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Art Education Research No. 5/2012 Wanda Wieczorek, Ayşe Güleç, Carmen Mörsch Von Kassel lernen. Überlegungen zur Schnittstelle von kultureller und politischer Bildung am Beispiel des documenta 12 Beirat Art Education Research, Juni 2012, Jg. 3 (5), ISSN 1664-2805 1

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Art Education Research No. 5/2012

Wanda Wieczorek, Ayşe Güleç, Carmen Mörsch

Von Kassel lernen.

Überlegungen zur Schnittstelle von kultureller und politischer Bildung am Beispiel des documenta 12 Beirat

Art Education Research, Juni 2012, Jg. 3 (5), ISSN 1664-2805 1

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Von Kassel lernen.

Überlegungen zur Schnittstelle von kultureller und politischer Bildung am Beispiel des documenta 12 Beirat

Einleitung 03 Was in Kassel geschah 05 NichtirgendeinOrt:ErsteKontakteinKassel 05 Themen,SelbstverständnisundForm:derBeiratentsteht 07 ArbeitandenInhalten:EntwicklungderProjekte 09 Exkurs: DiE ProjEktE DEs BEirats 11 VerständigungsschwierigkeitenundselbstbestimmteInformationspolitik: DerSchrittindieÖffentlichkeit 17 ZusammenarbeitderOrganisationsformen:Beirat,MagazineundKunstvermittlung 19 Exkurs: kunstvErmittlung 20 100TagePräsenz,1000Wege,diedocumentazunutzen:Kulmination 21 Exkurs: PräsEntationEn, gEsPrächE unD kooPErationEn mit künstlErinnEn DEr DocumEnta 12 24 Was man daraus lernen kann 26 1. Werkooperiert? 26 1.1. Kunst und politische Bildung 27 Exkurs: kunstfElD unD PolitischE BilDung 28 1.2. Funktionsweise und Eigenheiten der beiden Bereiche 30 1.3. Konflikte und Schnittmengen 30 Exkurs: ästhEtischE urtEilE unD PEinlichkEitsfähigkEit 31 2. Warumkooperieren? 32 2.1. Legitimationskrise und die Suche nach neuen Wegen 33 2.2. Was die Partnerinnen einer Kooperation gewinnen können 34 2.3. Strategische Vorteile feldübergreifender Kooperationen 34 3. RahmenbedingungenfüreinegelingendeKooperation 36 3.1. Machtverhältnisse 36 3.2. Die Kooperation auf den Weg bringen: top-down und bottom-up 37 Exkurs: PartiziPation 38 3.3. Geld und Ressourcenverteilung 42 3.4. Anerkennung und Aufmerksamkeit 44 3.5. Zeit und Arbeitsphasen 45 4. OrganisationsformenundArbeitsprinzipien 46 4.1. Heterogenität, Reichweite und Diskriminierung 46 4.2. Offener Prozess vs. Zielorientierung 47 4.3. Bestehende Strukturen und Schlüsselfiguren 48 4.4. Verhältnis zu Kommune, Verwaltung und Behörden 49 5. MethodenzurGestaltungderZusammenarbeit 50 5.1. Wissenstransfer 50 5.2. Rolle der Moderation 51 5.3. Vier methodische Ansätze für eine produktive Begegnung 52Fazit und Ausblick 57

Literaturverzeichnis und Abbildungsnachweise, Impressum 59-60

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EinleitungLondon im Jahr 2009: In dem Stadtviertel Edgware Road hat ein neuer Nachbarschaftstreff mit dem Na-men «Zentrum für mögliche Studien» seine Türen ge-öffnet. Eine Videowerkstatt und ein freies Kino gehören genauso zu seinem Angebot wie Diskussionsabende oder die Produktion von Bürgerinnenradio1. Thema-tisch liegt der Schwerpunkt auf der sich gegenwärtig im Bezirk rasant beschleunigenden Stadtentwicklung. Besonders die spezifischen Auswirkungen für das mi-grantische Leben in einer Zeit intensivierter Kontrolle und zunehmender Stereotypisierungen sind immer wieder Thema. Ein klassischer Ort der politischen Bildung also? Ja, mit zwei Unterschieden: Menschen jeden Alters aus der Nachbarschaft arbeiten hier mit internationalen wie lokalen Aktivistinnen, Selbstorga-nisationen, aber vor allem auch mit Künstlerinnen und Kuratorinnen zusammen. Eine gemeinsame kritische Analyse der Funktionen, die Kunst und Kultur in der Stadtentwicklung einzunehmen vermögen, ist ein Bestandteil dieser Zusammenarbeit. Und: Der Raum wird von einem der international profiliertesten Aus-stellungsorte für Gegenwartskunst, der Serpentine Gallery, betrieben. Mitarbeiterinnen der Bildungsab-teilung dieser Kunstinstitution haben das Rahmen-konzept für das Nachbarschaftszentrum entwickelt und eine mittelfristige Finanzierung dafür gefunden.

Das Beispiel verweist auf eine gegenwärtig zu be-obachtende Entwicklung, die wir als «Verschränkung von kultureller und politischer Bildung» beschreiben. Kulturelle Bildung ist dabei mehr als ein alternatives Mittel zur Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen als Reaktion auf die von Zeit zu Zeit diagnostizierten Bildungskrisen. Sie umfasst im Gegenteil alle Aktivitäten, die, geleitet von einer an de-mokratischen Grundsätzen ausgerichteten Bildungs-absicht, aktive Verbindungen zwischen Kunst oder Kultur und Individuen oder Gruppen gleich welchen Alters herstellen. Ist in diesem Text von kultureller Bil-dung die Rede, so bezieht sich der Begriff über seine allgemeine Bedeutung hinaus vor allem auf die Bil-dungs- und Vermittlungsarbeit in Kunstinstitutionen. Diese bergen ein besonderes Spannungsverhältnis, da sie sich einerseits als Bildungseinrichtungen ver-stehen und wichtige Impulse zur kulturellen Bildung aus der Arbeit mit der bildenden Kunst einbringen können, andererseits aber auch besonders starke Ausschlussmechanismen aufweisen.

Politische Bildung hat sich ihrerseits über die aus den Reeducation-Programmen der Nachkriegszeit definierten Aufgaben hinaus erweitert. Wir verste-hen sie als emanzipatorische Bildungspraxis in einer pluralistisch-heterogenen Gesellschaft mit dem Ziel 1 In dieser Publikation verwenden wir für Personenbezeich-

nungen das grammatikalische Femininum. Wenn im Folgenden von Künstlerinnen, Multiplikatorinnen, Expertin-nen usw. die Rede ist, sind alle Geschlechter gemeint.

gleichberechtigter Partizipationsmöglichkeiten an ge-sellschaftlichen Entscheidungsprozessen.

In Projekten wie den hier skizzierten gehen kulturelle und politische Bildung eine Allianz ein. Gemeinsames Ziel ist ein substanzieller Zugewinn an Handlungs- und Artikulationsmöglichkeiten und letztlich an gesell-schaftlicher Macht für die, welche über wenig davon verfügen. Von dieser gemeinsamen Zielsetzung ab-gesehen, verfolgen die in einer solchen Allianz ver-bundenen Akteurinnen auch divergente Interessen. So mag es die Kunstinstitution aus kulturpolitischen Gründen für wichtig halten, ihre gesellschaftliche Re-levanz über das Zeigen von Ausstellungen hinaus un-ter Beweis zu stellen. Die Akteurinnen des Stadtteils wiederum nutzen vielleicht das Prestige und die Mittel der Kunstinstitution, um ihren Interessen ein starkes und attraktives Sprachrohr zu verschaffen.

Diese strategischen Interessen ergänzen sich zu-nächst gut. Bei der Zusammenarbeit von kultureller und politischer Bildung treffen jedoch auch unter-schiedliche Weltsichten, Prioritäten, Kommunikati-onsroutinen und ästhetische Wahrnehmungen aufei-nander. Vor allem aber handelt es sich in der Regel um eine Allianz zwischen ungleichen Partnerinnen, die über unterschiedlich viel Macht in getrennten gesellschaftlichen Sphären verfügen. Unter welchen Bedingungen funktioniert eine Kooperation auf Au-genhöhe, wann gibt es Partizipation im Sinne der Mit-arbeit an einem Angebot, das von einer Seite initiiert wurde, und wo beginnt die Instrumentalisierung der vermeintlichen Partnerinnen? Wer trifft welche Ent-scheidungen innerhalb der Allianz? Diese Faktoren und Fragen bergen mögliche Konflikte; sie zu be-nennen und darüber zu verhandeln ist jedoch selbst wiederum Gegenstand von politischer und kultureller Bildung oder kann dies im günstigen Fall werden.

Mit dieser Publikation möchten wir Hinweise dafür geben, wie sich dieses Potential, das im Verhandeln und Gestalten von Differenzen bei gleichzeitigem Ver-folgen gemeinsamer Ziele liegt, möglicherweise reali-sieren kann. Wir gehen dabei von der Annahme aus, dass die Verbindung von kultureller und politischer Bildung grundsätzlich lohnt. Denn es handelt sich um nichts weniger als die längst überfällige Überla-gerung von zwei wesentlichen Feldern gesellschaftli-chen Handelns, die bislang vor allem parallel existiert haben, produktiv werden zu lassen.

Unsere Position gründet insbesondere auf den Er-fahrungen aus einem umfangreichen Projekt: dem documenta 12 Beirat. Dieser wurde im Jahr 2005 als eine Kooperation der zwölften documenta-Ausstel-lung in Kassel mit dem Kulturzentrum Schlachthof gegründet und war die erste systematische Zusammenarbeit eines documenta-Teams mit den Bewohnerinnen der Stadt. Ziel der Allianz war

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die Stärkung vorhandener lokaler Initiativen, gewis-sermaßen eine «Verlängerung» der Energien der international beachteten Ausstellung für Gegen-wartskunst in die Stadtgesellschaft hinein. Der Beirat brachte eine Vielzahl von Aktivitäten entlang gesell-schaftspolitischer Fragen hervor, er schuf neue Kon-takte und Netzwerke innerhalb der Stadt und führte zu Verbindungen zwischen Kunst, Künstlerinnen und Bewohnerinnen. Der Beirat existierte zwar nur bis zum Ende der documenta 12, dennoch war er ein wich-tiger erster Schritt zu einer langfristigen Verbindung zwischen der Ausstellung und ihrem lokalen Umfeld.

Wir waren an der Entstehung und an den Aktivitä-ten des Beirats in unterschiedlichen Rollen beteiligt: Wanda Wieczorek war seit Herbst 2005 als Assistentin der künstlerischen Leitung der documenta 12 mit der Kontaktaufnahme zu den Bewohnerinnen Kassels be-traut und arbeitete im Beirat mit. Ayşe Güleç betreute für das Kulturzentrum Schlachthof e. V. die Koopera-tion mit der documenta 12 und war Sprecherin des Beirats. Carmen Mörsch hat im Auftrag der documen-ta 12 die Kunstvermittlung wissenschaftlich begleitet. Unsere Perspektiven auf den Beirat sind folglich von der eigenen intensiven Beteiligung an diesem Projekt sowie von einem analytischen Interesse gekennzeich-net. Als Mitarbeiterinnen bzw. Beauftragte der zwei kooperierenden Institutionen bringen wir Sichtweisen der zeitgenössischen Kunst sowie aus dem Arbeits-bereich der politischen Bildung mit. Wir wollten die Entwicklungen beim Zusammenkommen der beiden Felder anlässlich der «Weltkunstausstellung» (Selbst-beschreibung der documenta) genau betrachten und reflektieren, um Prozesse zu beschreiben, die zum Gelingen der inhaltlichen Verschränkung und Koope-ration zweier Felder betragen können. Die Erfahrungen des documenta 12 Beirats sind für diese Darlegung sowohl Ausgangspunkt als auch Anschauungsmaterial, um allgemeine Grundsät-ze und Problemstellungen für die Verknüpfung von politischer und kultureller Bildung herauszuarbeiten. Um dies zu leisten, wird keine Erfolgsgeschichte er-zählt. Im Gegenteil: Besondere Aufmerksamkeit liegt auf dem, was schwierig war und nicht lief wie geplant – in der Annahme, dass sich gerade daraus Erkennt-nisse für zukünftige Kooperationen herausarbeiten lassen.

Im ersten Teil dieser Publikation stellen wir zu-nächst die Entstehung und Entwicklung des Beirats über zwei Jahre sowie seine inhaltliche Arbeit vor. Im zweiten Teil werden wir Voraussetzungen und Rah-menbedingungen für eine erfolgreiche Allianz von po-litischer und kultureller Bildung formulieren. Geschil-dert werden die jeweiligen Eigenarten beider Seiten – des Kunstfeldes einerseits sowie der politischen Bildung in soziokultureller, sozialer und Stadteilarbeit andererseits, die für das Verständnis von Krisen und Erfolgen in der Zusammenarbeit wesentlich sind. Zur

Verdeutlichung ist der Text von Verweisen auf das Beispiel documenta 12 Beirat durchzogen, die den geschilderten Sachverhalt zuspitzen und plastisch machen. Zu wichtigen grundlegenden Begriffen bie-ten wir ergänzende Exkurse an. Den Abschluss bildet ein zusammenfassender Forderungskatalog, der die Entstehung eines eigenständigen Bereichs an der Schnittstelle von politischer Bildung und Kunst anvi-siert.

Die vorliegende Publikation gibt einen umfassen-den Überblick über die Allianz von politischer und kultureller Bildung und erlaubt zudem den schnellen Einstieg in einen spezifischen Teilaspekt. Wir sind uns dabei der Einzigartigkeit eines jedes Kooperationsvor-habens bewusst und der Schwierigkeit, Erfahrungen zu verallgemeinern und in Handlungsvorschläge zu überführen. Dennoch wagen wir uns zu allgemeinen Empfehlungen vor und vertrauen darauf, dass sie in Verbindung mit dem konkreten Beispiel der documen-ta 12 für all jene in Kunst, Kultur, Politik und Bildungs-arbeit eine wertvolle Unterstützung sind, die selbst in Kooperationen arbeiten oder diese planen.

Januar 2011Wanda Wieczorek, Ayşe Güleç, Carmen Mörsch

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Was in Kassel geschahNIchTIRGENDEINORT:ERSTEKONTAKTEINKASSEl

Kassel im November 2003. Der künstlerische Leiter der documenta 12 (≥ # Hintergrund: documenta, S. 27) wird benannt: Roger M. Buergel ist ein in Wien le-bender Ausstellungsmacher, der bislang nicht durch spektakuläre Großschauen im internationalen Kunst-betrieb auffiel, sondern eher kleine Ausstellungen mit sperrigen Titeln organisierte. Bei der Pressekonferenz zur öffentlichen Vorstellung des neuen Leiters fliegt eine Torte in Richtung des hessischen Kultusminis-ters – Kasseler Studierende protestieren gegen die geplanten Studiengebühren und bringen Wind in die fünfjährige documenta-Zwischenzeit, die sonst eher einem Dornröschenschlaf der nordhessischen Stadt gleicht.

Anfang 2005 beginnen die Verantwortlichen der documenta 12 ihre Fäden in Kassel zu spinnen, also gute zwei Jahre vor der Eröffnung im Juni 2007. Roger Buergel und Ruth Noack, seine Partnerin und Kura-torin der Ausstellung, verlegen ihren Wohnort nach Kassel – ein Schritt der Zuwendung, den die lokale Presse wohlwollend aufnimmt. Sie zeigen Interesse an der Stadt und an ihren Bewohnerinnen: Der Ort der «Weltkunstausstellung», so betonen sie, sei nicht

irgendeiner, sondern im Gegenteil ein bedeutsamer und beispielhafter Ort. Einerseits lasse sich hier die Geschichte der Moderne besonders gut nachvollzie-hen, und das sei ein Schlüssel zur modernen Kunst. Andererseits sei durch die documenta in Kassel eine aufmerksame Öffentlichkeit für die Kunst entstanden, die es an anderen Orten nicht gebe. Wenn man das kritische Potential der zeitgenössischen Kunst zur Geltung bringen wolle, müsse man diese Öffentlich-keit ansprechen.

Ein Schritt dazu ist die Kontaktaufnahme zu den drei soziokulturellen Zentren Kassels (≥ # Hintergrund documenta 12 Beirat, S. 9). Bei einem ersten Kontakt im Herbst 2005 mit deren Vertreterinnen formulieren die künstlerischen Leiterinnen ihr Anliegen: Sie möchten mit der documenta 12 bestehende Initiativen und vor-handenes Engagement in Kassel stützen, Ideen an-fachen und Energien verlängern. Sie wünschen sich eine Kooperation mit lokalen Einrichtungen, um die documenta 12 in der Stadt fest zu verankern und ihr – neben der offensichtlichen wirtschaftlichen – eine inhaltliche Bedeutung für diverse lokale Zusammen-hänge zu geben. Die beiden Vertreterinnen des Kultur-zentrums Schlachthof e. V. (≥ # Hintergrund Schlachthof, S. 28) begrüßen diese Initiative. Sie sind bereit, ihre

Die Leitfragen der documenta 12 werden auf Kassel bezogen. Daraus ergeben sich Hinweise für mögliche lokale Anbindungen der documenta 12 und für eigene Projekte des Beirats. Kreidezeichnung auf Schultafel von Jürgen Stollhans.

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Kenntnisse über die lokalen Gegebenheiten und ihre Kontakte zu Kasselerinnen aus unterschiedlichen ge-sellschaftlichen Sphären im Rahmen einer Koopera-tion anzubieten. Darüber hinaus ist die Infrastruktur des Schlachthofs (Räume, bereits etablierte Nutze-rinnenkreise) eine gute Basis für die Zusammenarbeit zwischen der documenta und den Bewohnerinnen Kassels.

Bei den ersten Treffen zwischen documenta 12 und Schlachthof nähern sich die neuen Kooperationspart-nerinnen einander an. Die Idee einer lokalen Veranke-rung der documenta 12 ist noch wenig konkretisiert. Daher spielt der Austausch über Wünsche und Erwar-tungen eine umso wichtigere Rolle für die Entwicklung gemeinsamer Vorstellungen von der Art der Zusam-menarbeit (≥ # Kooperationsinteressen, S. 35). Schlachthof und documenta 12 entschließen sich, als Herzstück der Kooperation einen Gesprächs- und Aktionskreis zu gründen, von dem ausgehend sich die Verbindung zwischen documenta 12 und Stadt entfalten kann. Sie laden dazu rund 40 Personen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen ein: mehrere Protago-nistinnen aus der schulischen und außerschulischen Bildung, der Kinder- und Jugend- sowie der sozial-kulturellen Arbeit, aus den Themenfeldern Architektur und Stadtplanung sowie der Sozialgeografie, von den Gewerkschaften sowie dem Arbeitgeberverband, aus der linken politischen Szene, der Frauenarbeit und der Clubszene. Eingeladen werden Personen, die vielseitig interessiert und umfassend in der Stadt ver-netzt sind. Nicht die Repräsentation einer bestimmten Institution steht dabei im Vordergrund, sondern das inhaltliche Interesse an Themen und gesellschafts-politischer Auseinandersetzung. Eine Vorkenntnis im

Bereich der bildenden Kunst ist ausdrücklich nicht ge-fordert oder erwünscht, im Gegenteil: Künstlerinnen und Kulturmacherinnen fehlen auf der Einladungslis-te. So soll einerseits ein zu stark beruflich geprägtes Interesse aus dem Kreis herausgehalten werden, das zu Begehrlichkeiten und Konkurrenzsituationen inner-halb der Kasseler Kunstszene führen könnte. Ande-rerseits soll das Gesprächsangebot gezielt Personen gelten, die sich nicht ohnehin als «zuständig» für die documenta erachten und sie intensiv diskutieren und begleiten. Daher wird auch keine systematische Zu-sammenarbeit mit der kulturell gebildeten bürgerli-chen Mittelschicht Kassels anvisiert. Hier ist jedoch die Identifikation mit der documenta besonders groß und die Ablehnung von Kooperationswünschen wird aus diesen Kreisen nicht ohne Widerspruch hinge-nommen, wie die Konflikte mit der Presse und einigen Institutionen zeigen werden (≥ Verständigungsschwierig-keiten und selbstbestimmte Informationspolitik, S. 18).

Die Reaktionen auf die Einladung fallen unter-schiedlich aus: Während die meisten der Eingelade-nen Interesse zeigen und zusagen – die documenta besitzt eine große Bedeutung in Kassel und es ist at-traktiv, ihre Entstehung aus nächster Nähe zu erleben und möglicherweise mit gestalten zu können – sind manche der Eingeladenen skeptisch und halten sich im weiteren Verlauf aus der Zusammenarbeit heraus. Dies betrifft neben den beiden anderen soziokulturel-len Zentren (≥ # Ablehnung Kooperationsangebot, S. 37),vor allem einzelne Personen aus der autonomen (linken) Szene, einen Organisator aus der Subkultur sowie einen Vertreter des Arbeitgeberverbands.

Mitte November 2005 findet das erste Treffen der Gruppe statt, aus der sich schließlich der Bei-rat entwickeln wird. Buergel stellt seine Ideen zur

Realität, Elisabeth-Knipping-Schule. Berufliche Schule für 2300 SchülerInnen.

Integrationsanspruch,Kulturzentrum Schlachthof. Jugendzentrum, Bildung. Beratung, Kultur, Konzerte und Treffpunkt.

Industriebrache, zukünftig Universität.

Exzellenzen, Universität Kassel. Spitzenforschung, AusbildungHochqualifizierter, Wissentransfer für High-Tech-Wirtschaft

Das Kulturzentrum Schlachthof befindet sich in der Mom-bachstraße 12 im Stadtteil Nordstadt, einem ehemaligen Arbeiterinnenviertel. In der Nähe sind die Universität Kassel, eine berufliche Schule und einige Beratungsstellen. Zusammen ergeben sie ein anschauliches Bild der hetero-genen sozialen Zusammenset-zung dieses Stadtteils. Grafik von Jürgen Stollhans.

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documenta 12 der Gruppe vor: Drei Leitmotive sind für ihn in Konzeption, Recherche sowie Entwicklung der Ausstellung wesentlich. Sie beziehen sich auf die Moderne als historische Form («Ist die Moderne unsere Antike?»), auf die Verletzlichkeit der mensch-lichen Existenz («Was ist das bloße Leben?») und auf die Frage der Bildung («Was tun?»). Einige der von der documenta 12-Leitung ausgesuchten und einge-ladenen Künstlerinnen sollen ihre Werke in Anbindung an Personen und Themen in Kassel entwickeln. Ziel dabei sei, die Ausstellung in die Stadt zu tragen, die Auseinandersetzung zwischen Kunst und lokalem Umfeld an Orten zu führen, die davon profitieren und die wiederum etwas zur Wahrnehmung der Kunst bei-tragen können – nämlich sie konkret und persönlich erfahrbar zu machen und damit ihren Beitrag zur ge-sellschaftspolitischen Auseinandersetzung zur Entfal-tung zu bringen.

In der Diskussion nehmen die Teilnehmerinnen zu den Leitmotiven Stellung, sie verbinden sie mit ihrer jeweils eigenen Perspektive und beziehen sie auf Pro-bleme und Fragestellungen in Kassel. Aus den Beiträ-gen wird das Anliegen deutlich, durch die Zusammen-arbeit von documenta 12 und Kassel nachbarschafts-, szene- und betriebsbezogene Aktivitäten sowie das Verständnis politischer Zusammenhänge zu stärken.

ThEMEN, SElBSTVERSTäNDNIS uND FORM:DERBEIRATENTSTEhT

Ab Beginn des Jahres 2006 trifft sich die Diskussions-runde monatlich und setzt die begonnene inhaltliche Auseinandersetzung mit den Leitmotiven der docu-menta 12 und ihrem lokalen Bezug fort. Die beson-dere Geschichte Kassels als Vorzeige-Industriestadt und Zentrum der Kriegsproduktion mit der Folge einer umfassenden Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wird auch in dieser Runde als Trauma bewertet, das das Selbstverständnis der Kasseler tief geprägt habe. Die starke Fragmentierung der Stadt – in städtebaulicher wie in sozialer Hinsicht – sei eine Folge dieser zerstö-rerischen Vergangenheit. Gleichzeitig machen viele Teilnehmerinnen deutlich, dass sie an der Überwin-dung der kollektiven Sprachlosigkeit und den Erfah-rungen von Entfremdung arbeiten und im Alltag eine Kultur des Dialogs und der politischen Mitsprache etablieren wollen.

Regelmäßig sind bei den Treffen Künstlerinnen der documenta 12 zu Gast. Sie stellen der Gruppe ihre Arbeiten vor und skizzieren ihre Pläne für neue Wer-ke. Die Präsentationen dienen nicht nur der Informa-tion, sondern werden auch für Beratung hinsichtlich einer Einbeziehung des Publikums in die künstleri-sche Arbeit und Kontaktaufnahme genutzt, insoweit die Künstlerinnen dies suchen (≥ # Wissenstransfer, S. 51 und # Die Zusammenarbeit zwischen Künstlerinnen und Beirat, S. 55).

Unterrichtsraum im Kulturzentrum Schlachthof. Lokale Expertinnen und das documenta 12-Team kommen regelmäßig in diesem Raum zur Arbeitssitzung zusammen. Am 17.01.2007 präsentiert und diskutiert Allan Sekula seine künstlerische Arbeit für Kassel. Kreidezeichnung auf Schultafel von Jürgen Stollhans.

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Die Versammlungen unterscheiden sich von den in Kassel etablierten Formen des Zusammenarbeitens: Viele der Teilnehmerinnen lernen sich hier erst kennen und tauschen sich intensiver als sonst mit Personen aus anderen Arbeitsbereichen und Szenen aus. Diese neue Ebene des Zusammenkommens wird von den Beteiligten als Bereicherung empfunden. Gleichzeitig müssen jedoch gemeinsame Ziele und Arbeitsweisen erst bestimmt werden (≥ # Offener Prozess, S. 48). Daher kreisen die Diskussionen im Frühjahr 2006 immer wie-der um den Auftrag, die Erwartungen der documenta 12-Leitung und das Selbstverständnis der Gruppe. Vier Aufgabenbereiche werden als Schwerpunkte vereinbart: 1. Eigenaktivität

Ausgehend von selbst definierten Themen und aktuellen «Brennpunkten» sollen sich verschiedene Arbeitsgrup-pen bilden, die nach einer eigenen Bearbeitungsform für ihr Anliegen suchen. Die Arbeitsgruppen sind offen für weitere Personen und sollen in die Stadt ausstrahlen. Anhand der inhaltlichen Schwerpunkte können sie Kon-takte zu Künstlerinnen der documenta 12 aufnehmen, die die angesprochenen Problemlagen in künstlerische Formate übersetzen möchten. Über die Projekte der Ar-beitsgruppen soll in monatlichen Treffen der gesamten Versammlung (Beirat) diskutiert werden.

2. Multiplikation der documenta 12-ThemenDie drei Leitmotive sollen eine gemeinsame Klammer für die Arbeitsgruppen schaffen, für die lokalen Anliegen fruchtbar gemacht werden und sie an die documenta 12 zurückbinden. Die entstehenden Aktivitäten sollen für die Ausstellung «wichtig» sein, ihre Aussagen verbindlich machen und sie in diverse lokale Öffentlichkeiten tragen.

3. Lokales Wissen vermitteln

Um Bodenhaftung zu erzeugen, sollen lokalspezifische Kenntnisse an das Team der documenta 12 weiterge-geben und Kontakte hergestellt werden. So sollen auch Künstlerinnen bei ihrem Werkentwicklungsprozess be-gleitet und unterstützt werden, wenn sie an das lokale Umfeld anknüpfen wollen. Die Gruppe versteht sich in diesem Sinne als lokaler Resonanzraum für die Entwick-lung der documenta 12.

4. Vernetzung untereinanderDie Gemeinsamkeiten und thematischen Schnittstellen innerhalb der Gruppe sollen herausgearbeitet werden, damit eine gegenseitige Wissensvermittlung stattfinden kann und sich eine verbindliche Grundlage für die Zu-sammenarbeit der heterogenen Teilnehmerinnen ent-wickelt. Um das Kennenlernen zu erleichtern, erstellen die Gruppenmitglieder ausführliche «Steckbriefe» und machen sie allen verfügbar.

Die Festlegung dieser Aufgaben ist ein wichtiger Schritt, um die eigene Rolle zu bestimmen und auf das steigende Interesse von Außen zu reagieren.

Letzteres macht deutlich, dass die Teilnehmerinnen eine Multiplikationsfunktion übernehmen: Sie sollen die Arbeit der Gruppe in die Stadtgesellschaft und in ihre persönlichen Wirkungskreise tragen, damit sich die inhaltlichen Diskussionen öffnen und außer-halb der Gruppe fortsetzen (≥ # Multiplikationsprinzip, S. 49). Mit der Benennung als documenta 12 Beirat soll die beratende und unterstützende Funktion der Gruppe unterstrichen und die gegenseitige symboli-sche Verpflichtung von documenta-Leitung und Teil-nehmerinnen deutlich gemacht werden.

Die beiden Koordinatorinnen des Beirats besu-chen eine Reihe von Institutionen aus dem Lebens-alltag der Kasselerinnen: mehrere Nachbarschafts-treffs, religiöse Gemeinschaften, selbstorganisierte Gruppen und andere sozial-kulturelle Einrichtungen. Sie stellen dort die Geschichte der documenta und das Interesse der documenta-Leitung am lokalen Um-feld vor und suchen das Gespräch über die soziale und politische Situation Kassels. Die Kontaktaufnah-me wird begrüßt2, es zeigt sich aber auch, dass die documenta für die meisten Personen keine wichtige Rolle einnimmt. Oder vielmehr: dass die documen-ta den Gesprächspartnerinnen bislang nicht als Ort für die Auseinandersetzung über drängende gesell-schaftliche Fragen zur Verfügung gestanden hat. Die Gespräche mit den lokalen Institutionen dienen zunächst dem Kennenlernen und Erkunden der so-zialen Landschaft Kassels. Sie haben kein festgeleg-tes Ziel, um Impulse aufnehmen und entwickeln zu können. Allerdings werden dabei auch die Grenzen einer solchen Vorgehensweise deutlich. Die zwei Ko-ordinatorinnen des Beirats haben nicht die zeitlichen Kapazitäten, um neben dem Beirat weitere offene Gruppenprozesse zu begleiten. Es ist notwendig, sich auf eine verbindliche Form zu verständigen, die möglichst niemanden ausschließt und dennoch hand-habbar ist. Um die neuen Kontakte in diesem Sinne fruchtbar zu machen, werden einzelne Personen zur Teilnahme am Beirat eingeladen, die weitere Themen und eine größere Heterogenität in die Beiratsgrup-pe bringen sollen. Nicht alle erwünschten Verknüp-fungen gelingen – so bleiben die Gemeindevertreter der Moscheen trotz wiederholter Einladungen dem Beirat fern, ebenso ist es nicht möglich, Mitglieder der russischsprachigen Gemeinde für die Mitar-beit zu gewinnen. Sie befürchten, aus sprachlichen Gründen oder kultureller Distanz nicht aktiv an den Gesprächen teilnehmen zu können. Dennoch wird der Beirat nach und nach durch neue Teilnehmerinnen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen ergänzt. So besitzt er zwar eine definierte Form, jedoch bis zum Schluss mit diffusen Grenzen (≥ # Gruppenzusammensetzung, S. 47).

2 Beim Besuch der Kasseler Erwerbslosen Initiative wird zunächst die Vermutung geäußert, die documenta 12 wolle den Erwerbslosen 1-Euro-Jobs anbieten. Nachdem die-se Befürchtung zerstreut ist, ergibt sich schnell eine an-geregte Diskussion über die Arbeitssituation in Kassel.

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ARBEITANDENINhAlTEN:ENTWIcKluNGDERPROjEKTE Mit der Entscheidung über die Form und Arbeitsweise des Beirats kommt die inhaltliche Arbeit in Schwung. Einzelne Beiratsmitglieder entwickeln Ideen für Pro-jekte und stellen diese in den Beiratssitzungen vor. Daraus bilden sich Arbeitsgruppen, die ihre Ideen zu Projektentwürfen ausarbeiten. Der jeweils aktuel-le Stand ihrer Überlegungen wird wiederum in den Beiratssitzungen diskutiert und die gesamte Gruppe bemüht sich, durch Nachfragen, ergänzende Überlegungen und Kontaktvermittlung die Projek-te zu beraten und reifen zu lassen. Darüber hinaus unterstützen die Koordinatorinnen die Entstehung der Projekte durch inhaltliche und formale Beratung. Einige der Projekte werden aus bereits bestehenden Initiativen heraus entwickelt bzw. verbinden sich mit diesen. Das Kinder- und Jugendnetzwerk Kassel

beispielsweise ist seit Jahren etabliert und plant zur documenta 12 eigene Aktionen und Angebote. Da Mitglieder des Netzwerks im Beirat mitarbei-ten, werden diese Angebote als Projekt des Beirats behandelt, d. h. in den Beiratssitzungen beraten und vom Beirat nach außen kommuniziert. Hier erfüllt sich beispielhaft die Idee, mit dem Beirat vorhandene In-itiativen zu unterstützen, deren Arbeit inhaltlich zu befruchten und zu intensivieren – und anders herum auch die Energie der documenta 12 über die zeitliche Begrenzung der 100 Ausstellungstage hinaus zu ver-längern.

Die Frage der Finanzierung der Beiratsprojekte wird im Gegensatz zur inhaltlichen Dynamik nur zögerlich angegangen. Von der künstlerischen Leitung wird den Projekten zwar prinzipiell eine Budgetierung aus Mit-teln der documenta 12 in Aussicht gestellt, allerdings ohne konkrete und verbindliche Zusagen zu treffen.

# Hintergrund documenta 12 Beirat

September 2005 Beginn der Gespräche über Kooperationsvorhaben zwischen documenta 12 und Kulturzent-rum Schlachthof

November 2005 Erstes Treffen im Kreis von 45 Personen aus Kassel

Januar 2006Beginn der monatlichen Arbeits-treffen mit der künstlerischen Leitung und weiteren Mitarbeite-rinnen der documenta

Juni 2006Form- und Namensgebung documenta 12 Beirat

August 2006Benennung einer Sprecherin

November 2006 Start der ersten Aktivitäten des Beirats

Mitglieder des Beirats:Joachim Albrecht, Uli Barth, Harold Becker, Gisela Best, Boris Bouchon,

Sabine Buchholz, Roger M. Buergel, Bernd Czellnik, Elke Endlich, Pietro Fiore, Oliver Fromm, Renate Gaß, Andrea Gerhardt, Tom Gudella, Jürgen Hinrichs, Gerhard Hochhuth, Helmut Holzapfel, Serdar Kazak, Yusuf Kılıç, Christine Knüppel, Axel Knüppel, Christian Kopetzki, Alexander Link, Annegret Luck, Muthoni Mathai, Ulrich Messmer, Ruth Noack, Ralf Pasch, Daniela Ritter, Klaus Ronneberger,Karl-Heinz Rösenhövel, Günter Schäfer, Gottfried Schubert, Irmis Schwager, Helen Schwenken, Karin Stemmer, Frank Thöner, Achim Vorreiter, Ruth Wagner, Bernd Waltenberg, Michael Wilkens

Inhaltliche Entwicklung, Koor-dination und Moderation des Beirats, Öffentlichkeitsarbeit, interne Kommunikation, Fundraising: • Ayşe Güleç (Mitarbeiterin und Bereichsleiterin des Kulturzentrums Schlachthof) • Wanda Wieczorek (Mitarbei- terin der künstlerischen Leitung der documenta 12)

Sprecherin des Beirats: • Ayşe Güleç

Ayşe Güleç und Wanda Wieczo-rek moderierten den Beirat und betreuten die aus dem Prozess erwachsenden Aktivitäten und Projekte. Bei der Entstehung der Projekte berieten sie die Arbeits-gruppen inhaltlich und operativ. Zudem knüpften sie Kontakte zu weiteren Akteurinnen und In-teressengruppen in der Stadt. Daraus wurden Personen in den Beirat eingeladen oder ihre Teil-nahme an den Aktivitäten ange-regt. Phasenweise unterstützten Praktikantinnen die Beiratskoor-dinatorinnen (Adelaida Lelonek, Chris Piallat). Weiteres Personal zur Unterstützung und (Weiter-)Entwicklung von laufenden oder neuen Gruppenprozessen gab es nicht.

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Darüber hinaus zieht sich die Beantragung bzw. das Einwerben von Drittmitteln in die Länge. Unter der daraus folgenden finanziellen Unsicherheit leiden insbesondere die Projekte, die nicht über einen institutionellen Rückhalt verfügen. Die Suche nach Drittmitteln bindet außerdem Ressourcen, die in der inhaltlichen und organisatorischen Entwicklung fehlen (≥ # Finanzen, S. 43).

Bei den Beratungen der Beiratsprojekte wird immer wieder kontrovers diskutiert, welchen Status die Pro-jekte eigentlich haben: Gehören sie zur Ausstellung im engeren Sinne, sind sie Teil des «kommunikativen Be-gleitprogramms» oder sind sie eigenständig, mit loser Assoziation zur documenta 12? Welchen Stellenwert sollen folglich die Erzeugnisse haben, die in den Pro-jekten entstehen? So ist beispielsweise ein Fotowett-bewerb mit Objekten im Straßenraum angedacht, bei dem die eingereichten Fotos öffentlich ausgestellt werden sollen. Welchen ästhetisch-künstlerischen Anspruch dürfen diese Fotografien erheben? Sollen sie von den Besucherinnen der documenta 12 als Kunstwerke betrachtet werden, ebenso wie die an-deren ausgestellten Werke? Diese Fragen berühren die unausgesprochene und umkämpfte Grenze zwi-schen Kunst und sozialer bzw. politischer Tätigkeit, die auch das Verhältnis zwischen documenta 12 und Beirat durchzieht.

Aus Sicht der künstlerischen Leitung stehen der soziale Prozess und die politisch-gesellschaftliche Dimension der Beiratsprojekte eindeutig im Vorder-grund. Roger Buergel und Ruth Noack lehnen es ab, die Projektergebnisse wie Kunstwerke in der Ausstel-lung zu präsentierten. Sie begründen dies zum einen mit dem Anliegen, den Beirat vor einer Exotisierung zu schützen: Das internationale Ausstellungspublikum würde die Projekte als lokale Kuriositäten wahr- und nicht ernst nehmen. Zum anderen stelle die Integrati-on in die Ausstellung eine kuratorische Aufgabe dar: Analog zu den Kunstwerken müsse dann eine Selek-tion erfolgen, die dem Charakter der Beiratsarbeit und den Projekten nicht gerecht würde. Stattdessen plä-dieren sie für Formen der Veröffentlichung, die dem Erfahrungsschatz und der Praxis der Beiratsmitglie-der entspringen, d. h. für Formate mit aktivistischen, pädagogischen, politischen und ähnlichen Methoden.Im Beirat gehen die Meinungen zu dieser Frage aus-einander. Einige Beiratsmitglieder möchten ihre Pro-jekte durchaus als künstlerischen Beitrag verfassen und in diesem Sinne präsentiert wissen. Sie erwarten von der künstlerischen Leitung ein umfangreiches Bekenntnis zum Beirat – nicht nur zu seiner sozialen und politischen Dimension, sondern auch zu seinen ästhetischen Entscheidungen. Entsprechend erhof-fen sie sich von ihrer Mitarbeit im Beirat künstlerische Impulse und ästhetische Anleitung, und nicht nur die Auseinandersetzung mit ihnen bereits bekannten lokalen Anliegen und eigenen Bearbeitungsformen (≥ Exkurs: Ästhetische Urteile und Peinlichkeitsfähigkeit, S. 31).

Letztlich wird die Definitionsmacht der künstleri-schen Leitung in Bezug auf die Ausstellung von den Beiratsmitgliedern akzeptiert (≥ # Hierarchische und basisdemokratische Arbeitsweisen, S. 38). Die Bei-ratsprojektgruppen verzichten in der Folge auf den Anspruch, als Kunst im Rahmen der Ausstellung sichtbar zu werden, sondern werden als soziale, ge-sellschaftliche und politische Initiativen entwickelt und kommuniziert. Auch die Auswahl der Künstlerin-nen und ihrer Werke bleibt Hoheitsgebiet der künst-lerischen Leitung, in die der Beirat nicht eingreift. Im Herbst und Winter 2006 kommen die Projekte des Beirats in ihre heiße Phase: Um der documenta 12 «den Boden zu bereiten», müssen jetzt die öffentliche Kom-munikation und die Umsetzung beginnen. Die erste In-formationsveranstaltung des Beirats zum Projekt Die unsichtbare Stadt – sichtbar machen stößt auf große Resonanz und zieht ein beachtliches Publikum an. In der Diskussion wird deutlich, dass die große Beteili-gung nicht (nur) auf dem Interesse an der documenta beruht, sondern auch auf dem Wunsch nach inhaltli-cher Auseinandersetzung und Vernetzung mit anderen Aktiven. So findet sich eine Gruppe von Lehrerinnen, die sich bereit erklärt, das Thema an ihre Schulen zu bringen, es auszudeuten und inhaltlich zu bearbeiten. Auch die ersten Schritte der Mach-Was-TRäume werden aufmerksam beobachtet, greifen sie doch ganz konkret in das städtische Bild Kassels ein. Die Arbeitsgruppe nimmt Kontakt zu Ämtern und Behör-den auf (≥ # Verhältnis zur Kommune, S. 49), sucht öffent-liche Freiflächen aus und holt sich Hilfe für die Ins-tallation von Markierungen dieser Flächen. Am Rand der Bauarbeiten fragen Anwohnerinnen nach Sinn und Zweck der roten Balken und so entstehen Ge-spräche über die Nutzung der Freiflächen in Kassel. Verstärkt und unterstützt wird dieser Dialog durch die lokale Presse, die die Themen der Projekte aufnimmt und diskutiert.

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Das Leitmotiv Bildung wurde unter verschiedenen Vorzeichen diskutiert: Die informelle Bil-dungspraxis selbstorganisierter Initiativen kam ebenso zur Spra-che wie die aktuelle Situation des formellen Bildungssystems. Einige Beiratsmitglieder aus Schule und Erwachsenenbil-dung widmeten sich dem Thema Migration und Bildung. Sie unter-suchten Mechanismen der Aus-grenzung, die das schulische Bil-dungssystem durch sprachliche und soziale Barrieren schafft. Während der Ausstellungsdauer der documenta 12 errichteten sie im Hof des Kulturzentrums Schlachthof ein Zelt. Sie luden Kasseler Initiativen und Institu-tionen aus dem Bildungsbereich ein, ihre Praxis dort zur Diskus-sion zu stellen. Zweimal wö-chentlich fanden im Bildungszelt Diskussionen, Präsentationen, Vorträge usw. statt. In Zusam-menarbeit mit der Kunstvermitt-lung (≥ Exkurs: Kunstvermittlung, S. 20 und ≥ # Die Schnittstelle zwischen Kunstvermittlung und Projekten, S. 54) wurden Workshops zu den im Schlachthof ausgestellten docu-menta-Werken veranstaltet. Zu-dem fanden Werkstattgespräche mit Künstlerinnen der documen-ta 12 und auswärtigen universi-tären und bildungspolitischen Expertinnen statt. Aktivistinnen des antirassistischen Netzwerks kanak attack produzierten mit Jugendlichen aus Kassel einen Film, in dem die documenta als Bestandteil des Allgemeinwis-sens – als solcher erscheint sie im hessischen «Einbürgerungstest» – zur Diskussion gestellt wurde. Durch die breit gestreu-ten Einladungen beteiligte sich eine Vielzahl von Bildungsin-stitutionen am Programm, die jeweils ganz unterschiedliche

Publikumskreise ansprachen. Dabei waren die aktiv Mitwirken-den zum größten Teil Angehörige der gebildeten (allerdings nicht nur mehrheitsdeutschen) Mit-telschicht. Vom Bildungssystem Ausgegrenzte konnte das Ver-anstaltungsformat jedoch nicht erreichen – was auch von der Ar-beitsgruppe während der Veran-staltungszeit festgestellt und am Ende kritisch diskutiert wurde.3

Den einzelnen Initiativen wur-de ein großer Freiraum zur Ge-staltung ihrer Beiträge gegeben, dennoch sollten die Themen Bildung, Migration und Ausgren-zung die verbindenden Elemente aller Veranstaltungen sein. Auch wenn dieser Zusammenhang nicht durchgehend deutlich he-rausgearbeitet wurde, kann die Veranstaltungsreihe aufgrund der Vielfalt der Inhalte, Forma-te und Perspektiven sowie der breiten Resonanz grundsätzlich als sehr positiv bewertet wer-den. Damit erfüllte sich das Ziel der Arbeitsgruppe, eine Vernet-zung der Aktiven im Kasseler Bildungsbereich und damit eine Ausgangsbasis für zukünftige Initiativen und Kampagnen zu schaffen.

3 Die Frage der Teilnahme und Mit-wirkung am Bildungszelt diskutieren Stephan Fürstenberg und Henrike Plegge in: «Schnittstellen und Verfehlungen». In: Mörsch, Carmen und das Forschungsteam der documenta 12 Vermittlung (Hg.) (2009): Kunstvermittlung 2, Zürich/Berlin: diaphanes, S. 297-308.

Weitere informationen: http://www.bildungszelt.de

ExKuRS: DIE PRojEKTE DES BEIRATS

Ausgehend von den kuratorischen Leitmotiven der documenta 12 entwickelte der Beirat sechs Projekte, die gesellschaftspolitische Zusammenhänge in Kassel thematisierten.

Bildungszelt

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documenta hier mit uns!

Das 2002 entstandene Kasseler Kinder- und Jugendnetzwerk veranstaltet jährlich Aktionsta-ge, in denen die gesellschaftli-che Beteiligung von Kindern und Jugendlichen thematisiert wird. Aktive aus dem Netzwerk arbei-teten im Beirat mit und nutzten diese Mitarbeit für eine inhaltli-che Intensivierung ihrer Aktivitä-ten rund um die documenta 12 sowie für eine bessere institutio-nelle Verschränkung.

Bereits im Jahr 2006 reali-sierten etwa 80 der im Netzwerk engagierten Gruppen unter dem Motto Around the World – Wel-ten im Koffer Aktionen, die an-hand der Metapher des Koffers die documenta 12-Leitfragen nach dem «bloßen Leben» und der Bildung mit Kindern und Jugendlichen bearbeiteten. Im Jahr 2007 richtete das Netz-werk innerhalb des Programms documenta hier mit uns! einen festen Ort für die Beschäfti-gung mit der documenta 12 ein. Die netzWERKstatt, ein La-denraum in der Innenstadt, war während der Dauer der docu-menta geöffnet und bot sowohl Kinder- und Jugendgruppen als auch Einzelpersonen einen Raum und Infrastruktur für ei-gene Aktivitäten. Zudem ermög-lichten projektgebundene «For-scherkarten» rund 250 Kindern und Jugendlichen den freien Ein-tritt in die Ausstellung und regten auf Seiten der Betreuerinnen die Entwicklung eigener Vermitt-lungsformate zur Kunst an.

Unter dem Dach der Netz-werkaktionen kam eine Fülle an Einzelveranstaltungen zustan-de, an der sich Hunderte von Personen beteiligten. Allerdings wurde die netzWERKstatt vor al-lem von Gruppen und Initiativen genutzt, die bereits organisiert waren – Einzelpersonen schie-nen sich durch das Angebot we-niger angesprochen zu fühlen. Dank der Forscherkarten konnte vielen Kindern ein Besuch der

Ausstellung ermöglicht werden, dies forderte allerdings von den Gruppenbetreuerinnen ein ho-hes Maß an Eigeninitiative und Einfallsreichtum, um den Besuch der Ausstellung mit adäquaten Vermittlungsformaten zu ergän-zen und eine qualitativ hochwer-tige Auseinandersetzung mit den Kunstwerken zu ermöglichen. Entsprechend äußerten viele der im Netzwerk Aktiven ein großes Interesse an professionellen Ver-mittlungsmethoden, dem durch die Zusammenarbeit mit der Kunstvermittlung entsprochen werden konnte: In Workshops mit Vermittlerinnen aus dem Kin-der- und Jugendprogramm der documenta 12 sowie mit Exper-tinnen der Medienkulturarbeit wurden Methoden der ästheti-schen Bildung zwischen profes-sionellen Kunstvermittlerinnen und lokalen Pädagoginnen aus-getauscht und vermittelt. Die im Netzwerk engagierten Betreue-rinnen nahmen so Impulse und Anregungen für ihre Arbeit mit zeitgenössischer Kunst auf, die vor allem in der künftigen Arbeit des Netzwerks Früchte tragen werden

Weitere informationen: http://www.kinderjugendkassel.de,

http://www.welten-im-koffer.de, http://www.documenta-hiermituns.de

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ExperimentExkursionen

Seit dem Sommer 2005 setzten sich Studentinnen der Geogra-phie an der Universität Kassel in Theorie und Praxis mit der Methode der Exkursion aus-einander. Sie experimentierten mit dem Format und bereiteten abwechselnd Exkursionen zu Lieblings- oder ungewöhnlichen Orten in Kassel vor. Die Frage nach den sozialen Handlungs-räumen in der Stadt bildete dafür den Ausgangspunkt. Die Kerngruppe der Experiment-Exkursionen arbeitete im Beirat mit, darüber hinaus beteiligten sich weitere Studentinnen im Rahmen von Lehrveranstaltun-gen an den laufenden Aktivitä-ten.

Die Leitmotive der docu-menta 12 nahm die Gruppe zum Anlass, um ihrer Bedeutung an konkreten Orten in Kassel nachzuspüren und sie als Im-puls für eine Reihe von Exkur-sionen zu nutzen, die in einer Publikation dokumentiert wur-den. Während der Laufzeit der documenta 12 konzentrierte sie sich auf die Ausstellung und die Werke selbst: In fünf themati-schen Parcours verband die Gruppe den Ausstellungs- mit dem Stadtraum, versuchte die ästhetische Sensibilisierung der Ausstellungsbesucherinnen auf die Umgebung zu lenken und so neue Perspektiven auf die Stadt zu öffnen. So begann eine Ex-kursion beispielsweise mit der Begehung einer nahe liegenden Justizvollzugsanstalt, um daran die Betrachtung ausgewählter künstlerischer Arbeiten anzu-schließen. Ausgehend davon wurden die Gestalt und die ge-sellschaftspolitische Bedeutung der Institution Haftanstalt disku-tiert.

Zwei Mitglieder der Kern-gruppe waren während der documenta 12 als Kunstver-mittlerinnen tätig. Sie konnten ihre Kenntnisse der Ausstel-lung direkt in die Entwicklung

von Exkursionen fließen lassen. Gleichzeitig entstand dadurch je-doch ein Informationsvorsprung gegenüber dem Rest der Grup-pe, der in der kurzen verfügbaren Zeit nicht ausgeglichen werden konnte – dies umso mehr, als die Kunstvermittlerinnen stark aus-gelastet waren und wenig Zeit für Gruppentreffen blieb. Die fünf Exkursionen zwischen Ausstel-lung und Stadtraum fanden auch aus diesem Grund erst am Ende der Ausstellungszeit statt. Sie waren eher schwach besucht, da sie sich dem Rhythmus des üblicherweise eiligen Ausstel-lungsbesuchs nicht anpassten, sondern mehrere Stunden in An-spruch nahmen. Die Arbeit mit den Teilnehmerinnen empfanden die Organisatorinnen jedoch als sehr anregend, denn es gelang, zwischen den künstlerischen Produktionen und dem hu-mangeographisch analysierten Stadtraum einen Widerhall zu er-zeugen, der über die kunstimma-nente Betrachtung der Ausstel-lungsobjekte weit hinausreichte.

Weitere informationen: gerhardt, andrea/ kirsch, ulrich (hg.)

(2007): «sie können die schuhe ruhig anlassen!» auf Exkursion in

kassel und umgebung, norderstedt.

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Mach-Was-TRäume

Wieso werden viele Grünflä-chen in Kassel eigentlich von niemandem genutzt? Warum sind Freiflächen manchmal eher Barrieren als verbindende Ele-mente des öffentlichen Raums? Wie kann man die ungenutzten Freiflächen stattdessen zu Orten der Begegnung und der Kommu-nikation machen? Diesen Fragen widmete sich eine Arbeitsgruppe des Beirats mit Studentinnen der Architektur und Landschaftspla-nung. Ihr Vorschlag lautete: Die Flächen müssen mit auffälligen Markierungen gekennzeichnet werden. Erst dann werden sie zur Benutzung herausfordern und zu lebendigen Orten des Miteinan-der werden. Die Gruppenmit-glieder markierten fünf über die Stadt verteilte Freiflächen mit roten Balken, die zugleich als Einzäunung und Sitzgelegenheit dienten. In einem zweiten Schritt initiierten sie auf den Freiflä-chen verschiedene Aktionen, kulturelle Veranstaltungen und Mitmach-Angebote, um mit den Anwohnerinnen in Kontakt zu kommen und die gemeinschaft-liche Nutzung der Flächen anzu-regen.

Von Beginn an setzte die Ar-beitsgruppe auf enge Kooperati-on mit den zuständigen Behör-den. So wurde das Garten- und Landschaftsamt der Stadt früh-zeitig in die Planungen einbe-zogen und machte Vorschläge bezüglich der in Frage kommen-den Flächen. Für die Errichtung der Balken holte die Gruppe sich Unterstützung beim Kasseler Qualifizierungsprojekt GaLaMa sowie beim Service Civil Interna-tional, auf dessen Vermittlung hin zehn Jugendliche aus aller Welt beim Aufstellen der Balken hal-fen. Standen bis zur Fertigstel-lung der Markierungen vor allem Fragen der Organisation, Technik und Logistik im Vordergrund, so wurde mit dem Abschluss der Bauphase schnell deutlich, dass die Markierungen allein noch

keinen sozialen Prozess in Gang setzten. Die Arbeitsgruppe such-te sich daher Kooperationspart-nerinnen, die die Flächen durch Angebote und Veranstaltungen belebten. So fanden dort Play-backtheater, Malereikurse, Spie-lenachmittage und ein «Parcours sinnlicher Erlebnisse» statt.

Die Flächen wurden in sehr unterschiedlichem Umfang an-genommen und genutzt. Wäh-rend sich beispielsweise auf einer innerstädtisch gelegenen Fläche zwei Kasseler Künstler niederließen, die mit kuriosen Assemblagen und Installationen die Neugier der Anwohnerinnen weckten und für teilweise hitzi-ge Debatten sorgten, blieb eine andere Fläche leer, vielleicht auch, weil die Anwohnerinnen über private Gärten verfügen. Auf einer dritten Fläche brach zwischen Alkoholikerinnen aus der Nachbarschaft und anderen Anwohnerinnen ein Konflikt um die gewünschte Art der Nutzung aus. Eine weitere Fläche wurde von den politischen Stadtteilver-treterinnen für eine öffentliche Ortsbeiratssitzung genutzt.

Insgesamt zeigte sich, dass der erhoffte Kommunikations- und Begegnungsprozess nicht ohne Weiteres in Gang zu bringen war. Im Zentrum der Zusammen-arbeit mit der Kunstvermittlung, die bei jedem Projekt stattfand, stand daher die Beschäftigung mit Formen der Nutzung des öffentlichen Raums und Me-thoden, sie anzuregen und zu stärken. Die Vermittlerinnen gin-gen dabei von künstlerischen Arbeiten in der Ausstellung aus und ergänzten diese durch einen Filmabend sowie Workshops mit Expertinnen zum Thema Par-tizipation und Aktivierung von Anwohnerinnen im Kontext von Freiraumprojekten. Nach die-sem Intensivkurs in partizipati-ven Planungsmethoden schlug die Arbeitsgruppe der Stadt-verwaltung eine gemeinsame

kontinuierliche Arbeit vor, was jedoch abschlägig beschieden wurde. Die Markierungen der innerstädtisch gelegenen Flä-che wurden nach dem Ende der documenta 12-Ausstellung von der Stadtverwaltung ohne Rück-sprache abgebaut. Eine weitere Fläche räumte die Arbeitsgruppe selbst, da die anwohnenden Kin-der dort Fußball spielen wollten, wobei die Balken sie störten. Eine dritte Fläche ist weiterhin markiert und wird durch soziale Einrichtungen aus der Nachbar-schaft rege genutzt.

Weitere informationen: http://www.mach-was-traeume.de

über das «infosystem Planung» an der universität kassel

(http://www.isp.uni-kassel.de) lässt sich eine Dokumentations-

broschüre beziehen.

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Salon des Refusés

In Kassel haben die tiefgreifen-den Veränderungen der Produk-tions- und Arbeitswelt der letzten dreißig Jahre deutliche Spuren hinterlassen. Gerade hier, wo die metallverarbeitende Industrie traditionell eine große Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung und das Selbstbewusstsein der Stadtbewohner spielte, führte ihr Rückgang zu einem starken Abbau von Arbeitsplätzen. Hohe Arbeitslosenzahlen und die damit verbundene, im Stadtbild deut-lich sichtbare Armut verweisen auf die Krise der Arbeitsgesell-schaft und machen sie zu einer ständigen Begleiterin und (ne-gativen) Identitätsstifterin vieler Stadtbewohnerinnen. Dieser ne-gativen Fixierung auf Erwerbs-arbeit setzte eine Arbeitsgruppe des Beirats ein selbstbewusstes Statement entgegen: Der Salon des Refusés sollte erwerbslosen Menschen den Raum geben, ihre Situation miteinander zu disku-tieren und in ein Verhältnis zur allgegenwärtigen Krise der Ar-beitsgesellschaft zu setzen. Die Initiatorinnen des Projekts waren teilweise selbst erwerbslos. Sie gewannen weitere Erwerbslose, um gemeinsam den Salon mit inhaltsbezogenen Veranstaltun-gen zu füllen und Diskussionen anzustoßen. Als Betreiberinnen des Salons wollten sie selbst als Expertinnen auftreten, zu Veran-staltungen einladen und mit den Gästen der documenta und Bür-gerinnen aus Kassel über Aus-wege aus der Krise diskutieren.

Das Projekt musste mit schwierigen Rahmenbedingun-gen umgehen: Lange Zeit fehlten geeignete Räumlichkeiten, die Akquise von Drittmitteln berei-tete Probleme und die finanziel-le Grundausstattung reichte für das zunächst auf mehrere Mo-nate angelegte Programm nicht aus. Schließlich entwickelten die Betreiberinnen innerhalb weniger Wochen ein vielsei-tiges Angebot in den zentral

gelegenen Räumen des ehe-maligen Polizeipräsidiums: Aus-stellungen, Diskussionsabende, Präsentationen von Künstlerin-nen der documenta, ein Thea-terstück und moderierte Film-abende fanden statt. Zwei Kunstvermittlerinnen der docu-menta boten mehrwöchige Pro-jekte an: «Arbeitslose als Avant-garde», ein Kooperationsprojekt mit Erwerbslosen aus Leipzig, und «Das eigene Leben», in des-sen Verlauf sich eine Gruppe von Erwerbslosen mit künstleri-schen Methoden dem eigenen Alltag widmete. Darüber hinaus nahmen rund 100 erwerbslose Personen an offenen Ausstel-lungsbesuchen teil. Der Salon des Refusés schloss seine Türen mit dem Ende der documenta. Erträumt und erhofft war zwar viel mehr, aber dennoch war der Salon ein Erfolg: Trotz vie-ler Widerstände, Konflikte und Spaltungen in der Gruppe wurde ein Programm mit zahlreichen Kooperationspartnerinnen auf die Beine gestellt, trafen sich Er-werbslose, um sich gegenseitig zu bestärken und zu diskutieren, kamen spannende Veranstaltun-gen und Diskussionen zustande.

Weitere informationen:http://www.salon-des-refuses.

blogspot.com

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Den thematischen Ausgangs-punkt des Projekts Die unsicht-bare Stadt – sichtbar machen bildeten die beiden documenta 12-Leitfragen nach der Moder-ne und dem «bloßen Leben» in Verbindung mit der Frage nach einem möglichen gemeinsamen Horizont der Menschheit. Die lokale Wendung dieser Formu-lierung lautete: Welche ökologi-sche, ökonomische, soziale und politische Bedeutung hat die Ressource Wasser für das heu-tige Leben, wenn sie immer häu-figer – so auch in Kassel – von kommunalem in privates Eigen-tum überführt wird?

Bei einer Auftaktveranstal-tung wurde ein Wettbewerb für Kinder und Jugendliche ausge-schrieben, an dem rund 15 Schul-klassen sowie freie Kinder- und Jugendgruppen teilnahmen. Sie erforschten das lokale Wasser-versorgungssystem, beispiels-weise indem sie den Verlauf des Druselbachs durch die Stadt do-kumentierten oder Vorschläge für eine wasserbewusste Umgestal-tung ihres Schulgeländes formu-lierten. Die Wettbewerbsbeiträge wurden während der Ausstel-lungszeit der documenta 12 in den Räumen der Städtischen Werke AG ausgestellt. Alle Teil-nehmenden wurden mit Eintritts-karten zur documenta prämiert.

Über die Durchführung des Kinder- und Jugendwettbe-werbs hinaus bemühte sich die Arbeitsgruppe um eine Verbrei-terung und Intensivierung der Diskussion um den möglichen Teilverkauf der kommunalen Versorgungseinrichtungen. An-knüpfend an Kampagnen des Kasseler Wasserbündnisses lud die Arbeitsgruppe zu ei-ner öffentlichen Vortrags- und Diskussionsveranstaltung ein, bei der die Privatisierung öf-fentlicher Ressourcen mit den documenta 12-Leitmotiven ver-knüpft wurde. Explizit an po-litisch Aktive richtete sich ein

künstlerischer Workshop, in dem die Teilnehmerinnen ihre Argu-mente gegen die Privatisierung in politische Aktionsformen und neue Darstellungsweisen umar-beiteten. Darüber hinaus nahm die Arbeitsgruppe den Kontakt zur Städtischen Werke AG auf, um die dort laufenden Diskussi-onen über das Thema zu stärken.

Die unsichtbare Stadt – sicht-bar machen bestand also aus zwei verschiedenen Strängen: Der Wettbewerb für Kinder und Jugendliche folgte klaren for-malen Vorgaben, was durch den Rhythmus des Schuljahres und die Interessen, Möglichkeiten und Kapazitäten der beteiligten Lehrerinnen verstärkt wurde. In diesem Rahmen entfalteten sich eine große Eigeninitiative und weit reichende Zusammenarbeit. Es kam zu der ersten schulform-übergreifenden Kooperation in Kassel überhaupt, an der rund 300 Kinder und Jugendliche mit-wirkten und die eine Basis für künftige gemeinsame Aktionen darstellen könnte. Die Anspra-che der politischen Initiativen da-gegen war deutlich offener und ausdrücklich auf Augenhöhe an-gelegt mit dem Ziel, deren Arbeit zu unterstützen und in größerem Rahmen sichtbar zu machen. Damit wurde das Projekt jedoch anfällig für die internen Proble-me, die das Wasserbündnis und andere Initiativen untereinander hatten. Der Widerstand der betei-ligten Initiativen, die eigenen Me-thoden zu hinterfragen, ließ eine Fortsetzung der Zusammenar-beit über die Workshops hinaus wenig sinnvoll erscheinen.

Die Zusammenarbeit mit der Kunstvermittlung kon-zentrierte sich folglich auf die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen. Die Kunstver-mittlerinnen schlossen an deren Entdeckungs- und Forschungs-arbeit an, mit der sie Wasserläu-fe in Kassel kennengelernt und dokumentiert hatten. Diese

Ortsbestimmung sollte mit dem Werk des documenta-Künstlers Allan Sekula verbunden werden, das sich ebenfalls mit dieser The-matik auseinandersetzte, was den Brückenschlag zur künstle-rischen Installation leistete und eine inhaltliche Verschränkung von Beiratsprojekt und Kunst-werk ermöglichte. Dass lediglich eine Schulklasse das Angebot annahm und aus Zeitgründen nach der Hälfte des Workshops abbrach, ist zwar bedauerlich, aber im konkreten Fall nachvoll-ziehbar: Das Angebot wurde erst unmittelbar vor den großen Fe-rien bekanntgegeben. Nach den Ferien standen nur wenige Tage für eine aktive Teilnahme zur Ver-fügung, was spontan nicht mehr zu organisieren war. Daraus folgt, dass Kooperationsprojekte mit formalisierten Partnerinnen, z.  B. Schulklassen, eine länge-re Vorlaufzeit benötigen und die jeweiligen Rahmenbedingungen berücksichtigen müssen. Die in der reduzierten Form ermöglich-te Zusammenarbeit zwischen Schule und Kunstvermittlung kann nichtsdestotrotz als inhalt-lich erfolgversprechender Test-lauf bewertet werden.

Die unsichtbare Stadt – sichtbar machen

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VERSTäNDIGuNGSSchWIERIGKEITENuNDSElBSTBESTIMMTEINFORMATIONSPOlITIK:DERSchRITTINDIEÖFFENTlIchKEIT

Die Nachricht von der Zusammenarbeit zwischen do-cumenta 12 und Schlachthof hat im Frühjahr 2006, lange vor den ersten öffentlichen Veranstaltungen des Beirats, die Runde gemacht. Zum ersten Mal wendet sich eine documenta weit im Vorfeld der Ausstellung dem lokalen Publikum zu. Entsprechend groß ist das Interesse in den Teilen der Stadtgesellschaft, die sich mit der documenta identifizieren – der bürgerlich-kulturinteressierten Szene –, und bei denen, die die Beobachtung der documenta zu ihrer Aufgabe zählen – der Presse. Dieses Interesse ist das größte Kapital des Beirats, denn damit lässt sich eine weit reichende Aufmerksamkeit für wichtige Themen herstellen. Je-doch produziert es auch Konflikte, denn der dadurch erzeugte Druck ist enorm und läuft nicht unbedingt mit den Rhythmen der Aktivitätsentwicklung zusam-men.

Ein knappes dreiviertel Jahr lang sind die Akti-vitäten bezüglich des Beirats nur informell bekannt, das heißt, dass es dazu keine Pressetermine, öffent-liche Verlautbarungen und Namensnennungen gibt. Dies ist dem Wunsch geschuldet, den fragilen sozialen Prozess und die daran Mitwirkenden zu schützen und

zudem der inhaltlichen Auseinandersetzung Vorrang vor Personalfragen einzuräumen. Außerdem ist zu diesem Zeitpunkt keine formale Festlegung des Ko-operationsverhältnisses von Kulturzentrum Schlacht-hof und documenta 12 erfolgt. Erst die entsprechende Vereinbarung bietet die Voraussetzung für eine klare Kommunikation nach außen4.

Diese zurückhaltende Informationspolitik ist An-lass für einen Konflikt mit der lokalen Tageszeitung: Die Aufmerksamkeit der lokalen Presse nimmt seit dem Frühjahr ständig zu und es entspinnt sich im Laufe des Jahres 2006 eine Machtprobe um die Ver-öffentlichung von Informationen über den Beirat. Zwar wird im Sommer eine Sprecherin des Beirats benannt, die für die Pressearbeit zuständig ist und durch die Presseabteilung der documenta 12 unterstützt wird. Da der Beirat jedoch noch im Aufbau und die Projekte im Entstehen begriffen sind, gibt es wenig Konkretes zu berichten. Zudem weigern sich Beiratssprecherin und Presseabteilung, die Liste der Beiratsmitglieder zu veröffentlichen – weil sie einerseits noch nicht 4 Die Vereinbarung war knapp gehalten und hielt ledig-

lich fest, dass das Kulturzentrum Schlachthof räumliche und personelle Ressourcen für den Beirat zur Verfü-gung stellt. Als Ausgleich wurde eine Summe vereinbart, die einer halben Mitarbeiterinnen-Stelle entsprach.

Gelegentlich wird der documenta 12 Beirat für die mangelnde Repräsentativität seiner Zusammensetzung kritisiert, als ob nur ein Gremium, das die Mehrheitsverhältnisse der lokalen Gesellschaft korrekt wiedergibt, das Recht hätte, in Fragen zur documenta seine Stimme zu erheben. Jürgen Stollhans nimmt in der Grafik ironisch Bezug auf diese Anforderung und protokolliert die Zusammensetzung des Beirats im Hinblick auf den Grad des lokalen Wissens, das Alter oder die Konsumtion von Nüsschen während der Sitzungen.

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endgültig festgelegt ist und andererseits der Inhalt und die thematische Auseinandersetzung im Vordergrund stehen sollen, nicht die Personen und ihre Herkunft.

Ein weiterer Konflikt entspinnt sich mit Perso-nen und Vereinigungen des kulturell-bürgerlichen Lebens, denn der Beirat will nicht die Angehörigen der Kulturelite und der Kunstszene ansprechen, sondern Multiplikatorinnen in eher kunstfernen Kreisen: Nachbarschaftsinitiativen, Migrantinnenor-ganisationen, Bildungseinrichtungen etc. Teile der bürgerlich-etablierten Kulturszene sind von dieser Entscheidung überrascht. Ihre symbolische Vorrang-stellung in der Stadtgesellschaft wird von diesem Vorgehen unterlaufen. Sie wenden sich direkt an die documenta 12-Pressestelle und an die Geschäftslei-tung – nicht etwa an die offiziell ernannte Sprecherin des Beirats –, um Informationen über die lokalen Ak-tivitäten zu erhalten. Es zeigt sich darin, dass das eta-blierte Publikum der documenta nicht umstandslos bereit ist, die veränderten Prioritäten der documenta 12 bei der Ansprache des Publikums zu akzeptieren, und dass es diese durch seine spezifisch gegebenen Möglichkeiten der Machtausübung zu beeinflussen sucht (≥ # Aufmerksamkeit und Interessenkonflikte, S. 44).

Angesichts dieser Konflikte wächst der Wunsch des Beirats nach einer selbstbestimmten Infor-mationspolitik, in der sich die eigenen Inhalte und Prioritäten spiegeln. Ein Element davon ist die fil-mische Dokumentation der Beiratsprojekte durch ein Team von Frankfurter Filmemachern mit Studen-tinnen der Kasseler Kunsthochschule. Die Filmclips werden als Selbstdokumentation verstanden, die von den Motiven und Ansichten der Beiratsmitglieder ge-leitet sein soll. Ein weiterer Baustein ist die umfang-reiche Beschreibung des Beirats für das dritte – dem Leitmotiv Bildung gewidmete – Heft der documenta 12 magazines durch ein Mitglied des Beirats. Schließlich schafft der documenta 12-Künstler Jürgen Stollhans Illustrationen, die einen eigenständigen ästhetischen Kommentar zur Arbeit der lokalen Verankerung

darstellen und die Buch- und Magazinbeiträge des Beirats ergänzen.

Die selbstbestimmte Darstellung der eigenen Arbeit nach außen ist auch unter dem Aspekt der Multiplikation wichtig: Wenn es das Ziel der Beirats-arbeit ist, heterogene gesellschaftliche Kreise zu er-reichen, dann spielen die Beiratsmitglieder und ihre individuelle Reichweite eine zentrale Rolle. Denn mit Pressearbeit ist nur ein bestimmter Teil der Stadtöf-fentlichkeit zu erreichen, und zwar derjenige, den die documenta durch ihre Präsenz in den Medien ohnehin anzusprechen in der Lage ist. Die persönliche Weiter-gabe der eigenen Auseinandersetzung mit den Leit-motiven und ihrer Bedeutung für Kassel durch die Bei-ratsmitglieder ist daher von zentraler Bedeutung, um Personen außerhalb der üblichen Kreise zu erreichen. Diese Art der Kommunikation gelingt jedoch nicht ohne Weiteres: Da dem Beirat von der künstlerischen Lei-tung viele interne Informationen anvertraut werden (wie beispielsweise die Namen der beteiligten Künst-lerinnen), vermeiden es viele Beiratsmitglieder, in Ge-sprächen außerhalb des Kreises ihr Engagement im Beirat zu thematisieren. Auf diese Weise kommen sie nicht in die schwierige Situation, zwischen vertrau-lichen und öffentlichen Informationen abwägen zu müssen und dabei eventuell zu viel preiszugeben. So entsteht die paradoxe Situation, dass gerade aufgrund des großen Vertrauensvorschusses die Be-kanntmachung der Beiratsprojekte in neuen gesell-schaftlichen Kreisen schleppend vorangeht.

Dies sind die einzigen Gruppenbilder des Beirats. Bis zur Eröffnung der Ausstellung gab es weder Gruppenfotos noch eine Liste der Mitglieder, was in der lokalen Presse einige Frustration erzeugte. Statt die Personen des Beirats in den Vordergrund zu stellen, waren die Beiratsprojekte mit ihren Inhalten und Themen präsent und wurden offensiv in der Öffentlichkeit bekanntgemacht.

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ZuSAMMENARBEITDERORGANISATIONSFORMEN:BEIRAT,MAGAZINEuNDKuNSTVERMITTluNG

Um die documenta 12 zu einer Ausstellung mit ge-sellschaftspolitischem Potential zu machen, wird sie von Beginn an auf mehreren Ebenen der Ansprache und Auseinandersetzung konzipiert: mit dem docu-menta 12 Beirat auf der lokalen Ebene, den docu-menta 12 magazines im internationalen Diskurs und der Kunstvermittlung während des Ausstellungszeit-raums selbst. Während der Beirat lokale Akteurinnen aufspüren, für die Leitfragen interessieren und aktivie-ren soll, arbeitet das magazines-Projekt auf globaler Ebene an der Vernetzung von rund 90 kunstrelevanten Publikationen aus unterschiedlichen geopolitischen Regionen. Alle ausgewählten Redaktionen werden eingeladen, die Leitfragen auf ihre jeweiligen politi-schen und kulturellen Fragestellungen hin zu bearbei-ten und diese Auseinandersetzung sowohl in ihrem eigenen Medium zu veröffentlichen als auch dem internationalen Netzwerk zur Verfügung zu stellen. Das dabei entstehende umfangreiche Textarchiv wird der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zusätzlich wird während der Ausstellungszeit eine Auswahl von Re-dakteurinnen der magazines nach Kassel eingeladen, um ihre Arbeit zu präsentieren, mit dem Publikum zu diskutieren und sich untereinander kennenzulernen.

Der Kunstvermittlung wird im Rahmen der docu-menta 12 eine im deutschsprachigen Raum bisher unübliche Wertschätzung entgegengebracht. Die künstlerische Leitung geht davon aus, dass sich zeit-genössische Kunst nur begrenzt von selbst erklärt, weshalb eine kompetente Kunstvermittlung unab-dingbar für den oft eingeforderten, aber selten einge-lösten Bildungsanspruch der Kunstrezeption sei. Die für die Kunstvermittlung verantwortlichen Personen vertreten einen progressiven kunstpädagogischen Ansatz: Die 70 Kunstvermittlerinnen sollen nicht als Expertinnen auftreten, die den Werken festgelegte Bedeutungen zuschreiben und deren Lesart vorge-ben. Vielmehr sollen sie als moderierende Instanz die Auseinandersetzung mit der Kunst anregen und die Besucherinnen dazu ermutigen, eigene Beziehungen zwischen sich und den Werken herzustellen. Es ist ein erklärtes Anliegen der Kunstvermittlung, mit lokalen Publika in Kontakt zu kommen, daraus experimentelle Vermittlungsformen zu entwickeln und das loka-le Wissen in die Ausstellung zurückfließen zu las-sen. Beispielsweise entwerfen die Kunstvermitt-lerinnen außerhalb ihrer Führungstätigkeit eigene Vermittlungsprojekte5, die sich an Gruppen mit 5 Vgl. dazu Exkurs: Kunstvermittlung, S. 20 und Wieczorek, Wanda/

Hummel, Claudia/ Schötker, Ulrich/Güleç, Ayse/Parzefall Sonja (Hg.) (2009): «Projekte der Kunstvermittlung». In: Kunstvermittlung 1. Arbeit mit dem Publikum, Öffnung der Institution. Formate und Methoden der Kunstvermittlung auf der documenta 12. Institute for Art Education (IAE), Zürich/Berlin: diaphanes, S. 111-131. Sowie die Darstellung auf der Webseite der documenta 12 unter http://archiv.documenta.de/758.html (letzter Zugriff: 01.04.2012)

spezifischen Interessen und Wissenshintergrund rich-ten – von Teppichliebhaberinnen über stillende Mütter bis hin zu Menschen, die beruflich mit dem Tod be-schäftigt sind.

Hier ergeben sich schnell Schnittstellen und Koope-rationsmöglichkeiten mit dem Beirat. So unterstützt und berät beispielsweise die Sprecherin des Beirats die Kunstvermittlerinnen bei der Entwicklung ihrer Projek-te und vermittelt ihnen zudem Kontakte zu Kasseler Einrichtungen und möglichen Teilnehmerinnen.

Während der 100 Ausstellungstage sollen die drei Or-ganisationsformen einen eigenen Raum erhalten, um sich zu präsentieren und untereinander sowie mit dem Publikum in Kontakt zu kommen. Dieser Ort der Kom-munikation und der Begegnung entsteht im Foyer und in den oberen Räumen der documenta-Halle am Friedrichsplatz. Damit platzieren sich die Organisati-onsformen innerhalb eines der Ausstellungsgebäude, also innerhalb der äußerlich wahrgenommenen Struk-tur der documenta 12.

In der Konzeption der sogenannten documenta 12 Halle wird die lokale Perspektive von Anfang an mitgedacht. So öffnet sich die Halle beispielsweise der regelmäßigen Nutzung vor allem durch das Kas-seler Publikum, da sie ohne Ausstellungsticket, also kostenlos, zugänglich ist. Jedoch bindet die Betreu-ung des Programms in der Halle die Kapazitäten einer Beiratskoordinatorin zeitweise fast vollständig. Damit ist kaum noch ausreichend personelle Ausstattung vorhanden, um die anfallenden Aufgaben der Bei-ratskoordination von der Projektberatung über die Moderation bis hin zur Pressebetreuung bewältigen zu können. So bleiben gute Ideen auf der Strecke, weil die Kapazitäten zu ihrer Umsetzung fehlen.

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Kunstvermittlung ist so alt wie die Institutionen, in denen Kunst ausgestellt wird. Schon in den ersten Museen gab es Perso-nen, die den Besucherinnen die Ausstellungsstücke erklärten. Das Sprechen über die Kunst-werke und Museumsstücke war dabei seit jeher mit bestimmten Bildungsabsichten verbunden. So wurde zum Beispiel das bei kolonialen Eroberungsaktivitäten entwendete Kulturgut anderer Länder dem Publikum als recht-mäßiges Eigentum der eigenen Nation vermittelt, das ihre Größe und wirtschaftliche Stärke be-wies. Oder es wurden Bilder für ein proletarisches Publikum auf eine Art und Weise interpretiert, dass sich bürgerliche Ideale von der richtigen Lebensführung an die Zuhörerinnenschaft trans-portierten.

Schon im 18. Jahrhundert entstand ein Streit darüber, wer zu den Museen Zugang ha-ben sollte und wer nicht. Dem Wunsch, möglichst viele (als bedürftig definierte) Personen in bildender Absicht mit dem Muse-um in Kontakt zu bringen, stand das Interesse entgegen, diesen Raum möglichst für eine ausge-wählte Elite begrenzt zu halten und die darin befindlichen Werke vor vermeintlichem Missbrauch und Zerstörung zu schützen. Es entstanden klare Benimmregeln für den Aufenthalt im Museum, die teilweise sogar in Regelwer-ken verschriftlicht und so an die Besucherinnen weitergegeben wurden. Heute sind diese so stark eingeübt, dass das Pub-likum in aller Regel auch ohne Gebrauchsanweisung weiß, wie es sich im Museum zu verhalten hat. Spätestens in den 1970er Jah-ren entwickelte die Kunstver-mittlung ein kritisches Selbstbe-wusstsein. Sie begann ihre Rolle als Transportmittel für die Inhalte und Verhaltensregeln, die von der Leitung der Ausstellungshäuser

als «wahr» und richtig erachtet wurden, zu hinterfragen und sich zu dem, was jeweils zu vermit-teln sei, eigenständig zu positi-onieren. Anstatt dem Publikum Erklärungen zu liefern, die die-ses widerspruchslos annehmen sollte, wurde mit ihm gemein-sam das Ausgestellte diskutiert und die Interessen, die es in die Ausstellung hineinbrachte, aktiv einbezogen. Dies war verbun-den mit Diskussionen in der Er-ziehungswissenschaft, in denen die aktive Rolle von Lernenden bei der Konstruktion von Wissen immer stärker betont wurde.

Heute sehen die Kunstver-mittlerinnen zunehmend ihre Aufgabe darin, die Kunst einem qualitativ weiteren Publikum zu-gänglich zu machen, nicht zu-letzt aufgrund der Kritik an den Ausschlussmechanismen des Kunstfeldes und seiner Instituti-onen. In diesem Sinne erweitern sie auch ihr methodisches Inst-rumentarium: Neben Führungen und Ausstellungsgespräche treten Workshops und andere handlungsorientierte Aktivitäten, die weit über den Museumsraum hinausreichen. Künstlerinnen werden selbst in der Vermitt-lung aktiv. Zuweilen erweitern die von der Vermittlung entwi-ckelten Formate die Institution in dem Sinne, dass sie von der reinen Ausstellungsinstitution zum Bildungszentrum, zum Treff-punkt im Bezirk und zu einem Knotenpunkt im Netzwerk loka-ler Akteurinnen wird.

Die Kunstvermittlung auf der documenta 12 knüpfte an diese Traditionen an. Sie favorisier-te den Dialog und die Debatte mit dem Publikum gegenüber der monologischen Weiterga-be autorisierten Wissens. Sie versuchte, die Vermittlung nicht mit einem einheitlichen me-thodischen Label zu versehen, sondern bestärkte die einzel-nen Vermittlerinnen, eigene methodische und inhaltliche

Zugänge zur Ausstellung zu entwickeln. Durch Projekte mit verschiedenen Öffentlichkeiten, die sonst möglicherweise nicht in die Ausstellung gekommen wären und an deren Wissen die Vermittlerinnen ein Interesse hat-ten, wurde das Publikum qualita-tiv erweitert. Mit Kinder- und Ju-gendprojekten sowie Workshops mit dem erwachsenen Publikum wurden Formate erprobt, die über das Ausstellungsgespräch hinausgingen und in denen zu-weilen Künstlerinnen der Aus-stellung mitwirkten. Dazu kam die Kooperation mit den Beirats-projekten. Dabei befand sich die Vermittlung der documenta 12 in einem Spannungsfeld zwischen der mit dieser Tätigkeit verbun-denen erwarteten Dienstleistung und dem Versuch, Kunstvermitt-lung ein weiteres Mal als kri-tisch-konstruktive, die Institution hinterfragende und gleichzeitig erweiternde Praxis zu verwirkli-chen.

ExKuRS: KuNSTVERMITTLuNG

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100TAGEPRäSENZ,1000WEGE,DIEDOcuMENTAZuNuTZEN:KulMINATION

Am 16. Juni fällt der Startschuss für die documenta 12. Für 100 Tage öffnet die Ausstellung ihre Pforten. Tatsächlich setzt mit dem Ausstellungsbeginn der so-genannte documenta-Effekt ein: Überall in der Stadt entstehen (unabhängig von den Beiratsprojekten) In-itiativen und ergänzende Angebote, die sich auf die Ausstellung beziehen. Das «Stadtprogramm zur do-cumenta 12», eine vom Kasseler Kulturamt heraus-gegebene Broschüre, bündelt Hunderte Angebote und Veranstaltungen, die anlässlich der documenta 12 entwickelt wurden, und zeigt eine beachtlich weit gestreute lokale Aktivität. So beispielsweise das Open-Air-Internetcafe Palmenhain 2.0, das Kunst-Musikclub-Festival Bürgerstolz & Stadtfrieden oder die documenta-Woche an der Universität mit eigenem Veranstaltungsprogramm.

Besonders die 1001 chinesischen Bürgerinnen, die im Rahmen der künstlerischen Arbeit Fairytales von Ai Wei Wei Kassel besuchen, reizen die Kas-selerinnen spontan zu Tatendrang: So melden sich bei der documenta mehrere Privatpersonen, die die Gäste beherbergen und bekochen möchten, ein Ki-oskbesitzer lässt seine Speisekarte ins Chinesische übersetzen, ein Fußballspiel Nordstadt–China wird organisiert und Kasseler Bürgerinnen spenden rund 200 Fahrräder für die Gäste.

Zur Eröffnung der Ausstellung ruft der Beirat die Aktion 1+1 ins Leben, um möglichst vielen Bevöl-kerungsgruppen unabhängig vom Einkommen den Zugang zur Ausstellung zu ermöglichen: Die Besu-cherinnen der Ausstellung werden aufgefordert, eine zusätzliche Eintrittskarte zu kaufen und zu spenden, damit sie an soziale Einrichtungen in Kassel weiter-gegeben werden kann. Im Rahmen der Aktion 1+1 werden gut 350 Eintrittskarten gespendet, über 20 lokale Einrichtungen profitieren von dieser Initiative und besuchen mit ihren Nutzerinnen die Ausstellung.

Nachdem der Beirat bereits lange in der lokalen Öffentlichkeit gearbeitet hat, beginnt mit der Aus-stellungseröffnung die endgültige Umsetzung aller Projekte: Die unsichtbare Stadt – sichtbar machen eröffnet eine umfangreiche Präsentation der Wett-bewerbsbeiträge, das Bildungszelt veranstaltet zum Auftakt eine Diskussion zum Zusammenhang von Mi-gration und Bildungschancen, die NetzWerkStatt des Kinder- und Jugendnetzwerks nimmt den Betrieb auf und auch die ExperimentExkursionen und die Mach-Was-TRäume intensivieren ihre bisherige Arbeit. Nun mischen sich bei den Veranstaltungen des Beirats documenta-Besucherinnen von außerhalb unter das vorwiegend aus Kassel kommende Publikum.

Auch in der documenta-Halle beginnt das Programm der drei Organisationsformen magazines, Beirat und Kunstvermittlung. Täglich zur Mittagszeit findet eine Lunch Lecture statt, d. h. eine Diskussion, ein Vortrag,

eine Präsentation usw., die von einer der drei Organi-sationsformen bestritten wird. Das Programm dieser Lunch Lectures wird nach und nach zusammenge-stellt, um eine laufende Fortentwicklung des Formats zu ermöglichen, zu einem experimentellen Umgang damit zu ermutigen und auf aktuelle Ereignisse re-agieren zu können.

Für den Beirat sind die Lunch Lectures eine will-kommene Gelegenheit, die lokale Arbeit im Kontext der Ausstellung sichtbar zu machen. Gleichzeitig stel-len die Veranstaltungen jedoch eine neue Herausfor-derung dar: Ihr Programm muss zusätzlich zu den lau-fenden Projekten entwickelt werden. Auch zwingen sie den Beirat dazu, sich selbst aus der Perspektive einer zugereisten Ausstellungsbesucherin zu betrach-ten, obwohl diese Besucherin bislang nicht als Ad-ressatin der Projekte gedacht war – dies war vielmehr das lokale Publikum. Außerdem treffen in der docu-menta-Halle die drei Organisationsformen erstmalig zusammen und sollen dem Anspruch eines inhaltlich durch die Leitmotive motivierten Beteiligungsprojekts zwischen diversen – durch die magazines auch inter-nationalen – lokalen Öffentlichkeiten, der Ausstellung und dem breiten Publikum genügen.

Die Erfüllung dieses Wunsches gestaltet sich als schwierig: Einerseits sind bei allen Organisationsfor-men die Kapazitäten für eine intensive inhaltliche Zu-sammenarbeit zu knapp. Andererseits sind die einge-ladenen Redakteurinnen des magazines-Netzwerks, die einen wesentlichen Bestandteil des Programms ausmachen, nur recht kurz vor Ort und widmen ihre Präsenz in der Halle vornehmlich repräsentativen und vom Publikum unabhängig vorzubereitenden Darstel-lungsformen. So spalten sich die Lunch Lectures ten-denziell in zwei Fraktionen: Auf der einen Seite Kunst-vermittlung und Beirat, die sich um Integration des Publikums durch offene Formate und die Bearbeitung der Themen im Kasseler Zusammenhang bemühen, auf der anderen Seite stark am Kunstdiskurs orientier-te Vorträge und Diskussionen, die oft frontal einen auf die Fachwelt ausgerichteten Anspruch verfolgen. So bleibt die Halle zwar der gemeinsame Raum, jedoch vor allem in formaler Hinsicht und lediglich punktuell als gelingendes Zusammenspiel.

Während der Ausstellungszeit erfordert die Umset-zung der eigenen Projekte von den Beiratsmitgliedern viel Zeit und Energie. Darüber hinaus nehmen sie an den Aktivitäten der anderen Beiratsprojekte teil, be-suchen die Ausstellung und lernen die Kunstvermitt-lerinnen und die internationalen Gäste der documenta 12 magazines in einem wöchentlichen Jour Fixe im Schlachthof kennen. Diese zahlreichen Gelegenhei-ten zur Begegnung ersetzen in dieser Zeit die bis dahin regelmäßigen Beiratstreffen. Ohne diese Tref-fen gelingt es dem Beirat allerdings nicht, die Ausei-nandersetzung mit der Kunst als Gruppe fortzuführen und die Ausstellung als Raum des lokal bezogenen Lernens und des politischen Handelns zu entwickeln

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Bildungszelt

Mach-Was-TRäume

Experiment Exkursionen

Die unsichtbare Stadt - sichtbar machen

Salon des Refusés

documenta hier mit uns!

Städtische Werke AG10 Schulklassen

KindertagesstättenUmwelt- und Jugendverbände

...

Jugendzentren, Universität, Schreibwerkstatt, Reformschule, Erzählcafé, Jugend-Werkstätten,

Lesungen, Exkursionen, Elementarbildung, Aktive Eltern,

Rundfunk, Medienpädagogik, Schulamt

...

Universität/ Humangeografie, lose Gruppe von

StudentInnen verschiedener

Fachrichtungen...

Erwerbslose, Erwerbstätige und prekär Beschäftigte aus Kassel

und der Region, Gäste...

5 Mach-Was-Flächen im Kasseler Stadtraum, Plan

T, Projekt Purpur, SCI, GaLaMa, Umwelt- und Gar-

tenamt, GWG ...

Kinder- und Jugend-netzwerk mit über 80 Institutionen, freien

Gruppen und Aktiven, z.B. Jugendring, Mäd-chenhaus, Ideenwerk-statt, Spielhaus, Schul-klassen, Radioprojekte

...

Kulturzentrum Schlachthof

Die Aktivitäten des documenta 12 Beirat und der Kunstvermittlung werden gefördert durch die Bundeszentrale für politische Bildung, die Heinrich-Böll-Stiftung und den Fonds Soziokultur

KünstlerInnen-ProjekteRicardo Basbaum und die Lehrlinge

der Ausbildungswerkstatt von Thyssen-Krupp ExperSite

Danica Dakic und Jugendliche aus dem Hephata Wohnheim und dem Ju-

gendzentrum SchlachthofJürgen Stollhans

Kirill Preobrazhenskiy...

Bildung, Wissen, Weißsein

Aktivitäten des documenta 12 Beirat und der Kunstvermittlung

Aktivitäten des BeiratsVermittlungsprojekte mit lokalen Publika Institutionen/ Gruppen assoziierte Personen

Deutsch Wissen

Knotenpunkte

Arbeitslose als Avantgarde

Das eigene Leben

Oral History

Verstecktes Theater

Sprachlos?

Wissen aus nationalen Zwischenräumen

Stadtgespenster

Queerer Aktivismus und künstlerische Strategien

Sprechen über Kunst

Sprechen und Stillen

Brücken schlagen

KörperbilderVom Umgang mit dem bloßen Leben

Nationale Identität

Selbstbildung durch ästhetische Erfahrung

Der Körper als Medium der Kunsterfahrung

Sehen am Rande des Zufalls

au

shecken

(≥ # Die Beiratsmitglieder als Vermittlerinnen im Ausstellungs-raum?, S. 56). Erst am letzten Tag besucht der Beirat gemeinsam die Ausstellung und allen ist klar, dass dies bereits am Anfang hätte geschehen müssen.

Die Zusammenarbeit zwischen Beiratsmitgliedern und Kunstvermittlerinnen wird mit Eröffnung der Aus-stellung systematisch ausgebaut (≥ # Die Schnittstelle zwischen Kunstvermittlung und Projekten, S. 54). Aus dem Team der Kunstvermittlung werden zwölf Personen eingeladen, sich den sechs Beiratsprojekten anzu-schließen, ihre fachlichen Perspektiven und Kennt-nisse der ausgestellten künstlerischen Positionen einzubringen und eine Rückbindung der Projekte an die Ausstellung zu unterstützen. Die Bereitschaft

der Kunstvermittlerinnen zu einer solchermaßen in-tensiven Zusammenarbeit ist groß, wird doch ihr Ar-beitsalltag bei der documenta von Gruppenführungen dominiert, in denen sie den Austausch über Kunst je-des Mal von neuem herstellen müssen und auf keine gemeinsam geschaffene Kommunikationsbasis zu-rückgreifen können. Gleichzeitig ist die verbleiben-de Zeit knapp und es bleiben wenige Spielräume für vorsichtige Annäherung und ausführliches Kennenler-nen. Rasch arbeiten sich die Kunstvermittlerinnen in die jeweiligen Themengebiete ein und entwickeln mit den Arbeitsgruppen Ideen für Vermittlungsformate. Diese Formate sollen inhaltliche Verbindungen zwi-schen den einzelnen Projekten und der Ausstellung schaffen und gestalten sich nach den jeweiligen

Die Projekte des Beirats dehnen sich in diverse soziale Sphären der Stadtgesellschaft aus. Ausgangspunkt sind die Arbeitsgruppen der Projek-te, die mit einer Vielzahl von Einrichtungen und Einzelpersonen in Kassel kooperieren. Auch mit den anderen Bereichen der Kunstvermittlung der documenta 12 existiert eine enge Zusammenarbeit. Dieses Schaubild hing mit erläuternden Texten während der Ausstellungszeit in der documenta-Halle , um die vielfältigen Aktivitäten des Beirats darzustellen.

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Bedürfnissen der Projekte sehr verschieden (zu den Formaten der Zusammenarbeit ≥ Exkurs: Die Projekte des Beirats, S. 11). Zusätzlich zur Durchführung oder Organisation dieser Formate unterstützen die Kunst-vermittlerinnen das Programm der Lunch Lectures, in-dem sie fachliche Impulse geben, die Veranstaltungen mit planen, moderieren und mit diskutieren.Die von außerhalb kommenden Besucherinnen der documenta erfahren von den Aktivitäten des Beirats durch die Veröffentlichungen des documenta-Be-gleitprogramms. Darin werden neben Kinoprogramm, Lunch Lectures und anderen Veranstaltungen in der documenta-Halle auch die verschiedenen über den Stadtraum verteilten Gespräche, Aktionen, Diskus-sionen und Begegnungen der Beiratsprojekte ange-kündigt. So werden diese vorrangig an die Bewoh-nerinnen Kassels gerichteten Veranstaltungen auch von externen Besucherinnen wahrgenommen, sie machen etwa 10 bis 20 Prozent des Publikums aus.

Auch die lokale Presse begleitet und kommentiert die Aktivitäten rege und beteiligt sich an den Diskus-sionen über die vom Beirat aufgebrachten Themen. Die Darstellung der documenta 12 in der überregio-nalen Presse fällt insgesamt eher negativ aus. Dort findet der Beirat wenig Beachtung, hier stehen die Künstlerinnen, die Kunstwerke und vor allem die recht kritisch beurteilte kuratorische Konzeption der Aus-stellung im Mittelpunkt. Einige Fachpublikationen aus dem Kunstbereich porträtieren den Beirat allerdings als eine neue Form der Verbindung von Ausstellung und Publikum, sie gehen dabei weniger auf die spe-zifischen Themen ein. In diesem Sinne erfüllt sich das Anliegen des Beirats, das Gespräch zu wichtigen ge-sellschaftspolitischen Fragen vor Ort zu beleben und vor allem in und für Kassel wirksam zu werden.

Am 23. September 2007 schließt die documenta 12 ihre Pforten. Und mit ihr sind auch die Aktivitäten des Beirats in ihrer bisherigen Form beendet. Die Beirats-gruppe trifft sich erst im Spätherbst wieder, um ihre Erfahrungen der letzten beiden Jahre zu diskutieren. Positives Feedback und problematische Aspekte werden gleichermaßen benannt, dabei steht jedoch eines außer Frage: Der Beirat hat seine Arbeit eigent-lich erst begonnen (≥ # Aufwand, Kraft und Verausgabung, S. 45). Alle wünschen sich eine Fortführung des Pro-zesses auch ohne documenta 12 und unabhängig von den Zielen der künstlerischen Leitung der nächsten Ausstellung. Allen ist bewusst, dass die geleistete Ar-beit für Kassel und für sie selbst wesentlich ist und fortgeführt werden sollte – als Beirat, als lose Gruppe oder in einer ganz neuen Organisationsform.

Diesen Impuls nehmen die Autorinnen dieses Leitfadens auf. Sie führen Gespräche mit den Bei-ratsmitgliedern, werten Sitzungsprotokolle, Texte und das Dokumentationsmaterial der Beiratspro-jekte aus. Die gewonnenen Erkenntnisse fließen in diese Publikation ein und werden auf diese Weise für andere Zusammenhänge als Wissen verfügbar.

Daneben hat der Beirat ein Netz neuer Kontakte und Verbindungen über die Stadt gelegt. Sie werden meist informell wirksam, indem Personen, die sich vormals nicht kannten, aufeinander und auf geteilte Interessen Bezug nehmen. Und er hat eine andere Beziehung zwischen der «Weltkunstausstellung» und der Stadt Kassel geübt.

Damit lässt sich ein wesentliches Dilemma jedoch nicht lösen: Der Beirat als Organisationsform der do-cumenta 12 existiert formal nicht mehr. Weder können die personelle und finanzielle Unterstützung weiter aufrecht erhalten werden noch ist der symbolische Zusammenhalt durch die documenta gegeben. Da-mit die Wirkungen der Beiratsarbeit deutlicher zutage treten, benötigen sie Verstärkung: die Aufnahme und Pflege der Kontakte durch weitere documenta-Aus-stellungen und durch die ständig präsente documenta GmbH sowie die Unterstützung von Seiten der Stadt-verwaltung für die im Beirat praktizierten alternativen und ergänzenden politischen Partizipations- und Ar-tikulationsformen. Trotz der wiederholt geäußerten Anerkennung der Arbeit des Beirats hat sich bislang jedoch keine der Institutionen zu einer längerfristigen Partnerschaft entschlossen und dem Beirat ein Ange-bot zur Zusammenarbeit gemacht.

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ExKuRS: PRäSENTATIoNEN, GESPRäCHE uND KooPERATIoNEN MIT KÜNSTLERINNEN DER DoCuMENTA 12

Seit der zweiten Sitzung präsentierten ausgewählte Künstlerinnen der documenta 12 ihre Arbeitsweise so-wie Ideen oder konkrete Projekte für die Ausstellung im Beirat. Einige brachten ein ausdrückliches Interesse an der lokalen Anbindung ihrer Arbeit mit. Deren Projektvorschläge diskutierte und beriet die Beiratsgruppe im Hinblick auf die lokale Verankerung. In der Folge entstanden daraus vertiefte Formen der Zusammenar-beit mit Beiratsmitgliedern und weiteren Kasselerinnen, die folgend kurz beschrieben werden.

Ricardo Basbaum: Would you like to participate in an artistic experience?

Der brasilianische Künstler Ri-cardo Basbaum erweiterte für die documenta 12 seine konzeptuell angelegte Arbeit Would you like to participate in an artistic expe-rience?. Seit 1994 zirkuliert ein eigentümlich geformtes Stahlob-jekt durch Privathaushalte in Bra-silien und fordert die jeweiligen Patinnen dazu auf, sich in ihrem Alltag mit seiner Präsenz ausei-nanderzusetzen. Die Patinnen dokumentieren diese temporäre «Wohngemeinschaft» und tragen damit zu einem wachsenden Ar-chiv von Geschichten und Fotos bei. Für die documenta 12 wurde das Projekt um 20 neue Objekte ergänzt, wovon zehn in Europa – ausgehend von Kassel – und zehn in Südamerika auf die Reise gingen. Nachdem Ricardo Bas-baum seinen Projektvorschlag im Beirat präsentiert hatte, stellte ein Beiratsmitglied den Kontakt zu einer Ausbildungswerkstatt in Kassel her, und die 20 Objekte wurden dort von den Lehrlin-gen gefertigt. Zugleich wurde die künstlerische Intention des Projekts an die Lehrlinge vermit-telt. Die Zirkulation der Objekte nahm dann vom Kulturzentrum Schlachthof ihren Beginn und wurde von dort aus begleitet und betreut. In den folgenden Mona-ten nahmen mehrere Beiratsmit-glieder und zahlreiche Kasse-lerinnen an Basbaums Projekt teil, indem sie eines der Objekte bei sich zu Hause aufnahmen oder es in ihre Arbeitsstelle mitbrachten und neue Nutzun-gen dafür ersannen. Insgesamt

erreichte die documenta 12 über diese Objekte eine große Zahl von Privatpersonen, die ihre persönlichen Erfahrungen mit der Kunst in einem öffent-lich zugänglichen Online-Archiv dokumentierten, das auch nach dem Ende der documenta 12 zugänglich ist und den Weg der Objekte weiter fortschreibt (http://www.nbp.pro.br).

Danica Dakić: El Dorado

Danica Dakić verband für ihren Projektvorschlag für die docu-menta 12 den Themenbereich von Heimat und Zugehörigkeit, Migration und Entfremdung mit dem Erfahrungsspektrum Ju-gendlicher und platzierte bei-des in das bildnerische Material der Panoramatapete El Dorado (1849), die zur Sammlung des Deutschen Tapetenmuseums in Kassel gehört. Als erster Schritt wurden über den Beirat Jugend-liche für eine Zusammenarbeit mit der Künstlerin gewonnen. Dakić präsentierte ihnen ihre Projektidee und vereinbarte Ter-mine für Film- und Tonaufnah-men. Bei diesen Terminen und im laufenden Kontakt zu den Jugendlichen wurde sie wieder-um unterstützt vom Beirat und dem Team der documenta. Der dabei entstandene Film porträ-tierte die jungen Menschen und thematisierte ihre Erfahrungen mit Flucht, Vertreibung und Neu-beginn, sprach von Ängsten und dem Mut, sich dem Leben in einem neuen Land zu stellen. Im Tapetenmuseum selbst waren während der Ausstellungszeit

Soundcollagen mit den Stimmen der Jugendlichen zu hören, die sich in die ausgestellten Tape-ten und die darauf abgebildeten Landschaften mischten und die-se kommentierten.

Kirill Preobrazhenskiy: Tram 4 Inner Voice Radio

Die Zusammenarbeit mit dem russischen Künstler Kirill Preob-razhenskiy kam im Frühjahr 2007 zustande, als Beiratsmitglieder mit dem Künstler die Kasseler Situation der russischen Spät-aussiedlerinnen und Einwande-rinnen diskutierten. Sie brach-ten den Künstler in Kontakt mit einigen jungen russischen Migrantinnen, mit deren Unter-stützung er die Stadt erkunde-te. Nach seinen Recherchen zur Situation der russischen und deutschrussischen Bewohnerin-nen handelte es sich um einen äußert fragmentierten Bevölke-rungsteil, in dem religiöse, so-ziale und generationsbezogene Unterschiede die Verbindung durch die gemeinsame Herkunft meist überlagerten. Als einzigen verbindenden Nenner neben der russischen Sprache iden-tifizierte Preobrazhenskiy die Erfahrung der Migration, die in dem Motiv des Gesprächs von Reisenden in einem Zug eine Entsprechung in der russischen Literatur besitzt. Preobrazhens-kiy führte daraufhin Interviews und Gespräche mit Personen mit Migrationserfahrungen aus Kassel und installierte Tonauf-nahmen davon in Straßenbah-nen. Während die Fahrgäste die südwestlichen Quartiere

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durchquerten, durch die Innen-stadt und bis in den Nordosten fuhren, konnten sie per Kopfhö-rer den Erzählungen folgen und ihrerseits zu Reisenden werden durch eine kontrastreiche Land-schaft der Lebensräume von Migrantinnen in Kassel.

jürgen Stollhans: Caput mortuum und Vorwärts auf der deutschen Märchenstraße

Jürgen Stollhans hatte sich für die Entwicklung seiner Arbeiten für mehrere Monate in Kassel einquartiert. Er nahm Kontakt zu einzelnen Beiratsmitgliedern auf und recherchierte mit deren Un-terstützung zu Kassels Stadtbild und Stadthistorie, Wirtschaft und Industriegeschichte. Ausgehend von fotografisch festgehaltenen Eindrücken seiner Entdeckungs-reisen entstand die Arbeit Caput mortuum: großformatige Krei-dezeichnungen, die alltägliche und bewegende Situationen aus Kassel zeigen – Blutwürste in der Auslage, eine Impression aus dem Museum für Sepulkralkul-tur oder eine Demonstration der IG-Metall. In der Medieninstalla-tion Vorwärts auf der deutschen Märchenstraße konzentrierte er sich dagegen auf die historische und heutige Panzerproduktion in Kassel. Darüber hinaus schuf Jürgen Stollhans Zeichnungen und Illustrationen für den Beirat, an dessen Sitzungen er während seines Aufenthalts in Kassel re-gelmäßig teilnahm.

Allan Sekula: Untitled Slide Sequence Allan Sekulas Untitled Slide Sequence aus dem Jahr 1972 zeigt Industriearbeiterinnen, die nach der Tagschicht das Werk verlassen. Die Serie von 25 Schwarz-Weiß-Fotos wurde in bisherigen Ausstellungen als Dias gezeigt und sollte auf der

documenta 12 als historischer Kommentar zum Thema Arbeit die Präsentationen von Sekula abrunden. Er wünschte sich eine Installation am «Herkunftsort» der Fotografien – in einem In-dustriebetrieb. Bei der Präsen-tation im Beirat hatte ein Bei-ratsmitglied die Idee, die Serie in der Kasseler Produktionsstätte eines internationalen Herstellers von Lokomotiven zu installie-ren. Das Beiratsmitglied stellte den Kontakt her, begleitete die Verhandlungen und entwickelte darüber hinausgehende Ideen zur Vermittlung des Kunstwerks in die Belegschaft. Die räumli-chen Bedingungen für die Ins-tallation als Plakatserie in den Werksräumen waren ideal und das Interesse an einer Auseinan-dersetzung mit dem Kunstwerk vorhanden. Dennoch brach das Unternehmen die Verhandlungen ab, wahrscheinlich aufgrund des zu erwartenden technischen und finanziellen Aufwands. Die Ins-tallation kam nicht zustande.

Neben den oben genannten haben sich zahlreiche weitere Künstlerinnen mit Kassel be-schäftigt und ihre Arbeiten unter Beteiligung der Bewohnerschaft realisiert, so beispielsweise der Fotograf George Oshodi, der für den Bildband der documenta 12 Kasseler Wohnquartiere fotogra-fierte, oder Mary Kelly, die mit jungen Frauen die Performance Flashing Nipples am Eröffnungs-abend realisierte, eine Aktualisie-rung historischer feministischer Protestformen. Besonders pro-minent wurde Ai Wei Wei mit Fai-rytales wahrgenommen – 1001 Chinesinnen, die Kassel wäh-rend der documenta besuchten und in einem alten Industrieare-al in der Nordstadt lebten. Ne-ben Fairytales bestimmte das Mohnfeld vor dem Museum Fri-dericianum von Sanja Iveković das Stadtgespräch in Kassel. Vergnüglich ging es bei einem Tauziehen im Nordstadt-Park zu, bei dem Lin Yilin ein Team aus

documenta-Besucherinnen und -Mitarbeiterinnen gegen Stadt-teilbewohnerinnen, vor allem die spanische Community aus dem Schlachthof, antreten ließ. Ei-nen kleinen Skandal verursachte Andreas Siekmann, dessen Re-cherchen zu den Lebensbedin-gungen von Asylbewerberinnen in Kassel von der lokalen Pres-se als Aufruf zu politischen An-schlägen missverstanden wurde. Zusammen mit Alice Creischer und Christian von Borries reali-sierte er zudem eine konsumkri-tische Opernaufführung in einem zentral gelegenen Einkaufszent-rum. Lotty Rosenfeld «korrigier-te» die Markierungen auf Kas-seler Straßen mit weißer Farbe, woraufhin diese von der Stadt-verwaltung entfernt wurde. Die Inszenierung einer militärischen Anhörung von Guantánamo-Häftlingen unter Beteiligung von Kasseler Anwältinnen, Richte-rinnen und Menschenrechtsak-tivistinnen war Teil der Video-In-stallation 9 Scripts For A Nation At War von David Thorne, Katya Sander, Ashley Hunt, Sharon Hayes und Andrea Geyer.

Wanda Wieczorek, Ayşe Güleç, Carmen Mörsch – Von Kassel lernen

Art Education Research, Juni 2012, Jg. 3 (5), ISSN 1664-2805 26

Was man daraus lernen kann

Kunst PolitischeBildung

Struktur

• Einrichtungen aller Größe und Relevanz kontinuierliche, periodische oder einmalige Arbeitsweise• Veröffentlichung von Kunst (ausstellen)• künstlerische oder kuratorische Leitung, Geschäftsleitung, Mitarbeiterinnen, Kunst- vermittlung, ggf. Künstlerinnen

• Einrichtungen aller Größe und Relevanz• längerfristige Arbeitsweise• politische Bildung im erweiterten Sinne• Sozialpädagoginnen, politische Aktivistin- nen, Bildungspädagoginnen, Ehrenamtliche mit Kontakten zu «lokalen Expertinnen»

Eigenschaften

• Pflege künstlerischer Praxis • Entfaltung künstlerischer Freiheit/ Ideal der Autonomie• Individualismus/Abgrenzung/ Distinktion• hoher Wert der Kritik und Theorie

• demokratischer Erziehungsauftrag• Teilnahme aller an politischen Prozessen• inklusive Methoden und Sprechweisen• Orientierung am Lebensalltag

Konflikte

• Abgrenzung und Individualität

• Bevorzugung der gebildeten und sozial privilegierten Schichten (elitär, akademische Sprache)

• Ideal der gemeinschaftlich-kooperativen Gestaltung der Gesellschaft• gezieltes Bemühen um soziale Schichten, die weniger Artikulations- und Durchsetzungs- vermögen besitzen (allgemein verständliche Sprache)

Gem

einsam

keiten

• Öffentlichkeiten erreichen und sie für wesentliche Fragen des Lebens und Zusammenlebens sensibilisieren• Bereitschaft des Publikums bzw. der Nutzerinnen zur Auseinandersetzung ist konstitutiv für die Existenz des jeweiligen Bereichs: Kunst bzw. Demokratie

1. WERKOOPERIERT?

«Kulturelle trifft politische Bildung» ist der Fokus, der im Folgenden thematisiert wird. Bevor wir allerdings über Strategien, Methoden, Fallstricke und Tipps nachdenken, muss zuerst einmal geklärt werden, wer dieses Zusammentreffen überhaupt in Gang bringen

kann und soll. Ganz grundsätzlich richten wir uns mit dieser Publikation an Institutionen und Selbstorgani-sationen der künstlerischen und kulturellen Arbeit so-wie der politischen Bildung.

Wanda Wieczorek, Ayşe Güleç, Carmen Mörsch – Von Kassel lernen

Art Education Research, Juni 2012, Jg. 3 (5), ISSN 1664-2805 27

1.1. Kunst und politische Bildung

Mit Institutionen der Kunst sind hier Einrichtungen angesprochen, die sich der Veröffentlichung und Do-kumentation künstlerischen Schaffens verpflichtet haben (meistens mittels Ausstellungen). Dies können Kunsthallen und andere Ausstellungshäuser, Kunst-vereine, periodische Festivals wie beispielsweise Bi-ennalen oder auch einmalig stattfindende Veranstal-tungen sein.6 In diesem Spektrum sind sowohl große, finanzstarke und öffentlich beachtete Institutionen als auch kleine oder ehrenamtlich betriebene Vereine denkbar. Ebenso können die Arbeitsweisen von kon-tinuierlich über periodisch zu temporären und einma-ligen Ereignissen variieren. Die Entscheidung für ein Zusammentreffen mit der politischen Bildung muss von den Personen innerhalb der Institution ausgehen, die deren inhaltliche Konzeption steuern. Denn wie weiter ausgeführt wird, steht mit einer solchen Ko-operation das Selbstverständnis der Institution an sich auf dem Prüfstand. Das ist zunächst einmal die künstlerische oder kuratorische Leitung, flankiert von der Geschäftsleitung (häufig auch in Personalunion anzutreffen). Umgesetzt wird die Kooperation von diesen Personen und ihren Mitarbeiterinnen, von der Kunstvermittlung sowie gegebenenfalls unter Beteili-gung von Künstlerinnen.

Auf der anderen Seite stehen die Einrichtungen der politischen Bildung. Wir konzentrieren uns hier auf lokal verankerte soziale und kulturelle Einrichtungen, 6 Kommerzielle Galerien und Messen werden aus diesem

Kontext bewusst ausgeklammert, da ihre Zielsetzung als ökonomische Unternehmen von den mit öffentlichen Mit-teln finanzierten Institutionen der Kunst stark abweicht.

die zwar eine innere Verpflichtung auf die Prinzipien der politischen Bildung besitzen, jedoch keine Insti-tution im klassischen Sinne sein müssen, beispiels-weise soziokulturelle Zentren, Nachbarschaftstreffs, Migrantinnenorganisationen, Jugendinitiativen usw. Zu deren wichtigsten Arbeitsprinzipien zählt der inklu-sive Ansatz, das heißt, dass sie sich im Besonderen an sozial-politisch benachteiligte Gruppen wenden, um diese bei der Forderung nach gesellschaftlicher Teilhabe aktiv zu unterstützen. Die in solchen Ein-richtungen tätigen Personen – Sozialpädagoginnen, politische Aktivistinnen, Bildungspädagoginnen, Eh-renamtliche usw. – verfügen über Kontakte zu den «lo-kalen Expertinnen», d. h. vor Ort lebenden Personen mit spezifischem Wissen und Interessen. Um diese Personen als Türöffnerinnen und Multiplikatorinnen geht es letztlich, wenn kulturelle und politische Bil-dung zusammentreffen.

Für eine Verständigung zwischen den Kooperations-partnerinnen ist es unerlässlich, dass sich jede Part-nerin über die Eigenheiten und Interessen des jeweils anderen Bereichs informiert. Nur dann können des-sen Verhalten, Sprache, Erfordernisse, Abgrenzungs-bedürfnisse und Wertzuweisungen als Teile eines bereichspezifischen Regelwerks verstanden werden, das seiner eigenen Logik folgt – und das den Regeln des eigenen Bereichs unter Umständen widerspricht.

# Hintergrund: documenta

Die documenta zählt zu den weltweit am meisten beachte-ten periodischen Ausstellungen zeitgenössischer Kunst. 1955 auf Initiative Arnold Bodes im kriegszerstörten Kassel ent-standen, sollte sie die deutsche Nachkriegsgesellschaft mit der kurz zuvor noch verfemten mo-dernen Kunst versöhnen und den Anschluss an die interna-tionale Moderne ermöglichen. Sie fand zunächst alle vier, später alle fünf Jahre statt. Seit der documenta 5 im Jahr 1972 wurde das Modell eines jeweils neu eingesetzten künstlerischen

Leiters umgesetzt. Die Dopplung aus individueller Prägung durch die Person des künstlerischen Leiters und dem Anspruch der Allgemeingültigkeit durchzog als Spannungsverhältnis seither die Rezeption der documenta-Ausstellungen. Für die Mache-rinnen der Ausstellung bedeu-tet die damit verbundene hohe Erwartungshaltung sowohl des Publikums als auch der professi-onellen Kunstwelt einerseits eine große Verantwortung, anderer-seits die Chance, auf einer weit-hin sichtbaren Bühne des Kunst-geschehens neue Ansätze zu entfalten und wirksam im Diskurs der zeitgenössischen Kunst zu

platzieren. Auch organisatorisch ist das Modell der wechselnden künstlerischen Leitung eine He-rausforderung, kann doch das Team einer jeden Ausstellung kaum auf Erfahrungswerte und eingespielte Arbeitsweisen zu-rückgreifen, die die Bewältigung eines solchen Großereignis stark erleichtern würden. Und ebenso ist es eine Chance, neue Wege des Ausstellungsmachens zu beschreiten, was im Rahmen der documenta 12 nicht zuletzt mit der Betonung von Bildung und Kunstvermittlung sowie der Zusammenarbeit mit dem loka-len Umfeld geschah.

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# Hintergrund Schlachthof

Der Verein Kulturzentrum Schlachthof entstand Ende der 1970er Jahre aus einer Initia-tive für ein Kulturzentrum und zählt heute zu den größten so-ziokulturellen Zentren Hessens. Trotz der starken Einschnitte im Sozialetat des Landes Hessen im Jahr 2003 und der damit ver-bundenen Halbierung der Mittel konnte der Schlachthof seine Angebote bislang erhalten. In den beiden historischen Ver-waltungsgebäuden des ehema-ligen Schlachthofs treffen sich fast 30 Gruppen und Initiativen, unter anderem Migrantinnen- und Flüchtlingsgruppen, die ihre Landsleute in sozialen und

rechtlichen Fragen unterstützen und mit kulturellen Angeboten für die Bildung einer Community sorgen. Politische Gruppierun-gen sind im Schlachthof ebenso zu Hause wie kulturelle Vereini-gungen, beispielsweise Thea-ter- und Musikgruppen. Zu den eigenen Angeboten zählen ein Jugendzentrum mit Tonstudio, ein Veranstaltungssaal mit Café und einem dichten Kulturpro-gramm, diverse Beratungsan-gebote und ein Bildungsbereich, dessen zahlreiche Kurse sich insbesondere an Migrantinnen richten und der mit zusätzlichen Angeboten zur interkulturellen Verständigung beiträgt. Rund 35 feste – meist teilzeitbeschäftig-te – und 35 freie Mitarbeiterinnen

organisieren das Programm sowie die Bildungs- und Bera-tungsangebote. Der Schlachthof ist eine feste kulturelle Größe in Kassel und hat sich auch zu ei-ner politischen Kapazität entwi-ckelt, wobei dieser Status fragil und umkämpft bleibt und von der intensiven Netzwerkarbeit abhängt, die die Mitarbeiterin-nen des Schlachthofs leisten. Es zeichnet den Schlachthof aus, dass er ein Bezugspunkt für ganz unterschiedliche Perso-nen aus verschiedenen Milieus und Herkünften in Kassel ist und nicht nur von einem homogene-ren Bevölkerungskreis besucht wird.

Das Kunstfeld

Von außen betrachtet scheint der Sachverhalt recht einfach zu sein: Künstlerinnen machen Kunst und das Publikum be-kommt die Ergebnisse in Aus-stellungen zu sehen. Aus der Sicht derer, die sich professionell mit Kunst beschäftigen, ist das jedoch keinesfalls so klar: Die Künstlerinnen und ihre Werke stehen im Zentrum eines Spiel-feldes, auf dem sich eine Vielzahl von Interessen und Absichten tummeln. Neben den Künstle-rinnen agieren hier Kuratorinnen, Sammlerinnen, Museumsleute, Galeristinnen, Kritikerinnen, Kul-turpolitikerinnen, Akademien, Wissenschaftlerinnen und Pro-fessorinnen, Kunstmessen und Auktionshäuser. Alle stehen in indirekter Abhängigkeit vonein-ander, vermittelt durch die Kons-tante ihrer Profession: das Werk und die Künstlerin.

In der Kunstsoziologie wird zur Beschreibung dieses Ge-flechts gerne der Begriff «Kunst-feld» verwendet, der auf den

französischen Soziologen Pierre Bourdieu zurückgeht. Als sozi-ales Feld bezeichnete er eine (weitgehend) autonome Sphäre des gesellschaftlichen Lebens, beispielsweise das Feld der Ökonomie, der Politik, der Kunst. Jedes dieser Felder besitzt sei-ne eigenen Spielregeln, die das Handeln der in ihm befindlichen Akteurinnen leiten. Die Spielre-geln legen fest, welches Verhal-ten belohnt und welches sankti-oniert wird. Ein soziales Feld ist also nicht nur ein Gelände, auf dem sich die Akteurinnen fröh-lich tummeln, sondern auch ein Kampfplatz, auf dem konkurriert und um die Wahrung oder Ver-änderung der Kräfteverhältnisse gerungen wird.

Wie bei jedem Wettkampf-spiel hängen auch im Kunstfeld die Chancen der Mitspielerin-nen davon ab, über welche Ressourcen sie verfügen bzw., in Bourdieus Sprache, welches spezifische Kapital sie einbrin-gen können. Es gehört zu den Eigentümlichkeiten des Kunst-feldes, dass der Besitz von Geld

(ökonomisches Kapital) gegen-über Kultiviertheit und Bildung (kulturelles Kapital), der Einbin-dung in soziale Netze (soziales Kapital) und der Anerkennung durch andere (symbolisches Ka-pital) heruntergespielt wird. Das bedeutet nicht, dass ökonomi-sche Faktoren unwichtig wären (das Gegenteil ist der Fall), sie sind als Einsatz im Wettkampf um hohe Positionen jedoch verpönt. Daraus wird verständ-lich, dass sich im Kunstfeld bei-spielsweise kleine und finanziell schwache Institutionen als be-sonders avantgardistisch und meinungsbildend profilieren kön-nen, während sie gleichzeitig von den auf dem Kunstmarkt gene-rierten Umsätzen ausgeschlos-sen bleiben.

Zwar funktioniert das Kunst-feld nach feldinternen Gesetz-mäßigkeiten, jedoch ist es durchlässig nach außen und in ständiger Berührung mit ande-ren Feldern. Insbesondere Politik und Ökonomie nehmen in hohem Maße Einfluss auf die Entwick-lungen der Kunst, indem sie die

ExKuRS: KuNSTFELD uND PoLITISCHE BILDuNG

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institutionellen Rahmenbedin-gungen sowie die individuellen Existenzbedingungen der Mit-spielerinnen prägen.

Die politische Bildung

Zu den Institutionen der politi-schen Bildung zählen im engeren Sinne Schulen, außerschulische Jugendarbeit, Erwachsenenbil-dung, Stadtteilzentren und sozio-kulturelle Einrichtungen, Gewerk-schaften, Bundeswehr, Verbände und Vereine, parteinahe Stiftun-gen, Jugendverbände sowie die Jugend- und Erwachsenenbil-dung im kirchlichen Bereich. In ihren Programmen und Angebo-ten greifen sie nicht nur politische Themen auf, sondern vermitteln demokratisches Bewusstsein und laden vielfältige Bevölke-rungsgruppen dazu ein, kritisch und aktiv an gesellschaftlichen und politischen Entscheidungs-prozessen teilzunehmen. In die-sem Sinne wurde der politischen Bildung von Beginn an zwar eine klare inhaltliche Ausrich-tung zugeschrieben, allerdings variierten sowohl die Inhalte als auch die Methodik innerhalb der Bandbreite von sozialistisch-liberalen über sozial-liberale bis hin zu liberal-konservativen Haltungen. Zudem machten die gesellschaftlichen Spannungen und die Nachwirkungen der studentischen Revolten in den 1970er Jahre sowie die polarisierenden Effekte des kalten Krieges auf die öffentli-che Meinungsbildung allgemein verbindliche Prinzipien der poli-tischen Bildung notwendig, die im sogenannten Beutelsbacher Konsens formuliert wurden (be-nannt nach einer Tagung der Landeszentrale für Politische Bildung in Baden-Württem-berg 1976). Ausgehend von der schulischen Bildung – und zwar am konkreten Beispiel des Politikunterrichtes – stellte er die folgenden Minimalanforderun-gen an die politische Bildung:

• Überwältigungsverbot Schülerinnen darf nicht die Meinung von Lehrerinnen auf gezwungen werden. Mit Hilfe eines ausgewogenen Unter- richtes sollen sich Schüler- innen selbstbestimmt eine Meinung bilden können, ohne indoktriniert zu werden.

• Kontroversität Alles, was in der Öffentlichkeit (Wissenschaft, Politik und Ge- sellschaft) kontrovers behan- delt wird, muss auch im Unterricht kontrovers darge- stellt und diskutiert werden.

• Analysefähigkeit bzw. Interessenorientierung Die Schülerinnen müssen in die Lage versetzt werden, eine politische Situation zu erfassen und sich aktiv am politischen Prozess zu beteili- gen, indem sie nach Mitteln und Wegen suchen, die Situa- tion im Sinne ihrer eigenen Interessen zu beeinflussen.

Diese drei Grundprinzipien sind bis heute für die inhaltliche und methodische Herangehenswei-se der politischen Bildung gültig. In den nationalen Bildungsstan-dards für den Politikunterricht wurden sie unter den Stichwor-ten «politische Urteilsfähigkeit», «politische Handlungsfähigkeit» und «methodische Fähigkeit» eingeführt.

In den letzten Jahren hat sich der klassische Themenkreis der politischen Bildung ausgeweitet. Freie Träger mit unterschied-lichsten Aufgaben, soziale und soziokulturelle Einrichtungen, selbstorganisierte Initiativen und andere politische Gruppierungen haben mit ihren Programmen, Themen und Aktionsformen den Begriff der politischen Bildung erweitert. In diesem Leitfa-den wird politische Bildung daher in einem weiteren Sinne verstanden als emanzipa-torische Bildungspraxis aus dem Selbstverständnis einer

pluralistisch-heterogen Gesell-schaft mit dem Ziel, gleichbe-rechtigte Partizipationsmög-lichkeiten an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen zu schaffen.

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1.2. Funktionsweise und Eigenheiten der beiden Bereiche

Die bildende Kunst der Gegenwart verdankt ihre Existenz einem über Jahrhunderte ausgefochtenen Kampf der Künstlerinnen um Unabhängigkeit von politischer und wirtschaftlicher Einflussnahme auf ihr Schaffen. Das romantische Ideal des armen, aber genialen Künstlers ist der Inbegriff einer so verstan-denen Autonomie, die bis heute als Hauptmerkmal der Kunst gilt – auch wenn die Realität dem oft zu-widerläuft. Die Fortentwicklung der Kunst wird durch einen Innovationskreislauf gesichert, der vereinfacht so aussieht: Junge Künstlerinnen kritisieren und ver-werfen die akzeptierten Regeln des Kunstschaffens und stellen eigene Regeln für die künstlerische Praxis auf. Mit Hilfe eines sozialen Netzwerks von Kurato-rinnen, Sammlerinnen, Galeristinnen usw. werden die neuen Positionen etabliert und bilden einen neuen Ka-non. Als neue dominante Strömung wird dieser selbst anfällig für die Kritik einer neuen Generation junger Künstlerinnen, die die akzeptierten Regeln attackie-ren usw. Dieser Kreislauf macht Folgendes deutlich: Das Kunstfeld ist ein System, in dem vor allem mit Infragestellung, Differenzierung und Abgrenzung ge-arbeitet wird. Eine kritische und individualistische Hal-tung ist dabei die Voraussetzung für Erfolge im Kampf um Aufmerksamkeit.

Die neuere politische Bildung hat ihre Ursprünge in dem Bestreben, das demokratische System in Deutschland zu vermitteln und die Bürgerinnen zur Mitwirkung an diesem System aufzurufen. Die Mul-tiplikatorinnen und Lehrenden sahen sich dabei der Herausforderung gegenüber, Arbeitsprinzipien und Lernmethoden für einen enorm vielfältigen Adressa-tenkreis zu entwickeln. Die didaktischen Prinzipien der Exemplarität, der Problem- und der Handlungs-orientierung verlangen einen Bezug zum eigenen Le-ben, nicht nur abstrakte Lerninhalte. Der Lebensall-tag der Adressatinnen ist also entscheidend für die Gestaltung der politischen Bildung und beeinflusst in hohem Maße die konkrete Methodik und Form der Ansprache. Damit wird klar, dass politische Bildung auf einen hochgradig inklusiven Arbeitsansatz ver-pflichtet ist, bei dem der individuelle Hintergrund der Einzelnen genauso wie die Dynamiken und Deter-minanten von Gruppen in Betracht gezogen werden müssen.

1.3. Konflikte und Schnittmengen

Es wird deutlich, dass die Sphären der Kunst und der politischen Bildung in ihren Grundzügen stark von-einander abweichen, dass in ihnen unterschiedliche Regeln gültig sind und sie teilweise sich widerspre-chende Funktionsweisen besitzen. Der Hauptkonflikt verläuft zwischen dem Zwang zu Abgrenzung und

Individualität in der Kunstwelt einerseits und dem Anspruch an die gemeinschaftlich-kooperative Ge-staltung von Gesellschaft in der politischen Bildung andererseits. Ein Ausdruck dafür findet sich in dem Umgang mit Ausschluss oder Einschluss: Im Kunst-feld markiert trotz zahlreicher Schnittstellen zu Sub-kulturen, zur Mode oder gar zum Aktivismus eine akademische Sprache die Zugangsschwelle für das Publikum, während die politische Bildung viel Wert auf allgemeine Verständlichkeit legt. Das Kunstfeld begünstigt also die gebildete und sozial höher ge-stellte Schicht, während die politische Bildung sich gezielt um soziale Schichten und Herkünfte bemüht, die weniger Artikulations- und Durchsetzungsvermö-gen besitzen.

Trotz dieser Verschiedenheit teilen die beiden Be-reiche ein gemeinsames Anliegen: Öffentlichkeiten zu erreichen und sie für wesentliche Fragen des Le-bens und Zusammenlebens zu sensibilisieren. Denn ebenso wie ein demokratisches System erst durch die Mitwirkung der ihm angehörenden Personen realisiert wird, benötigt auch die Kunst ein Gegenüber, das sich auf die Auseinandersetzung mit ihr einlässt. Sowohl die Bürgerinnen eines demokratischen Staates als auch das Publikum der Kunst sind also konstitutiv für die Existenz der jeweiligen Bereiche. Erst mit ihrer Be-reitschaft zum Austausch beginnen Demokratie und Kunst zu existieren.

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Mit «Peinlichkeitsfähigkeit» meinen wir die Offenheit von Akteurinnen des künstlerischen Feldes gegenüber ästhetischen Erscheinungs- und Artikulati-onsformen, die sie aus der ei-genen fachlichen Perspektive unangemessen oder gar uner-träglich finden – zum Beispiel, weil sie aus dieser Sicht als zu «didaktisch» oder «zu sehr ge-bastelt» erscheinen. Dies be-trifft häufig die Produkte, die in Projekten der politischen Bil-dung oder insgesamt im Feld der Bildung und des Aktivismus entstehen.

Zwar ist es spätestens seit den 1970er Jahren immer wie-der vorgekommen, dass sol-che Ästhetiken Eingang in den Kunstbetrieb gefunden haben und in Kunstinstitutionen sicht-bar wurden – zum Beispiel durch politisierte Künstlerinnen, die mit diesen Feldern Allianzen eingegangen sind. Dennoch erweist sich die Frage, wer auf welche Weise was in Kunsträu-men zeigen darf, immer wieder als eine brisante Kampfzone. Die Kontrolle dieses Territoriums durch die Ausübung von rigiden Filterfunktionen, die Definiti-onsmacht über die Frage, was als Kunst in Erscheinung treten darf und was nicht, ist das zen-trale Element für den Selbster-halt des künstlerischen Feldes.

Die «Peinlichkeitsfähigkeit» der Kooperationspartnerinnen aus dem Kunstfeld liefert da-her wichtige Hinweise auf die Ernsthaftigkeit ihres Koopera-tionswillens. Sie zeigt an, ob sie lediglich die sozialen oder politischen Aspekte der Koope-ration aufnehmen und diese als «feldfremde» Attribute in die Kunstwelt importieren und in-korporieren oder ob sie sich auf eine tatsächliche Ausein-andersetzung um die Kriteri-en von Kunst und die Regeln

der Kunstwelt einlassen und damit ihre eigenen Prämissen zu hinterfragen bereit sind. Folgende Fragen sollten daher offen erörtert werden:• Wie umfassend akzeptie-ren und begrüßen die Akteu-rinnen aus dem Kunstfeld den gestalterischen Willen ihrer Kooperationspartnerinnen aus dem sozialen und politischen Bereich? Wer darf sich ästhe-tisch äußern, und wo bzw. wie werden diese Äußerungen der Öffentlichkeit präsentiert?• Sind sie bereit, ästhetische Urteile zu begründen, ihre Krite-rien dafür offenzulegen und zu diskutieren sowie gemeinsame Kriterien zu erarbeiten?• Vermitteln sie ihr spezifi-sches Kunstwissen im Rahmen eines systematisierten Wis-senstransfers? Beinhaltet dies neben den kunsthistorischen und kunsttheoretischen Kennt-nissen auch den symbolischen Verhaltenskodex der Kunst-welt?

Peinlichkeitsfähigkeit be-deutet grundsätzlich, die meist unausgesprochenen Grenzen der Kunstwelt aufzuzeigen und ihre Berechtigung zu hinterfra-gen. Sie ist notwendig, wenn die jeweils aktuell gültige Defi-nition der Kunstwelt durch die Kooperation zumindest situativ und temporär verschoben und ihre Gestalt verändert werden soll.

ExKuRS: äSTHETISCHE uRTEILE uND PEINLICHKEITSFäHIGKEIT

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Kunst PolitischeBildung

Gem

einsam

esInteresse Überwindung der Legitimationskrise durch:

• Infragestellung der eigenen Position und Möglichkeit zur Weiterentwicklung• Ergänzung der Inhalte, Formate und Methoden• Erweiterung des angesprochenen Personenkreises≥ der eigenen Begrenzungen und Weiterentwicklung hin zu einer gesellschaftlich bedeutsamen Position≥ intensivierte inhaltliche Arbeit und größere inhaltliche Reichweite durch Zusammenwirken mehrerer gesellschaftlicher Bereiche

InhaltlichesundmethodischesInteresse

Zugang zu lokalem Wissen: • Einblick in soziales Gefüge, politische und soziale Zusammenhänge, aktuelle Themen• Kontakt zu Multiplikatorinnen und Netzwerken≥ Produktion von relevanten Beiträgen zum gesellschaftspolitischen Leben

Methoden der politischen Bildung inspirieren Methoden der Kunst:• Umsetzung lokal verankerter künstlerischer Projekte• Entwicklung situativ angepasster Veranstaltungsformate• Stellungnahme zu aktuellen Themen

Neue Bearbeitungsräume und Ansatzpunkte für die politische Bildung:• Themen der Kunst als inhaltliche Ausgangs- punkte für politische Bildung • Einüben von Reflexion und alternativen Handlungsweisen anhand der Kunst (als Vor- aussetzung für Meinungsbildung und demokratischen Meinungsstreit)• gesellschaftlich-politische Dimension der Kunst zeigen und vermitteln• Erweiterung des Politikbegriffs Methoden der Kunst inspirieren Methoden der politischen Bildung:• Formen der Kunst als Ergänzung zur textlich- sprachlichen Ebene der Auseinandersetzung• Kennenlernen und Etablierung von prozesshaft aktivierenden Arbeitsformen mit Gruppen

Strategischesund

symbolischesInteresse

• Zugang zu und Ansprache von neuen Publika• Rückgriff auf bestehende Kontakte und Nutzung von bestehendem Vertrauens- vorschuss• Öffnung der Kunstinstitution zu gesellschaftlichen Prozessen / Entwicklung größerer gesellschaftlicher Relevanz• Gewinnung neuer Partnerinnen und Vergrößerung des Unterstützerinnenkreises

• erhöhte Sichtbarkeit und Anerkennung durch positives Image der Kunst (Stärkung der politischen Stimme)• symbolischer Transfer: sozial-politische Äußerungen und Handlungen erhalten im Kunstraum eine Aufwertung • bessere und breitere Zielgruppenansprache, da Kunst für viele Menschen attraktiver ist als Politik• Gewinnung neuer Partnerinnen und Vergröße- rung des Unterstützerinnenkreises / Netzwerks

2. WARuMKOOPERIEREN?

Die beiden kooperierenden Bereiche unterscheiden sich in wesentlichen inhaltlichen Punkten sowie in ih-rer Arbeitsweise. Ihre Interessen weisen jedoch eine Schnittmenge auf, die die Basis einer Zusammenarbeit

bilden kann. Im Folgenden geht es zunächst um die Frage, warum die beiden Bereiche überhaupt koope-rieren sollten.

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2.1. Legitimationskrise und die Suche nach neuen Wegen

Die öffentlichen Institutionen der Kunst befinden sich momentan trotz oder gerade wegen eines florieren-den Kunstmarktes in einer Krise. Ihr Selbstverständ-nis als allgemein akzeptierte Träger eines kulturellen Bildungsauftrags wird (aus sehr verschiedenen Grün-den) sowohl von den öffentlichen Geldgebern als auch von ihrem Publikum in Frage gestellt. Im Kern dieser Krise liegen einige wesentliche Grundfragen: Welche Rolle soll Kunst im gesellschaftlichen und persönlichen Leben spielen? Welche Form der Kunst wird als wichtig und förderungswürdig erachtet? Wer soll Zugang zu Kunst haben? Wie sollen Kunstinstitu-tionen ihren Bildungsauftrag heute ausfüllen und wie können sie zum Gelingen des gesellschaftlichen Zu-sammenlebens beitragen?

Viele Institutionen der Kunst suchen nach Antwor-ten auf diese Fragen. Ein Ausdruck davon sind die sogenannten Blockbuster-Ausstellungen, die mit im-mensem medialem Aufwand große Publikumsströme generieren. Auch wenn sich öffentliche Geldgeber mit solchen Formaten erst einmal zufriedengeben, bleibt ihr langfristiger Erfolg im Sinne eines öffentlichen Bil-dungsauftrags zweifelhaft. Denn statt auf eine quali-tative Entwicklung des Dialogs mit dem Publikum zu setzen, zielen sie vor allem auf dessen quantitative Erweiterung.

Hier liegt der Hinweis für einen Ausweg aus der Krise: Die Institutionen der Kunst können sich, ganz ohne Populismus, um einen qualitativen Austausch mit ihrem Publikum bemühen. Das bedeutet, dass sie sich überhaupt dafür interessieren, wer ihr Pub-likum ist bzw. wer es sein könnte: Es reicht nicht, die eingefleischten Museumsgänger zu umsorgen oder die kanonisierten Werte eines bürgerlichen Kunstbe-triebs möglichst vielen Personen zur Anschauung zu bringen. Aus Sicht der Autorinnen dieses Leitfadens muss vielmehr eine Öffnung zu weiteren und breiteren Schichten erfolgen, die bislang nicht als Publikum der Kunst adressiert wurden. Nur sie können der Kunstin-stitution die Hinweise geben, die sie für ihre Entwick-lung zu einer gesellschaftlich relevanten Einrichtung braucht.

Auch die Einrichtungen der politischen Bildung erle-ben seit Jahren einen krisenhaften Umbruch, der ihre Existenz nachhaltig prägt. Die radikalen Sparmaßnah-men in den Sozialetats der vergangenen Jahre sowie neue Regelungen zur Verstärkung des Wettbewerbs zwischen den Bildungsträgern haben insbesondere jene Einrichtungen in Bedrängnis gebracht, die sich um Bildungs- und Beratungsangebote mit einem hohen qualitativen Anspruch bemühen. An Stelle eines situativ angepassten und auf die Bedürfnis-se der Teilnehmerinnen zugeschnittenen und unter ihrer Mitarbeit entwickelten Angebots werden diese Einrichtungen gezwungen, standardisierte

kostengünstige Kurse anzubieten. Aufgrund des ho-hen Wettbewerbs steht die Existenz der Einrichtun-gen immer wieder auf dem Spiel.

Daher sind hier in besonderem Maße neue Wege gefragt, auf die angespannte finanzielle Lage zu re-agieren. Voraussetzung dafür ist kritische Betrach-tung der eigenen Position: Welche Ziele und welche Personenkreise möchte eine Einrichtung mit ihrer Bildungsarbeit erreichen, welche Funktion in der Ge-sellschaft übt sie aus und was ist ihre Perspektive? Dabei sind auch langjährig eingespielte Arbeitsweisen zu hinterfragen: Sind die Methoden geeignet, um die anvisierten Personen und Gruppen anzusprechen? Sind das bisherige Themenspektrum und die sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingun-gen kompatibel? Sind die sich weiter entwickelnden kulturellen Praktiken ausreichend bekannt, um ein lebensbezogenes und für die Teilnehmerinnen hilfrei-ches Angebot weiterhin zu gewährleisten?

Die Einrichtungen der politischen Bildung können nur dann Impulse zur Erneuerung erhalten, wenn sie sich Partnerinnen öffnen, die über die heutigen kultu-rellen Realitäten und ihre visuellen Ausdrucksformen Bescheid wissen und so den Umgang mit komplexen und mehrdeutigen symbolischen Formen vermitteln können. Zudem sollten diese Partnerinnen über ge-sellschaftliche Anerkennung und symbolische Macht verfügen, um zu einer Stärkung der Position dieser Einrichtungen beizutragen. Denn nicht zuletzt gilt es auch, potentielle Geldgeberinnen – vor allem Politi-kerinnen – immer wieder daran zu erinnern, welch wesentlichen Beitrag sie in ihrer kontinuierlichen Bil-dungsarbeit zum gesellschaftlichen Leben leisten.

Zeiten der Krise mögen die Einrichtungen beider Be-reiche offener für feldübergreifende Kooperationen machen. Um die eigene Weiterentwicklung und den Austausch mit anderen gesellschaftlichen Feldern kontinuierlich voranzubringen, sind solche Kooperati-onen jedoch zu jedem Zeitpunkt unerlässlich. Sie sind die Folie, vor der die eigene Position und Praxis hin-terfragt werden kann, und sie bieten die Impulse, die zu einer Erneuerung der eingefahrenen Arbeitsweisen und Methoden notwendig sind. Sie erschließen neue Perspektiven auf tatsächliche und potentielle Adres-satinnen und erlauben die Wandlung der Institution hin zu einer gesellschaftlich relevanten Einrichtung. Nicht zuletzt geben sie Rückhalt und strategische Ar-gumente in der Verhandlung mit Geldgeberinnen und Verwaltung.

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2.2. Was die Partnerinnen einer Kooperation gewinnen können

Die meisten Institutionen der Kunst verfügen nicht über die notwendigen Kontakte und Erfahrungen, um Menschen außerhalb des traditionellen Kunst-publikums anzusprechen und für einen Austausch zu gewinnen. Dafür fehlen ihnen neben der Kennt-nis lokaler Zusammenhänge eine adäquate Sprache und geeignete Vermittlungsmethoden. Vor allem im deutschsprachigen Raum, wo sich die in hochkultu-rellen Institutionen etablierte Vermittlung häufig dar-auf beschränkt, einem bereits vorhandenen Publikum autorisierte Informationen zu den präsentierten Wer-ken zur Verfügung zu stellen oder mit Schulklassen zu arbeiten, bestehen wenige Erfahrungen mit lokalen Kooperationen über die örtlichen Freundeskreise und Sponsoren hinaus. Dies beginnt sich erst in den letz-ten Jahren langsam zu verändern.

Darüber hinaus verlangt die Kontaktaufnahme mit Personen außerhalb des üblichen Adressatinnenkrei-ses der Kunst ein Mindestmaß an Verbindlichkeit und Vertrauen, und das heißt Zeit, Präsenz und Kontinui-tät. So ist es gerade zu Beginn besonders schwierig, Verbindungen herzustellen und Vertrauen aufzubau-en. Die Multiplikatorinnen der politischen Bildung da-gegen arbeiten meist in langfristigen Rhythmen und kontinuierlich (insofern die bereits skizzierten proble-matischen Entwicklungen der letzten Jahre dies noch nicht verhindert haben). Auch wenn Einrichtungen der politischen Bildung der Zugang zu Personengruppen über die bereits erreichten Kreise und Milieus hinaus verschlossen ist, verfügen sie dennoch über Wissen zu den lokalen Gegebenheiten. Insbesondere sind sie vertraut mit den sozial-politischen Konflikten ver-schiedener Interessengruppen und verfügen in der Regel insbesondere über Kontakte zu Personen, die von bürgerlichen Bildungseinrichtungen nicht erreicht werden. Dies macht sie zu Katalysatorinnen, wenn es um die Kontaktaufnahme zwischen der Kunst und dem lokalen Publikum geht.

Für die Institutionen der politischen Bildung können der Kontakt und die Auseinandersetzung mit zeitge-nössischer Kunst Auslöser und Anlass, thematischer Anstoß und formaler Gegenstand der politischen Bildung sein. Künstlerinnen recherchieren wenig bekannte globale gesellschaftliche Zusammenhänge, dokumentieren das Alltägliche und Besondere und stellen Verbindungen zu hiesigen Entwicklungen her. Künstlerische Verfahren eröffnen neue Wege für die Vermittlung gesellschaftlicher und politischer Zusam-menhänge und können auf inhaltlicher, methodischer und formaler Ebene die politische Bildungsarbeit in-spirieren, insbesondere als Ergänzung zur textlich-sprachlichen Ebene der Auseinandersetzung. Und nicht zuletzt bietet die Kunst einen besonderen Be-arbeitungsraum – im physischen wie symbolischen Sinne – für Themen der politischen Bildung: Werden

diese Themen im «Kunstraum» behandelt, so kön-nen sich die gesellschaftlich akzeptierte (relative) Autonomie sowie die hohe symbolische Anerkennung der Kunst auf diese Auseinandersetzung übertragen und Handlungsmöglichkeiten eröffnen, die in den Zwangsverhältnissen politischer Arbeit oder im All-tagshandeln keinen Platz haben.

2.3. Strategische Vorteile feldübergreifender Kooperationen

Ein weiteres wichtiges Argument für feldübergreifen-de Kooperationen ist der strategische Nutzen, der sich gegenüber politischen Entscheiderinnen ge-winnen lässt. Mit geschickt zwischen den Koopera-tionspartnerinnen verteilten Rollen lassen sich Ideen durchsetzen, die im eigenen Bereich lediglich auf Un-verständnis gestoßen wären – ob nun Genehmigun-gen eingeholt, rechtliche Beschränkungen umgan-gen oder Geldmittel akquiriert werden müssen. Auch außerhalb des gemeinsamen Projekts lässt sich mit dem Verweis auf eine feldübergreifende Kooperation die eigene Bedeutung nachweisen und die Verhand-lungsposition in Finanzfragen stärken.

Gerade im Hinblick auf die Finanzierungsquellen darf jedoch eines nicht vergessen werden: Auch wenn sich über Querfinanzierungen aus anderen Bereichen kurzfristig Mittel akquirieren lassen, muss der Kampf um die Definition der finanziell geförderten Inhalte letztlich im eigenen Feld geführt werden. Nur wenn die Veränderung von Methoden und Inhalten im ei-genen Bereich diskutiert wird, können sich dessen Förderrichtlinien längerfristig den neuen Praxisformen anpassen.

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# Kooperationsinteressen

Wesentlicher Bestandteil des ku-ratorischen Konzepts der docu-menta 12 war das Interesse an der gesellschaftspolitischen Di-mension zeitgenössischer Kunst und an ihrem Bildungspotential. Das lokale Umfeld der Ausstel-lung bot sich an, beide Aspek-te exemplarisch auszuarbeiten: zum einen die Ausstellung als einen Raum für gesellschaftspoli-tische Fragen zu öffnen, zum an-deren die Ausstellungsmacherin-nen und Künstlerinnen in Kontakt mit den Bewohnerinnen der Stadt zu bringen und einen Wissen-stransfer anzuregen. Als Gewinn dieses Austauschs erlangte die documenta 12-Leitung Kenntnis über lokale Themen, was sie zu einer präziseren Stellungnah-me anhand kuratorischer Ent-scheidungen und künstlerischer

Positionen befähigte. Sie erwarb der Ausstellung damit eine posi-tive Identifikation und hohe An-erkennung im lokalen Umfeld. Ebenso konnte interessierten Künstlerinnen ein guter Einstieg in den lokalen Kontext geboten werden, was eine wesentliche Voraussetzung ist, gesellschafts-politisch bezogene und partizi-pativ orientierte Kunstwerke zu entwickeln.

Der Schlachthof versprach sich von der Kooperation mit der documenta 12 einerseits frischen Wind im eigenen Haus: einen Anlass, die eigenen Methoden und eingespielten Arbeitsweisen zu überdenken und neu zu be-leben. Andererseits ist es Kern-aufgabe des Schlachthofs, als soziokulturelle Einrichtung Kultur und Kunst breiten gesellschaftli-chen Schichten zugänglich zu machen und sie in die Produk-

tion von Kultur und Kunst einzu-beziehen. Nicht zuletzt bot die Kooperation mit der documenta 12 die Möglichkeit, sich als Kul-tureinrichtung zu profilieren. In-zwischen hat das Kulturzentrum Schlachthof auf Basis dieser Erfahrungen damit begonnen, die Projektarbeit von Künstlerin-nen mit Jugendlichen als regel-mäßiges Angebot zu etablieren und einen Querschnittsbereich «kulturelle Bildung» zusätzlich zu den bereits bestehenden Arbeitsbereichen aufzubauen. Noch im documenta-Jahr 2007 konnte eine finanzielle Krise durch Verhandlungen mit der Kommune abgemildert werden: Alle Parteien und Fraktionen wa-ren sich vor dem Hintergrund der erfolgreichen Zusammenarbeit mit der documenta schnell einig, dass der Schlachthof erhalten und gesichert werden muss.

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3.1. Machtverhältnisse

Noch bevor eine Kooperation initiiert wird, befinden sich die möglichen Partnerinnen bereits in einem Verhältnis zueinander, das von ihrer jeweiligen gesell-schaftlichen Position bestimmt wird. In jeder denk-baren Konstellation gibt es ein Machtgefälle. Macht bedeutet hier die gesamte Bandbreite von sozialer, ökonomischer und symbolischer Vorrangstellung. Diese verschiedenen Vorteile ballen sich meist nicht bei einer der Partnerinnen, sondern sind verteilt und außerdem nicht festgeschrieben (so kann man einen moralischen Kredit sehr schnell verspielen ebenso wie die finanzielle Sicherheit plötzlich wegbrechen kann). Macht ist also nicht einfach die starr vorhan-dene Dominanz der einen über die andere, sondern eine veränderliche Eigenschaft, die der wechselseiti-gen Anerkennung bedarf.

Für eine Zusammenarbeit zwischen Kunst und politischer Bildung müssen die Machtverhältnisse ei-nigermaßen ausgewogen sein. Dabei sind alle Arten von Überlegenheit in Betracht zu ziehen: Geld, sozi-ale Vernetzung, mediale Aufmerksamkeit, politische Glaubwürdigkeit, Kenntnis lokaler Gegebenheiten, gute Kontakte zu kommunalen Entscheidungsträ-gerinnen usw. Geld ist zwar die Voraussetzung für

gemeinsame Projekte, jedoch in Bezug auf Macht-verhältnisse nicht immer der wichtigste Faktor. Die sozialen und symbolischen Vorteile müssen als eben-bürtige Eigenschaften in die interne Gleichung ein-fließen, die festlegt, wer welchen Einsatz in die Ko-operation einbringen wird.

Ein vollkommen gleichwertiges Machtverhältnis ist wohl nur schwer vorstellbar und das ist in Ordnung so: Wenn die «Mächtigere» ihre Position im Sinne der Kooperation nutzt, so gewinnt auch die Partnerin an Macht hinzu und wird durch die Kooperation gestärkt. Die Bewegungen im Machtverhältnis müssen daher auch während der Kooperation von beiden Partne-rinnen im Auge behalten werden, um einer Schieflage entgegenzusteuern. Und das bedeutet, Zeit für einen entsprechenden begleitenden Reflexionsprozess ein-zuplanen.

Ein Kooperationsangebot abzulehnen, ist für eine aufgeschlossene und interessierte Einrichtung eine schwierige Entscheidung. Wenn allerdings wesentli-che inhaltliche und strukturelle Rahmenbedingungen nicht erfüllt oder nur mit einem zu großen Aufwand herzustellen sind, kann eine abschlägige Entschei-dung sinnvoll sein. Ein häufiger Grund dafür ist ein zu großes Ungleichgewicht der Kräfte: Für eine

Wir haben gesehen, dass Kunst und politische Bil-dung, so verschieden sie sind, gemeinsame Interes-sen haben. Diese zu erkennen ist die Voraussetzung für jede Form der Zusammenarbeit. Jede Einrichtung muss sich selbst befragen, bevor sie eine Koope-ration anregt oder ein Angebot annimmt. Klarheit über die eigenen Erwartungen und Interessen sowie die gegenwärtige und erwünschte Position ist eine notwendige Voraussetzung dafür, geeignete

VoraussetzungenundRahmenbedingungen

Inhaltlich

• eigene Erwartungen und Interessen herausarbeiten• eigene Stärken und Schwächen benennen• gemeinsame Interessen und Ziele formulieren• mögliche Konfliktzonen beschreiben• bereit sein, sich zu hinterfragen und sich zu verändern

Strukturell

• eine möglichst ausgewogene Machtverteilung herstellen und beibehalten: dazu partizipatorische Strukturen aushandeln und verankern, insbesondere bei Machtgefälle (Top-down-Strategie), finanzielle Ressourcen und Budgetierung (vor allem Arbeitsaufwand/Personalbedarf) festlegen: Organisation und Moderation als zentrale Größe • offene interne Kommunikation über Geld• Umgang mit öffentlicher Aufmerksamkeit, Kommunikation nach außen planen• vertragliche Einigung und Fixierung

3. RAhMENBEDINGuNGENFüREINEGElINGENDEKOOPERATION

Rahmenbedingungen für eine gelingende Kooperati-on zu schaffen. Denn wie noch zu sehen sein wird, geht es im Zusammenspiel beider Partnerinnen zu-nächst einmal um die Balance von Machtverhältnis-sen, um das Aushandeln der gegenseitigen Einsätze und um eine sorgfältige und realistische Einschätzung der kommenden Aufgaben. Schließlich steht hier die Frage zur Debatte, mit wem kooperiert werden kann und soll – und mit wem nicht.

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3.2. Die Kooperation auf den Weg bringen: top-down und bottom-up

Von der Machtverteilung hängt im Regelfall die Frage ab, wer eigentlich auf wen zugeht, um eine Koope-ration anzuregen. Zwei typische Anordnungen, die aber meist nicht in Reinform auftreten, sind top-down («von oben nach unten») und bottom-up («von unten nach oben»).

Bei einer Top-down-Anordnung geht die Initiative zur Zusammenarbeit von der Seite der «Mächtige-ren» aus. Diese nennt mit ihrem Kooperationsange-bot die Bedingungen einer Zusammenarbeit und die angesprochene Partnerin muss auf dieses Angebot reagieren. Sie kann das unterbreitete Angebot unver-ändert annehmen und eine möglicherweise ungleiche Machtrelation akzeptieren. Oder sie kann versuchen, durch Verhandlung ihre eigenen Stärken besser zur Geltung zu bringen und damit die Rahmenbedingun-gen der Kooperation zu verändern.

Wird der Kooperationswunsch ausgehend von der weniger mächtigeren Partnerin durchgesetzt, spricht man von der Bottom-up-Strategie. Sie ist als das Ergebnis von Maßnahmen zu verstehen, mit denen eine Angleichung des Machtniveaus erreicht wird. Öffentlichkeitsarbeit und Lobbying sind klassische Mittel, mit denen Ansprüche auf Kooperation und Mitbestimmung angemeldet und eingefordert wer-den. Diese verlangen jedoch neben einem beträchtli-chen Maß an Organisation und Zielgerichtetheit meist längere Zeiträume zur Durchsetzung. Dafür entsteht aus diesen Strategien ein Selbstverständnis von Par-tizipation und Ermächtigung, das als Basis einer Kul-

tur der politischen Mitbestimmung betrachtet werden muss. Die Top-down-Anordnung dagegen erlaubt zwar effektive und schnelle Entscheidungswege im Rahmen einer Kooperation, ist aber als Fundament eines partizipativen Arbeitsansatzes allein wenig ge-eignet. Um den basisdemokratischen Anspruch zu rechtfertigen, muss sie mit Bottom-up-Strategien verbunden werden. Da solche partizipativen Struktu-ren fragiler sind als hierarchisch organisierte, benöti-gen sie einen besonderen Schutz und Achtsamkeit der Kooperationspartnerinnen bei der Bildung von Grundlagen (gemeinsame Sprache, gemeinsames Verständnis, Rollen- und Funktionsreflexion) für die Kooperation. Diese Grundlagen müssen gemeinsam erarbeitet und können nicht zu Beginn vertraglich for-malisiert werden.

# Ablehnung Kooperationsangebot

Zwei der soziokulturellen Zent-ren, die die documenta 12-Lei-tung zu einem Vorgespräch einlud, schlugen das Angebot zur Zusammenarbeit aus. Bei-des sind eher kleine Vereine, die vor allem Veranstaltun-gen ausrichten und über keine

eigenen kontinuierlich arbeiten-den Bildungsbereiche verfügen. Sie begründeten ihre Ablehnung damit, dass sie etablierte Forma-te hätten und die documenta als thematische Stichwortgeberin nicht bräuchten. Zudem nahmen sie die documenta als ein über-mächtiges Gegenüber wahr, das sich regelmäßig über die aktiven Kulturschaffenden der Stadt

hinwegsetze und deren konti-nuierliche Aktivität unsichtbar mache. Der Schlachthof dage-gen verfügte als recht große und langjährig gewachsene Institu-tion über ausreichend Gewicht, um der documenta 12 weitest-gehend auf Augenhöhe entge-genzutreten.

kleine selbstorganisierte Einrichtung kann es berech-tigt sein, auf die Kooperation mit einem mächtigen und dominanten Gegenüber zu verzichten, wenn zu befürchten steht, dass in der Zusammenarbeit die eigene Position und die eigenen Ansprüche nicht aufrechterhalten werden können. Hier ist die

mächtigere Partnerin gefordert, eine Vertrauensbasis und gesicherte Grundlagen für eine faire Kooperation zu schaffen. Und es ist die Aufgabe beider Partne-rinnen, genau darauf zu achten, dass die Interessen und Bedürfnisse der Schwächeren nicht nur artiku-liert, sondern auch gewahrt und verwirklicht werden.

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Partizipation in der Kunst

Partizipation heißt Beteiligung – Partizipation in der Kunst heißt zunächst einmal Beteiligung an der Produktion von Kunstwerken oder an den Aktivitäten, die sich in den kulturellen Institutionen ereignen.

Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts bemühten sich Künstler, ihre Produktion mit Personen aus anderen Berufs-feldern oder mit bestimmten politischen Interessengruppen gemeinsam zu realisieren, zum Beispiel im Kontext der russi-schen Revolution in den 1920er Jahren. Künstlerinnen wollten die im kommunistischen Sys-tem angestrebte Ermächtigung der Arbeiterklasse durch künst-lerische Arbeit unterstützen. So schreibt Alexander Rodtschen-ko in seinen «Slogans» 1920/21: «Nieder mit einer Kunst, die nichts ist als ein Schönheitspflaster auf dem

widerwärtigen Leben der Reichen. Nieder mit einer Kunst, die ein funkeln-der Stein im trostlosen und schmut-zigen Leben der Armen sein soll. Nieder mit Kunst, die dazu da ist, einem Leben zu entfliehen, das es nicht wert ist, gelebt zu werden. Arbeite fürs Leben und nicht für Pa-läste, Kathedralen, Friedhöfe und Museen. Arbeite mitten in allem und mit jedem.»7 Diese Versuche enthielten eine (Selbst-)Kritik an dem auf Au-tonomie beruhenden bürgerli-chen Kunstbegriff und sprachen der Kunst gesellschaftsverän-dernde Potentiale zu. Seitdem entwickeln sich beteiligungs-orientierte Ansätze in der Kunst 7 Zitiert in: Rollig, Stella (2002):

«Zwischen Agitation und Animati-on. Aktivismus und Partizipation in der Kunst des 20. Jahrhunderts». In: Rollig, Stella/Sturm, Eva (Hg.): Dürfen die das? Kunst als sozialer Raum, Wien: Turia und Kant, S. 128.

quasi als eigenes Genre und in verschiedenen Regionen der Welt. Die beiden Komponenten – Kritik an der Autonomie der Kunst einerseits und Glaube an das gesellschaftsverändernde Potential von Kunst andererseits – sind dabei immer noch wichti-ge Motoren für die Praxis.

In jüngerer Zeit sind Projek-te, in denen der Schulterschluss zwischen Künstlerinnen und politischen Aktivistinnen und Bildungsarbeiterinnen versucht wird, vor allem in Lateinamerika, auf dem afrikanischen Kontinent und im asiatischen Raum in den Blick geraten und unter anderem im Rahmen der Documenta11 der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Doch es sind nicht zufällig zunächst die wohlstän-digen westlichen Einwande-rungsgesellschaften, in denen die Verbindung von künstleri-schen und gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen betrieben

ExKuRS: PARTIzIPATIoN

# Hierarchische und basisdemokratische Arbeitsweisen

Sicherlich wäre es der documen-ta 12-Leitung organisatorisch möglich gewesen, auch ohne institutionelle Kooperationspart-nerin eine Gruppe lokaler Exper-tinnen zusammenzustellen und Strukturen für den Austausch mit dem lokalen Umfeld zu schaffen. Abgesehen von den dafür not-wendigen lokalen Kenntnissen fehlte ihr jedoch eine wesentliche Eigenschaft: Die Legitimität einer der umfassenden Teilhabe und gesellschaftlichen Partizipation verpflichteten Instanz. Denn die innere Struktur der documenta – insbesondere die Konzentration auf einen künstlerischen Leiter – sowie ihr hochkulturelles Profil weisen sie im Gegenteil als eine hierarchische und elitäre Organi-sation aus.

Mit der Kooperation von do-cumenta 12 und Schlachthof konnten die Qualitäten beider In-stitutionen vereint und die Nach-teile abgemildert werden: Die documenta 12 steuerte ihr hohes Ansehen, ihre umfassende Ex-pertise in der zeitgenössischen Kunst und ihre Durchsetzungs-kraft in der lokalen Verwaltung bei. Der Schlachthof brachte seine langjährigen Erfahrungen in der Organisation politischer und sozialer Initiativen, seine Kenntnisse über lokale Themen und Netzwerke und nicht zuletzt seine Legitimität als basisdemo-kratisch begründete Institution ein.

Im Beirat gelang die Verbi-dung dieser zwei unterschied-lichen Arbeitsweisen jedoch nicht immer problemlos. So war der Beirat eigentlich als Gruppe gleichberechtigter Teilnehmerin-nen gedacht, als Plattform für

einen Austausch auf Augenhö-he. Dies schloss alle Beteiligten ein, also auch die eingeladenen Künstlerinnen, die Teammitglie-der, die Koordinatorinnen und die künstlerische Leitung. Die machtvolle Position der künst-lerischen Leitung strahlte al-lerdings in den Beirat hinein, nicht zuletzt, weil sie den Beirat selbst ins Leben gerufen hatte. So besaß deren Stimme auch in den Beiratsdiskussionen mehr Gewicht als die der anderen Teilnehmerinnen. Immer wieder wurden Entscheidungen faktisch von der künstlerischen Leitung allein getroffen und so von der Beiratsgruppe akzeptiert. Dieses Ungleichgewicht wurde nicht thematisiert oder gar systema-tisch und kollektiv behoben.

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wird. Die Idee, dass Kunst und die Beschäftigung mit ihr einen erzieherischen und damit einen gesellschaftlich bildenden, im bürgerlichen Sinne zivilisieren-den Charakter hat, war für die Idee von Kultur in diesen Ländern von Anfang an prägend. Daher lag und liegt es nahe, Kunst als Katalysator von Wandel genauso wie als Mittel zur Konfliktbefrie-dung immer dort einzusetzen, wo aufgrund von sozialen und öko-nomischen Transformationspro-zessen Spannungen entstehen. Ein solcher Einsatz bietet den Künstlerinnen ein Betätigungs-feld, die sich mit dem Kampf um den Marktwert ihrer Arbei-ten allein nicht zufriedengeben wollen und den Wunsch nach politischer Wirksamkeit verspü-ren.

Eines der frühesten und viel-leicht auch radikalsten Beispie-le für diesen Einsatz bot die im England der 1960er Jahre aktive «Artists Placement Group». Im Auftrag von Stadtverwaltungen oder Industriebetrieben arbeite-ten Künstlerinnen dieser Grup-pe in Planungs- und Entschei-dungsprozessen mit. In den USA werden künstlerische Projekte seit dieser Zeit in Allianz mit Bürgerrechtsbewegungen und aktivistischen Gruppen realisiert. Ebenfalls seit den 1960er Jahren existiert in fast allen englisch-sprachigen Ländern der Welt die sogenannte Community Art, die die Zusammenarbeit von Künst-lerinnen mit lokalen Interessen-gruppen z.  B. im Kontext der Stadterneuerung bezeichnet.

In Deutschland wurde im Zusammenhang mit den Be-wegungen um 1968 die Fra-ge nach der gesellschaftlichen Bedeutsamkeit von Kunst neu gestellt. Eine Ausstellung mit dem Titel «Eremit – Forscher – Sozialarbeiter? Das veränderte Selbstverständnis von Künst-lern» untersuchte 1979 die Rolle von Künstlerinnen in der Gesell-schaft. Für die neuen künstleri-schen Praxisformen wurde der

Begriff «Kunst als sozialer Pro-zess» geprägt. In den 1990er Jahren war ein Boom solcher Projekte zu verzeichnen, ausge-löst durch den Zusammenbruch des Kunstmarktes sowie die gesellschaftlichen Umordnun-gen im Zusammenhang mit dem Ende des Kalten Krieges und der Wiedervereinigung.

a) Machtverhältnisse

«Partizipation hat immer damit zu tun, dass man jemanden an et-was teilhaben lassen möchte, das ihm ursprünglich nicht gehört. Der Blickwinkel ist der von Besit-zenden, die teilen möchten, ohne aber das Verfügungsrecht über den Besitz gänzlich aufzugeben»

formuliert die Kulturvermittlerin Gabriele Stöger im Jahr 2000 in einer Publikation mit dem Titel «Dürfen die das?»8. Die ersten kollaborativen Projekte der russi-schen Avantgarde sind zum Bei-spiel nur durch die Manifeste der Künstlerinnen überliefert. Bisher sind zumindest im deutsch- und englischsprachigen Raum keine Dokumente aufgearbeitet oder publiziert, die belegen, wie diese Aktivitäten bei den Arbeiterin-nen, an die sie gerichtet waren, aufgenommen und interpretiert wurden und welcher Nutzen ihnen von dieser Seite zugespro-chen wurde.

Grundsätzlich lässt sich bei künstlerischen Beteiligungspro-jekten ein komplexes Machtge-füge feststellen. Die Künstlerin-nen sind in der Regel mit einer größeren Portion kulturellem Ka-pital ausgestattet: Sie sind häufig beauftragt von einer Institution mit sozialem Prestige, genießen von vornherein den Respekt, der Kunst entgegengebracht wird, und verfügen häufig über einen guten Bildungshintergrund und 8 Rollig, Stella/Sturm, Eva (Hg.): Dürfen

die das? Kunst als sozialer Raum, Wien: Turia und Kant, S. 187.

ein entsprechendes Artikulati-onsvermögen. Aufgrund ihres in der Regel harten Existenzkamp-fes sind sie außerdem darin erprobt, ihre Interessen mit un-terschiedlichen, gleichermaßen geschickten Strategien (z. B. der Überzeugungs- und Lobbyarbeit oder der Suggestion) durchzu-setzen. Diese Eigenschaften las-sen sich nicht in jedem Fall auch den anderen an einem Projekt beteiligten Personen zuschrei-ben, zumal sich die Partizipati-onskunst durch ihre Problemori-entierung häufig an Menschen richtet, die als sozial und/oder ökonomisch benachteiligt gel-ten. Auf der anderen Seite sind die Künstlerinnen in partizipati-ven Projekten auf deren aktive Beteiligung angewiesen: Wird diese verweigert, kann das Pro-jekt nicht stattfinden.

Die Verteilung der Macht ist also weder eindeutig noch sta-tisch. Dennoch bestimmen fast in allen Projekten die Künstlerin-nen den Rahmen, die inhaltliche Orientierung und nicht selten auch das Produkt. Sie sind es letztlich, die bei diesen Projek-ten auf jeden Fall eines gewin-nen: gesellschaftliche Relevanz und soziales Prestige für ihre Kunst sowie einen Hauch von «attraktiver» Radikalität («radi-cal chic»). Manche Gruppen im Bereich des politischen Akti-vismus und der (migrantischen) Selbstorganisation sind in Zeiten des Partizipationsbooms dazu übergegangen, nur mit Künstle-rinnen zusammenzuarbeiten, die nicht mit einem fertigen Plan vor ihrer Tür stehen, sondern mit der Absicht, das jeweilige Projekt mit ihnen gemeinsam zu entwi-ckeln.9

9 Salgado, Rubia: Wenn Migrantinnen

Bedingungen formulieren, Vortrag in einer Lunch Lecture der documenta 12

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b) Politische Wirksamkeit

Genauso kompliziert ist die Frage nach der politischen Wirksam-keit künstlerischer Beteiligungs-projekte. Spätestens seit Ende der 1990er Jahre hat die Politik den Einsatz von Kunst für sozia-le Belange als ein preisgünstiges Werkzeug entdeckt. Es wächst die Kritik an der sogenannten Kulturalisierung gesellschaftli-cher Problemstellungen. Damit ist gemeint, dass die Arbeit von Künstlerinnen mit als margina-lisiert bezeichneten Gruppen zunehmend die deutlich teurere Verbesserung von strukturellen Verhältnissen ersetzt. Ein Bei-spiel dafür wäre die in einem konservativ regierten deutschen Bundesland erfolgte Kürzung der Förderung für die Arbeit anti-rassistischer Organisationen bei gleichzeitiger Weisung an Ein-richtungen kultureller Bildung, ihr Engagement an Hauptschu-len mit hohem migrantischem Schülerinnenanteil zu erhöhen. Es ist daher zu unterscheiden zwischen Projekten, die beste-hende Verhältnisse lediglich the-matisieren und möglicherweise stabilisieren, und solchen, die den Versuch unternehmen, lang-fristige strukturelle Änderungen herbeizuführen.

Doch nicht nur die Verlage-rung politischer Forderungen in das Feld der Kunst und Kultur ist zu problematisieren. Zuweilen bewirken künstlerische Beteili-gungsprojekte sogar Entwick-lungen, die ihren ursprünglichen Absichten zuwiderlaufen. Am prominentesten sind Beispiele im Kontext von Stadterneuerung und Quartiersmanagement, wo unter anderem das Überlassen von sanierungsbedürftigen Ge-bäuden für Kunst und Kulturar-beit zu einer Wertsteigerung der Immobilien führt – Umschichtun-gen in der Bevölkerungsstruktur eines Stadtteils von Arm nach Reich können die Folge sein.

c) Probleme und Bedingungen

Für das Gelingen eines künstle-rischen Partizipationsprojekts ist es unabdingbar, dass die Macht-verhältnisse der Kooperation so-wohl zwischen den beteiligten Kooperationspartnerinnen als auch zwischen Künstlerinnen und Bürgerinnen artikuliert wer-den und im Vorfeld genau defi-niert wird, wer auf welche Weise von dem Projekt profitieren soll. Gemeinsam mit allen Beteiligten sollte die Erarbeitung der Strate-gien erfolgen, die ein Gelingen des Projekts in diesem Sinne ermöglichen. Ein Indikator für den demokratischen und eman-zipativen Anspruch, den ein partizipatives Kunstprojekt mög-licherweise verfolgt, sind der Beteilungsgrad und der Einfluss, die den Eingeladenen zugespro-chen werden. Die Möglichkeiten reichen dabei von dem strikten Ausführen der von der Künstlerin vorgegeben Anweisungen bis zu der Aufforderung, ohne jegliche Vorgabe zusammen ein Projekt zu entwickeln. Genauso ist es notwendig, die politischen und strukturellen Gegebenheiten des Kontextes, in dem ein Projekt stattfindet, genau zu betrachten. Es sollte überlegt werden, wel-che Funktionen und welche ge-wünschten und unerwünschten Effekte und Nebeneffekte das Projekt aus der Perspektive der unterschiedlichen Beteiligten ha-ben bzw. nicht haben soll.

Diese genaue und kritische Betrachtung sollte nicht nur zu Beginn und zum Ende, sondern auch während des gesamten Projektzeitraums erfolgen. Es ist unter anderem eine Forderung an die einladende Seite – in den meisten Fällen die Künstlerin –, Zeit für diesen Reflexionspro-zess in dem Projekt einzuplanen. Dies ist ein hoher Anspruch an-gesichts des Zeit- und Produkti-onsdrucks, unter dem die meis-ten Projekte im künstlerischen Feld entstehen. Dieser Anspruch ist jedoch aus unserer Sicht

unabdingbar, wenn künstleri-sche Beteiligungsprojekte einen wie auch immer formulierten ermächtigenden und emanzipa-tiven Anspruch einlösen wollen. Andernfalls laufen sie schnell Gefahr, zu Instrumentalisie-rungs-, Beruhigungs- oder Ver-hübschungsprojekten zu wer-den.

Politische Partizipation

Politische Partizipation bezeich-net im engeren Sinne die Teilnah-me der Bevölkerung an politi-schen Willensbildungsprozessen und ihre Mitwirkung an Entschei-dungen über den Modus des Zusammenlebens – also die aktive Mitgestaltung des Ge-meinwesens. Der Begriff wird auch für indirekte Einflussnah-men und informelle gesellschaft-lich-soziale Gestaltungsformen von Bürgerinnen verwendet.

Die heutige politische Parti-zipation ist einerseits formal ver-fasst: Die Möglichkeiten der Ein-flussnahme auf Politik und Staat sind mit Wahlrecht, Demonstra-tionsrecht, Parteien, Vereinigun-gen und Interessenvertretungen grundrechtlich verankert. Ande-rerseits ergänzen informellere Formen der Meinungsäußerung und der Einflussnahme diese bürgerlichen Rechte.

In den 1970er Jahren artiku-lierten die Neuen Sozialen Be-wegungen einen gewachsenen Bedarf an politischer Mitspra-che. Sie forderten mehr und di-rektere Gestaltungs- und Mitbe-stimmungsmöglichkeiten. Diese Forderungen führten ab Mitte der 1970er Jahre u. a. zu Verän-derungen des kommunalen Pla-nungsverfahrens, also zu einer Ausdehnung der formalisierten Partizipationsmodelle. Seitdem müssen bei städtebaulichen Planungen und Baumaßnahmen die Betroffenen mit ihren Sicht-weisen, Wünschen und Forde-rungen eingebunden werden. Meist handelt es sich dabei um

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offene Beteiligungsformen, die allen interessierten Bürgerinnen die Möglichkeit einräumen, die Verantwortlichen zu befragen und ihre eigene Meinung zu den Planungen zu äußern.

Die partizipativen oder um genauer zu sein: die sogenann-ten beteiligungsorientierten Ar-beitsweisen bildeten sich ins-besondere in den letzten dreißig Jahren vor allem in der Jugend-arbeit heraus. Dies ist nachvoll-ziehbar, denn Einrichtungen der Jugendarbeit fühlen sich auf-grund ihres Auftrags auch den Themen der politischen Bildung verpflichtet: Gerade Jugendli-che sollen so gebildet werden, dass sie ihr gesellschaftliches Umfeld aktiv gestalten und sich an demokratischen Verfahren beteiligen. Im Bereich der Ju-gendpartizipation haben sich generell drei Grundformen der Partizipation und Mitbestim-mung herauskristallisiert: offene Beteilungsformen zur Anhörung von Kindern und Jugendlichen in Jugendforen oder Kinder- und Jugendkonferenzen, projektori-entierte Formen, beispielsweise Beteiligung an der Planung und Gestaltung von Spielplätzen, Jugendhäusern und Ähnlichem, und parlamentarische Formen wie Jugendparlamente. Die Be-mühungen, Kinder und Jugend-liche aktiv zu beteiligen, sind in Deutschland sehr ausgeprägt und gesetzlich verankert. Dies ist im Zusammenhang mit der Diskussion um die Politikver-drossenheit von Jugendlichen bzw. deren distanzierter Haltung gegenüber derrepräsentativen Politik zu sehen.

Jenseits des Kinder- und Jugendbereiches wurden seit den 1990er Jahren vermehrt Vorgehensweisen entwickelt, um die Partizipations- und Be-teiligungsbereitschaft von un-terschiedlichsten Bevölkerungs-gruppen anzuregen. Inzwischen liegen viele erprobte Model-le vor, die zeigen wollen, wie «Demokratie von unten» durch

Partizipation gelingen kann. Me-thoden, Konzepte und die Praxis der Partizipation und der soge-nannten Bürgerbeteiligung sind heute weit verbreitet. Auch sozi-ale Einrichtungen, Vereine, Kul-tureinrichtungen und kommuna-le Verwaltungen wollen die aktive Beteiligung ihrer Mitglieder bzw. Klienten an Entscheidungs- und Umsetzungsprozessen beför-dern (wobei ihre steigende Be-liebtheit in den Kommunalver-waltungen letztlich auch dem Wunsch geschuldet sein mag, durch Partizipationsmethoden unliebsame Kosteneinsparun-gen konfliktärmer umzusetzen). Dabei werden folgende Schwer-punkte gesetzt: • verschiedene Bevölkerungsgruppen berücksichtigen• Meinungen und Perspektiven der Einzelnen aufnehmen• Bürgerinnen als Expertinnen ihrer Anliegen akzeptieren • kreative Ideen und Lösungsvorschläge sammeln• Konflikte bearbeiten• Konsens herstellen• für gesellschaftliche Themen aktivieren• manchmal auch einfach: Kosten sparen Die Grundmethoden dabei sind Zukunftswerkstätten, Open-Space-Veanstaltungen, Plan- und Handlungsspiele, Mediationsverfahren und akti-vierende Befragungen. In den vergangenen Jahren wurden die Grundformen dieser Methoden im Hinblick auf den jeweiligen Personen- und Themenkreis weit ausdifferenziert und modifi-ziert. Bei der Flut von Methoden wirkt das Thema Partizipation jedoch vor allem wie ein päda-gogischer Lern- und Bildungs-gegenstand, weniger wie eine unabdingbare Qualität demo-kratischen Zusammenlebens. Nur im Bereich der kommunalen

Planungen und Entscheidungen wurde mit der Schaffung von Bürgerhaushalten eine substan-ziell weitergehende Neuerung eingeführt: Bürgerinnen können sich bei der Aufstellung, Umset-zung und Kontrolle öffentlicher Haushalte beteiligen. Vorreiter für diese Entwicklung war die brasilianische Großstadt Por-te Alegre, die bereits vor über 15 Jahren einen Bürgerhaus-halt einführte. Seit 2001 haben sich über 50 deutsche Städte dem Modell angeschlossen, die meisten weichen jedoch in we-sentlichen Punkten von dem brasilianischen Vorbild ab. Ein wichtiger Unterschied besteht darin, dass sich die Bürgerinnen in Porto Alegre an der Frage der Hierarchisierung und Verteilung von Investitionsmitteln beteili-gen können. Hingegen werden in deutschen Bürgerhaushaltsmo-dellen meist nur begrenzte Be-reiche des Haushaltes zur Anhö-rung gestellt und nicht alles der zivilgesellschaftlichen Entschei-dungsgewalt überantwortet. Die Einführung der Bürgerhaushalte in Deutschland fällt in eine Zeit der leeren Haushaltskassen, der sinkenden Wahlbeteiligung und der damit verbundenen sozial-ökonomischen Spannungen.

Die Möglichkeiten politi-scher Partizipation sind mit dem sozial-politischen Kontext einer Gesellschaft verbunden. Inso-fern ist die Ernsthaftigkeit, Qua-lität und die Reichweite einer angebotenen oder gar gebote-nen Partizipation erst erkennbar, wenn diese im Kontext von ge-sellschaftlichen Entwicklungen betrachtet wird. In Bezug auf den Bürgerhaushalt ist dieser Kontext aufschlussreich, umso mehr als das Modell auch von neoliberalen Politikberatungen empfohlen und in den Kom-munen umgesetzt wird. Partizi-pation wird dabei schnell zum politischen Instrument einer leichteren Durchsetzung von kommunalen Sparprogrammen, ohne dass dabei eine echte

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Einflussnahme auf die Entwick-lung der Kommune gegeben ist. Das Resultat einer solchermaßen umgedeuteten Partizipation muss die Frustration der Betei-ligten und ein weiter sinkendes Vertrauen in die bestehenden politischen Strukturen sein.

Das Beispiel verweist auf das Dilemma des Begriffs der Partizipation: Entstanden aus einer gesellschaftlichen Pra-xis der Forderung nach und Kämpfe um die Mitwirkung an

Entscheidungs- und Willens-bildungsprozessen ist er als theoretischer Begriff und als po-litisches Handlungsmodell heute unschärfer denn je. An was und wozu sollen sich Einzelpersonen und Gruppen beteiligen? Wann ist Beteiligung erwünscht, zuge-lassen und erforderlich und wer gibt die Möglichkeit zur Partizi-pation? Oder setzt Partizipation nicht immer einen bereits vor-handenen eigenen Willen zur gesellschaftlichen Mitgestaltung

und Teilhabe voraus? Diese Fragen verweisen auf wichti-ge Grundbedingungen für eine tatsächliche Partizipation und grenzen diese von schein- oder nicht partizipativen Strukturen ab. Sie müssen an alle Optionen auf Mitsprache und Mitentschei-dung gestellt werden, damit eine tatsächliche Partizipation in der Praxis entwickelt und realisiert werden kann.

3.3. Geld und Ressourcenverteilung

Die Finanzierung gemeinsamer Aktivitäten gehört zu den wichtigsten und gleichzeitig sensibelsten Punk-ten, denen sich eine Kooperation stellen muss. Zuge-winn von Geld ist selten ein erklärtes prioritäres Ziel einer Zusammenarbeit. Hierzu zählen vielmehr zum Beispiel die Erweiterung des bislang angesprochenen Personenkreises oder die eigene Weiterentwicklung und strategische Neuausrichtung. Jedoch entschei-det das Potential einer Kooperation zur gemeinsamen Beantragung von Mitteln häufig über deren Zustan-dekommen. Schließlich sind die meisten Institutionen sowohl der Kunst als auch der politischen Bildung auf öffentliche Mittel angewiesen, mit denen eine Entwicklung neuer Projekte erst möglich wird. Die unterschiedlichen Profile und Kapazitäten der beiden Partnerinnen erweisen sich bei der Akquise oft als strategischer Vorteil, da Förderinstitutionen aus bei-den Bereichen angesprochen werden können. (Unter Umständen kann die Überschreitung der Grenzen des eigenen Bereichs jedoch von Nachteil sein, wenn sich nämlich keine der angesprochenen Institutionen für die Förderung zuständig fühlt.)

Noch bevor die Partnerinnen gemeinsam Drittmit-tel für geplante Aktivitäten beantragen, mobilisieren sie eigene Ressourcen für die Zusammenarbeit. Da-bei ist Geld – wie in Bezug auf die Machtverhältnisse dargestellt – als eine Form von verschiedenen Koope-rationsleistungen zu betrachten. Zugleich bringt sie die symbolische Wertigkeit der Kooperationspartnerin in materieller Form zum Ausdruck.

Bei der detaillierten Budgetierung der Kooperati-onsvorhaben muss insbesondere der Bedarf an Per-sonalmitteln umfassend berücksichtigt werden. Hier gilt es zu bedenken: Die Kooperation lebt nur vom Einsatz der an ihr beteiligten Personen – einerseits der professionell damit befassten Multiplikatorin-nen, andererseits der Personen des lokalen Umfelds. Möglicherweise verfügen nicht alle über ein festes und geregeltes Einkommen, das ein ehrenamtliches Engagement erlaubt, möglicherweise ist dies auch politisch weder sinnvoll noch vertretbar.

Entsprechend muss der Personaleinsatz realistisch kalkuliert werden und je nach der finanziellen Situ-ation der Mitarbeitenden auch die Zahlung von Sit-zungsgeldern, Aufwandsentschädigungen für Fahr-ten, Honorare für Texte und Konzepte, Werkverträge für die Umsetzung von Projekten usw. umfassen. In jedem Fall muss die Budgetierung mit den Beteilig-ten besprochen werden, damit sie deren Bedürfnisse berücksichtigt. Mit einem solchermaßen offenen Um-gang lässt sich beispielsweise durchaus eine unter-schiedlich veranschlagte Honorierung von Tätigkeiten in Abhängigkeit vom sonstigen Einkommen der be-treffenden Personen vereinbaren, die bei allen Betei-ligten auf Zustimmung stößt.

Eine zentrale Größe bei der Zuteilung von finan-ziellen und personellen Ressourcen ist der Bereich der Steuerung und Moderation des gesamten Prozesses. Um deren Arbeitsaufwand realistisch einzuschätzen, sind folgende Aspekte zu bedenken: • Welche Aufgaben soll die Organisation/ Moderation genau übernehmen (Herstellen von Kontakten, Vorbereitung und Koordination von Treffen, Dokumentation, Konzeptarbeit, Öffent- lichkeitsarbeit, Fundraising usw.)?• Mit welchem Aufwand und in welchem Umfang soll die Kommunikation mit einzelnen an der Kooperation beteiligten Personen geleistet wer den (Einzelgespräche und einzelne Besuche, Übersetzung in mehrere Sprachen, Häufigkeit der Treffen in Klein- oder Großgruppen, individu- elle inhaltliche Betreuung usw.)?

Diese beiden Fragen geben wichtige Anhaltspunkte für die Planung, wie viele Personen zu welchem Zeit-punkt benötigt werden und wer diese Aufgaben über-nehmen sollte: Gibt es ein eigenes Moderationsteam oder werden die Aufgaben in der Kooperationsgrup-pe verteilt? Letztere Variante hat den Vorteil, dass die innere Organisationsstruktur der Kooperati-on eine sehr flache hierarchische Struktur erhält, gleichzeitig stellt die Vergabe von organisierenden und moderierenden Aufgaben eine zusätzliche

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Belastung dar, wenn die Beteiligten regelmäßige Verpflichtungen wie Berufstätigkeit, Familie usw. zu bewältigen haben. Ein eigens beauftragtes Or-ganisationsteam dagegen kann sich den anfallen-den Aufgaben mit voller Konzentration widmen. Die Betonung liegt in jedem Fall auf Team, denn es sollten mindestens zwei Personen aus den beiden Kooperationsparteien die Aufgaben gemeinsam übernehmen, um sich gegenseitig Unterstützung und Korrektiv zu sein (≥ 5.2. Rolle der Moderation, S. 52). Ein allgemeiner Grundsatz für den Umgang mit Geld betrifft die interne Kommunikation: Zentral ist ein von

Anfang an offener Umgang mit dem Thema! So früh wie möglich sollte die Finanzsituation dargelegt und den beteiligten Personen auf verbindliche Weise der Rahmen des Möglichen und Beabsichtigten vermit-telt werden. Denn nur wenn über die zur Verfügung stehenden Gelder Klarheit herrscht, können einzelne Personen ihren eigenen Einsatz planen und Projekte realisieren, die mit Ruhe vorbereitet und umgesetzt werden. Dies wirkt sich letztlich positiv auf die Qualität der einzelnen Projekte sowie den gesamten Prozess aus.

# Finanzen

Der Beirat entstand auf Initiati-ve der documenta 12-Leitung. Er wurde zu einem frühen Zeit-punkt der Ausstellungsvor-bereitung gegründet, von der künstlerischen Leitung intensiv begleitet und als integraler Be-standteil des kuratorischen Vor-gehens dargestellt. Vor diesem Hintergrund scheint es wider-sprüchlich, dass der Beirat kein eigenes Budget besaß und bis zuletzt mit finanzieller Unsicher-heit zu kämpfen hatte. Dafür gibt es verschiedene Gründe:

Die künstlerische Leitung er-läuterte bereits zu einem frühen Zeitpunkt der Zusammenarbeit, dass die finanzielle Ausstattung des Beirats (wie auch eines großen Teils der Ausstellung) von der Drittmittelakquise ab-hänge. Sie gab daher keine fes-ten Zusagen für die finanzielle Unterstützung der Beiratspro-jekte in Form eigener Budgets, sondern sorgte vor allem für die personelle Grundausstattung. Zu einem späteren Zeitpunkt kamen jeweils individuell aus-gehandelte Einzelzahlungen für Reisekosten, Texthonorare und eine filmische Dokumentation hinzu sowie die Finanzierung der Projekte im Zusammen-hang mit der Kunstvermittlung (durch Drittmittel ermöglicht). Für die einzelnen lokal bezogenen Projekte entsprach der budgetäre Rahmen lange

Zeit einer Situation, die auch ohne documenta gegeben ge-wesen wäre. Folglich entwi-ckelten sie sich im Rahmen der eigenen (institutionellen und persönlichen) Möglichkeiten so-wie der selbst eingeworbenen Gelder. Dabei war die symbo-lische Unterstützung durch die documenta 12 sicherlich von großem Vorteil, ebenso wichtig waren jedoch die jeweils eigenen Kontakte und Erfahrungen in der Akquise von Finanzen. Je nach Thema und personeller Zusam-mensetzung gingen die Arbeits-gruppen mit dieser Situation un-terschiedlich um. Während einige bereits frühzeitig ihre Formate in Allianz mit lokalen Partnerinnen und Geldgebern entwarfen, bei-spielsweise der Stadtverwaltung (Mach-Was-TRäume) oder dem lokalen Energieversorger (Die unsichtbare Stadt – sichtbar ma-chen), gerieten insbesondere die Projekte unter Druck, die keine eigene Lobby besaßen. Exem-plarisch dafür ist der Salon des Refusés zum Thema Erwerbs-arbeitslosigkeit, für den lange Zeit die notwendigen Mittel fehl-ten, um die Erwerbslosen durch angemessene Honorare von Transferleistungen und damit den Zwängen der Arbeitsagen-tur freizustellen. Die Umsetzung der Ideen stockte, Konflikte innerhalb der Arbeitsgruppe verschärften sich und mehrfach drohte das Projekt zu scheitern.

Die Projekte nahmen damit eine eigentümliche Stellung ein: Zwar waren sie im Rahmen der documenta 12 erwünscht und brachten ihr erhebliche symboli-sche Vorteile ein. Mit dem Beirat sicherte sie sich auch interna-tional ihren guten Ruf als lokal eingebundene Ausstellung von hohem gesellschaftlichem In-teresse. Gleichzeitig waren die Beiratsprojekte finanziell unter-versorgt und wurden aus eige-ner Kraft mit lokalen Ressourcen realisiert. Diese Unabhängigkeit war einerseits ein inhaltlicher Vorteil. Andererseits lässt sich nur ahnen, welche Reichweite und Kühnheit die Projekte hätten entwickeln können, wenn ein ge-sichertes Budget die personellen Ressourcen frühzeitig für die in-haltliche Auseinandersetzung verfügbar gemacht hätte, anstatt sie in Mittelbeschaffung und Re-alisierungszwänge zu binden.

Das Missverhältnis zwischen behaupteter Bedeutsamkeit und materieller Ausstattung wird durch einen Blick auf das Gesamtbudget der Ausstellung verschärft: Der überwältigende Anteil finanzieller Ressourcen der documenta 12 wurde auf die Produktion der künstlerischen Arbeiten und die technische Installation der Ausstellungs-gebäude und -architektur ver-wendet. In dieser Entscheidung wird eine Haltung sichtbar, die die «Ausstellung im engeren Sinne» weiterhin als unbedingte

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Voraussetzung für alle Formen der kommunikativen und vermit-telnden Ausstellungselemente wie den Beirat priorisiert. Oder die das «kommunikative Bei-werk» als prinzipiell verzichtbar

erachtet, wenn denn nur die Werke und der Ausstellungsraum vorhanden sind. Diese (meist im-plizite) Setzung in Frage zu stel-len, ist ein wesentliches Anliegen der hier vertretenen Auffassung

von kultureller Bildung. Wir seh-en es als unverzichtbar an, das Ausstellen von Kunst in einen gesellschaftlichen Rahmen ein-zubetten, den es herzustellen und zu pflegen gilt.

3.4. Anerkennung und Aufmerksamkeit

In den vorhergehenden Abschnitten wurde erläutert, wie symbolische und soziale Vorteile mit ökonomi-schen Vorteilen abgewogen werden müssen. Aner-kennung und Aufmerksamkeit des Publikums sind Ausdruck der symbolischen und sozialen Ressourcen einer Kooperationpartnerin. Sie müssen differenziert werden im Hinblick auf die unterschiedlichen Adres-satinnenkreise, die die Partnerinnen anzusprechen in der Lage sind, und können nicht einfach quantitativ gemessen und gegeneinander aufgerechnet wer-den. Da die Zielsetzungen einer jeden Kooperation sehr spezifisch sind, kann beispielsweise die Auf-merksamkeit von 20 Personen aus der globalisie-rungskritischen Szene gleich wertvoll sein wie die von 200 Personen aus der Kunstszene. Oder anders herum kann ein einziges Interview in einer Kunstzeit-schrift mehrere Berichte in regionalen Magazinen aufwiegen. In jedem Fall besteht das Engagement bei

der Partnerinnen darin, ihre spezifisch generierbare Aufmerksamkeit zugunsten der Kooperation einzu-setzen. Im Idealfall ergänzen sich deren Adressatin-nenkreise und machen sich gegenseitig keine Kon-kurrenz.

Insbesondere für die öffentliche Aufmerksamkeit gilt: Mehr ist nicht immer besser, zumindest nicht zu jedem Zeitpunkt. Der Kooperationsprozess benötigt Zeit zu wachsen und muss eine gewisse Reife erreicht haben, bis er sich öffentlicher Aufmerksamkeit stellen kann. Dem entspricht die Bereitschaft und Fähigkeit der beteiligten Personen, sich der öffentlichen Auf-merksamkeit und Kritik zu stellen. Allgemein gilt: Je höher der öffentliche Druck und das öffentliche In-teresse sind, desto besser müssen die Stufen der Veröffentlichung geplant werden und desto mehr per-sonelle Ressourcen werden für die Bewältigung der Öffentlichkeitsarbeit benötigt. Dies ist nicht zuletzt eine Frage des gelungenen Zeitmanagements.

# Aufmerksamkeit und Interessenkonflikte

Die öffentliche Aufmerksamkeit für alle Aktivitäten der docu-menta ist in Kassel sehr hoch. Sowohl die lokale Presse als auch die kulturinteressierte Öf-fentlichkeit verfolgen jeden ih-rer Schritte. Nun adressierte die documenta 12 mit ihrer Initiati-ve für eine lokale Verknüpfung erstmals gesellschaftliche Kreise bzw. eine Institution, die bislang nicht als die wahrscheinlichs-ten Ansprechpartnerinnen für die angesehene Ausstellung verstanden wurden: ein sozio-kulturelles Zentrum anstatt eta-blierter Kunstinstitutionen, eine Gruppe Kasseler Bürgerinnen aus diversen Gesellschafts-bereichen an Stelle gewählter Repräsentantinnen und an-gesehener Kulturexpertinnen. Sobald sich der Beginn einer

Kooperation mit dem Schlacht-hof herumgesprochen hatte, nahmen zahlreiche gesellschaft-lich einflussreiche Vertreterinnen der bürgerlichen Kulturszene den direkten Kontakt zur Ge-schäftsleitung der documenta auf, um sich nach der lokalen Kontaktaufnahme und ihrer Rolle darin zu erkundigen. Dies wurde von Seiten der Beiratskoordina-tion und von den Beiratsmitglie-dern als Druck wahrgenommen, als Versuch der Einflussnahme auf die Art der lokalen Veran-kerung qua gesellschaftlicher Machtposition. Nicht gesehen wurde dagegen die in dem In-teresse enthaltene Bereitschaft, sich einzubringen. Diese Bereit-schaft hätte möglicherweise in eine zusätzliche Ebene der lo-kalen Kooperation gelenkt wer-den können, die im besten Fall auch dem Ziel der Beiratsarbeit gedient hätte. Die Zurückwei-

sung der etablierten bürgerli-chen Kulturszene provozierte dagegen eine harte Auseinan-dersetzung, die die Beiratsko-ordination viel Zeit und Energie kostete – Energie, die für die An-liegen des Beirats selbst sinn-voller hätte eingesetzt werden können.

Außerhalb der kulturinte-ressierten Öffentlichkeit trug die Arbeit des Beirats zu einer veränderten Wahrnehmung der documenta bei: Mit den Bei-ratsmitgliedern als Multiplika-torinnen und den Projekten als inhaltlichen Türöffnern gelangte die documenta in das Bewusst-sein vieler Stadtbewohnerinnen, die bislang nicht angesprochen wurden und sich als «nicht zu-ständig» erachteten. Dies be-traf im Wesentlichen Personen aus bildungsfernen und ökono-misch schwachen Schichten. Die Beiratsprojekte übersetzten

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3.5. zeit und Arbeitsphasen

Für den Zeitrahmen einer Kooperation gibt es eine einfache Grundregel: Man kann nicht zu früh anfan-gen. Die Vorlaufphase, d. h. die Phase des Kennen-lernens und Herantastens, benötigt Ruhe und Zeit. Erst müssen eine gemeinsame Sprache gefunden, gemeinsame Ziele entwickelt und eine verbindliche Atmosphäre geschaffen werden, bevor die Arbeit am konkreten Projekt beginnen kann.

Inhaltliche Ziele, finanzielle und personelle Res-sourcen, Aufmerksamkeit und Zeitrahmen sind stark voneinander abhängige Faktoren: Je klarer die Ziele der Kooperation formuliert werden und je genauer der budgetäre Rahmen sowie die zu erwartende Öf-fentlichkeit bzw. Aufmerksamkeit einzuschätzen sind, desto besser lassen sich Ressourcen planen und einteilen. So kann die physische und psychi-sche Verausgabung vermieden oder zumindest ge-mindert werden, die meist kennzeichnend für die-se Art der Kommunikations- und Projektarbeit ist.

Eine häufig geäußerte Einschätzung zur Gewichtung der Arbeitsphasen besteht darin, dass die «eigentli-che» Arbeit, d. h. die konkrete Arbeit an den Inhalten und am Projekt, zu kurz komme. Deutlich wird dies, wenn am Ende eines Projekts die Beteiligten äußern, sie hätten eigentlich erst jetzt mit der «richtigen» Ar-beit begonnen – dabei werden die davor liegenden Wochen oder Monate der aufreibenden organisatori-schen Vorbereitung kurzerhand als notwendiges Übel definiert und von der inhaltlich befriedigenden Erfah-rung bei der Durchführung des Projekts getrennt. Die Reflexion des gesamten Prozesses ergibt jedoch ein anderes Bild: Der Prozess der Vorbereitung, der Kon-zeption und der logistischen Planung ist wesentliches Element des Kooperationsprozesses. In ihm ereignen sich die Momente des Voneinander-Lernens, die die Zusammenarbeit letztlich zu ihrem Ziel bringen. Diese Phase, die normalerweise weitaus länger ist als die «eigentliche» Realisierung, muss von vornherein als gleichwertiger, wenn nicht gar wesentlicher Teil der zu leistenden Arbeit begriffen werden kann.

das exklusive Format der Aus-stellung in inklusivere Forma-te der Diskussion, Beteiligung und Aktivierung und umgingen damit einige der im Kunstfeld wirksamen Ausschlussmecha-nismen – auch wenn es nicht möglich war, sämtliche struktu-rellen Schranken abzubauen. So gelang es beispielsweise bis auf wenige Ausnahmen nicht, eine der größten Nutzerinnengrup-pen des Schlachthofs, nämlich die Migrantinnen, die nicht zur

Mittelschicht gehören, für die Beiratsaktivitäten zu gewinnen, obwohl diese Gruppe zumindest beim Veranstaltungsprogramm von «Bildung, Migration, Aus-grenzung» thematisch im Mit-telpunkt stand (≥ 4.1. Heterogeni-tät, Reichweite und Diskriminierung, S. 47).

Aus der Perspektive der Kunstinstitution wurde dennoch qualitativ ein großer Schritt voll-zogen: Die documenta trat nicht mehr nur als Veranstaltung für

ein elitäres, internationales Pu-blikum in Erscheinung, sondern als Ort der Auseinandersetzung für wichtige Fragen des lokalen Lebens und der persönlichen Existenz. Dies markiert eine ent-scheidende Wendung der docu-menta hin zu einer lokal als we-sentlich betrachteten Institution. Das zeigte sich auch in den Pu-blikumszahlen: Die documenta 12 wurde von mehr als doppelt so vielen Kasselerinnen besucht wie die elfte documenta.

# Aufwand, Kraft und Verausgabung

(≥ # Hintergrund documenta 12 Bei-rat, S. 9)Der Eindruck «mit der eigentli-chen Arbeit gerade erst begon-nen zu haben» war nach dem Ende der Intensivphase bei vie-len Beiratsmitgliedern vorhan-den und lässt sich vor allem auf den starken zeitlichen Druck in den beiden Phasen der Umset-zung zurückführen. Der Termin für die Ausstellung war dabei der eigentliche Taktgeber – die Pro-jekte orientierten ihre Aktivitäten am «davor» und «während» der

Ausstellung. Diese Orientierung gab zwar Halt und Struktur, die unklare Finanzierungssituation verhinderte jedoch eine lang-fristige Planung entlang dieses Rhythmus. Um die Beirats-projekte zwischen diesen zwei auseinanderstrebenden Kräften zu entwickeln und zu erhalten, mussten die Beiratsmitglieder sehr viel Zeit und Energie in-vestieren. Dies war aus persön-lichen und beruflichen Gründen nicht allen Beiratsmitgliedern möglich, so dass die Anzahl der treibenden aktiven Kräfte maxi-mal die Hälfte der Beiratsgruppe ausmachte. Bei diesen Aktiven

erzeugten Mehrfachbelastungen und persönliche Verausgabung rückblickend das Gefühl, nicht genug erreicht und lediglich einen Blick auf das Mögliche geworfen zu haben. Diese Bewertung ist einerseits frust-rierend, andererseits aber auch ein Motor für eine Fortsetzung der Beiratsarbeit unter veränder-ten institutionellen Vorzeichen. Der Wunsch, die angestoßenen Prozesse dauerhaft fortzuführen und auszuweiten, war folglich ein zentraler Aspekt in den Aus-wertungsgesprächen mit den Beiratsmitgliedern.

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4.1. Heterogenität, Reichweite und Diskriminierung

Es ist erklärtes Ziel der Kooperation zwischen Kunst-institutionen und Multiplikatorinnen der politischen Bildung, eigene Begrenzungen zu überwinden und Impulse zu gewinnen, die eigene gesellschaftliche Bedeutsamkeit zu vergrößern. Dafür ist der Austausch in einem heterogenen Personenkreis wesentlich – er ist das Mittel zur Herausforderung und Befragung der eigenen Position. Als Organisationsform eignet sich also eine gemischte Gruppe, von der aus die Koope-ration ausstrahlen und sich verbreitern kann. Wesent-liche Dimensionen der Heterogenität betreffen die soziale und geografisch-kulturelle Herkunft, Sprache, Bildung, Geschlecht und ökonomische Mittel.

Die Zusammensetzung der Gruppe wird von den Kooperationspartnerinnen bestimmt, die dafür das gesamte Spektrum ihrer Reichweite in Betracht ziehen und darüber hinaus Anstrengungen unternehmen, sie auszudehnen. Denn die Heterogenität der Gruppe ist auch bei unterschiedlichen Kooperationspartnerinnen nicht selbstverständlich gegeben, sondern verlangt

ein stetiges Bemühen. Selbstverständlich ist es ein-facher, mit Personen aus dem gleichen oder einem ähnlichen sozialen und Bildungsspektrum zusam-menzuarbeiten, da alles andere einen Mehraufwand an Übersetzungsleistung erfordert (im buchstäblichen und im übertragenen Sinne). Diesen Aufwand muss die Kooperation jedoch leisten, will sie nicht die üb-lichen Diskriminierungslinien reproduzieren. Für die-sen wechselseitigen Übersetzungsprozess müssen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, und die Teilnehmerinnen müssen bereit sein, die eigene Spra-che und das eigene Verhalten zu überprüfen und zu verändern. Dennoch werden Kompromisse nötig sein, um sich bei möglichst großer Heterogenität verständi-gen zu können und handlungsfähig zu sein.

Gerne wird an eine Kooperation unter Beteiligung der lokalen Öffentlichkeit der Anspruch auf reprä-sentative Zusammensetzung herangetragen. Die-sen zu erfüllen ist jedoch unrealistisch und auch gar nicht erstrebenswert. Vielmehr sollte es in einer Kooperation mit lokalen Partnerinnen darum ge-hen, Personen zu erreichen, die üblicherweise nicht

Die Kooperationspartnerinnen haben sich füreinander entschieden, haben sich selbst und die andere be-fragt, ihre jeweilige Position ausgehandelt und sind zu einer Einigung im Hinblick auf den jeweils zu leis-tenden Einsatz gekommen. Erste Vorstellungen, wie diese Rahmenbedingungen gefüllt werden sollen,

wurden entwickelt. Dazu gehört das Nachdenken über die Organisationsform der Kooperation und über Arbeitsprinzipien, die den bevorstehenden Prozess leiten sollen.

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rm • Eine gemischte Gruppe bildet den Kern der Kooperation: Heterogenität nach sozialer, ökonomischer und geografischer Herkunft, Bildungsgrad, Sprache und Geschlecht ist wichtig.• Personen werden angesprochen, die nicht zu den üblichen Eingeladenen gehören.• Der dafür erforderliche Mehraufwand an Übersetzungsleistung ist einzuplanen.• Vorsicht vor einem Anspruch auf repräsentative Zusammensetzung!

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en • Offene Prozesse entsprechen dem Charakter einer auf gesellschaftliche Teilhabe ausgerichteten Kooperation.• Sie bedeuten einen Mehraufwand an Zeit- und Moderationsleistung.• Zielvorgaben bilden darin eine wichtige Orientierungs- und Handlungshilfe.• Zielvorgaben sollten flexibel sein und sich den Zielen und ggf. auch dem Prozess der Kooperation unterordnen.

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• Der Rückgriff auf bestehende Strukturen ermöglicht die Ansprache bereits etablierter, bestehender Öffentlichkeiten und Netzwerke.• Die Zusammenarbeit mit weiteren Partnerinnen benötigt dieselben Voraussetzungen und Bereitschaft zur Veränderung wie die Kooperation an sich.• Der Einsatz engagierter Einzelner muss besonders gewürdigt und honoriert werden.• Ein gutes Verhältnis zur Kommune ist sehr hilfreich, es gilt jedoch Widerstände zu überwinden und Überzeugungsarbeit zu leisten.

4. ORGANISATIONSFORMENuNDARBEITSPRINZIPIEN

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gemeint und nicht eingeladen sind, wenn Kunst-veranstaltungen resp. lokale Akteurinnen der poli-tischen Bildung ihre Türen öffnen. Dabei stehen für beide Partnerinnen unterschiedliche Personenkreise im Vordergrund: Institutionen der Kunst fällt es meist schwer, Personen aus nicht bürgerlichen Schichten anzusprechen. Hier liegt die Stärke der Multiplikato-rinnen der politischen Bildung, die wiederum selbst

mit Vorbehalten aus der künstlerischen und akademi-schen Szene zu kämpfen haben. Die Herausforderung besteht darin, den Modus der Ansprache je nach Per-sonenkreis zu variieren und dennoch einen gemeinsa-men Rahmen herzustellen, der für alle Angesproche-nen verbindlich ist, um Ausschlüsse von neuen oder bereits erreichten Personenkreisen zu vermeiden.

# Gruppenzusammensetzung

Der Schlachthof ist in diversen gesellschaftlichen Kreisen in Kassel verankert. Das kulturelle Veranstaltungsprogramm spricht breite bürgerliche Schichten an, das Bildungsprogramm richtet sich vor allem an die in Kassel lebenden Migrantinnen, das Jugendzentrum und der Hort erreichen die jungen Leute und Kinder des Stadtteils sowie de-ren Familien, die «linke» politi-sche Szene nutzt die Räume des Schlachthof für Veranstaltungen, verschiedene Vereine und Initia-tiven sind im Schlachthof behei-matet. Insgesamt ist er ein Ort der engagierten Szene, der aus dem

bürgerlichen Spektrum ebenso frequentiert wird wie aus Arbei-ter- und bildungsfernen Kreisen. Diese Vielseitigkeit schien der documenta-Leitung erfolgver-sprechender für die Kontaktauf-nahme zur Stadt Kassel als die Zusammenarbeit mit einer pro-fessionellen Expertinnengruppe von Stadtsoziologinnen, -pla-nerinnen und Moderatorinnen, die zunächst als Schnittstelle zu Kassel angedacht war.

Die heterogenen Kontak-te des Schlachthofs spiegelten sich in der Einladungsliste des Beirats wider. Dennoch blieben einige der Eingeladenen den Diskussionen fern: einige Perso-nen aus dem linken Spektrum,

ein Protagonist der Clubkultur, der Vertreter des Arbeitgeber- verbandes und einige Mitglieder religiöser Gruppen sowie der Mi-grantinnen. Sie taten dies zwar aus jeweils unterschiedlichen Gründen, im Resultat jedoch zeigte sich der Beirat als eine Gruppe, die vor allem im Hinblick auf ihre sprachliche Ausdrucks-fähigkeit weniger heterogen war, als es von der Zusammensetzung der Nutzerinnen des Schlacht-hofs her möglich gewesen wäre. Dies entsprach der verbalen, zu Beginn tendenziell theoretischen Ebene der Auseinandersetzung in den Gruppendiskussionen (mit ihrem Ausgangspunkt bei den Leitmotiven der documenta 12).

4.2. offener Prozess vs. zielorientierung

Für das Ausmaß der erwarteten Partizipation und Identifikation ist entscheidend, wie offen oder festge-legt die zu erreichenden Ziele der Kooperation sind. Wird lediglich der Wunsch nach Austausch formuliert, gibt es ein konkretes thematisches Anliegen oder soll mit einer bestimmten Arbeitsweise ein genau umris-senes Problem angegangen werden? Mit einem eher offen formulierten Anliegen zu beginnen, scheint zu-nächst einmal recht riskant, jedoch entsprechen of-fene Prozesse dem Charakter einer auf Partizipation und Ermächtigung zielenden Kooperation. Sie sind also grundsätzlich günstig für die Identifikation mit dem gemeinsamen Projekt, erlauben eine Projekt-entwicklung nach selbstbestimmten Rhythmen und gemäß sich verändernden Rahmenbedingungen. Da-bei darf man jedoch nicht unterschätzen, dass neben der inhaltlichen Ebene auch der Prozess der Zusam-menarbeit selbst beständig entwickelt werden muss.

Das bedeutet ein hohes Maß an Selbstreflexivität sowie einen wesentlichen Zeit- und Moderationsauf-wand. Dafür gewinnen alle Beteiligten Kompetenzen und Mitspracherechte, denn sie wirken auf die Gestal-tung der Zusammenarbeit ein und bestimmen Form und Ziele mit.

Es ist auch in einem offenen Prozess denkbar, Zielvor-gaben zu formulieren, ohne den kooperativen Arbeits-charakter einzubüßen. Klare Zielvorgaben erleichtern und beschleunigen die Arbeit enorm, da sie inhaltliche und strukturelle Orientierungs- und Handlungshilfen geben. Wichtig ist jedoch, wie Zielvorgaben formuliert werden, auf welcher strukturellen Ebene sie ansetzen und wer sie festlegt: Zeigen sie einen Weg auf oder diktieren sie das Ergebnis? Lassen sie sich im Laufe des Prozesses ändern oder können sie zum Hindernis für die Kooperation werden? Geben sie die Erwartun-gen und Anforderungen der Mitwirkenden wieder?

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# offener Prozess Der documenta 12 Beirat be-gann seine Existenz aus dem Interesse der künstlerischen Leitung an einer «Verankerung der documenta 12 in Kassel». Klare Zielvorstellungen im Sinne einer Vorgabe, was in welchen Zeiträumen geschehen soll und welche Rolle dies im Hinblick auf die gesamte Ausstellung spielen

würde, gab es nicht. Der Beirat investierte folglich viel Zeit in das Ringen um die Formulierung ei-gener Ziele anhand der Hinweise der künstlerischen Leitung.

Da kein eindeutiger Auftrag existierte, war es notwendig, dass sich alle Beteiligten auf ei-nen gemeinsamen «Ethos» als Handlungsleitlinie einschworen. Dieser entstand als Ergebnis zahlreicher Diskussionen und

Auseinandersetzungen um die inhaltliche Arbeit des Beirats und deren formale Umsetzung. So wurden beispielsweise die Projekte intensiv von der gan-zen Beiratsgruppe beraten und diskutiert. Darin lag eine große multiplikative Kraft: Jedes Bei-ratsmitglied füllte seine Rolle an-ders aus, belebte sie mit eigenen Vorstellungen und trug diese in seine Kreise weiter.

4.3. Bestehende Strukturen und Schlüsselfiguren Die Kooperation zwischen den Einrichtungen der kul-turellen und der politischen Bildung ist im deutsch-sprachigen Raum ein Novum – es sind nur wenige Vorbilder vorhanden. In dieser Situation ist es nötig sich zu fragen, ob die beiden Kooperationspartnerin-nen alles neu erfinden müssen: Wird man tatsächlich die «bessere Arbeit» machen als all die schon lange vor Ort bestehenden Einrichtungen, Gruppen und en-gagierte Personen? Wie können vorhandene Erfah-rungen (inhaltliche Schwerpunktsetzungen ebenso wie Organisationsformen) aufgenommen und weiter-entwickelt werden, so dass sowohl die Kooperation als auch das lokale Umfeld davon profitieren? Welche Allianzen sind sinnvoll? • Der Rückgriff auf bestehende Strukturen ist in der Grundanordnung einer Kooperation angelegt und birgt wesentliche Vorteile:• Bestehende Strukturen bringen der Kooperation einen Vorsprung, weil nicht alles neu aufgebaut und erarbeitet werden muss.• Kontakte und Kanäle zur Ansprache etablierter Adressatinnenkreise können genutzt werden • Die bereits bestehenden Einrichtungen oder engagierten Personen wiederum können von den inhaltlichen Impulsen der Kooperation profitieren.• Auch strategische Vorteile lassen sich aus dem Mitwirken an bzw. der Ausdehnung solcher Kooperationen beziehen: größere Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit, größere Reichweite, Erweiterung des Netzwerks.

Die Zusammenarbeit mit weiteren Partnerinnen muss als «Kooperation im Kleinen» begriffen und mit all den dafür notwendigen strukturellen und inhaltlichen Überlegungen sowie Ressourcen bedacht werden. Die «Kooperationspartnerinnen innerhalb der Koope-ration» brauchen dasselbe Interesse an neuen Impul-sen und dieselbe Bereitschaft zur Veränderung der eigenen Position wie die ursprünglichen Partnerinnen. Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, kann

sich eine umfassende und sich selbst verbreiternde Metastruktur entwickeln, die die Ziele der Kooperati-on befördert und ihr weitaus mehr Kraft gibt, als sie allein aufbringen kann.

Ein solches Netzwerk von Einrichtungen, Gruppen und Institutionen lebt stets von dem Einsatz Einzel-ner. Immer gibt es Personen, die sich in besonderem Maße engagieren, die eine große Reichweite besitzen, in Netzwerken denken, Neugier und Begeisterungs-fähigkeit ausstrahlen. Es sind diese Schlüsselfiguren – ob sie in formal entsprechenden Positionen sitzen oder nicht –, die es ausfindig zu machen gilt. Sie sind es, die die Kooperation mit den konkreten lokalen Be-dingungen verknüpfen, und entsprechend muss ihr Beitrag sehr hoch bewertet werden. Insbesondere der Zugang zu bestehenden Netzwerken und zu lokalem und spezifischem Wissen ist nicht selbstverständlich. Dieser Einsatz muss benannt, symbolisch anerkannt und finanziell honoriert werden.

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4.4. Verhältnis zu Kommune, Verwaltung und Behörden

Die Beziehung der Kooperation zur lokalen Verwal-tung ist als häufiger Sonderfall der Zusammenarbeit mit bestehenden Strukturen zu betrachten. Ein gutes Verhältnis kann einer Kooperation Türen öffnen und sie unterstützen, ein schlechtes dagegen legt ihr Steine in den Weg, kostet Energie und behindert die Umsetzung. Grundsätzlich muss versucht werden, den Entscheidungsträgerinnen zu vermitteln, dass die feldübergreifende Vernetzung verschiedener lo-kaler Einrichtungen für das lokale Leben gewinnbrin-gend ist und dass es sich lohnt, sie zu unterstützen. Schließlich geht es in dieser Vernetzung um wesentli-che Voraussetzungen demokratischen Zusammenle-bens: Dass die Mitglieder eines Gemeinwesens sich selbst als zuständig und fähig erkennen, ihre persönli-chen wie auch die gemeinsamen Belange in die Hand zu nehmen und dadurch das gesellschaftliche Leben aktiv mit zu gestalten.

Es muss aber ebenso vermittelt werden, dass dies bestehende Strukturen und Arbeitsweisen in Frage stellen kann. Eine emanzipierte und selbstbewusste Form der Einmischung kann das kommunalverwalteri-sche Handeln irritieren. Wenn die lokalen Expertinnen

eigene Formen der Mitbestimmung und Mitgestaltung entwerfen, können diese von den bislang vorgesehe-nen Bahnen der Artikulation abweichen und mögli-cherweise bestehende Formate der Partizipation in Frage stellen («Anhörung», «Bürgerhaushalt» etc.). Dies wird wahrscheinlich Konflikte mit der Verwaltung produzieren, die es auszuhandeln und zu bestehen gilt. Letztlich kann jedoch nur durch die Anerkennung der spezifischen Kompetenzen aller Mitglieder eines Gemeinwesens eine den Namen verdienende Form der Partizipation entwickelt und demokratisches Han-deln realisiert werden. Eine solchermaßen ausgerich-tete Kooperation handelt also im Sinne der Kommune – in ihrer eigentlichen Bedeutung als Gemeinwesen, als gemeinschaftlicher Lebenszusammenhang, nicht nur als Gegenstand von Verwaltungshandeln – und kann dieser ungeahnte Impulse und Dynamik verleihen.

# Verhältnis zur Kommune

Die Kommune und ihre Ver-waltung standen dem Beirat grundsätzlich sehr wohlwollend gegenüber. Sowohl die lokale Bedeutung der documenta als auch die Kontakte des Schlacht-hofs in den städtischen Verwal-tungen trugen dazu bei. Bei Ge-nehmigungen usw. gingen beide Aspekte Hand in Hand und ver-schafften den Projekten des Bei-rats große Freiheiten, die aller-dings auf die zeitliche Dauer der documenta 12 begrenzt waren.

Symptomatisch für das Verhält-nis des Beirats zur Kommune war der Umgang mit dem Pro-jekt Mach-Was-TRäume: Auf einer innerstädtisch gelegenen «markierten» Fläche ließen sich zwei Kasseler Künstler nieder und begannen das Areal umzu-gestalten. Sie gruben ein großes Loch und demontierten die roten Balken, um sie zu «beerdigen». War das Ordnungsamt bereits aufgrund der «unordentlichen Anmutung» alarmiert, so schaltete es nun die Polizei ein, die sich jedoch zunächst

an den Geschäftsführer der documenta wandte, um zu klä-ren, ob ein Eingriff erwünscht und erforderlich sei. Durch des-sen Beschwichtigung konnte die Angelegenheit zwischen der Arbeitsgruppe der Mach-Was-TRäume und den Künstlern di-rekt und ohne polizeiliche Inter-vention geklärt werden. Nach dem Ende der Ausstellung war diese «Schonfrist» jedoch vorbei und die Stadtverwaltung ließ die roten Balken ohne weitere Rück-sprache entfernen.

# Multiplikationsprinzip

Die umfangreiche Vernetzung und Kooperation mit lokalen In-itiativen und Institutionen war kennzeichnend für die Arbeits-weise des Beirats. An den ein-zelnen Projekten ist erkennbar, dass sich die Mitglieder der

Arbeitsgruppen mit weiteren Partnerinnen zusammenschlos-sen, weitere Multiplikatorinnen und Unterstützerinnen gewan-nen, um ihr Anliegen wirkungsvoll zu platzieren. Dies ist einerseits dem Umstand geschuldet, dass die Arbeitsgruppen des Beirats allein niemals die gewünschte

Größe und Reichweite hätten er-zielen können. Andererseits zeigt sich hier jedoch eine wesentliche inhaltliche Setzung: das Koope-rieren, Vernetzen und Kommuni-zieren als Zweck und Ziel einer auf die Belebung des stadtge-sellschaftlichen Engagements gerichteten Organisationsform.

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In der Zusammenarbeit von Partnerinnen der kultu-rellen und politischen Bildung sind Methoden gefragt, die die besonderen Qualitäten beider Bereiche zur Geltung bringen und vereinen. Sie sind notwendig, um den Austausch von Wissen in der Zusammenarbeit zu organisieren und zu unterstützen: Wie lässt sich

sicherstellen, dass das Expertinnenwissen der Betei-ligten allen bekannt ist und genutzt werden kann? Was ist erforderlich, dass alle Beteiligten gehört werden? Welche besonderen Kommunikationsformen bringen die beiden Bereiche ein und wie können sie für das gemeinsame Anliegen eingesetzt werden?

Kommunikation

herstellen

• Der Wissenstransfer in heterogenen Personengruppen ermöglicht es, voneinander zu lernen.• Dafür ist es nötig, unterschiedliche Sprechweisen zuzulassen und den anderen zuzuhören.• Die eigene privilegierte (Sprecherinnen-)Position muss immer wieder in Frage gestellt und ggf. aufgegeben werden.• Eine Systematisierung des Wissenstransfers ist sinnvoll, um allen Beteiligten Gehör zu verschaf- fen, dabei sollte keine Beschränkung auf rein sprachliche Vermittlungsformen bestehen.• Die Moderation ist von zentraler Bedeutung. Sie sollte von mindestens zwei Personen übernommen werden und den Prozess und die eigene Rolle darin kontinuierlich reflektieren, ggf. unterstützt durch Supervision.

MethodischeAnsätze

Einsatz von bildender Kunst in Prozessen politischer Bildung:• Kunst als Anlass für thematische Auseinandersetzungen: Lokale Expertinnen entwickeln eigene Projekte.• Kunst als Gegenstand der Begegnung: Lokale Expertinnen arbeiten mit Kunstvermittlerinnen zusammen. • Kunst als Prozess des Mitwirkens: Künstlerinnen realisieren Produktionen mit lokalen Expertinnen.• Kunst als Ort der Auseinandersetzung: Der Ausstellungsraum wird zum Ort des Wissenstransfers.

5.1. Wissenstransfer

Der Kern der Kooperation von politischer und kultu-reller Bildung ist das Lernen voneinander durch den Austausch heterogener Erfahrungen und Wissens-zusammenhänge. Diese sind an spezifische Sprech-weisen gekoppelt und nicht immer umstandslos mit der eigenen Sprache und dem eigenen Verständ-nishorizont kompatibel. Hier liegt eine der größten Herausforderungen: Die Kooperation muss einen Rahmen schaffen, in dem alle Beteiligten sich auf andere Sprechweisen einlassen, ihr (anfängliches) Nicht-Verstehen akzeptieren und aufmerksam zuhö-ren lernen. Alle müssen bereit sein, über ungleichge-wichtige Positionen und damit verbunden über die eigene Sprecherinnenposition nachzudenken und eigene Privilegien zugunsten eines möglichst gleich-berechtigten Austauschs gegebenenfalls aufzuge-ben. Denn eine privilegierte Position strukturiert nicht nur das eigene (Sprach-)Verhalten, sondern ebenso das Verständnis dessen, was gehört wird und wel-che Erwartungen an die anderen gestellt werden. Der Wissenstransfer zwischen Personen mit hete-rogenen Hintergründen und Lebensrealitäten kann

gelingen, wenn sich jede als Expertin eines spezifi-schen Wissens begreifen kann, das auch von den anderen als wertvoller Beitrag zum wechselseitigen Lernprozess anerkannt wird. Eine Systematisierung des Wissenstransfers ist nötig, um ihn in alle Richtun-gen durchlässig zu machen. Hier kommt es darauf an, dass sich alle an diesem Austausch beteiligen, die Ini-tiatorinnen ebenso wie die Gäste, die Mitarbeiterinnen ebenso wie die Ehrenamtlichen. Sie müssen Formen entwickeln, um der Gruppe ihr Wissen zugänglich zu machen, ob es sich nun um geografische, sprachliche, kunsthistorische oder visuelle Kenntnisse handelt oder um den großen Bereich des Alltagswissens, das sich dem Schema der Disziplinen entzieht. Das Entwickeln geeigneter Vermittlungsformen sollte von der Mode-ration unterstützt werden. Besonders zu beachten ist, dass nicht allein sprachliche Vermittlungsformen als legitim anerkannt werden, die wiederum die Personen mit einem entsprechenden Bildungshintergrund und gutem verbalem Artikulationsvermögen bevorzugen, sondern auch ästhetische, handwerkliche, darstelle-rische, erlebnisorientierte, haptische usw.

5. METhODENZuRGESTAlTuNGDERZuSAMMENARBEIT

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# Wissenstransfer

Die Werkpräsentationen von Künstlerinnen waren ein regel-mäßiges Element des Wissen-stransfers im Beirat. Sie stellten der Gruppe ihre Arbeiten vor, erläuterten ihre Fragestellungen und Herangehensweisen. Diese Präsentationen fanden großes Interesse und Aufmerksamkeit im Beirat. In den anschließen-den Diskussionen übertru-gen die Beiratsmitglieder die

Fragestellungen auf die Situation in Kassel, erörterten Möglichkei-ten für die konkrete Anknüpfung an Orte und Personen und un-terstützten auch in der Folge die Künstlerinnen in ihrer Arbeit vor Ort. So floss ihr spezifisches lo-kales Wissen in einzelne künstle-rische Projekte und wurde auch der Leitung und dem Team der documenta zugänglich. Auch die künstlerische Leitung trug zu den Diskussionen bei und vermittelte dabei ihre spezifische von der

Kunst geprägte Sichtweise an die Gruppe. Systematische Annäherungen an das Thema «zeitgenössische Kunst» (im Sinne einer Kontextu-alisierung der spezifischen Posi-tionen sowohl der Künstlerinnen als auch der künstlerischen Lei-tung im Feld der Kunst) gab es jedoch nicht, obgleich sich viele Beiratsmitglieder dafür interes-siert hätten, insbesondere um sich kompetenter in der Ausstel-lung bewegen zu können.

5.2. Rolle der Moderation

Mit dem Kommunikations- und Lernprozess im Zen-trum der Kooperation kommt der Moderation eine große Bedeutung zu. Deren zentrale Aufgaben sind: einen verlässlichen Gesprächsrahmen herzustellen als Voraussetzung für den vertrauensvollen Austauschden Wissenstransfer zu organisieren, zu strukturieren und gegebenenfalls durch geeignete Vermittlungsfor-mate zu unterstützeneinen Gesprächsrahmen zu schaffen, der eine mög-lichst gleichberechtigte Kommunikation ermöglichtdurch z. B. eigenes Sprechverhalten dafür zu sorgen, dass die Dominanz von sprachlichen Ausdrucksfor-men verringert und nicht sprachliche Äußerungen aufgewertet werden (Praxiserfahrungen von Teilneh-merinnen stärker berücksichtigen) Diese Aufgaben sollten von mindestens zwei Per-sonen übernommen werden. Dies ist notwendig, ei-nerseits damit sich deren Stile gegenseitig ergänzen und so eine größere Akzeptanz in der Gruppe finden, andererseits damit sie bessere Möglichkeiten zur Re-flexion haben und die Verantwortung für das Gelingen des Kommunikationsprozesses gemeinsam tragen können.

Grundsätzlich muss geklärt werden, welche Rolle die Moderatorinnen innerhalb der Gruppe einnehmen sollen: Sind sie neutrale Vermittlerinnen, die den Dialog organisieren und widerstreitende Interessen ausgleichen, oder sind sie darüber hinaus Teilneh-merinnen, die ihre eigene Meinung einbringen? Eine neutrale Position im engeren Wortsinn ist bei einem Projekt von hoher lokaler – und gegebenenfalls so-gar darüber hinausreichender – Bedeutsamkeit kaum vorstellbar, denn jede Person wird ihre eigene Positi-on in die Situation mit hineinbringen. Gerade die ver-meintliche Neutralität kann einem tendenziösen und manipulativen Verhalten Vorschub leisten, lassen sich doch die eigenen Interessen nicht per Definition aus-löschen und aus der Arena der Verhandlung verban-nen. Die eigenen Interessen der Moderatorinnen müs-sen daher sichtbar und von der Moderationsaufgabe

unterschieden werden. Dann können die persönlichen Perspektiven und Motive der Moderatorinnen durch-aus in die Zusammenkunft eingebracht werden und den Austausch der Gruppe bereichern.

Damit werden an die Moderatorinnen jedoch be-sonders große Herausforderungen im Hinblick auf die Reflexion des eigenen Handelns gestellt. Eine re-gelmäßige Supervision ist dafür hilfreich, denn durch die Sicht von außen können kommunikative Knoten gelöst und blinde Flecken in der Selbstwahrnehmung bearbeitet werden, die sonst als Konfliktherd in die Kommunikation der Gruppe getragen werden.

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5.3. Vier methodische Ansätze für eine produktive Begegnung

Haben wir uns bisher vor allem den strukturellen und organisatorischen Bedingungen gewidmet, unter de-nen eine Zusammenarbeit zwischen Einrichtungen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen erfolgreich sein kann, so wurde der Eigenheit einer Zusammenarbeit durch und mit bildender Kunst bis-lang wenig Aufmerksamkeit zuteil. Mit den Arbeits-weisen und den ästhetischen Ausdrucksformen bil-dender Kunst eröffnen sich einer solchen Kooperation jedoch ganz spezifische Möglichkeiten: Wir schlagen vier methodische Ansätze vor, die auf jeweils unter-schiedliche Weise mit der künstlerischen Produktion umgehen und sie für Prozesse der politischen Bildung nutzbar machen. Natürlich können sich die Formate überlappen und parallel eingesetzt werden, je nach Umfang und Kapazitäten der Kooperation.

a) Kunst als Anlass für thematische Auseinandersetzungen

Kunst bietet die Möglichkeit für die Beschäftigung mit lokal vordringlichen Themen aus neuer Perspektive und mit neuen Ausdrucksformen. Sowohl künstleri-sche Werke als auch die Fragestellungen von Künst-lerinnen oder deren Arbeitsweisen können in diesem Sinne ein Impuls sein, um gesellschaftspolitische De-batten zu initiieren, zu dynamisieren oder für weitere Personenkreise zu öffnen:

Lokale Expertinnen nehmen sich künstlerischer Werke, Fragestellungen oder Strategien an und über-setzen diese in ihren Kontext, das heißt, sie stellen Bezüge zu den vor Ort anliegenden Problemen her.

Aus dem Spannungsfeld zwischen lokalen Problema-tiken, den in der Kunst bearbeiteten Themen und der ästhetischen Ebene entstehen Ideen für die Belebung vielfältiger gesellschaftspolitischer Debatten. Die lo-kalen Expertinnen entwerfen davon ausgehend Akti-onsformen, die ihnen aus ihrem spezifischen Erfah-rungsschatz vertraut sind. In der Gestaltung und dann Veröffentlichung der Aktionsformen ist wiederum die Kunst hilfreich: Sie schafft Öffentlichkeiten und bietet über die ästhetische Ebene andere Formen des Zu-gangs als den intellektuell-sprachlichen. Damit ist sie besonders geeignet, die Debatte über ein bestimmtes Thema für Personen außerhalb des bereits engagier-ten Kreises zu öffnen.

Wenn sich die Projekte im Laufe der Entwicklung von der Kunst lösen, so ist das keinesfalls als ne-gativ zu kritisieren – im Gegenteil. Dann konnte der künstlerische Impuls so produktiv in gesellschaftliche Verhältnisse eingebracht werden, dass er in anderen Formaten fortwirkt.

Damit Kunst einen Anlass für gesellschaftliche Ausei-nandersetzungen bieten kann, müssen künstlerische Werke, Fragestellungen oder Arbeitsweisen umfas-send verfügbar gemacht und die vor Ort lebenden Personen darin bestärkt werden, diese auf ihr konkre-tes Umfeld zu beziehen. Die Übersetzung der Themen in eigene Formate und Aktionsformen ist der sicht-bare Ausdruck für eine solchermaßen angeeignete künstlerische Arbeit. Sie schafft die Substanz, um die begonnene Auseinandersetzung nachhaltig zu entwi-ckeln – auch über die meist temporäre Anwesenheit von Künstlerinnen oder die Dauer einer Ausstellung hinaus.

Eine Bearbeitung von stark emotional und nega-tiv besetzten Themen durch Kunst unterstützt deren

# Moderation

Die Gespräche des Beirats moderierte ein Team aus einer Schlachthof- und einer docu-menta-Mitarbeiterin. Diese Zu-sammensetzung erwies sich als günstig, da so verschiede-ne fachliche Perspektiven und Haltungen in die Steuerung der Gruppenkommunikation einflos-sen. Die Moderatorinnen ver-standen sich dabei als Teil der Beiratsgruppe und brachten ihre Meinung und Fragen in die Dis-kussionen und die Beratung der Projekte ein.Neben intermediärer Funkti-on und persönlicher Teilnah-me spielte jedoch auch ihre

professionelle Funktion als Be-auftragte der beiden Institutio-nen in die Rollendefinition hinein. Diese mehrfachen Anforderun-gen an ihre Rolle wurden nicht thematisiert und systematisch reflektiert. Dies führte auch zur Verschleppung von Konflikten, die einer grundsätzlichen Klä-rung bedurft hätten.Ein Beispiel dafür ist der Umgang mit der zwiespältigen Haltung der documenta-Leitung gegenüber den Beiratsprojekten: Einerseits signalisierte sie ihr Interesse und Bekenntnis zu den Projekten, andererseits folgte daraus keine manifeste finanzielle Unterstüt-zung und keine deutliche Äuße-rung zur symbolischen Stellung

der Projekte. Diese Unklarheit behinderte die Beiratsprojekte in ihrer Planung, brachte die Bei-ratsmitglieder in eine defensive Position und erzeugte teilweise erhebliche Konflikte innerhalb der Arbeitsgruppen. Die Mo-deratorinnen bemühten sich in dieser Situation um Befriedung und Vermittlung, anstatt den Grundkonflikt freizulegen und eine offene Verhandlung darüber zu erzwingen. Ihr Rollenkonflikt zwischen den kommunikativen Anforderungen des Prozesses, der persönlichen Stellungnahme und der institutionellen Loyalität blieb damit ebenso unsichtbar und unverhandelt.

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direkte Ansprache in Form von politischen Kampa-gnen und Aktionen. Thematisch passende künstle-rische Arbeiten schaffen einen über die persönliche und lokale Situation hinausreichenden Rahmen und erlauben so die Annäherung an und – häufig kontro-verse – öffentliche Diskussion des Themas. Die Folge ist im besten Fall eine besser informierte und gestärkte

Position auch der Personen, die als Betroffene durch eine direkte Ansprache stigmatisiert und diskriminiert würden. Der Einsatz gezielt problemorientierter künst-lerischer Arbeiten im lokalen Kontext erfordert jedoch große Sensibilität für die emotionale Tragweite eines Themas und einen verantwortlichen Umgang mit der angestoßenen Diskussion.

b) Kunst als Gegenstand der Begegnung

Kunst kann im engeren Sinn Gegenstand und Inhalt einer Begegnung zwischen kultureller und politischer Bildung sein, so beispielsweise, wenn der Umgang mit künstlerischen Werken im Mittelpunkt steht: Da-bei treffen professionelle Kunstvermittlerinnen mit lokalen Expertinnen zusammen und beschäftigen sich gemeinsam mit Kunstwerken. Sie bringen so-wohl Kenntnisse und Methoden der Kunstvermittlung als auch spezifisches Wissen aus dem lokalen Kon-text ein. Beide Bereiche sind dabei als gleichwerti-ge Beiträge zu betrachten. Im Mittelpunkt steht die Vermittlung der unterschiedlichen Perspektiven – der Interpretationen und Fragestellungen der Kunstwelt ebenso wie der des lokalen Lebens.

Das spezifische Wissen der Kunstvermittlung bereichert den Erfahrungsschatz der lokalen Exper-tinnen: Techniken der Moderation und Aktivierung, kunstwissenschaftliche und ästhetische Kenntnisse, künstlerische Fertigkeiten und Ideen, diese für den lokalen Kontext nutzbar zu machen. Das spezifische Wissen der lokalen Expertinnen bereichert die Arbeit der Vermittlerinnen: neue Formen des Umgangs mit der Kunst, vielschichtige Lesarten, lebensbezogene Auseinandersetzung mit Kunst und Anregungen für die Weiterentwicklung der Arbeit in der Kunstvermitt-lung. Das Resultat der Zusammenarbeit sind gemein-sam realisierte Veranstaltungen und Projekte, sowohl im Ausstellungsraum als auch in lokalen sozialen Räumen. Deren Format ist in hohem Maße von den spezifischen Wissensformen abhängig, die die

Beteiligten in die Zusammenarbeit einbringen. Sie können sich auch dem weiteren Publikum öffnen: in-terne und öffentliche Diskussionen, Workshops, Aus-stellungen, Textbeiträge, Filmvorführungen usw.

Wenn Kunst der Gegenstand einer Begegnung zwi-schen lokalen Expertinnen und Kunstvermittlerinnen ist, ist eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe wesent-lich. Die Funktion der Kunstvermittlerin darf nicht als die «Vermittlung zum eigentlich Wichtigen» überhöht werden. Die üblichen professionellen Anforderungen an die Kunstvermittlung fördern meist eine solcher-maßen hierarchische Wahrnehmung, hier sind sie je-doch als Sachkundige unter anderen zu betrachten. Ein Ausdruck der Gleichwertigkeit ist beispielsweise, eine Zusammenarbeit so frühzeitig zu beginnen, dass sie sich nach den Bedürfnissen beider Parteien entwi-ckeln kann und nicht einseitig bestimmt wird. Ebenso ist die Entlohnung ein Ausdruck der Wertigkeit, die bestimmten Aufgaben zugemessen wird, und muss – wenn sie erfolgt – entsprechend beiden Seiten zu-kommen.

# Die thematische Projektarbeit des Beirats

Ausgehend von den kurato-rischen Leitmotiven der do-cumenta 12 entwickelten die Beiratsmitglieder Projekte, die gesellschaftspolitische Zusam-menhänge in Kassel thematisier-ten. Dabei folgten alle Projekte dem spezifischen Erfahrungs-schatz in der Arbeitsgruppe, zeigten sich also als Kampag-ne, als Veranstaltungsreihe, als

Seminar, als Wettbewerb usw. Zwar war die Bezugnahme auf die Leitmotive durchgängig ein wichtiges Moment, um den Be-zug zur documenta 12 zu erhal-ten, jedoch interpretierten die Projekte diese individuell und fügten ihnen neue Bedeutungs-ebenen hinzu.

Der Salon des Refusés ist ein Beispiel für den Um-gang mit einem sensiblen The-ma: Erwerbslosigkeit, Armut und soziale Ausgrenzung sind

hierzulande mit großer Scham und gesellschaftlicher Tabui-sierung verbunden. Lediglich einzelne Erwerbslose und sehr gut organisierte Erwerbslosenin-itiativen können damit selbstbe-wusst umgehen. Der Salon bot einen unvorbelasteten und durch die Nähe zur documenta positiv aufgeladenen Raum, in dem sich Erwerbslose und Erwerbstätige gleichermaßen an das Thema heranwagten.

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c) Kunst als Prozess des Mitwirkens

Kunst kann den Rahmen für Prozesse des Mitwirkens schaffen, wenn Künstlerinnen bei der Produktion ih-rer Werke mit lokalen Expertinnen zusammenarbei-ten. Oft stehen Künstlerinnen dem lokalen Umfeld als Fremde gegenüber – selbst wenn sie vor Ort le-ben, sind ihnen bestimmte Szenen, soziale Zusam-menhänge und politische Entwicklungen des lokalen Umfelds möglicherweise unbekannt oder sie besitzen keinen Zugang dazu.

Wenn sich Künstlerinnen auf das lokale Umfeld einlassen, wird die Produktion des Werks eng mit dem Wissenstransfer zwischen den Beteiligten verzahnt. Nicht umsonst sind viele der auf diesem Wege ent-stehenden Arbeiten kommunikationsorientiert, häufig dokumentarisch bzw. ethnologisch und tendenziell politisiert. Neben solchen Arbeiten, die auch gerne mit den Begriffen Partizipations- oder Interventions-kunst umschrieben werden (≥ Exkurs: Partizipation in der Kunst, S. 38), sind jedoch auch künstlerische Verfahren für die Zusammenarbeit mit lokalen Publika geeignet, die eher traditionelle ästhetische Darstellungsweisen zum Ziel haben. Ausschlaggebend für das Gelingen der Zusammenarbeit ist weniger das gewählte Medi-um, sondern das Ausmaß, in dem Künstlerinnen ihre Produktionsmethoden der Diskussion und Mitwirkung zugänglich machen. Wenn dies gegeben ist, kann es eine sehr bereichernde Erfahrung sein, künstlerische Arbeitsweisen aus der teilnehmenden Perspektive kennenzulernen und als Miturheberin eines künstle-rischen Werks in Erscheinung zu treten – mitsamt der wertschätzenden Behandlung, die den Produzentin-nen meist entgegengebracht wird. Künstlerinnen wie-derum profitieren von einer lokal verzahnten Arbeits-weise, nicht nur weil sie so einen direkten Zugang zu relevanten Fragestellungen erhalten, sondern auch weil der Austausch ihre Arbeitsweise reifen lässt und

letztlich das Produkt eine tatsächliche soziale Bedeu-tung erhält – ein Merkmal, das durch das Kunstfeld allein nicht hergestellt werden kann.

Wenn die Zusammenarbeit zwischen lokalen Expertinnen und Künstlerinnen einen Prozess des Mitwirkens in Gang bringen soll, dann ist auch hier das Arbeiten auf Augenhöhe die Messlatte. Die Aus-kunftsbereitschaft der vor Ort lebenden Menschen ist kein Selbstbedienungsladen, aus dem sich eine Künstlerin die gewünschte Problematik auswählen und die entsprechenden Darstellerinnen heraussu-chen kann! Vielmehr müssen deren spezifische Bei-träge in der künstlerischen Produktion anerkannt und benannt werden. Die Arbeit mit dem lokalen Umfeld erfordert zudem ausreichend Zeit und Bereitschaft, sich auf einen offenen Prozess einzulassen, an des-sen Ende möglicherweise ein ganz anderes als das erwartete Produkt steht. Für dieses Produkt gelten dann auch besondere Regeln, die den kooperativen Entstehungsprozess abbilden. Einige wichtige Fragen sollten folglich nicht erst am Ende der Kooperation, sondern rechtzeitig und mit allen Beteiligten bespro-chen werden:

• Wer ist die Autorin des Werks? Wer beeinflusst in welchem Maße die Form? Wie werden die einzelnen Beiträge der Mitwirkenden gekenn- zeichnet? Wie werden Urheberrechte verhan- delt und geschützt?• Welchen Nutzen – neben der Aufmerksamkeit durch namentliche Nennung – haben die Mitwirkenden von ihrer Beteiligung? • Wie und wo werden die entstehenden Arbeiten präsentiert, wer entscheidet darüber? Nicht allein das Erscheinen im Kunstfeld ist dabei von Interesse, ebenso muss die Präsenz in anderen Bereichen gemeinsam entschieden und reali- siert werden.

# Die Schnittstelle zwischen Kunstvermittlung und Projekten

Mit Beginn der Ausstellung wur-den jedem Beiratsprojekt zwei Kunstvermittlerinnen zur Seite gestellt, damit diese den Bezug zwischen Projekt und Ausstel-lung konkretisierten. Die Vermitt-lerinnen arbeiteten sich in das je-weilige Themenfeld ein, berieten sich mit den Arbeitsgruppen und entwickelten Vermittlungsfor-mate, die die Wünsche der Ar-beitsgruppen berücksichtigten. Über die Dauer der Ausstellung entstand daraus eine intensive

Zusammenarbeit zwischen der Kunstvermittlung und den Bei-ratsprojekten, die beiden Seiten wertvolle Impulse brachte. Dass die Zusammenarbeit in nur drei Monaten realisiert werden muss-te, brachte jedoch auch Proble-me mit sich: Um die Formate in der verbleibenden Ausstellungs-zeit umzusetzen zu können, wa-ren Effizienz und pragmatische Planung gefragt, es blieb daher wenig Luft für Experimente und gemeinsames Herantasten.

Bezahlt wurde an dieser Schnittstelle von Projekten und Ausstellung lediglich die Arbeit der Kunstvermittlerinnen. Die

alleinige Honorierung der Kunst-vermittlerinnen – im Gegensatz zu den Beiratsmitgliedern – brachte die Zusammenarbeit in eine Schieflage im Hinblick auf Wertigkeit und Anerkennung.

Kunstvermittlerinnen an der Schnittstelle zum Beirat:Stefan Fürstenberg, Gruppe DeutschWissen (Angelika Bartl, Sophie Goltz, Susanne Hesse, An-drea Hubin), Annika Hossain, An-negret Luck, Ute Marxreiter, Kath-rin Nölle, Sandra Ortmann, Henrike Plegge, Anna Schürch, Bernadette Settele, Achim Vorreiter

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d) Kunst als Ort der Auseinandersetzung

Die Kunst besitzt ihre eigenen und spezifisch kodier-ten Räume, in denen das lokale Umfeld meist nur un-ter der Voraussetzung willkommen ist, dass es sich an die gegebenen Sprach- und Verhaltensregeln hält. Es ist daher ein wesentlicher Schritt zur Erneuerung ei-ner Kunstinstitution, dass sie unterschiedliche lokale Personengruppen in ihre Räume einlädt und diese für die Entwicklung alternativer Nutzungsmöglichkeiten und Verhaltensformen öffnet, indem sich z. B. lokale Expertinnen in Ausstellungsräume begeben und dort gemeinsam mit Kunstvermittlerinnen, Künstlerinnen und gegebenenfalls weiteren Mitarbeiterinnen der In-stitution eigene Zugänge zur Kunst erarbeiten, die von ihrem spezifischen Wissen mitgetragen sind. Solche Arbeitstreffen im Kunstraum müssen wiederholt und regelmäßig stattfinden, damit sich der Wissenstrans-fer innerhalb der Gruppe ausgeglichen gestalten kann. Erst dann können unausgesprochen akzeptier-te Hierarchien zwischen den Expertinnen der Kunst und den Expertinnen des lokalen Umfelds in Frage gestellt und letztlich abgebaut werden. Nicht zu ver-gessen ist, dass die Akteurinnen der Kunstwelt hier in ihren Räumen einen besonders großen «Heimvor-teil» besitzen und die anerkannten Verhaltensweisen der Kunstwelt weitgehend verinnerlicht haben – das heißt sie auch innerhalb der Gruppe reproduzieren.

Aus der regelmäßigen Zusammenarbeit werden For-mate der Kunstvermittlung entwickelt und der lokalen Öffentlichkeit und dem breiten Publikum angeboten, um diese ebenso in den Wissenstransfer einzubezie-hen. Schließlich müssen auch die etablierten Besu-cherinnenkreise der Kunst in den Wandlungsprozess der Institutionen einbezogen werden und die Chance erhalten, diesen mitzugehen und zu gestalten.

Damit Räume der Kunst zu Orten der Diskussion und Auseinandersetzung zwischen heterogenen Personen und Gruppen werden, muss die Kunstinstitution bereit sein, die Kontrolle über den Wissenstransfer abzuge-ben. Es geht hier nicht darum, anerkanntes Wissen und Verhalten im Kunstfeld an neue Personengruppen zu vermitteln und diese als künftige Besucherkreise zu erschließen. Vielmehr ist das Ziel, die Räume der Kunst zu Orten der öffentlichen Auseinandersetzung werden zu lassen – und diese ist ein im Kern demo-kratischer und im Ergebnis nicht vorwegzunehmender Prozess des Wissenstransfers.

Wenn sich eine solche Form der Kunstvermittlung unter Beteiligung lokaler Expertinnen in den Räumen der Kunstinstitution etabliert, ist dies das deutlichs-te Zeichen, dass lokales Wissen ernst genommen wird und ein Wille zur Veränderung vorhanden ist. Schließlich stehen hier Fragen zur Debatte, die die Funktionsweise des Kunstbetriebs im Kern treffen:

# Die zusammenarbeit zwischen Künstlerinnen und Beirat

Die Künstlerinnen, die sich und ihre Arbeit dem Beirat vorstellten und mit denen sich teilweise eine Zusammenarbeit ergab, verband das Interesse an der Arbeit mit sozialen Kontexten, der Inter-aktion mit ihrem Publikum und der konkreten Bezugnahme auf gesellschaftspolitische Fragen. Das Ausmaß ihrer Kooperation mit Nichtkünstlerinnen und de-ren Spielräume der Mitbestim-mung dagegen variierten be-trächtlich. Für die Orientierung der Beiratsmitglieder wäre es hilfreich gewesen, wenn neben den Präsentationen auch eine systematische Einordnung und Diskussion der Genese und Bandbreite künstlerischer Arbeit mit nicht künstlerischen Akteu-rinnen stattgefunden hätten.

Wichtige Stichworte für diese nicht erfolgte Auseinanderset-zung sind: • Entstehungs- und Rahmen bedingungen partizipativer Ansätze in der Kunst und deren Bedeutung im Kunstzusammenhang• Vorgaben und Entscheidungs- strukturen in konzeptuellen, ästhetischen und repräsenta- tiven Belangen• Verteilung symbolischer und ökonomischer Gewinne • Kriterien für eine faire Kooperation zwischen Künstlerinnen und Nicht- Künstlerinnen

Der Austausch mit den Künstle-rinnen in den Beiratssitzungen führte neben vertieften Koope-rationen auch zur Aufnahme und Verarbeitung lokaler The-men in künstlerischen Werken. Beispiele dafür sind Jürgen Stollhans’ Bezugnahme auf die

Rüstungsproduktion in Kassel in der Installation Vorwärts auf der deutschen Märchenstraße oder die Fotografieserie von All-an Sekula, in der Kasselerinnen bei ihrer Arbeit porträtiert wurden (≥ Exkurs: Präsentationen, Gesprä-che und Kooperationen mit Künst-lerinnen der documenta 12, S. 24). Diese Fortführung empfanden viele Beiratsmitglieder als an-erkennend und letztlich für das lokale Umfeld bereichernd, wie ein Beiratsmitglied im Gespräch formulierte:«Schön ist, dass die eigene Erfah-rungswelt durch die Vermittlung an die Künstlerinnen aufgegriffen wur-de, dass Themen diskutiert wurden, die aus der lokalen Kenntnis kom-men. Durch die Adaption der The-men und der persönlichen Sichtwei-se durch die Künstlerinnen erlangten diese Themen einen größeren Rah-men, erreichten weitere Kreise und neue Leute und haben eine Wirkung in der Stadtgesellschaft.»

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Wer darf über Kunst sprechen, was kann darüber ge-sagt werden, wer hat Anspruch auf die Räume oder Institutionen der Kunst und fühlt sich in ihnen zu Hau-se, welche Verantwortung übernehmen Künstlerinnen für die Rezeption ihrer Werke? Ein offensiver Umgang

mit diesen Fragen zeigt, dass im Verlauf der Koopera-tion die Kunstinstitution ihr Selbstverständnis verän-dert hat und dass sie auf dem Weg ist, ihre Rolle und Verantwortung im lokalen Geflecht neu zu bestimmen.

# Die Beiratsmitglieder als Vermittlerinnen im Ausstellungsraum?

Lediglich in einem Fall – dem Projekt ExperimentExkursionen – wurde die Perspektive des lokalen Umfelds direkt im Aus-stellungsraum zum Ausdruck gebracht. Die Gruppe bot Füh-rungen an, die den Ausstel-lungsraum mit dem Stadtraum verbanden und die Teilnehmerin-nen zu einer Übertragung der ästhetischen Sensibilität auf den Stadtraum anregten. Die Beson-derheit dieses Projekts bestand darin, dass zwei Mitglieder der

Arbeitsgruppe sich als docu-menta 12-Kunstvermittlerinnen ausbilden ließen und diese Füh-rungen maßgeblich entwickelten und durchführten.

In allen anderen Projekten und mit den einzelnen Bei-ratsmitgliedern wurde nicht im Ausstellungsraum gearbeitet. Die documenta-Halle mit den Lunch Lectures besaß eher den Charakter eines Kommu-nikationsraums, in dem die Zugangsschwellen vergleichs-weise niedrig gehalten wurden. Das machte sie zur Anlaufstelle für informelle Nutzungen und zum Experimentierfeld für den

diskursiven Umgang mit der Kunst. Die anderen Ausstel-lungsräume blieben davon je-doch weitgehend unberührt bzw. schufen die in Kunstausstellun-gen übliche Atmosphäre aurati-scher Aufladung.

Der Verzicht auf die Arbeit im Ausstellungsraum war ein Versäumnis, das das anhaltend ungeklärte Verhältnis im Beirat zwischen Kunstraum und loka-lem Raum deutlich macht und als essentieller Bestandteil einer tatsächlich gegenseitigen Be-gegnung zwischen Kunstinstitu-tion und lokalem Umfeld fehlte.

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Mit dem Ende der documenta 12 im September 2007 endeten auch alle von ihr initiierten Aktivitäten, also neben der Ausstellung auch das Zeitschriften-Netz-werk der documenta 12 magazines oder eben der Beirat. In den Jahren der intensiven Zusammenarbeit sind Kontakte und Bezüge entstanden, die über die Ausstellung hinaus wirken – sei es unter den Beirats-mitgliedern oder eben auch in die Geschäftsleitung der documenta hinein. Doch schon steht die nächste documenta vor der Tür und der neuen künstlerischen Leitung wird – so will es die Tradition – der maximale Spielraum zur Gestaltung dieses Ereignisses einge-räumt. Dabei können «Altlasten» aus vorhergehen-den Ausstellungen vermeintlich nur stören und den künstlerischen Freiraum beschränken. Ob diese neue Leitung sich für eine Fortführung der lokalen Kontakte interessiert und sie in «ihrer» Ausstellung weiterent-wickelt, liegt also gänzlich in ihrem Ermessen. Nicht zuletzt dieses Prinzip der «Carte Blanche» verhindert also im vorliegenden Beispiel eine Verstetigung der beschriebenen Verzahnung kultureller und politischer Bildung.

Dabei fällt auf, dass die Ausstellung selbst nicht dem Prinzip der kuratorischen Freiheit unterliegt. Obwohl es für die Gegenwartskunst heute viele an-dere Darstellungsmöglichkeiten gibt, könnte sich eine künstlerische Leitung der documenta zwar ge-gen die Kunstvermittlung oder die lokale Anbindung, nicht aber gegen die Ausstellung selbst entscheiden – schon allein wegen der ökonomischen Relevanz für den Standort Kassel. So wäre es durchaus möglich, auch die lokale Anbindung der Ausstellung zu institu-tionalisieren. Eine solche Entscheidung wurde jedoch von der Geschäftsleitung der documenta bislang nicht getroffen.

Ebenso wie die inhaltliche Gestaltung ist die per-sonelle und finanzielle Ausstattung auf die jeweilige documenta bezogen. Das auf mehrere hundert Mit-arbeiterinnen angewachsene Team geht auseinander und wird für die kommende Ausstellung neu aufgebaut – personelle Konstanten sind dabei selten und vor allem auf die technische Abteilung beschränkt. Eine Fortsetzung der Zusammenarbeit kann also kaum durch langfristige persönliche Kontakte zwischen documenta-Team und Stadt gestützt werden. Mit der klaren Zuteilung der Budgets zu jeder einzelnen do-cumenta schließlich scheint kein Spielraum zwischen den Ausstellungen gegeben zu sein, um die Koope-ration unabhängig von dem Willen der verschiedenen künstlerischen Leiterinnen weiterzuentwickeln.

Die Begrenzung auf einen klar umrissenen zeitlichen Horizont hat die Arbeit des documenta 12 Beirats geprägt. So entwickelten sich seine Arbeitsweisen und Aktionsformen anders, als dies in einer zeitlich

offen angelegten Kooperation denkbar wäre. Dies mag als Vorteil erscheinen, schließlich ist eine befris-tete Perspektive geeignet, die Energien der Aktiven zu mobilisieren, Aufmerksamkeit zu bündeln und in kurzer Zeit viel zu erreichen. Was in solchen «Projek-ten» jedoch zu kurz kommt, ist die Arbeit am eigenen Selbstverständnis, das erst durch die kontinuierliche Auseinandersetzung der Kooperationspartnerinnen herausgefordert und gebildet wird. Die Kooperation zwischen der Kunstinstitution documenta und dem Schlachthof als Einrichtung der politischen Bildung hat zwar einiges in Bewegung gebracht, hat beide Kooperationspartnerinnen inspiriert und ihnen ande-re Perspektiven auf sich selbst und das Gegenüber abverlangt. Sie muss jedoch als Impulsgeber oder wichtiger erster Schritt und nicht als Erfüllung der in diesem Leitfaden beschriebenen Kooperationspoten-tiale betrachtet werden. Denn mit Blick auf die zeitli-che Begrenztheit wurden einerseits die auftretenden Konflikte pragmatisch beseitigt und nicht im Sinne struktureller Veränderungen gelöst. Andererseits konnte sich mit der documenta als Taktgeberin keine Begegnung auf Augenhöhe etablieren, in der beide Partnerinnen in vollem Bewusstsein ihrer Stärken und Schwächen aufeinander zugehen und den Modus der Zusammenarbeit aushandeln. Beiden Seiten blieb es daher verwehrt, das Potential der Kooperation aus-zuschöpfen und Erfolge wie Konflikte für die eigene Weiterentwicklung zu nutzen. So war die Kooperation für die Beiratsmitglieder eine intensive Erfahrung, die zwar gewisse Gestaltungsräume und Möglichkeiten eröffnete, aber die Präsenz und Autorisierung der künstlerischen Leitung der documenta 12 erforder-te. Und für das documenta 12-Team war der Beirat zwar ein interessantes Experiment mit erfreulichen und auch kontroversen Begegnungen, das jedoch keine Konsequenzen für die Kunstinstitution und da-mit auch für das eigene professionelle Handeln nach sich zog.

Diese Publikation versteht sich daher als ein Plädo-yer für eine langfristige und kontinuierliche Zusam-menarbeit zwischen Kunstinstitutionen und Multi-plikatorinnen der politischen Bildung. Dies sehen wir als Voraussetzung dafür an, dass sich aus ein-zelnen Kooperationen zwischen Kunst und politi-scher Bildung bei den Mitwirkenden eine Haltung entwickeln kann, die Teilhabe, Mitbestimmung und Gestaltungsspielraum einfordert und nicht dem guten Willen der Institutionen überlässt. Für Kassel gesprochen: Dass sich einerseits die Bewohnerinnen Kassels auch ohne Einladung der documenta über de-ren Inhalte und Berechtigung verständigen und dass sie diese Auseinandersetzung mit der Geschäfts- und künstlerischen Leitung der Ausstellung führen, um

Fazit und Ausblick

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ihren Anteil an Definitionsmacht über das für Kassel so wichtige Ereignis zu erhalten. Und andererseits, dass die Entscheidungspersonen der documenta auf diese Impulse auf eine verbindliche Weise antworten, die sich auch strukturell, auf der Ebene der Ressour-cen, niederschlägt.

Daher beenden wir den Text mit einem Katalog an Forderungen, der gleichermaßen an die Akteurinnen der Kunst wie der politischen Bildung gerichtet ist:

Die Institutionen der Kunst und der politischen Bildung sollten Kooperationen an der Schnittstelle ihrer Bereiche initiieren. • Das heißt, dass sie ihre Ressourcen und Energien für diese Kooperationen einsetzen müssen.• Die Kooperationen benötigen sorgfältig kalkulierte finanzielle Mittel und eigene finanzielle Entscheidungsspielräume.• Sie müssen in Quantität und Qualität personell adäquat ausgestattet werden.• Sie müssen langfristig angelegt sein und eine kontinuierliche Zusammenarbeit anvisieren.• Die Allianz von Kunst und politischer Bildung muss als eigenständiges Arbeitsfeld etabliert werden.

Die Akteurinnen der Kooperationen müssen sich professionalisieren. • Kooperationen müssen mit großer Aufmerksam- keit organisiert werden.• Der internen Kommunikation kommt dabei ein hoher Stellenwert zu.• Die eigene Arbeit muss laufend reflektiert werden, damit Richtungsänderungen und Anpassungen möglich sind.• Die Arbeit muss dokumentiert und veröffentlicht werden, damit andere Kooperationen daran ansetzen und davon profitieren können.

Beide Bereiche müssen von ihrem tradierten Selbstverständnis abrücken und sich für eine Veränderung der eigenen Rolle öffnen. • Die Kunstinstitutionen müssen aus der Logik der Distinktion ausbrechen und die Kunst als Medium der gesellschaftlichen Verständigung zugänglich machen.• Die Institutionen der politischen Bildung müssen die Kunst weniger als kreative Spielwiese denn als Methodenkasten zur Erschließung von Themen begreifen, die die Einzelnen, das Zusammenleben und die Artikulation politischen Wollens betreffen.

• Die Akteurinnen der Kunst und der politischen Bildung müssen die Konsequenzen annehmen, die aus einer Kooperation entstehen: Ansprüche an Qualität, inhaltliche Ausrichtung und Mitgestaltung; Infragestellung der akzeptierten Spielregeln beider Bereiche usw.• In den Kooperationen müssen sie Zeit und Ressourcen einplanen für die Reflexion und Bearbeitung struktureller Gewalt und von Machtverhältnissen, die sich nicht allein durch guten Willen und gute Vorsätze beseitigen lassen. • Sie müssen auf die politischen Instanzen einwirken, damit langfristig Rahmenbedingungen für solche Kooperationen geschaffen und Gelder entsprechend verfügbar werden • und sich der Bereich an der Schnittstelle von Kunst und politischer Bildung etablieren kann.

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lITERATuRVERZEIchNIS

Fürstenberg, Stephan/Plegge, Henrike: «Schnittstellen und Verfehlungen». In: Mörsch, Carmen und das Forschungsteam der documenta 12 Vermittlung (Hg.) (2009): Kunstvermittlung 2, Zürich /Berlin: diaphanes.

Gerhardt, Andrea/Kirsch, Ulrich (Hg.) (2007): «Sie können die Schuhe ruhig anlassen!» Auf Exkursi-on in Kassel und Umgebung, Norderstedt.

Rollig, Stella (2002): «Zwischen Agitation und Animation. Aktivismus und Partizipation in der Kunst des 20. Jahrhunderts». In: Rollig, Stella/Sturm, Eva (Hg.): Dürfen die das? Kunst als sozialer Raum, Wien: Turia und Kant.

Wieczorek, Wanda/ Hummel, Claudia / Schötker, Ulrich/Güleç, Ayse/Parzefall Sonja (Hg.) (2009): «Projekte der Kunstvermittlung». In: Kunstvermittlung 1. Arbeit mit dem Publikum, Öffnung der Institution. Formate und Methoden der Kunstvermittlung auf der documenta 12. Institute for Art Education (IAE), Zürich/Berlin: diaphanes.

ABBIlDuNGSNAchWEIS

Seite 5 und Seite 7 © Jürgen Stollhans / VG Bild-Kunst, Fotografie: Robert Collette

Seite 6 und Seite 17 © Jürgen Stollhans / VG Bild-Kunst

Seite 11 Fotografie und © Projekt Bildungszelt

Seite 12 Fotografie und © Kinder- und Jugendnetzwerk Kassel

Seite 13 Fotografie und © Projekt ExperimentExkursionen

Seite 14 Fotografie und © Projekt Mach-Was-TRäume

Seite 15 Fotografie und © Projekt Salon des Refusés

Seite 16 Fotografie und © Städtische Werke AG Kassel © documenta GmbH, Fotografie: Isabel Winarsch Fotografie und © Projekt Die unsichtbare Stadt – sichtbar machen

Seite 18 © documenta GmbH, Fotografie: Frank Schinski

Seite 22 © Wanda Wieczorek

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IMPRESSuM

Beteiligte Personen

BeiratsmitgliederJoachim Albrecht, Uli Barth, Harold Becker, Gisela Best, Boris Bouchon, Sabine Buchholz, Roger M. Bu-ergel, Bernd Czellnik, Elke Endlich, Pietro Fiore, Oliver Fromm, Renate Gaß, Andrea Gerhardt, Tom Gudella, Jürgen Hinrichs, Gerhard Hochhuth, Helmut Holz-apfel, Serdar Kazak, Yusuf Kılıç, Christine Knüppel, Axel Knüppel, Christian Kopetzki, Alexander Link, An-negret Luck, Muthoni Mathai, Ulrich Messmer, Ruth Noack, Ralf Pasch, Daniela Ritter, Klaus Ronneber-ger, Karl-Heinz Rösenhövel, Günter Schäfer, Gottfried Schubert, Irmis Schwager, Helen Schwenken, Karin Stemmer, Frank Thöner, Achim Vorreiter, Ruth Wag-ner, Bernd Waltenberg, Michael Wilkens

Kunstvermittlerinnen an der Schnittstelle zum BeiratStefan Fürstenberg, Gruppe DeutschWissen (Angeli-ka Bartl, Sophie Goltz, Susanne Hesse, Andrea Hu-bin), Annika Hossain, Annegret Luck, Ute Marxreiter, Kathrin Nölle, Sandra Ortmann, Henrike Plegge, Anna Schürch, Bernadette Settele, Achim Vorreiter

Sprecherin, EntwicklungAyşe Güleç

EntwicklungWanda Wieczorek

PraktikantinnenAdelaida Lelonek, Chris Piallat

Filmische DokumentationRike Holtz, Jörn Möllenkamp, Pietro Fiore, Wolfgang Raith

Dank anGermann Reina und Conchita GomezAntonio Diaz, Christine Knüppel, Gudrun Pause, Sabine Pach, Florian Schier, Farah Rahimi, Jan Vespermann, Ulla Wegener, Thomas Werner (Kultur-zentrum Schlachthof)Klaus Kussauer (Fonds Soziokultur)Kuratorium des Fonds SoziokulturBernd Hesse (Landesarbeitsgemeinschaft der Kultur-initiativen und soziokulturellen Zentren, LAKS Hessen)

Die Projekte des Beirats wurden gefördert von der Bundeszentrale für politische Bildung.

Art Education Research Juni 2012, Jg. 3 (5) Autorinnen:Wanda Wieczorek, Ayşe Güleç, Carmen Mörsch

Redaktion:Wanda Wieczorek, Anne GruberInstitute for Art Education, Postfach, 8031 ZürichE-Mail: anne.gruber(at)zhdk.ch

—Zurich University of the ArtsInstitute for Art Education——