Johann Andreas Engelhardt - ein landgräflicher Baumeister in Hessen-Kassel um 1800

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Johann Andreas Engelhardt - ein landgräflicher Baumeisterin Hessen-Kassel um 1800 Kathrin Ellwardt Einführung Nachdemder hessische Oberbaudirektor Heinrich ChristophJussow 1999 mit der Ausstellung im Kasseler Fridericianum und der gleichzeitigen Publikation eines Bestandskataloges seiner Zeichnungent in das Blickfeld von Forschung und Öffentlichkeitgerücktist, erscheint es angebracht, nun auch nach den übri- gen Mitarbeitern desBauamtes unter LandgrafWilhelm IX., nach der Organisa- tion des Landbauwesens im allgemeinen und nach dem Ablauf typischerPla- nungsprozesse zu fragen. Von Interesse sind dabei nicht allein die großen, auf- wendigen Projekte wie Schloß und Park Wilhelmshöhe, sondern auchdie alltäg- lichenBauaufgaben in der Residenzstadt und auf dem Lande. Johann Andreas Engelhardt gehört zu den zahlreichen Baumeistern der frü- hen Neuzeit, deren Leben und Werk weitgehend vergessen ist, da sie nie ein bedeutendes Großprojekt zu entwerfen und zu leiten hatten, welches in späterer Zeit die Aufmerksamkeit der kunsthistorischen Forschung erregthätte.Kleinere Neubauplanungen und Renovierungen bestehender Gebäudemachten jedoch einen Großteil der Tätigkeit der Baubehörde aus. Die Mehrzahl des überkom- menen Baubestandes aus jener Zeit, vor allem auf dem Land, umfaßt gerade solche kleineren Bauaufgaben wie Amtshäuser, Wirtschaftsgebäude, Pfan- und Schulhäuser und vor allem Kirchen. Für derartige Bauten hat es erkennbare Vorgaben von seiten der herrschaftlichen Behörden gegeben. Architektender frühenNeuzeit waren in ihren Planungen und baukünstleri- schen Entscheidungen keineswegs so frei, wie es die ältere, eheran Künstlerper- sönlichkeiten orientierte Forschung in der Kunstgeschichte zu suggerieren pflegt. Als Land- und Hofbaumeister standen sie in den Diensten ihrer Landes- herrschaft und warendem regierenden Fürsten oder Grafen, der bei sakralen wie profanen Projekten als Bauherr auftrat, und dessen Behörden verantwortlich. Im Bewußtsein der Zeitgenossen war nicht der Entwerfer eines neuenGebäudes, sondern der Auftraggeber von Wichtigkeit.Die Namender Architektenund der ausführenden Künstlerwerdenin Bauinschriften und Urkundenüberhaupt nicht genannt oderhöchstens kurz erwähnt. Das Landbauwesen besaß in der Regel eine Behördenstruktur, die sich im Lauf des 18.Jahrhunderts hin zu einer hierarchisch organisierten Aufgabenver- I Heinrich ChristophJussow 1754-1825. Ein hessischer Architekt des Klassizismus. Aus- stellungskatalog StaatlicheMuseen Kassel 1999. Christiane Lurals, Gerd Feuupn u. F. Carlo ScHuro: Heinrich Christoph Jussow(1754-1825).Architekt. Katalog der Zeichnun- gen aus dem Besitz der Staatlichen Museen Kassel, der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten, Bad Homburg v. d. H. und der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Potsdam. Hrsg. von den Staatlichen Museen Kassel und Hans OrroprsyEn. CD-ROM. Kassel1999. Zeitschrift des Vereins fürhessische Geschichte (ZHG) Band 105 (2000), S.l0l-134

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Johann Andreas Engelhardt -ein landgräflicher Baumeister in Hessen-Kassel um 1800

Kathrin Ellwardt

Einführung

Nachdem der hessische Oberbaudirektor Heinrich Christoph Jussow 1999 mitder Ausstellung im Kasseler Fridericianum und der gleichzeitigen Publikationeines Bestandskataloges seiner Zeichnungent in das Blickfeld von Forschungund Öffentlichkeit gerückt ist, erscheint es angebracht, nun auch nach den übri-gen Mitarbeitern des Bauamtes unter Landgraf Wilhelm IX., nach der Organisa-tion des Landbauwesens im allgemeinen und nach dem Ablauf typischer Pla-nungsprozesse zu fragen. Von Interesse sind dabei nicht allein die großen, auf-wendigen Projekte wie Schloß und Park Wilhelmshöhe, sondern auch die alltäg-lichen Bauaufgaben in der Residenzstadt und auf dem Lande.

Johann Andreas Engelhardt gehört zu den zahlreichen Baumeistern der frü-hen Neuzeit, deren Leben und Werk weitgehend vergessen ist, da sie nie einbedeutendes Großprojekt zu entwerfen und zu leiten hatten, welches in spätererZeit die Aufmerksamkeit der kunsthistorischen Forschung erregt hätte. KleinereNeubauplanungen und Renovierungen bestehender Gebäude machten jedocheinen Großteil der Tätigkeit der Baubehörde aus. Die Mehrzahl des überkom-menen Baubestandes aus jener Zeit, vor allem auf dem Land, umfaßt geradesolche kleineren Bauaufgaben wie Amtshäuser, Wirtschaftsgebäude, Pfan- undSchulhäuser und vor allem Kirchen. Für derartige Bauten hat es erkennbareVorgaben von seiten der herrschaftlichen Behörden gegeben.

Architekten der frühen Neuzeit waren in ihren Planungen und baukünstleri-schen Entscheidungen keineswegs so frei, wie es die ältere, eher an Künstlerper-sönlichkeiten orientierte Forschung in der Kunstgeschichte zu suggerierenpflegt. Als Land- und Hofbaumeister standen sie in den Diensten ihrer Landes-herrschaft und waren dem regierenden Fürsten oder Grafen, der bei sakralen wieprofanen Projekten als Bauherr auftrat, und dessen Behörden verantwortlich. ImBewußtsein der Zeitgenossen war nicht der Entwerfer eines neuen Gebäudes,sondern der Auftraggeber von Wichtigkeit. Die Namen der Architekten und derausführenden Künstler werden in Bauinschriften und Urkunden überhaupt nichtgenannt oder höchstens kurz erwähnt.

Das Landbauwesen besaß in der Regel eine Behördenstruktur, die sich imLauf des 18. Jahrhunderts hin zu einer hierarchisch organisierten Aufgabenver-

I Heinrich Christoph Jussow 1754-1825. Ein hessischer Architekt des Klassizismus. Aus-stellungskatalog Staatliche Museen Kassel 1999. Christiane Lurals, Gerd Feuupn u. F.Carlo ScHuro: Heinrich Christoph Jussow (1754-1825). Architekt. Katalog der Zeichnun-gen aus dem Besitz der Staatlichen Museen Kassel, der Verwaltung der StaatlichenSchlösser und Gärten, Bad Homburg v. d. H. und der Stiftung Preußische Schlösser undGärten Berlin-Brandenburg, Potsdam. Hrsg. von den Staatlichen Museen Kassel und HansOrroprsyEn. CD-ROM. Kassel 1999.

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teilung entwickelte. Während in der Hochphase des Absolutismus die Regenten,die zumeist selbst über ein fundiertes Wissen zur Beurteilung architektonischerEntwürfe verfügten, persönlich auch in kleinere Planungen wie beispielsweisefiir ländliche Kirchenbauten eingriffen, übemahmen in der Folgezeit zunehmenddie Landesbehörden derartige Entscheidungsbefugnisse. Auch im Bauwesen istdie allgemeine Ausdifferenzierung der Landesverwaltungen von der absolutisti-schen Monarchie hin zum Behörden- und Beamtenstaat des 19. Jahrhunderts zuerkennen.

Obwohl in dieser Untersuchung die Persönlichkeit eines einzelnen Architek-ten im Zentrum steht, geht es dennoch im wesentlichen darum, die Organisationdes Landbauwesens am Ende des alten Reiches am Beispiel der 1803 zum Kur-fiirstentum erhobenen Landgrafschaft Hessen-Kassel zu betrachten. Die umfang-reiche Personalakte des Johann Andreas Engelhardt, der sein ganzes Berufslebenin hessen-kasselischen Diensten verbracht hat, präsentiert exemplarisch denWerdegang eines flirstlichen Baumeisters aus der Zeit um 1800. Die Bauaktender ihm zugeschriebenen Projekte berichten über den organisatorischen Ablaufvon Planung und Ausführung, von festgelegten Dienstwegen und Entschei-dungsstrukturen. Dabei werden, nicht zuletzt aufgrund der aussagefühigerenQuel lenl age, vorrangig seine Kirchenbauten untersucht.

Engelhardts beruflicher Werdegang:Die Ausbildung eines Architekten im späten 18. Jahhundert

Johann Andreas Engelhardt wurde 1745 als ältester Sohn des MühlenverwaltersJohann Adam Engelhardt in Kassel geboren; somit war er neun Jahre älter alsder 1754 geborene Heinrich Christoph Jussow.2 Der junge Engelhardt bewarbsich im Januar 1766 um eine Anstellung beim Bauamt der Kasseler Regierung.In einem Memoriale an den Landgrafen erläuterte er seine Fähigkeiten und sei-nen Ausbildungsstand: Eure Hochfürstl. Durchlaucht wollen Gnddigst geruhenHöchst Denenselben in tiefster Unterthänigkeit vortragen zu lassen, wie ichunter Anweisung des Landbaumeister Jussow auf meiner Eltern kosten, dieGründe der Civil-Baukunst erlernt, auch dabey in Collegia der Arithmetic undGeometria im Carolino flei/|ig besuchtet, mithin nunmehro nichts mehr wünscheals nur die Gelegenheit zu haben in der Civil Baulrunst michferner zu üben undgeschickt zu machen um die Dienste Euer Hochfürstl. Durchlaucht unterthänigverrichten zu können Er hätte gelernt, Zeichnungen und Risse zu kopieren, auchAufmaße zu erstellen und danach Pläne anzufertigen, und wollte anfragen, obman im Bauamt eine Stelle fi,ir ihn hätte mit einem kleinen Gehalt. so daß er

2 Polizei- und Commercien-Zeitung 28.02.-06.03.1745: Taufe des ältesten Sohnes vonMühlmeister Johann Adam Engelhardt und dessen Frau Johanne Marie geb. Becker in derUnterneustädter Gemeinde; dort wird der Täufling zwar Johann Christoph genannt, dochda Johann Andreas Engelhardt l8l3 im Alter von 68 Jatrren starb und im Jahr 1745 keinweiteres Kind des Ehepaares nachweisbar ist, ist davon auszugehen, daß es sich um diegleiche Person handelt, in: Casselische Zeitung. Von Policey Commercien, und anderndem Publico dienlichen Sachen, ... Montags, den 8. Martii 1745. Seite 79. - Ich verdankedie Hinweise auf die Daten aus der Polizei- und Commercien-Zeitung (Anm. 2, 8 und 15)der freundlichen Auskunft von Herrn Helmut Bernert. Kassel.

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seine Eltern entlasten könnte. Die fiinf ftihrenden Mitarbeiter des Landbauwe-sens unterstützten seine Bewerbung, da bey dermahligen unter der BauamtsDirection stehenden vielen Bauwesen ein solches Subjectum, welches zum copi-ren und aufmessen zu gebrauchen, sehr gute Dienste leisten und die Arbeit invielen Stücken befordern kann. Sein Lehrer, Oberbaumeister Johann FriedrichJussow, der Vater des bereits erwähnten Heinrich Christoph, stellte Engelhardtdas Zeugnis aus, er wäire jederzeit fleißig und könnte diese Aufgaben gut erfiil-len. Die Entscheidung fiel innerhalb weniger Tage. Am 17. Januar 1766 wurdedas Bestallungsreskript fiir Johann Andreas Engelhardt als Kopist beim Bauamtausgefertigt und unterzeichnet; sein jährliches Gehalt betrug 100 Reichstaler.3

Vier Jahre später erhielt Engelhardt ein neues Aufgabenfeld und mehr Ver-antwortung, denn er wurde 1770 von Landgraf Friedrich II. zum Scribentenernannt. Sein Nachfolger John trat die Kopistenstelle an. Als Scribent war er vorallem für die Verwaltung der Repositur des Bauamtes zuständig, die aus Rech-nungen, Überschlagen, Accorden, Rissen, Zeichnungen, auch Litteralien undActen bestand. Diese mußte er in gute Ordnung bringen, darinnen erhalten unddie Bestände nach Jahrgängen verzeichnen, so daß bei Anfragen die betreffen-den Unterlagen sofort gefunden werden konnten. Hauptsächlich übte er also dieTätigkeiten eines Archivars aus. Daneben bekam er weiterhin Zeichnungen zumKopieren und Aufmaße, die er ins Reine zu zeichnen hatte. In der übrigen Zeitsollte er, wie es in der Bestallungsurkunde steht, sich um seine weitere Ausbil-dung zum Baumeister bemühen, daß Er ... sich in den stand setzen möge,selbsten ein Concept zu entwerfen. Und damit er sich in diesem seinem Dienstdessen geschickt machen möge, soll er sich im Zeichnen, Geometrie und Archi-tectur zu üben suchen, um eine Kentnis von denen beym Bauwesen vorkommen-den Sachen zu üben kommen, und die Plans, Rlsse und Zeichnungen beurteilen..., wie Er denn von allem, was bew Bauwesen vorkommen mag, eine guteKentni/3 zu erlangen beachten soll. Damit Er aber hierzu desto geschwinderkommen möge, hat Er sich, so viel es seine übrige Arbeit gestattet, an denenOrten, wo gebauet wird, einzufinden, und zuzusehen, wie sowohl mit der Arbeitals denen Materialien umgegangen werde ... Item lhm bey einem Hauptbau,welcher aus einem extra ordinairen Verlag bestritten wird, Rechnung zu führenaufgegeben werden solle. Sein Dienstherr, der Landgraf, zeigle ein offenkundi-ges Interesse daran, daß der junge Mitarbeiter des Bauamtes zu einem Architek-ten ausgebildet wurde, der unter Aufsicht des Baudirektors alle Arbeitsbereichedes Berufes kennenlernte, damit er später selbständig Bauprojekte würde leitenkönnen.a Nach der theoretischen Ausbildung sollte Engelhardt nun in der Praxisseine Kenntnisse vertiefen.

Im Jahr 1775 standen in der Baubehörde Umstrukturierungen an. BaumeisterCarl Moeller, der bis dahin das Bauwesen an den herrschaftlichen Gebäuden undMühlen sowie den Wasserbau an Fulda, Schwalm und Eder versehen hatte,wechselte ins Oberfürstentum auf die Stelle des verstorbenen Baumeisters Jo-hann Georg Siebert in Marburg. Oberbaumeister Johann Friedrich Jussow warbereits 70 Jahre alt und nicht mehr voll belastbar, vor allem waren ihm keine

' StA MR Bestand 5 Nr. 11420.a Bestallungsurkund e, 9. März I 770. StA MR Bestand 5 Nr. I I 390.

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häufigen Reisen mehr zuzumuten. Baumeister Simon Louis du Ry war mit denihm übertragenen Aufgaben am Residenzschloß, den fiirstlichen Gärten und demSchloß Wilhelmsthal vollkommen ausgelastet, ebenso Baumeister Chr. P. Diedemit dem Bauwesen an Weser, Diemel, Fulda und Werra. Als der Amtmann inBorken einige Bauschäden an seinem Amtshof sowie den zugehörigen Vorwer-ken und Mühlen bei den Regierungsbehörden meldete, stellte sich heraus, daßdafür kein Sachverständiger zur Verfügung stand und daß dringend ein neuerBaumeister den bisherigen Arbeitsbereich von Moeller und Jussow übernehmenmußte. Engelhardt wurde in Vorschlag gebracht: In den neun Jahren seiner Tä-tigkeit im Bauamt hätte er eine gute Kenntnis vom Bauwesen erlangt und könntedie Position daher gut übernehmen. An seiner Stelle könnten die bey dem Bau-Departement stehende Accessisten Schmidt und Wilhelm Carl Hisner, welchebisher zu dem Bauwesen eine gute application und rühmlichen Fleif bezeiget,bey die Bau-Repositur als Scribenten angestellet, und der von jenem zeitherogenossene Scribenten-Gehalt unter beyde vertheilet werden.s

Entschieden wurde darüber aber erst drei Jahre später, nachdem die Notwen-digkeit, die Verteilung der Amtsbezirke neu zu regeln, sich im Lauf der Zeit alsimmer dringlicher erwiesen hatte. Der Scribent Engelhardt erhielt jedoch schon1775 den Auftrag, die Bauschäden in Borken zu besichtigen und einen Berichtnebst Kostenvoranschlag bezüglich der nötigen Reparaturmaßnahmen abzufas-sen. Offensichtlich wollten seine Vorgesetzten überprüfen, inwieweit er denAufgaben eines landgräflichen Baumeisters gewachsen war, und ihm Gelegen-heit geben, seine erlernten Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. In dem verlang-ten Bericht erklärte Engelhardt den Zustand des Amtshauses selbst für insgesamtgut, es wären lediglich einige kleinere Reparaturen durchzufi,ihren. Als unbe-dingt notwendig bezeichnete er jedoch den Neubau des Brau- und Backhauses.Sein Entwurfsplan für letzteres, den er im Mai 1775 vorlegte, hat sich erhalten(Abb. I ). Bei dieser kleinen Bauaufgabe handelt es sich demnach um das ersteProjekt, das Engelhardt selbständig leitete. Nach einigen Kontroversen um dieWaht des richtigen Bauplatzes wurde das Brauhaus schließlich 1778 ausgeführt.6

Am 6. Januar 1778 bestellte Landgraf Friedrich den Scribenten Engelhardtzum Bauverwalter und übertrug ihm einen eigenen Bezirk. Die Bestallungsur-kunde legte den Ablauf von Bauanträgen und Genehmigungsverfahren und dieAufgaben des Bauverwalters genauestens fest. Ihm oblag das gesamte Bauwesenan allen herrschaftlichen Gebäuden, auch den Mühlen, sowie der Wasser-,Schleusen- und Brückenbau in seinem Distrikt. Sein Gehalt betrug wahlweisemonatlich l6 Reichstaler in bar nebst freiem Futter für ein Pferd, oder stattdes-sen 33 Reichstaler, 5 Albus und 3 Heller in bar. Darüber hinaus stand ihm anDiäten, wenn Er in herrschaftl. Verrichtung auf dem Lande zu thun hat, einReichstaler pro Tag zu. Ab August 1779 bekamen Engelhardt und der Stein-In-spector Hisner aus vakant gewordenen Besoldungen jährlich je 100 ReichstalerGehalt.T

5 Bestallungsurkunde, 6. Januar 1778. StA MR Bestand 5 Nr. I 1390.

u- t"den Amtsgebäuden in Borken: StA MR Bestand 53fNr. 250.

' Bestallungsurkunde, 6. Januar 1778. StA MR Bestand 5 Nr. I 1390.

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Abb. I : Entwurf für ein Brau- und Backhaus auf dem Amtshof in Borken, | 775(StA MR Bestand 53f Nr. 250).

Damit verfi.igte Engelhardt über ein ausreichendes E,inkommen, so daß erdaran denken konnte, eine Familie zu gründen. Ende Mai 1779 heiratete er die

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drei Jahre jüngere Anne Margarethe Wenderoth, die Tochter des KöniglichFürstlichen Stadtschreibers Johann Henrich Wenderoth. Fünf Kinder des Ehe-p{ures sind nachgewiesen, von denen aber offenbar nur die beiden ältesten dasErwachsenenalter erreichten. 8

Nach dem Tod des Oberbaumeisters Johann Friedrich Jussow im Juli 1779,der seit 1746 an der Spitze des Landbauwesens in Kassel gestanden hatte, wurdevon der Kriegs- und Domänenkammer eine Liste über die verschiedenen Bezirkemit dem Namen des jeweils zuständigen Baumeisters und dessen Dienstsitzaufgestellt. Danach war der Bauverwalter Engelhardt in Kassel verantwortlichfür das Gericht Jesberg und die Amter Borken, Homberg, Gudensberg und Neu-kirchen. Von anderer Hand ist nachträglich der Satz hinzugefiigt worden: Dieserkönnte auch das Kirchenbauwesen in der Grafschaft Ziegenhayn mit versehen.e

Der Obrist Philipp Wilhelm Leopold, der Baumeister sowohl für das Zivil-als auch das Militärbauwesen in der Graßchaft Ziegenhain, verstarb aml2.Dezember 1785. Ein Capitain des Ingenieur-Corps H. H. Engelhard über-nahm die Position des Militärbaumeisters für die Fortifikationen in der FestungZiegenhain. Seinem Gesuch, ihm auch das zivile Bauwesen zu übertragen, wur-de jedoch nicht entsprochen, denn Johann Andreas Engelhardt bewarb sich beimLandgrafen ebenfalls um die Ziegenhainer Stelle und um die Ernennung zumBaumeister. Schließlich wurden Leopolds bisherige Aufgaben unter den beidenBewerbern geteilt. Per Beschluß des geheimen Rates vom 30. Januar 1786 er-hielt Johann Andreas Engelhardt die Civil-Bauverwalter-Stelle inZiegenhain miteiner jährlichen Besoldung von 60 Reichstalern, jedoch ohne Anspruch aufDiäten, zusätzlich zu seinem bisherigen Dienstbezirk überhagen. Gleichzeitig ,wurde ihm das Prädikat Baumeister verliehen, was eine Beftirderung bedeutete.Zwei Reskripte des Landgrafen WilhelmlX. vom l7.Märzl786 bestätigtenEngelhardts Ernennung. Die Kriegs- und Domänenkammer wurde angewiesen,die Auszahlung der Gehaltszulage zu verftigen.to Sieben Jahre später, 1793,gewährte ihm der Landgraf außerdem eine Besoldungszulage in Höhe von100 Reichstalem anstelle seiner bisherigen Diäten.rt

In der Zeit um 1790 verteilten sich die Aufgaben des Landbauwesens aufinsgesamt neun Distriktsbaumeister. Einem Verzeichnis derer denen Baumei-stern zu ihrem District zugetheilten Ämtern zufolge war Engelhardt fiir einenTeil des Bauwesens in der Residenz Kassel und den drei Kasseler Amtern(Ahna, Bauna und Neustadt), sowie Borken, Felsberg, Gudensberg, Homberg,Jesberg, Neukirchen, Treysa und Ziegenhain zuständig. Sein jährliches Gehaltsetzte sich aus einer Besoldung in Höhe von 294 Reichstalern und l8 Albus, den60 Reichstalern fiir die Zivilbauverwalterstelle in der Grafschaft Ziegenhain unddazu dem Gegenwert des Futters für zwei Pferde in Höhe von 62 Reichstalern,19 Albus und 3 Hellern zusammen, so daß er ein Einkommen von insgesamt

8 Polizei- und Comm erzien-Zeitrtng,26.05.-01.06. 1779, in: Casselische Zeitung(wie Anm. 2)..., Montag den 7t"n Junius. Seite 258.Verzeichnis wie die Besorgung des Bauwesens im Lande an die Baumeister repartiretworden, 1779. StA MR Bestand 53f Nr. 1049.StA MR Bestand 5 Nr. I1390, 53f Nr. 384.StA MR Bestand 53f Nr. 384.

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417 Reichstalern, 5 Albus und 3 Hellern aus der Kammerkasse bezog, wozunoch je ein Reichstaler pro Reisetag an Diäten kamen.r2

Anfang November 1799 richtete Johann Andreas Engelhardt eine erneuteBittschrift an Landgraf Wilhelm; Es sind nun 35 Jahre, da/3 ich die Gnade habe,dem Hochftirstlichen Hause zu dienen - wöhrend dieser Zeit habe ich mich eif-rigst bestrebt, die mir ertheilten Aufträge nach meinen geringen Kräften, zurZufriedenheit meiner Vorgesetzten auszurichten fals Beweis nennt er eine Reihevon Bauprojekten] ... und glaubte, mich dadurch einer Beforderung würdig zumachen, diese Hoffiung ist indessen durch die Ernennung des im Dienst weitjüngeren Bawneister Hisner zum Ober-Baumeister leider fehlgeschlagen. Zwargönne ich diesem meinem würdigen Collegen die Gncidigste Beforderung, wel-che er in aller Absicht verdient, von ganzem Herzen - es bleibt aber doch immerfür mich ein sehr schmerzhartes Ge/ühl, mich ohnverschuldet zurückgesetzt zusehen. Doch Euer Hochfiirstlichen Durchlaucht weltbekante Gnade und Mildereicht weiter als meine Wünsche gehen - geruhen Höchstdieselben dennocheinen Landesvöterlichen Blick auf einen alten treuen Diener zu werfen, unddenselben durch eine ebenmötJige Beforderung und Erhhhung seines geringenGehalts Huldreichst zu erfreuen und wiederum aufzurichten.

Die gnridigste Gewrihrung dieses meines unterthrinigsten Gesuchs, wird fürmich ein neuer Trieb zur Thritigkeit seyn, und ich werde dofw auch in meinerAsche noch nicht au/hören zu seyn

Eue r H o c hfür s t I i c hen Dur c hl auc htUnterthönigster, treu-pflichtsc huldigs t er

JAEngelhardt

Trotz aller Beteuerungen wurde dem erfahrenen Baumeister die gewünschteBeftirderung jedoch nicht zuteil. Engelhardt mußte sich damit abfinden, daß derjüngere Hisner, einst einer seiner beiden Nachfolger auf der Scribentenstelle inder Baurepositur, ihn überflügelt hatte.

Nach dem Reichsdeputationshauptschluß von 1803 kamen die vormals kur-mainzischen Besitzungen Fritzlar und Naumburg sowie Amöneburg und Neu-stadt an Hessen-Kassel. Fritzlar, woselbst ein noch nicht fertig ausgebautesHerrschaftliches Kellerey-Haus, und auf 20 Stifis-Gebaude nebst 3 ZehndScheuern sich befinden, und das Kellereihaus in Naumburg mit Fruchtboden undZehntscheuer wurden Engelhardts Bezirk zugeordnet, während Baumeister Ni-kolaus Arend in Marburg die Amter Amöneburg und Neustadt übernahm, die erschon gemeinsam mit Oberbaudirektor Jussow bereist hatte.r3

Engelhardt ist bis 1806, bis zur Besetzung Hessen-Kassels durch die Franzo-sen, als Baumeister in kurhessischen Diensten nachweisbar. Offenbar übernahmdie französische Regierung einen großen Teil des hessischen Beamtenstabes. ImAlmanach Royal de Westphalie von lSl l und 1813 findet sich sein Name unterden Bediensteten der Administration Gönörale des Canaux, Ponts et Chaussöes,et Edifices publics, die dem Ministöre de l'Intörieur unterstellt ist; gemeinsam

t2 stA MR Bestand 5 Nr. 13845.13 StA MR Bestand 5 Nr. 15321.

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mit mehreren anderen Beamten war er für das Döpartement Fulde zuständig.raAktenmaterial über seine konkrete Tätigkeit während jener Jahre konnte jedochbislang nicht aufgefunden werden.

Johann Andreas Engelhardt ist Ende Oktober oder Anfang November l8l3verstorben. Zwischen dem 28. Oktober und dem 3. November wurde er auf demFriedhof der Unterneustädter Gemeinde beigesetzt.r5 Laut einem Auszug ausdem Geheimen Raths-Protocoll vom 13. September l8l4 beantragte seine Wit-we Anne Margarethe die Bewilligung einer Pension.16

Die Organisation des Landbauwesens in Hessen-Kassel

Bereits im frühen 18. Jahrhundert existierte zumindest in allen großen und mitt-leren Territorien eine herrschaftliche Behörde, die für das Bauwesen im Landeverantwortlich war. In ihren Aufgabenbereich fielen alle öffentlichen Baumaß-nahmen wie Schlösser, Amts- und Rathäuser, herrschaftliche Güter mit ihrenWohn- und Wirtschaftsgebäuden, Schulen, Brücken, Straßen- und Wegebauund, da alle Religionsangelegenheiten Sache der Landesherrschaft waren, auchKirchen und Pfarrhäuser. An der Spitze dieser Behörde stand ein ausgebildeterArchitekt, der den Titel Landbaumeister oder Baudirektor fiihrte. In den größe-ren Residenzen verftigte dieser über einen Stab von Mitarbeitern. Selbst wennein auswärtiger Architekt mit einem Entwurf beauftragt wurde, bedurften diePläne der Genehmigung durch die Baubehörde.

In der Landgrafschaft Hessen-Kassel ist ein regelrechtes Landbauwesenspätestens ab 1698 zu greifen. In jenem Jahr übertrug Landgraf Karl dem Hof-junker Karl von Hattenbach das Direktorium und die Oberinspektion über dasgesamte Zivil- und Militärbauwesen in Stadt und Land. Dem Bauwesen von Hofund Regierung wurde damit eine einheitliche Organisationsstruktur mit einemverantwortlichen Direktor an der Spitze verordnet. In Diensten des Landgrafenstanden vier oder ftnf Architekten, die ständig miteinander wetteiferten. DieAufgabe des neuen Baudirektors bestand im wesentlichen darin, in Zusarnmen-arbeit mit eben diesen Baumeistern die vielftiltigen Bauprojekte zu koordinieren.Der Personalstab der Baubehörde, der im Laufe der Zeit stetig anwuchs, bestandaus mehreren Baumeistern, Bauschreibern, Modellschreinern, Bildhauern, Stuk-kateuren und Bauhandwerkern verschiedener Fachrichtungen. Diese Handwer-ker wurden hauptsächlich am Hofe selbst eingesetzt, während man für Bauvor-haben draußen im Land gewöhnlich ortsansässige Kräfte heranzog. Die Größedes Tenitoriums machte sehr bald eine Aufteilung in verschiedene Amtsberei-che nötig, so daß jeweils ein Baumeister ftir ein begrenztes Gebiet zuständig unddort auch ansässig war.

Das geistliche Bauwesen (Kirchen, Pfanhäuser, Schulen) fiel in die Verant-wortung des Consistoriums, das über alle Einzelheiten der Planung, der Finan-

Kurhessischer Staats- und Adreßkalender auf das Jahr 1806. S.Westphal ie l8 l l , S. I15, und 1813, S. 133.Polizei- und Commerzien-Zeitung, 28.10. 1813, in: Kasselschesden 6t"n November 1813. Seite 858.StA MR Bestand 5 Nr. 13800.

60; Almanach Royal de

Wochenblatt. Sonnabendl5

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zierung und des praktischen Ablaufs von Bauarbeiten entschied und somit An-sprechpartner der Pfarrer in allen organisatorischen Fragen war. Der Gang desPlanungsverfahrens nahm in der Regel immer denselben Verlauf. Pfarrer, Orts-grebe oder Landrat meldeten die Notwendigkeit von Baumaßnahmen an dasConsistorium. Dieses beauftragte den zuständigen Baumeister, die alte Kirche zubesichtigen und ein Gutachten vorzulegen, welche Schäden festzustellen waren,ob eine Reparatur des vorhandenen Gebäudes, der man aus Kostengründen denVorzug gab, überhaupt noch möglich schien oder ob ein Neubau als unabdingbaranzusehen war. Im letzteren Fall blieb die Beschaffung der erforderlichen Gel-der zu klären. Der Baumeister wurde angewiesen, einen Entwurf einschließlicheines Kostenvoranschlages aufzustellen und einzureichen. Stimmte das Consi-storium diesem grundsätzlich zu, dann übersandte es beides an die Oberrent-kammer, denn für die Erteilung einer Baugenehmigung bedurfte es der Zustim-mung der Finanzbehörde, welche ab der Mitte des 18. Jahrhunderts nach preußi-schem Vorbild Kriegs- und Domänenkammer, in den 1790er Jahren aber wieder,wie schon früher, wieder Oberrentkammer hieß und der das Landbauwesen un-terstellt war.

So manche Architektenzuschreibung läßt sich heute allein aus den behör-deninternen Aktennotizen und Korrespondenzen ermitteln. Eine knappe Mittei-fung des Consistoriums an die Oberrentkarnmer aus dem März 1799, worin beider obersten Finanzbehörde angefragt wird, ob die beigefiigten Baupläne undKostenvoranschläge so genehmigt würden, stellt beispielsweise den einzigenBeleg dar, daß Johann Andreas Engelhardt den Kirchenbau fiir Zennem entwor-fen hat:

Fürstl. Ober Renth Cammer haben Wir den vom Baumeister Engelhard we-gen Erbauung einer neuen Kirche und Thurm zu Zennern, eingeschickten Be-richt nebst Rifi und Kostenanschlag hierbey mit dem ergebensten Ersuchencommuniciren wollen, Uns darüber ob und was etwa dabey zu erinnern seynmöchte? Baldgefcillige Nachricht cum remissione acclusorum lmit Rücksendungder Anlagenf zukommen zu lassen.tT

Der Verwaltungsgang für die profanen ,,herrschaftlichen Gebäude" wardurch das Project einer Instruction vor einen Baumeister wie er sich in Anse-hung der Ihm aufgetragenen Bau-Geschdfte besonders auf dem Lande zu ver-halten habe, welches die Kriegs- und Domänenkammer den Distriktsbaumei-stern im Frühjahr 1775 zustellte, genau festgelegt. Die Beamten, Amts- oderDomänenpächter und Bedienten, welche herrschaftliche Häuser bewohnten oderbenutzten, hatten über nötige Baumaßnahmen Anzeige bei der Kriegs- und Do-mänenkammer zu erstatten. Diese leitete den Bericht an den zuständigen Bau-meister weiter, zu dessen Distrikt das Objekt gehörte. Der Baumeister wurdebeauftragt, die Schäden zu besichtigen. Danach hatte er über die Notwendigkeitder vorgesehenen Maßnahmen zu berichten und ein Gutachten nebst Kostenvor-anschlag einzureichen. Nur dasjenige sollte ausgefiihrt werden, was der Baumei-ster begutachtet und die Kammer genehmigt hatte, nicht jedoch darüber hinaus-gehende Arbeiten, welche die jeweiligen Beamten eigenmächtig anordneten.Nur bei ,,Hauptgebrechen"o d. h. besonders schweren baulichen Mängeln, durfte

t7 Consistorium an Oberrentkammer. I l. März 1799. StA MR Bestand 53f Nr. 1049.

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der Baumeister von den genehmigten Voranschltigen abweichen. Die örtlichenBeamten hatten sich um die Organisation und praktische Durchfi.ihrung derBaumaßnahmen zu kümmern. Die Oberaufsicht fiihrte der zuständige Landrat,ab 1793 der Amtmann. Bei kleineren Bau- und Reparaturmaßnahmen wurdemitunter auch darauf verzichtet, einen Baumeister heranzuziehen, und der Be-amte übernahm die Bauleitung selbständig.

Jeder Baumeister war in seinem ,,Departement" allein zuständig; nur in Aus-nahmeftillen wurden ihm Aufträge erteilt, die eigentlich in den Amtsbereicheines Kollegen fielen. Zu seinen Aufgaben gehörte ferner, bei den henschaftli-chen Gebäuden, Schleusen, Wehren und Dämmen zu überprüfen, ob sie von denBewohnern vor Ort regelmäßig instandgehalten würden. Der Baumeister warsomit auch für technische Bauten und den Wasserbau verantwortlich. Der Stra-ßen- und Wegebau wurde hingegen gesondert betreut.

Zu dieser ,,Instruction" erhielten die Baumeister ein Schema, in welcherForm die Kostenvoranschläge künftig aufgestellt werden sollten. Ferner wurdendie Löhne für die Bauhandwerker festgelegt. Der Sommerlohn, der fiir die 13.-44. Woche des Jahres gezahlt wurde, betrug für einen Handwerksmeister proTag l0 Albus und 8 Heller, für einen Gesellen 8 Albus. Im Winter sollten denMeistern ebenfalls l0 Albus und 8 Heller, den Gesellen hingegen nur 7 Albusgezahlt werden. Landgräfliche Verordnungen von 1775, 1783 und l79l beton-ten, die genehmigten Kostenvoranschläge dürften nicht überschritten werden.Daß dieses so oft wiederholt wurde, lZißt darauf schließen, daß die veranschlag-ten Baukosten des öfteren überschritten wurden.rs

Realisierte Bauten und Entwi.irfe vonJohann Andreas Engelhardt

Auf dem Gebiet des Profanbaus sind außer dem Rentereihaus in Homberg bis-lang keine kompletten Neubauten bekannt geworden, für die Engelhardt diePläne entworfen hat. Die öffentlichen Kassen der Landgrafschaft besaßen geradein den Kriegszeiten am Ende des alten Reiches kaum Reserven fiir Baumaßnah-men, welche nicht unaufschiebbar notwendig gewesen wliren. Die großen Pla-nungen des Hofes wie das Schloß Weißenstein (Wilhelmshöhe, errichtet l79l-1798) in Kassel leiteten die besten verfiigbaren Architekten, nämlich der Hof-baumeister und Rat Simon Louis du Ry und sein Nachfolger, OberbaudirektorHeinrich Christoph Jussow, die keinen eigenen Distrikt im Land zu betreuenhatten, sondern gezielt mit einzelnen Aufgaben betraut wurden. So entwarf duRy die Kirche für Kirchditmold (1787-1792), die aufgrund der Nähe zum SchloßWilhelmshöhe als Endpunkt einer Blickachse besondere Bedeutung fiir dieLandschaftsgestaltung besaß. I e

Für Engelhardt blieben im profanen Hochbau fast ausschließlich kleine Bau-und Reparaturmaßnahmen zu erledigen. Der einzige größere Neubau, ftir den er

r8 StA MR Bestand 53f Nr. 17.

re 200 Jahre Kirche Kirchditmold. Kirchditmold und seine Kirche in Vergangenheit undGegenwart. Festschrift zum Jubiläumsjahr 1992,hg. v. Werner WöLelNG, Kassel 1992, S.22-26.

Johann Andreas Engelhardt - ein landgräflicher Baumeister in Hessen-Kassel I I I

verantwortlich zeichnete, wff das Amtshaus in HomberglBfze. Engelhardt ent-warf l78l die Pltine für das zweiflügelige Gebäude, das ab 1785 ausgeführtwurde. Es beherbergte im Hauptflügel die Amtsstube mit den nötigen Büroräu-men des Amtmannes sowie zttrei Wohnungen fiir herrschaftliche Beamte. DerSeitenfltigel umfaßte Scheuer und Stallungen. Ein separat stehendes Wirt-schaftsgebäude schloß den ri,ickwärtigen Hof ab. Da es 1789 Unstimmigkeitengab, wie die vorhandenen Zimmer an die beiden Wohnungen des RentmeistersArnold Reinhardt und des Forstschreibers Georg Wilhelm Berner verteilt wer-den sollten, forderte die Rentkammer noch einmal die Grundrisse der drei Ge-schosse des Hauses an. Allein diesem Umstand ist es zu verdanken, daß diePläne erhalten geblieben sind (Abb.2).'o

Abb. 2: Grundriß des Amtshauses in Homberg/Efze,1789(StA MR Bestand 53f Nr. l04l)

Wie streng die Zuständigkeit des Distriktsbaumeisters für alle Baumaßnah-men an den herrschaftlichen Gebäuden seines Bezirks gehandhabt wurde, be-weisen die umfangreichen Akten über die Instandhaltung des JagdschlossesKarlshof in Wabern. Ab 1778 war Engelhardt mit kleineren oder größeren Repa-raturen am Schloß selbst, den Nebengebäuden, dem Garten und den Einrichtun-gen für die Reiherjagd, welche seit Landgraf Karl in Wabern betrieben wurde,beinahe alljährlich beschäftigt. 1778 waren neue Futterkrippen im Pferdestall zuinstallieren und die Wandtäfelung im Kabinett neben dem Speisesaal auszubes-sern. 1780 waren am Gärtnerhaus, wo Fäulnisschäden am Holzwerk festgestelltworden waren, Instandsetzungen nötig. 1782 mußten fünf grüne Gartenb?inkeersetzt werden, im folgenden Jahr kam es zu Auseinandersetzungen mit derKammer um die angeblich zu hohe Rechnung des Kanalfegers. 1785 mußteEngelhardt eine scharfe Zurechtweisung seitens seines Vorgesetzten einstecken,

20 StA MR Bestand 53f Nr. 1041.

n2 Kathrin Ellwardt

weil die schon zwei Jahre zuvor befohlene Verkittung der undichten Fugen anden Altanen nicht ausgefiihrt worden war. Mehrfach traten in dem leerstehendenSchloß Schäden an den hölzemen Wandverkleidungen der Räume im Erdge-schoß auf, die durch aufsteigende Feuchtigkeit hervorgerufen wurden. Ein Sturmverursachte 1787 erhebliche Schäden an den Fenstern. Dies sind nur einige Bei-spiele aus den zahlreichen Schreiben des Burggrafen, die in jenen Jahren bei derKriegs- und Domänenkammer eingingen. Der übliche Dienstweg lief so ab, daßdie Kammer diese Berichte an den zuständigen Baumeister, also Engelhardt,weiterleitete, welcher die Schäden gegebenenfalls in Augenschein nahm, einenBericht und Kostenvoranschlag sowie die nötigen Risse erstellte. Der Burggrafin Wabem war fiir die Vergabe der Arbeiten und die Beaufsichtigung der Hand-werker zuständig, während der Baumeister die Rechnung führte. Abgerechnetwurde über die Renterei im Amtsort Homberg.2l

An den früheren Meiereigebäuden in Wabern, in denen im späten18. Jahrhundert die Posthalterei ihren Sitz hatte, fielen ähnlich viele Arbeiten an.Posthalter Heinrich Thielepape wandte sich fast jedes Jahr vorgeschriebenerrna-ßen an den Baumeister, weil wieder einmal irgendwelche Reparaturen zu begut-achten und anzuordnen waren. Ob es nur um schadhafte Fenster, den nicht mehrfunktionierenden Badeofen im Wohnhaus, durchgefaulte Bodendielen über denStällen oder ein unbrauchbares Türschloß ging: Alles hatte Engelhardt zu bear-beiten. 1780 lieferte er die Pläne, als ein neuer Schweinestall mit Heuboden undeine Remise errichtet werden sollten. Am 24. September jenes Jahres steckte derBaumeister den Grundriß des neuen Gebäudes im früheren Obstgarten des Post-hofes ab.22

Die Rentereigebäude in Neukirchen beschäftigten den Baumeister ebensohäufig wie die Posthalterei in Wabern. Auch der Neukircher Amtmann JohannChristoph Wangemann, der das Rentereihaus bewohnte, hielt sich sehr genau andie Vorschriften. Im Schniff alle sechs Monate zeigte er nötige Baumaßnahmenan Haus und Hof bei der Regierung in Kassel an. So brauchte im Herbst l79ldas Fruchthaus neue Schwellen, und das Dach über den Schweineställen war zuerneuern. Im Frühjahr 1792 erklärte er den Tränktrog am Brunnen im Amtshoffiir unbrauchbar und den Gartenzaun fiir schadhaft. 1792 waren etwas größereReparaturen am Wohnhaus und den beiden Fruchthäusem sowie der Scheuerf?illig, 1793 an den Stallungen. 1794 beabsichtigte der Posthalter, im Kehlgebälkdes Fruchthauses einen zusätzlichen Boden einzuziehen. Im Mai 1794 sollteEngelhardt Sturmschäden besichtigen. Im Frühsommer ging es um ein einge-stürztes Tor am Renthof. Im Januar des folgenden Jahres hatte Engelhardt eineneinsturzgeftihrdeten Ofen in der untersten Wohnstube des Amtshauses zu begut-achten, wobei er zu dem Schluß kam, da/3 das Gesinde durch unvorsichtigesumwerfen des Holzes den Einsturz veranlasset habe.23

Mit solchen geringfiigigen Instandsetzungen hatte Engelhardt regelmäßig anden diversen Amts-, Wohn- und Wirtschaftsgebäuden der landeshenlichen Be-

2t StA MR Bestand 53f Nr. 148.

22 StA MR Bestand 53f Nr. 1035.

23 StA MR Bestand 53fNr. 1301.

Johann Andreas Engelhardt - ein landgräflicher Baumeister in Hessen-Kassel I l3

amten in seinem Bezirk zu tun. Ahnlich umfangreiche Akten berichten bei-spielsweise über das Amtshaus in Borken oder das Meiereihaus in Ottrau.2a

Der wohl bedeutendste Auftrag, den Johann Andreas Engelhardt in seinerLaufbahn jemals erhielt, ist den technischen Bauwerken zuzurechnen. Offenbarverfügte er auf diesem Gebiet über ein allgemein anerkanntes Fachwissen. In derResidenzstadt Kassel wurde, da an der durch Eisgang beschädigten undbaufiilligen Fuldabrücke zwischen Altstadt und Unterneustadt keine Reparaturenmehr möglich waren, der Bau einer neuen Brücke geplant. Engelhardt warbereits ab 1780 an den Arbeiten zur Sicherung der alten Brücke beteiligt. 1787wurde als Provisorium eine Schiffbrücke aus Flößen angelegt. Anfang 1788reichte der Baumeister seine Pläne für eine neue Fuldabrücke ein, welche seinemKollegen Hisner zur Begutachtung übergeben wurden. Dieser legte seinerseitseinen eigenen Entwurf vor. Die beiden dazugehörigen Kostenvoranschlägezeigen, daß es sich um ein Großprojekt handelte, dessen Volumen die üblichenBauaufgaben auf dem Lande, mit denen Engelhardt sonst zu tun hatte, um einVielfaches überstieg. Engelhardt veranschlagte Baukosten in Höhe von115.369 Reichstalern, Hisner sogar 159.985 Reichstaler. Hinzu kamen über25.000 Reichstaler an Ausgaben für den Ankauf von privaten Wohnhäusern, diefür den Durchbruch einer neuen Straße abgebrochen werden mußten. DerBrückenbau war Bestandteil einer größeren städtebaulichen Maßnahme mit demZiel, eine geradlinige Straßenverbindung zwischen dem Altmarkt in der Altstadtund dem Holzmarkt in der Unterneustadt zu schaffen. Nach Engelhardts Planwurde die neue Brücke, welche den Namen ,,Wilhelmsbrücke" erhielt, 1788-1793 ausgeführt. Heinrich Christoph Jussow hatte die Bebauung an der neuenStraße zu gestalten.25 Zwar fiihrte Simon Louis du Ry die Oberaufsicht, dochEngelhardt leitete die Arbeiten auf der Baustelle. In seinem Gesuch umBeftirderung von 1799 hob er hervor, er hätte beym Abdömmen Tag und Nachtgegenwärtig seyn müssen. In dem Schriftstück erwähnte er femer, er hätle erstkürzlich die Wiederherstellung der durch Eisgang zerstörten Brücken vonGensungen, Niedermöllrich und Uttershausen durchgefi,ihrt.26

Die sogenannten geistlichen Gebäude, die ebenfalls zum herrschaftlichenBauwesen gerechnet wurden, beanspruchten einen erheblichen Teil von Engel-hardts Arbeitszeit, was nicht zuletrt an der großen Zahl der von ihm zu betreu-enden Objekte lag. In fast jedem Dorf seines Bezirkes gab es eine Kirche undein Schulhaus, in den Pfarrorten zudem eine Pfarrhofreite mit Wohnhaus undWirtschaftsgebäuden. Baumaßnahmen an Kirchen, Pfarr- und Schulhäusern sindaußerdem dank der reichhaltigeren Überlieferung der Bauakten quellenmäßigam besten zu greifen. Vorrangig in diesem Bereich erhielt Engelhardt die Mög-lichkeit, Neubauten eigenständig zu entwerfen und durchzufiihren. Für eineganze Reihe von Kirchenbauten läßt sich seine Urheberschaft archivalisch si-chern.

StA MR Bestand 53fNr. 247 u.250 (Borken), 1288 (Ottrau).Ausstellungskatalog Jussow 1999 (wie Anm. l) S. 206; StA MR Bestand l7e Kassel Nr.7 t3.StA MR Bestand 5 Nr. I1390.

24

25

l14 Kathrin Ellwardt

Abb. 3: Sondheim, ev. Kirche

Das Projekt eines Kirchenbaues in Holzhausen bei Homberg übernahm ervon Johann Friedrich Jussow unmittelbar nach dessen Tod; 1779 wurde die Kir-che errichtet, wahrscheinlich noch nach Jussows Plänen. In Sondheim (Abb. 3)erhielt der um 1500 errichtete Chorturm 1798 eine neue Haube mit Laterne,1799 wurde das Schiff angefiigt. Den Entwurf dafiir hatte Engelhardt schonl79l angefertigt.2T

Für den geplanten Kirchenneubau in Lohne (Abb. 4) reichte Engelhardt 1785seinen Riß mitsamt Kostenvoranschlag ein, der vom Consistorium zwar geneh-migt, von der Kriegs- und Domänenkammer jedoch zunächst abgelehnt wurde.Letztere wünschte anstelle des Mittelganges durchlaufende Kirchenbänke überdie ganze Breite des Schiffes mit Gängen entlang der Wände. Engelhardt konntedie Behörden jedoch von den Vorteilen seines Planes überzeugen, so daß

27 StA MR Bestand 53f Nr. 1049.

Johann Andreas Engelhardt - ein landgräflicher Baumeister in Hessen-Kassel I l5

schließlich auch die Kammer ihre Genehmigung erteilte.28 Der Kirchenbau wur-de im Frühjahr 1793 begonnen und konnte schon im Advent desselben Jahreseingeweiht werden. Es ist jedoch zu verrnuten, daß zum Zeitpunkt der Einwei-hung nur der Rohbau unter Dach war und sich die Arbeiten an der Innenaus-stattung noch länger hinzogen, denn eine Bauzeit von nur neun Monaten er-scheint für ein Bauwerk dieser Größe überraschend kurz. Bekannt ist, daß dieOrgel im Jahr 1803 eingebaut wurde.2e Auch die Gestaltung und Ornamentik derKanzel weist eher ins frühe 19. Jahrhundert.

Abb. 4: [ ,ohne, ev. Kirche

Auch in Zennern (Abb. 5-6) muß dem Kirchenbau eine lange Vorbereitungs-phase vorangegangen sein, denn schon um 1760 vermachten verschiedene Per-

28 StA MR Bestand 53f Nr. 787.

2e Ernst BnEoE: 200 Jahre Kirche in [ ,ohne, in:200 Jahre Kirche in Lohne l7g3-1993. EinBilderbogen von Kirche und Dorf. Zusammengestellt von Karl-Martin Bocr. Lohne1993, S.4-6.

l l6 Kathrin Ellwardt

sonen ansehnliche Geldsummen für den Bau einer neuen Kirche. Es sollte hin-gegen bis zum Ende des Jalrhunderts dauern, bis endlich mit dem Bau des neuenGotteshauses begonnen werden konnte. Entwurf und Kostenvoranschlag, dieJohann Andreas Engelhardt erstellt hatte, wurden im März 1799 von der Ober-rentkammer und dem Consistorium genehmigt. Zu Ostem 1799 fand der letzteGottesdienst in der alten Kirche statt, danach wurde sie abgebrochen. Die In-schriften ilber den Portalen nennen ebenso wie die Wetterfahne die Jahreszahl1799.

Dieselbe Jatreszahl hat der Zimmermann im Balkenwerk des Dachreiters unter-halb der Glocken hinterlassen. Demzufolge wurden Dachstuhl und Dachreiternoch im ersten Jahr der Bauzeit aufgeschlagen. Gewiß hatte man das Ziel, denBau noch vor dem Winter unter Dach zu bringen. Die Bauarbeiten gingen offen-bar zügig voran, denn Dokumente berichten von einer nur zweijährigen Bauzeit.Daraus fol$, daß das neue Gotteshaus l80l weitgehend vollendet war. DasKirchenstuhlbuch mit dem Verzeichnis der verkauften Plätze wurde in der

Abb. 5: Zennem, ev. Kirche

Johann Andreas Engelhardt - ein landgräflicher Baumeister in Hessen-Kassel ll7

zweiten Jahreshälfte 1801 angeleg! spätestens bis dahin war die Innenausstat-tung endgültig fertig.3o

Abb.6: Zennern, ev. Kirche, Innenraum

l79l erstellte Engelhardt einen Plan fiir einen Kirchenbau in Lischeid. Denzugehörigen Kostenvoranschlag mußte er l80l noch einmal überarbeiten. Den-noch ist diese Kirche anscheinend nicht gebaut worden, denn Lischeid hat umdie Mitte des 19. Jahrhunderts einen historistischen Neubau erhalten. Für Lin-gelbach reichte der zuständige Landrat 1785 einen Riß und einen Kostenvoran-schlag ein, dessen Urheber in den Quellen nicht genannt wird. Da Engelhardtjedoch beauftragt worden war, die Schäden an dem alten Gotteshaus zu besichti-gen, darf vermutet werden, daß der 1793 erbauten neuen Kirche ein Entwurf vonseiner Hand zugrundeliegt. Weiterhin lieferte der Baumeister die Pläne ftr dasSchulhaus in Mengsberg (1794), das Pfarrhaus in Willingshausen (1796), Repa-raturen am Kirchturm sowie an Pfarr- und Schulhaus in Elgershausen (1797), fiirSchulhaus und Scheuer in Lohre (1803). 1799 erhielt er wegen einer neunt?igi-gen Reise ins Schmalkaldische nach Herrenbreitungen und Göllingen, wo erunter anderem die gerade ausgeführten Reparaturen an den Göllinger Propstei-gebäuden abzunehmen hatte, Diäten ausgezahlt.3r Das Pfanhaus in Besse wurde,nachdem Johann Friedrich Jussow es schon 1767 für bauftillig erklärt hatte, ab

StA MR Bestand 53f Nr. 1049;315e Fritzlar I I , l7;800 Jahre Zennern l193-1993. Ge-schichte und Geschichten eines niederhessischen Dorfes. Hg. v. d. Gemeinde Wabern, be-arb. v. Günther DönrNc. Wabern 1993; Kathrin Er.lwenor: Die Michaeliskirche in Zen-nem. Ein kunstgeschichtl icher Kirchenfiihrer. Zennern I 999.StA MR Bestand 53f Nr. 521, 608, 702, 1298 und 1752.

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l l8 Kathrin Ellwardt

1789 nach einem Entwurf Engelhardts neu gebaut. Vollendet wurde es frühe-stens 1791.32

Vor allem konnten die Kirchen in Berge, Niederzwehren, Udenborn, Neuen-hain und Böddiger ebenso wie die Planungen für einen Umbau der Stadtkirchein Borken als Entwürfe Engelhardts nachgewiesen werden. Da die Schilderungkonkreter Planungs- und Bauverläufe ein besonders plastisches Bild der Ver-hältnisse in der Zeit um 1800 liefert, werden diese sechs Projekte im folgendenausfiihrl ich vorgestellt.

Die Pfarrkirche in Berge (1797-1802)

Den langwierigsten Planungsprozeß für ihren Kirchenbau hatte die GemeindeBerge durchzustehen. Nach ihrer Zerstörung im Dreißigiäihrigen Krieg wurdedas Gotteshaus wenigstens notdürftig zusammengeflickt und so weit wiederaufgebaut, so daß es für den Gottesdienst benutzt werden konnte. Dieses Provi-sorium mußte letztendlich fiir eineinhalb Jahrhundert halten. Spätestens um dieMitte des 18. Jahrhunderts war der bauliche Zustand jedoch so schlecht, daßReparaturen immer dringlicher wurden. Im März 1765 wandte sich der Pfarrerdes Kirchspiels Berge, Leopold Christian Stöckenius, erstmals mit der Bitte andas Consistorium, den Landbaumeister mit einer Besichtigung der Schäden zubeauftragen, damit die nötigen Bauarbeiten möglichst noch in demselben Jahr inAngriff genommen werden könnten, denn ,,ohne äußerste Gefahr" dürfte dieReparatur nicht mehr aufgeschoben werden. Gemeinde und Pfarrer beträten dieKirche nur noch in der ständigen Furcht, ,,es geschehe ein großes Unglück".Auch Pfarrhaus und Scheune konnten nach den Worten des Geistlichen ,,ohnegroßen Schaden nicht bewohnt werden".

Erst ein gutes Jahr später erschien Oberbaumeister Johann Friedrich Jussowzu einem Ortstermin in Berge. Am 20.Mai1766 besichtigte er die Kirche, dasSchulhaus und die Pfarrhofreite und erstellte ein ausführliches Gutachten. Jus-sow notierte, daß die Mauern des Kirchturms noch gut wären, das hohe schiefer-gedeckte Dach des Turmes hingegen an verschiedenen Stellen schadhafftig wäreund einer Reparatur bedürfte. Das Kirchenschiff beschrieb Jussow dagegen alsgar sehr baufdilig an Mauern und Dachwerk. Dachbalken und Sparren wärengroßenteils verfault, mithin das gantze Gebaude in einen solchen gebrechlichenStand gerathen, da/3 es vermittelst einer Reparation nicht wieder vollkommenherzustellen stehet, sondern von Grunde auff neu erbauet werden müsse. EinNeubau war somit unausweichlich. Jussow sah jedoch selbst, daß denen obwal-tenden Umstrinden nach der Bau nicht sofort ausgeführt werden konnte. Deshalbempfahl er, schleunigst das Ziegeldach über dem Kirchenschiff auszubessern,damit der Regen nicht mehr in die Kirche fallen, und der Prediger auf der Cant-zel trocken stehen könne. Auch die Dächer von Pfarrhaus, Pfarrscheune undSchulhaus hätten eine Reparatur zu Abwendung grofiern Schadens ohnumgdng-lich nöthig.

Ein Erdbeben in der Nacht vom 12. auf den 13. April 1767 setzte dem bau-ftilligen Gotteshaus noch mehr zu. Drei Erdstöße waren deutlich zu spüren. Die

32 StA MR Bestand 315 e Besse II I . l .

Johann Andreas Engelhardt - ein landgräflicher Baumeister in Hessen-Kassel I l9

Schäden an dem ohnedies maroden Gebäude wurden dadurch weiter verschlim-mert. Der Ortsgeistliche bat mit allem Nachdruck, ffir Berge eine Generalkol-lekte in der ganzen Landgrafschaft zu bewilligen.

Die Erdbebenschäden wurden notdürftig geflickt. Die Orgel mußte repariertwerden. Eine Reihe von Rechnungen belegt, daß zwischen 1766 und 1769 tat-sächlich kleinere Instandsetzungsarbeiten ausgeführt wurden. Aber nur fiir eini-ge kleinere Arbeiten reichte das Geld. Die Frage der Finanzierung eines Neu-baus führte zu einem erbitterten Streit mit den Filialgemeinden. Die erforderli-chen Gelder aufzubringen, überstieg die Möglichkeiten des Kirchspiels bei wei-tem. Die Greben und Vorsteher der Gemeinden ersuchten daraufhin das Consi-storium um eine landesweite Kollekte zugunsten des Berger Kirchenbaus.

Bis 1773 war noch nichts weiter geschehen, die finanzielle Notlage unverän-dert, der Kirchturm allerdings noch baufiilliger geworden. Die Gemeinde wie-derholte ihre inständige Bitte um Unterstützung durch eine Kollekte, da sich nunwrihrend der Zeit die Baugebrechen dergestalt vergrö/iert, so dalS man ohneLebensgefahr fast den Gottesdienst nicht mehr mit Andacht veruichten kann, ausdieser Ursache sich dann auch verschiedene Glieder des Kirchspiels, ja sogarauch der Amtsvogt Helmrich zu Valckenberg des Gottesdienstes geciu/iert undanderwörts zur Kirche gehen.

Am zweiten Pfingsttag des Jahres l78l wurde schließlich eine gemeinsameKollekte für Berge und Sippertshausen ausgeschrieben. lm ganzen Land wurdeninsgesamt 617 Reichstaler, 4 Albus und 4 Heller gesammelt, die je zur Hälfte andie beiden Gemeinden gingen. Da Oberbaumeister Jussow schon fünfzehn Jahrezuvor die Gesamtkosten fiir einen Kirchenneubau auf über 1500 Reichstalergeschätd hatte, bedeutete diese geringe Einnahme für das Kirchspiel Berge eineEnttäuschung. Mit einem so kleinen Kapital konnte man den Bau nicht begin-nen.

Acht Jahre später nahm sich dann der zuständige Landrat von Meysenbug derSache an und wandte sich brieflich an das Consistorium mit dem Ersuchen, eineerneute Kollekte für die Muttergemeinde Berge und deren Filial Mardorf anzv-setzen. Die Kirche in Mardorf mußte nach einem Brand von der dortigen Ge-meinde, die deshalb erhebliche Schulden aufgenommen hatte, wieder aufgebautwerden; der Innenausbau war noch nicht vollendet. In Berge war mit dem Kir-chenbau überhaupt noch nicht angefangen worden, weil es nach wie vor an Geldfehlte. Mitte Februar l79l berichtete von Meysenbug erneut an die Kirchenbe-hörde, der Bau dürfte nun endgültig nicht mehr länger hinausgeschoben werden,und wiederholte die Bitte um eine zweite Kollekte. Die Kirchspielsgemeindenhätten den Beschluß gefaßt, mit dem Bau in demselben Jahr zu beginnen, und erselbst, der Landrat, hätte bereits den zuständigen Baumeister Engelhardt beauf-tragt, die alte Kirche zu besichtigen sowie Entwurf und Kostenvoranschlag ftirden Neubau zu erstellen. Das Consistorium konnte sich der Angelegenheit nichtlänger verschließen. Am 26. Februar l79l erging der amtliche Befehl an Engel-hardt, das Bauprojekt zu übernehmen.

Johann Andreas Engelhardt begab sich, dem erhaltenen Gnödigen Befehl zuunterthöniger Befolgung, nach Berge, um die Bauschäden an der vorhandenenKirche in Augenschein zu nehmen. In seinem Gutachten von Anfang Mai 1791berichtete er, da/3 das Schiff der Kirche in so baufcilliger Verfassung, da/3 keineReparation hieran mit Nutzen vorgenommen werden kann, sondern es mu/3 diese

120 Kathrin Ellwardt

von Grund aus neu erbauet werden, wcts den Thurm angehet, so stehen die 3äutJeren Wände zwar noch recht gut, allein da die 4te Seite desselben sich mitder Kirchen Mauer verbindet und die alten Mauren mit den neuen, ohne tadel-hafte schlechte Arbeit zu machen, nicht verbunden werden können, auch dasKüppell des Thurms so baufdllig, dafi dieses abgebrochen und neue darauf ge-macht werden muß, und die Kosten so hoch kommen, als wenn würcklich einneuer Thurm überhaupt gemacht wird, so wrire der ohnmatJgebigen Meynung,den Thurm bis in den Grund mit abzubrechen und mit der Kirche, da diese als-dann auch von dem au/Serordentlichen steihlen Berg, um mit dem neuen Bausicher zu gehen, etwes abgesetzt werden kann und welches dem Geböude sehrnutzbar, zu verbinden. Engelhardts Entwurf, den er zugleich mit dem Gutachteneinreichte, sah also einen kompletten Neubau vor. Der alte Turm sollte ebenfallsabgebrochen werden. An die neue Kirche wollte der Architekt keinen separatenTurm anbauen, sondern er plante, den Turm mit der Kirche zu verbinden - ge-meint ist der schließlich auch ausgeführte Dachreiter, der keine eigenen Mauemhat, sondern auf dem Dachstuhl des Kirchenschiffes außita und wie dieser ausHolz konstruiert ist. Das neue Gotteshaus konnte dadurch mit etwas mehr Ab-stand vom Abbruch des Steilhanges errichtet werden.

Engelhardts Entwurf und Kostenvoranschlag durchliefen das übliche Ge-nehmigungsverfahren und wurden an die Obenentkammer weitergeleitet, die am4. Juni l79l ihre Zustimmung erteilte.

Die vom Landrat erbetene Kollekte für Mardorf und Berge fand am erstenOstertag 1793 statt. Für die beiden Bauten gingen je 273 Reichstaler und23 Albus ein. Im Sommer 1796 konnte von Meysenbug schließlich nach Kasselberichten, ein Teil der Baumaterialien wlire bereits beschafft worden, und imfolgenden Jahr wollte man mit dem Bau beginnen. Das Consistorium bewilligteim August 1796 einen Zuschuß in Höhe von 600 Reichstalern aus den Über-schußgeldern des Kirchenkastens. Auf Veranlassung des Landrates waren imKirchspiel selbst weitere 400 Reichstaler,,erhoben" worden - vermutlich mußtejedes Gemeindeglied bzw. jeder Haushaltungsvorstand nach Art einer Steuereine bestimmte Summe zahlen.

Das Frühjahr 1797 brachte nach zweiunddreißigiährigem Warten tatsächlichden Beginn der Arbeiten. Zunächst schritt der Bau zügigvoran. Bis zum Augustwar das Mauerwerk hochgezogen und der Dachstuhl nebst Dachreiter vomZimmermann verfertigt. Das Datum der Grundsteinlegung dürfte also im Früh-jahr 1797 anzusetzen sein, das des Richtfestes Mitte bis Ende August 1797. DreWichtigste wa^r nun, daß der Bau noch vor dem Einbruch des Winters unterDach käme und daß Fenster und Türen eingesetzt würden. Die vorhandenenGelder waren jedoch inzwischen verbaut. Ein im September 1797 gewährterletzter Zuschuß des Consistoriums in Höhe von 100 Reichstalern stopfte geradedie akutesten Finanzlöcher, doch den weiteren Verlauf der Bauarbeiten präglenchronische Geldschwierigkeiten. Die vom Landgrafen gestifteten 20 Reichstaleraus den Judenschutzgeldern halfen auch nicht viel weiter. Darüber hinaus nahmBerge im Frühling 1798 ein Darlehen in Höhe von 800 Reichstalern auf. DieGemeinde behauptete in einem Schreiben an das Consistorium: Übrigens wirddie Verzinsung dieses Capitals uns nicht so beschwerlich seyn, als die Ungedultes ist, womit wir der Vollendung unserer Kirche entgegensehen.

Johann Andreas Engelhardt - ein landgräflicher Baumeister in Hessen-Kassel l2l

Den Geldnöten entsprechend verzögerte sich die Fertigstellung des Kirchenge-bäudes aber noch weiter. Im Frühjahr 1800 erreichte den Amtmann und Rat Fried-rich Adam Kleyensteuber in Homberg ein Brief von sämtlichen Greben des Kirch-spiels Berge, die ihm mitteilen mußten, daß der Bau noch immer nicht vollendetwar, weil es an Geld mangelte. Der Rohbau war unter Dach, so daß der Gottes-dienst zur Not darin gehalten werden konnte, doch es fehlte die gesamte Innenaus-stattung. Alles in allem waren schon 2700 Reichstaler verbraucht worden. Dienoch ausstehenden Kosten für den Innenausbau schätae man auf rund 600 Reich-staler. Im Kirchspiel selbst konnten keine zusätzlichen Gelder mehr erhoben wer-den, und auch weitere Kreditaufirahmen würde Berge nicht mehr verkraften -solches hat den Muth zumferneren Bauen ganz niedergeschlagen. Die Gemeindensetzten nun ihre letZre Hoffirung auf die Überschüsse des Berger Kirchenkastens.Dem Amtmann wurde jedoch vom Consistorium mitgeteilt, daß dem Ersuchen,noch weitere Gelder freizugeben, nicht stattgegeben würde.

Abb. 7: Berge, ev. Kirche

37 Jahre nach ihrem ersten Bauantrag erlebte die Gemeinde Berge schließ-lich die Fertigstellung des Kirchengebäudes (Abb. 7) im Herbst 1802.33

Die Pfarrkirche in Niederzwehren ( I 789- 1790)

Für einen Kirchenneubau in Niederzwehren hatte Johann Friedrich Jussow be-reits 1773 einen Entwurf erstellt. 1779 fertigte Baumeister Hisner einen zweitenBauplan nebst Kostenvoranschlag an. Beide Entwürfe wurden aus unterschiedli-chen Gründen nicht angenommen. Jussows Kirche wäre fiir die Gemeinde zuklein geworden, Hisners Plan wahrscheinlich zu teuer. Im April 1784 wurde dasvorhandene Gotteshaus. das nur zwei Drittel der Gemeinde faßte. erneut besich-

33 StA MR Bestand 53f Nr. 1049; 3l5e Berge II I , I ;I 800, 1805. Evangelische Kirchengemeinde Berge:rer Kirche. Berge 1998; Kathrin Ell-wRRot: DerBerge 1999.

3 l5r Berge, KirchenkastenrechnungenFestschrift zum 200. Geburtstag unse-Kirchenneubau in Berge 1797-1802.

r22 Kathrin Ellwardt

tigt. Die längst nötige Reparatur der alten Kirche war endgültig nicht mehr auf-zuschieben. Das Consistorium legte beide Risse der Kriegs- und Domänenkam-mer vor. Beschlüsse wurden jedoch noch nicht gefaßt. Als Rat Simon Louis duRy, Baumeister Engelhardt und Zimmermeister Sippell 1788 die Bauschädenwiederum untersuchten, stellten sie fest, daß abgefaulte Balken in der Deckeunbedingt noch vor dem Winter gesichert werden mußten. Notdürftige Flickar-beiten wurden durchgefiihrt, wobei man Bauholz von abgebrochenen Häusemim Dorf verwendete. Doch Engelhardt hatte schon den Auftrag erhalten, neuePläne zu erstellen, welche im Januar 1789 mit kleineren Abänderungen geneh-migt wurden. Nach Engelhardts Plänen, die sich im Unterschied zu den Entwür-fen von Jussow und Hisner nicht erhalten haben, wurde der Kirchenneubau von1789-1790 realisiert.3a Dabei blieb der wehrhafte Chorturm aus dem15. Jahrhundert bestehen, und nach Westen wurde ein neuer Gemeinderaumangefügt. 1792-1794 erhielt die Kirche eine Orgel von Johann Peter Wilhelm.Der Gemeinderaum ist l9l3-1914 erweitert und in jüngerer Zeit durch den An-bau eines Gemeindehauses ergänzt worden, so daß der Charakter von Engel-hardts ursprünglichem Bau heute nicht mehr zu erkennen ist.35

Ein Vorkommnis aus der Bauzeit der Niederzwehrener Kirche, nämlich dieAuseinandersetzung zwischen Landrat und Baumeister im Herbst 1789 um dieVerakkordierung der Schreinerarbeiten, liefert Aufschluß über einen weiterenAspekt der Bauorganisation in der Landgrafschaft. Landrat Wolf in Gudensberghatte einen Handwerksmeister unter Vertrag genommen, Baumeister Engelhardtin Übereinstimmung mit der Gemeinde jedoch zwei andere. Wolf erklZirte einender beiden von Engelhardt beauftragten Schreiner ftir einen ,,Pfuscher" und be-rief sich daraul daß das Consistorium ihn als den zuständigen Landrat per De-kret angewiesen habe, die accorde mit den Handwerclcsleuten auf das genauestezu schliefen. Der von ihm beauftragte Schreinermeister Döppe hätte den günsti-geren Preis geboten, und er wtire verantwortlich fiir die Aufsicht über die Ge-meinds-Cassen und die Vorsorge für deren Bestes. Sehr empört reagierte Wolfdarauf, daß die Kanzel ohne sein Wissen bereits fast fertiggestellt war. Das Con-sistorium bestätigte jedoch die von Engelhardt geschlossenen Verträge, da seineMitglieder über die Fähigkeiten der betreffenden Handwerker entgegengesetzterMeinung waren und feststellten, es würde für weniger Geld auch schlechtergearbeitet. Allerdings wurde Engelhardt angewiesen, in Zukunft keine weiterenAkkorde ohne Wissen des Landrats zu schließen. Wie es bei anderen Kirchen-bauten ebenfalls zu beobachten ist, war der Landrat bzw. der Amtmann als lan-desherrlicher Beamter auf der unteren Behördenebene für die Verwaltung derBaugelder und für organisatorische Fragen wie die Verhäge mit den Handwer-kern zust?indig. Der Baumeister hatte lediglich die Verantwortung fiir technischeBelange. Dies setzte hingegen ein Minimum an Kommunikation zwischen denBeteiligten voraus, und offensichtlich hatte Wolf den Akkord mit Meister Döppe

34 StA MR Bestand 53f Nr. 505. Darin die Entwurßzeichnungen von Jussow und Hisner.

35 Georg DEHto: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Hessen. Bearb. v. MagnusBncrns. Mi.lnchen, Berlin 21982, 5. 677.

Johann Andreas Engelhardt - ein landgräflicher Baumeister in Hessen-Kassel 123

ohne Absprache mit dem Baumeister und der Gemeinde abgeschlossen, so daßdie Niederzwehrener sich an Engelhardt gewandt hatten.36

Die Kirche und das Schulhaus in Udenborn (1798-180211817)

In Udenborn war die erst l7l I gründlich reparierte und teilweise neu gebauteFachwerkkirche bereits 1775 so schadhaft, daß der Pfarrer aus Kleinenglis fürseine Filialgemeinde einen Neubau beantragte. Sieben Jahre später nahm Engel-hardt Kirche und Schulhaus in Augenschein und erkltirte beides fi,ir nicht mehrreparaturftihig. Verschiedene Handwerker legten darauftrin ihre Kostenvoran-schläge vor. 1788 reichte die Gemeinde Udenborn eine Bittschrift um finanzielleUnterstützung durch eine Kollekte ein, weitere folgten 1794 und 1797. DieDringlichkeit der Baumaßnahme wurde endgültig greifbar, als am4. Adventssonntag 1793 - an einem windstillen Tag, wie in den Berichten betontwurde - während des sonntäglichen Gottesdienstes ein Gefach aus der Wand fiel.Glücklicherweise stürzte es nach außen, sonst hätte es die Kanzel getroffen, aufwelcher der Pfarrer gerade predigte. Dennoch wurde erst fiinf Jahre später tat-sächlich mit dem Neubau begonnen.

Im Sommer 1797 lieferte Engelhardt ein neues Gutachten, worin er darlegte,daß die alte Kirche nicht mehr zu reparieren wäre, und verfertigte die Risse mit-samt Kostenvoranschlag. Die Oberrentkammer erteilte innerhalb von zwei Wo-chen ihre Genehmigung zu den Plänen fiir Kirche und Schulhaus. Da der Herbstbevorstand, war es jedoch zu spät, noch in demselben Jahr den Kirchenbau inAngriff zu nehmen. Über das Winterhalbjahr war die Gemeinde offenbar damitbeschäftigt, die nötigen Materialien zu beschaffen, vor allem das Bauholz zuf?illen. Die Akkorde mit den Bauhandwerkern wurden im April 1798 geschlos-sen, und im Mai wurde dann endlich mit dem Bau begonnen. Eine Inschrifttafelin der Südmauer nennt als Bauleiter den Borkener Amtmann Christoph HenrichGünther sowie die Namen der beteiligten Maurer, Caspar Schlöffel aus Zennernund Andreas Schlöffel aus Lendorf. Sie enthält das Datum 29. August 1798, dasden Abschluß der Maurerarbeiten oder den Zeitpunkt des Richtfestes bedeutenkönnte. Bis September 1798 schritten die Arbeiten so weit voran, daß die Dach-decker an die Arbeit hätten gehen können. Um die Vergabe der Dachdeckerar-beiten gab es jedoch Auseinandersetzungen. Die kleine Gemeinde, zu der nur l7Männer gehörten, war außerdem am Ende ihrer Kräfte, zumal lediglich acht vonihnen über Zugvieh verfügten, während die übrigen arme Leute waren.

Im Mai 1800 richtete die Gemeinde Udenborn ein Bittgesuch direkt an denLandgrafen. Die Supplicanten leglen dar, daß sie trotz fehlender finanziellerGrundlage ihre alte Kirche hätten abbrechen müssen, den Neubau jedoch ohneHilfe nicht zu Ende ftihren könnten. Von den l7 Männern des Dorfes wären nursechs einigermatJen bemittelt, die Gemeindekasse wäre arm, und aus eigenenMitteln hätten sie gerade 200 Reichstaler zusammenbekommen. Die Gemeindehätte sich bis dahin schon mit 600 Reichstalern zu 3YzProzent Zinsen verschul-det, wozu noch weitere I l0 Reichstaler kämen, die schon l71l anläßlich desdamaligen Kirchenbaus aufgenommen und noch immer nicht abgezahlt worden

36 StA MR Bestand 5 Nr. 3253.

124 Kathrin Ellwardt

wären. Die neue Kirche wäre noch nicht mit einem Dach versehen, Thüren, Fen-ster, Fu/|boden, Bohrlauben [EmporenJ fehlten noch alle. Zur Vollendung desBaues wären noch mindestens 600 Reichstaler erforderlich. Da die Gemeinäe inErfatrrung gebracht hatte, daß es mindestens vier Jahre dauern würde, bis mit derBewilligung einer Kollekte zu rechnen wäre, bat sie nun den Landgrafen um dieBewilligung einer Beysteuer. Amtmann Otto Friedrich Strube hat äuf dem Blattseine Bestätigung vennerkt, daß die Angaben der Gemeinde der Wahrheit ent-sprächen. Der Geheime Rat verlangte hierzu einen Bericht des Consistoriums.Da die Kirchenbehörde selbst nicht i,iber einen entsprechenden Fonds verftigteund der Kirchenkasten kein nennenswertes Vermögen enthielt, schlug sie vär,den Udenbörnern eine Unterstützung aus den Juden-Dispensationsgelde- ru-kommen zu lassen. Der Geheime Rat empfahl in einem Bericht an den Landgra-fen, der Gemeinde Udenborn eben daraus einen Zuschuß in Höhe uon 100Reichstalem zu gewähren und den Rest der Summe, die zur Vollendung desKirchenbaus benötigt würde, über eine Kollekte aufzubringen.

Abb. 8: Udenborn, ev. Kirche

Johann Andreas Engelhardt - ein landgräflicher Baumeister in Hessen-Kassel 125

Trotz dieses Zuschusses war im Sommer l80l das Schieferdach immer nochnicht gedeckt, das Innere der Kirche noch ganz wißte. Gottesdienst konnte darinnoch nicht gefeiert werden. Die Gemeinde sah keine andere Möglichkeit, als denLandgrafen noch einmal um Unterstützung zu bitten. Im folgenden Jahr schaffteman es offenbar, den Bau unter Dach zu bringen, doch die Innenausstattung warbis 1802 immer noch nicht fertig. Laut einer Bittschrift der Gemeinde fehltennoch sämtliche Stande (Bänke), die Kanzel, die Pflasterung des Fußbodens undder Innenanstrich. Das ebenfalls geplante Schulhaus war überhaupt noch nichtbegonnen. 1805 wurde für letzteres eine landesweite Kollekte erhoben. Die Kir-che (Abb. 8-9) konnte erst endgültig vollendet werden, als die Kriegszeitenüberstanden waren. l8l7 wurde eine weitere Kollekte flir Udenborn gesammelt,wodurch die erforderlichen Mittel fi,ir den Innenausbau eingingen. Kanzel undAltar, die durch Inschriften auf 169l beziehungsweise l7ll datiert sind, stam-men noch aus dem Vorgängerbau. Der Schulhausbau wurde gar erst in denI 830er Jahren ausgeführt.37

Abb. 9: Udenborn, ev. Kirche, Innenraum

Die Armut der Gemeinde und die Krise der Franzosenzeit verhinderten einezügige Fertigstellung des Kirchenneubaus in Udenborn. Die weitaus größerenNachbargemeinden Berge und Zennern schaffen es, ihre Kirchen in kürzererZeitzu vollenden.lnZennern schritten die Bauarbeiten rasch voran, so daß dasGotteshaus bereits nach zweijähriger Bauzeit l80l in Gebrauch genommen wer-den konnte. [n Berge gab es zwar finanzielle Problemeo welche den Fortgang derArbeiten verzögerten, doch bis 1802 war auch die dortige Kirche gebrauchsfii-hig. Ein Bauprojekt wie die Kirche in Udenborn jedoch, das bis 1806, als derKurfürst fliehen mußte und die Franzosen die Herrschaft in Hessen-Kassel über-nahmen, nicht abgeschlossen war, geriet in größte Schwierigkeiten. Erst als sichdie politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach dem Wiener Kongreß

37 StA MR Bestand 5 Nr. 10244, 53f Nr. 521,315e Kleinenglis III, 3.

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wieder stabilisierten, bestand überhaupt Aussicht, den halbfertigen Kirchenbaudoch noch zum Abschluß zu bringen.

Die Pfarrkirche in Böddiger (1799-nach 1800)

Die alte Pfarrkirche in Böddiger befand Engelhardt am 28. Februar 1790 fiirbauftillig. Riß und Kostenvoranschlag reichte er sofort mit seinem Bericht ein.Im Laufe des Sommers erteilten Consistorium und Rentkammer die erforderli-chen Genehmigungen. Den erforderlichen Neubau konnte die Gemeinde jedochnicht allein finanzieren, auch sie benötigte dafiir eine Kollekte. Allerdings warsie in der Lage, sich aus eigenen Mitteln an den Baukosten zu beteiligen. DieEinwohner wurden je nach Vermögen in fiinf Klassen eingeteilt; die von jedemeinzelnen zv zahlenden Summen waren dementsprechend zwischenl7 Reichstalern und 4 Reichstalern gestaffelt. Diese Steuer wurde zweimal er-hoben, so daß insgesamt ll92 Reichstaler zusammenkamen. Für das Bauvorha-ben stand mithin, verglichen mit anderen Bauvorhaben wie beispielsweise demder Gemeinde Udenborn, ein beträchtlicher Grundstock zur Verfiigung. DieObenentkammer und das Consistorium genehmigten im Juli 1790 zwar denEntwurf und die Kostenaußtellung, bewilligten aber keine Kollekte. Zwischen-zeitlich mußte die Gemeinde erst einmal Reparaturen an der Pfarrhofreite aus-führen lassen. Dennoch versicherte sie mehrfach ihren guten Willen, den Baudurchzuführen und nach Kräften dazu beizutragen, wenn ihr eine Kollekte

^tge-sichert würde. Im Frühjafu 1797 berichtete Landrat von Meysenbug dem Consi-storium, daß nach dem wiederholten Befehl an die Gemeinde, mit dem Bau zubeginnen, nun der Akkord mit dem Zimmermeister geschlossen worden wäre;die Bauarbeiten sollten noch in demselben Jahr aufgenommen werden. Diesscheiterte jedoch nicht zuletzt am Widerstand der Filialgemeinde Niedervor-schütz, die sich weigerte, sich an den Kosten zu beteiligen. Der Rechtsstreit gingbis vor das fürstliche Oberappellationsgericht, welches schließlich 1799 auf einDekret des Landgrafen hin entschied, Niedervorschütz dürfte mit dem BöddigerKirchenbau nicht belastet werden.

Aufgrund der zunehmenden Bauftilligkeit befahl das Consistorium im lv/,ärz1798, der Abbruch der alten Kirche wäre fordersamst zu veranstalten. Die Ge-meinde sah sich allerdings vor das Problem gestellt, wo unterdessen der Gottes-dienst stattfinden sollte, denn die Kirche des Filials war schon für die eigeneGemeinde zu eng. Im Juni stand das alte Gotteshaus noch immer. Da das Seilfehlte, welches man brauchte, um die Glocken herunterzuholen, und da keinHolz für das Gerüst vorhanden war, war trotz eines scharfen Befehls des Amt-manns noch nichts geschehen. Der Gottesdienst fand nicht mehr in der baufülli-gen Kirche statt. Den Abbruch hielt man noch nicht fiir allzu dringlich, denn dasGebäude stand weit genug von den umliegenden Häusern entfernt, so daß imFall ihres Einsturzes kein Schaden entstanden w?ire. Die Gelder filr den Bau, diemittlerweile erhoben worden waren, sollten eigentlich im Pfanhaus verwahrtwerden. Pfarrer Johann Christoph Liebermann erschien das aber zu riskant, dennauch das Pfanhaus befand sich offenbar in desolatem Zustand. Die Haustür warschadhaft, das Türschloß defekt, so daß, wie der Pfarrer berichtete, ich vor demEinbruch der Diebe bei Nachtzeit nicht gesichert bin, und viele schlffioseNächte haben muß.Das Bargeld wurde daher dem Kastenmeister anvertraut.

Johann Andreas Engelhardt - ein landgräflicher Baumeister in Hessen-Kassel 127

Sogar die Reparatur einer Haustür und eines Türschlosses, an sich keine auf-wendige Arbeit, konnte nicht ohne weiteres ausgeftihrt werden, sondern bedurfteeiner Genehmigung des Consistoriums auf dem offiziellen Dienstweg.

Im Jalr 1799 liefen die Bauarbeiten endlich. Am 8. Mai war die Vergabe derSchreiner- und Glaserarbeiten angesetzt. Um den Akkord mit dem Glaser gab esAuseinandersetzungen, denn die Gemeinde warf dem Amtmann Sigmund Carl Un-gewitter vor, er hätte die Entscheidung zugunsten eines Felsberger Meisters beein-flußt. Im folgenden Jahr war der Rohbau fertiggestell! nicht aber der Innenausbau.Die Gemeinde hatte sich mit über 1000 Reichstalem verschuldet und erbat eineBeihilfe aus dem Überschuß des Kirchenkastens. Über die endgültige Vollendungdes Gotteshauses (Abb. l0-l t) geben die Akten allerdings keine weitere Atskunft.38

38 StA MR Bestand 53fNr. 702,315e Böddiger III, l.

r28 Kathrin Ellwardt

Abb. I l: Böddiger, ev. Kirche, Innenraum

Die Filialkirche in Neuenhain (1801-1803)

Ein Gutachten des damaligen Landbaumeisters Erdinger bezeichnete die Kirchein Neuenhain schon 1735 als reparaturbedürftig. 1769 erbat die Gemeinde einenBesuch des Baumeisters Moeller, der in der Nähe auf dem henschaftlichen HofMarienrode Baumaßnahmen zu beaufsichtigen hatte. Als Moeller im März 1770nach Neuenhain kam, erklärte er die Kirche für bauftillig und riet der Gemeinde,die Glocken und die Uhr vorsichtshalber vom Turm zu nehmen und in Sicherheitzu bringen. 1776 wurde ftir Neuenhain eine Kollekte bewilligt. Engelhardt lie-ferte dann nach eigener Besichtigung im Sommer l79l den Entwurf und denKostenvoranschlag fiir den Neubau, die auch genehmigt wurden. Der Architektselbst schlug im folgenden Jahr einige kleinere Anderungen vor, um Kosten zusparen. Auch in Neuenhain war die Geldbeschaffung das große Problem derGemeinde, zumal der Patron von Dalwigk kein Bauholz zur Verfiigung stellenkonnte oder wollte und auch aus den landgräflichen Waldungen kein Holz zubekommen war, so daß das gesamte Bauholz gekauft werden mußte. Der Land-rat berichtete 1792, daß die Maurer allesamt zu teuer wären. Engelhardt schlugim November desselben Jahres mit dem ZieL die Baukosten zu senken, einigePlanänderungen vor. Demnach sollte das unterste Turmgeschoß in Holz statt inStein ausgeführt werden; die Lisenen und Gesimse könnten ebenso wegfallenwie das Fenster im Giebel. Im Juni 1794 berichtete der Landrat, die Bauarbeitenhätten noch nicht begonnen, zum einen aus Geldmangel, zum anderen, weil dieSteine noch nicht gebrochen wären und es Probleme mit der Organisation derFuhrdienste gäbe. Eine Summe von 250 Reichstalern aus dem Kirchenkastenwurde bewilligt. Im weiteren Verlauf des Jahres wurden immerhin die Mauer-steine gebrochen, aber weiter geschah nicht viel, obwohl im April 1795 dieMaurerarbeiten verakkordiert wurden. Ein ernster Befehl des Consistoriums andie Gemeinde, im Frütrjahr 1796 mit dem Bau zu beginnen, wurde nicht befolgt,weil immer noch kein Bauholz vorhanden war. Die Familie von Dalwigk zuDillich, die das Patronat innehatte, war nach Ansicht der Regierungsbehördenverpflichtet, aus ihren Waldungen das Holz zu stellen. Das Oberforstamt Hom-

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berg lehnte es jedenfalls ab, Bauholz anzuweisen, und unterbreitete dem Consi-storium den Vorschlag, die Neuenhainer sollten vorläufig nach Dillich einge-pfarrt und der Kirchenbau auf bessere Zeiten verschoben werden. Die Gemeindeberichtete, in den benachbarten Waldungen gäbe es nur Buchenholz und Busch-werk, das als Bauholz nicht zu gebrauchen wäre. Bauholz zu kaufen, würde diegesamten Einnahmen aus der Kollekte verbrauchen, und da die Bauern an Zug-vieh nur Ochsen besäßen, wären auch keine Fuhren über größere Entfernungenmöglich. Holz aus herrschaftlichen Waldungen wurde dennoch nicht bewilligt.

1798 übernahm Baumeister Hisner die Leitung des Projekts, erstellte aberkeinen neuen Riß, sondern setzte Engelhardts Pläne um. Im Frühjahr l80l be-gannen endlich die Bauarbeiten, und schon im September war der Rohbau soweit gediehen, daß das Dach gedeckt werden konnte. Doch aus Geldmangelstockte bald der Fortgang der Arbeiten. Ein Zuschuß aus dem Kirchenkastenwurde bewilligt. Auf Betreiben des Pfaners wurde die Kirche schließlich voll-endet, wofür sich die Gemeinde aber hoch verschulden mußte. Ab 1803 konnteimmerhin Gottesdienst in der neuen Kirche gehalten werden, obwohl die Empo-ren noch nicht ganz fertig waren. Vor 1806 war der Bau dann gänzlich vollen-det.3e

Die Planung ftir die Stadtkirche in Borken (1805)

Auch die aus dem Mittelalter stammende Stadtkirche in Borken wies um 1800erhebliche Bauschäden auf, die einer Reparatur bedurften. Die Stadtgemeindewandte sich deswegen im Sommer 1805 an die kurfiirstlichen Regierungsbehör-den. Das Steuerkollegium, das für die Finanzen zuständig war, verlangte dieBesichtigung der Kirche durch Baumeister Engelhardt oder einen anderen Sach-verständigen, nachdem Oberbaumeister Hisner unter Hinweis auf seine Ar-beitsüberlastung abgelehnt hatte, das Projekt zu übernehmen, zumal es nicht zuseinem Bezirk gehörte. Engelhardt erläuterte im Dezember 1805 anhand einerPlanzeichnung (Abb. l2) seine Vorschläge zur Renovierung und Umgestaltungder Kirche. Er schlug vor, die schadhaften Kreuzgewölbe herauszunehmeno zweizusätzliche Fensteröffnungen einzubrechen, die Emporen zu erneuern und dieKanzel von der langen Seite an die Stirnwand des Raumes zu versetzen. Da-durch würde die Sicht auf die Kanzel ebenso wie die Akustik verbessert. und dieEmpore könnte verlängert werden, so daß fiir zwölf neue Weiberstcinde Platzgewonnen würde.

Darüber hinaus wünschte die Gemeinde den Bau einer neuen Orgel. Die Dis-position und ein Entwurf zum Orgelprospekt, erstellt von dem Orgelbauer Wil-helm in Nassenerfurth, wurden vorgelegt. Das Steuerkollegium erklärte beideProjekte aus Geldmangel fiir undurchführbar, ausgenommen die nötigsten In-standsetzungen an den Gewölben. Dennoch erteilte die Gemeinde dem Orgel-bauer den Auftrag, das Instrument auszuführen. Bis Mai 1806 war es schon zurHälfte fertig; laut Akkord sollte es zum Herbst desselben Jahres eingebaut wer-den. Lange Diskussionen entspannen sich darüber, ob es nicht günstiger wäre,mit der Errichtung der Orgel zu warten, bis die ausstehenden Umbauarbeiten

3e StA MR Bestand 53fNr. 255;315e Dil l ich II I . l .

r30 Kathrin E,llwardt

durchgeführt wären. Nach Ansicht der Gemeinde waren diese Baumaßnahmenjedoch kein Hindernis. Baumeister Engelhardt bestätigte, daß lediglich einekleine Abcinderung an der Orgelempore nötig wäre, nämlich ein neuer Fußbodenund eine Verlegung der Treppe, um das Instrument aufstellen zu können; eineventuelles späteres Herausschlagen der Gewölbe würde es nicht geftihrden.Unterdessen hatten das Consistorium und das Steuerkollegium in aller Deutlich-keit den Befehl erteilt, der Bau des Instruments sollte beruhen, da er nicht zufinanzieren wäre. Orgelbauer Wilhelm, der seit Monaten mit seinen Gesellen andiesem Werk arbeitete und die dafiir nötigen Materialien eingekauft hatte,fürchtete seinen Ruin. Nach Meinung des Steuerkollegiums war es jedoch seineeigene Schuld, daß er die Orgel voreilig in Angriff genommen hätte, ohne dieGenehmigung des Akkords abzuwarten. Nun müßte er halt auf seine Bezahlungwatten, bis sich die Umstcinde vercindern Anfang 1807 waren die Arbeiten andem Instrument in der Werkstatt abgeschlossen, und auf Anweisung des Consi-storiums vom Frühjahr 1807 wurde es trotz des Einspruchs der Finanzbehördeletztlich doch in der Kirche aufgestellt.ao

Abb. l2: Borken, ev. Stadtkirche, Entwurf zur Umgestaltung, 1805(StA MR Bestand 3l5e Borken I l l , l ) .

Engelhardts Entwurf zur Umgestaltung des mittelalterl ichen Gotteshauseswurde hingegen nicht realisiert. Die Stadt Borken erhielt schließlich 1845- 1846einen Kirchenneubau.

Die Architektur von

Die von Johann Andreas Engelhardteinheitl iche Bauforrnen. Es handelt

40 StA MR Bestand 3l5e Uorken t l l . l .gelhardts Umbauplan von 1805.

Engelhardts Kirchenbauten

entworfenen Kirchengebäude zeigen relativsich durchgängig um rechteckige Saalbau-

Darin auch ein Riß fiir den Orgelprospekt und En-

Johann Andreas Engelhardt - ein landgräflicher Baumeister in Hessen-Kassel l3l

ten. Mit Ausnahme von Böddiger (Abb. l0) wurde die traditionelle Ostung derGotteshäuser beibehalten. In Niederzwehren und Sondheim (Abb. 3) wurden dievorhandenen mittelalterlichen Chortürme in die Neubauten integriert, in Lohne(Abb.4) ein älterer Westturm mit einer Zwiebelhaube aus dem 17. Jahrhundert.Alle übrigen Kirchen besitzen Dachreiter, in der Regel über dem westlichenEnde des Dachfirsteso während die entgegengesetzte Seite des Daches abge-walmt ist. Charakteristisch sind Engelhardts Dachreiter mit verschieferten acht-seitigen Hauben über einem quadratischen Unterbau. Das Bruchsteinmauerwerkwurde, nicht zuletzt aus Kostengründen, generell sichtbar belassen. Die Gebäu-dekanten werden durch schlichte gequaderte Lisenen betont, welche neben Sok-kelprofil und Traufgesims den einzigen Bauschmuck darstellen. Fenster undPortale sind mit schlichten Sandsteinrahmungen versehen. Über den Eingängensind fast überall Inschriften zu finden, worin die Jahreszahl des Baubeginnsgenannt wird.

Bei der Planung der Kirche in Niederzwehren wurde offen diskutiert, obdurchlaufende Fensterbahnen oder zwei axial übereinander angeordnete Fen-stergeschosse günstiger wären. Statische und bautechnische Vorteile sprachenfiir eine horizontale Unterteilung der Fensterachsen in Höhe der Empore. Auf-grund der besseren Verbindung mit dem Mauerwerk empfahl du Ry die Anord-nung kleinerer Fenster in zwei Geschossen übereinander, wie Engelhardt sie inseinem Entwurf auch geplant hatte.ar Diese Fassadengestaltung wurde bei nahe-zu allen von Engelhardts Kirchengebäuden gewählt. Dabei setzte er im Erdge-schoß rechteckige Fensteröffnungen ein, oben jedoch solche mit einem rund-oder segmentbogigen Abschluß. Als einzige Ausnahme besita Zennern (Abb. 5)durchgehende Fensterbahnen.

Die Gestaltung der Innenräume entspricht zumeist dem weit verbreiteten Ty-pus des längsgerichteten Saales. In Berge, Neuenhain, Böddiger (Abb. I l) undUdenborn (Abb.9) ist die Kanzel an der Stirnwand hinter dem Altar angebracht,dem Haupteingang gegenüber. In Sondheim bildet das Erdgeschoß des mittelal-terlichen Ostturmes den Chor, worin der Altar aufgestellt ist; die Kanzel hatihren Platz am rechten Chorbogenpfeiler. Der Kirchenraum in Lohne wurdebeim Neubau nach Westen ausgerichtet; die Kanzel befindet sich an der West-wando welche den Kirchenraum vom Turm trennt. Die Kirche in Niederzwehrenwurde im 20. Jahrhundert mehrfach umgebaut, so daß über die Raumgestaltungder Bauzeit keine Aussagen möglich sind. Zu den streng symmetrisch organi-sierten Raumausstattungen gehört die dreiseitige Emporenanlage an beidenLängswänden und der Schmalseite über dem Haupteingmg, wie sie in Udenbornund Böddiger noch erhalten ist. Auch in Lohne verraten Spuren an den Wändenin Höhe der unteren Fensterstürze, daß es ursprünglich Emporen an beidenLängswänden gegeben hat. Der Kirchenraum in Berge, der heute nur noch etwadie Hälfte seiner ursprünglichen Größe hat, da 1972 bei einem Umbau im We-sten Nebenräume abgeteilt und eine Zwischendecke eingezogen worden sind,besaß früher ebenfalls eine hufeisenfiirmige Empore. Engelhardts Umbauplanfür die Borkener Stadtkirche (Abb. l2) entspricht gleichermaßen dem beschrie-

4t StA MR Bestand 53f Nr. 505.

132 Kathrin Ellwardt

benen Schema. Diese Emporen verlaufen auch darin nicht garv.bis zur Stirn-wand des Chores, sondern enden einige Meter vorher.

Eine Ausnahme bildet jedoch wiederum Zennern (Abb. 5). Dadurch, daß derDachreiter über dem westlichen Giebel aufragt und das Dach im Osten abge-walmt ist, erscheint die Kirche zwar von außen gesehen wie ein längsgerichteterSaal. Betritt man den Kirchenraum jedoch durch eines der Portale von derSchmalseite her, so blickt man keineswegs direkt geradeaus auf das liturgischeZentrum, denn die Kirche in Zennern ist ein Quersaal (Abb. 6). Kanzel und Altarhaben ihren Platz vor der südlichen Läingswand. Das Gestühl und die Emporen-anlage sind dementsprechend auf die Querachse ausgerichtet. Der steinerneAltartisch steht, um eine Stufe erhöht, in der Symmetrieachse des Raumes vordem Mittelfenster. Wegen des Fensters mußte die Kanzel etwas nach links ver-schoben angebracht werden. Die Orgel hat ihren Platz auf der Empore über demWesteingang. Das Vorbild der Mutterkirche in Wabernoz hat gewiß eine Rollegespielt für die Entscheidung, auch in Zennern eine Querkirche zu errichten.Weitere Querkirchenentwürfe von Baumeister Johann Andreas Engelhardt sindnicht bekannt. Die übrigen von ihm entworfenen Kirchen sind sämtlich längsge-richtet.

Fazit

Die Kirchenbauakten jener Krisenjahre um 1800 berichten durchgängig vongroßer finanzieller Not der Gemeinden. Die Planungen zogen sich oft genugüber Jahrzehnte hin, weil die nötigen Gelder nicht aufzubringen waren - so lan-ge, bis die maroden alten Gebäude einzustürzen drohten und ein Neubau beimbesten Willen nicht mehr aufgeschoben werden konnte. Die Behörden warenaußerstande, so viele Projekte gleichzeitig zu unterstützen, und es konnten auchnicht unbegrenzt Kollekten im Land erhoben werden. Aus diesen Gründen ver-langte das Consistorium von einer bauwilligen Gemeinde zu allererst die Bestä-tigung, daß die Finanzierung wenigstens teilweise gesichert war. Da aber diewenigsten Gemeinden einen solchen Nachweis erbringen konnten, wurde ge-bremst, aufgeschoben, vertröstet. Einen Kirchenbau durchzuftihren, bedeutetefür eine Dorfgemeinschaft eine immense Belastung, denn abgesehen von derGeldfrage mußten Fuhrdienste und Handlangertätigkeiten von den Einwohnernselbst übernommen werden, so daß die Kräfte von Menschen und Zugvieh fürdie Feldarbeit nicht mehr ausreichten. Die Leistung der siebzehn Familien inUdenborn als extremstes der vorgestellten Beispiele sei noch einmal besondershervorgehoben.

Herrschaftliche Bauten wie Amtshäuser und die dazugehörigen Wirtschafts-gebäude wurden hingegen ganzaus den landesherrlichen Kassen finanziert. EineBeteiligung der Untertanen, sei es durch zweckbestimmte finanzielle Abgabenoder durch Hand- und Spanndienste, ist anhand der Bauakten nicht festzustellen.Die Baukosten wurden hier über die landgräfliche Finanzbehörde, die zeitweiseOberrentkammer, später Steuerkollegium hieß, abgerechnet.

42 Zur Pfarrkirchein Wabern. Ein2199g.

in Wabem: Kathrin Elt-wRRpt: Die evangelisch-reformierte Pfarrkirchekunstgeschichtlicher Kirchenfi.ihrer, hrsg. v. Horst ScsnrrveR. Wabern

Johann Andreas Engelhardt - ein landgräflicher Baumeister in Hessen-Kassel 133

Das Bauwesen der Landgrafschaft Hessen-Kassel war in der zweiten Hälftedes 18. Jahrhunderts von einer straffen Behördenorganisation geprägt. Die Zu-ständigkeitsbereiche der verschiedenen Baumeister waren eindeutig abgegrenzt.Bauprojekte durchliefen auf dem Dienstweg ein vorgeschriebenes Genehmi-gungsverfahren. Die oberste Finanzbehörde und bei geistlichen Gebciuden dasConsistorium behielten sich die Entscheidungen über alle, auch sehr detaill ierteFragen vor.

Abb. l3: Unterschrift von Johann Andreas Engelhardt,1782(StA MR Bestand 53f Nr. 1035).

Johann Andreas Engelhardt war ein Baumeister, der wie viele andere seinerKolfegen das herrschaftliche Bauwesen seiner Zeit geprägt und zahllose Spurenseines Wirkens im Lande hinterlassen hat. Dennoch ist sein Name heute kaumnoch bekannt. Über die Persönlichkeit des Baumeisters sind anhand der vorlie-genden Akten nur sehr vorsichtige Aussagen möglich. Charakteristisch ist seineUnterschrift mit den schwungvoll in einem Linienzug zusammengefaßten In-itialen (Abb. l3), die er während seiner Zeit als Scribent in der Baurepositurentwickelt und sein Leben lang beibehalten hat. Sein beruflicher Werdegangfthrte stetig aufwärts, seine Fähigkeiten wurden im Bauamt offensichtlich aner-kannt, auch wenn er nicht zu den größten schöpferischen Architekten seiner Zeitgehörte, sondern eher als qualifizierter und'fleißiger Bauverwaltungsbeamtereingestuft werden muß. Während der vierzig Jahre seiner aktiven Laufbahn inDiensten des hessen-kasselischen Hofes stand er stets im Schatten anderer Ar-chitekten wie Simon Louis du Ry und Heinrich Christoph Jussow. Nach35jährigem Dienst mußte er es hinnehmen, daß ihm bei der Befürderung zum

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Oberbaumeister der jüngere Hisner vorgezogen wurde. Die Vielfalt der Bauauf-gaben, zu denen er herangezogen wurde, zeigl ein breites Profil seiner Arbeit,doch er hatte im wesentlichen mit kleineren Bauprojekten auf dem Lande undmit Reparaturen zu tun, der ,ganz große Wurf blieb ihm verwehrt. In seinemAmtsbezirk sind jedoch noch immer so viele Bauten, vor allem Kirchen, zufinden, deren Pläne aus seiner Feder stammen, daß er den Baudenkmälerbestanddieser Landschaft durchaus mitgeprägt hat.

Eine komplette Erfassung und Untersuchung sämtlicher Bauprojekte der Zeitum 1800 in Engelhardts Bezirk ist an dieser Stelle nicht zu leisten. Es darf ange-nommen werden, daß so gut wie alle Kirchenneu- und -umbauten, die zwischen1779 und 1806 in seinem Bezirk geplant und ausgeführt worden sind, auf Ent-würfe von Johann Andreas Engelhardt zurückgehen. Bei Fortsetzung der Archiv-recherchen werden sich gewiß noch mehr Bauprojekte finden lassen, für dieEngelhardt die Pläne geliefert hat. Die Reihe der vorgestellten Bauten erhebtdaher keinen Anspruch auf Vollständigkeit; mit weiteren Zuschreibungen ist zurechnen. Dieser Beitrag mag daher nicht zuletzt als Anregung für weiterführendeForschungen dienen.