Landschaften und Gebiete
-
Upload
fh-campuswien -
Category
Documents
-
view
2 -
download
0
Transcript of Landschaften und Gebiete
Inhaltsverzeichnis
1. Erste Schritte 3
2. Landschaften 4
2.1 österreichische naturnahe Wälder 6
2.2 afrikanisches Brachland 8
3. Stadtlandschaften – urbane Gärten 10
4. Abschließende Überlegungen 12
2
1. erste Schritte
Nach Hegel findet der Begriff der Ästhetik nur im Bereich des Kunstschönen Platz, nie aber
im Bereich des Naturschönen, „Denn die Kunstschönheit ist die aus dem Geiste geborene und
wiedergeborene Schönheit“1. In Naturprodukten seien Geistigkeit und Freiheit nicht präsent,
eher stünde die Nützlichkeit im Vordergrund, wenn wir diese betrachten2. Im Grunde versucht
Hegel hier vielleicht die Kunst für philosophische Betrachtungen überhaupt relevant zu
machen und zieht vielleicht daher diese Abgrenzung. Wie auch immer: Es gibt andere
Betrachtungsweisen, bei denen Wechselspiele zwischen Natur und Mensch, Stadt und Umwelt
beobachtet werden und die Dynamik herausgestrichen wird. Der Mensch als in der Natur oder
Teil derselbigen, Vergleiche und Ähnlichkeiten zwischen menschlichen Organismen und
urbanen Organismen werden gezogen und der Natur selbst wird eine Art Würde und
Selbstständigkeit zugesprochen. So vor allem bei Gilles Clèment, aufgrund dessen Buch
Manifest der dritten Landschaft diese Arbeit entsteht. Was will dieses Manifest? Am besten
zeigt sich das durch folgende Stelle:
„Was ist der Dritte Stand? - Alles.
Was ist er bisher gewesen? - Nichts.
Was hofft er zu sein? - Etwas.“
Das ist das Pamphlet von Sieyès, 1789 und wird von Clèment [im Original nicht kursiv]
zitiert, um uns zu zeigen, wie oder als was er „Dritte Landschaft“ denkt, also als
beispielsweise „ein Raum, der weder Macht noch Unterwerfung unter eine Macht ausdrückt“3
Gilles Clèment ist Landschaftsarchitekt und auch Gärtner und das wiederum erwähne ich, um
seinen Hintregrund zu beschreiben und sich so die Frage nach einer Art philosophischem Wert
stellen kann. Kann man überhaupt Grenzen ziehen um eine Philosophie als Disziplin, so
müsste man Clèment ausklammern? Ist Natur und Landschaft nicht auch Teil von Philosphie?
Sind es nicht wir, die Landschaften gestalten? Mit welchen Intentionen gestalten wir
Landschaften und mit welchen Intentionen beschreiben und definieren wir Gebiete? Clèments
Text erinnert an die Philosophie des Zen-Buddhismus, in der alles gleichermaßen Teil hat. Ein
1 Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, I. 2 ebda3 Clèment, 2010, p. 12
3
Mensch und eine Fliege im Raum4. Überlegungen wie die, das der Mensch der Natur
gegenüber steht, gibt es hier nicht. Clèments Arbeit wirkt wie zusammengeführte Notizen, die
Lesende immer wieder zu verschiedenen Perspektiven führen, um auf das Thema Landschaft,
Mensch und Landschaftsplanung zu blicken und vielleicht auch so einen Blick auf sich selbst
als Teil ihrer Umgebung. So wird diese Seminararbeit verschiedene Landschaften betrachten,
die als Beispiele für die Thematik dienen und es wird auch versucht, den urbane Lebensraum
in seiner 'Eigendynamik' zu entdecken.
2. Landschaften
Am Beispiel der Landschaft von Vassivière und einer Analyse derselben soll der künstliche
Charakter dessen deutlich gemacht werden, was scheinbar «natürlich da» ist5: „das Gewässer
des zum Kraftwerk gehörenden Stausees, die Bäume des Forstes, die Weiden der
Rinderzucht... Ein in Abhängigkeit von den Gegebenheiten des Bodenreliefs, der offenen
Flächen und der Zugangsmöglichkeiten organisiertes Ensembles“6. Abb.1
„Refugien der Artenvielfalt sind die Summe der verlassenen Gelände, der Reservate und der
primären Ökosysteme“7. Also, dort wo sich Vielfalt findet, finde sich wiederum sicher kein
4 Han, 2012 p. 255 vgl. Clèment, p. 9 (die Analyse stammt aus dem Jahr 2002) 6 ebda7 ebd., p. 7
4
Mensch. Die Artenvielfalt als Bewegung gedacht, flüchtet sich in Orte, deren Summe eben die
der Orte sind, in die Menschen (noch) nicht, oder nicht mehr eingreifen (können). Verlassene
Gelände (Brachland) sind aus industrieller, landwirtschaftlicher, touristischer oder
städtebaulicher Nutzung hervorgegangene Orte, übrig gelassen könnte man vielleicht sagen,
vergessen. Eine „Fläche wird sich selbst überlassen“8.
Ein Reservat ist ein völlig ungenutzter Ort, seine Existenz verdanke er dem Zufall oder dem
schwierigen Zugang, der eine Nutzung nicht möglich, oder zu Teuer, mache. Sie sind faktisch
vorhanden, also werden in dem Fall auch primäre Ökosysteme9 genannt, oder sie existieren
„aufgrund der Entscheidung einer Verwaltung“10. Es sei noch angemerkt, dass Clemènt hier in
einer Fußnote in Bezug auf den Begriff „Reservat“ anmerkt, dass mit «la réserve» in der
Malerei der ausgesparte, ungemalte Teil des Gemäldes bezeichnet wird. Nun ein weiterer
Blick auf die Landschaft Vassivière (in der Region Limousin, Frankreich), um das Raster
deutlicher zu machen, welches unter anderem Verwaltung und Bürokratie hinterlassen:
Abb.2
Im ersten Bild wirkte die Landschaft noch natürlich, oder was wir darunter verstehen, hier
zeigt sich schon eine Art Muster, nach welchem die Landschaft samt ihrer Variationen
aufgeteilt ist. Clemènt spricht von einem Willen zur Reduktion (einer Polykultur) von Seiten
8 ebda9 die ÜbersetzerInnen merken an, dass für das französische ensemble primaire in Absprache mit dem Autor
'Ökosystem' verwendet wird, „auch wenn dieser unter Ökologen aufgrund der Abgeschlossenheit, die er nahelegt, als überholt gilt
10 Clemènt, p. 7
5
der Agrarpolitik (der europräischen Union), was übrig bleibe seien Bäume und Gras11. Sich
noch weiter zurückbeugend kann man die Stadt mit in den Blick nehmen (folgende Seite).
Städte wachsen entlang der Kommunikationswege zusammen, Clemènt spricht von der
Urbanisierung des Umlands von eben großen Städten und dies schließe die Maschen, die
quasi den Kommunikationswegen entsprechen12 (beispielsweise Landstraßen, Autobahnen,
einfache Wege, etc.). Hier wird das Grundanliegen des Buches deutlich, könnte man
sagen:“Die Chancen auf biologische Kontinuität sinken in dem Maß, in dem sich die Maschen
schließen. Proportional dazu nimmt die Diversität ab“13.
Abb.3
Dass sich im Städtebau/in der Stadtentwicklung ähnliche (von Politik und Industrie im
weitesten Sinne dominierte) Muster etablieren, liegt auf der Hand. Ebenso, dass die Dominanz
dieser Muster immer wieder auf Gegenbewegungen stoßen kann. Welche das sein könnten
und wie sie sich zeigen oder andeuten, wird an späterer Stelle erörtert werden.
11 ebd., p. 1012 ebd., p. 3913 ebda
6
2.1 österreichische naturnahe Wälder
Bei Clemènt finden sich für Reservat folgende Erläuterungen: Diese Begriffe beziehen sich
auf natürliche Umgebungen und wie bereits angemerkt, ist es ein ungenutzter Ort und dieser
kann auch aufgrund einer Entscheidung einer Verwaltung existieren14. Folgendes Beispiel -
Naturwaldreservate-Programm in Österreich - soll zeigen, wie sehr die Grenzen zwischen
dem, was wir als künstlich und natürlich begreifen, verschwommen sind. Vielleicht ist es gar
unmöglich, hier eine Grenze zu ziehen.
„Naturwaldreservate (NWR) sind Waldflächen, die für die natürliche Entwicklung des Ökosystems
Wald bestimmt sind und in denen jede unmittelbare Beeinflussung unterbleibt. Naturwaldreservate sind
ein Beitrag zur Erhaltung und natürlichen Entwicklung der biologischen Diversität. […]
Abb. 4
„Sie dienen der Forschung, der Lehre und der Bildung.
Naturwaldreservate sollen die Baumartenzusammensetzung und
Bestandesstruktur der natürlichen Vegetationsverhältnisse
möglichst gut repräsentieren bzw. diese Voraussetzungen in
absehbarer Zeit erreichen. […] Unmittelbare Beeinflussungen, die
unterbleiben müssen, sind die forstwirtschaftliche Nutzung, die
Totholzaufarbeitung und die künstliche Einbringung von
Waldbäumen, nicht aber die Jagd. Jagdliche Maßnahmen sind im
Gegenteil sogar unbedingt notwendig, da NWR Ruhezonen für das Wild darstellen. Ohne Regulation
würde es in den kleinflächigen Reservaten zu Konzentrationen von Wild kommen, die sicher nicht
einer natürlichen Wilddichte entsprechen.“15.
Warum klammern wir uns aus dem Begriff der Natur aus? Als wäre unsere Umgebung, die
Natur ein anderes System als unseres. Ist es nicht vielmehr so, dass sobald wir über Natur
sprechen, wir eigentlich auch immer über uns selbst sprechen? Das, wofür Clemènt eintritt, ist
vielleicht ein solches Umdenken. Spannend ist dies auch im Bereich der Stadt, dem urbanen
Raum, der für viele Menschen ein zu Hause darstellt und in dem aber nicht alles so statisch
ist, wie es vielleicht scheint. Bei Clè,emt entspräche diese Art von Landschaft einem Reservat,
welches eine hohe Artenvielfalt birgt/entwickeln kann, also langsam verschiedenste stabile
Arten hervorbringt16. Ein Mensch an sich stellt vielleicht nicht das Problem dar, ist er/sie wohl
14 vgl. Clèment p. 13 und 715 zitiert von der Webseite des Bundesforschungszentrums für Wald http://bfw.ac.at/rz/bfwcms.web?dok=4614 16 vgl. Clèment p. 23
7
selbst 'Natur', aber die Art, wie sich ein Mensch einbettet in die ihn/sie umgebende Natur ist
ausschlaggebend für die Entwicklung dieser. Bewirtschaftete Räume zeigen keine oder kaum
Artenvielfalt und kaum/keine endemische Arten17. Das „tabuisierte Thema der
Demographie“18 sei mit dieser Thematik (Dritte Landschaft, Territorium der Artenvielfalt)
verknüpft, also eine Wissenschaft davon, wie sich Bevölkerungen verändern, deren Verteilung
und Entwicklung, die sich wohl auf Menschen bezieht und weniger auf andere Lebewesen,
deren Bevölkerungsdichte und Entwicklung stark von unserem Eingreifen oder nicht-
Eingreifen abhängt.
2.2 afrikanisches Brachland
Im folgenden ein Beispiel für eine Gegend, in der versucht wurde, Menschen anzusiedeln.
District Six19 (Distrik Ses) war der Name des 1867 geschaffenen sechsten Bezirks im
südafrikanischen Kapstadt. Dieser Bezirk diente vor allem freigelassenen Sklaven, Händlern,
Künstlern, Arbeitern und Immigranten als Wohnort, denn der District Six lag nahe dem
Stadtzentrum und dem Hafen. Nun ein kurzer historischer Überblick über die Entwicklung
dieses Bezirks: Als am Anfang des 20. Jahrhunderts die Ausgrenzungspolitik stärker wurde,
mussten vor allem Schwarze das Gebiet verlassen. Mit der Zunahme der Rassentrennung
zogen immer mehr wohlhabende Menschen aus dem District Six in die südlichen Vorstädte.
Der Stadtteil galt als multikulturelles Zentrum und lockte zahlreiche Künstler an, etwa
Jazzmusiker und Maler wie Kenneth Baker, die den District Six porträtierten. Auf Grundlage
des Group Areas Act von 1950 erklärte die Regierung um 1966 District Six zu einer „weißen
Zone“, da angeblich zu viel Kriminalität von dem Stadtteil ausging. 1968 ordnete die
Regierung die Zwangsumsiedlung der Schwarzen und Coloureds an. Der Bezirk wurde
vollständig geräumt und die Häuser abgerissen. Die Bürger wurden, je nach Hautfarbe, in die
Townships in den Cape Flats, einer Sandebene östlich der damaligen Stadt, umgesiedelt. Bis
1982 wurden so über 60.000 Menschen aus dem District Six vertrieben. Das Gebiet sollte von
Weißen besiedelt werden, blieb aber bis heute weitgehend unbebaut.
17 éndēmos‚einheimisch 18 Clèment p.2419 die Informationen stammen von Wikipedia, genaueres im Inhaltsverzeichnis
8
2003, neun Jahre nach dem offiziellen Ende der Apartheid, ließ die Regierung 24 neue
Wohnhäuser bauen. Am 11. Februar 2004 übergab Nelson Mandela den greisen Rückkehrern
Ebrahim Murat und Dan Ndzabela die ersten Schlüssel. 2005 wurde das Land komplett
vermessen und die neu gebauten Häuser vergeben. Das Gebiet ist bis heute (2011) teilweise
Brachland, einige Bereiche gehören jedoch zu den Stadtbezirken Zonnebloem oder Walmer
Estate und sind wieder besiedelt. Nach und nach soll ein „neuer“ District Six entstehen.
Hier zeigt sich das Kommen und Gehen, gesteuert von Behörden und was davon übrig bleibt.
Für uns scheint es Brachland, wo es nichts gibt. Eine abwertende Betrachtung Dritter
Landschaften, was auch Clèment kritisiert. Alles, was wir sehen/wahrnehmen ist braches
Land, eine Deponie oder Schutthalde20. Keine Verkehrsadern bedeuten keine Lebensräume, so
scheint es. Aber auch hier gibt es viel, vieles siedelt sich an und wächst, wir erkennen es nur
nicht, wir können in solchen Umgebungen nichts mehr benennen21. Bis wiederum wir
eingreifen und Grenzen ziehen, diese mit Asphalt auffüllen. Vielleicht wäre es sinnvoll,
unsere Lebensräume sensibler in 'die Natur' einzuschreiben, weniger schnell und somit einer
Eigendynamik mehr Raum zu lassen. Clèment fordert eine Praxis der Nicht-Planung22, den
positiven Einfluss einer dritten Landschaft zur Geltung kommen zu lassen und eventuell
dadurch, durch weniger Eingriffe, lebenswertere Lebensräume zu schaffen?
20 vgl. Clèment p. 5421 vgl. ebd. p. 6222 vgl. Clèment p. 61
9
3. Stadtlandschaften – urbane Gärten
Abb.5
„In urbanen Stadtteilen, die allenfalls ein
paar sehr gepflegte Parks haben,
ist der bewölkte Himmel ja das letzte Stück Wildnis“23
Nun ein Blick auf unsere Lebensräume, im Speziellen der städtische Lebensraum, gedacht als
eine Art Organ. „Die baulichen Veränderungen im Rahmen der Stadtentwicklung führen zu
einer Vernetzung des Territoriums, die zu einer Stadtmembran wird“24. Die Stadt als
Maschine, Ameisenhaufen oder einem Asphaltdschungel25, in Beton gegossene Lebensräume.
Andererseits lässt sie sich auch als ein Körper betrachten, mit einer Haut, durch die Dinge
hindurch gelassen werden können. Ein Muster, dass ein Stadtbild prägt und das Bedeutungen
aufweisen kann, „die in ihre Oberfläche eingeschrieben sind“26. Vielleicht sind Graffiti ein
gutes Beispiel, wie sie Baudrillard beschreibt: „Das Graffiti läuft von einem Haus zum
nächsten, von der Wand eines Wohnhauses zu nächsten, von der Wand über das Fenster […]
es greift übereinander, kotzt sich aus, überlagert sich“27. Findet sich hier eine Art
Gegenbewegung zu dem scheinbar geordneten Stadt-Raum? Eine Stadt, in der es Straßen gibt,
entlang derer wir uns bewegen dürfen, einzelne Grünflächen, die oftmals nicht betreten
werden dürfen, eine „Uniformisierung der menschlichen Aktivitäten“28? Diese wiederum
schlage sich nieder in einem Rückgang der Varianz von Verhaltensweisen nieder29, aber: Es
scheint als funktioniere dies nicht, es gibt Gegenbewegungen, die der Uniformisierung
trotzen? Scheinbare Grenzziehungen, sei es ein Haus, ein Gehsteig, Verkehrslinien oder
23 Pretor-Pinney, im „Falter“ vom 07.07.2010, p.2424 Clemènt, p. 3725 vgl. Diaconu, 2012 p.10026 ebd., p.10127 Baudrillard, 1978 p. 3428 Clemènt p. 2829 ebda
10
Freiflächen, die wiederum nur für administrative Dinge zur Verfügung stehen, werden
ignoriert. Einerseits könnte das Graffiti ein Beispiel für eine Art Gegenbewegung sein.
Kurzer Exkurs: Andererseits sind vielleicht Bewegungen wie das „permanent breakfast“ ein
Beispiel. Öffentliche Plätze werden quasi occupiert, mit einem Tisch samt Stühlen platzieren
sich Menschen einfach auf Verkehrsadern, wie Gehsteigen, um dort zu frühstücken und mit
vorbeikommenden Menschen über öffentliche Räume zu sprechen, in Folge wird wiederum
von Teilnehmenden zu weiteren „permanent breakfasts“ eingeladen, so die Idee30. Eine Art
private Nutzung öffentlicher Räume, die vielleicht sogar manchmal gewissermaßen brach
liegen, oder asphaltierte Flächen, die sonst 'nur' zum Passieren genutzt werden. Ganz aktuell
zeigt sich die Situation im 5. Wiener Gemeindebezirk, wo AnrainerInnen Blumentöpfe
aufstellten und so 'engen grauen Straßen' mit 'grünem Leben' versehen haben. Scheinbar gab
es nun eine Beschwerde und das entsprechende Magistrat will prüfen, ob die Begrünung „den
Richtlinien entspricht“31.
Zurück zum Graffiti: Baudrillard vergleicht den Graphismus mit der polymorphen Sexualität
von Kindern, die die Grenzen der Geschlechter und Begrenzungen erogener Zonen ignorieren
würden und meint im Weiteren, dass sich Graffitis wie beispielweise Tätowierungen in
Körper einschreiben, ein Körper wäre ohne diese nackt und nichtssagend32. Diaconu stellt hier
die Frage, ob ein Stadtraum in diesem Sinne überhaupt so etwas wie ein Geschlecht oder eine
Seele haben kann und bezieht sich dann auf Anzieu und seiner Idee eines Haut-Ichs (moi-
peau)33. Jeder Mensch 'besitzt' sozusagen ein Haut-Ich und es scheint, als garantiere unsere
Haut ein Schutz, es bildet sich eine Art geschlossenes System, unser Innen und auch unser
Außen. So könnte auch die Stadt an sich, so wie einzelne Gebäude eine Art Schutz-Raum
darstellen, die gleichzeitig aber offen sind, für Einflüsse und Eindrücke von Außen, eine
„Grenze zwischen dem privaten und dem öffentlichen Raum; sie verhüllt und enthüllt
zugleich“34.
Es gibt einige (kleine) Bewegungen, die versuchen, 'die' Natur 'zurück' in die Stadt zu holen,
Guerilla Gardening, Urban Farming oder einfach Nachbarschaftsgärten zeigen, wie Menschen
30 http://www.permanentbreakfast.org/ 31 vgl. hierfür http://tvthek.orf.at/programs/4660089-heute-mittag „Streit um Blumentöpfe...“32 ebd. p. 34f33 vgl. Diaconu, p.10134 vgl. ebd. p. 104
11
sich ihre Umgebung selbst gestalten (wollen), aber auch bewirtschaften. Im Sinne der
Bewirtschaftung wäre eine Artenvielfalt nicht gegeben, wie sie eigentlich Clèment fordert, da
auf urbanem Brachland es der Mensch ist, der eingreift35, gewisse Arten anpflanzt und somit
eine 'natürliche' Eigendynamik verhindert. Die Forderungen, wie sie Clèment stellt, sind
vielleicht dennoch zumindest zu einem gewissen Teil erfüllt, denn beispielsweise sprechen die
AktivistInnen des Krongarten in Wien, davon in (selbstverwalteten) Oasen in der Stadt die
Möglichkeit zu finden, über unsere Beziehung zu Stadt und Natur nachzudenken36. Außerdem
bezieht sich seine Kritik wohl eher auf bürokratische/politische Eingriffe, bei denen Flächen
schlicht verwaltet werden. Taborsky schreibt in ihrem Artikel „Warum interkulturelle Gärten“
über die Art der Auseinandersetzung von Menschen mit Natur, im Sinne von Gärten. Saatgut
als „Teil der Heimat“37, Saatgut und das was daraus wird, als etwas, womit Menschen sich
quasi identifizieren. Vielmehr noch, Menschen bringen Saatgut aus ihren Heimatländern nach
Deutschland und der Versuch, diese Pflanzen anzusiedeln, stelle auch eine Art
Integrationsprozess dar38, es findet Austausch statt. Der Garten als realer Aktionsraum und
abstrakter Entfaltungsraum und so wie Saatgut wurzeln schlage, sei es auch ein Fuß fassen für
die GärtnerInnen, ein Anfang einer Verwurzelung in einem neuen Land39.
4. Abschließende Überlegungen
Was könnte eine philosophische Relevanz für diese ganze Thematik sein? Im Grunde geht es
um unser Sein in der Welt, genauer, unsere Weise zu Sein, in der Welt. Uns nicht als Herren
über die Natur zu begreifen, sondern uns als Teil von dieser? Betrachtet man klassisch
westliche Philosophien, drehen sich die Gedanken oft darum, was jenseits von Welt sein
könnte. Wie wir dieses Jenseits erreichen, dieses höhere, geistige, der Weg zur Wahrheit,
könnte man vielleicht grob und kurz sagen. Dieser Weg ist abseits von allem, was mit Natur
zu tun hat. Vieles fußt auf formal-logischen Überlegungen, rationaler Erkenntnis und einige
religiöse Aspekte verdammen den Körper in den Bereich der Sünde. Vielleicht ist ein Moment
der des Substanz- oder Essenzdenkens. Also der Unterstellung einer solchen 'hinter' den
Erscheinungen und parallel dazu eine Art Auflösung der Verbindung, der Relation von uns zu
35 wie es bei Guerilla Gardening der Fall ist, gemeint sei eigentlich die heimliche Aussaat von Pflanzen als subtiles Mittel politischen Protests und zivilen Ungehorsams im öffentlichen Raum, vorrangig in Großstädtenoder auf öffentlichen Grünflächen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Guerilla_Gardening )
36 vgl. hierfür: http://www.hinterland.ag/verein/?page_id=137 37 Taborsky, 2007 p. 638 ebd, p. 839 ebda
12
unserer Umgebung. Ames versucht das (westliche) Substanzdenken mit dem (fern-östlichen,
konfuzianischen) Relationendenken („correlation“) einander gegenüber zu stellen. „In a world
of substances, people or things are related extrinsically, so that when the relationship between
them is dissolved, they are remaindered intact“40. Im Weiteren spricht er davon, dass eben
kein Ding und kein Körper eine Essenz habe, sondern alles gewissermaßen Korrelationen
aufweise41, alles in Relationen miteinander verwoben ist, könnte man vielleicht sagen. Er
stellt es einerseits dar, durch zwei Kreise, die durch eine Linie verbunden sind und
andererseits durch zwei Kreise, die ineinander verwoben sind. Wenn wir uns konsequent
verbunden Denken mit unserer Umgebung, würde dann langfristig ein sensiblerer Umgang
resultieren? Unsere Umgebung wirkt auf uns, wie wir auf sie? Dies ist eine vage Überlegung,
aber vielleicht lohnenswert.
Ein anderer Punkt ist der, wie wir Grenzen ziehen zwischen einem vermeintlichen „uns“ und
den scheinbaren „anderen“. Wir befinden uns innerhalb gewisser Grenzen, die uns unsere
sogenannte nationale Identität geben, oder auch nicht. Resultiert dies auch in einer Art
uniformen Verhaltensweise? Ist es vielleicht etwas natürliches, das Menschen wandern,
dorthin, wo sie etwas besseres oder interessantes erhoffen? Ist es vielleicht 'unnatürlich', dass
wir als Bürger X in der Welt 'platziert' werden, in Mitten eines bestimmten und abgegrenzten
Gebietes? Ich bin einerseits Deutscher, ich habe diese Staatsbürgerschaft und lebe seit 11
Jahren in Wien. Also bin ich, eigentlich Österreicher, da mich die Ereignisse hier angehen.
Wählen darf ich aber nicht. Meine Stimme wird nicht gezählt. Viele sind hier, man könnte von
einer Vielfalt sprechen, aber diese wird oft abgewehrt, man blicke nur auf die aktuellen
Ereignisse um die Flüchtlinge aus Pakistan. In der Schweiz zeigen sich noch rigidere
politische Entscheidungen, Asylwerber dürfen sogenannte „sensible Gebiete“ nicht besuchen.
Freibäder zum Beispiel42. Dinge, Menschen, aus anderen Kontexten, die fremd erscheinen und
somit 'unsere Gewohnheiten stören? Ähnlich wie es Clèment formuliert bezüglich der
Pflanzenvielfalt in (für uns) brachen Gebieten. Das Unbenennbare wird sozusagen
eingeklemmt in den Kontext 'Asyl' und somit bürokratisiert. Es wird geplant, es wird
eingegriffen in Bewegungen, die Menschen vollziehen, diese Bewegungen wollen verhindert
werden, unter ein bürokratisches Raster gepresst. Dies bremst vielleicht eine Art vielfältige,
40 Ames, 1999 p. 2441 ebda42 vgl. hierfür http://www.spiegel.de/politik/ausland/schweiz-sperrt-fluechtlinge-in-bremgarten-aus-
badeanstalten-aus-a-915468.html
13
bunte Entfaltung in Gesellschaften? Vielleicht kann der Text von Clèment auch auf uns als
Menschen, als BürgerInnen gelegt werden und vielleicht wird es genau dann sehr spannend.
Dritte Landschaften als Teil unseres Lebensraumes, der dem Unbewussten unterliege, wo
Entwicklungen nicht aus bewussten Entscheidungen resultieren43, also scheinbar Wildes und
Unkontrollierbares als solches belassen?
43 vgl. Clèment, p. 57
14
Quellenangaben
Literaturverzeichnis
Ames, Roger T.: The Analects of Confucius – A Philosophical Translation, Ballantine Books,
New York, 1999
Baudrillard, Jean: Kool Killer oder Aufstand der Zeichen, Merve Verlag Berlin, 1978
Clemènt, Gilles: Manifest der Dritten Landschaft, Merve Verlag Berlin, 2010
Han, Byung-Chul: Philosophie des Zen-Buddhismus, Reclam Verlag Stuttgart, 2012
Diaconu, Mădălina: Sinnesraum Stadt - Eine multisensorische Anthropologie. Austria:
Forschung und Wissenschaft – Interdisziplinär, Bd. 9, Lit Verlag Wien, Berlin, 2012
Pretor-Pinney, Gavin:„Warum Cloudspotter so entspannt sind und warum der Asperatus dem
Cirrus intortus nachfolgen könnte“, Der Falter, heureka, 07.07.2010
Taborsky, Ursula: Warum interkulturelle Gärten? in: IWK Mitteilungen 3-4, Interkulturalität
und Identität, Hrgs Franz M. Wimmer, Wien 2007
Internetquellen
Bundesforschungszentrums für Wald: http://bfw.ac.at/rz/bfwcms.web?dok=4614 abgerufen
am 7.05.2013
District Six: http://de.academic.ru/dic.nsf/dewiki/340004 abgerufen am 7.05.2013
G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik (1835-1838): http://www.textlog.de/3421.html
abgerufen am 09.05.2013
Bilder
Titelbild: http://www.berliner-zeitung.de/berlin,10809148,10813580.html abgerufen am
9.05.2013
Abb. 1: Landschaft von Vassivère, http://www.tourismecreuse.com/vassiviere-lake.html
abgerufen am 9.05.2013
Abb. 2: Landschaft um Vassivière, Limousin, auf google-maps generiert, 9.05.2013
Abb. 3: Landschaft des Limousins, generiert auf google-maps, 9.05.2013
Abb. 4: Diese Fotographie wurde selbst aufgenommen, am Rathausplatz im Rahmen des
„Steiermarkdorfs“, 10.-13. April, 2013
Abb. 5: http://blogof.francescomugnai.com/2013/01/30-of-the-most-beautiful-abandoned-
places-and-modern-ruins-ive-ever-seen/
15