Innerkonfessionelle Buchdistribution und Lesen in slowakischen Landgemeinden

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cornova 3 (2/2013) Ivona Kollárová Innerkonfessionelle Buchdistribution und Lesen in slowakischen Landgemeinden im josephinischen Zeitalter ▨ Abstract: The paper studies networks built up by Protestant pastors under Joseph II in Upper Hun- gary, ie. today’s Slovakia, with the aim of publishing, translating, purchasing and disseminating books that did not exclusively belong in the religious domain. The correspondence between pastors shows that the transmission process did not always rely solely on the work of booksellers but also on inter- personal relations. The difficulties and failures of some publishing projects due to their unsuitability for the readership pastors aimed at, give a rare and valuable indication of the (in)abilities and expec- tations of the rural readership in the time of Enlightenment. ▨ Key words: Rural population; Readership; Publishing; Protestant Communities; Slovakia; Upper Hungary; Book networks; 1780–1790 ▨ About the author: Doc. Mgr. Ivona Kollárová, PhD. (1971) is a historian at the Slovak Academy of Sciences and head of the department for old prints at the Academy’s Central Library in Bratislava, Slo- vakia. She also teaches Ph.D. students at Comenius university in Bratislava. Her research is focused on the history of printing, publishing and censorship in Upper Hungary (today’s Slovakia) in the 18th century. Aſter books on censorship in Book Censorship under Maria Theresa (1999) and Publishing in the 18th Century (2006), she has recently published a monograph entitled Free Publisher, Thinking Reader (2013) Einleitung Im Jahre 1782 erschien in der Pressburger Zeitung ein Inserat der Buchhandlung Lan- derer. Neben dem Toleranzpatent in drei Sprachen wurde hier auch die Broschüre Der dankbare Protestant gegen seinen duldenden Kaiser 1 für sieben Kreuzer verkauſt. Dieser sechzehnseitige Nachdruck 2 erklärt dem Protestanten, wie er die gewonnene Freiheit für ein sittliches und ehrliches Leben nützen sollte. In mehreren Hinsichten ist er ein typisches literarisches Produkt des Josephinismus: Es ist nicht nur ein Nachdruck, son- dern auch ein preiswerter Nachdruck. Der Verfasser behandelte zeitbezogene politi- sche Gegenstände und wollte die Leute bilden. Die Broschüre hatte auch eine typische „ungarische“ Eigenheit – die Schriſt erschien auch bald auf Slowakisch. Der Übersetzer war der evangelische Priester Stephan Leschka (Štefan Leška). Der dankbare Protes‑ tant erschien ohne Druckort und ohne den Namen des Buchdruckers; der Überset- zer gab auf dem Titelblatt nur seine Initialen an. Demnach kann man vermuten, dass sich die Protestanten der religiösen Freiheit noch nicht ganz sicher waren, obwohl allerseits Freude laut wurde und man Würdigungen des Kaisers veröffentlichte. Man kann das in vielen Medien einschließlich evangelischer Predigten finden. Es schien, daß dazu Grund genug bestand. Das Toleranzpatent und die Zensurreform gewährten 1 Johann Andreas von WIELAND, Der dankbare Protestant gegen seinen duldenden Kaiser. Pressburg 1782. Die Ankündigung: Pressburger Zeitung, den 16. Februar 1782, 14. Stück. 2 Im Jahre 1781 erschien Der dankbare Protestant bei Rudolf Gräffer in Wien.

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cornova 3 (2/2013)

Ivona KollárováInnerkonfessionelle Buchdistribution und Lesen in slowakischen Landgemeinden im josephinischen Zeitalter

▨ Abstract: The paper studies networks built up by Protestant pastors under Joseph II in Upper Hun-gary, ie. today’s Slovakia, with the aim of publishing, translating, purchasing and disseminating books that did not exclusively belong in the religious domain. The correspondence between pastors shows that the transmission process did not always rely solely on the work of booksellers but also on inter-personal relations. The difficulties and failures of some publishing projects due to their unsuitability for the readership pastors aimed at, give a rare and valuable indication of the (in)abilities and expec-tations of the rural readership in the time of Enlightenment.

▨ Key words: Rural population; Readership; Publishing; Protestant Communities; Slovakia; Upper Hungary; Book networks; 1780–1790

▨ About the author: Doc. Mgr. Ivona Kollárová, PhD. (1971) is a historian at the Slovak Academy of Sciences and head of the department for old prints at the Academy’s Central Library in Bratislava, Slo-vakia. She also teaches Ph.D. students at Comenius university in Bratislava. Her research is focused on the history of printing, publishing and censorship in Upper Hungary (today’s Slovakia) in the 18th century. After books on censorship in Book Censorship under Maria Theresa (1999) and Publishing in the 18th Century (2006), she has recently published a monograph entitled Free Publisher, Thinking Reader (2013)

Einleitung

Im Jahre 1782 erschien in der Pressburger Zeitung ein Inserat der Buchhandlung Lan-derer. Neben dem Toleranzpatent in drei Sprachen wurde hier auch die Broschüre Der dankbare Protestant gegen seinen duldenden Kaiser1 für sieben Kreuzer verkauft. Dieser sechzehnseitige Nachdruck2 erklärt dem Protestanten, wie er die gewonnene Freiheit für ein sittliches und ehrliches Leben nützen sollte. In mehreren Hinsichten ist er ein typisches literarisches Produkt des Josephinismus: Es ist nicht nur ein Nachdruck, son-dern auch ein preiswerter Nachdruck. Der Verfasser behandelte zeitbezogene politi-sche Gegenstände und wollte die Leute bilden. Die Broschüre hatte auch eine typische „ungarische“ Eigenheit – die Schrift erschien auch bald auf Slowakisch. Der Übersetzer war der evangelische Priester Stephan Leschka (Štefan Leška). Der dankbare Protes‑tant erschien ohne Druckort und ohne den Namen des Buchdruckers; der Überset-zer gab auf dem Titelblatt nur seine Initialen an. Demnach kann man vermuten, dass sich die Protestanten der religiösen Freiheit noch nicht ganz sicher waren, obwohl allerseits Freude laut wurde und man Würdigungen des Kaisers veröffentlichte. Man kann das in vielen Medien einschließlich evangelischer Predigten finden. Es schien, daß dazu Grund genug bestand. Das Toleranzpatent und die Zensurreform gewährten

1 Johann Andreas von WIELAND, Der dankbare Protestant gegen seinen duldenden Kaiser. Pressburg 1782. Die Ankündigung: Pressburger Zeitung, den 16. Februar 1782, 14. Stück.

2 Im Jahre 1781 erschien Der dankbare Protestant bei Rudolf Gräffer in Wien.

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den Nichtkatholiken im multikonfessionellen Ungarn gleichberechtigte Religionsaus-übung und Verbreitung von Religionsbüchern. Die Aufklärung mit ihrer Idee der Volks-bildung brachte die Überzeugung mit sich, dass nun die Zeit für die massive Verbrei-tung protestantischer religiöser Texte gekommen war. Das Übersetzen in die Sprachen der ungarischen Völker sollte Empfang, Lesen und Verständnis unterstützen. Und so begannen „dankbare Protestanten“, besonders die intellektuelle Elite dieser Minori-tät (und nicht nur Geistliche), zu schreiben, zu übersetzen und zu publizieren, um die gewonnene Pressefreiheit voll für ihren Glauben auszunutzen. Die bibliographische Statistik bestätigt diese Feststellung. Was aber steckt hinter diesen oberflächlichen Zahlen zu Titeln und Übersetzungen? Kann man darin die tatsächlichen Anlässe für diese Publikationen erkennen? Wer hat die Bücher gekauft und gelesen? Auf diese und andere Fragen versuche ich in dieser Fallstudie zu antworten und möchte zeigen, dass das idealistische aufklärerische Vorhaben der Verbreitung von Büchern als Mittel der Verinnerlichung des Glaubens nicht immer auf fruchtbaren Boden fiel. Dank einer frag-mentarisch erhaltenen Korrespondenz kann man unsere nicht ganz klaren und fest gegründeten Vorstellungen über die Buchdistribution und -rezeption in verschiedenen Gemeinden bestätigen oder korrigieren.3

Gottselige Betrachtungen – die Herausgabe und die Distribution

Der Rechtsanwalt und Staatsbeamte Balthasar Pongracz (Baltazár Pongrác, 1731  – nach 1796) führte ein mannigfaltiges Berufsleben, hatte eine private Anwaltspraxis und durchlief eine Reihe durchaus bedeutender Positionen in ungarischen Ämtern. Er schrieb und gab mehrere Bücher heraus. Als seine bedeutendste Tat gilt die slowaki-sche Übersetzung und die Herausgabe der Meditationen von Philipp Balthasar Sinold von Schütz (1657–1742) Gottseelige Betrachtungen auf alle Tage des gantzen Jahres.

Die Gottseeligen Betrachtungen erschienen erstmals 1719 in Nürnberg, wo sie Sinold von Schütz (1657–1742) unter den Pseudonym Amadeus Creutzberg bei dem Buchdru-cker Monath herausgab.4 Peter Conrad Monath bekam im Jahre 1721 für dieses Buch ein zehnjähriges Privilegium impressorium. Das Privilegium sollte vor allem vor un-berechtigem Nachdruck schützen.5 Den Nachdruck oder allein schon die Furcht vor dem Nachdruck kann man für ein Anzeichen kommerziellen Erfolgs halten. Ein ande-res Indiz sind mehrere Auflagen bzw. Editionen eines Buchs. In den nächsten Jahren wurden die Gottseeligen Betrachtungen bei Monath unverändert nachgedruckt, sodass man ihren guten Absatz voraussetzen kann. Sie erschienen noch im 19. Jahrhundert

3 Reinhard Wittmann untersuchte einen ähnlichen Gegenstand – die Ablehnung aufklärischer Bücher durch die Landbevölkerung – vom soziologischen und psychologischen Gesichtspunkt. Er spricht von einer „affektiven Sperre“ , was mit den Ergebnissen meiner Forschungen vergleichbar ist. Vgl. Reinhard WITTMANN, Buchmarkt und Lektüre im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge zum literarischen Leben 1750–1880, Tübingen 1982 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 6), S. 19–38.

4 Über Sinold von Schütz vgl. Harold JANTZ, German Baroque Literature, Modern Language Note 77, 1962, S. 337–367, Hier 359. Online: http://www.jstor.org/stable/3042959.

5 Vgl. die Fassung des Privilegiums z. B. in der Auflage von 1729: Philipp Balthasar Sinold von SCHÜTZ, Amadei Creutzbergs Gottselige Betrachtungen aus alle Tage des gantzen Jahres…, Nürnberg 1729.

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(wahrscheinlich schon nach dem Ablauf des erwähnten Privilegiums) in mehreren Druckereien. Erbauungsbücher waren in Deutschland populär, und auch deshalb wur-den die Gottseeligen Betrachtungen und andere Werke dieses Verfassers zu einem fixen Bestandteil der Hausbibliotheken. Sinold von Schütz wurde neben wichtigen Autoren der spirituellen Literatur wie Johann Friedrich Starck, Johann Jacob Rambach und an-deren genannt.6

„Es besteht kein Zweifel, daß sich dieses Buchs erfolgreich verkaufen wird,“ schrieb Pongracz in einem seiner Briefe, um seine Vorstellung von einer Auflage von 2000 Stück dieses Buchs in der slowakischen Übersetzung zu unterstützen. Balthasar Pon-gracz und der Buchdrucker Franz Augustin Patzko hatten wahrscheinlich Monaths Edition in Händen, denn die Gestalt ihres Drucks ist dem nürnbergischen sehr ähn-lich.7

Nach mehreren Schwierigkeiten sowie dem Imprimatur der innerkirchlichen und staatlichen Zensur erschien die Übersetzung 1783.8 Pongracz hatte eine ausgeprägte Vorstellung bezüglich des Preises und auch der Distribution in den einzelnen Bezirken bzw. Landkreisen.9

Er widmete das Buch mehreren Personen, seinen Verwandten und seiner Toch-ter. Ihm zufolge regten sie ihn zur Übersetzung an. Wenn er in der Widmung unter anderem schreibt, daß seine Verwandten dieses Buch gern lesen, so meinte er das deutsche Original. Die slowakische Version entstand, damit auch die Dienerschaft und andere Leute in ihrer Hauswirtschaft dieses Erbauungsbuch täglich mit Gewinn lesen konnten. Aus seinen Worten ergibt sich, wer darüber hinaus das Zielpublikum der slowakischen Übersetzung bildete. Der Übersetzer wollte die Gottselligen Betrachtun‑gen unter das einfache Volk mit Elementarbildung bringen. Aufgrund von Pongraczs Briefen kann man die Distribution im Detail verfolgen. Außer dem gewöhnlichen Ver-kauf durch Buchhändler wollte Pongracz das Buch vor allem mit Hilfe seiner Freunde und evangelischer Priester im Landgemeinden verkaufen. 500 Stücke sandte er sei-nem Freund, dem angesehenen Pressburger Theologen und evangelischen Prediger Michael Institoris–Moschoczi (Michal Institoris–Mošovský), der auch eines von meh-reren Vorworten geschrieben hat.10 Institoris bot – als ein Zwischenglied der Distribu-tion – die Bücher weiter an. Er schloss den Vertrag mit dem Pressburger Buchhändler und Buchbinder Zilligus über den Preis und die Art des Buchbindung. Die Handschrift des Vertrags enthielt auch Einträge über die von August 1783 bis März 1784 erfolgten

6 Nicolas HOPE, German and Scandinavian Protestantism 1700–1918, Oxford 1999, S. 190.7 Eine solche Imitation der Originalausgaben bei der Herausgabe von Übersetzungen war in Ungarn

nicht außergewöhnlich.8 Philipp Balthasar Sinold von SCHÜTZ, Amadea Kreutzberga Pobožná Přemysslowánj na každý den ce‑

lého roku, W Pressporku 1783. Mehr über diese Herausgabe: Ivona KOLLÁROVÁ, „Niet pochýb, že táto kniha sa bude dobre predávať.“ Vydavateľské projekty evanjelických intelektuálov a bariéry recepcie ná‑boženských kníh, In: Studia Bibliographica Posoniensia. Hrsg. v. Miriam Poriezová, Bratislava 2010, S. 65–84.

9 Vgl. die Handschriftensammlung der Lyzealbibliothek in Pressburg (Zentralbibliothek der Slowakis-chen Akademie der Wissenschaften), Rkp. fasc. 351, 2. 2. 1783; Rkp. fasc. 351, 25. 2. 1783. Pongracz plante, in einzelnen ungarischen Distrikten zwischen 100 und 400 Stück zu vertreiben.

10 Über M. Institoris -Mošovský vgl. Eva KOWALSKÁ, Evanjelické a. v. spoločenstvo v 18. storočí, Bratisla-va 2001, s. 141–165.

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Lieferungen. Institoris bezahlte die Bindung der 400 Stücke. Diese Zahl gibt wohl die ungefähre durch Institoris verkaufte Auflage wider.11 Auch die Anzeige in der slowa-kischen Prešpurské noviny (Pressburger Zeitung) sollte den Absatz fördern.12 Die Be-deutung dieser Ankündigung war aber problematisch. Diese Zeitung hatte zirka 60 stabile Abonnenten. Auch wenn man die nicht vorausbezahlten Exemplare hinzuzählt und die Möglichkeit in Betracht zieht, daß jeder Abdruck durch mehrere Hände ging oder anderen Zuhörern vorgelesen wurde,13 kann diese Anzeige keinen entscheiden-den Einfluss auf den Absatz von Hunderten, genau zwei tausend, Exemplaren haben. Geistliche in Ungarn, Mähren14 und Böhmen15 interessierten sich für die Übersetzung schon, als sie noch nicht einmal gedruckt wurde. Sie trauten sich sogar zu, 50 oder sogar 100 Stücke zu verkaufen.16

Trotz dieser Aktivität wurden die Verkaufsschwierigkeiten immer deutlicher. Die erfolglosen Verkäufer retournierten die Bücher nach Pressburg mit der Begründung, sie wären in ihrer Umgebung unverkäuflich. Einige Priester verkauften kein einziges Buch.17 Es scheint, daß die Buchhändler ebenso erfolglos waren. Pongracz bemühte sich, diesen Umstand mit ihrer falschen Herangehensweise und mit dem Preisan-stieg zu begründen. So verkaufte der Buchbinder und Buchhändler Quendl in Neusohl angeblich ein gebundenes Exemplar um 4 Gulden. In einem Brief behauptet er, der schwierige Absatz sei nicht überraschend. Es sei nur die Folge dessen, dass es bisher keine solchen Bücher für das slowakische Volk gegeben habe. Seine Vorstellung, wie man den Absatz fördern könnte, sah so aus: die Prediger sollen beim Gottesdienst aus dem Buch vorlesen. Dieses Vorlesen sollten Superintendenten in ihren Distrikten ver-fügen.18

Allmählich kamen andere, innerliche Grunde für den schleppenden Verkauf zum Vorschein. Der evangelische Priester und Schriftsteller Martin Hamaliar erwähnte im 1785, daß „nostri slavi“ die Bücher nicht etwa deshalb nicht kauften, weil sie kein Geld hätten, sondern deshalb, weil sie es nicht gewöhnt sind in ihrer Muttersprache zu le-sen. Der deutsche Dialekt sei ihnen viel eher verständlich.19

Dass es mit der Distribution Probleme gab, geht aus der Korrespondenz von 1784 und1785 hervor.20 Die Überzeugung, dass es einen Bedarf an slowakischen Erbauungs-büchern gab, verließ Pongracz nicht. Er plante die Übersetzung des Erbauungsbuchs

11 Rkp. fasc. 601 A. Der Preis bewegte sich zwischen 21 und 27 Kreuzer.12 Prešpurské noviny, 1783. List 9, den 29. Juli, S. 76. Nach dieser Ankündigung wurde der Beginn des

Verkaufs genauer bestimmt.13 Die kollektive Rezeption hält man für die gewöhnliche Lesepraktik dieses Zeitraums.14 Einer von der aktiven und erfolgreichen Verkäufer religiöser Bücher, der den Absatz außer Ungarn

besorgte, war der Schriftsteller und Pädagoge Daniel Boczko (Bocko). Rkp. fasc. 350, 22. 10. 1782 und andere Briefe.

15 Rkp. fasc. 595/2, 25. 8. 1783. Über den Verkauf auch im Brief: Rkp. fasc. 595/1, 14. 5. 1783. Wir haben mehrere Angaben über die Distribution in Böhmen, z. B.: Rkp. fasc. 596/2, 15. 6. 1784.

16 Rkp. fasc. 596/2, 3. 6. 1784. 17 Rkp. fasc. 353, 29. 6. 1785.18 Rkp. fasc. 596/2, 23. 8 1784.19 Rkp. fasc. 353, 29. 6. 1785.20 Stephan Leschka (wirkte damals in Mähren), mitteilte, daß er kein Stück verkaufte. Rkp. fasc. 596/2,

29. 9. 1784.

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Heilsame Betrachtungen des Todes und der Ewigkeit von Johann Melchior Götze.21 Das Vorhaben wurde jedoch, wie eine Reihe anderer, nie verwirklicht.

Andere Erbauungsbücher auf dem Buchmarkt

Nicht nur Pongracz hielt die Verbreitung deutschen Erbauungsbücher in Übersetzungen für wichtig. Michael Institoris -Moschoczi erwähnte in seiner Einleitung zu „Kreutzberg“ Pläne für viele andere deutsche Klassiker der Erbauungsliteratur – Starck, Götze, Sturm, Tiede usw. Man kann auch etwas als eine Konzeption der religiösen Volkslektüre zulas-sen. Mehrere ähnliche Bemühungen belegen diese Behauptung. 1785 wurde in der Press-burger Zeitung zur Pränumeration der slowakischen Übersetzung des Erbauungsbuchs Unterhaltungen mit Gott in den Morgenstunden von Christoph Christian Sturm aufgeru-fen. Der Name des Übersetzers wird nicht erwähnt, aber mehrere Hinweise sprechen für den Schriftsteller Martin Klanicza (Klanica). Der Neusohler Drucker Johann Joseph Tumler sollte das Buch drucken. Tumler war wahrscheinlich bewusst, daß der Preis von 2 Gulden Absatzschwierigkeiten zur Folge haben könnte. Er beschloss daher, das Buch bogenweise herauszugeben. Abonnenten konnten die Meditationen für einzelne Monate nach und nach abonnieren und kaufen. Einzelne Bogen sollten 10 Kreuzer kosten. Als erster Teil wurden die Meditationen für Mai geplant. Auf diese Weise wollte Tumler auch den anderen Teil des Erbauungsbuchs – die Meditationen für Abendstunden – auflegen.22 Diese Vorstellung erwies sich als vermutlich in nächster Zeit undurchführbar. Die er-wähnten Meditationen für Abendstunden kamen nie in die Presse, und die Meditatio-nen für Morgenstunden wurden nicht vollständig herausgegeben. Von allen geplanten Bogen sind heute nur die Meditationen für Mai, also der erste Bogen, bibliographisch erfasst. Obwohl der Herausgeber neben den Titelblatt noch eine kurze Mitteilung an die Leser drucken ließ, daß der Preis nicht „geringer“ gestaltet werden kann, muß man die-sen Misserfolg dem mangelnden Interesse der potentiellen Abonnenten zuschreiben.23

Erst 1790 gelang es, die Morgenmeditationen bei Tumler herausgeben. Die Überset-zung besorgte ein anderer slowakischer Verfasser, Andreas Plachy (Ondrej Plachý).24 Er übersetzte dieses „lebendige Bild der christlichen Einheit“ nach der Tübinger Aufla-ge von 1782. Nach seinen eigenen Worten versuchte dieser Priester und Schriftsteller aus der Mittelslowakei, das Buch solcher Art zu übersetzen, dass es nicht nur von Tschechen und der tschechischen Sprache Mächtigen, sondern hauptsächlich von Slo-waken gelesen und verstanden werden konnte. In der Vorrede erklärte er, daß er seine Aufmerksamkeit auf „schwierige philosophische Worte“ richtete und sich bemühte, nicht die Worte, sondern die Bedeutung zu übersetzen. Plachy ahnte vermutlich, wo-her das schwache Interesse an Erbauungsbüchern kommen konnte. Er betrachtete die bloße Übersetzung des Texts als nicht genügend für das Begreifen. Deshalb er un-

21 Rkp. zv. 352, 20. 12. 1784.22 Prešpurské noviny, 1785, List 39, S. 312.23 Christoph Christian STURM, Kochánj s Bohem w Rannjch hodinách na každý den w roku… Mág, W Ban-

ské Bystricy 1785.24 Christoph Christian STURM, Kochánj s Bohem w Ranjch Hodinách, na každý den v Roku. … A skrze On‑

dřege Plachy, z německé Ržeči… podlé nowé naprawené Edýcyi, přeložené. V B. Bystricy 1790.

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terschied zwischen der tschechischen und der slowakischen Sprache, was in dieser Zeit durchaus nicht üblich war, und zwischen Wort und Sinn.25 Er ahnte, daß es nicht genügte, die Menschen zum Buchkauf zu überreden und in ihren Alltag regelmäßige Kontemplationen einzuführen. Er ahnte, daß die inneren kognitiven Bedingungen des Rezipienten in Betracht gezogen werden sollten. Trotzdem war dieser Versuch nicht erfolgreich: Der zweite Teil – die Abendmeditationen – erschien nie.

Sturms Unterhaltungen mit Gott in den Morgenstunden erschien auch in ungarischer Übersetzung. Auch in diesem Fall wurde für die Deckung der Kosten auf Pränumerati-on zurückgegriffen.26 Im ersten Theil wurde das Pränumerantenverzeichnis wie auch die Ankündigung des Pressburger Buchdruckers Johann Michael Landerer (Ján Michal Landerer) über die Pränumeration des anderen Teils gedruckt. Landerer und der Über-setzer, der reformierte Loschonczer Prediger Joseph Karman (József Kármán), hatten nicht mehr Glück als Sturms andere Herausgeber – der zweite Teil erschien nie.

In Ungarn wurden Sturms Morgen - und Abendandachten auch in der Originalspra-che gedruckt.27 Dieses Andachtsbuch28 wurde durch Weber und Korabinsky heraus-gegeben. In der Vorrede behaupten sie, daß das Buch nach „mehrmaligen Nachfragen nach einem vernünftigen Gebetbuche“ erschien. Der Verfasser sollte sich „alle Mühe geben, diese Andachtsübungen so einzurichten, daß sie für Christen von verschiede-nen Einsichten und Fähigkeiten gleiche Brauchbarkeit haben können.“ Sie betonten die Überkonfessionalität, den „Verstand“ und „die Anwendung auf ihren Gemütszu-stand“, wahrscheinlich, um den Kreis der Abnehmer zu erweitern. Das billige Büch-lein im der für eine Andachtsbuch gewöhnlichen Form stellte nicht nur für große und teurere Erbauungsbücher eine Konkurrenz dar. Im Licht der erwähnten Feststellung über die bessere Verständlichkeit der geschriebenen deutschen Sprache in der slowa-kischen Umgebung kann man dieses Andachtsbuch zu den gut absetzbaren Andachts - und Gebetbüchern (nicht nur im josephinischen Zeitalter) zählen.

Die Zahl der (nicht nur protestantischen) Andachts - und Erbauungsbücher, die aus der deutschen in die slowakische oder ungarische Sprache übersetzt wurden, ist in dieser Zeit beträchtlich. Das Übersetzen der erfolgreichen Titel war in Ungarn keine neue Erscheinung. Schon in der Neuzeit wurden berühmte lateinische religiöse Texte in die Volkssprachen übersetzt. Dieser Kulturtransfer mit seiner Vielschichtigkeit hat-te jedoch seine Schwierigkeiten. In einer gewissen Phase des Buchumlaufs äußerten sie sich als Absatzschwierigkeiten; dieses Problem hatte allerdings tiefere Ursachen, welche aber weder die Pränumeration noch eine andere Art der Werbung zu lösen im Stande war. Im Gegenteil, schon nach der Ankündigung der Pränumeration konnte man den Misserfolg vorausahnen.

25 O vývoji slovenského jazyka z biblickej češtiny: Eugen PAULINY, Dejiny spisovnej slovenčiny od začiat‑kov po súčasnosť, Bratislava 1983.

26 Christoph Christian STURM, Istennel Tarsalkodás, A’ Reggeli Órákon Az Esztendönek Minden Napjaira. Elsö Rész, Posonyban 1784.

27 Christoph Christian STURM, Tägliche Morgen ‑ und Abendandachten nebst einer kurzen Sammlung aus‑erlesener Gebete an Communionstagen zu andern Zeiten und Umständen, Pressburg [1785]. Bibliogra-phische Verzeichnisse geben 1787 als Erscheinungsjahr an, aber nach der Ankündigung in Pressbur-ger Zeitung wurde das Buch schon im 1785 verkauft. Pressburger Zeitung, 23. März 1785, Nro. 24.

28 Es hat 146 Seiten und kostete14 Kreuzer.

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Lesefähigkeit und Leseinteresse als Quelle von Distributionsschwierigkeiten

Diese Schwierigkeiten bei der Distribution slowakischer evangelischer Bücher betra-fen nicht nur übersetzte Erbauungsbücher. Evangelische Priester wollten die religiöse Freiheit auch für die Verbreitung der Schriften nutzen, die eng mit innerkonfessionel-len und theologischen Problemen der Kirche (z. B. Unklarheiten in der Glaubenslehre und bezüglich der Beziehung zwischen Staat und Kirche) verbunden waren.

1783 verfasste und veröffentlichte Michael Institoris -Moszoczi die theologische Ab-handlung Listownj odpověď (Sendschreiben),29 um die theologischen Traditionen der Böhmischen Brüder und der Lutheraner einander anzunähern.30 Die Abhandlung wur-de beim Prager Buchdrucker Johann Thomas Höchenberger gedruckt. Ihre Distribution war wieder nicht problemlos. Wir haben darüber viele Angaben in der Korrespondenz. Höchenberger wies Institoris schriftlich auf die Unverkäuflichkeit der Abhandlung hin. Er verkaufte nur 20 Stück. Darum schlug er vor, Exemplare der teologischen Abhand-lung gegen Bücher aus der Druckerei der Pressburger Buchdrucker Franz Augustin Patzko zu tauschen. Er nannte das Paradies ‑Gärtlein von Johann Arndt und Kern aller Gebete von Caspar Neumann in der slowakischen Übersetzung. Höchenberger sandte 50 Stück der Abhandlung nach Pressburg und machte Institoris aufmerksam auf ein an-deres, sehr ähnliches Problem mit der zweiten Auflage der theologischen Abhandlung Newinný Odpadlec (Der unschuldige Abtrünnige).31 Diese Apologie des evangelischen Glaubensbekenntnisses in slowakischer Sprache umfasst lateinische Anmerkungen. Höchenberger meinte, daß solche lateinische Zugaben für einfache, ungebildete Leute überflüssig seien.32 Das Publikum für solche Abhandlungen war also seinem Urteil – dem Urteil des Geschäftmanns – zufolge gering. Er irrte sich nicht. Der Absatz war mit Problemen verbunden, und das sowohl auf slowakischem, böhmischem wie auch auf mährischem Gebiet. Der Verkauf sollte auf die schon erwähnten Weise organisiert wer-den, nämlich dass Institoris an Mittelsmänner weitergab, die die Schrift zu den Lesern bringen sollten. Mehrere Prediger verkauften kein einziges Exemplar und bezeichne-ten die potentiellen Käufer als dumm.33 Mehrmals wird eine gewisse Verachtung ihrer Leseinteressen deutlich. Den Erfahrungen der Priester zufolge lasen die Leute begierig alles, worin sich zum Beispiel Äußerungen gegen den Papst befanden. So kommt das Problem der schwachen Kenntnisse über den Inhalt des evangelischen Glaubensbe-kenntnisses zu Tage. Abhandlungen wie z. B. Listownj odpověď sollten die theologi-

29 Michal INSTITORIS ‑MOŠOVSKÝ, Listownj Odpowěd k Augsspurského Wyznánj Cžechům a Morawanům na gegich otázku: Gestli l’ámánj chleba při S. Wečeři Páně potřebné?. S Přjdawkem Cžeské Confessie, Ma‑ximiliánovi II. Cýsaři, Roku 1575. podaní, Praha 1783.

30 Eva KOWALSKÁ, Evanjelické a. v. spoločenstvo v 18. storočí, Bratislava 2001, S. 146–147. Die Schrift umfasst die Confessio Bohemica, also die durch den Kaiser Maximillian II. akzeptierte Fassung, die das Glaubensbekenntnis der tschechischen Protestanten, der Böhmischen Bruder und der Kalvinis-tischen Kirche vereinigte.

31 Matej MARKOVIČ d. Ä., Newinný Odpadlec, to gest: Taužebné Provkázánj Newinnosti těch, kteřjž se k náboženstwj Wyznánj Augsspurského připogugj… Druhé ponaprawené wydánj [2. Auflage]. Praha 1783.

32 Rkp. zv. 595/1, 13. 3. 1783. Es gibt keine Angaben darüber, ob der Austausch verwirklicht wurde.33 Rkp. zv. 595/1, 14. 5. 1783.

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schen Kenntnisse wenigstens teilweise verbessern.34 Prediger von Landgemeinden be-merkten oft die theologische Desorientierung der Landbevölkerung, die sogar Talmud und tschechischsprachige jüdische Bücher kauften und daraus die christliche Lehre lernten. Sie erwähnten auch die Verbreitung des Deismus.35

Im josephinischen Zeitalter wurden mehrere ähnliche Abhandlungen herausgege-ben und ähnliche Schwierigkeiten mit dem Vertrieb wiederholten sich. Evangelische Geistliche wollten nach Veröffentlichung des Toleranzedikts nicht selten ihre Predig-ten drucken lassen. Meistens, wenn sie nicht ihre eigene Mittel aufwendeten, gelang das nicht, weil die Drucker sich weigerten, unverkäufliche Titel aufzulegen.

Diese Erkenntnis führt uns zur Frage, was besser oder gut verkäuflich war. Das erwähnte Andachtsbuch Sturms ist eine Teilantwort, die mit einem Blick in die unga-rischen Bibliographien ergänzt werden kann, wo wiederholte Auflagen von Andachts -, Gebets - und Gesangbücher oder Katechismen auffallen. Die Lage war in anderen eu-ropäischen Ländern ähnlich – viele Verleger und Buchhändler konzentrierten sich auf solche billige, religiöse Bücher.36

Eine andere Teilantwort sind Privilegien für Verleger. Im 1784 bat der Pressburger Buchdrucker und Buchhändler Anton Löwe die Ungarische Statthalterei um ein Privi-legium auf fünfzehn oder zwanzig Jahre für die Herausgabe des deutschen evangeli-schen Gesang - und Gebetbuchs für die deutschen Kirchengemeinden augsburgischen Bekenntnisses in Ungarn. Dieses Privilegium würde ihm ermöglichen, ein billiges und hochwertiges Gesangbuch zu verlegen und die Gefahr des Nachdrucks auszuschlie-ßen. Als Beweis seiner guten Absichten versprach Löwe, hundert Exemplare den Ar-men schenken. Trotzdem bekam er das Privilegium nicht. Die damit befassten Staats-beamten stellten fest, daß solche Privilegien, die eigentlich ein Monopol darstellen, nicht mehr verliehen würden, weil sie der Öffentlichkeit schädlich wären.37 Das wäre nicht weiter bemerkenswert, wenn nicht der Wiener Drucker Trattner 1783 trotz al-lem eine ähnliche Erlaubnis erhalten hätte. Nach der Nachricht in der Pressburger Zeitung konnte Trattner verschiedene religiöse Bücher, unter anderem die Berliner Bibel, Arndts Wahres Christenthum und das Paradiesgärtlein, mehrere Gesangbücher, Luthers Kleinen Katechismus u. a. mit Privilegium drucken.38 In diesem Licht erscheint das Lizenzierungsystem als mässig inkonsistent, aber wird allerdings deutlich, wel-che in hohen Auflagen verlegten Titel privilegierten Verlegern wie Trattner oder Löwe Gewinn bringen konnten. Gebet - und Gesangbücher gehörten in diese Kategorie. Das Phänomen der Gesangbücher ist ein Thema für sich. Im josephinischen Zeitalter waren viele slowakische, ungarische und deutsche Gesangbücher, alte und bekannte Titel, in verbesserten Ausgaben oder (teilweise) in Form neuer Sammlungen auf dem Markt. Das böhmische Gesangbuch Cithara Sanctorum spielte angesichts des Mangels religi-öser Bücher in den Volkssprachen auch die außerordentliche Rolle eines elementaren

34 Rkp. zv. 595/1, 14. 5. 1783. Daniel Boczko schrieb: „Si quis ederet explicationem Apocalipseos Joanne-ae ad gustum eorum hanc illi auide emerent et legerent, praesertim si in ea quam plurimum contra Pontificiem occurreret.“

35 Rkp. zv. 596/3 24. 5. 1785.36 Vgl.: Reinhard WITTMAN, Geschichte des deutschen Buchhandels, München 1999, S. 135.37 Ungarisches Staatsarchiv, Budapest, C 60, cs. 64, 10006, F. 1–4.38 Pressburger Zeitung, 5. Februar, 1783, 11. Stück.

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Glaubenshandbuchs,39 das sich in fast jedem evangelischem Haushalt befand. Auch deshalb wollten sie viele Buchdrucker – Pester, Ofener, Prager, Wiener u. a. – drucken und verkaufen, was heftige Auseinandersetzungen zur Folge hatte.40

Die Lesefähigkeit und die Lesepraxis breiter Schichten mit Elementarbildung kann man sich in diesem Zeitraum vor allem so vorstellen, dass das Buch bei privaten und öffentlichen Frömmigkeitspraktiken eine wichtige Rolle spielte. Eine größere Buch-bestellung von einem slowakischen, mährischen oder böhmischen Landprediger bei einer Pressburger Buchhandlung sah zum Beispiel wie dieses Verzeichnis aus:

1. Biblia Halensia Bohemica – 3 Stück41

2. Poklady Modlitebnj (Gebetschatz) – 10 Stück3. Postylky Sartoriusowé (Postillchen von Sartorius) – 6 Stück42

4. Pokogjky (Zimmerchen) – 3 Stück43

5. Zahradky Rágské (Paradies -Gärtlein) – 2 Stück44

6. Žiwota Studnice (Lebensbrunnen) – 3 Stück45

Der Priester, Dichter und Sprachwissenschaftler Paul Schramko (Pavel Šramko) schrieb an Institoris nicht nur, daß er 50 Stück Passionbüchleinen46 ziemlich schnell verkauft hatte, sondern auch, daß er sich bemühte, die Leute dazu zu bringen zu lesen. Er wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es im Liptauer und Arwaer Distrikt keinen Buchbinder gab, und bat Institoris, einen Buchbinder zu finden, den er zur Übersied-lung nach St. Miklosch (Liptovský Mikuláš) überzeugen könnte.47

Aus dem Briefwechsel wird nicht nur die Art und Weise der Zusammenarbeit mit den Buchhändlern deutlich, sondern auch Alternativen zu Buchhandelsnetzen – die innerkonfessionelle Zirkulation von Büchern und die private Buchvermittlung. Dieses alternative Netz bildeten und pflegten Geistliche in der Absicht, sich gegenseitig, aber auch ihren Kontaktpersonen oder Pfarrgemeinden Bücher zu empfehlen, zu vermitteln und zu verbilligen. Eine gewisse Rolle dabei spielte auch die pietistische Neigung von Institoris und seinen Freunden.48

Die Geschichte des Buchmarktes ist nicht identisch mit der Lesegeschichte.49 Wir haben nur eine ungefähre Vorstellung von der tatsächlichen Bedeutung des Buchs und

39 Juraj TRANOVSKÝ, [Cithara Sanctorum] Pijsně Duchownj Staré y Nowé… Levoča 1636.40 Ján ČAPLOVIČ, Vydavateľské boje o Citharu Sanctorum pred poldruha stoletím, in: Jiří Třanovský. Sbor-

ník k 300. výročí kancionálu Cithara Sanctorum. Hrsg. von Vladimir Klecanda. Bratislava 1936, S. 152–162.

41 Wahrscheinlich: Biblia Sacra, To gest: Biblj Swatá Aneb Wssecka Swatá Pjsma Starého y Nowého Záko‑na… Halle 1766 [3. Auflage].

42 Daniel SARTORIUS, Summownj Postylka, na wssecky dny Nedělnj… Pressburg 1779.43 Das Gebetbuch, nicht genauer identifiziert.44 Johann ARNDT, Zahrádka Ragská, plná Křesťanských Ctnostj… [Pressburg] 1782.45 Der Priester (Samuel Ruttkay, Humpolz) bestellte noch Christliche Moral von Gotffried Less (Tübin-

gen, 1780), wahrscheinlich zum eigenen Bedarf. Rkp. zv. 597/1 6. 3. 1786.46 Michal INSTITORIS ‑MOŠOVSKÝ, Pořádek Swaté Passie, W Presspurku 1773. 2. Auflage: 1787.47 Rkp. zv. 595/1 28. 5. 1783.48 Vgl.: R. WITTMANN, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 118.49 Richard van DÜLMEN, Historická antropologie: Vývoj – problémy – úlohy, Praha 2002, S. 71.

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der Alphabetisierung der Stadt - und Landbevölkerung im 18. Jahrhundert, über Lese-praktiken, über das Vorlesen und über die Rolle der Lektüre bei der Verinnerlichung und Kräftigung des Glaubens.50

Das Lesen ist ein komplexer und anspruchsvoller kognitiver Prozeß. Er setzt nicht nur eine weitgehende Alphabetisierung voraus, sondern auch kognitive Fertigkeiten, Konzentration, Zeit und zudem auch in der Vergangenheit nicht immer selbstverständ-liche Bedingungen, wie zum Beispiel Licht. Das Lesen, das ab einer bestimmten Zeit eine privilegierte Kommunikationsweise und soziale Konvention wurde, erlebte seine Explosion vor allem in der Neuzeit dank der Erfindung des Buchdrucks. Das Lesen, das noch kurz zuvor mehr oder weniger unerwünscht und beinahe ganz verboten war, sollte von Heute auf Morgen aufgrund der aufklärerischen Ideen zur regelmäßigen Gewohnheit und zur unabdingbaren sozialen Praxis werden.51

Die Leute begannen, die Religion durch Bilder zu rezipieren und auszuüben, zu-nächst in der Kirche, später auch durch die illustrierte Bibel. Das Lesen der Gesänge übertraf allmählich das Betrachten von Bildern.52 Das war aber kein Lesen im eigentli-chen Sinn. Auch im Zusammenhang mit der Reformation betonte man die Bedeutung der sogenannten gemeinen und privaten Frömmigkeit und in diesen Rahmen die Wich-tigkeit des täglichen individuellen Gebets mit dem regelmäßigen Bibellesen.

Auf der anderen Seite hatten viele Gläubige keinen Zugang zur Bibel, unter an-derem aufgrund ihres Analphabetismus und der hohen Buchpreise. Dieser Zustand änderte sich nur langsam. Das Segment der religiösen Bücher, die für die private Fröm-migkeit bestimmt waren, bildete sich im 16. und 17. Jahrhundert heraus, und allmäh-lich formierten sich auch dazu passende Lesegewohnheiten. Ein Teil der Gläubigen war im Stande, Gebete nach Gebetbüchern aufzusagen und Gesangbücher zu nützen. Diese Lesepraxis stellt das laute Lesen vor. Mehrere Autoren sprechen in diesem Zu-sammenhang vom wiederholten und ritualisierten Lesen eines einzigen Buchs.53 Die individuelle Frömmigkeit  – im Sinne der Kontemplation mit Hilfe eines Erbauungs-buchs  – setzt allerdings stilles Lesen voraus.54 Diesen Umstand unterschätzten die Herausgeber bei ihren Bemühungen vermutlich. Im neurophysiologischen Modell des Meditationszustands ist von der Zusammenarbeit aller Gehirnteile die Rede. Kontem-plation ist eine innerliche Tätigkeit, die mit Spiritualität und Religiosität der Persön-lichkeit zusammenhängt und die Erfüllung vieler Bedingungen, nicht nur geeignete Lektüre, voraussetzt.

Den Transfer der deutschen Erbauungsliteratur nach Ungarn kann man nicht als erfolgreich bezeichnen. Es war sehr anspruchsvoll, in einer realistischen Zeit wenigs-tens einen Teil der Auflage zu vertreiben, und das selbst, wenn die theologischen Au-toritäten darauf positiven Einfluss nahmen. Man kann voraussetzen, daß dabei vor

50 Vgl.: István György TÓTH, Literacy and Written Culture in Early Modern Central Europe, Budapest 2000.

51 David TREND, The End of Reading: From Gutenberg to Grand Theft Auto, New York 2010, S. 17.52 Ibid., S. 27–28.53 Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 187–188.54 Roger CHARTIER, Praktiken des Schreibens, in: Geschichte des privaten Lebens. 3. Band. Von der Re-

naissance. Hrsg. von Philippe Ariès und Roger Chartier, Frankfurt am Main 1994, S. 115–165. Hier 129–130.

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allem die Lesepraxis des überwiegenden Teils des slowakischen Landvolkes hinderlich war. Es scheint aber, dass auch andere kognitiven Umstände eine gewisse Rolle spiel-ten. Matthias Schulek (Matej Šulek), ein Verfasser geistlicher Lieder, stellte bei der Übersetzung von Sturms Gebeten fest, sie seien „länger als die Geduld der Slowaken im Beten“.55 Auch fand er den Stil dieser Gebete ungeeignet, denn ihre Denkweise sei „andersartig“.56 Deshalb ersetzte er abstrakte Begriffe durch konkrete, also besser be-greifbare. Wenn man dies neben die erwähnte Aussage über die bessere Verständlich-keit des deutschen Dialekts stellt, wird die mentale Barriere in Umrissen erkennbar und teilweise auch die Erscheinung, die Roger Chartier „world of the text – world of the reader“ nennt.57

Schluss

Die Mikroanalyse von Verlagsprojekten zeigt mehrere Schwierigkeiten auf, die Barrie-ren für die Rezeption von Büchern in gewissen Schichten der ungarischen Gesellschaft darstellten. Im Verlagsschema „Übersetzung – Verlag – Distribution“ wird eine gewisse Ratlosigkeit in der Phase der Distribution deutlich. Erst die Betroffenheit angesichts des schwachen Absatzes warf diesbezüglich Fragen auf. Die Herausgeber nahmen wahr, daß nicht nur der Mangel an Geld oder Interesse Hindernisse bildeten, sondern daß hier auch geistige Fähigkeiten und besonders die Lesegewohnheiten eine wichtige Rolle spielten. Den Misserfolg erklärten sie mit anders gearteten Lesepräferenzen und mit dem niedrigen Niveau der theologischen Kenntnisse; sie gaben auch zu, dass die Rezipienten unfähig waren, gewisse Bücher zu akzeptieren, weil sie den gedruckten Text nicht verstanden, und das oft, obwohl er in ihre Muttersprache übersetzt war, oft aber auch wegen religiöser Vorurteile. Sie redeten nicht offen über die mangelnde Fähigkeit des stillen Lesens, aber man muss zugeben, dass das nicht nur eine Neben-rolle spielte. Wir gewinnen eine teilweise Vorstellung von der Alphabetisierung, den Lesefähigkeiten und den Leseinteressen des Landvolkes. Das alles steht im Kontrast zum gewöhnlichen Bild, das wir von der Aufklärung haben, in der die gebildete Stadt-bevölkerung Lesekabinette besuchte und begierig Bücher verschiedenster Art las und die auch als eine Periode des Übergangs vom intensiven zum extensiven Lesen be-zeichnet wird. Das gilt nur für gewisse Umgebungen. Auf dem slowakischen Lande gab es Gebiete, wo es nicht einmal Buchbinder gab und wo die Menschen noch immer nur Gebet - und Gesangbücher für eine nützliche Lektüre halten. Die Unterschiede zwi-schen gesellschaftlichen Umwelten, zwischen Hoch - und Volkskultur, zwischen Stadt und Lande fanden in Verlags - und Distributionsprojekten ihren Niederschlag. Sie er-möglichen uns, die Eigenheiten verschiedener kultureller Umgebungen besser zu ver-stehen und führen zu dem Schluss, dass Feststellungen über die Buchgeschichte und Lesegeschichte nur selten zu generalisieren sind.

55 Rkp. zv. 354, 25. 5. 1786: „modicum longiores, quam nostrorum Slauorum in orando Patientia est“.56 Rkp. zv. 354, 25. 5. 1786: „Mentem aliis scientiis perpolitam habent“.57 Roger CHARTIER, The Order of Books. Readers, Authors, and Libraries in Europa between the Fourte‑

enth and Eighteenth Centuries, Cambridge 1994, S. 3.