Hethitische Prohibitivsätze syn- und diachron

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Prohibitivsätze im Hethitischen syn- und diachron Susanne Zeilfelder Abstract The Hittite prohibitive negation is originally an imperative verbal form. Grammaticalizations develops in analogy to the regular negation natta through an intermediate state with as a parenthesis. The indicative is thus a relic form. Both types of NegP in Hittite are precisely equal in structure, namely left-adjacent adjuncts to the hosting phrase. 1. Das Hethitische gehört bekanntlich zu denjenigen Sprachen, in denen der imperativische Satzmodus nicht mit der Negation kompatibel ist. Als typische Vermeidungsstrategie fungiert in der Indogermania sonst häufig der Ersatzinfinitiv, man vergleiche z.B. (1a) lat. Noli me tangere! „Fass mich nicht an!“ (1b) ital. Non ti preoccupare! „Mach dir keine Sorgen!“ Im Hethitischen wird dagegen ein Verbot nicht durch Periphrase oder Infinitiv, sondern durch eine Negation gebildet, die sich im Stellungsverhalten von der Normalnegation natta nicht unterscheidet, die aber, abgesehen von einigen wenigen junghethitischen Beispielen 1 , nur in indikativischen Sätzen vorkommt. 1.1. Was die Etymologie dieser Prohibitivnegation angeht, so hat die ältere Forschung 2 erwogen, dass heth. mit lat. verknüpfbar sei. Für den Anlautwechsel verwies man auf Fälle wie heth. lāman „Name“ : lat. nōmen und heth. lammar „Zeitpunkt“ : lat. numerus „Zahl“. Aber es bestand von Anfang an ein gewisses Unbehagen bei diesem Vergleich, weil sowohl lāman wie lammar problemlos durch Sonantendissimilation erklärbar sind; für den Einsilbler scheidet diese Möglichkeit natürlich aus. Außerdem ist die Negation mit n- Anlaut womöglich überhaupt erst inneritalisch entstanden. 3 Hinzu kommt ferner der kategorielle Unterschied – der allerdings bislang wenig berücksichtigt wurde –, dass lat. im Gegensatz zu heth. eine komplementsatzeinleitende Konjunktion ist. Man hätte also zumindest ein nachvollziehbares Szenario für eine Umkategorisierung vom Komplementierer zur Negation entwerfen müssen, und das fällt angesichts des Befundes nicht leicht. Einleuchtender ist daher die alternative Erklärung, die als erster wohl Pedersen 1938 ins Spiel gebracht hat, nämlich die Herleitung von aus dem erstarrten Imperativ eines so im Hethitischen nicht fortgesetzten Verbums für „lassen“; bezeugt ist aber immerhin die ursprüngliche Iterativbildung laizzi „lässt“. Rechnet man also für mit einem 1 Vgl. dazu unten Beleg (21). 2 Die ältere Literatur findet sich bei Tischler 1990, 50ff. 3 Vgl. dazu de Vaan 2008, 404 mit Lit.

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Prohibitivsätze im Hethitischen syn- und diachron Susanne Zeilfelder

Abstract

The Hittite prohibitive negation lē is originally an imperative verbal form. Grammaticalizations develops in analogy to the regular negation natta through an intermediate state with lē as a parenthesis. The indicative is thus a relic form. Both types of NegP in Hittite are precisely equal in structure, namely left-adjacent adjuncts to the hosting phrase.

1. Das Hethitische gehört bekanntlich zu denjenigen Sprachen, in denen der imperativische Satzmodus nicht mit der Negation kompatibel ist. Als typische Vermeidungsstrategie fungiert in der Indogermania sonst häufig der Ersatzinfinitiv, man vergleiche z.B.

(1a) lat. Noli me tangere! „Fass mich nicht an!“ (1b) ital. Non ti preoccupare! „Mach dir keine Sorgen!“

Im Hethitischen wird dagegen ein Verbot nicht durch Periphrase oder Infinitiv, sondern durch eine Negation lē gebildet, die sich im Stellungsverhalten von der Normalnegation natta nicht unterscheidet, die aber, abgesehen von einigen wenigen junghethitischen Beispielen1, nur in indikativischen Sätzen vorkommt.

1.1. Was die Etymologie dieser Prohibitivnegation angeht, so hat die ältere Forschung2 erwogen, dass heth. lē mit lat. nē verknüpfbar sei. Für den Anlautwechsel verwies man auf Fälle wie heth. lāman „Name“ : lat. nōmen und heth. lammar „Zeitpunkt“ : lat. numerus „Zahl“. Aber es bestand von Anfang an ein gewisses Unbehagen bei diesem Vergleich, weil sowohl lāman wie lammar problemlos durch Sonantendissimilation erklärbar sind; für den Einsilbler lē scheidet diese Möglichkeit natürlich aus. Außerdem ist die Negation mit n-Anlaut womöglich überhaupt erst inneritalisch entstanden.3 Hinzu kommt ferner der kategorielle Unterschied – der allerdings bislang wenig berücksichtigt wurde –, dass lat. nē im Gegensatz zu heth. lē eine komplementsatzeinleitende Konjunktion ist. Man hätte also zumindest ein nachvollziehbares Szenario für eine Umkategorisierung vom Komplementierer zur Negation entwerfen müssen, und das fällt angesichts des Befundes nicht leicht. Einleuchtender ist daher die alternative Erklärung, die als erster wohl Pedersen 1938 ins Spiel gebracht hat, nämlich die Herleitung von lē aus dem erstarrten Imperativ eines so im Hethitischen nicht fortgesetzten Verbums für „lassen“; bezeugt ist aber immerhin die ursprüngliche Iterativbildung laizzi „lässt“. Rechnet man also für lē mit einem

1 Vgl. dazu unten Beleg (21). 2 Die ältere Literatur findet sich bei Tischler 1990, 50ff. 3 Vgl. dazu de Vaan 2008, 404 mit Lit.

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alten Aoristimperativ4 zu idg. *leh1- „lassen“, dann ist die lautliche Frage sauber gelöst. Die syntaktische Herleitung der Konstruktion steht jedoch noch aus.

1.2. Pedersen5 hat hier als Parallele die lateinische asyndetische Prohibitiv-konstruktion mit cave beigezogen, z.B.

(2) lat. cave facias! „Tu das bloß nicht!“,

aber ganz unproblematisch ist dieser Vergleich nicht, zum einen, weil im Lateinischen keinerlei Umkategorisierung von der Infinitivform zur Negation stattfindet, zum anderen aber auch, weil sich angesichts des intakten lat. Modussystems das Problem der unmarkierten Aufforderung nicht in derselben Weise stellt wie im Hethitischen.6 Bei heth. lē muss man sich dagegen fragen, wie der obligatorische Indikativ nach der Prohibitivnegation eigentlich lizensiert ist.

1.3. Betrachten wir zunächst einmal die Normalnegation natta, die im Hethitischen sowohl als Satz- wie als Sondernegation fungiert. In beiden Fällen steht die NegP linksadjazent zur Wirtskonstituente7, z.B.

(3a) CTH 3 (Zalpa A), Vs. 18 ha-an-te-iz-zi DUMUMEŠ ni-ku-uš-mu-uš älter: NOM.PL.C. Sohn: NOM.Pl.C. Schwester: AKK.PL.C.=ihr: AKK.PL.C. na-at-ta ga-ni-eš-šir nicht erkennen: 3.PL.PRÄT.AKT. „Die älteren Söhne erkannten ihre Schwestern nicht.“

(3b) CTH 4 (Autobiographie Hattusilis I.), Rs. III 29 ÍDMa-a-la-an-na Ú-UL ku-iš-ki (Fluss)Mala: AKK.SG.C.=aber nicht jemand: NOM.SG.C. pí-ra-an za-a-iš vorher: ADV. überschreiten: 3.SG.PRÄT.AKT. „Den Fluss Māla aber hatte vorher niemand überschritten.“

Wie streng die Adjazenzregel ist, lässt sich ohne ein ausreichend großes annotiertes Corpus schlecht sagen, aber sehr viel mehr als eingeschobene Enklitika scheint es nicht zu geben8, z.B. die Adversativpartikel -ma:

4 Locus classicus ist Eichner bei Oettinger 1979, 501 Anm. 13. 5 So Pedersen 1938, 163f. 6 Darüber hinaus ist auch nicht ausgeschlossen, dass es sich bei der lat. Wendung um eine

pragmatische Oberflächenellipse handelt, da auch cave nē vorkommt; Kühner-Stegmann 1912, II/1, 205f.

7 Der Terminus nach Blühdorn 2012, 60. 8 Das ist jedenfalls der Befund nach Auswertung meines Referenzcorpus aus etwa 1000

syntaktisch annotierten Sätzen. Die von Hoffner/Melchert 2008, 345 postulierte „kategorische“ Nachstellung von lē basiert, wie in Zeilfelder 2004 gezeigt wurde, auf einer Topikalisierungsbewegung des finiten Verbums und besagt nichts für die Basisstruktur der Negationsphrase. Ähnliches gilt für die Trennung von „Präverb“ und Verbum durch die Negation (Hoffner/Melchert 2008, 342), die lediglich zeigt, dass die Präverbien als Satzglieder den Status von verschiebbaren Adverbialphrasen haben. Die hethitische AdvP bedarf natürlich noch der gesonderten Analyse.

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(4a) CTH 28 (Vertrag, mh.), Vs. 13’ f. ma-a-na-an Ú-UL-ma za-ah-hi-ya-ši wenn=ihn nicht=aber bekämpfen: 2.SG.PRÄS.AKT. nu-kán ka-a-aš-ma dann=PTCL siehe: INTERJ. NI-IŠ DINGIRLIM zi-ik šar-ra-at-ta Eid: NOM.PL.C. dich zerbrechen: 3.PL.PRÄS.AKT. „Wenn du ihn aber nicht bekämpfst, dann, siehe, vernichten dich die göttlichen

Eide.“

oder die Fokuspartikel -pat (4b) CTH 81: Autobiographie Hattušilis III., II 50 ma-ni-in-ku-wa-an-na-aš-mu Ú-UL-pát ú-it nahe: ADV.=er=mir nicht=gerade kommen: 3.SG.PRÄT.AKT. „In meine Nähe kam er jedenfalls nicht.“

Adverbiale Adjunkte werden dagegen in aller Regel links von der NegP adjungiert, auch wenn sie sich semantisch auf die VP beziehen, wie in

(5a) KUB XXXI 4 + (CTH 16: Puhanu-Chronik), Vs. 14 a-ru-na-an tar-ma-a-mi Meer: AKK.SG.C. befestigen : 1.SG.PRÄS.AKT. nu a-ap-pa na-at-ta la-a-hu-i und zurück : ADV. nicht strömen: 3.SG.PRÄS.AKT. „Ich mache ich das Meer fest und es kann nicht zurückströmen.“

(5b) CTH 42: Hukkanā-Vertrag, III 71 ku-wa-at-wa-ra-an pa-ra-a Ú-UL pí-eš-ti warum=QUOTE=ihn vor nicht geben : 2.SG.PRÄS.AKT. „Warum lieferst du ihn nicht aus?“

So bleiben als einzige markierte Strukturen zum einen die informationsstrukturell ausgelöste Topikalisierung als sekundäre Oberflächen-bewegung, z.B.

(6) KUB XXIX 4 (CTH 481: Umsiedelung der Schwarzen Gottheit), IV 41 Ú-UL-at ku-iš-ki e-iz-za-az-zi nicht=es: AKK.SG.N. jemand: NOM.SG.C. essen: 3.SG.PRÄS.AKT. „Niemand isst es.“

oder mit erst unmarkierter, dann markierter Struktur:

(7) KUB XXXIII 106 + (CTH 345.3.A: Ullikummi), I 25' ff. DU-aš-wa na-ak-ki-in me-mi-an (Gott)Wettergott: GEN.SG.C.=QUOTE wichtig: AKK.SG.C. Wort: AKK.SG.C. Ú-UL iš-ta-ma-aš-mi nicht hören: 1.SG.PRÄS.AKT. Ú-UL-ma-wa DŠu-wa-li-ya-at-ta-aš nicht=aber=QUOTE (Gott)Suwaliyatta: GEN.SG.C.

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DINGIRMEŠ-aš-ša hu-u-ma-an-da-aš Gott: GEN.PL.C.=und all: GEN.PL.C. ha-lu-ga-an iš-ta-ma-aš-mi Botschaft: AKK.SG.C. hören: 1.SG.PRÄT.AKT. „Ich höre das wichtige Wort des Wettergottes nicht, nicht höre ich des Šuwaliyatta

und der übrigen Götter Botschaft.“

Zum anderen, und das ist der einzige wirklich problematische Sonderfall, können negationsverstärkende Elemente zwischen die eigentliche Negation und die Bezugsphrase treten, z.B.

(8) CTH 373: Gebet des Kantuzzili, Rs. 20 f. ú-ga-at-za a-ap-pa MUNUSENSI-ta ich=es: AKK.SG.N.=PTCL zurück (Frau)Seherin: AKK.SG.C.=dein.AKK.SG.C. na-at-ta ku-uš-ša-an-ka pu-nu-uš-šu-un nicht jemals: ADV. fragen: 1.SG.PRÄT.AKT. „Das habe ich niemals deine Seherin gefragt.“

(9) CTH 81: Autobiographie Hattušilis III., III 24 nu-uš-ši-kán i-da-la-a-wa-an-ni EGIR-an da=ihm=PTCL Bosheit: LOK.SG.N. zurück: ADV. Ú-UL nam-ma ma-uš-ha-ha-at nicht ferner: ADV. fallen: 1.SG.PRÄT.MED. „Da fiel ich gegen ihn nicht wieder in eine böse Haltung zurück.“

Da Extraktion aus solchen semantisch „schweren“ Negationen möglich ist9, liegt die Annahme nahe, dass der Modifikator eine selbständige Adverbialphrase bildet10:

(10) CTH 81: Autobiographie Hattušilis III., I 42 f. Ú-UL-ma-mu GIŠTUKUL LÚKÚR nicht=aber=mir (Holz)Waffe: AKK.SG. (Mann)Feind: GEN.SG.C. ku-wa-pí-ik-ki še-ir wa-ah-nu-ut jemals: ADV. oben: ADV. kreisen lassen: 3.PL.PRÄT.AKT. „Niemals ließ sie die Waffe eines Feindes über mir kreisen.“

1.4. Somit lässt sich zusammenfassen, dass die heth. Negationsphrase im Prinzip beispielsweise der des Frühneuenglischen entspricht, wo der Satznegationsmarker den Spezifikator der funktionalen NegP bildet und, anders als im späteren Englisch, das flektierte Verb in seiner VP-internen Basisposition verbleibt, z.B.

9 Natürlich kann auch die ganze Negationsgruppe bewegt werden, z.B. CTH 360 (Appu-Märchen), I 27 ff. Ú-UL-wa ku-uš-ša-an-qa kat-ta e-ip-ta nu-wa ki-nu-un kat-ta e-ip-ta „`Niemals hat er (mich) umarmt, hat er (mich) denn jetzt umarmt?´“

10 Das ist eine vorläufige Arbeitshypothese, die an anderer Stelle noch überprüft werden muss.

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(11) or if there were, it not belongs to you „Oder wenn es dort wäre, es gehört dir nicht.“ (Shakespeare)11

Auf die Frage nach der Binnenstruktur der NegP kann hier nicht eingegangen werden.12 Für unseren Zusammenhang genügt die Feststellung, dass es keinerlei Indizien für eine Kopfbewegung im Satz gibt.

2.1. Die Prohibitivnegation lē unterscheidet sich im Stellungsverhalten synchron nicht von natta; sie fungiert ebenfalls als linksadjungierte Satz- und Sondernegation, z.B.

(12) CTH 105: Šaušgamuwa-Vertrag, Vs. II 6 ta-ma-i-za EN-UT-TA anderer: AKK.SG.N.=PTCL Herrschaft: AKK.SG.N. li-e i-la-li-ya-ši nicht wünschen: 2.SG.PRÄS.AKT. „Eine andere Herrschaft wünsche dir nicht!“

(13) CTH 19: Telipinu-Erlaß, Vs. II 14 f. i-da-a-lu-ma-aš-ma-aš-kán li-e ku-iš-ki böse: AKK.SG.N.=aber=ihnen.DAT.PL.C.=PTCL nicht jemand: NOM.SG.C. tág-ga-aš-ši zufügen: 3.SG.PRÄS.AKT. „Niemand soll ihnen Böses zufügen!“

Auch bei der Prohibitivnegation werden nur die Modifikatoren rechtsadjazent adjungiert, z.B.

(14) Mşt. 75/44, l.Rd.12ff. na-aš-ta ŠEŠ.DUG.GA-YA li-e ku-wa-at-qa und=PTCL mein lieber Bruder.VOK.SG.C. nicht irgendwie: ADV. la-ah-la-ah-hi-iš-ki-ši sich beunruhigen: 2.SG.PRÄS.AKT. „Daher, mein lieber Bruder, beunruhige dich gar nicht!“

Und genau wie bei der Normalnegation dürfen verbbezogene AdvP die Adjazenzbedingung offensichtlich nicht verletzen, z.B.

(15) CTH 76: Vertrag mit Alaksandus von Wilusa, II 83 f. EGIR-pa-ya li-e wa-ah-nu-ši zurück=aber nicht wenden: 2.SG.PRÄS.AKT. nu a-pí-ni-eš-šu-wa-an-ti UN-ši und solch: DAT.SG.C. Mensch: DAT.SG.C.

11 Beispiel bei Wratil 2005, 160. 12 Zum Grundsätzlichen Brandt et al. 2006, 81 ff.; Blühdorn 2012. Aus hethitologischer

Sicht sehr attraktiv ist der u.a. von Brandt et al. 2006, 85ff. dargelegte Versuch, die Satz- und die Sondernegation aus einer einheitlichen Basisstruktur abzuleiten, doch beweist der hethitische Befund allein natürlich noch nichts für die Richtigkeit dieser Annahme.

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an-da li-e ú-e-ri-ya-ši hinein: ADV. nicht rufen: 2.SG.PRÄS.AKT. „Schwenke auch nicht um und laß dich nicht mit einem solchen Menschen ein.“

Enklitika sind dagegen auch hier möglich, z.B.

(16) CTH 264: Instruktion für Priester und Tempeldiener, II 70 f. na-aš-ta UN-aš ZI-ni nun=PTCL Mensch: GEN.SG.C. Wille: DAT.SG.C. li-e-pát i-ya-at-te-ni nicht.PROH.=gerade machen: 2.PL.PRÄS.AKT. li-e-aš-ma-aš-kán u-wa-it-ta-ri nicht=aber=ihnen=PTCL nachgeben: 2.PL.PRÄS.MED. „Handelt keinesfalls nach dem Willen der Menschen, gebt ihnen nicht nach!“

Markierte Strukturen entstehen auch in lē-Sätzen durch informations-strukturelle Linksbewegungen, wobei in einem besonders interessanten Beispiel das finite Verb bewegt wird und die Negation rechtsperipher strandet:

(17) CTH 264: Instruktion für Priester und Tempeldiener, II 78 f. nu-za ÚŠ-tar li-e uš-ni-ya-at-te-ni und=PTCL Tod: AKK.SG.N. nicht verkaufen: 2.PL.PRÄS.AKT. ÚŠ-tar-ma-za wa-a-ši-ya-at-te-ni li-e Tod: AKK.SG.N.=aber=PTCL kaufen: 2.PL.PRÄS.AKT. nicht „Verkauft nicht den Tod, aber kauft auch nicht den Tod!“

Zusammenfassend kann man festhalten, dass sich lē im Stellungsverhalten nicht von natta unterscheidet. Da alles dafür spricht, dass die Negation mit natta die ältere Struktur ist, kann man daher von einer vollständigen Anpassung von lē an das Stellungsverhalten von natta ausgehen und somit mit einer sekundär entstandenen prohibitiven NegP rechnen.

2.2. Der Versuch, die Genese der Prohibitivnegation zu erklären, muss von der Tatsache ausgehen, dass lē zunächst ein Imperativ war. Ursprünglich muss also eine asyndetische, sprechaktbegründende Struktur vorgelegen haben:

(18) *lē – idalu takši *„Lass bleiben: Böses tust du!“ → „Tu nicht Böses!“

Als nächster Schritt ist anzunehmen, dass lē in längeren Strukturen auch in parenthetischer Stellung möglich wurde:

(19=12) CTH 105: Šaušgamuwa-Vertrag, Vs. II 6 ta-ma-i-za EN-UT-TA anderer: AKK.SG.N.=PTCL Herrschaft: AKK.SG.N. li-e i-la-li-ya-ši nicht wünschen: 2.SG.PRÄS.AKT. „Eine andere Herrschaft – lass bleiben! – wünschst du dir!“ → „Eine andere Herrschaft wünsche dir nicht!“

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Dann erfolgt die synchrone Ablösung vom zugrundeliegenden Verbum, von dem im Hethitischen, wie oben schon erwähnt, lediglich das Kausativum als lā- fortgesetzt ist. Der Zusammenhang war also undurchsichtig, die alte Imperativ-form synchron nicht mehr analysierbar. Als nächstes wird daher die Bindung an Person und Numerus aufgehoben, womit der ursprüngliche Imperativ für die erweiterte Verwendung frei wird und nicht mehr nur auf unmittelbar sprecherbezogene Äußerungen beschränkt ist:

(20) CTH 1 (Anitta-Text), Vs. 34 UR-RA-AM ŠE-RA-AM ki-i tup-pí in Zukunft: ADV. dies: AKK.SG.N. Tafel: AKK.SG.N. li-e ku-iš-ki hu-ul-li-e-iz-zi nicht jemand: NOM.SG.C. zerschlagen: 3.SG.PRÄS.AKT. „Niemand soll künftig diese Tafel zerschlagen!“

2.3. Die eigentlich interessante Frage ist nun, wie der Modus synchron lizensiert wird, wenn sich die ursprüngliche Imperativparenthese dem Negator anpasst und durch Umkategorisierung zur lexikalischen Füllung einer NegP wird. Dass auch für den hethitischen Sprecher der Prohibitivsatz dem Imperativsatz intuitiv nahestand, beweisen einige junghethitische Beispiele für lē + Imperativ – nicht viele, aber doch auch nicht bloß ein einmaliger Ausrutscher, z.B.

(21) CTH 106: Ulmitešub-Vertrag, Vs. 35' A-NA MUN URUŠa-ar-ma-na-kán Salz: LOK.SG.C. (Stadt)Sarmana: GEN.SG.C.=PTCL ta-ma-iš UN-aš anderer: NOM.SG.C. Mensch: NOM.SG.C. an-da li-e pa-id-du hinein: ADV. nicht gehen: 3.SG.IMPER.AKT. „An das Salz von Sarmana soll ein anderer Mann nicht herangehen!“

Es scheint aber umgekehrt keine mit natta negierten Imperativsätze zu geben, denn in Beispielen wie dem folgenden fungiert natta nicht als Negation, sondern als Partikel der rhetorischen Frage13:

(22) KBo III 41 + (CTH 16: Puhanu-Chronik), Rs. 3‘ Ú-UL-ma-wa-az tu-uš-ki-iš-kat-ta-ru nicht=aber=QUOTE=PTCL sich freuen: 3.SG.IMPER.AKT.ITER. „Soll er sich denn nicht freuen?“

Somit hat man wohl davon auszugehen, dass die Negation mit natta für den Imperativ vollständig blockiert ist, während die Negation mit lē auf den Defaultmodus Indikativ ausweicht. Es wäre eine interessante, hier aber zu weit führende Frage, ob man für die Satzmodi Imperativ und Prohibitiv deswegen unterschiedliche Modusoperatoren annehmen muss – es deutet vieles darauf hin, dass das so sein muss. Im Gegensatz zu anderen Sprachen mit Negationsblockade

13 Das ist nicht berücksichtigt bei Hoffner/Melchert 2008, 342; zum Problem vgl. z.B. Hentschel 1998, 205ff.

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kann das Hethitische jedenfalls nicht auf einen Ersatzinfinitiv ausweichen, wahrscheinlich, weil die Leistungsfähigkeit der hethitischen Infinitive zu begrenzt ist.

3. Um zusammenzufassen: Prohibitives lē war im Hethitischen ursprünglich

syntaktisch nicht integriert. Die Integration erfolgte durch eine semantische Reduktion, die dann im Stellungsverhalten zu einer Anpassung an die Negation natta und zu einer schließlichen Umkategorisierung der ursprünglichen Verbform zu einer Negation führte. Der Modus Indikativ ist bei diesem Grammatikalisierungsvorgang ererbt und fungiert synchron als Defaultfall in einer Sprache, in der sich Negation und Imperativ gegenseitig ausschließen.

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Languages, Leiden. Wratil 2005: Melanie Wratil, Die Syntax des Imperativs, Berlin. Zeilfelder 2004: Susanne Zeilfelder, Topik, Fokus und rechter Satzrand im Hethitischen,

in: sarnikzel. Hethitologische Studien zum Gedenken an Emil Orgetorix Forrer, hg. von D. Groddek und S. Rößle, Dresden, 655-666.

Susanne Zeilfelder

Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig Lehrstuhl für Indogermanistk der Friedrich-Schiller-Universität

Zwätzengasse 12 D-07743 Jena Deutschland

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