Komplexbildung zwischen Metavanadationen und Sorbit in ...

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802 J. SIMON Komplexbildung zwischen Metavanadationen und Sorbit in wäßriger Lösung J ürgen S imon Institut für Anorganische Chemie der Freien Universität Berlin (Z. Naturforsch. 25 b, 802—807 [1970]; eingegangen am 2. April 1970) Beim Ansäuern von Metavanadatlösungen in Gegenwart von überschüssigem Sorbit entsteht ein intensiv rot gefärbter Komplex. Die Anwendung mehrerer physikalisch-chemischer Untersuchungs methoden (Konduktometrie, Potentiometrie, Spektralphotometrie, Ultrazentrifuge und Diffusions verhalten) zeigt, daß in einem pH-Bereich von 8,5 bis 4,5 ein Tetravanadato-disorbit-Komplex exi stiert. Diese bei pH 8,5 zunächst farblose Verbindung nimmt beim Ansäuern unter Rotfärbung 2 g-Ion H® auf. Yanadinpentoxid, V20 5, löst sich in Alkali unter Bildung verschieden aggregierter Vanadate, die untereinander in einem pH-abhängigen Gleichge wicht stehen. In neutralen wäßrigen Lösungen ist das Metavanadation, (VO3)^0 , beständig mit einem Ag- gregationsgrad von n = 4 1-4 bzw. bei geringen Vanadinkonzentrationen auch von n = 3 5,6. Beim Ansäuern von Metavanadatlösungen werden zunächst Dekavanadationen HV10O2 ^ gebildet, die bei weite rem H®-Zusatz weiterprotoniert werden7,8. Säuert man dagegen eine Metavanadatlösung in Gegenwart eines Sorbitüberschusses an, so entsteht eine inten siv rot gefärbte Lösung, die praktisch keine Deka vanadationen enthält. Es hat, wie Preuss 9 fest stellte, eine Komplexbildung stattgefunden. Poly- vanadationen sind in der Lage, auch mit einer Reihe anderer organischer Polyhydroxy-Verbindungen unter Komplexbildung zu reagieren, wobei offen sichtlich eine bestimmte sterische Anordnung der Hydroxylgruppen notwendig ist. Preuss führte ent sprechende Untersuchungen z. B. mit Weinsäure, Schleimsäure, Chinasäure, Mandelsäure etc. durch. Gegenstand der vorliegenden Arbeit10 ist die Unter suchung des Polyvanadat-Sorbit-Komplexes. Der naheliegende Versuch, durch Zugabe geeigne ter Kationen schwerlösliche Salze des Komplexes auszufällen oder die Verbindung durch Entfernen des Lösungsmittels zur Kristallisation zu bringen, 1 K. F. Jahr u . L. Schoepp, Z. Naturforsch. 14 b, 467 [1959]. 2 A. W. Naumann u . C. J. H a lla d a , Inorg. Chem. 3, 70 [1964]. 3 H. P. S tock , Z. Naturforsch. 20 b, 933 [1965]. 4 J. Simon u . K. F. Jahr, Z. Naturforsch. 19 b, 165 [1964]. 5 N. Ingri u . F. Brito, Acta chem. scand. 13, 1971 [1959]. 6 F. Brito, N. Ingri u . L. G. Sillen, Acta chem. scand. 18, 1557 [1964]. mißlang. Das Vanadin (V) wird dabei stets redu ziert. Der Komplex kann daher nur in wäßriger Lö sung untersucht werden. Die nachstehend beschriebe nen Versuche verwenden konduktometrische und potentiometrische Titrationen, spektralphotometri sche Methoden, Mol.-Gew.-Bestimmungen mit der Ultrazentrifuge und Messungen des Diffusionskoef fizienten. Die Menge an H®, die notwendig ist, um aus Metavanadationen in Gegenwart eines Sorbitüber schusses den beobachteten, rotgefärbten Komplex entstehen zu lassen, kann durch konduktometrische und potentiometrische Titrationen ermittelt werden. Abb. 1 zeigt, daß der Aquivalenzpunkt stets bei einem Verhältnis H®/V = 1/2 liegt. Abb. 1. Konduktometrische und potentiometrische Titration von 1,600 g NaV03 und 2,500 g Sorbit mit HCl. 7 F. J. C. R ossotti u . H. R ossotti , Acta chem. scand. 10, 957 [1956]. 8 O. Glemser u. E. Preisler, Z. anorg. allg. Chem. 303, 303 [I960]. 9 F. P reuss . Dissertation FU Berlin 1964, Habilitation FU Berlin 1969. 10 J. S imon , Dissertation FU Berlin 1968.

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802 J. SIMON

Komplexbildung zwischen Metavanadationen und Sorbit in wäßriger Lösung

Jü r g e n S im o n

Institut für Anorganische Chemie der Freien Universität Berlin

(Z. Naturforsch. 25 b, 802— 807 [1970]; eingegangen am 2. A pril 1970)

Beim Ansäuern von Metavanadatlösungen in Gegenwart von überschüssigem Sorbit entsteht ein intensiv rot gefärbter Komplex. Die Anwendung mehrerer physikalisch-chemischer Untersuchungs­methoden (Konduktometrie, Potentiometrie, Spektralphotometrie, Ultrazentrifuge und Diffusions­verhalten) zeigt, daß in einem pH-Bereich von 8,5 bis 4,5 ein Tetravanadato-disorbit-Komplex exi­stiert. Diese bei pH 8,5 zunächst farblose Verbindung nimmt beim Ansäuern unter Rotfärbung2 g-Ion H® auf.

Yanadinpentoxid, V20 5 , löst sich in Alkali unter Bildung verschieden aggregierter Vanadate, die untereinander in einem pH-abhängigen Gleichge­wicht stehen. In neutralen wäßrigen Lösungen ist das Metavanadation, (VO3)^0 , beständig mit einem Ag- gregationsgrad von n = 4 1-4 bzw. bei geringen Vanadinkonzentrationen auch von n = 3 5,6. Beim Ansäuern von Metavanadatlösungen werden zunächst Dekavanadationen HV10O2̂ gebildet, die bei weite­rem H®-Zusatz weiterprotoniert w erden7,8. Säuert man dagegen eine Metavanadatlösung in Gegenwart eines Sorbitüberschusses an, so entsteht eine inten­siv rot gefärbte Lösung, die praktisch keine Deka­vanadationen enthält. Es hat, wie P r e u s s 9 fest­stellte, eine Komplexbildung stattgefunden. Poly- vanadationen sind in der Lage, auch mit einer Reihe anderer organischer Polyhydroxy-Verbindungen unter Komplexbildung zu reagieren, wobei offen­sichtlich eine bestimmte sterische Anordnung der Hydroxylgruppen notwendig ist. P r e u s s führte ent­sprechende Untersuchungen z. B. mit Weinsäure, Schleimsäure, Chinasäure, Mandelsäure etc. durch. Gegenstand der vorliegenden A rbeit10 ist die Unter­suchung des Polyvanadat-Sorbit-Komplexes.

Der naheliegende Versuch, durch Zugabe geeigne­ter Kationen schwerlösliche Salze des Komplexes auszufällen oder die Verbindung durch Entfernen des Lösungsmittels zur Kristallisation zu bringen,

1 K. F. J a h r u . L. S c h o e p p , Z. Naturforsch. 14 b, 467 [1959].

2 A. W. N a u m a n n u . C. J . H a l l a d a , Inorg. Chem. 3, 70 [1964].

3 H . P. S t o c k , Z. Naturforsch. 20 b, 933 [1965].4 J . S i m o n u . K. F. J a h r , Z. Naturforsch. 19 b, 165 [1964].5 N . I n g r i u . F. B r i t o , Acta chem. scand. 13, 1971 [1959].6 F. B r i t o , N. I n g r i u . L. G. S i l l e n , Acta chem. scand. 18,

1557 [1964].

mißlang. Das Vanadin (V) wird dabei stets redu­ziert. Der Komplex kann daher nur in wäßriger Lö­sung untersucht werden. Die nachstehend beschriebe­nen Versuche verwenden konduktometrische und potentiometrische Titrationen, spektralphotometri­sche Methoden, Mol.-Gew.-Bestimmungen mit der Ultrazentrifuge und Messungen des Diffusionskoef­fizienten.

Die Menge an H®, die notwendig ist, um aus Metavanadationen in Gegenwart eines Sorbitüber­schusses den beobachteten, rotgefärbten Komplex entstehen zu lassen, kann durch konduktometrische und potentiometrische Titrationen ermittelt werden. Abb. 1 zeigt, daß der Aquivalenzpunkt stets bei einem Verhältnis H®/V = 1/2 liegt.

Abb. 1. Konduktometrische und potentiometrische Titration von 1,600 g N aV 03 und 2,500 g Sorbit mit HCl.

7 F. J. C. R o s s o t t i u . H. R o s s o t t i , Acta chem. scand. 10, 957 [1956].

8 O . G l e m s e r u . E. P r e i s l e r , Z. anorg. allg. Chem. 303,303 [I960].

9 F. P r e u s s . Dissertation FU Berlin 1964, Habilitation FU Berlin 1969.

10 J. S i m o n , Dissertation FU Berlin 1968.

TETRAVANADATO-DISORBIT-KOMPLEX 803

Ohne Sorbit wäre bei gleichem H®-Zusatz das Dekavanadation HV10O||P entstanden. Versuche zeigen, daß Dekavanadate jedoch nicht mit Sorbit direkt unter Komplexbildung zu reagieren vermö­gen. Bei der Komplexbildung der Metavanadationen ist ein Sorbitüberschuß notwendig, damit beim An­säuern die Konkurrenz der Dekavanadatbildung zu­rückgedrängt wird.

Die starke Farbigkeit der Komplexverbindung sollte es möglich machen, mit Hilfe spektralphoto­metrischer Methoden die Komplexzusammensetzung durch Variation des Verhältnisses Sorbit : Vanadin zu ermitteln. Entsprechende Messungen wurden mit dem registrierenden Spektralphotometer DK 1 der Firma Beckman (Fullerton/Calif., USA) durchge­führt. Wäßrige Komplexlösungen zeigen bei Durch­strahlung von 1 mm Lösungsschicht eine Absorp­tionskante, deren Mitte im Falle einer 0,08 m Lö­sung etwa bei 560 mn liegt (die Konzentrations­angabe ist auf Mole Vanadin bezogen).

Um geeignete Meßlösungen zu erhalten, wurden zu jeweils 1 0 ,0 ml einer 0 ,2 m N aV03-Lösung stei­gende Mengen Sorbitlösung und dann soviel 1 N HC104 zugesetzt, daß das Verhältnis H® : V = 1 : 2 betrug. Die Proben wurden dann mit Wasser auf 25 ml auf gefüllt und zur Alterung zwei Tage stehen gelassen. Nach Registrierung der zugehörigen Ab­sorptionskanten (stets bei 1 mm Schichtdicke gemes­sen) wurden jeweils die entsprechenden Durchlässig­keitswerte bei einer Wellenlänge von 536 mju den Darstellungen entnommen, und nach

die Extinktionswerte berechnet (E = Extinktion, T = % Durchlässigkeit). Bei einer Wellenlänge von 536 mju ruft eine reine, gleichkonzentrierte Deka- vanadatlösung eine Extinktion von E = 0 ,050 hervor, die im Vergleich zu den an Komplexlösungen gemes­senen Extinktionswerten gering ist. Da sich die Ex­tinktion als extensive Größe additiv aus den Einzel­extinktionen zusammensetzt:

E = 2 Ei = S' 2 ' ci » (2)i = l i = l

ist es zudem möglich, den von Dekavanadationen hervorgerufenen Anteil zu eliminieren (s = Schicht­dicke, Ei = Extinktionskoeffizient und Cj = Kon­zentration der Komponente i ) . Unter diesen Ge­sichtspunkten sind die korrigierten Extinktionswerte der Tab. 1 erhalten worden, ohne daß sich allerdings

Nr. Verhältnis Sorb : V

E (536 mn) E (536 m//) korr.

1 1 :30 0,081 0,0312 2 :3 0 0,113 0,0663 3 :3 0 0,143 0,1004 4 :3 0 0,172 0,1345 5 :3 0 0,206 0,1696 6 :3 0 0,243 0,2107 7 :3 0 0,280 0,2508 8 :3 0 0,317 0,2909 9 :3 0 0,349 0,326

10 1 0 :3 0 0,385 0,36511 11 :30 0,417 0,40012 1 2 :3 0 0,446 0,43313 1 3 :3 0 0,488 0,47814 1 4 :3 0 0,521 0,51415 1 5 :3 0 0,562 0,55916 1 8 :3 0 0,648 0,64817 21 :30 0,703 0,70318 2 4 :3 0 0,740 0,74019 2 7 :3 0 0,757 0,75720 3 0 :3 0 0,777 0,77721 3 3 :3 0 0,777 0,77722 3 6 :3 0 0,777 0,777

Tab. 1. Extinktion in Abhängigkeit vom Verhältnis Sorbit : Vanadin.

bei graphischer Darstellung der Kurvenverlauf ge­genüber den unkorrigierten Werten merklich verän­dert hätte. Die Auftragung der Extinktionswerte ge­gen das Verhältnis Sorbit/V (siehe Abb. 2) ent­spricht dem m olar-ratio-Verfahren von Y o e und J o n e s n . Der Schnittpunkt der beiden geraden K ur­venteilstücke sollte dann die Komplexzusammen­setzung angeben.

Abb. 2. Extinktion bei 536 m i n Abhängigkeit vom Sorbit/ Vanadin-Verhältnis.

Beim Polyvanadat-Sorbit-Komplex gilt trotz rela­tiv hoher Stabilität jedoch eine wesentliche Voraus­setzung zur unbeschränkten Anwendung spektral-

11 J . H. Y o e u . A. L. J o n e s , Ind. Engng. Chem., analyt. Edit. 16, 111 [1944]

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photometrischer Verfahren nicht: Es ist nicht voraus­zusetzen, daß sich das untersuchte System im Gleich­gewicht befindet. Wie bereits gesagt, können bei der Herstellung der Meßlösungen aus kinetischen Grün­den neben dem Komplex mehr Dekavanadationen ent­stehen, als der Gleichgewichtslage entspricht. Je weni­ger Sorbit sich in den Lösungen befindet, um so stärker kommt beim Ansäuern die Dekavanadat- bildung als Konkurrenz zum Tragen, und einmal gebildetes Dekavanadat kann mit noch vorhande­nem Sorbit nicht mehr reagieren. Erst bei genügend großem Sorbit-Überschuß bleibt die Extinktion kon­stant, und der Komplex ist quantitativ gebildet. Falls die Dekavanadatbildung beim Ansäuern auszu­schalten wäre, müßte das Übergangsgebiet kleiner werden und notwendigerweise der linke gerade K ur­venast steiler verlaufen, wodurch der Schnittpunkt weiter links erscheinen würde. Das bedeutet, aus der in Abb. 2 gezeigten Darstellung des mo/ar-ra^’o-Ver­fahrens ist als Ergebnis zu entnehmen, daß der Komplex Sorbit und Vanadin in einem Verhältnis enthält, das kleiner als 2 : 3 ist. Diese anscheinend dürftige Aussage ist, wie sich zeigen wird, im Zu­sammenhang mit weiteren Ergebnissen ausreichend zur Ermittlung der tatsächlichen Komplexzusammen­setzung.

Um die Größe des Polyvanadat-Sorbit-Komplexes zu ermitteln, wurden Mol.-Gew.-Bestimmungen durchgeführt. Das geschah einmal direkt mit Hilfe einer Ultrazentrifuge und zum anderen rechnerisch aus gemessenen Diffusionskoeffizienten.

Zur Mol.-Gew.-Bestimmung stand eine analyti­sche Ultrazentrifuge „Spinco Model E “ der Firma Beckman zur Verfügung. Lösungen des Polyvanadat- Sorbit-Komplexes, die zur elektrostatischen Ent­kopplung einen hohen Überschuß an NaCl enthielten, wurden bis zur Erreichung des Sedimentationsgleich­gewichtes zentrifugiert. Die optische Einrichtung des Gerätes erlaubt es, eine dem Konzentrationsgefälle in der Sedimentationszelle proportionale Größe in Abhängigkeit von der Zellhöhe abzubilden und auf einer photographischen Platte zu registrieren. Durch geeignete Auswertung dieser Diagramme läßt sich

• T defür jeden Ort der Zelle eine Größe log ̂ ^ er­

rechnen, die gegen r2 aufgetragen eine Gerade erge­ben muß. wenn es sich um nur eine sedimentierende Teilchenspecies handelt (c = Konzentration, r = Zellhöhe). Aus dem Anstieg dieser Geraden (tgq?) läßt sich nach

das gesuchte Molekulargewicht (M ) berechnen (R = Gaskonstante, T — abs. Temperatur, v * = part. spez. Volumen des sedimentierenden Stoffes, £>l = Dichte der Lösung und co = Winkelgeschwin­digkeit der Zentrifuge). Anstelle des part. spez. Vo­lumens wurde das aus pyknometrischen Daten er­hältliche scheinbare partielle spez. Volumen des Komplexes verwendet, so daß also eventuelle Lö­sungsmitteleffekte vernachlässigt wurden. Die Ge­schwindigkeit der Zentrifuge war mit 39460 UpM so bemessen, daß die leichten Leitelektrolytteilchen (NaCl) praktisch nicht mehr sedimentiert wurden. Durch Referenzmessungen an Lösungen ohne Kom­plex wurde außerdem der Konzentrationsverlauf des NaCl in der Zelle ermittelt und bei der Auswertung berücksichtigt. So wurde für das Polyvanadat-Sorbit- Anion ein mittleres Mol.-Gew. von A/ = 7 2 0 ± 7 0 er­mittelt. Geringfügige Abweichungen von der Gera­

den bei Auftragung im log ~ ^ j r 2-Diagramm, die

sich allerdings nur am Boden der Zelle bemerkbar machten, deuten auf eine zweite, schwerere Teilchen­species hin. Da stets die Möglichkeit besteht, daß außer dem Komplex noch Dekavanadationen {M-q = 957) gebildet werden, wurde für ein solches Teil­chengemisch eine Ausgleichsrechnung nach der Me­thode der kleinsten Quadrate durchgeführt. Diese zeigt, daß die beobachteten Abweichungen auftreten müßten, wenn knapp 2% des vorhandenen Vanadins in Form von Dekavanadationen vorliegen.

Da der untersuchte Komplex ionischen Charakter besitzt, mußte beim Zentrifugieren Leitelektrolyt zu­gesetzt werden, damit sich Potentialunterschiede in der Lösung ausgleichen können. Um eine Methode anzuwenden, die keine elektrostatische Entkopplung durch Fremdionenzusatz erfordert, wurde zusätzlich der Selbstdiffusionskoeffizient des Polyvanadat-Sor- bit-Anions nach der Kapillarmethode von A n d e r s o n und S a d d i n g t o n 12 bestimmt. Da der Diffusions­koeffizient von der Größe und damit vom Mol.-Gew. des diffundierenden Teilchens abhängt, ist hiermit eine unabhängige Methode zur Mol.-Gew.-Bestim­mung gegeben.

A n d e r s o n und S a d d i n g t o n verwendeten zur Be­stimmung des Selbstdiffusionskoeffizienten eine ein­seitig verschlossene Kapillare, die mit der Lösung

12 J. S . A n d e r s o n u. K. S a d d i n g t o n , J. chem. Soc. [Lon­don] 1949,318 (Part V ).

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der zu untersuchenden radioaktiv markierten Sub­stanz gefüllt in eine gleichkonzentrierte, aber inak­tive Lösung eingetaucht wurde, deren Volumen sehr viel größer als das in der Kapillare war. Wenn man dafür sorgt, daß die inaktive Lösung ständig gerührt wird, ist ein Wiedereintritt eines einmal aus der Kapillare herausdiffundierten radioaktiven Teilchens durch die kleine Kapillaröffnung infolge des Über­angebotes an inaktiver Substanz gänzlich unwahr­scheinlich. Es ist möglich, aus dem nach einer be­stimmten Zeit t gemessenen Aktivitätsverlust in der Kapillare den Diffusionskoeffizienten zu berechnen. Die gemessene Größe ist also :

wenn A 0 die Aktivität der ursprünglich in der Kapil­lare befindlichen Lösung und A t die nach der Zeit t noch vorhandene Aktivität bedeuten. Den Zusam­menhang des Meßwertes y ( t ) mit dem gesuchten Diffusionskoeffizienten findet man durch Integration des 2. F i c k sehen Gesetzes bei entsprechenden An­fangsbedingungen :

o iy(t) = (2/c+l)2 ‘exP ( ~~ (2 A; + 1)2• (9), (5)

wobei 0 für7l~ • D

0 = 4T2 -•*, (6)

steht. (D = Diffusionskoeffizient, L = Länge der Kapillare, t = Diffusionszeit). Durch geschickte Wahl von Diffusionszeit (t ) und Länge der Kapil­lare (L) lassen sich Bedingungen schaffen, für die man bei hinreichender Genauigkeit mit entsprechen­den Näherungen der Gl. (5) auskommt. Da ein sol­ches Verfahren jedoch eine Einschränkung bedeutet, wurde die Funktion unter Berücksichtigung der ersten 5 Glieder mit Hilfe eines Computers in Ab­hängigkeit von Q berechnet und tabelliert.

Die mit einem Temperiermantel versehenen Diffu­sionsgefäße waren in der Lage, 150 ml inaktive Lö­sung aufzunehmen. In diese Lösung konnten die mit aktiver Lösung gefüllten Kapillaren mit einer Halte­rung erschütterungsfrei eingehängt werden. Zur vor­sichtigen Durchmischung diente ein M agnetrührer, der reproduzierbar auf eine Geschwindigkeit von 90 UpM eingestellt war. Die Lösung in den Kapil­laren wurde nach erfolgter Diffusion zur Aktivitäts­bestimmung quantitativ in ein Meßgefäß überführt, das genau in das Bohrloch eines Szintillationsmeß- kopfes hineinpaßt (Szintillationsmeßkopf MS Sz

533/2 von Telefunken). Die Registrierung der Zähl- raten erfolgte mit dem Telefunken-Einkanal-Meß- gerät Ms Str 610/2. Die Kapillaren waren 40 mm lang und hatten einen inneren Durchmesser von 0,8 mm. Zur Markierung wurden stets /-Strahlung aussendende Isotope verwendet. Um die Funktions­fähigkeit der Apparatur zu überprüfen, wurde unter Verwendung von K-42 der Diffusionskoeffizient des K® in KCl-Lösung gemessen und mit bekannten Werten verglichen. Die Metavanadatlösungen, die zur Herstellung des Polyvanadat-Sorbit-Komplexes dienten, wurden mit V-48 markiert, das als V0C13 in 1 N HCl von der United Kingdom Atomic Energy Authority (Amersham-Buckinghamshire, England) erhältlich ist. Da man zur Mol.-Gew.-Berechnung aus Diffusionskoeffizienten zum Vergleich den eines anderen Teilchens mit bekanntem Mol.-Gew. benö­tigt, wurde der Diffusionskoeffizient des Metavana- dations ebenfalls unter sonst gleichen Bedingungen gemessen. Alle verwendeten Lösungen enthielten 0,3 M Vanadin. Zur Bestimmung des Diffusionskoef­fizienten des Sorbitkomplexes war im Molverhältnis Sorbit : V = 1,1 : 1 den Lösungen Sorbit zugesetzt. Diese Lösungen wurden dann mit HCl angesäuert und auf verschiedene pH-Werte gebracht. Die bei einer Temperatur von 25 °C gemessenen Diffusions­koeffizienten enthält Tab. 2 (nach Ablauf der in der Tab. angegebenen Diffusionszeiten betrug der Ak­tivitätsverlust in den Kapillaren jeweils zwischen 20 und 25%). Bei gleichen Bedingungen wurde auch für

SubstanzpH-

WertDiff.-Zeit[h]

D [cm 2 d-1]

Metavanadat 7,5 24 0,501 ± 0,008Sorbit-Komplex 8,5 30 0,34 ± 5 %Sorbit-Komplex 5,5 36 0,339 ± 0,007Sorbit-Komplex 4,5 36 0,342 4- 0,006

Tab. 2. Diffusionskoeffizienten von Metavanadat und Vana- dat-Sorbit-Komplexen.

einen pH-Wert von 3,5 der Diffusionskoeffizient des Polyvanadat-Sorbit-Anions gemessen. Es zeigte sich, daß dieser zeitlich nicht konstant blieb: nach einem Tag wurde z.B. ein Wert von Z) = 0,51, nach drei Tagen jedoch von D = 0,84 (cm2 d “ 1) ermittelt. Oberhalb von pH 4 ist der Komplex also nicht mehr beständig. Er zersetzt sich unter Bildung kleinerer und damit schneller diffundierender Teilchen.

Bei Betrachtung der Tab. 2 fällt auf, daß der Dif­fusionskoeffizient des Komplexanions innerhalb eines

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pH-Bereiches von pH 8,5 bis 4,5 konstant gefunden wird, obwohl bei pH 8,5 noch keine Säure zugesetzt war. Erst bei pH 4,5 betrug das Verhältnis H® : V = 1 : 2 , wie es nach den oben mitgeteilten Ergeb­

nissen zur Bildung des roten Komplexes erforder­lich gewesen wäre. Daraus kann nur der Schluß ge­zogen werden, daß Metavanadationen mit Sorbit auch ohne Säurezusatz einen allerdings nahezu farblosen Komplex bilden, der unter Rotfärbung protoniert wird, ohne seine Größe zu ändern. Der farblose Komplex ist jedoch relativ unbeständig und zersetzt sich nach einigen Tagen unter Reduktion. Die Be­rechnung von Mol.-Gew. aus Diffusionskoeffizienten ist mit Hilfe des S t o k e s sehen Gesetzes möglich. Dabei hat es sich, wie bereits früher berichtet4, als günstig erwiesen, den Diffusionskoeffizienten des Teilchens mit unbekanntem Mol.-Gew. mit dem eines ähnlichen, hinsichtlich der Größe aber genau be­kannten Teilchens zu vergleichen. Dabei ist zu be­rücksichtigen, daß das S t o k e s sehe Gesetz nur dann gilt, wenn das in der Lösung bewegte Teilchen Ku­gelgestalt besitzt.

Ramanspektroskopische Untersuchungen von Grif­fith 13 zeigten, daß für das Metavanadation V ^ f® in Lösung eine ringförmige Anordnung von vier V 0 4-Tetraedern anzunehmen ist. Ein solches Mole­kül ist geometrisch mit einem abgeplatteten Rota­tionsellipsoid vergleichbar. Man findet bei SvEDBERG und P ed er sen 14 Angaben, in welcher Weise sich die Diffusion verlangsamt, wenn statt einer Kugel ein gleich großes und gleich schweres Rotationsellipsoid diffundiert. Im Falle des Metavanadations müßte der gemessene Diffusionskoeffizient mit 1,105 multipli­ziert werden, um den Diffusionskoeffizienten des ent­sprechenden kugelförmigen Teilchens zu erhalten. Dabei wurde die Gestalt des Metavanadations als ab­geplattetes Rotationsellipsoid mit einem Achsenver­hältnis 3 : 1 vorausgesetzt, was einem Modell ent­spricht, das bereits frü h er4 erfolgreich angewendet wurde. Den Polyvanadat-Sorbit-Komplex sollte man als angenähert kugelförmig annehmen, da er leicht knäulbare Sorbitmoleküle enthält.

Aus dem S t o k e s sehen Gesetz läßt sich eine Gleichung ableiten, die den Zusammenhang zwischen den Mol.-Gew. von zwei verschiedenen Teilchen und den dazugehörigen Diffusionskoeffizienten ang ib t4:

D2-r]2 \ 3 Dt-Vi

(M = Mol.-Gew., v* = part. spez. Volumen, D = Diffusionskoeffizient und rj = V iskosität). Wenn man die Gl. (7) für den Vergleich des Polyvanadat- Sorbit-Komplexes mit Metavanadat anwenden will, hat man den Index 1 für alle Daten des Kom­plexions und den Index 2 für die des Metavanadat­ions zu setzen. Das Viskositätsverhältnis ^ I V i wurde mit einem Kapillarviskosimeter zu 0,876 bestimmt. Für die scheinbaren partiellen spez. Volumina wur­den pyknometrisch die Werte v x* = 0,443 und v 2* = 0,238 (cm3g_1) ermittelt. Wenn man das Mol.- Gew. des V40^® mit M 2 = 395,8 einsetzt, erhält man für den Polyvanadat-Sorbit-Komplex ein Mol.-Gew. von 71 ̂= 6 2 0 + 1 0 0 . Die Übereinstimmung dieses Wertes mit dem durch Ultrazentrifugation ermittel­ten ist durchaus befriedigend, wenn man bedenkt, wie stark sich relativ kleine Meßfehler bei den in Gl. (7) zur dritten Potenz erhobenen Größen auf das zu er­rechnende Mol.-Gew. auswirken.

Zusammenfassende Diskussion

Konduktometrische und potentiometrische T itra­tionen zeigen, daß zur Bildung des rotgefärbten Polyvanadat-Sorbit-Komplexes pro 2 Mol Vanadin1-g-Ion H® notwendig ist, wenn man Metavanadat- lösungen in Gegenwart von Sorbit ansäuert. Der Komplex muß also eine gerade Anzahl von Vanadin­atomen enthalten. Nach spektralphotometrischen Messungen muß das Verhältnis Sorbit : Vanadin kleiner als 2 : 3 bzw., da die Zahl der Vanadin­atome eine gerade ist, kleiner als 4 : 6 sein. Ein

Mx = ■M., (7) Abb. 3. Titration einer Metavanadatlösung mit Sorbit.

13 W. P . G r i f f i t h , J. chem. Soc. [London] A 905, [1967].14 T h . S v e d b e r g u . K. O. P e d e r s e n : Die Ultrazentrifuge,

Handb. d. Kolloidwissenschaft Br. VII, Verlag von Th. Steinkopff, Dresden und Leipzig 1940.

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(4 : 6 ) -Komplex aber hätte bereits ein Mol.-Gew., das mehr als doppelt so groß wie das gefundene wäre. Die genannten Bedingungen erfüllt als einzi­ger ein Komplex, der Sorbit und Vanadin im Ver­hältnis 2 : 4 enthält. Da Diffusionsversuche zeigen, daß sich aus Metavanadat und Sorbit auch ohne Säurezusatz bereits ein gleich großer, aber farbloser Komplex bildet, ist die letzte Aussage konduktome- trisch überprüfbar: Eine Titration einer Metavana- datlösung mit Sorbit zeigt beim Verhältnis Sorbit:V = 1 :2 bzw. 2 :4 einen Knickpunkt (s. Abb. 3 ).

Der eben gebaute V40 i2 >-Ring wird wahrschein­lich in geringem Maße hydrolytisch zu H2V40{3>- Ketten aufgespalten sein, da nur ein solches Mole­kül Hydroxylgruppen besitzt, die mit Sorbit kon­densieren können.H2V4O1340+ 2 C6H8(OH)6^

(farblos)[C6H8(OH)5] 2V4O1340 + 2 H2O.

(fast farblos)

Der entstandene farblose Komplex nimmt 2 Mole H® auf, was sicherlich zu einer Abspaltung von zwei weiteren Molekülen H20 führt:

[C6H8(OH)5] 2V4O1340+ 2 H ® ^(fast farblos)

[C6H8(0H )4] 2V40 132 e + 2 H 20 . (intensiv rot)

Hierbei könnte eine Kondensation mit den beiden inneren V-Atomen der Kette stattgefunden haben, so daß die Sorbitmoleküle je zwei V 0 4-Tetraeder miteinander verbrücken. Dieser kompakte Aufbau des Komplexes würde einmal seine große Stabilität bewirken und unter Umständen zu einer Erhöhung der Koordination an den V-Atomen führen, was wiederum die intensive Farbe erklären könnte. Für den oben formulierten roten Tetravanadato-disorbit- Komplex errechnet sich ein Molekulargewicht von 708, was mit den gefundenen Werten gut überein­stimmt.