Vestimentäre Brüderlichkeit. Moden der Einheit in Jugoslawien und der Tschechoslowakei

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Sonderdruck aus Tanja Zimmermann (Hg.) Brüderlichkeit und Bruderzwist Mediale Inszenierungen des Aufbaus und des Niedergangs politischer Gemeinschaften in Ost- und Südosteuropa V& R unipress ISBN 978-3-8471-0136-9 ISBN 978-3-8470-0136-2 (E-Book)

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Tanja Zimmermann (Hg.)

Brüderlichkeit und Bruderzwist

Mediale Inszenierungen des Aufbaus unddes Niedergangs politischer Gemeinschaftenin Ost- und Südosteuropa

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ISBN 978-3-8471-0136-9

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Tanja Zimmermann (Konstanz)Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

I. Konzepte und Ausprägungen der »Brüderlichkeit« im 20. und21. Jahrhundert

Stefan Troebst (Leipzig)Kommunistische Nationskonstruktionen. Indigenisierung,Zwangsassimilierung, Zwangsumsiedlung, separatistischesNation-Building und supranationale Konzeptionen . . . . . . . . . . . . 49

Ivan Colovic (Belgrad)Unsere Brüder, unsere Freunde. Ein Beitrag zur Anthropologie derinternationalen Freundschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

Jan Dutoit / Boris Previsic (Basel)Zwischen Stammesdenken und internationaler Solidarität. Bratstvo imErsten und Zweiten Jugoslawien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

Aleksandar Jakir (Split)Die Sokol-Bruderschaft zwischen den Weltkriegen in Dalmatien . . . . . 99

Christian Voß (Berlin)Zur Vergleichbarkeit jugoslawischer und EU-europäischerBrüderlichkeitsdiskurse – aus Sicht der Eurokrise seit 2010 . . . . . . . . 115

Mirt Komel (Ljubljana)“Brotherhoods and Unities”. European Citizenship and Nationalism inYugoslavia’s Successor States applied to the case of post-Dayton Bosniaand Herzegovina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

II. Mediale Konstruktionen der Brüderlichkeit

Kristin Lindemann (Konstanz)Slawen oder Muslime? Bosnisch-muslimische Intellektuelle zwischen„Blutsbrüdern“ und „Glaubensbrüdern“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

Milka Car (Zagreb)Brüderlichkeitsdiskurse im Spiegel der Rezeptionsgeschichte imkroatischen Nationaltheater in Zagreb um 1918 . . . . . . . . . . . . . . 169

Anna Bohn / Jean-Claude Fombaron(Berlin – Saint-Di�-des-Vosges)Vom Feind zum Bruder. Zu medialen Inszenierungen der Verbrüderungan der Ostfront im Ersten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

Nenad Makuljevic (Belgrad)Jugoslawien vor Jugoslawien. Südslawische Brüderlichkeit unterKünstlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

Tanja Zimmermann (Konstanz)Ausstellungswesen und transnationales nation building im Ersten undZweiten Jugoslawien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

Katarina Mohar (Ljubljana)Representations of the National and Supranational in Socialist Slovenia.A Case Study of Two Historical Frescoes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249

Milan Popadic (Belgrade)On the Ruins of Socialist Novi Pazar. Memories of the OneBrotherhood-and-Unity Vision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

Andrea Rehling (Mainz)Brüder international. Jugoslawiens Welterbe als Gedächtnis derblockfreien Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277

Inhalt6

Dmitri Zakharine (Konstanz)Vom christlichen osculum pacis zum sozialistischen Bruderkuss.Kollektive Identitätsbildung in Osteuropa nach dem Zweiten Weltkrieg . 301

Jan Rand�k (Prag)Geschichtsbilder im Dienste der sozialistischen Freundschaft. DieHussiten in den Beziehungen zwischen der Tschechoslowakei und derDDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331

Manuela Schwärzler (Konstanz)Zu Besuch bei Brüdern. Tschechische Reiseberichte über Jugoslawien . . 353

Tatjana Petzer (Berlin/Zürich)Vestimentäre Brüderlichkeit. Moden der Einheit in Jugoslawien und derTschechoslowakei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373

Ljiljana Reinkowski (Basel)Die letzte Welle der Brüderlichkeit? Die Neue Welle als kulturelleBewegung in Jugoslawien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393

III. Mediale Dekonstruktionen traditioneller „Brüderlichkeit“

Bohunka Koklesov� (Bratislava)Tschechen und Slowaken vor dem Zweiten Weltkrieg – ihreAuseinandersetzungen und Konflikte im Spiegel der Presse und derFotografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415

Katrin Winkler (Konstanz)Medien und Regionalismus in Jugoslawien. TV und regionale Konzepte inder Fernsehzeitschrift Studio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437

Davor Beganovic (Konstanz/Tübingen)Bedrückende Brüderlichkeit. Drastische Körperbilder in Mirko KovacsGubiliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449

Ruza Fotiadis (Berlin)Von orthodoxen Brüdern und traditionellen Freunden – die Idee dergriechisch-serbischen Freundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465

Inhalt 7

Aida Gavric (Sarajevo)Der „Mischling“ – die Verkörperung der Brüderlichkeit oder derUneinigkeit in Bosnien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485

Renata Makarska (Mainz / Germersheim)Neue Polykulturalität in Zentraleuropa. Tschecho-Vietnamesen zwischenInklusion und Exklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497

Andrea Zink / Tatjana Simeunovic (Innsbruck – Basel)Verlorene Brüder? Miljenko Jergovics jugoslawische Spurensuche . . . . 519

Kurzbiografien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543

Inhalt8

Tatjana Petzer (Berlin/Zürich)

Vestimentäre Brüderlichkeit. Moden der Einheit inJugoslawien und der Tschechoslowakei

Kleider ordnen die Gesellschaft. Die sozialistische Kleiderordnung sollte nichtnur die Funktionen der Mode nivellieren, die Klassen- und Geschlechterrollenideologisch und ökonomisch bekräftigten, sondern insbesondere jene „Modenach der Mode“ (Barbara Vinken), die in Kunst, Dandyismus und Mode-schöpfungen weibliche Differenz sowie Individualität verkörperte und damit diebürgerliche Kleiderordnung subversiv untergrub.1 Die Demokratisierung derKleidermode, die, folgt man Gilles Lipovetsky, im Übergang von Haute Couturezu PrÞt-�-Porter zur postmodernen Signatur wurde, eine durch Bedarf undGebrauch der Käuferinnen und Käufer bestimmte Mode als fortwährender undsich beschleunigender Entwertungs- und Wandlungsprozess der Formen,2 standim Gegensatz zur sozialistischen Kleiderpolitik, die auf Überindividualität,Funktionalität, Beständigkeit und Zeitlosigkeit setzte. Die Ideologie des Kom-munismus forderte klare Linien und Schnittmuster, ein Gewand, das die Einheitdes Kollektivs sichtbar machte. Ein Blick auf die Bekleidungspraxis im Ostblockzeigt jedoch Unterschiede im Design für Alltag und Repräsentationszwecke.3

Praktiken der Uniformierung und die Durchkreuzung von Kleiderreglementsenthüllen,4 dass Mode für die Gesellschaft immer Spiegel und Maske ist.5 Dastrifft für Kleiderpraktiken im Sozialismus umso mehr zu, wo die Mode selbst,

1 Vgl. Vinken, Barbara: Mode nach der Mode. Kleid und Geist am Ende des 20. Jahrhunderts.Frankfurt/M. 1993.

2 Lipovetsky, Gilles: L’empire de l’�ph�m�re. La mode et son destin dans les soci�t�s modernes.Paris 1987; Ders.: Narziss oder Die Leere. Sechs Kapitel über die unaufhörliche Gegenwart.Hamburg 1995, S. 220 f.

3 Vgl. Bartlett, Djurdja: FashionEast. The Spectre that Haunted Socialism. Cambridge/Mass. 2010.

4 Vgl. Mentges, Gaby : ,Uniform – Kostüm – Maskarade. Einführende Überlegungen‘, in: Dies. /Neuland-Kitzerow, Dagmar / Richard, Birgit (Hg.): Uniformierungen in Bewegung: Vesti-mentäre Praktiken zwischen Vereinheitlichung, Kostümierung und Maskerade. Münster u. a.2007, S. 13 – 27.

5 Zu dieser Ambivalenz der Mode vgl. Simmel, Georg: ,Philosophie der Mode‘, in: Landsberg,Hans (Hg.): Moderne Zeitfragen 11. Berlin o. J. [1905], S. 5 – 41, hier S. 26.

aus ideologischer Perspektive betrachtet, eine ambivalente Erscheinung ist. DerVersuch, eine eigenständige sozialistische Mode zu begründen, brachte an sichkeine revolutionären Modekonzepte hervor. Allein die fraternistische Rhetoriksollte auch in vestimentären Codes zum Ausdruck kommen. Wie letztere zurNeuerfindung sozialistischer Bruderidentitäten genutzt wurden, soll im Fol-genden an ausgewählten Beispielen aus der Kleidergeschichte der jungen Ein-heitsstaaten Jugoslawien und Tschechoslowakei untersucht werden.

Kleidercodes und Konsum

Das (Haut-)Kleid spricht über die Identität, die Selbst-Identifikation. Wie derMensch durch seine Kleidung erschaffen wird, behandelte Boris M. Ejchen-baums Essay „Wie Gogol’s ,Mantel‘ gemacht ist“ („Kak sdelana ,Sinel’ Gogolja“)von 1919.6 Darin geht es natürlich nicht um die Garderobe des SchriftstellersNikolaj Gogol’, sondern um das ,Gemachtsein‘ des Textes „Der Mantel“ (1842,„Sinel’“) im Sinne des russischen Formalismus. Doch durch die Zweideutigkeitdes Titels, der sich auch auf die Fertigung und Beschaffenheit des Kleidungs-stücks beziehen kann, wird jener Zwischenraum offengelegt, in dem vestimen-täre Codierungen stattfinden. Nicht die primäre Bekleidungsfunktion ist maß-geblich, sondern vielmehr, wie deren Bedeutungen konstruiert werden und wiederen Bedeutungen selbst neue Räume, Machtbeziehungen und Identitäten er-schaffen. Bei Gogol’ steigt und fällt die Existenz eines Beamten niedrigstenRanges mit einem neuen Kleidungsstück: sinel’, russ. ,Mantel‘, der hier besserals ,Pelerine‘ zu denken ist.7 Denn in ihm sind alle Attribute des Begehrenseingetragen, die allein einer Frau gelten können. Über den weitgeschnittenenund wattierten, bis zum Boden fallenden Stoff fällt der Überwurf – soweit gemäßder Kleidermode für den Staatsdienst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts –mit einem abknöpfbaren Kragen iz koski (aus Katzenfell). Die neue Kleidungverändert das graue, uniformierte Kanzleileben des Beamten. Es täuscht aberauch über dessen sozialen Status hinweg und öffnet ihm für kurze Zeit Zugangzur Geselligkeit in höheren Kreisen. Der baldige Verlust des Mantels durch Raubstürzt den armen Beamten in einen nur noch bedauerlicheren Zustand als zuvorund schließlich in den Tod. In der Novelle unterwandert die (Ver-)Kleidung die

6 Ejchenbaum, Boris M.: ,Kak sdelana ,Sinel’ Gogolja‘, Russ./dt. in: Striedter, Jurij (Hg.): Rus-sischer Formalismus. Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa.München 1994, S. 122 – 159.

7 Zur semantischen Konnotationen des russischen Lexems als Femininum vgl. Burkhart,Dagmar : ,Das Phantasma des Mantels. Gogol’, Timm, Makanin‘, in: OSTEUROPA 2005/11,S. 95 – 106.

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russische Ständeordnung, die mit den Petrinischen Reformen eingeführt wurde,um das Land zu europäisieren.

Als Ejchenbaum seinen Essay schrieb, zeichnete sich bereits ein neues Klei-derreglement ab, dessen Einheitsdesign, ideologisch untermauert und durch dasstaatseigene Industrieangebot begrenzt, den neubegründeten stände- undklassenlosen Arbeiter- und Bauern-Staat repräsentieren und sich dem moder-nen (westlichen) Diktat der Etikette sowie des Konsums widersetzten sollte.Ungeachtet dessen blieben gute Kleider und Schuhe der kindliche Traum desneuen sozialistischen Menschen und insbesondere auch der Vorzeigearbeiter(während die Nomenklatura in der Öffentlichkeit mit ihrem Outfit oft das Idealder bescheidenen Einfachheit zum Ausdruck brachte). Die Stachanov-Arbeitererhielten für ihre Leistung einen besonderen Kleiderbonus, das Privileg, in ex-quisiten Läden einzukaufen, und Einladungen zu Dinnerpartys, Besuche imBolsoj-Theater oder Tanzclubs, die entsprechende Kleider erforderten, undUrlaubsmöglichkeiten auf der Krim. Darüber berichtete das populäre TagesblattVecernaja Moskva (Abendliches Moskau). In der stalinistischen Massenkulturder 1930er Jahre erschien somit Gogol’s pelzbesetzte Robe, sprich: Luxus undfeminine Eleganz, als erstrebenswertes und erreichbares Ziel der sozialistischenArbeit und wurde zum Ausdruck des sozialen Aufstiegs, der freilich für alleerreichbar sein sollte.8

Dennoch: Diese grundlegende Widersprüchlichkeit zwischen Ideologie dersozialistischen Einheitsbekleidung und Utopie des Überflusses, zwischen Pro-duktion und dem Begehren nach individueller Mode sowie Luxusgütern konnteauch in den neubegründeten sozialistischen Ländern der Nachkriegszeit be-obachtet werden.9 In allen sozialistischen Staaten entwickelten die privilegiertenSchichten das Bedürfnis nach gehobener Mode. Während dieser Bedarf imOstblock lediglich zu einem pseudo-klassizistischen Design führte, das sichetwas unbeholfen von westlichen Modetrends abzusetzen versuchte und dessenModelle nicht über das Entwurfsstadium oder die Einzelanfertigung für Messenhinausgingen, da sie für die Massenproduktion zu teuer und bestenfalls auf denLaufstegs repräsentativer Warenhäuser zu sehen waren,10 kreierten JugoslawiensModeschöpfer auch für den Alltag. Mode (als flexibles Zeichensystem undAusdruck von Individualität, wandelbaren Identitäten usw.) im Sozialismus war

8 Vgl. Bartlett 2010, S. 68 – 70.9 Vgl. die komparatistische Studie von Bartlett 2010.

10 Vgl. dazu, am Bsp. der DDR, Stitziel, Judd: Fashioning Socialism. Clothing, Politics andConsumer Culture in East Germany. Oxford 2005. Nirgends war die Differenz zwischenextravaganter Laufstegmode und Warenangebot so groß, wie in der Sowjetunion. Vgl.Zuravlev, Sergej / Gronov, Jukka: ,Soviet Investment in Flamboyance: Fashion Design atGUM, the State Department Store in Moscow‘, in: BALTIC WORLDS 2010/3 – 2, S. 26 – 33.

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an sich ambivalent, hinzu kamen die Paradoxien der sozialistischen Planwirt-schaft.

Verkündete das erste Heft der Belgrader Modezeitschrift Ukus (Geschmack)noch unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg und in Übereinstimmung mit derBekleidungspolitik im Ostblock, das neue Jugoslawien bedürfe einer sozialisti-schen Kleidung, die praktisch und solide, bescheiden und bequem sein solle,11

verfolgte Jugoslawien bald nach seinem Ausschluss aus dem Kominform auch inder Mode einen eigenen Weg. In den 1950er Jahren kam die im jugoslawischenSelbstverwaltungssozialismus zugelassene Privatwirtschaft individuellenWünschen von Konsumenten entgegen.12 Der Kultfilm Liebe und Mode (Ljubav imoda, 1960), eine Musikkomödie des Regisseurs Ljubomir Radicevic, führt dieaufkommende Konsumkultur vor Augen. Die Kleider und Accessoires, die hierauf einer von Studenten, also der neuen jugoslawischen Generation, für denBetrieb „Jugosik“ organisierten Modenschau vorgeführt werden, als auch dieVespa, auf der die junge Hauptdarstellerin gleich zu Beginn des Films selbst-bewusst die Stadt zur Universität durchquert, sind Ausdruck des neuen urbanenJugo-Schicks.13 Mit der 1968er-Bewegung wurde die Jugend von der Hippie-manier erfasst. Jenseits der repräsentativen Mode trug man Schlaghosen undungekämmt-fettige Haare – das in Belgrad aufgeführte Musical Kosa (Hair) warVorbild. Auch in Jugoslawien war die vestimentäre Gegenbewegung politischesStatement, das sich gegen das (rote) Establishment – Jugoslawiens prominen-tester Dissident Milovan �ilas nannte es die „Neue Klasse“ – wandte.

In der Tschechoslowakei sollte sozialistische Kleidung einfach und funktio-nell sein und – wie das Modell auf dem Coverblatt des führenden ModejournalsZena a m�da (Frau und Mode) von 1949, entstanden im Umfeld des 9. Kongressder KSC, nahelegt – im Einklang mit der Partei stehen.

11 Vgl. Velimirovic, Danijela: ,Region, Identity and Cultural Production. Yugoslav Fashion inthe ‘National Style’‘, in: ETHNOLOGIA BALKANICA 2008/12, S. 59 – 77, hier S. 73 f. ImBelgrader „Museum für jugoslawische Geschichte (Museum 25. Mai)“ war vom15.05.–01. 08. 2010 die Ausstellung „Zenska strana / Woman’s Corner“ zur Lage und Rolle der„neuen Frau“ im sozialistischen Jugoslawien der 1940er bis 1960er Jahre zu sehen.

12 Tito, den das Wirtschaftsembargo der Ostblockstaaten nach dem Ausschluss Jugoslawiensaus dem Kominform zur Annahme von Hilfslieferungen und Krediten seitens der USA imRahmen des Marshallplans zwang, führte die Arbeiterselbstverwaltung als neues wirt-schaftspolitisches Modell ein, eine Form „sozialistischer Marktwirtschaft“ in Abgrenzungzum zentralisierten Plansozialismus und in Annährung an die Marktwirtschaft, wodurch dieeinheimische Produktion an Flexibilität gewann.

13 Vgl. auch Dimitrijevic, Branislav : ,Sozialistischer Konsumismus, Verwestlichung und kul-turelle Reproduktion. Der ,postkommunistische‘ Übergang im Jugoslawien Titos‘, in: Groys,Boris / von der Heiden, Anne / Weibel, Peter (Hg.): Zurück aus der Zukunft. OsteuropäischeKulturen im Zeitalter des Postkommunismus. Frankfurt/M. 2006, S. 195 – 277, hier S. 213.

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Abb. 1: Frauenbekleidung, Zena a m�da 6, Coverbild, 1949.

In Unterstützung dieser ideologisch-korrekten Mode kommentierte JirinaSpalov�, eine vehemente Kritikerin ständig wechselnder bourgeoiser Moden, inder Zeitschrift die Vorzüge des sozialistischen Designs, das unter Verzicht aufüberflüssige Accessoires Material, Farben und Form betonte.14 Stalins Todbrachte die Liberalisierung der Kleiderpolitik und die Rückkehr zur ,Weltmode‘.Damit endete die Diskussion über die neue sozialistische Bekleidung und eineschrittweise Öffnung für den internationalen Markt setzte ein: Mode aus derCSSR war nun auch auf Vorführungen in kapitalistischen Ländern vertreten,deren Kollektionen dann ebenfalls in Prag gezeigt werden durften – 1966 gab essogar eine Dior-Modenschau in Prag.15 In Folge wurden westliche Modepro-dukte, die kaum im Angebot waren, zum Fetisch,16 auch wenn sich Ende der1960er Jahre tschechoslowakisches Design vielfältig und fortschrittlich prä-sentierte. So durchbrach das Prager Institut für Wohnungs- und Bekleidungs-kultur (�stav bytov� a odevn� kultury) mit seinen Kreationen klassizistischeund bürgerliche Formen. Die einheimische Industrie sollte angeregt werden, vor

14 Spalov�, Jirina: ,Uniformita – a je vubec mozn�?‘, in: ZENA A M�DA 1950/2, S. 22. Vgl.Hlav�ckov�, Konstantina: ,1948 – 1970. Mod� a ideologie‘, in: Dies. : Cesk� mod�. 1940 –1970. Zrcalo doby. Praha 2000, S. 33 – 45; Bartlett 2010, S. 100 – 109.

15 Hlav�ckov� 2000, S. 42 – 44.16 Vgl. die entsprechende Obsession der Protagonistin in Josef Skvoreckys Erzählung ,Little

Mata Hari of Prague‘, in: Ders.: Headed for the Blues: A Memoir with Ten Stories, London1998, S. 195 – 211; darauf verweist auch Bartlett 2010, S. 265 f.

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allem auf die Bedürfnisse einer jungen Mode zu antworten. Für die neue Äs-thetik standen beispielweise der formschöne Regenmantel-Entwurf, der 1969auf das Cover des Aprilhefts von Zena a m�da kam (Abb. 2), oder das Design von„Astromoda“ (Abb. 3), das zum einen westliche raumfahrtinspirierte Mode-trends aufgriff, zum anderen an die Avantgarde-Rolle der sowjetischen Kos-monautin Valentina Tereskova anknüpfte, die 1963 als erste Frau im Weltall war.

Dieses moderne urbane Design für die Dame, das technischen Fortschritt unddie Gleichberechtigung der Frau zum Ausdruck brachte, war in Zena a m�daneben einer Kollektion romantischer Männermode abgedruckt (Abb. 4), die denHerrn durch ein verspieltes weißes Rüschenhemd (wie im Märchenfilm) demeintönig uniformierten Alltag des Sozialismus entriss.

Um sich inmitten der Uniformität Individualität zu verschaffen, folgten Ju-gendliche des sozialistischen Ostblocks den subkulturellen Trends der westli-chen Industriestaaten. Bereits Ende der 1940er entwickelte sich in der Sowjet-union eine vestimentäre Gegenkultur mit wenig Sinn für Politik und Vorliebenfür schrille Farben und amerikanischen Lifestyle: die stiljagi. Diese bestandenbis Anfang der 1960er Jahre. In der Tschechoslowakei waren es in den 1950erJahren die p�skov�, die sich zu Rock ’n’ Roll und amerikanischem Lifestylebekannten. Sie befestigten Labels von amerikanischen Zigarettenpackungen,von Touristen aus dem Westen weggeworfen, an den eintönigen Krawatten, die

Abb. 2: Sommerlicher Regenmantel, Zena a m�da 4, 1969, Coverrückseite.

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man in den Warenhäusern zu kaufen bekam, und imitierten Gewohnheitenamerikanischer Filmstars; als Ersatz für Kaugummi kauten sie Paraffin.17

Vera Chytilov�s (1928 – 2014) experimenteller Spielfilm Tausendschönchen(Sedmikr�sky) von 1966 dokumentiert ein Stück Alternativkultur samt Dessousund Bademode junger sexuell emanzipierter Mädchen. Ebenso wie der Filmnach der Zerschlagung des Prager Frühlings verboten wurde, waren die 1970erund 80er Jahre, die Zeit der Politik der „Normalisierung“, geprägt vom syste-matischen Kampf gegen Abweichungen von der normativen Kleiderordnung.Besonders hart traf es die langhaarigen Männer, die sogenannten m�nicky oderauch vlasatci, denen der Zutritt zu Caf�s und kulturellen Einrichtungen und ineinigen Städten sogar zum öffentlichen Transport untersagt wurde: „M�s-lidlouhy vlas, nechod mezi n�s!“ („Hast Du lange Haare, dann sei nicht unteruns!“) lautete die entsprechende Losung in den Medien. In einer Sommeraktion

Abb. 3: Design „Astromoda“, Zena a m�da 7, 1970.

17 Vgl. Reid, Susan E. / Crowley, David: ,Style and Socialism. Modernity and Material Culture inPost-War Eastern Europe‘, in: Dies. (Hg.): Style and Socialism. Modernity and MaterialCulture in Post-War Eastern Europe. Oxford u. a. 2000, S. 1 – 24, hier S. 15; Jaboud: Trafous,p�skov�, Vysehradst� jezdci a jin� vzpom�nky. Detstv� a ml�d� v Praze pades�tych let. Praha2011.

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im Jahre 1966 wurden über hundert Personen mit langen Haaren inhaftiert, denProtesten Gleichgesinnter entgegnete die Staatsgewalt mit weiteren Festnahmenund Gefängnisstrafen. Man traf die m�nicky auf den Konzerten der tschechi-schen Untergrundbands DG 307 und Plastic People of the Universe. 1974, als dasKonzert der PPU in Cesk� Budejovice durch die Polizei gestoppt wurde, verhörteman die m�nicky und schnitt ihnen gewaltsam die Haare ab. Ihre Einstellungließen sie sich dadurch nicht nehmen. Als zwei Jahre später ein politischerProzess gegen die PPU geführt wurde, unterstützten sie die Band öffentlich. Inden 1970er Jahren blühte die Punk-Kultur auf, deren provokanter Kleidungsstilmit lokalen Möglichkeiten das westliche Vorbild nachgestaltete: weiße Medizi-nerhosen wurden eingefärbt, Stiefel des CSSR-Militärs besprüht.18

Do-it-yourself-Kleider waren nicht immer gleich eine subversive Geste.19 DieLücke zu überbrücken, die zwischen dem recht großen Angebot einheimischerModezeitschriften und dem Konsumangebot der Warenhäuser klaffte, bedeutetein den 1970er Jahren, selbst zu schneidern und kreativ zu sein. Die staatlicheBekleidungsindustrie konnte an die traditionellen tschechischen Kleiderwerk-stätten der Vorkriegszeit nicht anknüpfen, die zentrale Planung erwies sich als

Abb. 4: Romantische Herrenhemden für den Abend, Zena a m�da 10, 1969.

18 Zur CSSR-Mode der 1970er Jahre vgl. Hlav�ckov�, Konstantina: 70 „Kytky v popelnici“.Spolecnost a m�da v sedmdes�tych letech v Ceskoslovensku / „Flowers in the dustbin“Society and Fashion in Czechoslovakia in the Seventies. Ausstellungskatalog Umelec-koprumyslov� Museum v Praze, 07. 12. 2007 – 17. 02. 2008. Praha 2007.

19 Vgl. den Dokumentarfilm Ein Traum in Erdbeerfolie des ehemaligen DDR-Models MarcoWilms, Trailer verfügbar unter : <http://www.youtube.com/watch?v=QDe90FoauPU>[Zugriff: 23. 08. 2013], der Einblicke in die offizielle, vor allem aber subversive Mode sowieModefotografie der 1980er gibt und diese durch das DDR-DIY-Revival „Comrade Couture“wiederbelebt.

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zu unflexibel und sperrig für die Alltagsbedürfnisse. Selbst Schnittmusterwurden, sofern sie nicht aus einheimischen Zeitschriften stammten, laienhaftnach dem Vorbild von Modeabbildungen westlicher Zeitschriften hergestellt. InJugoslawien dagegen wurden westliche Moden nicht nur unbeschwerter kopiert,grundlegende Veränderungen von Produktion und Konsumverhalten gingeneinher mit der zunehmenden Dezentralisierung des Marktes und den Reise- undEinkaufsmöglichkeiten in den angrenzenden westlichen Staaten.

Sozialistische Haute Couture

Der Kalte Krieg erfasste auch die Kleidermode. Im Ostblock wurde Politiker-gattinnen nicht nur keine sonderliche repräsentative Funktion zuteil, der kul-turelle Unterschied zwischen den Weltmächten konnte anhand ihrer Kleider vorAugen geführt werden. Als Richard Nixon gemeinsam mit seiner Frau 1959 zurNationalausstellung der USA in Moskau fuhr, die im Rahmen eines Kulturaus-tauschprogramms stattfand, wurde der Kleiderclash in einem einzigen Cover-bild zugespitzt. Die Zeitschrift Life vom 10. August 1959 zeigte vier Ehefrauender beiden politischen Eliten, die sich zu einem Dinner auf Chruscevs Datschatrafen: Pat Nixon, im dekorativen Outfit, neben ihr Nina Chrusceva im soge-nannten Chalat, einem einfachen Hauskleid, sowie den Ministergattinnen Mi-kojan, im schlichten Kostüm und Hut, und Kozlova, die als einzige durch dezenteAccessoires ein gewisses Bewusstsein für Abendmode zum Ausdruck brachte –von dieser russischen mütterlichen Troika hob sich die Frau des damaligen US-Vizepräsidenten mit ihrer Upperclass-Garderobe klar ab.

Die Ehefrauen der Präsidenten der Tschechoslowakei standen kaum imRampenlicht der Mode. Die Frau des Stalinisten Klement Gottwald, MartaGottwaldov� – in dieser Funktion stets bemüht, ihre einfache Herkunft zuüberspielen und edler in Erscheinung zu treten –, ließ ihren ursprünglichenNamen Marie ändern und trug auch bei Hitze Pelzkragen. Die einzige First Lady,die es verstand, an der Seite ihres Mannes repräsentative Aufgaben zu erfüllen,und sich auch wohltätig engagierte, war Irena Svobodov�, die Frau von Ludv�kSvoboda, der Staatspräsident in den Jahren 1968 bis 1975 war. Die populärsteFirst Lady war die vom Volk verehrte Bürgerrechtlerin Olga Havlov�, die ersteFrau des letzten tschechoslowakischen Präsidenten vor der Auflösung desStaates, V�clav Havel. Der neue Status änderte an ihrer existentialistischenKleidung jedoch wenig.20

20 Schneibergov�, Martina: ,Verehrt, verspottet, vergessen. Ausstellung über First Ladies inRoztoky bei Prag‘, 25. 11. 2011, verfügbar unter : <http://www.radio.cz/de/rubrik/tourist/

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Ganz anders trat Jugoslawien in Erscheinung. Präsident Tito wählte mit demBrioni-Archipel (serbokroat. Brijuni) im Süden Istriens, Teil des ehemaligen„österreichischen Küstenlandes“, der um die Jahrhundertwende privatisiert undzum Luxusressort der europäischen Aristokratie kultiviert wurde, einen mon-dänen Regierungssitz für die Sommermonate. Nach diesen Inseln wurde 1945auch ein italienisches Haute-Couture-Label für Herrenmode benannt, das ins-besondere für in Handarbeit gefertigte, figurbetonte Herrenanzüge steht. Es magein Zufall sein, dass der Marschall, dessen Vorliebe für maßgeschneiderte An-züge und Uniformen legendär war – so präsentierte ihn 1948 auch das Cover derUS-amerikanischen Zeitschrift Life (Abb. 5) –, gerade dieses namhafte Ressortauserwählte.

Abb. 5: Marshall Tito, Life, Coverbild, 13. September 1948.

Seit den 1950er Jahren, als der Archipel zur Bühne der Blockfreiheit avan-cierte, empfing er hier seine hohen Gäste aus Ost und West im Hafen: gestylt inWeiß und mit Sonnenbrille, an seiner Seite, modebewusst, Ehefrau Jovanka undein Chauffeur, der die Gäste in einem Cadillac Eldorado über die Hauptinsel desArchipels kutschierte, vorbei an herrschaftlichen Bauten, antiken Kulturdenk-mälern, exotischen Parks und Tieren sowie malerischen Buchten. Titos Habitus,das luxuriöse Setting im maritim-mediterranen Ambiente und nicht zuletzt dieauf Brioni zur Schau gestellte Kleidermode gaben wichtige Impulse für denneuen jugoslawischen Lifestyle.21

verehrt-verspottet-vergessen-ausstellung-ueber-first-ladies-in-roztoky-bei-prag> [Zugriff :01. 08. 2013].

21 Vgl. dazu die historische Dokumentation und die daraus abgeleitete Retro-Kollektion im

Tatjana Petzer382

Das Präsidentenpaar, dessen Auftreten die Boulevardpresse füllte und dessenLebensart das Konsumverhalten im eigenen Land beeinflusste,22 unterstrich mitseiner Kleidung, die den vestimentären Codes der Etikette, aber auch dem Stilder herrschaftlichen Eliten im Westen folgte, Jugoslawiens Andersheit und äs-thetische Abgrenzung vom Ostblock. Tito trug Uniformen mit Epauletten undOrden zu innen- und außenpolitischen Staatsakten, trat aber auch gern imDandy-Look auf oder zeigte sich bei privaten Anlässen in elegant-legerer Klei-dung. Das von ihm bevorzugte Weiß entsprach seiner Symbolisierung alsFriedenstaube, die er, Integrationsfigur der jugoslawischen Völker und Reprä-sentant des „dritten Wegs“, verkörperte. Seit 1952 erschien an Titos Seite mit der32 Jahre jüngeren Jovanka Budisavljevic Broz (1924 – 2013) eine First Lady, diestets stilvoll gekleidet war und im Ausland mit der natürlichen Ausstrahlungeiner exotischen Schönheit glänzte. Während die Ehefrauen der anderen kom-munistischen Führer im Schatten der Macht standen, bezauberte Frau BrozStaatsmänner und konnte die Aufmerksamkeit der Journalisten auf sich lenken.

Abb. 6: Marschall Tito und Jovanka Broz empfangen das griechische Königspaar, Belgrad,September 1955.

Zeichen von Tito und Jovanka im siebten Heft des Modemagazins FAAR (Juli-Dezember2010), verfügbar unter : <http://faarmagazine.com/faar07/> [Zugriff : 01. 08. 2013]. DieModelle der renommierten Designerin Dragana Ognjenovic spielen mit zahlreichen Wie-dererkennungseffekten, die von den Frisuren der First Lady bis hin zu Uniform und Son-nenbrille des Marschalls reichen; sie werden in futuristischen, provokant-sexualisierten undJugo-nostalgischen Settings präsentiert.

22 Für Branislav Dimitrijevic verkörperten Tito und Jovanka Broz jugoslawische Musterkon-sumenten, vgl. Dimitrijevic 2006, S. 206.

Vestimentäre Brüderlichkeit 383

Jovanka Broz, die ihre Kleidung auch in renommierten internationalen Mo-dehäusern wie Dior bestellte, sich aber vornehmlich von jugoslawischen Desi-gnern einkleiden ließ, avancierte in Jugoslawien zur Mode-Ikone. Ihre Garde-robe sollte eine wichtige Brückenfunktion zwischen der elitären Upper-Class-Mode und einer kommunistischen Bekleidungspolitik einnehmen, die klas-senlose Konsumgüter propagierte.23 Für namhafte jugoslawische Konfektions-häuser und Designer, die für die First Lady maßschneiderten und einige Modelleauch für den allgemeinen Markt produzierten, war sie die beste Reklame. AlsSchirmherrin der jungen Mode- und Bekleidungsindustrie besuchte sie regel-mäßig die Ateliers und Modemessen, brachte zu derartigen Events auch Ehe-frauen gastierender Staatsgäste aus dem Ausland mit oder ließ für diese in denRäumlichkeiten des Unternehmens „Jugoexport“ mit dem federführenden De-sign von Mirjana Maric (geb. 1938) entsprechende Vorführungen organisieren.

Seit Ende der 1960er Jahre investierte man in die gehobene Mode, insbe-sondere auch in die exklusiven Kollektionen von Aleksandar Joksimovic(geb. 1933), der Mode im „nationalen Stil“ zu Repräsentationszwecken kreier-te.24 Obwohl es sich dabei in erster Linie um ein Spezifikum der serbischenBekleidungsindustrie handelte, wurde dieser Stil mit dem Vorzeichen ,jugosla-wisch‘ versehen und im Ausland zum Inbegriff des „Yugo-Looks“. JoksimovicsKreationen, die durch Mode- und Boulevardblätter verbreitet und von Vertre-tern der politischen und kulturellen Eliten – bei außenpolitischen Anlässenebenso wie bei internationalen Miss-Wahlen – getragen wurde, bedeutetenseinen Durchbruch zum offiziellen Star-Designer Jugoslawiens und die Ge-burtsstunde einer sozialistischen Haute Couture. Einkleiden ließ sich von ihmauch die First Lady, die sich seine Kreationen persönlich vorführen ließ.

Mit der Dezentralisierung des Marktes und dem zunehmenden Shopping-Tourismus im benachbarten Modeland Italien in den 1970er und 80er Jahrenversiegten allerdings die Investitionen in eine eigene ,jugoslawische‘ HauteCouture und die Pioniere der zeitgenössischen Jugo-Mode gerieten zunehmendins Abseits.

Fraternistische Sprache der Mode

Die Demarkationslinie, die Stalin zwischen Jugoslawien und den Kominform-Ländern zog, brachte divergierende Entwicklungstendenzen hervor. AlsChruscevs Annäherungskurs zu Jugoslawien auch Austauschprozesse mit an-

23 Vgl. Velimirovic, Danijela: ,Moda, ideologija i politika. Odevanje Jovanke Broz‘, in: ANT-ROPOLOGIJA 2006/1, S. 50 – 60.

24 Vgl. Velimirovic, Danijela: Aleksandar Joksimovic. Moda i identitet. Beograd 2008.

Tatjana Petzer384

deren Ostblockstaaten anstieß und 1956 tschechoslowakische Mode in Belgradund Zagreb präsentiert werden konnte,25 kamen auf dem Laufsteg wieder diegemeinsamen Wurzeln aus der k.-und-k.-Vergangenheit zu Tage, als die Klei-dermanufakturen in Prag und Zagreb nach Wiener Mode fabrizierten. Seit Mitteder 1950er Jahre orientierten sich die Ostblockstaaten an den jährlichen Wett-bewerben sozialistischer Delegationen, seit 1957 hießen sie „InternationaleModekongresse“, die dem gegenseitigen Austausch und der Annäherung dien-ten. Die präsentierten Kollektionen wurden von 1959 bis 1990 im JahresmagazinModa stran socializma (Die Mode der sozialistischen Länder) dokumentiert, dasunter den Teilnahmestaaten zu propagandistischen Zwecken frei distribuiertwurde.26 Auch wenn Jugoslawien daran nicht teilhatte, können dennoch an-derweitig Brücken zur sozialistischen Bekleidungspolitik und -kultur geschla-gen werden. Das betrifft vor allem die Gestaltung von Uniformen (z. B. vonArmee, Kinder- und Jugendorganisationen, geschlechtsunspezifische Arbeits-kleidung, Kostümierungen der Partei-Eliten) und den Einsatz ethnischer Mo-tive; diese beiden Trends führten im Ostblock zuweilen zum Konflikt zwischenAnhängern der funktionalen (übernationalen) Ästhetik und der national ver-ankerten Ornamentik.27

Die traditionellen Muster betonten Slawentum sowie Volksnähe und ließensich für die neue Ordnung oder auch neue nationale Einheit instrumentalisieren.So wurden in der Tschechoslowakei offiziell nur die Ornamente aus Regionen

Abb. 7: Aleksandar Joksimovic präsentiert Jovanka Broz seine Kollektion „Vitraz“, Belgrad,1968.

25 Vom 08.–23. 09. 1956 wurden Modelle der Exportfirma Centrotex gezeigt, vgl. Ing. J. Poisl:,Ceskoslovensk� m�da v Z�hrebu‘, in: ZENA A M�DA 1956/12, S. 2 – 5.

26 Vgl. Bartlett 2010, S. 156 – 164.27 Ebd., S. 122 – 126.

Vestimentäre Brüderlichkeit 385

der Slowakei und Mähren protegiert, die böhmische Folklore dagegen aufgrunddes zugeschriebenen deutschen Einflusses verworfen.28 Während hier wie in derSowjetunion Anleihen bei volkstümlichen Trachten vornehmlich zur Gestaltungsozialistischer Arbeits- und Alltagskleidung dienten, wurden folkloristische undnational konnotierte Elemente vergangener Epochen in Jugoslawien in die ge-hobene Mode (bspw. die als ,jugoslawisch‘ gelabelte Mode Joksimovics) inte-griert. Unabhängig von der den Modellen zugrundeliegenden Ausrichtung aufFunktionalität oder Slawizität erinnern diese auch an Entwürfe der künstleri-schen Avantgarde, die den neuen Menschen der zukünftigen Gesellschaft vorAugen hatte.29

Jugoslawien entwickelte in den 1960er Jahren, analog zu postkolonialenStaaten, die nun als Blockfreie mit Kleidung Politik machten, einen eigenen,nationalen‘ Stil,30 der von Jugoslawiens First Lady öffentlich befürwortetwurde.31 Zu den Produktions- und Verkaufsstrategien zählte die Ablehnungwestlicher Kleidung oder zumindest eine abgrenzende Modifizierung davon,während im Gegenzug national-folkloristische Elemente aufgewertet wurden.Diese Fokussierung entsprach wiederum einem zeitgenössischen Trend in denkapitalistischen Kulturen, in denen mit steigendem Interesse sowohl für alter-nativ-ländliche Lebensweisen als auch für Befreiungsbewegungen und Natur-völker traditionelle Fertigungen, Farben und Muster von Kleidung ins Zentrumder Aufmerksamkeit gerückt waren und Norweger-Pullover sowie Nehru-Hemden zu den Verkaufsschlagern zählten. Den Beginn dieser Mode markierte1961, als im Belgrader „Zentrum für moderne Kleidung“ die serbische Desi-gnerin und Textilgestalterin Andela Slijepsevic (1931 – 2010)32 ihre Kollektion

28 In Böhmen erlebte, anknüpfend an englisches Kunsthandwerk und Ideen der WienerWerkstätte, ethnische Kleidung in Kombination mit modernistischen Modetrends bereits1915 einen Höhepunkt. Unter der Bezeichnung sv�r�z gewann dieser Kleiderstil, der un-verwechselbar die tschechische Identität kennzeichnen sollte, während des Ersten Weltkriegsund bei den Bemühungen, einen unabhängigen tschechischen Staat zu errichten, politischeBedeutung, erntete aber seitens der tschechischen Intelligenz auch Kritik. Vgl. Williams,Patricia: ,Czech Ethnic Dress‘, in: Bartlett, Djurdja (Hg.): Berg Encyclopedia of World Dressand Fashion. Bd. 9. East Europe, Russia, and the Caucasus. Oxford 2010, S. 123 – 132, hierS. 132.

29 Ethnische Motive dominierten bereits die experimentelle Kleiderwerkstatt der 1920er Jahre,etwa die Kreationen Nadezda Lamanovas; die Synthese mit modernistischem Design solltesie ideologisch neutralisieren und utopistisch konnotieren, vgl. Bartlett 2010, S. 42 – 56. Inder Nachkriegszeit bildete die „Russische Kollektion“ von Slava Zaitsev, (ebd., S. 229) mitder sich die Sowjetunion und das für gehobene Mode bekannte „Allunionshaus für Beklei-dungsdesign“ (Obscesojuznyj Dom Modelej Odezdy) von 1965 – 1976 in Kanada, Japan,Frankreich, Italien und Jugoslawien präsentierte, eher eine Ausnahme.

30 Velimirovic 2008, S. 59.31 Vgl. ebd., S. 64.32 Slijepsevic, eine der Pionierinnen auf dem Gebiet des zeitgenössischen jugoslawischen

Modedesigns, trat auch als Kostümbildnerin am Theater und beim jugoslawischen Film der

Tatjana Petzer386

unter dem Motto „Folklore und Mode“ (Folklor i moda) präsentierte. Ein Jahrspäter wurden dort Wollsachen aus Sirogojno gezeigt, einem Ethnodorf an denAbhängen des Gebirges Zlatibor in Westserbien, das zum Label für handge-strickte Pullover wurde, die von den Bäuerinnen aus der Gegend nach Entwürfender Textilgestalterin Dobrila Vasiljevic Smiljanic (geb. 1935) gefertigt wurden.Sie standen für zeitlose Mode und waren gleichzeitig in der vorindustriellenVergangenheit verwurzelt. 1963 wurde im „Institut zur Förderung der Haus-wirtschaft“ (Zavod za unapredenje domacinstva) der „Nationale Salon“ (Na-cionalni Salon) eröffnet, in dem Trachtenkleider aus verschiedenen RegionenJugoslawiens gefertigt wurden. Zielgruppen waren insbesondere ausländischeTouristen und Delegationen von Politikern samt Ehefrauen. Die Bewahrungtraditioneller Trachten und Ornamente sowie die Revitalisierung alter Kleider-codes wurde von Ethnologen und Fachleuten aus der Bekleidungsindustriebefürwortet33 und als Ausdruck der ethnisch-kulturellen Vielfalt in der jugo-slawischen Einheit zunehmend ideologisiert.

Diese Politik des Yugo-Looks spiegelte sich in der Alltagsbekleidung wider,allen voran in der Strickmode mit folkloristischen Mustern aus Sirogojno oderden Kreationen der slowenischen Designerin Natasa Mandeljc, die mit hand-gemalten Motiven arbeitete, die aus der Bela Krajina im äußersten SüdostenSloweniens stammten. Aus Folklore und Geschichte der südslawischen Völkersamt repräsentativen Figuren und Stilelementen gewann schließlich auch Star-Designer Joksimovic seine dekorativen Elemente. Die Erinnerung und Wie-derbelebung traditioneller Volkstrachten und nationaler vestimentärer Codesder Vergangenheit, wozu das serbische Stadtkleid34 zählte, wurde bereits in derZwischenkriegszeit zu einer wichtigen Strategie, um das nationale Bewusstseinzu wecken – so unterlagen etwa Frauen, wenn sie an den „Allslawischen Bällen“teilhaben wollten, gewissermaßen einer Kostümpflicht.35 Im Tito-Jugoslawienverlieh das Design im „nationalen Stil“ – wofür die spezifische Überlagerung aus

1960er Jahre hervor, war Professorin an der Fakultät für angewandte Kunst und Direktorindes Belgrader Zentrums für zeitgenössische Bekleidung.

33 Vgl. Gajic, Branislav / Vujic, Radovan / Ilic, Branko (Hg.): Strucno savetovanje. Estetika uproizvodnji tekstila i u odevanju. Beograd 1966.

34 In den 1830er bis 1890er Jahren wurde in Serbien die orientalische Kleidung an die zeitge-nössische europäische Mode angepasst, ohne westliche Kleidungscodes zu übernehmen.Bekleidung wurde zum wichtigen Aspekt des nation building. Darüber hinaus kamen Mo-dernisierung und Urbanität sowie soziale Statusunterschiede zum Ausdruck. Um die Jahr-hundertwende setzten sich zunehmend die Kleidung aus Pariser und Wiener Modehäuserndurch. Zur Geschichte der serbischen Mode im 19. Jahrhundert vgl. Prosic-Dvornic, Mir-jana: Odevanje u Beogradu u XIX u pocetkom XX veka. Belgrad 2006; Velimirovic 2008,S. 67 – 71.

35 Auf diesen von der humanitären Frauenorganisation Kolo srpskih sestara (Reigen serbischerSchwestern) organisierten Bällen trugen die Frauen originäre bzw. rekonstruierte ländlicheoder städtische Trachten.

Vestimentäre Brüderlichkeit 387

Folklore- und historischer Kleidung sowie Zeitgeist und damit die Vision desMiteinanders verschiedener Kulturen mit ihren spezifischen Traditionen undeiner eigenen Geschichte stand – der Idee von „Brüderlichkeit und Einheit“ihren visuellen-vestimentären Ausdruck.36 Darauf abgestimmt waren nicht zu-letzt die Choreografien der Modevorführungen, zumindest präsentierten sichJoksimovics Modelle im Koloschritt37 zu Blasmusik. Auch wenn der zur offizi-ellen Mode erhobene Trend auf breite Zustimmung stieß, löste er auch Kon-troversen aus, als beispielsweise der prominente serbische Popsänger �ordeMarjanovic 1969 auf dem Zagreber Musikfestival in einer Kreation Joksimovicsim Stil traditioneller albanischer Männerkleidung aus Metochien auftrat.

Joksimovics Kollektion „Simonida“ von 1967 wurde von Simonida Pala-iologina inspiriert, der Tochter des byzantinischen Kaisers Andronikos II. undvierten Ehefrau des serbischen Königs Stefan Uros II. Milutin, der von 1282 –1321 in Raszien regierte. Die Entwürfe wurden vom „Nationalen Salon“ umge-setzt und bestachen durch ihr geometrisch-futuristisches Grunddesign, das mitmodischen Details in Anlehnung an mittelalterliche Bekleidung und Orna-mentik ergänzt wurde: Glockenärmel erinnerten an die byzantinische Kleidung,die Verzierungen an die Steinfriese der serbisch-orthodoxen Klöster in Decaniund Gracanica. Auf dem Cover der Frauenzeitschrift Politika Bazar vom9. Dezember wurde ein Simonida-Modell abgedruckt. Einige Werbeaufnahmenpräsentierten die Kombination aus zeitgenössischen Formen und mittelalterli-chen Stilelementen als visionäre Mode, die sich in das moderne Stadtbild Bel-grads einfügte.

Joksimovics Modeschöpfungen, wie die Kollektion „Vitrage“ (Vitraz) ausdem Jahre 1968, die Glasornamente katholischer Kathedralen und orthodoxerKlöster als Gestaltungselement in moderne Mini-Designs oder in langeAbendkleider integrierte,38 waren wegweisend für experimentelle Gestaltungund den Durchbruch von zunächst als Provokation empfundener Kleidungs-stücke. Wurden mögliche gesellschaftliche Auswirkungen der Minimode, dieseit 1967 in Jugoslawien aufkam, noch in der Presse diskutiert, waren demoffiziellen Modeschöpfer scheinbar keine Grenzen gesetzt: Joksimovics extra-vagante Minikleider aus weißem Fell wurden schnell salonfähig. Einzelne Mo-delle aus der Serie wurden für PrÞt--Porter-Kollektionen und die Produktionpreisgünstiger Konfektionsware genutzt.39 Die Umsetzung der Entwürfe durch

36 Vgl. auch das Fazit der Ethnologin Velimirovic 2008, S. 66 und S. 75.37 Der Kolo, ein traditioneller Rundreigentanz, nahm eine besondere Stellung in der jugosla-

wischen Affektordnung ein.38 Velimirovic, Danijela: ,Kulturna biografika grandiozne mode. Prica o kolekciji Vitraz

Aleksandra Joksimovica‘, in: ETNOANTROPOLOSKI PROBLEM. NOVA SERIJA 2006/1 – 2,S. 91 – 104.

39 Vgl. ebd., S. 98.

Tatjana Petzer388

staatliche Betriebe, wie etwa der Kollektion „Paysage“ (Pejzaz), eine Kombina-tion aus Leder und mit Landschaftsmotiven gestaltetem Gewebe,40 durch dieLeder- und Textilfabrik im bosnischen Visoko, zeugt vom Know-how der ver-arbeitenden Industrie Jugoslawiens.

Mit seinen Kollektionen hatte Joksimovic auch im Ausland Erfolg, und zwargleichermaßen in Ost und West. So wurde „Simonida“ auf der InternationalenModemesse in Moskau von 1968, die im Rahmen der Festivitäten anlässlich des50. Jahrestags der Oktoberrevolution stattfand, prämiert. Seine Kollektion „Dieverfluchte Jerina“ („Prokleta Jerina“),41 die im Rahmen der ersten jugoslawi-schen Industrieausstellung in Paris im Herbst 1969 zu sehen war, vereinnahmte,wie die Oktoberausgabe des französischen Modemagazins Elle anerkennendberichtete, durch ihre mystisch-exotische und märchenhafte Extravaganz dasPublikum. Auf dem Modemarkt wurde diese als eigenständige Sprache prä-sentiert.

Der Wert dieser Modeschöpfungen blieb in der kommunistischen Produk-tionsgesellschaft allerdings ungeklärt. Als sich Läden von „Bosna-Folklora“ inSarajevo des Simonida-Labels von Joksimovic bedienten, um eigens produzierteKleidungsstücke zu verkaufen, kamen in Jugoslawien erstmals Debatten zumUrheberrecht und zum Status von Designern auf.42 Unter den sozialistischen

Abb. 8: Aleksandar Joksimovic, Kollektion „Simonida“, Belgrad, 1967.

40 Vgl. Abb. 3 – ,Modeli iz kolekcije Pejzaz Aleksandra Joksimovic‘, in: ebd., S. 102.41 Jerina, eine Griechin, war die zweite Ehefrau des Despoten �urde Brankovic, der zu Beginn

seiner Regierungszeit (1427 – 56), da Belgrad zu diesem Zeitpunkt an Ungarn zurückfiel, inSmederevo die neue serbische Hauptstadt errichtete. Ihren Beinamen erhielt Jerina in derVolksdichtung, wo ihr u. a. Verschwendungssucht und die hohen Abgaben während desFestungs- und Städtebaus zugeschrieben wurden.

42 Vgl. Velimirovic 2008, S. 66.

Vestimentäre Brüderlichkeit 389

Brudervölkern spielte das Copyright keine Rolle, im Gegenteil : Während imKapitalismus Anleihen bei anderen Designlinien als Industriespionage galten,schienen die bereits erwähnten „Internationale Modekongresse“ der Ostblock-staaten als Kopierangebot zu dienen. Oft wurde – wie für den 11. Kongress inBukarest dokumentiert ist – in brüderlicher Geste nicht nur das Gefallen an denanderen Kreationen geäußert, sondern das Versprechen, diese in die eigenenKollektion aufzunehmen.43

Kleiderordnungen werden durch die Materialität, Ikonizität und eine spezi-fische Formsprache determiniert. Roland Barthes, der die Sprache der Modeanhand von Modezeitschriften einer strukturalistischen Analyse unterzogenhat, siedelte das Sich-Kleiden auf der Ebene der Sprachverwendung, der parole,an.44 Status und Design offiziell befürworteter Bekleidung, deren gemein-schaftliche Bedeutung durch subversive Kleiderpraktiken nur noch mehr zumVorschein kam, belegen die performative Kraft vestimentärer Codes, durch diein Jugoslawien und der Tschechoslowakei auf verschiedene Weise und dochvergleichbar Kleider als Ausdruck der kollektiven Identität galten, sprich: diepropagierte Brüderlichkeit und Einheit zur „zweiten Haut“45 wurde.

Abbildungen

Abb. 1: Frauenbekleidung, KSC, Entwurf OP Postejov, Zena a m�da 6, 1949, Coverbild,aus: Konstantina Hlav�ckov�: Cesk� mod�. 1940 – 1970. Zrcalo doby. Praha 2000, S. 35.

Abb. 2: Sommerlicher Regenmantel, �BOK-Entwurf, Zena a m�da 4, 1969, Coverrück-seite.

Abb. 3 Design „Astromoda“, Zena a m�da 7, 1970, aus: Djurdja Bartlett : FashionEast: theSpectre that Haunted Socialism. Cambridge, Mass. 2010, S. 217.

Abb. 4: Romantische Herrenhemden für den Abend, ZENA A M�DA 1969/10, S. 16.Abb. 5: Marshall Tito, LIFE 13. September 1948, Coverbild.Abb. 6: Marschall Tito und Jovanka Broz empfangen das griechische Königspaar, Belgrad,

September 1955, aus: Radonja Leposavic (Hg.), vlasTito iskustvo past present (Macht/Tito/Eigene Erfahrung past present). Ausstellungskatalog. Beograd 2004, S. 195.

Abb. 7: Aleksandar Joksimovic präsentiert Jovanka Broz seine Kollektion „Vitraz“, Bel-grad, 1968, aus: Danijela Velimirovic : Moda, ideologija i politika: Odevanje JovankeBroz, in: ANTROPOLOGIJA 2006/1, S. 50 – 60, hier : S. 53.

Abb. 8: Aleksandar Joksimovic : Kollektion „Simonida“, Belgrad, 1967, aus: Danijela

43 Pfannstiel, Margot: ,Rendevous der Mode‘, in: SIBYLLE 1958/4, S. 31; zit. nach Bartlett 2010,S. 160.

44 Barthes, Roland: Syst�me de la mode. Paris 1967.45 Diese Metaphorik ist auch für Kleidergeschichten titelgebend, vgl. Holenstein, Andr� / Meyer

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Tatjana Petzer390

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