteils heraus indem es expliziert dass er selbst nicht zu-ruumlckkehren kann Damit wird das Augenmerk auf jene Georgica-Stelle gelenkt Der Stier dort ist kein epischer Held auch ist derKontext an sich unheroisch wenngleich eine militaumlrische Konnota-tion nicht zu uumlbersehen ist Ein wesentliches Element dieses Stier-bildes jedoch war die Wirkung der Niederlage das Ausgestoszligen-sein sowie das damit verbundene Leid Dies wurde wie gesagt alsein zu vermeidendes Geschehnis dargestellt In der Tat passt all diessehr gut auf Pompeius Mitleid wohl auch Wohlwollen gegenuumlbereinem Verlierer der nicht haumltte verlieren muumlssen oder duumlrfen23 ndash ein

170 Markus Kers t en

22) 2730 7379703 820983723) Die Passage kann damit gut in die breite Diskussion um die Vorankuumln-

digung der Ermordung des Feldherrn einbezogen werden Zu Lucans Versen1685 f hunc ego fluminea deformis truncus harena qui iacet agnosco und Ver-gils Bemerkung uumlber Priamos (Aen 2557 f iacet ingens litore truncus avulsum-que umeris caput et sine nomine corpus) vgl etwa Roche (wie Anm 6) 387 bdquothis connection underscores Pompeyrsquos death as emblematic of the destruction of thecommunity he represents in BC just as the details of Priamrsquos body form the climac -tic representation of the destruction of Troy at Verg Aen 2554ndash7ldquo va aber Ro-ches Verweis auf Senecas Agamemnon (901ndash3 habet peractum est pendet exiguamale caput amputatum parte et hinc trunco cruor exundat illinc ora cum fremi-tu iacent) mag in Hinsicht auf das vorliegende Gleichnis das ja u a Pompeiusrsquo Ver-haumlltnis zu Agamemnon behandelt von Interesse sein

Mitleid freilich das nicht zuletzt wegen der uumlbersteigerten Empha-se des mox victor deutlich im Kontext von Schwaumlche vielleicht garSchuld steht und insofern das Problematische an Pompeius keines-wegs verschweigt

Als epische Figur erhaumllt Lucans Pompeius also ein scheinbartraditionelles heroisches Gleichnis wobei aber das auf verschie -dene Praumltexte verweisende Motiv ermoumlglicht dessen Aussage (undsomit schlieszliglich Pompeiusrsquo Eignung als traditioneller epischerHeld) ernsthaft zu hinterfragen Fuumlr eine derartige Interpretationmag das Akrostichon ein bemerkenswerter Hinweis sein

Rostock Markus Kers t en

171Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

fluctus uti medio coepit cum albescere pontolongius ex altoque sinum trahit utque volutusad terras immane sonat per saxa neque ipsomonte minor procumbit at ima exaestuat undaverticibus nigramque alte subiectat harenam

(georg 3224ndash241)

Hier wird ein allgemeiner Fall beschrieben nec mos (3224) Istein Stier im Brunftkampf geschlagen muss er sich als Verlierer zu-ruumlckziehen Was das fuumlr ihn bedeutet wird umfassend und gerade-zu einfuumlhlsam deutlich gemacht exsulare und discere (3224ndash234)Nachdem er jedoch geuumlbt hat und seine Kraumlfte gesammelt sindgreift er den alten Feind wieder an ndash Wie dieser Kampf ausgehenwird ist wohl einigermaszligen unsicher4 Moumlglicherweise wurde derfruumlhere Sieger in der Zwischenzeit von der Liebe entkraumlftet viel-leicht jedoch ist er immer noch staumlrker

In der Tat ist hier aber der Ausgang des Kampfes gar nicht vonBedeutung sondern vielmehr das Prinzip dass erstens auf einenKampf ein anderer folgt weil das Los des Besiegten schmachvollund schwer zu tragen ist und dass zweitens in einem solchenKampf immer einer unterliegen wird und wohl daher auch Mitleidverdient5 ndash Vergils Bericht von den kaumlmpfenden Stieren ist naumlm-lich dem sbquoLehrsatzlsquo untergeordnet sed non ulla magis viris indus-tria firmat quam venerem et caeci stimulos avertere amoris atque ideo tauros procul atque in sola relegant (3209 ff) Es han-delt sich bei dem Kampf also um ein Beispiel dafuumlr was idealer-weise gerade n ich t geschehen soll

Bei dem ersten Stiergleichnis der Aeneis wird eher auf eine Nie-derlage denn einen Sieg gedeutet Das ergibt sich erstens daraus dasses auf Turnus bezogen ist dessen Ende der Leser ja kennt wenn-

163Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

4) Zwar wird der Angriff mit einem sehr eindrucksvollen ndash und mit Blick aufdie homerische Vorlage Il 4422 ff vielleicht auch hoffnungsvollen ndash Flutgleichnis(3237ndash241) illustriert aber uumlber den Ausgang ist nichts bekannt und jenes Partizipoblitus ist in seiner Knappheit recht unbestimmt wie schon aus einer zusaumltzlichenBemerkung im Serviuskommentar deutlich wird (in Verg georg 3236) oblitvmiam securum ex ante acta victoria ndash et aliter oblitvm quasi exercitationis et viriumquem securitas et amor corruperit adeo ut nec crederet hostem esse rediturum

5) Vgl etwa F Klingner Virgil Zuumlrich 1967 288 zu bdquoPathosldquo und der auf-faumllligen Anwendung des Verbs exsulare auf ein Tier vgl R F Thomas (ed) VirgilGeorgics IIIndashIV Cambridge 1988 83

gleich es noch nicht eindeutig feststeht und zweitens daraus dassder Stier mit dem Turnus verglichen wird eben hauptsaumlchlich jenemsbquoVerliererlsquo aumlhnelt der im dritten Georgica-Buch beschrieben wurde

his agitur furiis totoque ardentis ab orescintillae absistunt oculis micat acribus ignismugitus veluti cum prima in proelia taurusterrificos ciet aut i ra s c i in co rnua t empta tarbor i s obn ixus t runco ventosque lacessitictibus aut sparsa ad pugnam proludit harena

(Aen 12101ndash106)

Dass sich dieser Stier auf seinen ersten Kampf vorbereitet ist ohneRelevanz Er hat schon verloren ndash so suggeriert es das bekannteMotiv irasci in cornua temptat arboris obnixus trunco

Vor dem Hintergrund des ersten deutet dann auch das zweiteStiergleichnis (12716ndash724) eher auf den Untergang des einen alsauf den Sieg des anderen

cum duo conversis inimica in proelia taurifrontibus incurrunt pavidi cessere magistristat pecus omne metu mutum mussantque iuvencaequis nemori imperitet quem tota armenta sequanturilli inter sese multa vi vulnera miscentcornuaque obn ix i infigunt et sanguine largocolla armosque lavant gemitu nemus omne remugit

(Aen 12716ndash722)

Wenn die Zuschauenden sich fragen quis nemori imperitet quemtota armenta sequantur (12719) so heiszligt das natuumlrlich auch Werwird n ic h t herrschen wem wird man n ic h t folgen wer wird un-tergehen Und genau in dieser Weise ist es nach dem Gleichnis uumlberAeneas und Turnus gesagt (12725 ff) Iuppiter ipse duas aequatoexamine lances sustinet et fata imponit diversa duorum quemdamnet labor et quo vergat pondere letum

Lucans Gleichnis das offenbar einige Aumlhnlichkeiten mit denzitierten Stellen aufweist ist auffaumlllig anders geartet6 Zwar ist auch

164 Markus Kers t en

6) Hinsichtlich der Stellung des Gleichnisses im Werk lieszlige sich sagen dasses in gewisser Weise dem Loumlwengleichnis gegenuumlbersteht mit welchem Caesar

hier auf einen finalen Kampf gedeutet und der Leser weiszlig dassPompeius am Ende ndash wie Turnus ndash unterliegen wird7 aber imGleichnis wird eine Niederlage uumlberhaupt nicht in Betracht gezo-gen Klagen und Entbehrungen des exul werden nicht erwaumlhntStattdessen malt Lucan die Ruumlckkehr des Stieres heroisch aus undgibt keinen Grund an ihr zu zweifeln Die Bemerkung mox reddi-ta victor quoslibet in saltus comitantibus agmina tauris invitopastore trahit sic viribus impar (2605 ff) ist ausnehmend sug-gestiv Pompeius der von seinem bevorstehenden Untergangnichts weiszlig hofft auf eine zweite Chance und einen groszligen Sieg

Dass aber der explizite Vergleich sic viribus impar conces-sit Magnus noch im selben Vers wie der Houmlhepunkt der Triumph-darstellung einsetzt lenkt den Blick auf den objektiven Kontrastzwischen Pompeius und dem Stier8 Es ist daher bemerkt wordendass der Vergleich vor allem in diesem zweiten auf die Ruumlckkehrbezogenen Teil an sich wenig passend sei da ein Tertium compara-tionis nicht gut entschluumlsselt werden koumlnne9 denn zu einer glor-reichen Ruumlckkehr kommt es bekanntermaszligen nicht Die Angst derTruppen macht es auch nicht wahrscheinlich ndash Wie der profugusPompeius der die Furcht seiner Leute spuumlrt den Ruumlckzug organi-siert beschreibt Lucan nicht Was er hingegen beschreibt ist dassPompeius nun auf sbquowilde Voumllkerlsquo als Verbuumlndete angewiesen ist(2632 ff) und dass Caesar ihn nach Brundisium verfolgt (2650 ff)weswegen ihm am Ende nur die Flucht bleibt (2687 ff) die schlieszlig-

165Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

(1205 ff) bei seinem ersten Auftritt eingefuumlhrt wird vgl Lebek (wie Anm 2) 190Anm 36 Mit Blick auf die Vorstellung dass Stiere wie etwa in Hom Il 16487 ffBeute des Loumlwen sind wird insofern das Machtverhaumlltnis zwischen Pompeius undCaesar unterstrichen Die besagte Passage 1205 ff hat wohl Vergils Loumlwengleichnisfuumlr Turnus (Aen 124 ff) zum Vorbild (vgl P Roche Lucan De Bello CiviliBook 1 ed with a commentary Oxford 2009 216 ad loc) aus dem Lucan hier wie-derum die Wendung excutiens toros (127) fuumlr seinen Stier uumlbernommen hat (Lucan2605 vgl C E Haskins Lucanus Pharsalia with English Notes London 1887 69ad loc)

7) Abgesehen von den historischen Tatsachen denke man etwa an die Rededer Matrone (Lucan 1685 f) hunc ego fluminea deformis truncus harena qui iacet agnosco

8) Auch am Gebrauch des Wortes placere kann man bei aller Parallelitaumlt dieVerschiedenheit der Bewegungsrichtungen bemerken Waumlhrend es Pompeius gefaumllltzu fliehen (2598) wird der Stier wenn ihm seine Muskeln gefallen (2605) angrei-fen

9) Vgl van Campen (wie Anm 3) 373 Fantham (wie Anm 3) 196 ff hier vorallem die Hinweise auf die reddita agmina (2605 f) und den pastor (2607)

lich mit der Apostrophe lassata triumphis descivit Fortuna tuis(2727 f) kommentiert wird

Tatsaumlchlich ist das Gleichnis aber keineswegs irrefuumlhrend Eslaumlsst sich allerdings aus zwei verschiedenen Perspektiven lesen diees beide zu beachten und voneinander zu trennen gilt Da ist zu-naumlchst das ganz subjektive Empfinden des Pompeius der Caesarbesiegen will und sich dazu befaumlhigt glaubt10 Da seine Truppenihm nicht folgen ist er zwar fuumlrs Erste gleichsam geschlagen aberer gibt nicht sofort auf Diese heroische Haltung illustriert dasGleichnis uumlberzeugend und insofern existiert ein Tertium compa-rationis11

Fuumlr den Leser besteht jedoch gleichzeitig die Moumlglichkeit diePassage im groumlszligeren Zusammenhang zu sehen Dabei ist wohl ne-ben den oben behandelten Stiervergleichen der Aeneis auch das ndashfreilich an sich ganz anders akzentuierte ndash Gleichnis fuumlr Agamem-non im Β der Ilias12 bedeutend da es sich wegen einiger Parallelenauf bemerkenswerte Weise mit Lucans Bild vergleichen laumlsst Nachder περα unmittelbar vor dem Schiffskatalog wird Agamemnonals sehr heroischer Stier beschrieben

ΰτε βο13ς γέληφι μέγ ξοχος πλετο πάντωντα13ρος γάρ τε βόεσσι μεταπρέπει γρομένσιτοον ρ $τρεΐδην θ(κε Ζε+ς ματι κείν0κπρεπέ 0ν πολλοσι κα1 ξοχον 2ρώεσσιν

(Il 2480ndash483)

Zwar sind sich Agamemnon und Pompeius darin aumlhnlich dass siebeide eine Probe der Soldaten vornehmen und danach mit einemStier verglichen werden aber im Wesentlichen sind sie und die Tiere mit denen sie in Beziehung gebracht sind recht verschiedenAbgesehen davon dass Agamemnon eben als unumschraumlnkter An-

166 Markus Kers t en

10) Vgl auch Pompeiusrsquo Rede (2555 ff) te [sc Caesar] quoque si superi titulis accedere nostris iusserunt valet en torquendo dextera pilo

11) Vgl Lebek (wie Anm 2) 190 mit Anm 36 Das Gleichnis kann auch alsAufwertung des Pompeius gegenuumlber Caesar und als Ausdruck seiner Haltung (wieauch der seiner Gefolgsleute aus deren Reihen eben kein Laelius hervortritt) ver-standen werden

12) Vgl etwa M Lausberg Lucan und Homer ANRW II 323 (1985) 1565 ffvan Campen (wie Anm 3) 372

fuumlhrer der Herde dargestellt wird waumlhrend es von Pompeius heiszligtpulsus ut armentis (2601) will Agamemnon in der Absicht seineSoldaten zum Kampf zu spornen die Maumlnner zunaumlchst zur Auf -gabe uumlberreden damit die eingeweihten Fuumlrsten sie dann zuruumlck-halten und wohl nur desto mehr anstacheln koumlnnen (λλ γετ α5κέν πως θωρήξομεν υ8ας $χαι9νmiddot 272ndash75) Pompeius hat zwarebenfalls die Absicht seine Soldaten zum Kaumlmpfen zu ermutigen(iamque secuturo iussurus classica Phoebo 2528) haumllt dafuumlr abergeradeheraus ndash sozusagen nur typisch selbstbewusst ndash eine Rede

Der Plan des Agamemnon geht auf der des Pompeius nichtTatsaumlchlich folgt nach der temptatio des Pompeius auch kein Trup-penkatalog Da seine Rede die Soldaten nicht uumlberzeugen konntehat er mithin im Gegensatz zu Agamemnon auch keinen Anlassheroisch hervorzuleuchten Mag der historische Pompeius sich alsAgamemnon gesehen und inszeniert haben13 bei Lucan verbindetsie wenig

Aber auch mit Turnus hat er tatsaumlchlich weniger gemein als zu Anfang vielleicht noch gedacht Der todgeweihte Turnus ruumlstetsich zum Kampf und wird dann mit einem Stier verglichen Dertodgeweihte Pompeius aber bricht die Kriegsvorbereitungen abund flieht Pompeius wird schlieszliglich auch nicht dasselbe Ende finden wie Turnus denn dieser stirbt nach einem Zweikampf waumlh-rend jener heimtuumlckisch ermordet wird ndash Auszligerdem hat er in allden Jahren nichts fuumlr die Vorbereitung getan

[ ] alter vergentibus annisin senium longoque togae tranquillior usudedidicit iam pace ducem famaeque petitormulta dare in volgus totus popularibus aurisinpelli plausuque sui gaudere theatrinec reparare novas vires multumque prioricredere fortunae

(Lucan 1129ndash135)

167Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

13) Vgl Lausberg (wie Anm 12) 1577 und E Champlin Agamemnon atRome Roman Dynasts and Greek Heroes in D Braund C Gill (edd) MythsHistory and Culture in Republican Rome Exeter 2003 295ndash315 zu Pompeius 295ndash305 Die Selbstdarstellung als bdquoKoumlnig der Koumlnigeldquo ist besonders greifbar im Thea-terbau des Jahres 55 der von Lucan eigens erwaumlhnt wird (1133) vgl auch Roche(wie Anm 6) 183 ad loc

Dies sind die ersten Worte die Lucan uumlber seinen Pompeius sagtWaumlhrend Pompeius selbst natuumlrlich weder diese Einsicht noch dasVorwissen des Lesers hat kann dieser die Lage des bedraumlngtenHeerfuumlhrers im Buch 2 auf der Grundlage jener Voraussetzungenbeurteilen Aus dieser sbquoobjektivenlsquo Perspektive ist es dann freilichsehr zweifelhaft dass Pompeius tatsaumlchlich mit einem Stier zu ver-gleichen sei der so angelegentlich auf seine Revanche hinarbeitetFuumlr den Stier in den Georgica ist sie immerhin wahrscheinlich (unddies desto mehr je mehr der oblitus hostis [3236] sich so verhaltenhat wie es Lucan von Pompeius berichtet) ndash die Siegesgewissheitim Gleichnis fuumlr Pompeius ist jedoch unerwartet vielleicht garunberecht ig t und dissoniert vor dem Hintergrund der beidenGleichnisse aus der Aeneis erst recht mit dem schmachvollen Ruumlck-zug des alten Feldherrn Dem Leser mag Pompeius dann also ge-rade wegen dieses Gleichnisses nun noch desto schwaumlcher und weniger heroisch erscheinen waumlhrend doch eben erst vermittelstder Darstellung seiner eigenen Perspektive seine Ehrwuumlrdigkeit14

wie seine Entschlossenheit in dem Gleichnis betont worden waren

2 Das Akrostichon als Vorausdeutung des Kommenden

Mit Blick auf die Vielschichtigkeit des Gleichnisses bekom-men die Anfangsbuchstaben der Verse 2604ndash608 eine sehr reiz-volle Wirkung NEQuIT15 ndash Dass es sich dabei um ein bewusstkomponiertes Akrostichon handelt16 ist angesichts der Laumlnge der

168 Markus Kers t en

14) Vgl hierzu auch Lebek (wie Anm 2) 190 zur vox veneranda (2530) desPompeius

15) Das Verb nequire benutzt Lucan nur noch zweimal sonst weit spaumlter imWerk in 6823 und 8268 beide Male im Sinne von schicksalhafter NotwendigkeitBei der zweiten Stelle handelt es sich um Pompeiusrsquo eigene Worte er spricht sie nachder Schlacht von Pharsalus in einer Senatssitzung nec sic mea fata premuntur utnequeam relevare caput (8267ndash268) ndash kurze Zeit spaumlter stirbt er verhuumlllten Haup-tes

16) Vgl I Hilberg Ist die Ilias Latina von einem Italicus verfasst oder einemItalicus gewidmet WS 21 (1899) 264ndash305 In der Liste der lateinischen sbquoZufalls-akrostichalsquo ist es nicht enthalten hier werden aber nur Beispiele beruumlcksichtigt dieausschlieszliglich aus den jeweils zeilenersten Buchstaben bestehen C Schubert EinZeugnis aus Neros Dichterkreis Zu den Kryptogrammen der Ilias Latina WJA 23(1999) 137ndash141 arbeitet die Kryptogramme der Ilias Latina als Phaumlnomen der Lite-raturszene unter Nero heraus

Luumlckenlosigkeit der Textsicherheit17 und der inhaltlichen Ange-messenheit immerhin wahrscheinlich18 Wenn man zusaumltzlich nochdie Verse 2600ndash603 betrachtet deren erster allerdings nicht zumText des Gleichnisses gehoumlrt ergibt sich sogar die metrisch19 auf-faumlllige und recht einpraumlgsame Verbindung ipse nequit ndash unmissver-staumlndlicher kann ein Unvermoumlgen wohl nicht ausgedruumlckt werdenWenn die Diskrepanz zwischen Figuren- und Leserwissen bereitsdeutlich geworden ist bieten sich diese Worte nachgerade dazu anals ein versteckter Kommentar genommen zu werden

Sollte das ihre Funktion sein Die akrostichische Bemerkungscheint jedenfalls zu unterstreichen was sich in dem auffaumllligenmox victor zu dem sie im Gegensatz steht bereits andeutet undwas dem Leser im Vergleich mit den oben genannten Texten bereitsaufgefallen sein mag Das Gleichnis ist doppeldeutig und insofernwiderspruumlchlich Was jeder weiszlig was aber innerhalb der Chrono-logie des Bellum Civile noch ungewiss ist wird hier eindeutig ge-sagt Pompeius selbst kann es nicht er wird nicht zuruumlckkehren

Wenn es sich hierbei nicht um ein Zufallsakrostichon han-delt so erweist sich zum einen die differenzierte Betrachtung desGleichnisses als gerechtfertigt und zum anderen wird das Interes-se des Lesers auf die zu erwartende dichterische Ausgestaltung desbevorstehenden Untergangs gelenkt In diesem Fall eruumlbrigt sichauch die Suche nach einem Tertium comparationis das keinen Wi-derspruch zwischen der Situation des Verglichenen (Pompeius) und dem Vorwissen des Lesers entstehen laumlsst Die Ambiguitaumlt desGleichnisses ist beabsichtigt und wird durch das Akrostichon be-tont20 Wie es in der ersten Haumllfte der Passage (600ndash603) heiszligtgleicht Pompeius einem geschlagenen Stier und es ist anzunehmendass er eine triumphale und ndash auch in den vergilischen Stierbildern ndashnie dagewesene Ruumlckkehr fest e rwar te t 21 Allerdings muss man

169Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

17) Vgl Hilberg (wie Anm 16) 267 zur Ilias Latina bdquoWaumlren also die acht-buchstabigen Akrosticha Italicus am Beginn und scripsit am Ende der Ilias Latinauumlber l i e f e r t dann waumlre es geradezu Wahnsinn dies einem Zufall zuzuschreibenldquo

18) Der in Rede stehende Befund passt gut zu den auf Erfahrungswerten basierenden bdquovorlaumlufigen Leitlinienldquo die S Koster Ille Ego Qui Dichter zwischenWort und Macht Erlangen 1988 103 fuumlr Kryptogramme anfuumlhrt

19) Vgl Koster (wie Anm 18) 103 Kriterium (6)20) Vgl Fantham (wie Anm 3) 197 f21) Vgl hierzu Fantham (wie Anm 3) 197 Dass Pompeius etwas Derartiges

erhoffe wird freilich nicht explizit gesagt allerdings hieszlig es uumlber ihn ja in 1134 fmultumque priori credere fortunae

wegen der Bemerkung ipse nequit nun vielleicht erst recht fragenob ihm nicht auch selbst diese Hoffnung als uumlberzogen erscheinensollte Insofern illustriert das Gleichnis va im zweiten Teil die falsche und gewissermaszligen tragische Selbsteinschaumltzung des Pom-peius die der Erzaumlhler bereits in 1129 ff als Charakteristikum derFigur dargestellt hatte Fuumlr den Leser ist der moumlgliche Perspektiv-wechsel und die Folge der sich daraus ergebenden Erkenntnisse sicher besonders reizvoll

Interessant ist schlieszliglich die Frage warum Pompeius mit einem derartig komplizierten Gleichnis gewuumlrdigt wird Eine Ant-wort ergibt sich moumlglicherweise aus dem oben zitierten Stierbilddes dritten Georgica-Buches zu dem Lucans Stelle wohl nicht vonungefaumlhr die groumlszligte textliche Naumlhe hat Da ist vor allem die Vor-stellung vom Stier als Verbanntem (victus abit longeque ignotis ex-sulat oris georg 3225) die Lucan offensichtlich uumlbernommen hatPompeius der geflohen ist wird im Verlauf des Werkes immer wie-der als exul bezeichnet22 Das Akrostichon stellt die Unmoumlglichkeitdes Gegenteils heraus indem es expliziert dass er selbst nicht zu-ruumlckkehren kann Damit wird das Augenmerk auf jene Georgica-Stelle gelenkt Der Stier dort ist kein epischer Held auch ist derKontext an sich unheroisch wenngleich eine militaumlrische Konnota-tion nicht zu uumlbersehen ist Ein wesentliches Element dieses Stier-bildes jedoch war die Wirkung der Niederlage das Ausgestoszligen-sein sowie das damit verbundene Leid Dies wurde wie gesagt alsein zu vermeidendes Geschehnis dargestellt In der Tat passt all diessehr gut auf Pompeius Mitleid wohl auch Wohlwollen gegenuumlbereinem Verlierer der nicht haumltte verlieren muumlssen oder duumlrfen23 ndash ein

170 Markus Kers t en

22) 2730 7379703 820983723) Die Passage kann damit gut in die breite Diskussion um die Vorankuumln-

digung der Ermordung des Feldherrn einbezogen werden Zu Lucans Versen1685 f hunc ego fluminea deformis truncus harena qui iacet agnosco und Ver-gils Bemerkung uumlber Priamos (Aen 2557 f iacet ingens litore truncus avulsum-que umeris caput et sine nomine corpus) vgl etwa Roche (wie Anm 6) 387 bdquothis connection underscores Pompeyrsquos death as emblematic of the destruction of thecommunity he represents in BC just as the details of Priamrsquos body form the climac -tic representation of the destruction of Troy at Verg Aen 2554ndash7ldquo va aber Ro-ches Verweis auf Senecas Agamemnon (901ndash3 habet peractum est pendet exiguamale caput amputatum parte et hinc trunco cruor exundat illinc ora cum fremi-tu iacent) mag in Hinsicht auf das vorliegende Gleichnis das ja u a Pompeiusrsquo Ver-haumlltnis zu Agamemnon behandelt von Interesse sein

Mitleid freilich das nicht zuletzt wegen der uumlbersteigerten Empha-se des mox victor deutlich im Kontext von Schwaumlche vielleicht garSchuld steht und insofern das Problematische an Pompeius keines-wegs verschweigt

Als epische Figur erhaumllt Lucans Pompeius also ein scheinbartraditionelles heroisches Gleichnis wobei aber das auf verschie -dene Praumltexte verweisende Motiv ermoumlglicht dessen Aussage (undsomit schlieszliglich Pompeiusrsquo Eignung als traditioneller epischerHeld) ernsthaft zu hinterfragen Fuumlr eine derartige Interpretationmag das Akrostichon ein bemerkenswerter Hinweis sein

Rostock Markus Kers t en

171Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

gleich es noch nicht eindeutig feststeht und zweitens daraus dassder Stier mit dem Turnus verglichen wird eben hauptsaumlchlich jenemsbquoVerliererlsquo aumlhnelt der im dritten Georgica-Buch beschrieben wurde

his agitur furiis totoque ardentis ab orescintillae absistunt oculis micat acribus ignismugitus veluti cum prima in proelia taurusterrificos ciet aut i ra s c i in co rnua t empta tarbor i s obn ixus t runco ventosque lacessitictibus aut sparsa ad pugnam proludit harena

(Aen 12101ndash106)

Dass sich dieser Stier auf seinen ersten Kampf vorbereitet ist ohneRelevanz Er hat schon verloren ndash so suggeriert es das bekannteMotiv irasci in cornua temptat arboris obnixus trunco

Vor dem Hintergrund des ersten deutet dann auch das zweiteStiergleichnis (12716ndash724) eher auf den Untergang des einen alsauf den Sieg des anderen

cum duo conversis inimica in proelia taurifrontibus incurrunt pavidi cessere magistristat pecus omne metu mutum mussantque iuvencaequis nemori imperitet quem tota armenta sequanturilli inter sese multa vi vulnera miscentcornuaque obn ix i infigunt et sanguine largocolla armosque lavant gemitu nemus omne remugit

(Aen 12716ndash722)

Wenn die Zuschauenden sich fragen quis nemori imperitet quemtota armenta sequantur (12719) so heiszligt das natuumlrlich auch Werwird n ic h t herrschen wem wird man n ic h t folgen wer wird un-tergehen Und genau in dieser Weise ist es nach dem Gleichnis uumlberAeneas und Turnus gesagt (12725 ff) Iuppiter ipse duas aequatoexamine lances sustinet et fata imponit diversa duorum quemdamnet labor et quo vergat pondere letum

Lucans Gleichnis das offenbar einige Aumlhnlichkeiten mit denzitierten Stellen aufweist ist auffaumlllig anders geartet6 Zwar ist auch

164 Markus Kers t en

6) Hinsichtlich der Stellung des Gleichnisses im Werk lieszlige sich sagen dasses in gewisser Weise dem Loumlwengleichnis gegenuumlbersteht mit welchem Caesar

hier auf einen finalen Kampf gedeutet und der Leser weiszlig dassPompeius am Ende ndash wie Turnus ndash unterliegen wird7 aber imGleichnis wird eine Niederlage uumlberhaupt nicht in Betracht gezo-gen Klagen und Entbehrungen des exul werden nicht erwaumlhntStattdessen malt Lucan die Ruumlckkehr des Stieres heroisch aus undgibt keinen Grund an ihr zu zweifeln Die Bemerkung mox reddi-ta victor quoslibet in saltus comitantibus agmina tauris invitopastore trahit sic viribus impar (2605 ff) ist ausnehmend sug-gestiv Pompeius der von seinem bevorstehenden Untergangnichts weiszlig hofft auf eine zweite Chance und einen groszligen Sieg

Dass aber der explizite Vergleich sic viribus impar conces-sit Magnus noch im selben Vers wie der Houmlhepunkt der Triumph-darstellung einsetzt lenkt den Blick auf den objektiven Kontrastzwischen Pompeius und dem Stier8 Es ist daher bemerkt wordendass der Vergleich vor allem in diesem zweiten auf die Ruumlckkehrbezogenen Teil an sich wenig passend sei da ein Tertium compara-tionis nicht gut entschluumlsselt werden koumlnne9 denn zu einer glor-reichen Ruumlckkehr kommt es bekanntermaszligen nicht Die Angst derTruppen macht es auch nicht wahrscheinlich ndash Wie der profugusPompeius der die Furcht seiner Leute spuumlrt den Ruumlckzug organi-siert beschreibt Lucan nicht Was er hingegen beschreibt ist dassPompeius nun auf sbquowilde Voumllkerlsquo als Verbuumlndete angewiesen ist(2632 ff) und dass Caesar ihn nach Brundisium verfolgt (2650 ff)weswegen ihm am Ende nur die Flucht bleibt (2687 ff) die schlieszlig-

165Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

(1205 ff) bei seinem ersten Auftritt eingefuumlhrt wird vgl Lebek (wie Anm 2) 190Anm 36 Mit Blick auf die Vorstellung dass Stiere wie etwa in Hom Il 16487 ffBeute des Loumlwen sind wird insofern das Machtverhaumlltnis zwischen Pompeius undCaesar unterstrichen Die besagte Passage 1205 ff hat wohl Vergils Loumlwengleichnisfuumlr Turnus (Aen 124 ff) zum Vorbild (vgl P Roche Lucan De Bello CiviliBook 1 ed with a commentary Oxford 2009 216 ad loc) aus dem Lucan hier wie-derum die Wendung excutiens toros (127) fuumlr seinen Stier uumlbernommen hat (Lucan2605 vgl C E Haskins Lucanus Pharsalia with English Notes London 1887 69ad loc)

7) Abgesehen von den historischen Tatsachen denke man etwa an die Rededer Matrone (Lucan 1685 f) hunc ego fluminea deformis truncus harena qui iacet agnosco

8) Auch am Gebrauch des Wortes placere kann man bei aller Parallelitaumlt dieVerschiedenheit der Bewegungsrichtungen bemerken Waumlhrend es Pompeius gefaumllltzu fliehen (2598) wird der Stier wenn ihm seine Muskeln gefallen (2605) angrei-fen

9) Vgl van Campen (wie Anm 3) 373 Fantham (wie Anm 3) 196 ff hier vorallem die Hinweise auf die reddita agmina (2605 f) und den pastor (2607)

lich mit der Apostrophe lassata triumphis descivit Fortuna tuis(2727 f) kommentiert wird

Tatsaumlchlich ist das Gleichnis aber keineswegs irrefuumlhrend Eslaumlsst sich allerdings aus zwei verschiedenen Perspektiven lesen diees beide zu beachten und voneinander zu trennen gilt Da ist zu-naumlchst das ganz subjektive Empfinden des Pompeius der Caesarbesiegen will und sich dazu befaumlhigt glaubt10 Da seine Truppenihm nicht folgen ist er zwar fuumlrs Erste gleichsam geschlagen aberer gibt nicht sofort auf Diese heroische Haltung illustriert dasGleichnis uumlberzeugend und insofern existiert ein Tertium compa-rationis11

Fuumlr den Leser besteht jedoch gleichzeitig die Moumlglichkeit diePassage im groumlszligeren Zusammenhang zu sehen Dabei ist wohl ne-ben den oben behandelten Stiervergleichen der Aeneis auch das ndashfreilich an sich ganz anders akzentuierte ndash Gleichnis fuumlr Agamem-non im Β der Ilias12 bedeutend da es sich wegen einiger Parallelenauf bemerkenswerte Weise mit Lucans Bild vergleichen laumlsst Nachder περα unmittelbar vor dem Schiffskatalog wird Agamemnonals sehr heroischer Stier beschrieben

ΰτε βο13ς γέληφι μέγ ξοχος πλετο πάντωντα13ρος γάρ τε βόεσσι μεταπρέπει γρομένσιτοον ρ $τρεΐδην θ(κε Ζε+ς ματι κείν0κπρεπέ 0ν πολλοσι κα1 ξοχον 2ρώεσσιν

(Il 2480ndash483)

Zwar sind sich Agamemnon und Pompeius darin aumlhnlich dass siebeide eine Probe der Soldaten vornehmen und danach mit einemStier verglichen werden aber im Wesentlichen sind sie und die Tiere mit denen sie in Beziehung gebracht sind recht verschiedenAbgesehen davon dass Agamemnon eben als unumschraumlnkter An-

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10) Vgl auch Pompeiusrsquo Rede (2555 ff) te [sc Caesar] quoque si superi titulis accedere nostris iusserunt valet en torquendo dextera pilo

11) Vgl Lebek (wie Anm 2) 190 mit Anm 36 Das Gleichnis kann auch alsAufwertung des Pompeius gegenuumlber Caesar und als Ausdruck seiner Haltung (wieauch der seiner Gefolgsleute aus deren Reihen eben kein Laelius hervortritt) ver-standen werden

12) Vgl etwa M Lausberg Lucan und Homer ANRW II 323 (1985) 1565 ffvan Campen (wie Anm 3) 372

fuumlhrer der Herde dargestellt wird waumlhrend es von Pompeius heiszligtpulsus ut armentis (2601) will Agamemnon in der Absicht seineSoldaten zum Kampf zu spornen die Maumlnner zunaumlchst zur Auf -gabe uumlberreden damit die eingeweihten Fuumlrsten sie dann zuruumlck-halten und wohl nur desto mehr anstacheln koumlnnen (λλ γετ α5κέν πως θωρήξομεν υ8ας $χαι9νmiddot 272ndash75) Pompeius hat zwarebenfalls die Absicht seine Soldaten zum Kaumlmpfen zu ermutigen(iamque secuturo iussurus classica Phoebo 2528) haumllt dafuumlr abergeradeheraus ndash sozusagen nur typisch selbstbewusst ndash eine Rede

Der Plan des Agamemnon geht auf der des Pompeius nichtTatsaumlchlich folgt nach der temptatio des Pompeius auch kein Trup-penkatalog Da seine Rede die Soldaten nicht uumlberzeugen konntehat er mithin im Gegensatz zu Agamemnon auch keinen Anlassheroisch hervorzuleuchten Mag der historische Pompeius sich alsAgamemnon gesehen und inszeniert haben13 bei Lucan verbindetsie wenig

Aber auch mit Turnus hat er tatsaumlchlich weniger gemein als zu Anfang vielleicht noch gedacht Der todgeweihte Turnus ruumlstetsich zum Kampf und wird dann mit einem Stier verglichen Dertodgeweihte Pompeius aber bricht die Kriegsvorbereitungen abund flieht Pompeius wird schlieszliglich auch nicht dasselbe Ende finden wie Turnus denn dieser stirbt nach einem Zweikampf waumlh-rend jener heimtuumlckisch ermordet wird ndash Auszligerdem hat er in allden Jahren nichts fuumlr die Vorbereitung getan

[ ] alter vergentibus annisin senium longoque togae tranquillior usudedidicit iam pace ducem famaeque petitormulta dare in volgus totus popularibus aurisinpelli plausuque sui gaudere theatrinec reparare novas vires multumque prioricredere fortunae

(Lucan 1129ndash135)

167Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

13) Vgl Lausberg (wie Anm 12) 1577 und E Champlin Agamemnon atRome Roman Dynasts and Greek Heroes in D Braund C Gill (edd) MythsHistory and Culture in Republican Rome Exeter 2003 295ndash315 zu Pompeius 295ndash305 Die Selbstdarstellung als bdquoKoumlnig der Koumlnigeldquo ist besonders greifbar im Thea-terbau des Jahres 55 der von Lucan eigens erwaumlhnt wird (1133) vgl auch Roche(wie Anm 6) 183 ad loc

Dies sind die ersten Worte die Lucan uumlber seinen Pompeius sagtWaumlhrend Pompeius selbst natuumlrlich weder diese Einsicht noch dasVorwissen des Lesers hat kann dieser die Lage des bedraumlngtenHeerfuumlhrers im Buch 2 auf der Grundlage jener Voraussetzungenbeurteilen Aus dieser sbquoobjektivenlsquo Perspektive ist es dann freilichsehr zweifelhaft dass Pompeius tatsaumlchlich mit einem Stier zu ver-gleichen sei der so angelegentlich auf seine Revanche hinarbeitetFuumlr den Stier in den Georgica ist sie immerhin wahrscheinlich (unddies desto mehr je mehr der oblitus hostis [3236] sich so verhaltenhat wie es Lucan von Pompeius berichtet) ndash die Siegesgewissheitim Gleichnis fuumlr Pompeius ist jedoch unerwartet vielleicht garunberecht ig t und dissoniert vor dem Hintergrund der beidenGleichnisse aus der Aeneis erst recht mit dem schmachvollen Ruumlck-zug des alten Feldherrn Dem Leser mag Pompeius dann also ge-rade wegen dieses Gleichnisses nun noch desto schwaumlcher und weniger heroisch erscheinen waumlhrend doch eben erst vermittelstder Darstellung seiner eigenen Perspektive seine Ehrwuumlrdigkeit14

wie seine Entschlossenheit in dem Gleichnis betont worden waren

2 Das Akrostichon als Vorausdeutung des Kommenden

Mit Blick auf die Vielschichtigkeit des Gleichnisses bekom-men die Anfangsbuchstaben der Verse 2604ndash608 eine sehr reiz-volle Wirkung NEQuIT15 ndash Dass es sich dabei um ein bewusstkomponiertes Akrostichon handelt16 ist angesichts der Laumlnge der

168 Markus Kers t en

14) Vgl hierzu auch Lebek (wie Anm 2) 190 zur vox veneranda (2530) desPompeius

15) Das Verb nequire benutzt Lucan nur noch zweimal sonst weit spaumlter imWerk in 6823 und 8268 beide Male im Sinne von schicksalhafter NotwendigkeitBei der zweiten Stelle handelt es sich um Pompeiusrsquo eigene Worte er spricht sie nachder Schlacht von Pharsalus in einer Senatssitzung nec sic mea fata premuntur utnequeam relevare caput (8267ndash268) ndash kurze Zeit spaumlter stirbt er verhuumlllten Haup-tes

16) Vgl I Hilberg Ist die Ilias Latina von einem Italicus verfasst oder einemItalicus gewidmet WS 21 (1899) 264ndash305 In der Liste der lateinischen sbquoZufalls-akrostichalsquo ist es nicht enthalten hier werden aber nur Beispiele beruumlcksichtigt dieausschlieszliglich aus den jeweils zeilenersten Buchstaben bestehen C Schubert EinZeugnis aus Neros Dichterkreis Zu den Kryptogrammen der Ilias Latina WJA 23(1999) 137ndash141 arbeitet die Kryptogramme der Ilias Latina als Phaumlnomen der Lite-raturszene unter Nero heraus

Luumlckenlosigkeit der Textsicherheit17 und der inhaltlichen Ange-messenheit immerhin wahrscheinlich18 Wenn man zusaumltzlich nochdie Verse 2600ndash603 betrachtet deren erster allerdings nicht zumText des Gleichnisses gehoumlrt ergibt sich sogar die metrisch19 auf-faumlllige und recht einpraumlgsame Verbindung ipse nequit ndash unmissver-staumlndlicher kann ein Unvermoumlgen wohl nicht ausgedruumlckt werdenWenn die Diskrepanz zwischen Figuren- und Leserwissen bereitsdeutlich geworden ist bieten sich diese Worte nachgerade dazu anals ein versteckter Kommentar genommen zu werden

Sollte das ihre Funktion sein Die akrostichische Bemerkungscheint jedenfalls zu unterstreichen was sich in dem auffaumllligenmox victor zu dem sie im Gegensatz steht bereits andeutet undwas dem Leser im Vergleich mit den oben genannten Texten bereitsaufgefallen sein mag Das Gleichnis ist doppeldeutig und insofernwiderspruumlchlich Was jeder weiszlig was aber innerhalb der Chrono-logie des Bellum Civile noch ungewiss ist wird hier eindeutig ge-sagt Pompeius selbst kann es nicht er wird nicht zuruumlckkehren

Wenn es sich hierbei nicht um ein Zufallsakrostichon han-delt so erweist sich zum einen die differenzierte Betrachtung desGleichnisses als gerechtfertigt und zum anderen wird das Interes-se des Lesers auf die zu erwartende dichterische Ausgestaltung desbevorstehenden Untergangs gelenkt In diesem Fall eruumlbrigt sichauch die Suche nach einem Tertium comparationis das keinen Wi-derspruch zwischen der Situation des Verglichenen (Pompeius) und dem Vorwissen des Lesers entstehen laumlsst Die Ambiguitaumlt desGleichnisses ist beabsichtigt und wird durch das Akrostichon be-tont20 Wie es in der ersten Haumllfte der Passage (600ndash603) heiszligtgleicht Pompeius einem geschlagenen Stier und es ist anzunehmendass er eine triumphale und ndash auch in den vergilischen Stierbildern ndashnie dagewesene Ruumlckkehr fest e rwar te t 21 Allerdings muss man

169Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

17) Vgl Hilberg (wie Anm 16) 267 zur Ilias Latina bdquoWaumlren also die acht-buchstabigen Akrosticha Italicus am Beginn und scripsit am Ende der Ilias Latinauumlber l i e f e r t dann waumlre es geradezu Wahnsinn dies einem Zufall zuzuschreibenldquo

18) Der in Rede stehende Befund passt gut zu den auf Erfahrungswerten basierenden bdquovorlaumlufigen Leitlinienldquo die S Koster Ille Ego Qui Dichter zwischenWort und Macht Erlangen 1988 103 fuumlr Kryptogramme anfuumlhrt

19) Vgl Koster (wie Anm 18) 103 Kriterium (6)20) Vgl Fantham (wie Anm 3) 197 f21) Vgl hierzu Fantham (wie Anm 3) 197 Dass Pompeius etwas Derartiges

erhoffe wird freilich nicht explizit gesagt allerdings hieszlig es uumlber ihn ja in 1134 fmultumque priori credere fortunae

wegen der Bemerkung ipse nequit nun vielleicht erst recht fragenob ihm nicht auch selbst diese Hoffnung als uumlberzogen erscheinensollte Insofern illustriert das Gleichnis va im zweiten Teil die falsche und gewissermaszligen tragische Selbsteinschaumltzung des Pom-peius die der Erzaumlhler bereits in 1129 ff als Charakteristikum derFigur dargestellt hatte Fuumlr den Leser ist der moumlgliche Perspektiv-wechsel und die Folge der sich daraus ergebenden Erkenntnisse sicher besonders reizvoll

Interessant ist schlieszliglich die Frage warum Pompeius mit einem derartig komplizierten Gleichnis gewuumlrdigt wird Eine Ant-wort ergibt sich moumlglicherweise aus dem oben zitierten Stierbilddes dritten Georgica-Buches zu dem Lucans Stelle wohl nicht vonungefaumlhr die groumlszligte textliche Naumlhe hat Da ist vor allem die Vor-stellung vom Stier als Verbanntem (victus abit longeque ignotis ex-sulat oris georg 3225) die Lucan offensichtlich uumlbernommen hatPompeius der geflohen ist wird im Verlauf des Werkes immer wie-der als exul bezeichnet22 Das Akrostichon stellt die Unmoumlglichkeitdes Gegenteils heraus indem es expliziert dass er selbst nicht zu-ruumlckkehren kann Damit wird das Augenmerk auf jene Georgica-Stelle gelenkt Der Stier dort ist kein epischer Held auch ist derKontext an sich unheroisch wenngleich eine militaumlrische Konnota-tion nicht zu uumlbersehen ist Ein wesentliches Element dieses Stier-bildes jedoch war die Wirkung der Niederlage das Ausgestoszligen-sein sowie das damit verbundene Leid Dies wurde wie gesagt alsein zu vermeidendes Geschehnis dargestellt In der Tat passt all diessehr gut auf Pompeius Mitleid wohl auch Wohlwollen gegenuumlbereinem Verlierer der nicht haumltte verlieren muumlssen oder duumlrfen23 ndash ein

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22) 2730 7379703 820983723) Die Passage kann damit gut in die breite Diskussion um die Vorankuumln-

digung der Ermordung des Feldherrn einbezogen werden Zu Lucans Versen1685 f hunc ego fluminea deformis truncus harena qui iacet agnosco und Ver-gils Bemerkung uumlber Priamos (Aen 2557 f iacet ingens litore truncus avulsum-que umeris caput et sine nomine corpus) vgl etwa Roche (wie Anm 6) 387 bdquothis connection underscores Pompeyrsquos death as emblematic of the destruction of thecommunity he represents in BC just as the details of Priamrsquos body form the climac -tic representation of the destruction of Troy at Verg Aen 2554ndash7ldquo va aber Ro-ches Verweis auf Senecas Agamemnon (901ndash3 habet peractum est pendet exiguamale caput amputatum parte et hinc trunco cruor exundat illinc ora cum fremi-tu iacent) mag in Hinsicht auf das vorliegende Gleichnis das ja u a Pompeiusrsquo Ver-haumlltnis zu Agamemnon behandelt von Interesse sein

Mitleid freilich das nicht zuletzt wegen der uumlbersteigerten Empha-se des mox victor deutlich im Kontext von Schwaumlche vielleicht garSchuld steht und insofern das Problematische an Pompeius keines-wegs verschweigt

Als epische Figur erhaumllt Lucans Pompeius also ein scheinbartraditionelles heroisches Gleichnis wobei aber das auf verschie -dene Praumltexte verweisende Motiv ermoumlglicht dessen Aussage (undsomit schlieszliglich Pompeiusrsquo Eignung als traditioneller epischerHeld) ernsthaft zu hinterfragen Fuumlr eine derartige Interpretationmag das Akrostichon ein bemerkenswerter Hinweis sein

Rostock Markus Kers t en

171Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

hier auf einen finalen Kampf gedeutet und der Leser weiszlig dassPompeius am Ende ndash wie Turnus ndash unterliegen wird7 aber imGleichnis wird eine Niederlage uumlberhaupt nicht in Betracht gezo-gen Klagen und Entbehrungen des exul werden nicht erwaumlhntStattdessen malt Lucan die Ruumlckkehr des Stieres heroisch aus undgibt keinen Grund an ihr zu zweifeln Die Bemerkung mox reddi-ta victor quoslibet in saltus comitantibus agmina tauris invitopastore trahit sic viribus impar (2605 ff) ist ausnehmend sug-gestiv Pompeius der von seinem bevorstehenden Untergangnichts weiszlig hofft auf eine zweite Chance und einen groszligen Sieg

Dass aber der explizite Vergleich sic viribus impar conces-sit Magnus noch im selben Vers wie der Houmlhepunkt der Triumph-darstellung einsetzt lenkt den Blick auf den objektiven Kontrastzwischen Pompeius und dem Stier8 Es ist daher bemerkt wordendass der Vergleich vor allem in diesem zweiten auf die Ruumlckkehrbezogenen Teil an sich wenig passend sei da ein Tertium compara-tionis nicht gut entschluumlsselt werden koumlnne9 denn zu einer glor-reichen Ruumlckkehr kommt es bekanntermaszligen nicht Die Angst derTruppen macht es auch nicht wahrscheinlich ndash Wie der profugusPompeius der die Furcht seiner Leute spuumlrt den Ruumlckzug organi-siert beschreibt Lucan nicht Was er hingegen beschreibt ist dassPompeius nun auf sbquowilde Voumllkerlsquo als Verbuumlndete angewiesen ist(2632 ff) und dass Caesar ihn nach Brundisium verfolgt (2650 ff)weswegen ihm am Ende nur die Flucht bleibt (2687 ff) die schlieszlig-

165Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

(1205 ff) bei seinem ersten Auftritt eingefuumlhrt wird vgl Lebek (wie Anm 2) 190Anm 36 Mit Blick auf die Vorstellung dass Stiere wie etwa in Hom Il 16487 ffBeute des Loumlwen sind wird insofern das Machtverhaumlltnis zwischen Pompeius undCaesar unterstrichen Die besagte Passage 1205 ff hat wohl Vergils Loumlwengleichnisfuumlr Turnus (Aen 124 ff) zum Vorbild (vgl P Roche Lucan De Bello CiviliBook 1 ed with a commentary Oxford 2009 216 ad loc) aus dem Lucan hier wie-derum die Wendung excutiens toros (127) fuumlr seinen Stier uumlbernommen hat (Lucan2605 vgl C E Haskins Lucanus Pharsalia with English Notes London 1887 69ad loc)

7) Abgesehen von den historischen Tatsachen denke man etwa an die Rededer Matrone (Lucan 1685 f) hunc ego fluminea deformis truncus harena qui iacet agnosco

8) Auch am Gebrauch des Wortes placere kann man bei aller Parallelitaumlt dieVerschiedenheit der Bewegungsrichtungen bemerken Waumlhrend es Pompeius gefaumllltzu fliehen (2598) wird der Stier wenn ihm seine Muskeln gefallen (2605) angrei-fen

9) Vgl van Campen (wie Anm 3) 373 Fantham (wie Anm 3) 196 ff hier vorallem die Hinweise auf die reddita agmina (2605 f) und den pastor (2607)

lich mit der Apostrophe lassata triumphis descivit Fortuna tuis(2727 f) kommentiert wird

Tatsaumlchlich ist das Gleichnis aber keineswegs irrefuumlhrend Eslaumlsst sich allerdings aus zwei verschiedenen Perspektiven lesen diees beide zu beachten und voneinander zu trennen gilt Da ist zu-naumlchst das ganz subjektive Empfinden des Pompeius der Caesarbesiegen will und sich dazu befaumlhigt glaubt10 Da seine Truppenihm nicht folgen ist er zwar fuumlrs Erste gleichsam geschlagen aberer gibt nicht sofort auf Diese heroische Haltung illustriert dasGleichnis uumlberzeugend und insofern existiert ein Tertium compa-rationis11

Fuumlr den Leser besteht jedoch gleichzeitig die Moumlglichkeit diePassage im groumlszligeren Zusammenhang zu sehen Dabei ist wohl ne-ben den oben behandelten Stiervergleichen der Aeneis auch das ndashfreilich an sich ganz anders akzentuierte ndash Gleichnis fuumlr Agamem-non im Β der Ilias12 bedeutend da es sich wegen einiger Parallelenauf bemerkenswerte Weise mit Lucans Bild vergleichen laumlsst Nachder περα unmittelbar vor dem Schiffskatalog wird Agamemnonals sehr heroischer Stier beschrieben

ΰτε βο13ς γέληφι μέγ ξοχος πλετο πάντωντα13ρος γάρ τε βόεσσι μεταπρέπει γρομένσιτοον ρ $τρεΐδην θ(κε Ζε+ς ματι κείν0κπρεπέ 0ν πολλοσι κα1 ξοχον 2ρώεσσιν

(Il 2480ndash483)

Zwar sind sich Agamemnon und Pompeius darin aumlhnlich dass siebeide eine Probe der Soldaten vornehmen und danach mit einemStier verglichen werden aber im Wesentlichen sind sie und die Tiere mit denen sie in Beziehung gebracht sind recht verschiedenAbgesehen davon dass Agamemnon eben als unumschraumlnkter An-

166 Markus Kers t en

10) Vgl auch Pompeiusrsquo Rede (2555 ff) te [sc Caesar] quoque si superi titulis accedere nostris iusserunt valet en torquendo dextera pilo

11) Vgl Lebek (wie Anm 2) 190 mit Anm 36 Das Gleichnis kann auch alsAufwertung des Pompeius gegenuumlber Caesar und als Ausdruck seiner Haltung (wieauch der seiner Gefolgsleute aus deren Reihen eben kein Laelius hervortritt) ver-standen werden

12) Vgl etwa M Lausberg Lucan und Homer ANRW II 323 (1985) 1565 ffvan Campen (wie Anm 3) 372

fuumlhrer der Herde dargestellt wird waumlhrend es von Pompeius heiszligtpulsus ut armentis (2601) will Agamemnon in der Absicht seineSoldaten zum Kampf zu spornen die Maumlnner zunaumlchst zur Auf -gabe uumlberreden damit die eingeweihten Fuumlrsten sie dann zuruumlck-halten und wohl nur desto mehr anstacheln koumlnnen (λλ γετ α5κέν πως θωρήξομεν υ8ας $χαι9νmiddot 272ndash75) Pompeius hat zwarebenfalls die Absicht seine Soldaten zum Kaumlmpfen zu ermutigen(iamque secuturo iussurus classica Phoebo 2528) haumllt dafuumlr abergeradeheraus ndash sozusagen nur typisch selbstbewusst ndash eine Rede

Der Plan des Agamemnon geht auf der des Pompeius nichtTatsaumlchlich folgt nach der temptatio des Pompeius auch kein Trup-penkatalog Da seine Rede die Soldaten nicht uumlberzeugen konntehat er mithin im Gegensatz zu Agamemnon auch keinen Anlassheroisch hervorzuleuchten Mag der historische Pompeius sich alsAgamemnon gesehen und inszeniert haben13 bei Lucan verbindetsie wenig

Aber auch mit Turnus hat er tatsaumlchlich weniger gemein als zu Anfang vielleicht noch gedacht Der todgeweihte Turnus ruumlstetsich zum Kampf und wird dann mit einem Stier verglichen Dertodgeweihte Pompeius aber bricht die Kriegsvorbereitungen abund flieht Pompeius wird schlieszliglich auch nicht dasselbe Ende finden wie Turnus denn dieser stirbt nach einem Zweikampf waumlh-rend jener heimtuumlckisch ermordet wird ndash Auszligerdem hat er in allden Jahren nichts fuumlr die Vorbereitung getan

[ ] alter vergentibus annisin senium longoque togae tranquillior usudedidicit iam pace ducem famaeque petitormulta dare in volgus totus popularibus aurisinpelli plausuque sui gaudere theatrinec reparare novas vires multumque prioricredere fortunae

(Lucan 1129ndash135)

167Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

13) Vgl Lausberg (wie Anm 12) 1577 und E Champlin Agamemnon atRome Roman Dynasts and Greek Heroes in D Braund C Gill (edd) MythsHistory and Culture in Republican Rome Exeter 2003 295ndash315 zu Pompeius 295ndash305 Die Selbstdarstellung als bdquoKoumlnig der Koumlnigeldquo ist besonders greifbar im Thea-terbau des Jahres 55 der von Lucan eigens erwaumlhnt wird (1133) vgl auch Roche(wie Anm 6) 183 ad loc

Dies sind die ersten Worte die Lucan uumlber seinen Pompeius sagtWaumlhrend Pompeius selbst natuumlrlich weder diese Einsicht noch dasVorwissen des Lesers hat kann dieser die Lage des bedraumlngtenHeerfuumlhrers im Buch 2 auf der Grundlage jener Voraussetzungenbeurteilen Aus dieser sbquoobjektivenlsquo Perspektive ist es dann freilichsehr zweifelhaft dass Pompeius tatsaumlchlich mit einem Stier zu ver-gleichen sei der so angelegentlich auf seine Revanche hinarbeitetFuumlr den Stier in den Georgica ist sie immerhin wahrscheinlich (unddies desto mehr je mehr der oblitus hostis [3236] sich so verhaltenhat wie es Lucan von Pompeius berichtet) ndash die Siegesgewissheitim Gleichnis fuumlr Pompeius ist jedoch unerwartet vielleicht garunberecht ig t und dissoniert vor dem Hintergrund der beidenGleichnisse aus der Aeneis erst recht mit dem schmachvollen Ruumlck-zug des alten Feldherrn Dem Leser mag Pompeius dann also ge-rade wegen dieses Gleichnisses nun noch desto schwaumlcher und weniger heroisch erscheinen waumlhrend doch eben erst vermittelstder Darstellung seiner eigenen Perspektive seine Ehrwuumlrdigkeit14

wie seine Entschlossenheit in dem Gleichnis betont worden waren

2 Das Akrostichon als Vorausdeutung des Kommenden

Mit Blick auf die Vielschichtigkeit des Gleichnisses bekom-men die Anfangsbuchstaben der Verse 2604ndash608 eine sehr reiz-volle Wirkung NEQuIT15 ndash Dass es sich dabei um ein bewusstkomponiertes Akrostichon handelt16 ist angesichts der Laumlnge der

168 Markus Kers t en

14) Vgl hierzu auch Lebek (wie Anm 2) 190 zur vox veneranda (2530) desPompeius

15) Das Verb nequire benutzt Lucan nur noch zweimal sonst weit spaumlter imWerk in 6823 und 8268 beide Male im Sinne von schicksalhafter NotwendigkeitBei der zweiten Stelle handelt es sich um Pompeiusrsquo eigene Worte er spricht sie nachder Schlacht von Pharsalus in einer Senatssitzung nec sic mea fata premuntur utnequeam relevare caput (8267ndash268) ndash kurze Zeit spaumlter stirbt er verhuumlllten Haup-tes

16) Vgl I Hilberg Ist die Ilias Latina von einem Italicus verfasst oder einemItalicus gewidmet WS 21 (1899) 264ndash305 In der Liste der lateinischen sbquoZufalls-akrostichalsquo ist es nicht enthalten hier werden aber nur Beispiele beruumlcksichtigt dieausschlieszliglich aus den jeweils zeilenersten Buchstaben bestehen C Schubert EinZeugnis aus Neros Dichterkreis Zu den Kryptogrammen der Ilias Latina WJA 23(1999) 137ndash141 arbeitet die Kryptogramme der Ilias Latina als Phaumlnomen der Lite-raturszene unter Nero heraus

Luumlckenlosigkeit der Textsicherheit17 und der inhaltlichen Ange-messenheit immerhin wahrscheinlich18 Wenn man zusaumltzlich nochdie Verse 2600ndash603 betrachtet deren erster allerdings nicht zumText des Gleichnisses gehoumlrt ergibt sich sogar die metrisch19 auf-faumlllige und recht einpraumlgsame Verbindung ipse nequit ndash unmissver-staumlndlicher kann ein Unvermoumlgen wohl nicht ausgedruumlckt werdenWenn die Diskrepanz zwischen Figuren- und Leserwissen bereitsdeutlich geworden ist bieten sich diese Worte nachgerade dazu anals ein versteckter Kommentar genommen zu werden

Sollte das ihre Funktion sein Die akrostichische Bemerkungscheint jedenfalls zu unterstreichen was sich in dem auffaumllligenmox victor zu dem sie im Gegensatz steht bereits andeutet undwas dem Leser im Vergleich mit den oben genannten Texten bereitsaufgefallen sein mag Das Gleichnis ist doppeldeutig und insofernwiderspruumlchlich Was jeder weiszlig was aber innerhalb der Chrono-logie des Bellum Civile noch ungewiss ist wird hier eindeutig ge-sagt Pompeius selbst kann es nicht er wird nicht zuruumlckkehren

Wenn es sich hierbei nicht um ein Zufallsakrostichon han-delt so erweist sich zum einen die differenzierte Betrachtung desGleichnisses als gerechtfertigt und zum anderen wird das Interes-se des Lesers auf die zu erwartende dichterische Ausgestaltung desbevorstehenden Untergangs gelenkt In diesem Fall eruumlbrigt sichauch die Suche nach einem Tertium comparationis das keinen Wi-derspruch zwischen der Situation des Verglichenen (Pompeius) und dem Vorwissen des Lesers entstehen laumlsst Die Ambiguitaumlt desGleichnisses ist beabsichtigt und wird durch das Akrostichon be-tont20 Wie es in der ersten Haumllfte der Passage (600ndash603) heiszligtgleicht Pompeius einem geschlagenen Stier und es ist anzunehmendass er eine triumphale und ndash auch in den vergilischen Stierbildern ndashnie dagewesene Ruumlckkehr fest e rwar te t 21 Allerdings muss man

169Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

17) Vgl Hilberg (wie Anm 16) 267 zur Ilias Latina bdquoWaumlren also die acht-buchstabigen Akrosticha Italicus am Beginn und scripsit am Ende der Ilias Latinauumlber l i e f e r t dann waumlre es geradezu Wahnsinn dies einem Zufall zuzuschreibenldquo

18) Der in Rede stehende Befund passt gut zu den auf Erfahrungswerten basierenden bdquovorlaumlufigen Leitlinienldquo die S Koster Ille Ego Qui Dichter zwischenWort und Macht Erlangen 1988 103 fuumlr Kryptogramme anfuumlhrt

19) Vgl Koster (wie Anm 18) 103 Kriterium (6)20) Vgl Fantham (wie Anm 3) 197 f21) Vgl hierzu Fantham (wie Anm 3) 197 Dass Pompeius etwas Derartiges

erhoffe wird freilich nicht explizit gesagt allerdings hieszlig es uumlber ihn ja in 1134 fmultumque priori credere fortunae

wegen der Bemerkung ipse nequit nun vielleicht erst recht fragenob ihm nicht auch selbst diese Hoffnung als uumlberzogen erscheinensollte Insofern illustriert das Gleichnis va im zweiten Teil die falsche und gewissermaszligen tragische Selbsteinschaumltzung des Pom-peius die der Erzaumlhler bereits in 1129 ff als Charakteristikum derFigur dargestellt hatte Fuumlr den Leser ist der moumlgliche Perspektiv-wechsel und die Folge der sich daraus ergebenden Erkenntnisse sicher besonders reizvoll

Interessant ist schlieszliglich die Frage warum Pompeius mit einem derartig komplizierten Gleichnis gewuumlrdigt wird Eine Ant-wort ergibt sich moumlglicherweise aus dem oben zitierten Stierbilddes dritten Georgica-Buches zu dem Lucans Stelle wohl nicht vonungefaumlhr die groumlszligte textliche Naumlhe hat Da ist vor allem die Vor-stellung vom Stier als Verbanntem (victus abit longeque ignotis ex-sulat oris georg 3225) die Lucan offensichtlich uumlbernommen hatPompeius der geflohen ist wird im Verlauf des Werkes immer wie-der als exul bezeichnet22 Das Akrostichon stellt die Unmoumlglichkeitdes Gegenteils heraus indem es expliziert dass er selbst nicht zu-ruumlckkehren kann Damit wird das Augenmerk auf jene Georgica-Stelle gelenkt Der Stier dort ist kein epischer Held auch ist derKontext an sich unheroisch wenngleich eine militaumlrische Konnota-tion nicht zu uumlbersehen ist Ein wesentliches Element dieses Stier-bildes jedoch war die Wirkung der Niederlage das Ausgestoszligen-sein sowie das damit verbundene Leid Dies wurde wie gesagt alsein zu vermeidendes Geschehnis dargestellt In der Tat passt all diessehr gut auf Pompeius Mitleid wohl auch Wohlwollen gegenuumlbereinem Verlierer der nicht haumltte verlieren muumlssen oder duumlrfen23 ndash ein

170 Markus Kers t en

22) 2730 7379703 820983723) Die Passage kann damit gut in die breite Diskussion um die Vorankuumln-

digung der Ermordung des Feldherrn einbezogen werden Zu Lucans Versen1685 f hunc ego fluminea deformis truncus harena qui iacet agnosco und Ver-gils Bemerkung uumlber Priamos (Aen 2557 f iacet ingens litore truncus avulsum-que umeris caput et sine nomine corpus) vgl etwa Roche (wie Anm 6) 387 bdquothis connection underscores Pompeyrsquos death as emblematic of the destruction of thecommunity he represents in BC just as the details of Priamrsquos body form the climac -tic representation of the destruction of Troy at Verg Aen 2554ndash7ldquo va aber Ro-ches Verweis auf Senecas Agamemnon (901ndash3 habet peractum est pendet exiguamale caput amputatum parte et hinc trunco cruor exundat illinc ora cum fremi-tu iacent) mag in Hinsicht auf das vorliegende Gleichnis das ja u a Pompeiusrsquo Ver-haumlltnis zu Agamemnon behandelt von Interesse sein

Mitleid freilich das nicht zuletzt wegen der uumlbersteigerten Empha-se des mox victor deutlich im Kontext von Schwaumlche vielleicht garSchuld steht und insofern das Problematische an Pompeius keines-wegs verschweigt

Als epische Figur erhaumllt Lucans Pompeius also ein scheinbartraditionelles heroisches Gleichnis wobei aber das auf verschie -dene Praumltexte verweisende Motiv ermoumlglicht dessen Aussage (undsomit schlieszliglich Pompeiusrsquo Eignung als traditioneller epischerHeld) ernsthaft zu hinterfragen Fuumlr eine derartige Interpretationmag das Akrostichon ein bemerkenswerter Hinweis sein

Rostock Markus Kers t en

171Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

lich mit der Apostrophe lassata triumphis descivit Fortuna tuis(2727 f) kommentiert wird

Tatsaumlchlich ist das Gleichnis aber keineswegs irrefuumlhrend Eslaumlsst sich allerdings aus zwei verschiedenen Perspektiven lesen diees beide zu beachten und voneinander zu trennen gilt Da ist zu-naumlchst das ganz subjektive Empfinden des Pompeius der Caesarbesiegen will und sich dazu befaumlhigt glaubt10 Da seine Truppenihm nicht folgen ist er zwar fuumlrs Erste gleichsam geschlagen aberer gibt nicht sofort auf Diese heroische Haltung illustriert dasGleichnis uumlberzeugend und insofern existiert ein Tertium compa-rationis11

Fuumlr den Leser besteht jedoch gleichzeitig die Moumlglichkeit diePassage im groumlszligeren Zusammenhang zu sehen Dabei ist wohl ne-ben den oben behandelten Stiervergleichen der Aeneis auch das ndashfreilich an sich ganz anders akzentuierte ndash Gleichnis fuumlr Agamem-non im Β der Ilias12 bedeutend da es sich wegen einiger Parallelenauf bemerkenswerte Weise mit Lucans Bild vergleichen laumlsst Nachder περα unmittelbar vor dem Schiffskatalog wird Agamemnonals sehr heroischer Stier beschrieben

ΰτε βο13ς γέληφι μέγ ξοχος πλετο πάντωντα13ρος γάρ τε βόεσσι μεταπρέπει γρομένσιτοον ρ $τρεΐδην θ(κε Ζε+ς ματι κείν0κπρεπέ 0ν πολλοσι κα1 ξοχον 2ρώεσσιν

(Il 2480ndash483)

Zwar sind sich Agamemnon und Pompeius darin aumlhnlich dass siebeide eine Probe der Soldaten vornehmen und danach mit einemStier verglichen werden aber im Wesentlichen sind sie und die Tiere mit denen sie in Beziehung gebracht sind recht verschiedenAbgesehen davon dass Agamemnon eben als unumschraumlnkter An-

166 Markus Kers t en

10) Vgl auch Pompeiusrsquo Rede (2555 ff) te [sc Caesar] quoque si superi titulis accedere nostris iusserunt valet en torquendo dextera pilo

11) Vgl Lebek (wie Anm 2) 190 mit Anm 36 Das Gleichnis kann auch alsAufwertung des Pompeius gegenuumlber Caesar und als Ausdruck seiner Haltung (wieauch der seiner Gefolgsleute aus deren Reihen eben kein Laelius hervortritt) ver-standen werden

12) Vgl etwa M Lausberg Lucan und Homer ANRW II 323 (1985) 1565 ffvan Campen (wie Anm 3) 372

fuumlhrer der Herde dargestellt wird waumlhrend es von Pompeius heiszligtpulsus ut armentis (2601) will Agamemnon in der Absicht seineSoldaten zum Kampf zu spornen die Maumlnner zunaumlchst zur Auf -gabe uumlberreden damit die eingeweihten Fuumlrsten sie dann zuruumlck-halten und wohl nur desto mehr anstacheln koumlnnen (λλ γετ α5κέν πως θωρήξομεν υ8ας $χαι9νmiddot 272ndash75) Pompeius hat zwarebenfalls die Absicht seine Soldaten zum Kaumlmpfen zu ermutigen(iamque secuturo iussurus classica Phoebo 2528) haumllt dafuumlr abergeradeheraus ndash sozusagen nur typisch selbstbewusst ndash eine Rede

Der Plan des Agamemnon geht auf der des Pompeius nichtTatsaumlchlich folgt nach der temptatio des Pompeius auch kein Trup-penkatalog Da seine Rede die Soldaten nicht uumlberzeugen konntehat er mithin im Gegensatz zu Agamemnon auch keinen Anlassheroisch hervorzuleuchten Mag der historische Pompeius sich alsAgamemnon gesehen und inszeniert haben13 bei Lucan verbindetsie wenig

Aber auch mit Turnus hat er tatsaumlchlich weniger gemein als zu Anfang vielleicht noch gedacht Der todgeweihte Turnus ruumlstetsich zum Kampf und wird dann mit einem Stier verglichen Dertodgeweihte Pompeius aber bricht die Kriegsvorbereitungen abund flieht Pompeius wird schlieszliglich auch nicht dasselbe Ende finden wie Turnus denn dieser stirbt nach einem Zweikampf waumlh-rend jener heimtuumlckisch ermordet wird ndash Auszligerdem hat er in allden Jahren nichts fuumlr die Vorbereitung getan

[ ] alter vergentibus annisin senium longoque togae tranquillior usudedidicit iam pace ducem famaeque petitormulta dare in volgus totus popularibus aurisinpelli plausuque sui gaudere theatrinec reparare novas vires multumque prioricredere fortunae

(Lucan 1129ndash135)

167Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

13) Vgl Lausberg (wie Anm 12) 1577 und E Champlin Agamemnon atRome Roman Dynasts and Greek Heroes in D Braund C Gill (edd) MythsHistory and Culture in Republican Rome Exeter 2003 295ndash315 zu Pompeius 295ndash305 Die Selbstdarstellung als bdquoKoumlnig der Koumlnigeldquo ist besonders greifbar im Thea-terbau des Jahres 55 der von Lucan eigens erwaumlhnt wird (1133) vgl auch Roche(wie Anm 6) 183 ad loc

Dies sind die ersten Worte die Lucan uumlber seinen Pompeius sagtWaumlhrend Pompeius selbst natuumlrlich weder diese Einsicht noch dasVorwissen des Lesers hat kann dieser die Lage des bedraumlngtenHeerfuumlhrers im Buch 2 auf der Grundlage jener Voraussetzungenbeurteilen Aus dieser sbquoobjektivenlsquo Perspektive ist es dann freilichsehr zweifelhaft dass Pompeius tatsaumlchlich mit einem Stier zu ver-gleichen sei der so angelegentlich auf seine Revanche hinarbeitetFuumlr den Stier in den Georgica ist sie immerhin wahrscheinlich (unddies desto mehr je mehr der oblitus hostis [3236] sich so verhaltenhat wie es Lucan von Pompeius berichtet) ndash die Siegesgewissheitim Gleichnis fuumlr Pompeius ist jedoch unerwartet vielleicht garunberecht ig t und dissoniert vor dem Hintergrund der beidenGleichnisse aus der Aeneis erst recht mit dem schmachvollen Ruumlck-zug des alten Feldherrn Dem Leser mag Pompeius dann also ge-rade wegen dieses Gleichnisses nun noch desto schwaumlcher und weniger heroisch erscheinen waumlhrend doch eben erst vermittelstder Darstellung seiner eigenen Perspektive seine Ehrwuumlrdigkeit14

wie seine Entschlossenheit in dem Gleichnis betont worden waren

2 Das Akrostichon als Vorausdeutung des Kommenden

Mit Blick auf die Vielschichtigkeit des Gleichnisses bekom-men die Anfangsbuchstaben der Verse 2604ndash608 eine sehr reiz-volle Wirkung NEQuIT15 ndash Dass es sich dabei um ein bewusstkomponiertes Akrostichon handelt16 ist angesichts der Laumlnge der

168 Markus Kers t en

14) Vgl hierzu auch Lebek (wie Anm 2) 190 zur vox veneranda (2530) desPompeius

15) Das Verb nequire benutzt Lucan nur noch zweimal sonst weit spaumlter imWerk in 6823 und 8268 beide Male im Sinne von schicksalhafter NotwendigkeitBei der zweiten Stelle handelt es sich um Pompeiusrsquo eigene Worte er spricht sie nachder Schlacht von Pharsalus in einer Senatssitzung nec sic mea fata premuntur utnequeam relevare caput (8267ndash268) ndash kurze Zeit spaumlter stirbt er verhuumlllten Haup-tes

16) Vgl I Hilberg Ist die Ilias Latina von einem Italicus verfasst oder einemItalicus gewidmet WS 21 (1899) 264ndash305 In der Liste der lateinischen sbquoZufalls-akrostichalsquo ist es nicht enthalten hier werden aber nur Beispiele beruumlcksichtigt dieausschlieszliglich aus den jeweils zeilenersten Buchstaben bestehen C Schubert EinZeugnis aus Neros Dichterkreis Zu den Kryptogrammen der Ilias Latina WJA 23(1999) 137ndash141 arbeitet die Kryptogramme der Ilias Latina als Phaumlnomen der Lite-raturszene unter Nero heraus

Luumlckenlosigkeit der Textsicherheit17 und der inhaltlichen Ange-messenheit immerhin wahrscheinlich18 Wenn man zusaumltzlich nochdie Verse 2600ndash603 betrachtet deren erster allerdings nicht zumText des Gleichnisses gehoumlrt ergibt sich sogar die metrisch19 auf-faumlllige und recht einpraumlgsame Verbindung ipse nequit ndash unmissver-staumlndlicher kann ein Unvermoumlgen wohl nicht ausgedruumlckt werdenWenn die Diskrepanz zwischen Figuren- und Leserwissen bereitsdeutlich geworden ist bieten sich diese Worte nachgerade dazu anals ein versteckter Kommentar genommen zu werden

Sollte das ihre Funktion sein Die akrostichische Bemerkungscheint jedenfalls zu unterstreichen was sich in dem auffaumllligenmox victor zu dem sie im Gegensatz steht bereits andeutet undwas dem Leser im Vergleich mit den oben genannten Texten bereitsaufgefallen sein mag Das Gleichnis ist doppeldeutig und insofernwiderspruumlchlich Was jeder weiszlig was aber innerhalb der Chrono-logie des Bellum Civile noch ungewiss ist wird hier eindeutig ge-sagt Pompeius selbst kann es nicht er wird nicht zuruumlckkehren

Wenn es sich hierbei nicht um ein Zufallsakrostichon han-delt so erweist sich zum einen die differenzierte Betrachtung desGleichnisses als gerechtfertigt und zum anderen wird das Interes-se des Lesers auf die zu erwartende dichterische Ausgestaltung desbevorstehenden Untergangs gelenkt In diesem Fall eruumlbrigt sichauch die Suche nach einem Tertium comparationis das keinen Wi-derspruch zwischen der Situation des Verglichenen (Pompeius) und dem Vorwissen des Lesers entstehen laumlsst Die Ambiguitaumlt desGleichnisses ist beabsichtigt und wird durch das Akrostichon be-tont20 Wie es in der ersten Haumllfte der Passage (600ndash603) heiszligtgleicht Pompeius einem geschlagenen Stier und es ist anzunehmendass er eine triumphale und ndash auch in den vergilischen Stierbildern ndashnie dagewesene Ruumlckkehr fest e rwar te t 21 Allerdings muss man

169Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

17) Vgl Hilberg (wie Anm 16) 267 zur Ilias Latina bdquoWaumlren also die acht-buchstabigen Akrosticha Italicus am Beginn und scripsit am Ende der Ilias Latinauumlber l i e f e r t dann waumlre es geradezu Wahnsinn dies einem Zufall zuzuschreibenldquo

18) Der in Rede stehende Befund passt gut zu den auf Erfahrungswerten basierenden bdquovorlaumlufigen Leitlinienldquo die S Koster Ille Ego Qui Dichter zwischenWort und Macht Erlangen 1988 103 fuumlr Kryptogramme anfuumlhrt

19) Vgl Koster (wie Anm 18) 103 Kriterium (6)20) Vgl Fantham (wie Anm 3) 197 f21) Vgl hierzu Fantham (wie Anm 3) 197 Dass Pompeius etwas Derartiges

erhoffe wird freilich nicht explizit gesagt allerdings hieszlig es uumlber ihn ja in 1134 fmultumque priori credere fortunae

wegen der Bemerkung ipse nequit nun vielleicht erst recht fragenob ihm nicht auch selbst diese Hoffnung als uumlberzogen erscheinensollte Insofern illustriert das Gleichnis va im zweiten Teil die falsche und gewissermaszligen tragische Selbsteinschaumltzung des Pom-peius die der Erzaumlhler bereits in 1129 ff als Charakteristikum derFigur dargestellt hatte Fuumlr den Leser ist der moumlgliche Perspektiv-wechsel und die Folge der sich daraus ergebenden Erkenntnisse sicher besonders reizvoll

Interessant ist schlieszliglich die Frage warum Pompeius mit einem derartig komplizierten Gleichnis gewuumlrdigt wird Eine Ant-wort ergibt sich moumlglicherweise aus dem oben zitierten Stierbilddes dritten Georgica-Buches zu dem Lucans Stelle wohl nicht vonungefaumlhr die groumlszligte textliche Naumlhe hat Da ist vor allem die Vor-stellung vom Stier als Verbanntem (victus abit longeque ignotis ex-sulat oris georg 3225) die Lucan offensichtlich uumlbernommen hatPompeius der geflohen ist wird im Verlauf des Werkes immer wie-der als exul bezeichnet22 Das Akrostichon stellt die Unmoumlglichkeitdes Gegenteils heraus indem es expliziert dass er selbst nicht zu-ruumlckkehren kann Damit wird das Augenmerk auf jene Georgica-Stelle gelenkt Der Stier dort ist kein epischer Held auch ist derKontext an sich unheroisch wenngleich eine militaumlrische Konnota-tion nicht zu uumlbersehen ist Ein wesentliches Element dieses Stier-bildes jedoch war die Wirkung der Niederlage das Ausgestoszligen-sein sowie das damit verbundene Leid Dies wurde wie gesagt alsein zu vermeidendes Geschehnis dargestellt In der Tat passt all diessehr gut auf Pompeius Mitleid wohl auch Wohlwollen gegenuumlbereinem Verlierer der nicht haumltte verlieren muumlssen oder duumlrfen23 ndash ein

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22) 2730 7379703 820983723) Die Passage kann damit gut in die breite Diskussion um die Vorankuumln-

digung der Ermordung des Feldherrn einbezogen werden Zu Lucans Versen1685 f hunc ego fluminea deformis truncus harena qui iacet agnosco und Ver-gils Bemerkung uumlber Priamos (Aen 2557 f iacet ingens litore truncus avulsum-que umeris caput et sine nomine corpus) vgl etwa Roche (wie Anm 6) 387 bdquothis connection underscores Pompeyrsquos death as emblematic of the destruction of thecommunity he represents in BC just as the details of Priamrsquos body form the climac -tic representation of the destruction of Troy at Verg Aen 2554ndash7ldquo va aber Ro-ches Verweis auf Senecas Agamemnon (901ndash3 habet peractum est pendet exiguamale caput amputatum parte et hinc trunco cruor exundat illinc ora cum fremi-tu iacent) mag in Hinsicht auf das vorliegende Gleichnis das ja u a Pompeiusrsquo Ver-haumlltnis zu Agamemnon behandelt von Interesse sein

Mitleid freilich das nicht zuletzt wegen der uumlbersteigerten Empha-se des mox victor deutlich im Kontext von Schwaumlche vielleicht garSchuld steht und insofern das Problematische an Pompeius keines-wegs verschweigt

Als epische Figur erhaumllt Lucans Pompeius also ein scheinbartraditionelles heroisches Gleichnis wobei aber das auf verschie -dene Praumltexte verweisende Motiv ermoumlglicht dessen Aussage (undsomit schlieszliglich Pompeiusrsquo Eignung als traditioneller epischerHeld) ernsthaft zu hinterfragen Fuumlr eine derartige Interpretationmag das Akrostichon ein bemerkenswerter Hinweis sein

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171Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

fuumlhrer der Herde dargestellt wird waumlhrend es von Pompeius heiszligtpulsus ut armentis (2601) will Agamemnon in der Absicht seineSoldaten zum Kampf zu spornen die Maumlnner zunaumlchst zur Auf -gabe uumlberreden damit die eingeweihten Fuumlrsten sie dann zuruumlck-halten und wohl nur desto mehr anstacheln koumlnnen (λλ γετ α5κέν πως θωρήξομεν υ8ας $χαι9νmiddot 272ndash75) Pompeius hat zwarebenfalls die Absicht seine Soldaten zum Kaumlmpfen zu ermutigen(iamque secuturo iussurus classica Phoebo 2528) haumllt dafuumlr abergeradeheraus ndash sozusagen nur typisch selbstbewusst ndash eine Rede

Der Plan des Agamemnon geht auf der des Pompeius nichtTatsaumlchlich folgt nach der temptatio des Pompeius auch kein Trup-penkatalog Da seine Rede die Soldaten nicht uumlberzeugen konntehat er mithin im Gegensatz zu Agamemnon auch keinen Anlassheroisch hervorzuleuchten Mag der historische Pompeius sich alsAgamemnon gesehen und inszeniert haben13 bei Lucan verbindetsie wenig

Aber auch mit Turnus hat er tatsaumlchlich weniger gemein als zu Anfang vielleicht noch gedacht Der todgeweihte Turnus ruumlstetsich zum Kampf und wird dann mit einem Stier verglichen Dertodgeweihte Pompeius aber bricht die Kriegsvorbereitungen abund flieht Pompeius wird schlieszliglich auch nicht dasselbe Ende finden wie Turnus denn dieser stirbt nach einem Zweikampf waumlh-rend jener heimtuumlckisch ermordet wird ndash Auszligerdem hat er in allden Jahren nichts fuumlr die Vorbereitung getan

[ ] alter vergentibus annisin senium longoque togae tranquillior usudedidicit iam pace ducem famaeque petitormulta dare in volgus totus popularibus aurisinpelli plausuque sui gaudere theatrinec reparare novas vires multumque prioricredere fortunae

(Lucan 1129ndash135)

167Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

13) Vgl Lausberg (wie Anm 12) 1577 und E Champlin Agamemnon atRome Roman Dynasts and Greek Heroes in D Braund C Gill (edd) MythsHistory and Culture in Republican Rome Exeter 2003 295ndash315 zu Pompeius 295ndash305 Die Selbstdarstellung als bdquoKoumlnig der Koumlnigeldquo ist besonders greifbar im Thea-terbau des Jahres 55 der von Lucan eigens erwaumlhnt wird (1133) vgl auch Roche(wie Anm 6) 183 ad loc

Dies sind die ersten Worte die Lucan uumlber seinen Pompeius sagtWaumlhrend Pompeius selbst natuumlrlich weder diese Einsicht noch dasVorwissen des Lesers hat kann dieser die Lage des bedraumlngtenHeerfuumlhrers im Buch 2 auf der Grundlage jener Voraussetzungenbeurteilen Aus dieser sbquoobjektivenlsquo Perspektive ist es dann freilichsehr zweifelhaft dass Pompeius tatsaumlchlich mit einem Stier zu ver-gleichen sei der so angelegentlich auf seine Revanche hinarbeitetFuumlr den Stier in den Georgica ist sie immerhin wahrscheinlich (unddies desto mehr je mehr der oblitus hostis [3236] sich so verhaltenhat wie es Lucan von Pompeius berichtet) ndash die Siegesgewissheitim Gleichnis fuumlr Pompeius ist jedoch unerwartet vielleicht garunberecht ig t und dissoniert vor dem Hintergrund der beidenGleichnisse aus der Aeneis erst recht mit dem schmachvollen Ruumlck-zug des alten Feldherrn Dem Leser mag Pompeius dann also ge-rade wegen dieses Gleichnisses nun noch desto schwaumlcher und weniger heroisch erscheinen waumlhrend doch eben erst vermittelstder Darstellung seiner eigenen Perspektive seine Ehrwuumlrdigkeit14

wie seine Entschlossenheit in dem Gleichnis betont worden waren

2 Das Akrostichon als Vorausdeutung des Kommenden

Mit Blick auf die Vielschichtigkeit des Gleichnisses bekom-men die Anfangsbuchstaben der Verse 2604ndash608 eine sehr reiz-volle Wirkung NEQuIT15 ndash Dass es sich dabei um ein bewusstkomponiertes Akrostichon handelt16 ist angesichts der Laumlnge der

168 Markus Kers t en

14) Vgl hierzu auch Lebek (wie Anm 2) 190 zur vox veneranda (2530) desPompeius

15) Das Verb nequire benutzt Lucan nur noch zweimal sonst weit spaumlter imWerk in 6823 und 8268 beide Male im Sinne von schicksalhafter NotwendigkeitBei der zweiten Stelle handelt es sich um Pompeiusrsquo eigene Worte er spricht sie nachder Schlacht von Pharsalus in einer Senatssitzung nec sic mea fata premuntur utnequeam relevare caput (8267ndash268) ndash kurze Zeit spaumlter stirbt er verhuumlllten Haup-tes

16) Vgl I Hilberg Ist die Ilias Latina von einem Italicus verfasst oder einemItalicus gewidmet WS 21 (1899) 264ndash305 In der Liste der lateinischen sbquoZufalls-akrostichalsquo ist es nicht enthalten hier werden aber nur Beispiele beruumlcksichtigt dieausschlieszliglich aus den jeweils zeilenersten Buchstaben bestehen C Schubert EinZeugnis aus Neros Dichterkreis Zu den Kryptogrammen der Ilias Latina WJA 23(1999) 137ndash141 arbeitet die Kryptogramme der Ilias Latina als Phaumlnomen der Lite-raturszene unter Nero heraus

Luumlckenlosigkeit der Textsicherheit17 und der inhaltlichen Ange-messenheit immerhin wahrscheinlich18 Wenn man zusaumltzlich nochdie Verse 2600ndash603 betrachtet deren erster allerdings nicht zumText des Gleichnisses gehoumlrt ergibt sich sogar die metrisch19 auf-faumlllige und recht einpraumlgsame Verbindung ipse nequit ndash unmissver-staumlndlicher kann ein Unvermoumlgen wohl nicht ausgedruumlckt werdenWenn die Diskrepanz zwischen Figuren- und Leserwissen bereitsdeutlich geworden ist bieten sich diese Worte nachgerade dazu anals ein versteckter Kommentar genommen zu werden

Sollte das ihre Funktion sein Die akrostichische Bemerkungscheint jedenfalls zu unterstreichen was sich in dem auffaumllligenmox victor zu dem sie im Gegensatz steht bereits andeutet undwas dem Leser im Vergleich mit den oben genannten Texten bereitsaufgefallen sein mag Das Gleichnis ist doppeldeutig und insofernwiderspruumlchlich Was jeder weiszlig was aber innerhalb der Chrono-logie des Bellum Civile noch ungewiss ist wird hier eindeutig ge-sagt Pompeius selbst kann es nicht er wird nicht zuruumlckkehren

Wenn es sich hierbei nicht um ein Zufallsakrostichon han-delt so erweist sich zum einen die differenzierte Betrachtung desGleichnisses als gerechtfertigt und zum anderen wird das Interes-se des Lesers auf die zu erwartende dichterische Ausgestaltung desbevorstehenden Untergangs gelenkt In diesem Fall eruumlbrigt sichauch die Suche nach einem Tertium comparationis das keinen Wi-derspruch zwischen der Situation des Verglichenen (Pompeius) und dem Vorwissen des Lesers entstehen laumlsst Die Ambiguitaumlt desGleichnisses ist beabsichtigt und wird durch das Akrostichon be-tont20 Wie es in der ersten Haumllfte der Passage (600ndash603) heiszligtgleicht Pompeius einem geschlagenen Stier und es ist anzunehmendass er eine triumphale und ndash auch in den vergilischen Stierbildern ndashnie dagewesene Ruumlckkehr fest e rwar te t 21 Allerdings muss man

169Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

17) Vgl Hilberg (wie Anm 16) 267 zur Ilias Latina bdquoWaumlren also die acht-buchstabigen Akrosticha Italicus am Beginn und scripsit am Ende der Ilias Latinauumlber l i e f e r t dann waumlre es geradezu Wahnsinn dies einem Zufall zuzuschreibenldquo

18) Der in Rede stehende Befund passt gut zu den auf Erfahrungswerten basierenden bdquovorlaumlufigen Leitlinienldquo die S Koster Ille Ego Qui Dichter zwischenWort und Macht Erlangen 1988 103 fuumlr Kryptogramme anfuumlhrt

19) Vgl Koster (wie Anm 18) 103 Kriterium (6)20) Vgl Fantham (wie Anm 3) 197 f21) Vgl hierzu Fantham (wie Anm 3) 197 Dass Pompeius etwas Derartiges

erhoffe wird freilich nicht explizit gesagt allerdings hieszlig es uumlber ihn ja in 1134 fmultumque priori credere fortunae

wegen der Bemerkung ipse nequit nun vielleicht erst recht fragenob ihm nicht auch selbst diese Hoffnung als uumlberzogen erscheinensollte Insofern illustriert das Gleichnis va im zweiten Teil die falsche und gewissermaszligen tragische Selbsteinschaumltzung des Pom-peius die der Erzaumlhler bereits in 1129 ff als Charakteristikum derFigur dargestellt hatte Fuumlr den Leser ist der moumlgliche Perspektiv-wechsel und die Folge der sich daraus ergebenden Erkenntnisse sicher besonders reizvoll

Interessant ist schlieszliglich die Frage warum Pompeius mit einem derartig komplizierten Gleichnis gewuumlrdigt wird Eine Ant-wort ergibt sich moumlglicherweise aus dem oben zitierten Stierbilddes dritten Georgica-Buches zu dem Lucans Stelle wohl nicht vonungefaumlhr die groumlszligte textliche Naumlhe hat Da ist vor allem die Vor-stellung vom Stier als Verbanntem (victus abit longeque ignotis ex-sulat oris georg 3225) die Lucan offensichtlich uumlbernommen hatPompeius der geflohen ist wird im Verlauf des Werkes immer wie-der als exul bezeichnet22 Das Akrostichon stellt die Unmoumlglichkeitdes Gegenteils heraus indem es expliziert dass er selbst nicht zu-ruumlckkehren kann Damit wird das Augenmerk auf jene Georgica-Stelle gelenkt Der Stier dort ist kein epischer Held auch ist derKontext an sich unheroisch wenngleich eine militaumlrische Konnota-tion nicht zu uumlbersehen ist Ein wesentliches Element dieses Stier-bildes jedoch war die Wirkung der Niederlage das Ausgestoszligen-sein sowie das damit verbundene Leid Dies wurde wie gesagt alsein zu vermeidendes Geschehnis dargestellt In der Tat passt all diessehr gut auf Pompeius Mitleid wohl auch Wohlwollen gegenuumlbereinem Verlierer der nicht haumltte verlieren muumlssen oder duumlrfen23 ndash ein

170 Markus Kers t en

22) 2730 7379703 820983723) Die Passage kann damit gut in die breite Diskussion um die Vorankuumln-

digung der Ermordung des Feldherrn einbezogen werden Zu Lucans Versen1685 f hunc ego fluminea deformis truncus harena qui iacet agnosco und Ver-gils Bemerkung uumlber Priamos (Aen 2557 f iacet ingens litore truncus avulsum-que umeris caput et sine nomine corpus) vgl etwa Roche (wie Anm 6) 387 bdquothis connection underscores Pompeyrsquos death as emblematic of the destruction of thecommunity he represents in BC just as the details of Priamrsquos body form the climac -tic representation of the destruction of Troy at Verg Aen 2554ndash7ldquo va aber Ro-ches Verweis auf Senecas Agamemnon (901ndash3 habet peractum est pendet exiguamale caput amputatum parte et hinc trunco cruor exundat illinc ora cum fremi-tu iacent) mag in Hinsicht auf das vorliegende Gleichnis das ja u a Pompeiusrsquo Ver-haumlltnis zu Agamemnon behandelt von Interesse sein

Mitleid freilich das nicht zuletzt wegen der uumlbersteigerten Empha-se des mox victor deutlich im Kontext von Schwaumlche vielleicht garSchuld steht und insofern das Problematische an Pompeius keines-wegs verschweigt

Als epische Figur erhaumllt Lucans Pompeius also ein scheinbartraditionelles heroisches Gleichnis wobei aber das auf verschie -dene Praumltexte verweisende Motiv ermoumlglicht dessen Aussage (undsomit schlieszliglich Pompeiusrsquo Eignung als traditioneller epischerHeld) ernsthaft zu hinterfragen Fuumlr eine derartige Interpretationmag das Akrostichon ein bemerkenswerter Hinweis sein

Rostock Markus Kers t en

171Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

Dies sind die ersten Worte die Lucan uumlber seinen Pompeius sagtWaumlhrend Pompeius selbst natuumlrlich weder diese Einsicht noch dasVorwissen des Lesers hat kann dieser die Lage des bedraumlngtenHeerfuumlhrers im Buch 2 auf der Grundlage jener Voraussetzungenbeurteilen Aus dieser sbquoobjektivenlsquo Perspektive ist es dann freilichsehr zweifelhaft dass Pompeius tatsaumlchlich mit einem Stier zu ver-gleichen sei der so angelegentlich auf seine Revanche hinarbeitetFuumlr den Stier in den Georgica ist sie immerhin wahrscheinlich (unddies desto mehr je mehr der oblitus hostis [3236] sich so verhaltenhat wie es Lucan von Pompeius berichtet) ndash die Siegesgewissheitim Gleichnis fuumlr Pompeius ist jedoch unerwartet vielleicht garunberecht ig t und dissoniert vor dem Hintergrund der beidenGleichnisse aus der Aeneis erst recht mit dem schmachvollen Ruumlck-zug des alten Feldherrn Dem Leser mag Pompeius dann also ge-rade wegen dieses Gleichnisses nun noch desto schwaumlcher und weniger heroisch erscheinen waumlhrend doch eben erst vermittelstder Darstellung seiner eigenen Perspektive seine Ehrwuumlrdigkeit14

wie seine Entschlossenheit in dem Gleichnis betont worden waren

2 Das Akrostichon als Vorausdeutung des Kommenden

Mit Blick auf die Vielschichtigkeit des Gleichnisses bekom-men die Anfangsbuchstaben der Verse 2604ndash608 eine sehr reiz-volle Wirkung NEQuIT15 ndash Dass es sich dabei um ein bewusstkomponiertes Akrostichon handelt16 ist angesichts der Laumlnge der

168 Markus Kers t en

14) Vgl hierzu auch Lebek (wie Anm 2) 190 zur vox veneranda (2530) desPompeius

15) Das Verb nequire benutzt Lucan nur noch zweimal sonst weit spaumlter imWerk in 6823 und 8268 beide Male im Sinne von schicksalhafter NotwendigkeitBei der zweiten Stelle handelt es sich um Pompeiusrsquo eigene Worte er spricht sie nachder Schlacht von Pharsalus in einer Senatssitzung nec sic mea fata premuntur utnequeam relevare caput (8267ndash268) ndash kurze Zeit spaumlter stirbt er verhuumlllten Haup-tes

16) Vgl I Hilberg Ist die Ilias Latina von einem Italicus verfasst oder einemItalicus gewidmet WS 21 (1899) 264ndash305 In der Liste der lateinischen sbquoZufalls-akrostichalsquo ist es nicht enthalten hier werden aber nur Beispiele beruumlcksichtigt dieausschlieszliglich aus den jeweils zeilenersten Buchstaben bestehen C Schubert EinZeugnis aus Neros Dichterkreis Zu den Kryptogrammen der Ilias Latina WJA 23(1999) 137ndash141 arbeitet die Kryptogramme der Ilias Latina als Phaumlnomen der Lite-raturszene unter Nero heraus

Luumlckenlosigkeit der Textsicherheit17 und der inhaltlichen Ange-messenheit immerhin wahrscheinlich18 Wenn man zusaumltzlich nochdie Verse 2600ndash603 betrachtet deren erster allerdings nicht zumText des Gleichnisses gehoumlrt ergibt sich sogar die metrisch19 auf-faumlllige und recht einpraumlgsame Verbindung ipse nequit ndash unmissver-staumlndlicher kann ein Unvermoumlgen wohl nicht ausgedruumlckt werdenWenn die Diskrepanz zwischen Figuren- und Leserwissen bereitsdeutlich geworden ist bieten sich diese Worte nachgerade dazu anals ein versteckter Kommentar genommen zu werden

Sollte das ihre Funktion sein Die akrostichische Bemerkungscheint jedenfalls zu unterstreichen was sich in dem auffaumllligenmox victor zu dem sie im Gegensatz steht bereits andeutet undwas dem Leser im Vergleich mit den oben genannten Texten bereitsaufgefallen sein mag Das Gleichnis ist doppeldeutig und insofernwiderspruumlchlich Was jeder weiszlig was aber innerhalb der Chrono-logie des Bellum Civile noch ungewiss ist wird hier eindeutig ge-sagt Pompeius selbst kann es nicht er wird nicht zuruumlckkehren

Wenn es sich hierbei nicht um ein Zufallsakrostichon han-delt so erweist sich zum einen die differenzierte Betrachtung desGleichnisses als gerechtfertigt und zum anderen wird das Interes-se des Lesers auf die zu erwartende dichterische Ausgestaltung desbevorstehenden Untergangs gelenkt In diesem Fall eruumlbrigt sichauch die Suche nach einem Tertium comparationis das keinen Wi-derspruch zwischen der Situation des Verglichenen (Pompeius) und dem Vorwissen des Lesers entstehen laumlsst Die Ambiguitaumlt desGleichnisses ist beabsichtigt und wird durch das Akrostichon be-tont20 Wie es in der ersten Haumllfte der Passage (600ndash603) heiszligtgleicht Pompeius einem geschlagenen Stier und es ist anzunehmendass er eine triumphale und ndash auch in den vergilischen Stierbildern ndashnie dagewesene Ruumlckkehr fest e rwar te t 21 Allerdings muss man

169Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

17) Vgl Hilberg (wie Anm 16) 267 zur Ilias Latina bdquoWaumlren also die acht-buchstabigen Akrosticha Italicus am Beginn und scripsit am Ende der Ilias Latinauumlber l i e f e r t dann waumlre es geradezu Wahnsinn dies einem Zufall zuzuschreibenldquo

18) Der in Rede stehende Befund passt gut zu den auf Erfahrungswerten basierenden bdquovorlaumlufigen Leitlinienldquo die S Koster Ille Ego Qui Dichter zwischenWort und Macht Erlangen 1988 103 fuumlr Kryptogramme anfuumlhrt

19) Vgl Koster (wie Anm 18) 103 Kriterium (6)20) Vgl Fantham (wie Anm 3) 197 f21) Vgl hierzu Fantham (wie Anm 3) 197 Dass Pompeius etwas Derartiges

erhoffe wird freilich nicht explizit gesagt allerdings hieszlig es uumlber ihn ja in 1134 fmultumque priori credere fortunae

wegen der Bemerkung ipse nequit nun vielleicht erst recht fragenob ihm nicht auch selbst diese Hoffnung als uumlberzogen erscheinensollte Insofern illustriert das Gleichnis va im zweiten Teil die falsche und gewissermaszligen tragische Selbsteinschaumltzung des Pom-peius die der Erzaumlhler bereits in 1129 ff als Charakteristikum derFigur dargestellt hatte Fuumlr den Leser ist der moumlgliche Perspektiv-wechsel und die Folge der sich daraus ergebenden Erkenntnisse sicher besonders reizvoll

Interessant ist schlieszliglich die Frage warum Pompeius mit einem derartig komplizierten Gleichnis gewuumlrdigt wird Eine Ant-wort ergibt sich moumlglicherweise aus dem oben zitierten Stierbilddes dritten Georgica-Buches zu dem Lucans Stelle wohl nicht vonungefaumlhr die groumlszligte textliche Naumlhe hat Da ist vor allem die Vor-stellung vom Stier als Verbanntem (victus abit longeque ignotis ex-sulat oris georg 3225) die Lucan offensichtlich uumlbernommen hatPompeius der geflohen ist wird im Verlauf des Werkes immer wie-der als exul bezeichnet22 Das Akrostichon stellt die Unmoumlglichkeitdes Gegenteils heraus indem es expliziert dass er selbst nicht zu-ruumlckkehren kann Damit wird das Augenmerk auf jene Georgica-Stelle gelenkt Der Stier dort ist kein epischer Held auch ist derKontext an sich unheroisch wenngleich eine militaumlrische Konnota-tion nicht zu uumlbersehen ist Ein wesentliches Element dieses Stier-bildes jedoch war die Wirkung der Niederlage das Ausgestoszligen-sein sowie das damit verbundene Leid Dies wurde wie gesagt alsein zu vermeidendes Geschehnis dargestellt In der Tat passt all diessehr gut auf Pompeius Mitleid wohl auch Wohlwollen gegenuumlbereinem Verlierer der nicht haumltte verlieren muumlssen oder duumlrfen23 ndash ein

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22) 2730 7379703 820983723) Die Passage kann damit gut in die breite Diskussion um die Vorankuumln-

digung der Ermordung des Feldherrn einbezogen werden Zu Lucans Versen1685 f hunc ego fluminea deformis truncus harena qui iacet agnosco und Ver-gils Bemerkung uumlber Priamos (Aen 2557 f iacet ingens litore truncus avulsum-que umeris caput et sine nomine corpus) vgl etwa Roche (wie Anm 6) 387 bdquothis connection underscores Pompeyrsquos death as emblematic of the destruction of thecommunity he represents in BC just as the details of Priamrsquos body form the climac -tic representation of the destruction of Troy at Verg Aen 2554ndash7ldquo va aber Ro-ches Verweis auf Senecas Agamemnon (901ndash3 habet peractum est pendet exiguamale caput amputatum parte et hinc trunco cruor exundat illinc ora cum fremi-tu iacent) mag in Hinsicht auf das vorliegende Gleichnis das ja u a Pompeiusrsquo Ver-haumlltnis zu Agamemnon behandelt von Interesse sein

Mitleid freilich das nicht zuletzt wegen der uumlbersteigerten Empha-se des mox victor deutlich im Kontext von Schwaumlche vielleicht garSchuld steht und insofern das Problematische an Pompeius keines-wegs verschweigt

Als epische Figur erhaumllt Lucans Pompeius also ein scheinbartraditionelles heroisches Gleichnis wobei aber das auf verschie -dene Praumltexte verweisende Motiv ermoumlglicht dessen Aussage (undsomit schlieszliglich Pompeiusrsquo Eignung als traditioneller epischerHeld) ernsthaft zu hinterfragen Fuumlr eine derartige Interpretationmag das Akrostichon ein bemerkenswerter Hinweis sein

Rostock Markus Kers t en

171Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

Luumlckenlosigkeit der Textsicherheit17 und der inhaltlichen Ange-messenheit immerhin wahrscheinlich18 Wenn man zusaumltzlich nochdie Verse 2600ndash603 betrachtet deren erster allerdings nicht zumText des Gleichnisses gehoumlrt ergibt sich sogar die metrisch19 auf-faumlllige und recht einpraumlgsame Verbindung ipse nequit ndash unmissver-staumlndlicher kann ein Unvermoumlgen wohl nicht ausgedruumlckt werdenWenn die Diskrepanz zwischen Figuren- und Leserwissen bereitsdeutlich geworden ist bieten sich diese Worte nachgerade dazu anals ein versteckter Kommentar genommen zu werden

Sollte das ihre Funktion sein Die akrostichische Bemerkungscheint jedenfalls zu unterstreichen was sich in dem auffaumllligenmox victor zu dem sie im Gegensatz steht bereits andeutet undwas dem Leser im Vergleich mit den oben genannten Texten bereitsaufgefallen sein mag Das Gleichnis ist doppeldeutig und insofernwiderspruumlchlich Was jeder weiszlig was aber innerhalb der Chrono-logie des Bellum Civile noch ungewiss ist wird hier eindeutig ge-sagt Pompeius selbst kann es nicht er wird nicht zuruumlckkehren

Wenn es sich hierbei nicht um ein Zufallsakrostichon han-delt so erweist sich zum einen die differenzierte Betrachtung desGleichnisses als gerechtfertigt und zum anderen wird das Interes-se des Lesers auf die zu erwartende dichterische Ausgestaltung desbevorstehenden Untergangs gelenkt In diesem Fall eruumlbrigt sichauch die Suche nach einem Tertium comparationis das keinen Wi-derspruch zwischen der Situation des Verglichenen (Pompeius) und dem Vorwissen des Lesers entstehen laumlsst Die Ambiguitaumlt desGleichnisses ist beabsichtigt und wird durch das Akrostichon be-tont20 Wie es in der ersten Haumllfte der Passage (600ndash603) heiszligtgleicht Pompeius einem geschlagenen Stier und es ist anzunehmendass er eine triumphale und ndash auch in den vergilischen Stierbildern ndashnie dagewesene Ruumlckkehr fest e rwar te t 21 Allerdings muss man

169Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

17) Vgl Hilberg (wie Anm 16) 267 zur Ilias Latina bdquoWaumlren also die acht-buchstabigen Akrosticha Italicus am Beginn und scripsit am Ende der Ilias Latinauumlber l i e f e r t dann waumlre es geradezu Wahnsinn dies einem Zufall zuzuschreibenldquo

18) Der in Rede stehende Befund passt gut zu den auf Erfahrungswerten basierenden bdquovorlaumlufigen Leitlinienldquo die S Koster Ille Ego Qui Dichter zwischenWort und Macht Erlangen 1988 103 fuumlr Kryptogramme anfuumlhrt

19) Vgl Koster (wie Anm 18) 103 Kriterium (6)20) Vgl Fantham (wie Anm 3) 197 f21) Vgl hierzu Fantham (wie Anm 3) 197 Dass Pompeius etwas Derartiges

erhoffe wird freilich nicht explizit gesagt allerdings hieszlig es uumlber ihn ja in 1134 fmultumque priori credere fortunae

wegen der Bemerkung ipse nequit nun vielleicht erst recht fragenob ihm nicht auch selbst diese Hoffnung als uumlberzogen erscheinensollte Insofern illustriert das Gleichnis va im zweiten Teil die falsche und gewissermaszligen tragische Selbsteinschaumltzung des Pom-peius die der Erzaumlhler bereits in 1129 ff als Charakteristikum derFigur dargestellt hatte Fuumlr den Leser ist der moumlgliche Perspektiv-wechsel und die Folge der sich daraus ergebenden Erkenntnisse sicher besonders reizvoll

Interessant ist schlieszliglich die Frage warum Pompeius mit einem derartig komplizierten Gleichnis gewuumlrdigt wird Eine Ant-wort ergibt sich moumlglicherweise aus dem oben zitierten Stierbilddes dritten Georgica-Buches zu dem Lucans Stelle wohl nicht vonungefaumlhr die groumlszligte textliche Naumlhe hat Da ist vor allem die Vor-stellung vom Stier als Verbanntem (victus abit longeque ignotis ex-sulat oris georg 3225) die Lucan offensichtlich uumlbernommen hatPompeius der geflohen ist wird im Verlauf des Werkes immer wie-der als exul bezeichnet22 Das Akrostichon stellt die Unmoumlglichkeitdes Gegenteils heraus indem es expliziert dass er selbst nicht zu-ruumlckkehren kann Damit wird das Augenmerk auf jene Georgica-Stelle gelenkt Der Stier dort ist kein epischer Held auch ist derKontext an sich unheroisch wenngleich eine militaumlrische Konnota-tion nicht zu uumlbersehen ist Ein wesentliches Element dieses Stier-bildes jedoch war die Wirkung der Niederlage das Ausgestoszligen-sein sowie das damit verbundene Leid Dies wurde wie gesagt alsein zu vermeidendes Geschehnis dargestellt In der Tat passt all diessehr gut auf Pompeius Mitleid wohl auch Wohlwollen gegenuumlbereinem Verlierer der nicht haumltte verlieren muumlssen oder duumlrfen23 ndash ein

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22) 2730 7379703 820983723) Die Passage kann damit gut in die breite Diskussion um die Vorankuumln-

digung der Ermordung des Feldherrn einbezogen werden Zu Lucans Versen1685 f hunc ego fluminea deformis truncus harena qui iacet agnosco und Ver-gils Bemerkung uumlber Priamos (Aen 2557 f iacet ingens litore truncus avulsum-que umeris caput et sine nomine corpus) vgl etwa Roche (wie Anm 6) 387 bdquothis connection underscores Pompeyrsquos death as emblematic of the destruction of thecommunity he represents in BC just as the details of Priamrsquos body form the climac -tic representation of the destruction of Troy at Verg Aen 2554ndash7ldquo va aber Ro-ches Verweis auf Senecas Agamemnon (901ndash3 habet peractum est pendet exiguamale caput amputatum parte et hinc trunco cruor exundat illinc ora cum fremi-tu iacent) mag in Hinsicht auf das vorliegende Gleichnis das ja u a Pompeiusrsquo Ver-haumlltnis zu Agamemnon behandelt von Interesse sein

Mitleid freilich das nicht zuletzt wegen der uumlbersteigerten Empha-se des mox victor deutlich im Kontext von Schwaumlche vielleicht garSchuld steht und insofern das Problematische an Pompeius keines-wegs verschweigt

Als epische Figur erhaumllt Lucans Pompeius also ein scheinbartraditionelles heroisches Gleichnis wobei aber das auf verschie -dene Praumltexte verweisende Motiv ermoumlglicht dessen Aussage (undsomit schlieszliglich Pompeiusrsquo Eignung als traditioneller epischerHeld) ernsthaft zu hinterfragen Fuumlr eine derartige Interpretationmag das Akrostichon ein bemerkenswerter Hinweis sein

Rostock Markus Kers t en

171Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

wegen der Bemerkung ipse nequit nun vielleicht erst recht fragenob ihm nicht auch selbst diese Hoffnung als uumlberzogen erscheinensollte Insofern illustriert das Gleichnis va im zweiten Teil die falsche und gewissermaszligen tragische Selbsteinschaumltzung des Pom-peius die der Erzaumlhler bereits in 1129 ff als Charakteristikum derFigur dargestellt hatte Fuumlr den Leser ist der moumlgliche Perspektiv-wechsel und die Folge der sich daraus ergebenden Erkenntnisse sicher besonders reizvoll

Interessant ist schlieszliglich die Frage warum Pompeius mit einem derartig komplizierten Gleichnis gewuumlrdigt wird Eine Ant-wort ergibt sich moumlglicherweise aus dem oben zitierten Stierbilddes dritten Georgica-Buches zu dem Lucans Stelle wohl nicht vonungefaumlhr die groumlszligte textliche Naumlhe hat Da ist vor allem die Vor-stellung vom Stier als Verbanntem (victus abit longeque ignotis ex-sulat oris georg 3225) die Lucan offensichtlich uumlbernommen hatPompeius der geflohen ist wird im Verlauf des Werkes immer wie-der als exul bezeichnet22 Das Akrostichon stellt die Unmoumlglichkeitdes Gegenteils heraus indem es expliziert dass er selbst nicht zu-ruumlckkehren kann Damit wird das Augenmerk auf jene Georgica-Stelle gelenkt Der Stier dort ist kein epischer Held auch ist derKontext an sich unheroisch wenngleich eine militaumlrische Konnota-tion nicht zu uumlbersehen ist Ein wesentliches Element dieses Stier-bildes jedoch war die Wirkung der Niederlage das Ausgestoszligen-sein sowie das damit verbundene Leid Dies wurde wie gesagt alsein zu vermeidendes Geschehnis dargestellt In der Tat passt all diessehr gut auf Pompeius Mitleid wohl auch Wohlwollen gegenuumlbereinem Verlierer der nicht haumltte verlieren muumlssen oder duumlrfen23 ndash ein

170 Markus Kers t en

22) 2730 7379703 820983723) Die Passage kann damit gut in die breite Diskussion um die Vorankuumln-

digung der Ermordung des Feldherrn einbezogen werden Zu Lucans Versen1685 f hunc ego fluminea deformis truncus harena qui iacet agnosco und Ver-gils Bemerkung uumlber Priamos (Aen 2557 f iacet ingens litore truncus avulsum-que umeris caput et sine nomine corpus) vgl etwa Roche (wie Anm 6) 387 bdquothis connection underscores Pompeyrsquos death as emblematic of the destruction of thecommunity he represents in BC just as the details of Priamrsquos body form the climac -tic representation of the destruction of Troy at Verg Aen 2554ndash7ldquo va aber Ro-ches Verweis auf Senecas Agamemnon (901ndash3 habet peractum est pendet exiguamale caput amputatum parte et hinc trunco cruor exundat illinc ora cum fremi-tu iacent) mag in Hinsicht auf das vorliegende Gleichnis das ja u a Pompeiusrsquo Ver-haumlltnis zu Agamemnon behandelt von Interesse sein

Mitleid freilich das nicht zuletzt wegen der uumlbersteigerten Empha-se des mox victor deutlich im Kontext von Schwaumlche vielleicht garSchuld steht und insofern das Problematische an Pompeius keines-wegs verschweigt

Als epische Figur erhaumllt Lucans Pompeius also ein scheinbartraditionelles heroisches Gleichnis wobei aber das auf verschie -dene Praumltexte verweisende Motiv ermoumlglicht dessen Aussage (undsomit schlieszliglich Pompeiusrsquo Eignung als traditioneller epischerHeld) ernsthaft zu hinterfragen Fuumlr eine derartige Interpretationmag das Akrostichon ein bemerkenswerter Hinweis sein

Rostock Markus Kers t en

171Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili

Mitleid freilich das nicht zuletzt wegen der uumlbersteigerten Empha-se des mox victor deutlich im Kontext von Schwaumlche vielleicht garSchuld steht und insofern das Problematische an Pompeius keines-wegs verschweigt

Als epische Figur erhaumllt Lucans Pompeius also ein scheinbartraditionelles heroisches Gleichnis wobei aber das auf verschie -dene Praumltexte verweisende Motiv ermoumlglicht dessen Aussage (undsomit schlieszliglich Pompeiusrsquo Eignung als traditioneller epischerHeld) ernsthaft zu hinterfragen Fuumlr eine derartige Interpretationmag das Akrostichon ein bemerkenswerter Hinweis sein

Rostock Markus Kers t en

171Ein Akrostichon im zweiten Buch De Bello Civili