DER AKTUELLE STAND DER ALTANATOLISTIK IM LICHTE DER NEUESTEN FORSCHUNGSERGEBNISSE EINIGE BRENNPUNKTE

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VII. ULUSLARARASI HiTiTOLOJi KONGRESi BiLDiRILERI Corum 25-31 Agustos 2008 Acts of the VII th International Congress of Hittitology Corum, August 25-31, 2008 Yayina Hazirlayan Aygiil SÜEL II. CiLT VOLUME II Ankara, 2010

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VII. ULUSLARARASI HiTiTOLOJi KONGRESi BiLDiRILERI

Corum 25-31 Agustos 2008

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International Congress of Hittitology

Cor um, August 25-31, 2008

Yayina Hazirlayan Aygiil SÜEL

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VOLUME II

Ankara, 2010

DER AKTUELLE STAND DER ALTANATOLISTIK IM LICHTE DER NEUESTEN FORSCHUNGSERGEBNISSE EINIGE BRENNPUNKTE

Ahmet ÜNAL*

Dieses Referat umfasst diverse Bereiche und Problemkreise zum aktuellen Stand der Altanatolistik. Aus Zeitgründen muss ich mich aber auf wenige „Brennpunkte" beschränken; in der Originalfassung folgen auf eine kurze Einleitung über den Stand und Stellungswert der Hethitologie die Urheimatfrage, die Rolle des Luwiertums, die virtuelle trojanische Archäologie und die Bedeutung der hethitischen Texte. Intendiert war folglich eine gründliche Auswertung der Hethitologie und Altanatolistik insgesamt, da doch in einem stets im Fluss befindlichen Fach wie der Hethitologie es notwendig ist, jede Dekade einen Rückblick der Forschung zu ziehen, die erwiesenen Fakten einzuordnen und die Fehlinterpretationen auszusondern. Seit Walser 1964 ist dies nimmer unternommen worden. Im Augenblick ist das Fach zergliedert zwischen diversen Fachleuten, von denen jeder einzelne nur einen Teilaspekt behandelt. So gesehen ähnelt es den Blinden, von denen ein jeder einen Teil des Elefanten beschreibt.

Dass die Forschungsgebiete Altanatolistik und als deren Teil Hethitologie zu Unrecht langezeit wenig beachtet wurden und dass Anatolien traditionsgemäss stets als Randgebiet der mesopotamischen Hochkulturen betrachtet wurde, hat sich bis heute im wesentlichen gehalten. Noch mehr erstaunlich ist aber seine universellgeschichtlich ephemere Behandlung, wenn man in Betracht zieht, dass vielfältige wissenschaftliche, publizistische und kommerzielle Aktivitäten ein sehr starkes Interesse an der Hethitologie zeigen, von ihr profitieren, sogar darauf ihre Existenz gründen. Andererseits vermitteln aber die gegenwärtigen Tendenzen an den europäischen Universitäten den Eindruck,

Prof. Dr. Ahmet ÜNAL, Universität München und Adana.

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dass die Hethitologie zum Rückzugsfeld erklärt wird; sie wäre wohl schon längst als ein nicht „nutzenbringendes Orchideenfach" völlig gestrichen oder zu einem unbedeutenden Randbereich der Altorientalistik oder der indo-germanischen Sprachwissenschaft marginalisiert worden, wenn das Hethitische nicht zu einem frühest bezeugten indo-europäischen Sprachzweig gehörte und man die Textinhalte künstlich nicht mit Altem Testament und Griechen in Korrelation setzte. An den türkischen Universitäten ist sie dagegen ein nostalgisches Fossil aus den Zeiten von Atatürk, als man noch von den Hethitern als Urtürken „Eti" wähnte und die eigens aus dem Ausland importierten Gastwissenschaftler mit der Lehre und Forschung beauftragte.

Dass die verhältnismässig beschränkten Forschungsgebiete Altanatolistik und, als deren Teil, die Hethitologie zu Unrecht lange Zeit innerhalb der Altertumsforschung und Altorientalistik wenig beachtet worden sind, und dass Anatolien traditionsgemäss stets nur als ein Randgebiet der mesopotamischen Hochkulturen betrachtet wurde, ist eine Einstellung, die sich merkwürdigerweise bis heute im wesentlichen gehalten hat. Leider hatte sich die omnipotente greco-römisch-zentrische Geschichtsschreibung die „universellgeschichtliche" Rolle Kleinasiens schon längst festgelegt gehabt, bevor die Hethiter und andere Urvölker samt deren Sprachen und archäologischen Resten entdeckt worden waren. Nach dieser Geschichtsthese durfte ja keine Kultur höher als griechisch-römische, kein Staatsmann grösser als ihre Charakterköpfe sein. Wie in kaum einem anderen Zweig der Wissenschaften vom Alten Orient, sind es doch gerade vielfältige wissenschaftliche, publizistische, kommerzielle und „nationalistische" Aktivitäten, die von der Altorientalistik, Archäologie, Alten Geschichte, indoeuropäischen Sprachwissenschaft, Bibelkunde und Religionswissenschaft, bis hin zum Museumswesen, der Tourismusbranche, Folklore, dem Antiquitätenhandel, Filmindustrie, den Medien und der Populärliteratur reichen, die ein sehr starkes Interesse an der Hethitologie zeigen, von ihr profitieren, sogar auf sie ihre Existenz gründen. Und umgekehrt erhält das Fach Hethitologie von all diesen Tätigkeiten und Umtrieben teils nutzbringende, teils aber auch schädigende Anregungen.

Die isolierte Sonderentwicklung der beiden Forschungsbereiche Hethitologie und Altanatolistik sowie die schleppende Rezeption der anatolischen Archäologie und damit der hethitischen Philologie müssen in erster Linie im Zusammenhang mit der kulturpolitischen Isolation der Türkei selbst gesehen werden, obwohl sich mit den jüngsten Denkmälerfunden eine deutliche, aber doch noch eher schleppende Entwicklung in Richtung auf Gleichwertigkeit mit Mesopotamien, Syrien, Persien und Griechenland abzeichnet. Die Archäologie Palästinas bleibt wohl immer als eine Art „Monopolie" eine Ausnahme, mit der keine Branche der Altertumswissenschaften gleichberechtigt sein darf!

Die Kluft zwischen der Türkei als modernem Nationalstaat und dem Kulturraum Kleinasien ist mittlerweile soweit aufgerissen, dass die beiden Begriffe nicht mehr

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synonym verwendet werden. Allein dieser unscheinbare, makabre Aspekt löst oft Streit unter den Einheimischen aus. Dass die Hethiter zu den verhältnismässig spät wiederentdeckten Völkern des Alten Orients gehören, war wohl schon allein durch die damalige politische, kulturelle und religiöse Voreingenommenheit gegenüber dem Ottomanischen Reich bedingt. Es sind diese festgefahrenen Vorurteile, die von der abendländischen Geschichtsschreibung zu einem perpetuell-zykli sehen Event hochgespielten vorgeblichen Konflikte zwischen Orient und Okzident, Muslimen und Christen, zwischen Türken und christlich-,abendländischen' Griechen und Armeniern, zwischen radikal-fundamentalistischem und laizistischem Islam bzw. bis jüngst auch Kommunismus, die auch heute noch, trotz aller Reformbestrebungen, die Position der Türkei als (europäisches) Schwellenland bestimmen. Im Rahmen der „Orientfrage" hat die Weltöffentlichkeit seit über zwei Jahrhunderten eine zögerliche und gespaltene Haltung gegenüber der Türkei-Politik. Seither ist in den Flüssen nicht nur der Türkei, sondern auch des gesamten Nahen Osten, kein klares Wasser mehr geflossen. Der Westen kann oder will sich immer noch nicht entscheiden, ob die Türkei ein europäisches oder asiatisches Land ist, ob sie der Europäischen Union angehören soll oder nicht!

Dabei ist aus historischer Sicht diese polemische Diskussion asymmetrisch und völlig willkürlich, waren doch die ottomanischen Vorfahren der heutigen Türken das letzte Glied in der historischen Bevölkerungskette Anatoliens, dessen lange Geschichte mehrheitlich von „europäischen" Völkern wie Hethitern, Luwiern, Phrygern, Lydiern, Lykiem, loniern, Griechen, kulturell „orientalischen" aber ethnisch „arischen/iranischen" Persern, Römern, Armeniern und Byzantinern bestimmt war. Fest steht doch: Europas Ursprung ist Asien! Hat etwa ein verkapptes Genie wie Bruno Taut, in dessen architektonischem Wunderwerk ich in Ankara Altertumswissenschaften studierte, offen gestanden, dass „Der Orient die wahre Mutter Europas ist, und dass unsere schlummernde Sehnsucht immer dorthin geht"? Wir meinen nicht den blossen, auf dem Rücken eines Stieres geraubten Namen „Europa" aus (Gross)Asien, sondern die Urheimat Europas in Kleinasiens lonien, wo die Naturphilosophie und der Kern der europäischen Naturwissenschaften entstanden sind. In vortürkischer Zeit war doch der Euphrat, und nicht die vorgelagerten Inseln im ägäischen Meer, wo der falsche Begriff „Ost und West" während der Perserkriege entstanden ist, „europäische" Ostgrenze. Und selbst das Ottomanische Reich war nicht nur zuletzt Spielball der europäischen Kabinettspolitik, sondern, wenn auch weniger eindeutig, lange Zeit, insbesondere nach der Pariser-Konferenz, Mitglied der europäischen Staatenfamilie, mit dem man im Interesse der europäischen balance of power völkerrechtlich-vertraglich und diplomatisch in laufender Beziehung stand. Wenn schon die historische Forschung die Frage der „vollständigen Hellenisierung" und die Problematik des „orientalischen Christentums" nur sehr zögernd behandelt, muss man sich über die populistische Gleichung nicht wundern: Hellenisierung oder Christianisierung (oder/bzw. lieber doch beide zusammen) gleich Europa! So gesehen geht es hier also nicht um rein geographische und wirtschaftsgeographische Begriffe, sondern allein um die Menschen, die das Land bevölkern, und natürlich um die religiös-kulturelle Zugehörigkeit der Machthaber. In

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diesem Zusammenhang sei auf den wachsenden Zweifel in der Türkei hingewiesen, ob das Europäertum ein hermetisch in sich geschlossener christlicher Club sei!

Die willkürliche Grenzziehung zwischen Asien und Europa wird in permanenten Grenzverschiebungen des Begriffs Europa seit jenen legendären trojanischen Kriegen deutlich sichtbar: Die Grenzen verliefen damals wie heute in der Ägäis. Wie ein Wunder(!) trug Griechische Kolonisation sie in die weite Ökumene hinaus. Während der Perser-Kriege verliefen sie zwischen Milet und Sardes. Allein einem unerfahrenen makedonischen Jüngling, Alexander dem Grossen, gelang es wie keinem anderen Menschen, sie bis nach Indien und Kabul zu erweitern. Bedenkt man die schleppende Ausbreitung der Religionen, gefuhrt von den weisen Propheten, mittels blutiger Kriege und Missionierungsbestrebungen sowie neuerdings brutalster Kriege unter Einsatz modernster und tödlichster Waffen zur angeblichen Ausbreitung der Demokratie als eines kapitalistischen Machtmittels, so wundert man sich, warum es ausgerechnet einem einzigen Mann aus Mazedonien gelungen sein konnte! Hier sieht man natürlich die irreparablen und fatalen Spuren der Droysen'schen Geschichtsverfälschung. Mit islamischer Expansion und dem entscheidenden Sieg 640 n. Chr. bildete der Euphrat erneut die Ostgrenze.

Die Landnahme der Seldjuken im 11. Jahrhundert und später Ottomanen ab dem 13. Jahrhundert drängte die Grenzen nun regressiv weiter westwärts, so das sie zwischen 1453-1530 zeitweise die Linie Wien-Budapest-Belgrad erreichte (Grousset). Welche Willkür und historische Spekulation am Werk sind, wird hier klar ersichtlich. Nicht nur in politischen und kulturhistorischen Kreisen, sondern auch in landeskundlichen Diskussionen pflegt man die Doppelmoral und kategorisiert das Land wie folgt: „die heutige Türkei liege peripherer zu den Zentren der europäischen Bevölkerungs-und Wirtschaftsballung als Portugal und Finnland, gehöre dennoch noch nahezu komplett zu jenem flächenhaft geschlossenen Teil der Ökumene, den Louis als anthropogeographisches Europa bezeichne" (Hütteroth). Folglich drängt sich die Frage auf, ob diese doppelmoralische Betrachtungsweise dem Europa nicht als Konservatismus oder gar als Rassismus anzukreiden ist! Diese ablehnende und zwielichtige Haltung der europäischen Politiker müsste man folglich in diesem Sinne deuten, vertreten sie doch die radikale, aber auch doch berechtigte Meinung, das Land selbst gehöre geographisch doch zu Europa, aber anthropogeographisch nicht, als kämen die heutigen Bewohner aus dem Mars! Eine Ausnahmestellung, die beispielsweise Israel vollends und beständig geniesst, wollen sie der Türkei aus (kultur)historischen und religiösen Gründen nicht gestatten. Um sich die Lächerlichkeit der europäischen Haltung vor Augen zu führen, betrachte man Zypern, dessen von „Hellenen plus Christen" bewohnter südlicher Teil zu Europa, der von „Türken und Muslimen" bewohnte Nordteil dagegen Asien zugehört! Seit dem Fall des Eisernen Vorhanges und der Berliner Mauer kennt aber Europa solche messerscharfen Grenzen nicht mehr!

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Kleinasien ist heute wie eine Bienenwabe durchlöchert von Missionaren und anderen Agenten, die entweder ganz offen oder unter dem Deckmantel von Entwicklungshelfern, Ausbildern, Reisenden, Journalisten, Archäologen, Ethnoarchäologen usw. nach fatalen Idealen streben, die berechtigterweise in einigen Kreisen als Re-Christianisierangs- und ethnische Replacementbestrebungen verstanden werden. So werde, denken sie, die absolute Wieder-Europäisierung des Landes vollzogen und ein Pyrrhos-Sieg errungen. Hinzu kommt ein unabsehbarer Landerwerb seitens vieler ausländischer Kreise und religiöser Stiftungen. Es führt noch weiter: Angesichts der offenen Gebietsansprüche ehemaliger Bewohner des Landes, durch manche europäische Länder leider oft verbrämt mit Idealen wie Demokratie, Menschenrechten und Freiheit gerechtfertigt, bemerkt man bei vielen Türken eine steigende Stigmatisierung, dass man die Hethiter und andere nicht türkischstämmige Völker aus strategisch-taktischen Gründen ausbeuten und missbrauchen wollte. Dass diese Ängste nicht unangebracht sind, zeigen schon jetzt zahlreiche Beispiele, gelten doch bereits, wenn auch nur in Kreisen der populistischen Darstellungen, die Hethiter und Galater als „Urgermanen", Phryger und Urartäer als „Armenier" und die Meder als „Kurden" ansehen möchten!

Dass das derart politisierte Milieu des Forschungsbereichs Türkei/Kleinasien zu einer Dschungellandschaft wurde, ist, neben einer stets präsenten unterschwelligen Polemik, auch der Haltung mancher Forscher zu verdanken, die das Kerngebiet der hethitischen Archäologie in Zentralanatolien mit Beginn der Ausgrabungen in den Stauseegebieten am mittleren Euphrat in den 60er Jahren und dann mit dem Ausfall der mesopotamischen Archäologie seit dem ersten Golfkrieg 1990 für sich monopolisieren wollten, und so zahlreiche willige und begabte junge Archäologen in die Randgebiete vertrieben mit dem fatalen Ergebnis, dass sie damit den Fortgang der Forschung weitgehend blockierten. Meine Generation hat leider diesen Engpass aufs Schmerzlichste mit erlebt! Das ist umso bitterer, da definitiv neue und ergänzende genuin hethitische Realien und Texte nur gerade in diesem Kerngebiet zu finden sind. Tatsächlich wurde dieses unerklärte Embargo aus offensichtlichen Gründen kaum aufgehoben, kamen doch seither unzählige neue Funde, unter denen natürlich die Texte zu den wertvollsten zählen, zu Tage. Nach dem brutalen und nicht nur in archäologischer Hinsicht destruktiven Golfkriegen tauchten in der Altanatolistik neue und fremde Gesichter auf. Wohl weniger aus fachlicher Kompetenz, als auf der Suche nach Ausweichquartieren. Grossenteils blieben aber derartige Engagements Gastspiele, da viele bald weiterzogen und sich Syrien, dem Kaukasus und dem Industal zuwandten, oder erneut beschränkte Betätigungsmöglichkeiten selbst in von Krieg, Hunger, Leiden, Erniedrigung, Plünderungen und Menschenrechts-verletzungen geplagten Gegenden suchten. Im dritten Golfkrieg, dem brutalsten und menschenunwürdigsten aller bisherigen mesopotamischen Kriege, zogen dann die unheilvollsten und dunkelsten Wolken über den Altertümern Mesopotamiens auf. Tragisch dabei ist, dass die sich dabei vollziehenden Plünderungen und Denkmalbeschädigungen der wildesten Art auf Initiative und mit Duldung einer Besatzungsmacht stattfanden, die in diesem primordialen Kulturraum Ordnung, Demokratie, Wohlstand und -sic!-

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publizistischen, Lethargie und Isolation der türkischen Gelehrsamkeit, ganz zu schweigen von der technischen Rückständigkeit in den hochtechnisierten archäologischen Hilfswissenschaften, der Zusammensetzung der Grabungsmannschaften, der Anwendung der Computerwissenschaften in der Archäologie. Es wäre zu wünschen, dass ihre effekti ve Produktivität endlich diesen Wunschvorstellungen näherkäme! Insofern bleiben diese Behauptungen als reine Wunschvorstellungen von jenem Gelehrten, der diese Meinung oft - allerdings nur in türkei-internen Kreisen! - äusserte. Dass dem leider nicht so ist, kann man sich durch einen touristischen Besuch in den Grabungsorten wie £atalhöyük, Kaman-Kalehöyük, Ephesos, Pergamon, Milet und Troja recht anschaulich vor Augen fuhren. Die Rückständigkeit und Eigenwilligkeit hinsichtlich der Konservierung und Restauration der Denkmäler stechen überall ins Auge, insbesondere aber in Alacahöyük und Ortaköy.

Die Schieflage der anatolischen Archäologie zeigt sich in gravierenden Fehleinschätzungen, wie einerseits der Unterbewertung der anatolischen Priorität hinsichtlich des neolithischen Kulturbeginns im Nahen Osten. Trotz einzigartiger Funde, gut begründeter chronologischer Ansätze und fundierter, engagierter internationaler Forschungstätigkeit hervorragender Fachleute nimmt das anatolische Neolithikum noch immer nicht den gebührenden Platz in der Universalgeschichte ein, sieht man von Sensationsberichten ä la Troja, £atalhöyük oder Göbeklitepe ab. Es sei darauf hingewiesen, dass wir hier von universalgeschichtlichen Werten sprechen, nicht aber von volatilen und Superlativen Phantasien über das Neolithikum von £atalhöyük als „erster Stadt der Welt" und das von Göbeklitepe als „Garten Eden und Geburtsort(!) von Adam und Eva"! War doch selbst Ranke davon stark überzeugt, „dass zuletzt doch nichts weiter geschrieben werden kann als die Universalgeschichte. Alle unsre Studien streben nur dahin, diese hervorzubringen. In seinem vollen Lichte wird das einzelne niemals erscheinen, als wenn es in seinem allgemeinen Verhältnis aufgefasst wird" (Ranke in einem Brief an Thomas Ritter). Hierbei sollte man natürlich möglichst bemüht sein, sich von Ranke's, Doysen's, Burchardt's und anderer meist zeitgenössischer „göttlicher Vorsehung", „Regierung Gottes" und „Wahrheit Gottes " zu distanzieren.

Lange Zeit unter der Dornröschenhecke und wucherndem Wildwuchs verborgen, ging die Forschung unvermindert Schritt für Schritt weiter. Es wurde nicht nur neues Material entdeckt und aufgearbeitet, sondern auch die schon bekannten Quellen mit innovativen Fragestellungen konfrontiert. Doch musste das Fach bis zum neuen Millennium warten, bis die Hethiter-Ausstellungen in Bonn, Braunschweig, Berlin und Japan wieder eine dynamische Epoche für die Hethiterforschung einleiteten, da nun von allerlei Seiten Denkanstösse kamen und die Forschung selbst, wie auch das öffentliche Interesse, daran einen beträchtlichen Aufschwung nahmen. Es wurden Filme gedreht und in den ehemaligen Ruinen voreilige, falsche Rekonstuktionen unternommen! Ein caveat ist aber hier am Platze: Nicht alles, was in Form von Büchern, Ausstellungskatalogen, gar Filmen und Reiseführern als „hethitisch" angeboten wird, ist Hethitisch und als bare Münze zu

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nehmen. Unter dem Deckmantel und der Verbrämung der Wissenschaftlichkeit wird hier leider viel Falschgeld in Umlauf gebracht. In diesem Zusammenhang sei auf eine durchweg materielle Vermarktung der Hethiter hingewiesen. Die erwähnten Ausstellungen der hethitischen Kunstwerke im Ausland und ihre Restaurierungen dienen leider lediglich dem Tourismus. Nicht alle Beiträge in den genannten Ausstellungskatalogen waren glücklich; auch sie verbreiteten viel Falschgeld, vor allem das Kartenmaterial löste zum umstrittenen Fragenkomplex über Troja, Wilusa, Arzawa, Ahhiyawa und zentralanatolische Geographie ein schiefes Bild aus. Unverzeihlich ist, dass in einigen hethitologischen Kreisen in der Türkei diese Karten in jeder Ebene verwendet werden, als wären sie Standartatlanten!

Sehr stark berücksichtigt werden sollte in einem Universalwerk eine möglichst objektive Darstellung der hethitischen Geschichte. Leider bringt es die Geschichtstheorie, Historismus und Geschichtsschreibung als eine Geisteswissenschaft mit sich, dass das, was Herodot "historia" nannte, in vielerlei Ebenen, einer wissenschaftlichen, offiziell-ideologischen und einer popularisierenden Ebene existieren kann. Von der von Friedrich Nietzsche konzipierten nutzbringenden und insgesamt in dreierlei Hinsicht bloss dem Leben zu Diensten stehenden monumentalischen, antiquarischen und kritischen Historie unterscheidet sich allein die letztere Betrachtung von den übrigen und steht der Geschichtswissenschaft am nächsten; doch stünde auch diese mit Nietzsche's Worten „ im Dienste des gegenwärtigen Lebens und sitze über die Vergangenheit zu Gericht Sah er doch auch darin die Gefahr, dass die Historie nicht mehr im Dienste für, sondern gegen das Leben stehen könnte, sobald sie zu einer Wissenschaft erkoren würde? „ Ohne wirkliches Bedürfnis aufgenommen, vermöchten die historischen Kenntnisse nicht mehr, als umgestaltendes, nach aussen treibendes Motiv' zu wirken, sondern führten zu einer fatalen Spaltung zwischen äusserlicher Lebensform und innerlicher Bildung, die ein blosses zweckloses Wissen bleibt" (Thomas Noll). Spricht er doch von einer „historischen Krankheit" und empfiehlt zugleich als Heilmittel, nämlich „das Unhistorische und Überhistorische"! Geschichtsverfalschung für ihn war also gleichbedeutend mit den Gegenmassnahmen gegen die Übermacht der Historie. Wurden doch auch nicht die puren Spezialgelehrten oder viri eruditissimi, die antiquarische Historie als nichts Anderes denn als Suche nach absoluter Wahrheit empfanden, selbst von J. Burckhardt verabscheut? Vielfach hat ihn und zuvor Ranke der sture Glaube an „Vorsehung" und „göttliche Idee" in der Geschichte daran gehindert, Geschichte als Wissenschaft zu betrachten. Damm haben sie alle die Stellung des Historikers mit der eines Priesters verglichen. Allein diese Anschauung schliesst von vornherein den Wahrheitsgehalt der Geschichte aus.

Mehrfach gelingt die Objektivität nicht einmal der saekularistischen, wissenschaftlichen Historiographie, was diverse Gelehrten und Denker beinahe zu Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Resignation führte, wie Friedrich Schiller: "So gleichförmig, notwendig und bestimmt sich die Weltveranderungen auseinander entwickeln, so unterbrochen und zufallig werden sie in der Geschichte ineinander gefugt

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Aber wo steht nun die hethitische Geschichte und inwiefern können diese einprägsamen Geschichtstheorien in sie eingeflochten werden? Wir können uns kurz fassen und dies offen zur Sprache bringen: Ohne die Alttestamentliche und griechische Relevanz und indoeuropäische Affinität der hethitischen Sprache hätte sie weder an den Universitäten noch in den Schulbüchern einen Platz! Die Subjektivität schreit nun doch in den Himmel!

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Ungeachtet dieser Subjektivitäten ist, trotz aller, gelegentlich belangloser Ausführlichkeit der hethitischen Quellen, die hethitische Geschichte nicht in allen Aspekten erschlossen. Wo man hin schaut, zeigen sich Probleme und falsche Darstellungen, die zum Teil auf Missverständnisse, falsche Interpretation der Primärquellen oder ideologisch bedingten Fehldeutungen der Quellen beruhen. Grob

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betrachtet liegen andererseits die Probleme nicht in der Auswertung zugegebenermassen stellenweise recht eintöniger und nebensächlicher militärischer Auseinandersetzungen und anderer Geschehnisse, oft nicht mehr als blosse Epitomisierung der Primärquellen, sondern in der reflektierten Darstellung ihrer universalhistorischen Bedeutung, ihres Stellenwertes im Rahmen - wenn überhaupt! - der Weltgeschichte, Hat sie aber überhaupt in der Weltgeschichte einen Stellenwert? Wie oben angedeutet, hat sie in der subjektiv dargestellten Weltgeschichte durchaus einen nicht-universellen, nur regional bedingten Platz. Ihr Stellenwert kann erst dann universal bezeichnet, falls die Weltgeschichte nur ein Mülleimer ist!

Die rein politisch-militärischen Beziehungen müssen auch zur Identität der hethitischen materiellen Kultur und ihres Verbreitungsgebiets in Relation gesetzt werden, um eine Antwort zu der Frage zu finden, wieweit sich die hethitische „Kultur" über das eigentliche Kerngebiet im Halysbogen hinaus erstreckte und wo die wirklichen Grenzen hethitischer Archäologie liegen, eine Frage, die seit den archäologisch wenig ertragreichen Bittel'schen Teilung der „Kulturgebiete" der 1950er Jahre nicht mehr emsthaft debattiert wurde. Genauso unscharf wie der Begriff „Hethitisch" in kulturell-politischer Hinsicht, sind die Begriffe „hethitische Kunst" -einschliesslich „hethitische Felsdenkmäler" und Glyptik!- und „hethitische Archäologie", „hethitische Keramik", die in der Forschung oft unkritisch verwendet werden. So wie nicht alle in den hethitischen Texten fixierten Errungenschaften unbedingt hethitisches Geistesgut widerspiegeln, müssen nicht alle archäologischen Reste hethitischen Urspmngs sein. Unter der Prämisse, hethitische Archäologie (Architektur, Keramik, Glyptik, Klein- und Grossplastik usw.) umfasse die gesamte Fläche Anatoliens, entsteht auch in gelehrten Kreisen oft der falsche Eindruck, dass die Hethiter in allen von ihnen beherrschten Gebieten nebst dem Militär- und Administrationssystem auch ihre „hohe" Kunst und Technik bis hin zu den alltäglichen Gebrauchswaren eingeführt hätten. Haben denn die im Westen des Landes lebenden Arzawa-Leute, die Kizzuwatnäer im Süden, die ja den kunstfertigen Töpfereien der mykenischen Welt und des Nahen Ostens bei weitem näher standen als die Hethiter oder gar die Kaskäer im Norden, ihr Essgeschirr etwa von den hethitischen „Töpfereifirmen" importiert, ihre Suppe aus hethitischen Tellern gelöffelt oder ihre Libationen ja nur mit hethitischen „Schnabelkannen" vollzogen? Dies ist ein entschieden schiefes Bild und bedarf dringend der Korrektur. Die Erfahmng zeigt, dass aufgmnd von Einzelfunden von Schnabelkannen, Siegeln oder Felsmonumenten eine gesamte Region zum „hethitischen" oder „luwischen" Kulturbereich deklariert wird, ohne zu bedenken, dass sie in diesen Gegenden niemals Fuss gefasst haben! Dazu gehören Teile von Westanatolien (Arzawa), die Troas, die Schwarzmeerküste (u. a. Kaskäer), Südanatolien (Kizzuwatna), Südostanatolien und Nordsyrien, wo zwar eine beschränkte und zeitweise hethitische Militärpräsenz vorhanden war, aber von einer kulturellen hethitischen Dominanz nicht die Rede sein kann. Am grotesksten zeigt sich dies in Kizzuwatna und seit Jahren bemühe ich mich, diesen Fehler zu korrigieren, dass es hier bis 1400 v. Chr. keine direkte hethitische Herrschaft gegeben hat. Wo blieben sonst die unabhängigen, in ihrem Umfang begrenzten

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Regionen, die es, den textlichen Aussagen nach, so zahlreich gab? Es muss festgestellt werden, dass man, geblendet von der politisch-militärischen Dominanz der Hethiter, auf eine Einheitskultur schliesst und sich nicht bemüht Regionalkulturen archäologisch genauer zu definieren. Wie die paritätischen Staatsverträge deutlich zeigen, verfügte diese Landschaft Kizzuwatna bis zu ihrer Annektierung unter Tuthaliya II. bzw. Suppiluliuma I. über ihre eigene Eigenstaatlichkeit; dennoch sprechen die Archäologen anachronistisch aus der Zeit schon zuvor immer wieder von einer „hethitisehen" Glyptik, Keramik und „Militär"- und „Zivil"architektur.Für Nordsyrien, die Hochburg der hethitischen Landnahme in der Grossreichszeit (ab 1400 v. Chr.) hat man doch folgendes festgestellt:

„ Während die Geschichte der politischen Beziehungen zwischen dem hethitischen Reich und Syrien in der Spätbronzezeit aufgrund von Textquellen zumindest in groben Zügen bekannt ist, wurde den archäologischen Zeugnissen für eine hethitische Präsenz in Syrien vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Ein kurzer Überblick zeigt, dass es sich fast ausschließlich um Objekte aus dem Bereich der Administration wie Verwaltungsdokumente, Siegel und Bullen handelt. Dies legt den Schluss nahe, dass die Hethiter nicht an einer kulturellen Einflussnahme in den eroberten Gebieten außerhalb Anatoliens interessiert waren. Dies steht in starkem Gegensatz zu der Situation in der südlichen Levante, wo die Ägypter in der 18. und 19. Dynastie eine kulturelle Einbindung zumindest der lokalen Eliten aktiv propagierten " (Genz).

Wie wir schon oben bemerkt haben, gehören doch zu den Aufgaben der Archäologie nicht allein das Ausgraben und die rein deskriptive Vorlage (oft als Vorberichte!) und Veröffentlichung der ausgewählten Prachtfundstücke, sondern auch das Erfassen, Deuten und Datieren des effektiven Forschungsertrags, d. h. die Hervorhebung des Wesentlichen, das das bisherige Bild ändert, modifiziert oder ersetzt und das universalhistorische Gesamtbild ergänzt. Diese nicht allzu schwere Aufgabe sollte man wohl allein aus wissenschaftsethischen Gründen doch den Archäologen aufbürden dürfen, denn ein Teil ihres Faches ist es schon; jedoch hapert es oft in der Praxis schon bei der Erfüllung der einfachen, regulären Veröffentlichungspflicht der Grabungsergebnisse. Das türkische Antikengesetzt sieht zwar theoretisch die rasche Veröffentlichung der Grabungsergebnisse innerhalb von fünf Jahren vor und droht sonst Lizenzentzug, aber wie in vielen Bereichen bleibt auch dies nur in Theorie. Orientalische und levantinische Umgehungsmethoden sind auch in diesem Felde zu zahl- und trickreich. „Vor lauter Grabungsarbeit hätte ja der Professor NN ja keine Zeit! Wer würde ja sonst ausgraben, wenn er am Schreibtisch sässe und Grabungsberichte verfasste! Zudem fehle ja das Geld zum Berichteschreiben!" Es fehlt ein autoritatives Gebot, dass ihnen sagt: „Alle fünf Jahre eine einjährige Pause einzulegen und die Zwischenergebnisse zu veröffentlichen; das grosszügig zugeteilte Budget nicht bis zum letzten Cent auf dem Grabungsfeld ausgeben; ein wenig Geld für Veröffentlichung und Konservierung der Funde auf die Seite zu legen!" Die Türken haben das griechische „publish or perish " Prinzip nicht zum Leben erwecken können! Die Aufgabe könnte aber auch von einem einfachen, anstelligen Protokollanten erfüllt

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werden oder von einem erfahrenen Seniorarchäologen, der das Gesamtbild besser überblicken können sollte.

Jede Grabungssaison fängt an, setzt fort und endet mit publizistischen Sensationsberichten von dieversen Grabungsorten. Die einen berichten über die ersten Olivenölfunde, Weinreste, Brauerei, halbgebackene Brote, erhalten gebliebene Gehirnreste, den ersten Stausee der Welt, Kirchen, Synagogen, Paläste, Heiligtümer, DNA-Teste, angebliche Existenz diverser Ethnien in unerwarteten Regionen uvwm. Mir persönlich schwebt ein Antikenverwalter ä la Dr. Hawass in Ägypten vor, der alles unter eine zentrale Regie stellt und derartigen Sensationsberichten Schranken setzt!

In Belangen der Urkundenauswertung sollte man aber eine ähnliche Pflichterfüllung auch von den Philologen erwarten, die oft die ergrabenen Tontafeln vor den Augen aller neugierigen Fachkollegen verbergen und jahrzehntelang in den Museumsdepots ruhen lassen. Die altassyrischen Texte aus Kültepe und die hethitischen, hurritischen und hattischen Texte aus Ortaköy sind hierfür traurigste Beispiele! Darüber hinaus sollten die Philologen ähnlich wie die Archäologen in ihren Textbearbeitungen den jeweiligen Stellenwert der betreffenden Urkunden synoptisch unterstreichen und dem Historiker wie auch dem Kulturhistoriker unter die Anne greifen. Ansonsten bleibt all das für die Nicht-Spezialisten kryptisch und für den Fachmann unübersichtlich!

Bedingt durch die homerischen Epen hat die trojanische Aporie erneut nicht nur ein beachtliches Interesse hervorgerufen, sondern zugleich immense finanzielle Mittel gefunden. Angesichts der Ambivalenz der homerischen Allegorese und eines überall allzusehr rezeptiven Publikums fühlt man sich frei und legt seinen Gedanken viel Schwulst um, um die Massen zu beeindrucken und in einen euphorischen Zustand zu versetzen. Es ist erstaunlich, mit welcher Hartnäckigkeit und und welchen „psychologischen" Methoden der Troja-Ausgräber und seine Anhänger ihre Aporien und Perseverationen aufzuzwingen versuchen. Dabei scheut man sich nicht, das einst historisch Wahre hinter mythischen Belanglosigkeiten zu verstecken. Insofern ist man leider berechtigt, von einem „beschädigten historischen Gewissen" zu reden. So gesehen kann man die homerischen Epen durchaus mit der „Schrift" (Bibel) vergleichen. Wären die homerischen Epen tatsächlich in Hebron oder Ashkelon entstanden, wäre deren Verfasser zweifelsohne schon längst zu einem Propheten und die Epen selbst unter Hinzufugen einiger theologischen Grundsätze zu heiligen Büchern deklariert worden. Aber auch ohne dies ist die Vergöttlichung dieser Epen enorm, wie Carl Schneider zurecht schreibt:

„ Selbstverständlich haben die aus der griechischen Welt zum Christentum Kommenden nicht erst am Alten Testament das Wesen einer heiligen Schrift kennengelernt. Denn der Hellenismus ist reich an heiligen Offenbarungsurkunden aller Art. Da gilt vor allem noch immer Homers Werk vielen als die unfehlbare heilige Schrift. Die weitaus meisten aller bisher gefundenen literarischen Papyri sind homerische, und Homerübersetzungen sind

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selbst ins Persische und Indische gemacht worden. In Literatur und Leben begegnen beständig die homerischen Gestalten als richtunggebend\ mahnend\ tröstend; Diogenes der Hund spottet über die vielen, die aufs tiefste erschüttert sind von den Leiden des Odysseus, aber ihre eigenen Leiden nicht sehen. Es gibt keinen griechischen Kirchenvater, der Homer nicht zitiert. Vor allem hat die Kirche sämtliche Formen der Exegese, die je am Alten oder Neuen Testament geübt worden sind, an der Homerexegese gelernt, wie übrigens auch schon die Synagoge. Homer blieb Lehrmeister in allen Künsten und Wissenschaften, Ratgeber in Politik und Ethik, aber auch in der Religion. Man brauchte ihn nur richtig auszulegen. Man hat längst eine Methode erfunden, die aus Odysseus einen Philosophen macht, und mit dieser Homermethode schuf erst Philon, dann mancher griechische Kirchenvater die Erzväter zu Weisen und Tugendhelden um. Wenn auch, wie Hippolyt bezeugt, nur einige Gnostiker Homer unmittelbar als christliche heilige Schrift benutzten, so wird doch seit der Mitte des 2. Jahrhunderts die christliche Homerinterpretation immer beliebter. Der Mast, an den sich Odysseus binden lässt, ist das „Kreuzi(, das vor den Sirenen der Sünde und der Welt errettet, auf dem Schild Achills steht die Schöpfungsgeschichte, die Gärten des Alkinoos sind das christliche Paradies, die Insel der Kalypso der Zufluchtsort christlicher Einsiedler. Basileios hat sich von einem Interpreten, «der die Fähigkeit hatte, die Tiefen Homers zu durchdringen», sagen lassen, der Dichter habe nichts anderes als die Tugend darstellen wollen Im Westen nimmt Vergil die gleiche Stellung ein wie Homer bei den Griechen. Wann das Christentum zuerst Vergil zum Propheten Christi machte, ist zeitlich nicht genau zu bestimmen; jedenfalls hat sich dagegen nie Widerspruch erhoben ".

Unter diesem subjektiven Aspekt betrachtet, könnte jede beliebige Siedlung, ja sogar eine Stallung, die mit einer pseudoreligiösen, „heiligen" und literarischen „Schrift" engstens in Verbindung steht, in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses geraten. Man lese die ridikülen Erlebnisse der Pilgerfahrer im „Heiligen" Land seit dem späten Mittelalter und bewundere, was ihnen alles an „Heiligen" und Reliquien vorgegaukelt wurde. Genau das tut man nun in Troja und führt die Touristen durch die angeblich „homerischen" spätbronzezeitlichen Gemäuer hindurch!

Hinzu kamen eine intensive Propagandawelle auf allen erdenklichen Ebenen der Medien, einschliesslich gewaltigen, auch internationalen Pressekampagnen, und mehrere Ausstellungstätigkeiten, die an sich wenig mit der trojanischen Archäologie, viel aber mit einer apologetischen Haltung, Übertreibung, Wirkung und Deutung, mit homerischen Epen (Homerforschung) zu tun hatte, wie ein Kritiker vortrefflich bemerkt: „His lieutenants lecture widely in Europe ard the United States, meetings which are

always well attended and populär in the best sense of the word - making scientific results accessible to the public in interesting and intelligible form, and generating an atmosphere of excitement and support" (Easton et al.).

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Die trojanische Archäologie hat dagegen nichts mehr als ein zentralanatolischer kleiner Durchschnittshügel anzubieten. Unter Verwendung von Exponaten aus einem äusserst weit ausgedehnten Gebiet, das von Gesamtanatolien bis zum Kaukasus, Nordsyrien, Griechenland und der Ägäis reicht, wurde versucht, sie ganz geschickt, aber eben in wissenschaftlicher Hinsicht trügerisch, in einen Gesamtkontext zu stellen und eine alles umfassende fiktive trojanische „Kulturwelt" zu kreieren. Insofern ist die angewandte Methodik vergleichbar mit der der alttestamentlichen Archäologie. Dies war nur ein Aspekt der trojanischen „Träumereien". In der Ausstellung fehlte glücklicherweise der skandalöse trojanische Schatz, da er immer noch hinter verschlossenen Türen in Leningrad liegt, und als Zankapfel und Beutestück darauf wartet, eines Tages von den Deutschen, Türken, Griechen oder Russen erneut ausgebeutet zu werden.

Zum trojanischem Schatz als Zankapfel sei folgendes bemerkt: Falls man ihn in sein Ursprungsland zurückfuhren wollte, sollte es einem mutigen und geschickten türkischen Unterhändler ganz leicht fallen, die allein durch homerische Spinnereien bedingten griechischen Ansprüche von vornerein zum Schweigen zu bringen. Gehört doch der Schatz einer Epoche an, die mindestens 1200 Jahre vor der griechischen Landnahme in Kleinasien und vermutlich auch in Griechenland liegt! Was mag wohl daher die Griechen mit diesem frühbronzezeitlichen anonymen Schatzfund verbinden, dessen Echtheit übrigens oft und mit Recht, vor allem von Trail, in Frage gestellt wurde? Die türkische Seite, auf deren Boden ja der Fundort Hisarhk liegt, wo der Schatz gefunden wurde, benahm sich schüchtern, unmutig und unbeholfen. Sie hätte unter Zuhilfenahme einer simplen Dialektik und faktischen Logik die griechischen Kulturausbeuter als falsche Möchte-gern-Erben blossstellen und aus der Diskussion ausschalten können. Den übrigen Prätendenten könnte man ohne weiteres Dieberei vorwerfen und sie ebenfalls eliminieren!

Um die pan-anatolistisch gesinnten türkischen Archäologen zufrieden zu stellen und für die eigene Sache zu gewinnen, wurde Mitte der 1990er Jahre urplötzlich die These entwickelt, die Herkunft der trojanischen Kultur sei nun doch nicht im griechischen Westen, sondern im asiatisch-anatolisch-hethitischen Zentralanatolien zu suchen, obwohl wiederspruchsvoll und in grotesker Weise gleichzeitig behauptet wurde, dass in Troja „starke Wurzeln der europäischen Zivilisation" festgestellt werden könnten. Mit einiger Rhetorik verstand man es ganz opportun, eben diese „Wurzeln" mit der „europäisch-türkischen Identität" zu verbinden, was zeigt, „wie gefährlich die Verwischung von Wissenschaft und Politik ist" (so F. Kolb). Man berichtete euphorisch und kritiklos, dass „Vieles von dem, was der Ilias-Dichter besingt", die trojanischen „Ausgrabungen bestätigt zu haben scheinen". Genau das wünschte sich auch Schliemann vor 140 Jahren so sehr. Aber er war wenigstens ehrlich und gab zu, dass dies unmöglich war. Dagegen versuchte der Troja-Ausgräber bis zu seinem Tod (2005), die anatolische Hügelstadt Hisarhk (Troja?) immer als eine Grossstadt zu präsentieren. Unter pauschalen Berechnungen vermutete er als Gesamtumfang der Unterstadt Troja's mehr als 275.000-300.000 m2; dies sei grösser

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als Theben, Mykene und Pylos. Da man auf dem nur 150x200 m. messenden(!) winzigen Hügel keine „Grossstadt" unterbringen konnte, flüchtete man in die dubiöse Unterstadt. Die „Traum"einwohnerzahl von 10.000 muss daher drastisch bis auf etwa 1000 bis 1500 reduziert werden. Schon Schliemann schwebte entsprechend seiner Vorstellung und der der Ilias eine Grossstadt Troja vor. Aber er war wenigstens ehrlich genug, zuzugeben, dass er sich getäuscht habe, wenn er in einem Brief aus dem Jahre 1873 an den damaligen Direktor des Kaiserlich-Ottomanischen Museum Dr. Dethier schreibt:

"La ville n 'état pas grande et elle n 'a pas la vingtième partie de l'étendue qu 'on aime à lui donner d'après les indications de l'Iliade, j'aurais voidu pouvoir la peindre 100 fois plus grande, mais d'abord je serai vrai".

Auch dem neuen Ausgräber schwebt eine virtuelle Grossstadt Troja, so dass kaum einen Tag vergeht, ohne dass er nicht solche Art Statements von sich abgibt: "Troy was much bigger than what was believed until now, Ernst Pernicka affirms. ... The remains of two outsized earthenware pots, a ditch and evidence of a gate dating back more than 3,000 years are changing scholars' perceptions about the city of Troy at the time Homer's "Iliad" was set. The discoveries this year show that Troy's lower town was much bigger in the late Bronze Age than previously thought, according to Ernst Pernicka His team has uncovered a trench 1.4 kilometers long, 4 meters wide and 2 meters deep. The full length of the trench, which probably encircled the city and served a defensive purpose, may be as much as 2.5 kilometers, Pernicka said .... Troy may have been as big as 40 hectares, with a population as high as 10,000, he estimates. ... Troy was not the center of the world, but it was a regional hub". Somit schufen die Troja-Ausgräber ein funfzehnfach grösseres Troja, als es früher je gedacht wurde. Dadurch vermochte er eine fiktive Stadt zu rekonstruieren, die angeblich zu den homerischen Schilderungen genau passte!

Weiter heisst es propagandistisch, dass der Troja-Ausgräber endlich Troja als eine anatolische Stadt zu sehen gelehrt habe. Und Homer habe sie vielleicht auch als solche beschrieben. Hierbei handelt es sich doch um pure Wunschvorstellungen, weiss man doch selbst, dass die homerische Ilias „kein Geschichtsbuch" ist und es gar keine trojanische Kultur existiert; wenn überhaupt ja, ist sie doch auf gar keinen Fall so gross und bedeutend, und allein deshalb ist es abwegig und irrig, für sie unbedingt nach Herkunfts-und Beziehungspunkten suchen zu wollen. Auch die kommerzielle, geopolitische und wirtschaftliche Rolle, die man Troja als eine Stadt zwischen der Ägäis, Propontis und dem schwarzen Meer zuschrieb, ist grundsätzlich falsch, da man doch bis zu heutigem Tag keine mykenischen Funde-einschliesslich der viel übertriebenen mykenischen Keramik!- aus dem gesamten Schwarzmeerraum kennt! Obwohl es früher immer wieder Forscher gegeben hatte, die von einer anatolischen Herkunft der trojanischen Kultur gesprochen haben, galt doch bis dahin - wie bereits erwähnt - die „Kultur" Trojas im grossen und ganzen als griechischen Ursprungs - was zumindest ihre Beziehungen zum

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verdankt die Siedlung, wie zuvor, eben nur der Assoziierung mit den homerischen Epen; sie hatte weder vor noch nach dem märchenhaften trojanischen Krieg eine politische und wirtschaftliche Bedeutung. Man frage sich, warum sie im Zeitalter der ionischen Kolonisation nicht von den Griechen kolonisiert wurde und warum sie während der hellenistischen, römischen und byzantinischen Zeit nicht mehr als nur eine sagenhafte, und keine reale Ausstrahlung hatte! Stimmt doch die schlussfolgernde Tatsache, dass Troia VI aufgrund des Fehlens von grossangelegten Palastanlagen, Siegeln oder Siegelabdrücken, schriftlichen Dokumenten, Wandmalereien „keine altorientalische Residenzstadt und kein Zentrum spätbronzezeitlichen Welthandels, sondern nur der politische und wirtschaftliche Mittelpunkt der nördlichen Troas gewesen sein dürfte" (Hertel). „Man hat bisher jedoch keinen einzigen auch nur annähernd vollständigen Grundriss eines Troia VI-Hauses in der sogenannten Unterstadt freigelegt, abgesehen vielleicht von dem bereits während der Biegen-Grabungen entdeckten ,Anten-Haus" (Kolb). Bestrebungen, vernünftige Argumente dieser Art zu widerlegen, können nicht stichhaltig sein. Nebenbei bemerkt: In demselben Brief verhält sich Schliemann den türkischen Behörden gegenüber äusserst respektlos und benimmt sich schlimmer als ein Kolonialherr, wenn er sich erdreistet, den damaligen türkischen Erziehungsminister einen „Hund" (chien) zu schimpfen, weil er seine ungemein hinterlistigen Ambitionen, unbedingt Grabungsgelände zu erkaufen und somit seinen Anteil an den Funden zu verdoppeln, verhindert habe!

Neben der Unterstadt zählt man zu den markanten Neufunden subjektiv auch die fälschlich mit KASKAL.KUR in den hethitischen Texten gleichgesetzte römerzeitliche Quellhöhle, eine nach radiometrischen Datierungen angeblich frühbronzezeitlichen Wasserversorgungsanlage und das als „stolzes Prachtstück" immer wieder erwähnte Hieroglypen-Siegel mit 11 unleserlichen Zeichen. Das Siegel, das man vor den pan-luwischen Hintergründen und vor allem angesichts der absurden „Fortsetzungsthese" in letzter Zeit mit Absicht in die Periode nach dem Untergang des hethitischen Staates datieren möchte, ist ein Importstück aus Hatti par excellence, auf welchem Wege es immer nach Hisarlik gelangt sein mag, vielleicht in der Tasche eines Reisenden, Händlers, Söldners oder Räubers! Dass aber dieser vereinzelte Streufund gar nicht in Troja hergestellt, sondern eingeschleppt sein muss, zeigt der Parallelfund eines ähnlichen Bronzesiegels in Büyükkaya im Jahre 1997 und etliche andere Funde aus dem nordsyrischen Bereich. Dennoch rühmt man sich, dass man erstmals in der Troas mit dem Bronzesiegel auf ein Schriftdokument mit den Insignien eines Schreibers und einer Frau aus dem 12. Jh. v.Chr. gestossen sei, und schloss aus der Hieroglyphenschrift des Siegels auf eine dem Indogermanischen angehörende luwische Landessprache und eine eigene Schriftlichkeit der trojanischen „Kultur". Man findet immer noch irreführende und falsche Festellungen, die sich stets auf dieses Importsiegel berufen, so beispielsweise: „Lässt das in Troja gefundene Siegel zumindest die Vermutung nicht abwegig erscheinen, dass sich die Kenntnis der Keilschrift (gemeint wohl doch die Hieroglyphen!) sogar bis in den Westen Kleinasiens verbreitet hat, wofür ja die Arzawa-Briefe ebenfalls ein

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Indiz sind\ so wissen wir heute, dass im hethitischen Anatolien keineswegs nur in der Hauptstadt Hattusa geschrieben wurde " (Klinger). Auch sonst übertreibt man die Rolle dieses vereinzelten Streufundes: das Siegel sei original und in der Troas hergestellt und dessen Inhaber ein Einwohner Trojas gewesen. Der Name des Siegelinhabers wird sogar als Tarhun-ta-nu gelesen (Alp).

Ein anderes Stempelsiegel wurde wohlbemerkt in den byzantinischen Schichten der Grabungen in Metropolis gefunden; die pseudo-hieroglyphischen Zeichen sind aber keine echten Hieroglyphen, sondern Zeichen, die von einem hieroglyphenkundigen Menschen gekritzelt wurden.

Zur trojanischen Quellhöhle bzw. zum Tunnel sei folgendes bemerkt: Da man keine datierbaren Kleinfunde oder sonstige Spuren bis in die römische Zeit in dem 100 m langen Tunnel gefunden hat, analysierte man die Sedimentation radiometrisch und erreichte dadurch ein Datum 3350 plus/minus 570 v.Chr.! Dadurch sei die mittelbronzezeitliche Existenz des Tunnels nachgewiesen und nun stünde gegen seine Gleichsetzung mit dem in den Bogazköy-Texten bezeugten KASKAL.KUR nichts mehr im Wege! Zum einen ist es mir völlig unklar, wie man überhaupt pure Natursedimentierungen datieren, auf Siedlungsarchäologie beziehen und daraus tragfahige archäologisch-historische(!) Schlüsse ziehen kann! Zum anderen spricht doch nichts dafür, dass die Semantik des bisher als „unterirdischer Tunnel, unterirdischer Wasserteich, Quellbecken, divine earth road, diiden, katabothros " gedeuteten DINGIR.KASKAL.KUR im Bereiche von Katabothren liegen würde bzw. müsste. Das in der Hieroglypheninschrift von Kammer A auf der Südburg Hattusas § 18 als DEUS.*2002 pa-ti- gelesene und als „Divine Earth-Road." gedeutete Bauwerk bezieht sich auf dieselbe, halb vergrabene und gewölbte Kammer und diese hat doch nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit jenem römerzeitlichen trojanischen „unterirdischen Gang" oder „Tunnel". Selbst die Bedeutung des Pseudoideogramms ist auf hethitologischer Seite auf gar keine Weise gesichert. „ Unterirdischer Gang, undercourse water", wie einst von E. I. Gordon ganz grob und willkürlich vermutet wurde, war eine blosse Phantasie. Da im Hethitischen viele Quellbezeichnungen mit TUL (PU) „Quelle" (heth. luli-, wattattar-, wattatra-) determiniert sind wie ^altannil-„Quelle, Brunnen", T(]Lsayatti- „?" und ll}Lwarwatalianza (Ausnahmen sind harsumna-„Springquelle", sakuni- „Quelle" und wattaru- „Brunnen"), auch hier würde man eine determinierte Schreibung *(DINGIR)TÜLKASKAL.KUR erwarten. Tatsächlich nennt der hierfür herangezogene Alaksandu-Vertrag in der Götterliste ein KASKAL.KUR und die TULHIA von einander getrennt und entzieht somit diesem Pseudoideogramm jedwede semantische Affiliation mit „Wasseranlage":

„ Wettergott des Heerlagers des Landes Wilusa, [....]x-appaliuna, KASKAL.KUR.RA, Göttinnen, Berge, Flüsse, Quellen (TÜLHI A) des Landes Wilusa Mit Recht spricht man hierfür auch von „Stelen, Hermen" (Haas). Meine persönliche Präferenz ist entweder eine ungewöhnlich markante Landschaftsform oder ein anikonischer Kultgegenstand.

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Zur Gleichsetzung des anfangs abgebrochenen Wortes ]x-appaliuna mit Apollo und daraus gezogenen weitschweifigen Schlüssen sei lediglich auch nach 75 Jahren F. Sommer's Hohn zitiert: „Höhepunkt des Optimismus in der positiven Auswertung schadhaften Materials ".

In rezenter Zeit verlegte man urplötzlich Troja nach Kilikien, genauer Karatepe. Erstaunlich, dass selbst die ernsthaftesten Forscher nicht einmal die Augen zwickten und so eine unheimliche Theorie über sich haben gehen lassen. Dies mag einerseits die Ambivalenz der Troja-Forschung zeigen. Die genauen Hintergründe dieser kühnen und skandalösen Behauptung sind mir unbekannt. Ich möchte aber anführen, dass die kritischen türkischen Medien darin nichts anderes als eine Ummantelung der Verlagerung der wirtschftlichen und energiebedingten Interessen auf Ceyhan-Iskenderun-Gebiet sehen möchten.

Mit dem unerwarteten Tod des Troja-Ausgräbers 2005 fing zwar auch die trojanische Archäologie an zu verblassen, hinterliess aber zusätzlich zu homerischen und schliemann'schen Bürden einen Berg von Lasten und eine erhebliche Anzahl von Falschpropheten, die durch einen strickten, hingebungsvollen und pietätvollen Glauben an den blinden Dichter und einen dem Ausgräber gegenüber geleisteten Treueeid verbunden ist. Sie werden die Wissenschaft in den kommenden Dekaden leider unnötigerweise beschäftigen. Doch, wie eine Verschwörung, als wollte man die sensationshungrigen Massen mit zur Wissenschaft mutierten Legenden überfuttern, geht nun am anatolischen Horizont ein anderer Stern auf, von dem man nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Homer hat nämlich 1500 km. östlich den Ball den biblischen Propheten zugespielt. Und nunmehr haben sie das Sagen in der archäologischen Szenerie unseres Landes! In dem neolithischen Kultplatz Göbeklitepe, in der düsteren Urfa-Ebene, gaukelt man nun den Massen den Garten von Eden, den quasi-Lebensraum von Adam und Eva, vor. Die auf Stolz erpichten Türken träumen nun von einem Touristenboom in einer Region, wo das GAP-Projekt allein den kinderreichen und arbeitslosen Menschen das ersehnte Auskommen doch nicht garantieren konnte. Die Massen werden einige Zeit damit beschäftigt sein und die Aufmerksamkeit einiger wissensgieriger Touristen wird auf die mit Staub bedeckte, glühende Ebene von Edessa (Urfa) gelenkt sein. Wem die ehrwürdigen Propheten nach der Enthüllung der Wahrheit den Spielball weitergeben werden, hängt von den Medienakteuren, den Heiligen Büchern, der Botmässigkeit und Eifrigkeit eines Forschers, oder selbst von zukünftigen „Golf-" „Wasser-" „Energie-" oder gar „Völkerkriegen" ab!

Eine andere elementare Frage stellt sich hinsichtlich des Luwiertums der westanatolisch-arzawaischen Bevölkerung im 2. Jahrtausend v. Chr. Der Forschung ist seit langem bekannt, dass die Luwier und Hethiter Brudervölker sind und stets in Symbiose lebten. Sie hätten sogar eine gemeinsame Schrift, die sie zusammen erfunden und benutzt hätten, die Hieroglyphenschrift, die man nun besser „ anatolische Hieroglyphen " nennen

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müsste. Wie sollen wir nun aber angesichts dieser Feststellung die seit althethitischer Zeit permament anhaltenden Kriege zwischen den indogermanischen Hethitern und ihrem Brudervolk, den Luwiern, die erbarmungslose Zerstörungswut der Hethiter und die absolute Unterwerfung und scharenweise Verschleppung von Gefangenen der angeblich luwischen Arzawäer, erklären?

In letzter Zeit erfand man eine „Fortsetzungsthese", eine Hypothese, die annimmt, dass das Luwische in dem weit ausgedehnten Gebiet von der Euphrates-Linie im Osten bis an die Dardanellen (Troas) im Westen gesprochen worden sei, und die Luwier auch nach dem Untergang des Hethitertums weitergelebt und im Westen sogar hethitisches Kulturerbe und Traditionen fortgesetzt hätten. Die Übertreibung der Pan-Luwisten wagt sogar die waghalsige Behauptung zum Ausdruck zu bringen, dass nicht die Phoenizier auf dem Seeweg, sondern die Luwier auf dem Landweg über Anatolien die phoenizische Alphabetschrift den Griechen übermittelt hätten! So absurd und inakzeptabel so eine These auch immer sein mag, findet sie leider in den Reihen der Pan-Anatolistischen Türken grossen Gefallen, da sie sich einbilden, doch endlich den geheimnisvollen Schlüssel, d. h. die handfesten genuin anatolischen Beweismittel, für die Ursprünge und die Entstehung des sogenannten ionischen Wunders an der Westküste Anatoliens gefunden zu haben! Diesen Türken ist anscheinend der indo-europäische Aspekt der Luwier weniger bekannt, als der der Hethiter; sonst würden sie zwischen den Ioniern und Luwiern wenig unterscheiden und nicht so euphorisch werden! Handelt es sich bei dieser Euphoria etwa um eine Kompensation für den Orientkomplex?

Resümieren wir: Hinsichtlich der Identität von Troja-lllios mit der in den hethitischen Texten bezeugten Landschaft Wilusa vergisst man nur zu schnell, dass die These schon sehr viel früher von Luckenbill (1912) und Kretschmer (1924) vorgeschlagen und später vehement von E. Forrer vorangetrieben wurde (Heinholdt-Krahmer), und bemüht sich, auch unter Verwendung der Auftragsforschung, mit allen erdenklichen Mitteln, Anhänger und Befürworter zu gewinnen. Ich würde sehr gern die Forscher, die uns das Alte als ihre eigene Entdeckung auftischen, von Autorenschelte freihalten und sie nicht beschädigten historischen Gewissens bezwichtigen, wenn sie in der Zwischenzeit nicht in eine Sackgasse und zu Inzest geraten wären. Hier wie in der Achäerforschung zitieren sie selbstbestätigend nur noch sich selbst und spielen somit mit dem Feuer! Auf den ethisch-moralischen Aspekt und die wissenschaftshemmende Wirkung dieses Verhaltens muss eindringlich hingewiesen werden. Wilusa kann aus vielerlei Gründen unmöglich in der Troas liegen, sondern kann versuchweise in der Eski§ehir-Ebene und im östlichen Bereich von Bursa gesucht werden. Wer die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Hatti und Wilusa seit althethitischer Zeit auf vernünftige und geopolitisch nachvollziehbare Weise erklären möchte, muss unbedingt die enorme Entfernung der Troas von Hattusa in Betracht ziehen, nämlich über 1000 km.(!). Zur Pflege der gut nachbarlichen Beziehungen würde man die dazwischen liegenden Landschaften von Galatien, Phrygien, Paphlagonien, Bithynien, Mysien und Troas zu überwinden haben!

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- Wohlgemerkt: Autobahne, Flugzeuge und anatolische Schnellbusse gab es zu jener Zeit noch nicht!

Dank der, aufgrund von Keramikscherben und von drei Stück(!) Lineartafeln aus Miletos erschlossenen, künstlichen Wiederbelebung der mykenischen Anwesenheit in Westanatolien, dem blinden Glauben an einige Gleichklänge geographischer Namen, dubiöser, nicht überzeugender Neulesungen der Karabel-Inschrift und schliesslich der Entdeckung einiger Graffiti am Latmos-Gebirge ist nun schliesslich die lange bestrittene Gleichsetzung der Ahhiyawa-Leute in den hethitischen Texten mit den Mykenern zwar nolens volens von vielen Forschern ad hoc akzeptiert, doch die Diskussion und der Streit dauern an und werden weiter gehen, bis endlich die kettenweise ausgelöste Entdeckungshysterie zum Stocken kommt.

Es ist schade, dass man hierbei keine Toleranz kennt und die Oppositionsstimmen entweder verkannt, verschwiegen oder unter Einsatz polemischer Mittel zurückgewiesen werden. Dazu wird unter Verwendung der Rhetorik mit unzusammenhängenden und bisweilen kryptischen Mitteln argumentiert. Wohlgemeinte und berechtigte wissenschaftliche Gegenkritik wird als persönliche „Kränkung" aufgefasst! Der Ausgräber wird von seinen Anhängern mit Lorbeerkränzen überschüttet, ja er wird sogar „de facto in einer besseren Lage als Herodot" geschätzt. Die virtuelle Natur der Homerischen Epen liefert ja der Sache falschen Glamour mehr als genug! Hierbei scheut man leider auch nicht „gobbledegooks", um das Ziel zu erreichen. Selbst die skeptische Annäherung einiger vorsichtiger Forscher und Kollegen wird dann abgewertet, weil sie in Zusammenhang mit den faits accomplis Gleichsetzungen und Prädikate wie „ unproved, uncertain, unimportant, non-existent" verwenden (Hawkins), als ob die eigenen Vermutungen bestens bewiesen seien! Wie sollte man doch sonst seinen Zweifel und seine Kritik auf einem derartig wackeligen Boden, wie ihn die trojanische Archäologie abgibt, zum Ausdruck bringen? Will man unter Verbot der Verwendung dieser Prädikate die anders denkenden Forscher zur Kapitulation zwingen, sie ,mundtot' machen?

Man nimmt nun an, dass die Entdeckung der Graffiti in Be§parmak Daglari die Lokalisierung von Mira südlich des Karabel-Passes bestätige. Die Inschrift besteht aber nicht aus einem zusammenhängenden Text, sondern aus sechs Zeichengruppen, die in unregelmässigen Abständen angebracht sind. In Latmos kommt noch etwas Besonderes hinzu: Es ist ein Klosterberg und war voll von gottbesessenen Mönchen und Pilgern! Niemand kann daher leugnen, ob sie tituli memoriales, Hirtenzeichen oder Eigentumsmarken der Mönche oder Pilger gedeutet werden können. Nur bei der fünften Inschriftengruppe, die die grösste und zentralste ist, handelt es sich wahrscheinlich um die Namenskartusche des Kupantakuruntiya, des Adoptivneffen Mursiiis II. und Adoptivsohns Mashuiluwas, des Herrschers von Mira: Gross-König-Sohn Ku-pa-ya = „Prinz Kupaya", also die Kurzform von Kupantainariya. Es werden weiterhin Mira und weitere Prinzen erwähnt.

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Ahmet ÜNAL

Kettenreaktionen auf die Neulokalisierungen von Millawanda und Apasa jeweils in Miletos und Ephesos haben auf andere westanatolische geographische Einzelheiten aufmerksam gemacht. Einen parallelen Blindgang löste damals die Entdeckung eines mythischen Textes über die Königin von Kanes mit ihren 30 Kindern aus. Die Spatenforschung wollte den Rettungsort der im Fluss ausgesetzten Kinder in der Stadt Zalpa konkret zeigen und vermutete fälschlich Jahrzehnte lang Zalpa in Ikiztepe. Ähnlich hat ein eifriger Archäologe behauptet, in einer Siedlung in Bademgedigi in der Nähe von Metropolis Wasserleitungen der Arzawa-Stadt Puranda entdeckt und somit dieselbe Stadt dort gefunden zu haben. Seine Wasserleitungen stammen aber aus der römischen Zeit und sind daher genau so belanglos wie jener römerzeitliche Tunnel in Troja! In Wirklichkeit liegt Puranda am Fusse des von mir lange Zeit zuvor (1983) mit Arinnanda Berg gleichgesetzten Samsun Dag und kann somit nur mit Prienne oder einem etwas oberhalb des Berghangs gelegenen Bergdorf identisch sein.

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