Grätz, Tilo 2004. (mit Richard Rottenburg). Studierende der Ethnologie im Feld. Auf der Suche nach...

40
Uni der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg scientia halensis WISSENSCHAFTS JOURNAL 4/04 Ethnologen in aller Welt und » im Feld« Psychologische Aspekte von Auswahl, Alter, Normalität ... Die Hochschulambulanz für Psychotherapie Japanologische Forschung an der halleschen Universität

Transcript of Grätz, Tilo 2004. (mit Richard Rottenburg). Studierende der Ethnologie im Feld. Auf der Suche nach...

UniderMartin-Luther-UniversitätHalle-Wittenberg

scie

ntia

hal

ensi

s

WISSENSCHAFTSJOURNAL

4/04

Ethnologen in aller Weltund »im Feld«

Psychologische Aspekte vonAuswahl, Alter, Normalität ...

Die Hochschulambulanzfür Psychotherapie

Japanologische Forschungan der halleschen Universität

..............................................................................scientia halensis 4/2004

...............................................................................

3IMPRESSUM

scientia halensis – Wissenschaftsjournal derMartin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Ausgabe 4/2004, 12. Jahrgangerscheint viermal im Jahr

HE R A U S G E B E R

Der Rektor der Martin-Luther-UniversitätHalle-Wittenberg

REDAKTION

Dr. Monika Lindner, Ute Olbertz,Dr. Margarete Wein (verantwortlich fürdiese Ausgabe)

RE D A K T I O N S B E I R AT (für scientia halensis –Universitätszeitung und Wissenschaftsjournal):Prof. Dr. Wilfried Grecksch (Rektor),Prof. Dr. Marlis Ahlert, Prof. Dr. Dr. GunnarBerg, Prof. Dr. Heinrich Dilly, Prof. Dr.Wilfried Herget, Prof. Dr. Armin Höhland,Dr. Monika Lindner, Paolo Schubert,Ute Olbertz, Prof. Dr. Joachim Radke,Katrin Rehschuh, Dr. Heiner Schnelling,Dr. Ralf-Torsten Speler, Prof. Dr. HermannH. Swalve, Ingrid Stude, Prof. Dr. Jörg Ulrich,Dr. Margarete Wein

GRAFIK-DESIGN

Barbara und Joachim DimanskiDipl.-Grafik-Designer AGD/BBK

ANSCHRIFT DER REDAKTION

Martin-Luther-Universität Halle-WittenbergRektoratUniversitätsring 1406099 Halle (Saale)Telefon: 0345 55-21420/22/24Fax: 0345 55-27082, 0345 55-27254E-Mail:[email protected]@verwaltung.uni-halle.demargarete.wein@verwaltung.uni-halle.deInternet: http://www.uni-halle.de

LAYOUT

Dr. Margarete WeinJens Gerth (Titelblatt und 3. Umschlagseite)

DRUCKVORBEREITUNG & DRUCK

AF Druck GmbH Holleben

ANZEIGENPREISLISTE

2004a

Namentlich gekennzeichnete Beiträge gebennicht unbedingt die Meinung der Redaktionoder des Herausgebers wieder.Für unaufgefordert eingesandte Manuskripteoder Bilder keine Haftung.

ISSN 0945-9529

scientia halensis erscheint mit freundlicherUnterstützung der Vereinigung der Freunde

und Förderer der Martin-Luther-Universität

Halle-Wittenberg e. V.

Inhalt/Impressum

EditorialAndreas Ranft ....................................................................................................................... 4

ETHNOLOGIE

Der gestohlene KönigPolitik, Ritual und kulturelles Gedächtnis in OstindienBurkhard Schnepel ............................................................................................................... 5

Gewalt und Sicherheit – Südafrikas neue Apartheid?Wa(h)re Sicherheit und ihr WertThomas G. Kirsch ................................................................................................................. 7

Ethnologie als BerufBetrachtungen zum Selbstverständnis einer WissenschaftsdisziplinRichard Rottenburg ............................................................................................................. 9

Studierende der Ethnologie im FeldAuf der Suche nach dem »native point of view«Richard Rottenburg und Tilo Grätz ................................................................................... 11Solidarität im KulturvergleichPflegeversicherung in den Großstädten Nürnberg und Fukuoka (Japan)Shingo Shimada ................................................................................................................... 13

PSYCHOLOGIE

Was ist normal?Den Mechanismen abweichenden Verhaltens auf der SpurBernd Leplow ........................................................................................................................ 15

»Das habe ich doch schon einmal gesehen ...«Déjà-vu-Erfahrungen aus psychologischer PerspektiveUwe Wolfradt ......................................................................................................................... 17

Altern als Herausforderung und ChanceForschungsbeiträge zur Gestaltung des eigenen LebenslaufsFrieder R. Lang und Franziska S. Reschke ....................................................................... 19

Wie die Bilder laufen lernten ...Kognitive Prozesse bei der BewegungswahrnehmungJosef Lukas und Michael Hanke ......................................................................................... 21

Der Blick durch die rosarote BrilleSubjektives Wohlbefinden und InformationsverarbeitungPeter Borkenau, Nadine Mauer und Anja Friedel ........................................................... 23

Unbewusste WahrnehmungMythen und Möglichkeiten unterschwelliger VerhaltensbeeinflussungWilfried Kunde ...................................................................................................................... 25

Soziale Diskriminierung bei der PersonalauswahlWelchen Aufschluss gibt die Forschung über die Ursachen?Lars-Eric Petersen ................................................................................................................ 27

Überregional vernetzt:Die Hochschulambulanz für PsychotherapieBernd Leplow ........................................................................................................................ 29

JAPANOLOGIE

Unternehmen als Gegenstand japanologischer ForschungInformationsmanagement in Klein- und MittelbetriebenSilke Bromann ...................................................................................................................... 30

Halles Rolle in den Deutsch-Japanischen BeziehungenAußenpolitik, Studierendenaustausch und WirtschaftsbeziehungenChristian Oberländer ........................................................................................................... 31

Deutsch-japanische SommerschulenZukunftsträchtiges Trainingsfeld für interkulturelle KompetenzGesine Foljanty-Jost und Tino Schölz ............................................................................... 33

Die Deutsch-Japanische Gesellschaft HalleSeit zehn Jahren Schnittstelle zwischen Stadt und Universität,Brücke zwischen Halle und Japan ....................................................................................... 34

Personalia .............................................................................................................................. 35

Autoren .................................................................................................................................. 38

Titelbild: Burg von Osaka (Foto: Archiv)ˆ

....................................................................................scientia halensis 4/2004

................................................................................

4

editorial

Über die Vielgestaltigkeit der Fächer, Ar-beitszusammenhänge und Forschungen desFachbereichs Geschichte, Philosophie undSozialwissenschaften der Martin-Luther-Universität zu informieren, muss notgedrun-gen den Rahmen einer Ausgabe des Wissen-schaftsjournals deutlich sprengen. So wur-den das Institut für Geschichte und anderehistorisch orientierte Fachrichtungen undForschungsunternehmen in der Ausgabe2/02 – zum »44. Deutschen Historikertag inHalle 2002« –, die Institute für Philosophie,Politikwissenschaft und Soziologie in derAusgabe 2/03 vorgestellt.Im aktuellen Journal wird der Reigen be-schlossen mit Beiträgen aus den Institutenfür Ethnologie und Psychologie sowie demSeminar für Japanologie.Sie werfen mit ihrer Auswahl an Themenund Problemen Schlaglichter auf aktuelleFragestellungen des jeweiligen Faches, gehenein auf Methoden und Zugangsweisen, be-richten über Lehre und Forschungspraxis,die nicht selten für fortgeschrittene Studie-rende ganz bewusst in engen Zusammen-hang gerückt sind. Denn wer zumindest imAnsatz wissenschaftlich-forschend an derUniversität zu arbeiten gelernt hat, wird nie-mals bei seinem Weg in Beruf und Wissen-schaft dem Verdacht lediglich konservierterAugenblickskompetenz ausgesetzt sein;vielmehr wird ihm die forschende Welt der

Universität ein Leben lang produktiver Be-gleiter und Wissensquell sein können für dieeigene Arbeit – wo auch immer – als Chancezu stets neuem Lernen.Das Institut für Ethnologie ist das jüngsteseiner Art im gesamten deutschsprachigenRaum. Besonders zu erwähnen ist die engeKooperation mit dem Max-Planck-Institutfür ethnologische Forschung in Halle, mitden Fächern Geschichte, Indologie, Japano-logie, Politikwissenschaft, Soziologie sowiemit dem Orientwissenschaftlichen Zentrumder Universität. Alles dies bietet vielfältigeForschungsmöglichkeiten für Mitarbeiterund Studierende. Neben diesem Standort-vorteil liegt die Besonderheit des Instituts inder Kombination der themenbezogenen em-pirischen Forschungen mit der theoretischorientierten Grundlagenforschung. Die Stu-dierenden erhalten so einen breiten Einblickin die Palette des Faches: Auch für die Ge-genwart höchst aktuelle Themen wieDiaspora, Migration und Transnationalis-mus, Organisations-, Wissenschafts- undTechnikforschung sowie kulturelle Identitätund multikulturelle Gesellschaft werden be-handelt.Für das Seminar für Japanologie ergebensich durch den weitgreifenden sozialwissen-schaftlichen Ansatz mit den SchwerpunktenWirtschaft, Politik und Sozialanthropologiesowie Geschichte ähnliche Vernetzungen.

EDITORIAL

Andreas Ranft

Mit Forschungen zu Umwelt- und Bildungs-politik, Geschichtsrevisionismus und Unter-nehmensführung bietet das Fach Anknüp-fungspunkte für interdisziplinäres und kom-paratistisches Arbeiten, die sich in gemein-samen Unterrichtsprojekten und Forschungs-vorhaben niederschlagen und zu einer Ein-bindung der Japanologie allein in vier inter-disziplinären wissenschaftlichen Zentrender Universität geführt haben.Sämtliche Beiträge des Institut fürs Psy-chologie beschäftigen sich mit der menschli-chen Informationsverarbeitung. Sie kann sounspektakulär und automatisch sein, dasssie unbemerkt bleibt (etwa bei der Bewe-gungswahrnehmung), gelegentlich dringennicht einmal die Inhalte bis ins Bewusstseinvor (unbewusste Wahrnehmung), manchmalgeraten die Dinge etwas durcheinander (sobeim Déjà-vu) oder die Verarbeitungspro-zesse weichen so sehr von der »normalen«Funktionsweise ab, dass sich die Frage nachdem Krankheitswert stellt. Aber auch derAlltag variiert stark, hängt ab vom subjekti-ven Wohlbefinden (»rosarote Brille«), von(altersbedingten) Kontrollstrategien etc. Al-len Beiträgen immanent ist der unmittelbareAnwendungsbezug, denn die Psychologieals empirische Wissenschaft wendet wegender Komplexität ihres Gegenstandes sowohlsozialwissenschaftliche als auch naturwis-senschaftlich-experimentelle Methoden an.

..............................................................................scientia halensis 4/2004

...............................................................................

5

Institut für Ethnologie

Diese Legende wird mit unterschiedlichenAusschmückungen und Akzentuierungenvon Bhuiya-Ältesten immer gern erzählt.Die Orte, an denen das königliche Kindeinst Früchte aß; der Stein, auf dem es saßund sich von den Strapazen der Flucht er-holte; die Stelle am Fluss, an der seineKleider gewaschen wurden; der Baum, andem es geschaukelt wurde; all dies sindwohlbekannte Erinnerungsorte, und Bhui-yas führen Besucher gern dorthin.Der Autor selbst hatte – im Rahmen einervon der DFG finanzierten Forschungsreise– zusammen mit Prof. Prasanna K. Nayak,Bhubaneswar, Prof. Hermann Kulke, Kiel,und dem Forschungsassistenten DevdasMohanti – im Februar 2004 Gelegenheit,das Königtum von Keonjhar im Nordostendes heutigen Bundesstaates Orissa zu be-suchen. Es war nicht sein erster Aufenthaltin Ostindien: Schon in den 90er Jahren hat-te er insgesamt etwa drei Jahre lang Feld-und Archivforschungen mit Bezug auf dieDschungelkönige von Südorissa vorgenom-men und die Resultate 2002 im Manohar-Verlag (Delhi) unter dem Titel »The JungleKings. Ethnohistorical Aspects of Politicsand Ritual in East India« publiziert.

Könige trotz »Gesellschaften ohne Staat«

Eine der wichtigsten Fragen der damaligenethnohistorischen Forschungen lautete:Wie konnten sich zentralistisch und hierar-chisch organisierte Königtümer in einer Re-gion etablieren und behaupten, die über-wiegend von Mitgliedern egalitärer, ake-phaler (»kopfloser«) Lineage-Gesellschaf-ten bewohnt war?Ein Blick auf die verschiedenen Familien-chroniken der Königshäuser und auf oraleTraditionen der Ethnien brachte zum Vor-schein, dass die meisten der insgesamt et-wa dreißig Kleinkönige im Süden Orissasvon außen kamen. Sie waren »Fremde« undnicht etwa »Stammesfürsten«, die sich in-tern zu Königen entwickelt hatten. Und in

DER GESTOHLENE KÖNIG

POLITIK, RITUAL UND KULTURELLES GEDÄCHTNIS IN OSTINDIEN

Burkhard Schnepel

Eines Tages waren es die Bhuiyas leid. Sie wollten ihren eigenen König haben. Der jährlich

anlässlich des Dasara-Festes anzutretende Weg zum Großkönig von Haripur war lang,

beschwerlich und, ob der vielen wilden Tiere in dieser Dschungelregion, gefährlich. So ent-

schlossen sich die Bhuiyas, den jüngsten Sohn des Königs zu stehlen und ihn bei sich als

»ihren« König einzusetzen. Der Kindesraub war erfolgreich, wenngleich man auf dem

Rückzug ins eigene Land den Häschern des Königs oftmals nur knapp entkam. Auch in

der Heimat angekommen, musste das königliche Kind, bis es erwachsen wurde, stets in

Höhlen, auf Bergen und in Wäldern versteckt werden. Schließlich aber war der königliche

Spross zum Mann gereift, und der Prinz wurde von den Bhuiyas mit viel Prunk auf dem

Thron von Keonjhar installiert.

vielen Fällen scheint es so gewesen zu sein,dass die Könige aus der Fremde von ihrenneuen Untertanen nicht nur akzeptiertwurden, sondern geradezu erwünscht wa-ren. Denn über die Könige konnte manzum einen den Tausch von Dschungelpro-dukten mit Gütern der Küste bewerkstelli-gen. Und zum anderen gelang es oft nur mitCharisma ausgestatteten Fremden, die zu-weilen Jahre dauernden blutigen Fehdenzwischen den einzelnen Lineages einerEthnie, aber auch zwischen verschiedenenEthnien zu schlichten.

Dschungelkönige und »ältere Brüder«

Die Forschungen im Süden brachten um-fangreiches Material hervor, dessen Aus-wertung zu dem Ergebnis führte, dass eszwischen Stämmen und Dschungelkönig-tümern, trotz prinzipieller Unterschiede inpolitischer und sozialer Organisation undtrotz unterschiedlicher religiöser und ideo-logischer Ausrichtungen (»Hierarchie« ver-sus »primärer Egalitarismus«), mannigfalti-ge Verbindungen, Interdependenzen, Inter-aktionen, ja sogar Kongruenzen gab. Hierseien nur schlagwortartig einige Beispieleerwähnt: Die Dongria Kondh betrachtenihren Ahnherrn Niam Raja als König, ob-wohl sie in ihrer Sozialstruktur geradezueinen Idealtyp für eine egalitäre Lineage-Gesellschaft darstellen. Die Paroja, eben-falls eine auf patrilinearen Deszendenz-gruppen beruhende Ethnie, betrachten dieKönige von Jeypore als »ältere Brüder«.Nur aufgrund eines Sündenfalls seien sieschlechter weggekommen. Die entfernt in

....................................................................................scientia halensis 4/2004

................................................................................

6

Institut für Ethnologie

den abgelegensten Bergen des Südens woh-nenden Bondo gelten als »suizide squat«für die ehemaligen Nandapur-Könige, so-wie überhaupt etliche historische Doku-mente vom großen Kampfes- und Einsatz-willen der Stämme Südorissas für ihre je-weiligen Könige zeugen. Und nicht zuletzterwiesen sich sowohl die Stämme als auchdie Könige als glühende Verehrer der vielenlokalen Erd- und Muttergöttinnen der Re-gion, von denen das Wohl und Übel derMenschen abhängen. All dies führte zu derÜberzeugung, dass die in der Ethnologieexplizit und implizit immer wieder aufzu-findende Dichotomie zwischen Gesell-schaften »ohne Staat« und Gesellschaften»mit Staat« (wie sie beispielsweise in der1940 bei Oxford University Press erschie-nenen Abhandlung »African Political Sy-stems« von Edward Evan Evans-Pritchardund Meyer Fortes dargestellt wird) über-dacht und relativiert werden muss. DieGrenzen zwischen beiden »Typen« sindoft zu durchlässig, die Übergänge zu flie-ßend und wesentliche »mentale« bzw.ideologische Grundprinzipien zu ähnlich,als dass man an solch einer Typologie fest-halten könnte.

Das Königtum von Keonjhar

Mit seiner Forschung im Norden Orissasbeabsichtigte der Autor, weiteres Materialhervorzubringen, um damit seine Beobach-tungen bzw. Erkenntnisse im Süden desLandes auf komparative Weise zu erwei-tern und zu vertiefen. Die anfänglichen Er-wartungen wurden allerdings übertroffen;denn im ehemaligen Keonjhar-Königreichgab es eben die eingangs erwähnten Bhui-yas, die mit einer bisher noch nicht aufge-fundenen Prägnanz weitere Dimensionendes Verhältnisses von Königen und Stäm-men beleuchten sollten. Wie die oben para-phrasierte Legende vom Raub des Königsdeutlich machte, hießen die Bhuiyas ihreKönige nicht nur willkommen; nein, sie»besorgten« und schufen sich sogar selbsteinen König. Sie waren gewissermaßen dieBegründer des Dschungelkönigtums vonKeonjhar – eine Sicht, die nicht nur vonden Bhuiyas selbst vertreten wird; sie istauch im Königshaus und bei allen anderensozialen Gruppen des Königreichs bekanntund anerkannt.

Königs-»Kinder« und »Gatten der Erde«

Ein weiteres Element dieses »Königs-macher«-Nimbus der Bhuiyas besteht inder wichtigen Rolle, die führende Vertreterdieser Ethnie bis in die Gegenwart bei derEinsetzung eines neuen Keonjhar-Königsausübten. Im zentralen Teil des Zeremo-niells wird der König nämlich zunächst voneinem Bhuiya, der wie ein Pferd wiehertund schnaubt und springt, »huckepack«auf die Ritualbühne getragen. Danach musssich der Initiand auf den Schoß eines Bhui-ya-Ältesten setzen. Auf diesem menschli-chen Thron wird er unter Gesang eine Zeit-lang gewiegt, als sei er ein Kind. Erst nachdiesem »Lap-Top«-Ritual kann der neueKönig von Brahmanen gesalbt und auf demrichtigen Thron installiert werden. DerSymbolismus und die performative Wirk-kraft dieser Handlungen scheinen auf denersten Blick eindeutig. Wie einst das Kind,so nehmen die Bhuiyas auch jeden neuenKönig an Kindes statt an. Die Bhuiyas ste-hen gewissermaßen in Elternschaft zu denKönigen, die Könige in einer Beziehung derFiliation oder Kindschaft zu den Bhuiyas –eine interessante Inversion der wohl geläu-figeren Metapher vom König als Vater desLandes.Eine weitergehende Interpretation des Ein-setzungsrituals führte die Forschergruppeallerdings zu einigen lebhaften nächtlichenDiskussionen im Feld – die indes nochweiter reifen müssen, bis detaillierter argu-mentiert werden kann, als es hier möglichist. Vielleicht liegt aber ein Schlüssel zurKlärung des Einsetzungsrituals im Hoch-zeitsbrauch der Bhuiyas begründet, mitdem der Autor auf einer seiner Exkursionenzufällig Bekanntschaft machte. Bei denBhuiyas wird der Bräutigam nämlich voneinem Verwandten auf dem Rücken zumHaus der Braut getragen, wo er vor derVermählung noch einige Zeit auf demSchoß seines Vaters sitzen muss.

So trägt die Einsetzungszeremonie für dieKeonjhar-Könige ohne Zweifel Züge einerHeiratszeremonie. Wen aber heiratet derKönig? Ist es die von den Bhuiyas verehrteThakurani oder »Königin der Erde«, die alsIkone in einer Ecke unweit vom Krönungs-geschehen der Zeremonie beiwohnt? DerKönig als »Gatte der Erde« ist zumindestein Motiv, das von anderen Regionen undhistorischen Perioden Indiens gut bekanntist. Darüber hinaus hat James G. Frazer inseinem monumentalen Werk »Der goldeneZweig« durchaus die Universalität solcherVorstellungen nachgewiesen. So werdenwohl bei den Bhuiyas und bei anderenStämmen Orissas Könige auch gewünscht,weil man sich durch die Hierogamie vonfremden Königen und indigenen Erd- undMuttergöttinnen positiven Einfluss aufdie Fruchtbarkeit von Mensch, Tierund Natur verspricht.

Der Verfasser, Jahrgang 1954, studierte

von 1976 bis 1981 Ethnologie, Soziologie

und Religionswissenschaft an der Freien

Universität Berlin. 1986 wurde er an der

Universität Oxford mit einer Dissertation

über das sakrale Königtum der Shilluk im

Südsudan promoviert. Danach verlegte er

seinen Forschungsschwerpunkt nach Ost-

indien, wo er mit Stipendien der Humboldt-

Stiftung und der DFG Anfang bis Mitte der

90er Jahre ausgiebige Feldforschungen

über die Dschungelkönige der Region und

über Dorftheater durchführte. Nach seiner

Habilitation im Jahr 1996 in Heidelberg

führte ihn der Weg über Frankfurt am

Main nach Halle, wo er am Aufbau des

neuen Instituts für Ethnologie beteiligt war.

Forschungsschwerpunkte: Politik und Ri-

tual; Indien, insbesondere Orissa; Indi-

scher Ozean, insbesondere Mauritius, Dia-

spora-Migration-Transit; Anthropologie

der Nacht.

Bild oben: Der legendäre Stein, auf dem das königliche Kind, nachdem es geraubt wurde, ruhteBild Seite 5: Stammesältester der Bhuiya

Fotos: Burkhard Schnepel

..............................................................................scientia halensis 4/2004

...............................................................................

7

Institut für Ethnologie

GEWALT UND SICHERHEIT – SÜDAFRIKAS NEUE APARTHEID?WA(H)RE SICHERHEIT UND IHR WERT

Thomas G. Kirsch

Transformationen

Nach den ersten demokratischen Wahlenim April 1994 wurde in Südafrika zwar dieGleichberechtigung aller Bevölkerungs-gruppen verfassungsrechtlich sicherge-stellt, doch brachte der Übergang von derApartheid zur Demokratie auch eine Reihepolitischer, wirtschaftlicher und soziokul-tureller Problemlagen mit sich. So siehtsich das »neue Südafrika« vor die Heraus-forderung gestellt, unter Berücksichtigungdes Erbes des früheren Apartheid-Regimeseine umfassende Transformation herbeizu-führen, die sowohl die in der Apartheiddiskriminierten als auch die ehemals privi-legierten Schichten einbezieht. Die Aufar-beitung vergangenen Unrechts geht dabeimit Aushandlungsprozessen einher, in de-nen um die neue gesellschaftliche Ordnungdes pluralistisch-demokratischen Südafri-kas gerungen wird.Besonders konfliktreich sind diese Aus-handlungsprozesse im Hinblick auf zweiProblemlagen: die Zunahme von Phäno-menen der Kriminalität und die HIV/AidsPandemie. Beiden Problemen ist gemein-sam, dass von ihnen eher die armen Bevöl-kerungsschichten – und das heißt in der

Wie das Ende des Kalten Krieges stand die Abschaffung der offiziellen Apartheid in Süd-afrika als hoffnungsvolles Zeichen für einen Neubeginn im auslaufenden zwanzigsten Jahr-hundert. Vergleichbar mit der Situation in postsozialistischen Ländern musste in den ver-gangenen Jahren allerdings auch in Südafrika eine gewisse Ernüchterung beobachtet wer-den. Ein Forschungsprojekt am Institut für Ethnologie der Martin-Luther-Universität be-schäftigt sich mit einem der zentralen Gründe für diese Ernüchterung, nämlich mit der an-haltenden Erfahrung von Gewalt und Kriminalität in weiten Teilen der südafrikanischenGesellschaft.

Regel die schwarzen und farbigen, in derApartheidzeit diskriminierten Gruppen –betroffen sind. Der Leiter der südafrikani-schen Wahrheitskommission, Bischof Des-mond Tutu, sprach mit Blick auf die HIV/Aids Pandemie daher von »Südafrikasneuer Apartheid«.

Kriminalitätspräventive Maßnahmen stel-len Versuche dar, kriminelle Aktivitäten zuantizipieren, um proaktiv Gegenstrategienzu entwickeln. Kriminalitätspräventiongeht somit von der Potenzialität zukünfti-ger gewaltsamer Konflikte aus.Doch zugleich wird diese Potenzialitätdurch kriminalitätspräventive Maßnahmenin den sozialen und materiellen Raum Süd-afrikas eingeschrieben. Die auf Erfahrungenmit Kriminalität, Stereotypisierungen undImaginationen sowie politischem Gestal-tungswillen basierende Antizipation wirdso zu einer eigenständigen Realität, dienicht nur die Gegenwart, sondern auch diezukünftige Ausgestaltung des gesellschaft-

Serie »Sicher vor Gewalt?« (S. 7/8) – im Sommer 2003 in Südafrika fotografiert Fotos (5): Thomas G. Kirsch

Doch auch in Bezug auf Gewalt und Si-cherheit erweist sich die Auflösung sozialerUngleichheiten als ein problematischesUnterfangen. Damit stellt sich die Frage, inwelcher Weise die gegenwärtige Rekonfigu-ration Südafrikas mit Veränderungen im ge-sellschaftspolitischen Umgang mit Gewalt,Kriminalität und Sicherheit verbunden ist.

Ethnographiekriminalitätspräventiver Praktiken

Vor dem Hintergrund dieser Ausgangsfragebeschäftigt sich das am halleschen Institutfür Ethnologie angesiedelte Habilitations-projekt »Sociotechnical Networks of CrimePrevention« mit Praktiken der Kriminali-tätsprävention in Südafrika.

lichen Lebens in Südafrika prägt. Wie auchin der aktuellen Weltpolitik bringen hierpräventive Maßnahmen Realitäten hervor,in denen »Normalität« und »Devianz«definiert und Prozesse der Inklusion undExklusion freigesetzt werden.

Apartheid und Post-Apartheid

Während der Apartheidzeit wurde die süd-afrikanische Polizei vor allem für dieDurchsetzung administrativer Reglementseingesetzt; Aufgaben der Kriminalitätsprä-vention und -kontrolle wurden nur selektivwahrgenommen. Anfang der 1990er Jahrelagen 80 Prozent der Polizeistationen inWohngebieten, die der weißen Bevölkerungvorbehalten waren.

....................................................................................scientia halensis 4/2004

................................................................................

8

Institut für Ethnologie

Die Einsätze der Polizei in Gebieten dernicht-weißen Bevölkerung dienten hingegeneher der Repression als sicherheitsvermit-telnden Maßnahmen, wobei Menschen-rechtsverletzungen rechtlich nicht verfolgtwurden. In diesen nicht-weißen Wohnge-bieten oblag die Kriminalitätspräventionund -kontrolle zum großen Teil der lokalenBevölkerung. Ein gewisses Maß an »Selbst-justiz« der nicht-weißen Bevölkerung warinfolgedessen systemischer Bestandteil derApartheid-Ära. Heute wird die Transfor-mation und Effektivität polizeilicher Arbeitvon Kontinuitäten in der personalen Beset-zung und dem damit einhergehenden Miss-trauen von Seiten der Bevölkerung behin-dert. In einer Reihe von staatlichen Maß-nahmen wird daher versucht, das Vertrauenin die Polizei zu stärken. Unter diesen Pro-grammen nimmt die Einführung von soge-nannten »Community Policing Forums«,die als Verbindungsglied zwischen lokalenGemeinden und Polizeikräften dienen sol-len, eine zentrale Rolle ein.

heitsformen wie Bürgerwehrgruppen orien-tiert. Doch auch von diesen Gruppierungenwird die Grenze zwischen dem Wunschnach Sicherheit und eigener Gewaltanwen-dung oftmals durch Selbstjustiz verwischt.So werden formal und informell organisier-te Institutionen, die Sicherheit vermittelnsollen, selbst zur Quelle von Unsicherheit.

Gewalt und Sicherheit

Fast die Hälfte der im südafrikanischenNational Crime Survey von 1998 befragtenHaushalte hatte im Zeitraum von 1993 bis1997 ein Verbrechen erfahren. Vor demHintergrund der obigen Ausführungen er-staunt dabei nicht, dass die Wahrschein-lichkeit, Opfer eines Verbrechens zu wer-den, für die arme nicht-weiße Bevölkerungweit höher ist als für Personen der (auchheute noch vorwiegend weißen) Mittel-und Oberschichten. Dieser Unterschied hatunter anderem damit zu tun, dass die letzt-genannten Bevölkerungsgruppen seit demEnde der Apartheid zunehmend die Diens-te der privaten Sicherheitsindustrie in An-spruch nehmen.Nicht-staatliche Polizeikräfte waren in densüdafrikanischen Minen schon zu Anfangdes 20. Jahrhunderts eingesetzt worden.Die in den vergangenen Jahren zu verzeich-nende jährliche Wachstumsrate von 30 Pro-zent ließ die private Sicherheitsindustrieschließlich zum zweitgrößten Arbeitgeberin Südafrika und zu einem Exportgut aufdem internationalen Markt werden:Minengesellschaften in Polen werden vonsüdafrikanischen Sicherheitsunternehmen

beraten, und auch in der aktuellen SituationIraks spielt »Sicherheitspersonal« aus Süd-afrika eine nicht unerhebliche Rolle.In Südafrika selbst übersteigt die Anzahlder in diesem Wirtschaftszweig beschäftig-ten Personen gegenwärtig bereits die derstaatlichen Polizeikräfte, wobei vor allemFunktionen in der Bewachung privater undöffentlicher Gebäude sowie in der Installa-tion und Überwachung von Sicherheits-technologien übernommen werden.Vergleicht man die den verschiedenen Be-völkerungsgruppen zugänglichen Formender Kriminalitätsprävention und -kontrolle,zeigt sich, dass körperliche Unversehrtheitund Sicherheit von Person und Eigentumim heutigen Südafrika in starkem Maßevon den jeweiligen finanziellen Möglichkei-ten abhängen. Diese Entwicklung resultiertunter anderem daraus, dass das Ende derApartheid mit einer neo-liberalen Neuori-entierung der südafrikanischen Politik zu-sammenfiel, die auch Privatisierungen imBereich der staatlichen Exekutive mit sichführten. War Sicherheit in der Apartheid-zeit eine Frage der »Rasse«, so ist sieheute zunehmend eine von »Klasse«.

Der Verfasser, Jahrgang 1966, war bis

1993 als Aufnahme- und Produktionsleiter

in der Filmindustrie tätig. Nach einem Stu-

dium der Ethnologie und Publizistik an der

Freien Universität Berlin wurde er am

Lehrstuhl für Vergleichende Kultur- und

Sozialanthropologie der Europa Universi-

tät Viadrina Frankfurt (Oder) promoviert.

Seit August 2002 ist er wissenschaftlicher

Assistent am Institut für Ethnologie der

Martin-Luther-Universität.

Im Laufe der Jahre zeigte sich jedoch, dassCommunity Policing Forums gelegentlichvon Interessengruppen instrumentalisiertwerden, deren Aktivitäten nicht mit den In-teressen der Mehrheit in der lokalen Bevöl-kerung übereinstimmen; einige dieser Com-munity Policing Forums sind selbst als»kriminelle Vereinigungen« verrufen.Dieser Zusammenhang und die (relativen)Misserfolge der staatlichen Kriminalitäts-prävention und -kontrolle bewirken, dasssich die Bevölkerung der ärmeren städti-schen Gebiete weiterhin an privaten Sicher-

..............................................................................scientia halensis 4/2004

...............................................................................

9

Was ist los mit der Ethnologie?

Es handelt sich um eine Gemengelage meh-rerer Probleme vor, die hier nur teilweiseerläutert werden kann. Der Eintrag im o. g.Handbuch ist nicht wirklich falsch, son-dern nur einseitig und verkürzt. Ethnologiekann und wird zwar auch in historischerPerspektive betrieben, doch damit verhältes sich nicht anders als etwa im Fall derSoziologie. Im Prinzip ist Ethnologie je-doch eine Sozial- und Geisteswissenschaft,

ETHNOLOGIE ALS BERUF UND BERUFUNG

BETRACHTUNGEN ZUM SELBSTVERSTÄNDNIS EINER WISSENSCHAFTSDISZIPLIN

Richard Rottenburg

von diesen vorkolonialen Welten noch üb-rig ist. Es ist auch nicht zu bestreiten, dassdiese Arbeit noch immer aktuell und wich-tig ist. Doch die Ethnologie kommt niemalsohne einen kritischen Rückblick auf die ei-gene Gesellschaft aus, und sie zielt in derRegel durch Vergleich auf Variationen allge-meiner Formen ab. Wenn man also schondavon spricht, dass sich Ethnologie haupt-sächlich mit authentischen Gesellschaften– eine Bezeichnung von Lévi-Strauss – be-schäftigt, muss man hinzufügen, dass es ihrdabei um anthropologische Dimensionengeht. Diese Korrektur muss indes einenSchritt weiter gehen: Die Beschäftigung mitvormodernen Gesellschaften ist in Europanämlich schon lange nicht mehr der haupt-sächliche Gegenstand der Ethnologie – undin den USA war dies noch nie der Fall.Schaut man in die Kataloge der renommier-ten europäischen und amerikanischen Ver-lage, sieht man, dass es in der Rubrik Eth-nologie um alle Aspekte von Gesellschaftund Kultur in allen Gesellschaftstypengeht. Studien über kleine, vorindustrielleGesellschaften sind in der Minderheit.

Ethnologie und Öffentlichkeit

Wieso ist es also möglich, dass ausgerech-net das Handbuch »Studien- und Berufs-wahl« eine derart entstellende Beschrei-bung bietet? Unmittelbar geht dies auf diezurückhaltende Öffentlichkeitsarbeit derEthnologie zurück. Dafür gibt es eine Reihevon Gründen – ich beschränke mich hierauf zwei. Um nämlich eine Disziplin wirk-sam in der Öffentlichkeit zu präsentieren,muss sich erstens die Darstellung den Er-wartungen der Adressaten ausreichendanpassen, und es muss zweitens einigerma-ßen klar sein, was das besondere Anliegender Disziplin ist. In beiden Punkten liegtdie Sache hier im Argen bzw. entzieht sichden strukturellen Anforderungen. Die Öf-fentlichkeit erwartet von einer Disziplinentweder die bescheidenen Dimensionenund den Charme bzw. die Frechheit eines

Kaum jemand studiert Ethnologie, ohne gefragt zu werden »Was kann man denn damit an-fangen? «. Wer sein Studium dennoch erfolgreich abschließt, hört gelegentlich Kommentarewie: »Ist ja faszinierend! Mich begeistern vor allem die Sumerer.«Im Handbuch »Studien- und Berufswahl« der Bundesanstalt für Arbeit von 2003/04 stehtüber Ethnologie ein einziger Satz – im Abschnitt Geschichtswissenschaften – auf Seite306: »Zusätzlich bildeten sich eigenständige Fächer heraus, wie etwa die Völkerkunde oderEthnologie, die sich mit Kultur und Sozialstruktur der so genannten Naturvölker beschäf-tigt«. In Buchhandlungen enthält ein Regal »Ethnologie« gewöhnlich Bücher zum ThemaOkkultismus.

Orchideenfaches, das man sich eben trotz-dem leistet, oder – wenn die Bescheiden-heit nicht mehr besteht (wie im Fall derEthnologie, wo mehr Studenten ausgebildetwerden, als eine kleine Deutungselite benö-tigen würde) – eine Orientierung an gesell-schaftlichen und ökonomischen Nachfragen.Irgend ein Nutzen, der über Wissenserwei-terung hinausgeht, muss erkennbar sein,zumal wenn Wissenschaftspolitik sich pri-mär an marktwirtschaftlichen Rentabili-tätskalkülen orientiert, wie es gegenwärtigleider der Fall ist. Große und mittelgroßeDisziplinen, die sich auf diese Erwartungeinstellen, streben ihre Professionalisierungan. Während die Professionalisierung etwader Rechtswissenschaft, der Wirtschafts-wissenschaft und der Psychologie schonlänger zurückliegen, gelang das in den letz-ten 50 Jahren in Deutschland auch der So-ziologie und der Politikwissenschaft. DieEthnologie indes ging einen anderen Weg.

Unvollständige Professionalisierung

Dies liegt einerseits an der Geschichte desFaches, das sich durch frühere Einlassun-gen auf gesellschaftliche Nachfrage und Re-levanz – sprich: die Verwaltung der Kolo-nien – vielleicht noch deutlicher als andereFächer die Finger verbrannt hat. Sie stehtneuen Verlockungen durch Relevanz des-halb bis heute eher skeptisch gegenüber.Die unvollständige Professionalisierung derEthnologie nach 1945 hängt andererseitsmit einer inhaltlichen Frage zusammen.Ethnologie versteht sich als eine Institutionder Infragestellung, der Defamiliarisierungund Befremdung des Vertrauten. Sie liefertden kritischen, für eine reflexive Moderneunverzichtbaren »Blick aus der Ferne« zu-rück auf das Eigene. Nun ist der »Blick ausder Ferne« zwar eine etablierte Institution,auf die man nicht verzichten möchte oderkönnte, doch handelt es sich um eine Insti-tution, die sich (jenseits der Rentabilitäts-frage) eben gerade nicht vollständig undohne weiteres in die Professionalisierungeines Studiengangs übertragen lässt, weildas ihre Wirksamkeit reduzieren würde.

Institut für Ethnologie

»Ethnographie, Ethnologie, s. Völker-kunde; – ethnographisch, zur Völkerkundegehörig.«»Völkerkunde, Wissenschaft v. den Kul-turgütern der in Gemeinschaften lebendenMenschen. 2 Hptgeb.: beschreibende V.od. Ethnographie u. die vergleichende

V. od. Ethnologie.«(Das neue Welt-Lexikon mit Welt-Atlas,Otto Beckmann Verlag Wien 1939,Sp. 854 u. Sp. 2145)

die sich vergleichend mit zeitgenössischenFormen der Vergesellschaftung und derSinnproduktion beschäftigt. In dem Zitatheißt es weiterhin, Ethnologie sei für die»so genannten« Naturvölker zuständig.Dabei erwartet man doch, dass derGegenstandsbereich einer akademischenDisziplin auch ohne »so genannt« definier-bar sei. Doch auf dieser Ebene scheitert je-der Versuch: Primitiv, indigen, archaisch,authentisch, klein, einfach, schriftlos, vor-modern – alle erdenklichen Attribute sindebenso pejorativ. Das größere Problem die-ser Gegenstandsbestimmung liegt tatsäch-lich woanders.

Ethnologie – Kind des Kolonialismus?

Es stimmt zwar, dass die Ethnologie imKontext des Imperialismus als Disziplinzur Untersuchung der kolonisierten Gesell-schaften entstanden ist. Es ist auch richtig,dass sich viele Ethnologen weiterhinhauptsächlich mit dem beschäftigen, was

»Ethnologie [gr.], allgemeine Völkerkunde.«»Ethnographie [gr.], beschreibende Völkerkunde.«»Völkerkunde, eine der Wiss. vom Menschen, dessen Kul-tur sie untersucht. Sie beschränkt sich auf die Erforschungder schriftlosen Völker (Naturvölker) außerhalb der Hoch-kulturen. Einteilung in Ethnographie (Beschreibung der ma-teriellen Kultur, Gesellschaftsformen u. Religionen) u. Eth-

nologie (allg. Untersuchung der Kulturentwicklung undTheorienbildung).«(Das neue Duden-Lexikon, Dudenverlag Mannheim/Wien/Zürich, 2., aktualisierte Neuauflage, Ausgabe 1991, Bd. 3,S. 1068, Bd. 10, S. 4008)

....................................................................................scientia halensis 4/2004

................................................................................

10 Die spezifische Zurückhaltung der Ethno-logie bei ihrer Selbstdarstellung für die Öffentlichkeit hat aber auch – wie oben er-wähnt – inhaltliche Gründe. Zunächst fälltauf, dass es bei weitem keine explizite Ei-nigkeit darüber gibt, was das besondereAnliegen der Ethnologie überhaupt sei.Ähnliche Differenzen gibt es in allen Gei-stes- und Sozialwissenschaften, doch nir-gends so ausgeprägt wie in der Ethnologie,zumal in der deutschen Ethnologie. Einerdieser Streitpunkte betrifft wiederum dieFrage der Professionalisierung. Soll dasFach die (auch finanziell) verheißungsvolleRelevanz überhaupt suchen? Das führtgleich zum nächsten Streitpunkt: Ist esnoch Ethnologie, wenn Ethnologen sichbeispielsweise mit transnationalen Ver-flechtungen, modernen Finanzmärkten,intellektuellen Eigentumsrechten und mitdem Funktionieren der WTO beschäftigen?Worin läge dann noch der Unterschied zurSoziologie, zudem wenn diese Fragen inEuro-Amerika untersucht werden? Zu alldiesen und vielen anderen Fragen steht kei-ne baldige Einigung in Aussicht (was eben-falls der Professionalisierungsverweigerunggeschuldet ist).

Was ist ethnologische Kompetenz?

Allerdings besteht sehr wohl ein gewissesEinvernehmen darüber, anhand welcherFragen und Kriterien die Meinungsver-schiedenheiten ausgetragen werden können.Es gibt vor allen Dingen eine Art intuitivesWissen darüber, worin ethnologische Kom-

petenz besteht. Wenn jemand versucht,diese Kompetenzen zu explizieren, brichtindes sofort ein neuer Streit aus (s. w. u.).Allerdings ist dieser Zustand keine Schief-lage, die man dringend beheben müsste,sondern sie stellt das Spezifikum der Eth-nologie dar, welches erst ihre Dynamik undihre bewusst gewählte Distanz zu hausge-machten Wahrheiten ermöglicht. Zu diesemZustand gehört, dass man hin und wiedertrotz alledem versucht, jenes intuitive Wis-sen – oder, wie es auf Englisch heißt: the

anthropological frame of mind – explizitzu benennen und es von anderen zu unter-scheiden.Was den Beruf Ethnologie ausmacht undwas Ethnologen in der Regel gelernt haben,lässt sich so definieren:Ethnologen können sich in fremde Welteneindenken und sich in undurchsichtigen Si-tuationen schnell zurecht finden. Sie erken-nen kulturelle Codierungen hinter Hand-lungsabläufen, die sich selbst als Ausdruckvon Rationalität begreifen. Ethnologen ver-stehen es, Kommunikationsabläufe und dieRolle von kulturellen Erwartungs-Erwar-tungen in diesen Abläufen zu analysieren.Sie sind darauf spezialisiert, die Genesekultureller Zuschreibungen zu erkunden(wie etwa in den Fällen Ossi–Wessi oderMann–Frau). Denn es ist ihre Schlüssel-

kompetenz, die sie von anderen empiri-schen Nachbardisziplinen unterscheidet,fraglos gegebene Selbstverständlichkeitendurch den Blick von außen aufzudecken.Dadurch ist die Ethnologie eine institutio-nalisierte Form der kritischen Selbstbeob-achtung und Dezentrierung. Im Rahmen

der gegenwärtig beschleunigt ablaufendenGlobalisierung ist die Ethnologie jene In-stanz, die aufzeigen kann, wo vermeintlichuniverselle Lösungen scheitern oder sichals imperialistische Übergriffe erweisen.Die Vermittlung dieser Kompetenzen imStudium läuft zu einem nicht geringen Teilüber die zweite Bedeutung des WortesBeruf – und damit ist das Dilemma vonMax Weber im Aufsatz »Wissenschaft alsBeruf« angesprochen.

Ethnologe sein ist ein(e) Beruf(ung)

Die erste und heute dominante Bedeutungmeint eine standardisierte Ausbildung ineinem genau abgegrenzten Bereich von Tat-sachenzusammenhängen, die zu einer stan-dardisierten Profession führt, die wiederumzu einem standardisierten Arbeitsplatzpasst (wie etwa »Betriebswirt« oder»Rechtsanwalt«).Die zweite Bedeutung von Beruf meint dieEinstellung zu der professionellen Arbeitals Berufung. Es ist die fehlende Einigkeitüber den Gegenstandsbereich der Ethnolo-gie, die geringe Kanonisierung und Profes-sionalisierung sowie schließlich die metho-disch-inhaltliche Notwendigkeit, sichselbst ins Spiel zu bringen, die den Aspektdes Berufen-Seins in der Ethnologie stärkerbewahrt hat, als in vielen Nachbarfächern.Während der ethnologischen Ausbildungkann man zwar – ähnlich wie in anderenGeistes- und Sozialwissenschaften – einInstrumentarium erwerben, das einem hin-terher nutzt. Doch ist der Nutzen ver-gleichsweise beschränkt, weil den ethnolo-gischen Einsatzort gerade seine Unvorher-sehbarkeit charakterisiert. EthnologischesWerkzeug ist enger an die Persönlichkeitdes Ethnologen gebunden als andere pro-fessionelle Werkzeuge.In einer sich rapide wandelnden Weltgesell-schaft, die so immer mehr zu einer Welt inStücken, zu einem Pluriversum mit stetigabnehmenden Gewissheiten wird, mag eseine kluge Vorkehrung sein, sich mit derEthnologie eine Disziplin zu leisten, dieihre professionellen Kompetenzen ebennicht in einer Checkliste angeben kann,weil sie sonst ihre Schlüsselkompetenzverlöre: ihre Expertise für das Ungewisse.

Institut für Ethnologie

»Ethnographie [grch.] die, Völkerkunde.«

»Ethnologie [grch.] die, Völkerkunde.«»Völkerkunde [Ethnologie], Disziplin der Kulturanthropologie, die Unterschiede und Überein-stimmungen in der Lebensweise menschl. Gemeinschaften beschreibt und zu erklären versucht.Im Wesentlichen beschränkt sich die V. dabei auf außereurop. Kulturen, nichtindustrielle Gesell-schaften, schriftlose Völker und Ethnien ›geringer Naturbeherrschung‹ (Naturvölker). Auf derBasis der Gleichwertigkeit aller Menschen und angesichts der hohen Erkenntnisleistungen der Na-turvölker [...] werden solche Eingrenzungen immer häufiger hinterfragt und Kulturvergleiche aufglobaler Ebene, d. h. unter Einbeziehung komplexer Gesellschaften außerhalb und innerhalb Euro-pas angestellt. Die Begriffe V. und Ethnographie wurden (Kulturbeschreibung) wurden um 1770in Dtl. (Universität. Göttingen) geprägt, die Bez. Ethnologie etwa zur gleichen Zeit im frz.Sprachraum. Die wichtigste Arbeitsmethode der V. ist die Feldforschung.«»Feldforschung 1) Ethnologie und empir. Sozialforschung: Arbeitsmethode, mit dersoziokulturelle Lebensverhältnisseversch. sozialer Gruppen innerhalb der alltägl., vertrauten Um-welt untersucht werden. 2) Sprachwissenschaft: ...«(Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden, B. I. Taschenbuchverlag Mannheim · Leipzig ·Wien · Zürich 2001, Bd. 6, S. 175; Bd. 24, S. 150/51; Bd. 6, S. 295)

Der Verfasser, Jahrgang 1953, studierte

1973–78 Ethnologie, Soziologie und Ara-

bistik an der Freien Universität Berlin. Sei-

ne erste Feldforschung (zwischen 1979 und

1983) führte ihn nach Südkordofan in den

Sudan. Seine zweite Feldforschung (zwi-

schen 1990 und 1998) fand in dem trans-

nationalen Netzwerk der Entwicklungs-

kooperation zwischen Frankfurt am Main

und diversen afrikanischen Ländern statt.

1995–2002 lehrte er Vergleichende Kultur-

und Sozialanthropologie an der Europa-

Universität Viadrina in Frankfurt (Oder).

2002 wurde er als Professor für Ethnologie

ans neu gegründete Institut für Ethnologie

an der Martin-Luther-Universität berufen. ■

»Ethnologie (gr.), vergleichende Völkerkunde; Verar-beitung der in der Ethnographie gewonnenen Daten zuTheorien, die über Grundlagen u. Entwicklung dermenschl. Kultur(en) Aufschluss geben sollen.«»Ethnografie (gr.), systemat. Beschreibung versch.Völker u. ihrer Kulturen; mit Hilfe der Feldforschungsoll das Leben einer best. soz. Gruppe möglichst umfas-send dargestellt werden (Wirtschaftsweise, Religion, So-zialstruktur etc.). Tradit. untersucht die E. sog.Stammesgesellschaften, d. h. außereurop., schriftloseVölker; heute Ausweitung auf bäuerl. u. ind. Ges. Vor-aussetzung für die Interpretationen der Ethnologie.«»Feldforschung, empir. Arbeitsmethode der Ethnolo-gie ( Ethnographie) u. empir. Sozialforschung, bei derForscher am Leben der Stammesges. od. Bev.gruppeteilnehmen u. deren soz. Wirklichkeit unter nicht-ma-nipulierten Bedingungen kennen lernen.«(Großes Universaltaschenlexikon, Trautwein Lexikon-Edition, genehmigte Sonderausgabe, München 1998,Bd. 3, S. 601 u. 635)

..............................................................................scientia halensis 4/2004

...............................................................................

11

Institut für Ethnologie

Ganz allgemein sagt »ins Feld gehen« zu-nächst folgendes: Wer etwas ethnogra-phisch erforschen möchte, geht nicht in Bi-bliotheken oder Archive, entwirft keinenFragebogen und schicken andere damit los,sondern begibt sich selbst hinaus in daswirkliche Leben, das ihm so zum »Feld«wird. Genauer genommen lässt sich ethno-logische Feldforschung – entgegen allenUnkenrufen seitens mancher Methoden-fanatiker – durch einige elementare Heran-gehensweisen charakterisieren (hier seienvier davon hervorgehoben). Sie umfasstdarüber hinaus ein Bündel ausgefeilter,hauptsächlich qualitativer Methoden, diesich die Ethnologie mit anderen Fächernteilt. Zuerst soll es um die elementaren,spezifisch ethnologischen Positionen ge-hen, dann folgt ein Beispiel aus derLehrforschung.

Der Blick der Fremden

»Das Feld« – die Lebenswelt, für die mansich interessiert – ist typischerweise nichtdie vertraute, von Kind auf bekannte Le-benswelt. Vielmehr kommt es gerade aufdas Nicht-Wissen der Ethnologen an, dieals Fremde die verborgenen Selbstver-ständlichkeiten nicht kennen und deshalbaufdecken müssen bzw. können. Nun lässtsich diese Art von Fremdheit bis zu einemgewissen Grad auch künstlich hervorbrin-gen, so dass die ethnographische Methodeebenso bei der Analyse der Institutionender eigenen Gesellschaft – sowohl in derEthnologie als auch der Soziologie – erfolg-reich angewendet wird.

Teilnehmende Beobachtung der Praxis

Die zweite konstitutive Position hängt mitdem Oxymoron teilnehmende Beobachtungzusammen. Es geht bei der Feldforschungprimär darum, alltägliche Geschehnisse,aber auch Feste, Rituale und Versammlun-gen unmittelbar zu erleben und direkt zubeobachten. Am besten gelingt dies, wenn

STUDIERENDE DER ETHNOLOGIE IM FELD

AUF DER SUCHE NACH DEM NATIVE POINT OF VIEW

Richard Rottenburg und Tilo Grätz

Was meinen Ethnologen, wenn sie sagen »ich gehe ins Feld«? Das Feld ist überall dort, woEthnologen beobachten und sich darüber systematische Aufzeichnungen in einer bestimm-ten Absicht machen, die sie von Geheimagenten, weniger jedoch von Doppelagenten unter-scheiden. »Feldforschung« ist die etwas verstaubte und auch obskure Bezeichnung der me-thodischen Vorgehensweise der Ethnologie. Manche Ethnologen (vor allem Soziologen) be-vorzugen den Begriff »Ethnographie« – teils zur Vermeidung der militärischen Konnotati-on (denn außer Ethnologen gehen Soldaten »ins Feld«, Bauern »aufs Feld«), teils zur me-thodischen Präzisierung.

Das Bemühen, die Welt unter anderenAspekten zu betrachten, bringt es mit sich,den eigenen Standpunkt von außen sehenzu lernen und so auch in Frage zu stellen.

Beobachtete Beobachter

Darin besteht die vierte grundlegende Cha-rakteristik: ethnologische Feldforschung istzum Teil stets eine Reise ins Innere. Eth-nologen, die ausziehen, andere zu beobach-ten, stellen bald fest, dass vor allem sie be-obachtet und ausgefragt werden. Ethnolo-gen, die mit wissenschaftlicher DistanzDaten sammeln wollten, merken bald, dassihnen die fremde Wirklichkeit zu Leiberückt. Diskussionen um die Grenzen des

man dabei aktiv werden kann. Ausgangs-punkt ist die Tatsache, dass Menschenetwa die Art, in der sie ihre Kinder erzie-hen oder ihr Eheleben gestalten, gerne inder einen oder anderen Weise darlegen, dasssie aber dann gleich im nächsten Momentunter Umständen etwas ganz anderes tun.»Teilnehmende Beobachtung« als zentraleTätigkeit der Feldforschung zielt darauf ab,

von praktischen Tun auszugehen, um vondort auch die Beziehung zu den emischen(d. h. internen, einheimischen) Vorstellun-gen zu rekonstruieren.

The native point of view

Hier kommt die dritte elementare Positionins Spiel: Es geht bei der Feldforschung inerster Linie darum, die Welt so sehen zulernen, wie sie in jener Lebenswelt gesehenwird, in die man sich zur teilnehmendenBeobachtung hineinbegeben hat (from the

native point of view). Dabei ist zu berück-sichtigen, dass es in der Regel mehrere, sichteils widersprechende Perspektiven gibt.

fremdkulturellen Verstehens sowie der ad-äquaten Übersetzung und Darstellung derErfahrungen und Erkenntnisse einer Feld-forschung haben in der modernen Ethnolo-gie dazu geführt, die Rolle des Forschersund seiner Interaktionen im Forschungs-prozess verstärkt zu reflektieren.

Konkrete Feldforschungspraxis

Im Rahmen der Feldforschungspraxis, diedurch diese vier grundlegenden Positionenabgesteckt ist, lassen sich je nach Themen-stellung und Umständen zusätzlich nochverschiedene qualitative und seltener auchquantitative Methoden einsetzen. An ers-

Studierende des Instituts für Ethnologie der Martin-Luther-Universität mit ihren Gesprächs-partnern bei Feldforschungen im westafrikanischen Bénin Foto: Tilo Grätz

....................................................................................scientia halensis 4/2004

................................................................................

12 ter Stelle sind hier Formen des Interviews,hauptsächlich aber das narrative Interviewzu nennen. Hinzu kommen mehr oder we-niger genau zu benennende Verfahren zurInterpretation der Selbstzeugnisse einerLebensform, also solcher Zeugnisse, dienicht durch die Forschung generiert wer-den, sondern sowieso immer schon da sind.Dazu gehören zum Beispiel Sitten undBräuche, die sich an konkretem Verhaltenablesen lassen, aber auch jede Art vonSchriftzeugnissen, mündliche Überlieferun-gen und Wissensbestände, Technologie, Ar-chitektur, Landschaftsgestaltung, Stadt-und Dorfgestaltung, Kleidung, Essen, Mu-sik, Tanz, Körpertechniken usw. Die Nut-zung vielfältiger Methoden und kreuz-perspektivischer Analyseverfahren soll eszudem auch ermöglichen, die Vielschichtig-keit der untersuchten Lebenswelten her-auszuarbeiten. Ethnologen lernen darüberhinaus Verwandtschaftsbeziehungen undGenealogien aufzuzeichnen, und sind gutberaten, einfache quantitative Erhebungenzählbarer Dinge (wie Haushaltszusammen-setzungen, Ernteerträge, Einkommen, etc.),erstellen zu können. Dagegen ist es in derEthnologie nicht üblich, Orientierungsmus-ter statistisch zu erfassen.

Schwimmen im fremden Wasser

Es ist heute leichter als noch vor wenigenJahren, an jeden Ort der Welt zu gelangen.Umgekehrt ist es schwerer, in der Fernewirklich aufgenommen, in eine fremde Le-benswelt integriert, geschweige denn einge-weiht zu werden. Es ist parallel dazu auchpolitisch heikel geworden, im Namen ande-rer zu sprechen, indem man sie ethnogra-phisch repräsentiert. Diese wachsende Di-stanz und Skepsis hat vermutlich weitrei-chende Folgen für die Methoden der Eth-nologie, die sich schon abzeichnen, abernoch nicht richtig einschätzen lassen.Der soweit skizzierte Anspruch, sich denvorgefundenen und nie ganz vorhersehba-ren Gegebenheiten anzuschmiegen, bedeu-tet zugleich, dass man die Methode der

Feldforschung nur bis zu einem gewissenGrad nach vorgegebenen Standards erlernenkann. Feldforschungspraxis lässt sich nurbedingt im Seminarraum und durch Text-lektüre vermitteln – deshalb zählen Lehr-forschungen zu den Basiskomponenten derEthnologie-Ausbildung. Schwimmen lerntman eben nur im Wasser. Lehrforschungbezieht sich auf die Schwimmflügel-Phase.

Lehrforschung in Bénin

Von Juli bis Oktober 2004 fand die ersteLehrforschung des Instituts für Ethnologieder Martin-Luther-Universität unter derwissenschaftlichen Betreuung von Dr. TiloGrätz vom Max-Planck-Institut für ethno-logische Forschung statt. Finanziell unter-stützt von MLU und MPI beschäftigtensich fünf Studierende drei Monate mit derLebenswelt von Jugendlichen in einerKleinstadt der Republik Bénin. Die wirt-schaftlichen Probleme dieses westafrikani-schen Staates wirken sich auf Lebensweiseund Zukunftschancen der jüngeren Genera-tion aus. Die Studierenden untersuchten,wie Jugendliche ihren Alltag reflektierenund wie sie praktisch mit ihren Problemenumgehen. Konkret wenden sich die Stu-dienprojekte Aspekten von Schulbildung,Gesundheit, Heirat, Freizeitgestaltung undSchönheit zu.Einige Teilnehmer arbeiteten bereits alsstudentische Forschungsassistenten an ei-nem MPI-Projekt mit. Das Bearbeiten ei-nes eigenen Projektes, die intensive Teil-nahme am Alltag in Gastfamilien und dasLeben ohne Muttersprache in einer frem-den Welt stellt jedoch neue Herausforde-rungen dar. Wie soll man sich als Feldfor-scher in einem Kontext verhalten, dessenUmgangsformen man nicht kennt? Inwie-weit kann man am Alltagsleben teilnehmenund welche Grenzen sind dabei zu beden-ken? Wie hat ein Feldtagebuch auszusehen,das später analytisch ausgewertet werdensoll? Wie gestaltet man Interviews undwelche Art des Interviews ist für welcheSituation und welchen Gesprächspartner

geeignet? Mit Neugier oder Misstrauenbetrachtet, belehrt und wie ein Kind behan-delt, mit Missverständnissen oder über-steigerten Erwartungen an materielle Hilfs-möglichkeiten konfrontiert – die Feldfor-scher und damit der Prozess des Nieder-schreibens der so genannten »Feldnotizen«sind unweigerlich ins alltägliche Leben vorOrt eingebettet und davon beeinflusst. Fra-gen und Problemen dieser Art sehen sichjunge Ethnologen bei ihrer ersten Feldfor-schung gegenübergestellt.Die Lehrforschung zielt daher nicht nur aufneue wissenschaftliche Erkenntnisse zurLebenssituation jüngerer Generationen inBénin ab. Vielmehr soll auch erlernt werden,wie ein ethnologisches Forschungsprojektvom Beginn der Planung und Organisationüber die Feldforschung bis zum Abschlussder Auswertung und Berichterstattungdurchgeführt wird. Die Forschungsberichtewerden im Wintersemester 2004/05 erstelltund schließlich den Projektpartnern inBénin zur Kommentierung zugeschickt.Wie alle Berufe und Berufsausbildungenhat auch die Ethnologie ihre Rituale. Daswichtigste ist die Initiation: Wer erstmals»im Feld« war, wieder zurückkam und da-nach weiterhin mit Erfolg Ethnologie be-treibt – alle drei Kriterien sind gleich wich-tig –, der ist in die Zunft aufgenommen.Und natürlich gibt es massive antiritualis-tische Bestrebungen, die diese Initiationfür überholt und sehr bedenklich halten.

Tilo Grätz ist Ethnologe und Dozent für

Deutsch als Fremdsprache. Er studierte an

der FU Berlin, der HU Berlin und der

EHESS Marseille und wurde an der Uni-

versität Bielefeld promoviert. Er arbeitet

zurzeit am Max-Planck-Institut für ethnolo-

gische Forschung und ist zugleich als

Lehrbeauftragter am Institut für Ethnologie

der Martin-Luther-Universität tätig. Er

führte Feldforschungen in Bénin, Mali und

Burkina Faso durch und publizierte vor al-

lem zu den Themen handwerklicher Gold-

abbau, Ethnizität, politischer Wandel,

Arbeitsmigration und Medien in Afrika.

Institut für Ethnologie

Alltag auf dem Fußballplatz von Natitingou in Bénin Foto: Lutz Scharf

ANZEIGE

..............................................................................scientia halensis 4/2004

...............................................................................

13

In einem von der Deutschen Forschungsge-meinschaft geförderten Forschungsprojekthaben die halleschen Ethnologen die lokaleUmsetzung der Idee der Pflegeversicherungin den Großstädten Nürnberg und Fukuoka(Japan) untersucht, um so durch einenKulturvergleich herauszufinden, wie kultu-relle Voraussetzungen die soziale Fürsorgein der Praxis beeinflussen.In Japan wurde die Pflegeversicherung imJahr 2000 weitgehend nach deutschem Vor-bild eingeführt. Jedoch war die neue Ver-sicherung im Gegensatz zu Deutschlandnicht nur eine weitere Säule der sozialenSicherungssysteme, sondern sie beinhalteteAnsätze zum radikalen Umdenken der so-zialen Beziehungen überhaupt.

Wurzeln sozialer Sicherungssystemein Europa im 19. Jahrhundert

Halten wir zunächst fest, dass die deutscheund die japanische Gesellschaft in derzweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vordemselben sozialen Problem standen:Die alten ständischen Strukturen hattensich aufgelöst, und die neuen nationalstaat-lich verfassten Gesellschaften mussten sichselbst konstituieren. In dieser Situation dersozialen Umwälzung spielte die Frage nachder gesellschaftlichen Integration eine ent-scheidende Rolle für die weitere Entwick-lung.Die beiden Gesellschaften entwickelten un-terschiedliche Antworten und Vorgehens-weisen, um den sozialen Zusammenhalt zusichern – wenn auch die japanische Gesell-schaft vom Ende des 19. Jahrhunderts anvieles aus dem deutschen Konzept über-nahm.In westeuropäischem Kontext ist das Kon-zept der Solidarität mit dem des Wohl-fahrtsstaates eng verbunden. Die gesell-schaftliche Solidarität ist weitgehend insti-tutionalisiert. Der Staat übernimmt dieAufgabe der Fürsorge, so dass die Solidari-tät »verstaatlicht« scheint. Dies führt ei-nerseits zur Abstrahierung der zwischen-menschlichen Beziehungen, die Solidarität

SOLIDARITÄT IM KULTURVERGLEICH

PRINZIPIEN DER PFLEGEVERSICHERUNG IN DEUTSCHLAND UND JAPAN

Shingo Shimada

Die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme wird derzeit nicht nur in Deutschland, son-dern auch in vielen anderen Ländern intensiv diskutiert. Dabei hat sich der Fokus in denletzten Jahrzehnten, bedingt durch die demografischen Entwicklungen, immer stärker inRichtung der Fürsorge und Pflege im Alter verschoben. Hierzulande liegen der DiskussionBegrifflichkeiten zugrunde, die schon so lange die Sozialpolitik steuern, dass sie kaummehr hinterfragt werden. »Gerechtigkeit« und »Solidarität« sind zwei solcher Schlagwör-ter. Diese eingefahrenen Kategorien durch den Blick auf die Praxis in anderen Staaten undanderen kulturellen Kontexten zu überprüfen, wurde bislang kaum versucht.

wird anonym. Andererseits schafft derStaat damit den Freiraum für individuelleEntwicklungen, die in den bis dahin gegebe-nen kollektiven Zusammenhängen wie Fa-milien, Zünften und Dorfgemeinschaftenso nicht möglich waren.Der Weg der Modernisierung implizierte inWesteuropa die Verlagerung der traditionel-len Bindungen hin zu wohlstaatlicher Soli-darität, wobei in England, Frankreich undDeutschland jeweils unterschiedliche Kon-zepte von »Solidarität, Selbsthilfe und So-zialpolitik« im Zentrum standen. Bei alldiesen Konzepten wurde die Trennungzwischen den traditionellen Formen derBindung und der neuen Form der Solidari-tät deutlich vollzogen. Eine metaphorischeÜbertragung der Familienbindung auf diegesellschaftlichen Verhältnisse existiertedaher in Europa nicht.

Das japanische Haushaltskonzept ie

Die Generierung der nationalstaatlichverfassten Solidargemeinschaft verlief imjapanischen Kontext offensichtlich anders.Von der ersten Phase der Nationalstaats-bildung in der zweiten Hälfte des 19. Jahr-hunderts an wird die Übernahme derwohlfahrtsstaatlichen Fürsorgeidee alsGrundlage des westlichen Individualismusabgelehnt, und eine kulturalistisch und ras-sisch konzipierte nationale »Gemein-schaft« im Gegensatz zum westlichen Mo-dell entworfen.Hier wird geradezu die Übertragbarkeit derFamilienmetapher auf die Gesamtgesell-schaft unterstrichen und damit das Zusam-mengehörigkeitsgefühl angeregt. Es ist nachwie vor das japanische Haushaltskonzeptie, das bis zur heutigen Zeit zum zentralenKonzept der kulturellen Identität gezähltwird. Dadurch konnten traditionelle Ele-mente der sozialen Bindung aus den Berei-chen der Familie, Religion und Dorfgemein-schaft für die Konstituierung der gesamt-gesellschaftlichen Solidarität aktiviert undeingesetzt werden.

Dieser Rückgriff auf traditionalistische Ele-mente stand auch in Zusammenhang mitdem japanischen Nationalismus, der Japanschließlich in den Zweiten Weltkrieg führ-te. Aber auch nach dem Ende des ZweitenWeltkrieges blieb diese Idee erhalten, dassdie japanische Gesellschaft eine homogeneGesellschaft bilde, in der familienähnlicheBeziehungen vorherrschend seien.Anhand der Familienmetapher wurde in Ja-pan ein streng zentralistischer National-staat aufgebaut, der den kommunalen Ver-waltungen nur wenig Handlungsmöglich-keiten in sozialpolitischen Fragen beließ.Das Fürsorgesystem war lange Zeit gespal-ten in den nationalstaatlichen Pol, der wei-testgehend kulturalistisch und rassisch legi-timiert wurde, und den familiär-verwandt-schaftlichen Pol, der wiederum als einKernbereich der kulturellen Identität ange-sehen wurde. Die strukturelle Lücke zwi-schen der staatlichen und der familiärenFürsorge wurde während des Wirtschafts-aufschwungs von den Betrieben geschlos-sen, die aber naturgemäß nur eine partiku-lare Solidarität anbieten konnten.

Japanische Broschüre zur Pflegeversicherung

Institut für Ethnologie

....................................................................................scientia halensis 4/2004

................................................................................

14 Pflegeversicherungin konträren Kontexten

Vor diesem historisch vergleichenden Hin-tergrund wird die unterschiedliche Bedeu-tung der Pflegeversicherung in Deutschlandund Japan deutlich:Während im deutschen Kontext die Pflege-versicherung nur einen weiteren Schritt fürdas sozialstaatlichen Fürsorgekonzept dar-stellt, wodurch die Grundlagen der Solida-rität im Grunde unberührt bleiben, stehtdie Einführung der Pflegeversicherung inJapan wahrschienlich für den Bruch desSolidaritätskonzeptes, denn sie zeigt gera-dezu, dass die metaphorische Übertragungdes Familienkonzeptes auf den Staat nichtmehr weiter aufrechterhalten werden kann.Sie steht also möglicherweise für den Über-gang von einer gemeinschaftlich konzipier-ten zu einer wohlfahrtsstaatlich konzipier-ten Solidarität.Doch eine Angleichung des japanischenFürsorgesystems an das europäische Mo-dell ist wohl nicht zu erwarten, zumal dortSchlüsselbegriffe wie »Solidarität« und»Gerechtigkeit« im gesellschaftlichen Dis-kurs kaum eine Rolle spielen. Daher hat dieInstitution der Pflegeversicherung in denbeiden Gesellschaften – trotz derselbenBezeichnung und ähnlicher Funktionalität– eine vollkommen andere Bedeutung.

Institut für Ethnologie

Aus diesen Betrachtungen können wirzwei Schlussfolgerungen ziehen:1) Die für uns selbstverständlichen Begrif-fe der sozialen Fürsorge wie »Solidarität«und »Gerechtigkeit« sind keineswegs uni-versal gültig und können in anderen Gesell-schaften einen anderen Stellenwert erhalten.2) Im Laufe des Globalisierungsprozessesentstehen eventuell gerade in den außereu-ropäischen Gesellschaften absolut neuarti-ge Konzepte der sozialen Fürsorge, die fürdie Bewältigung der hiesigen – das heißtder mitteleuropäischen bzw. deutschen –sozialpolitischen Probleme anregendsein können.

Der Verfasser, geboren 1957 in Osaka/

Japan, studierte 1979 bis 1988 Soziologie,

Philosophie und germanistische Linguistik

in Münster und Erlangen. Von 1988 bis

2002 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter

am Sozialwissenschaftlichen Forschungs-

zentrum der Universität Erlangen-Nürn-

berg (Promotion 1991, Habilitation 1997).

Er lehrte und forschte in Erlangen, Duis-

burg und Pisa. 2002 wurde er als Profes-

sor für Kulturvergleichende Soziologie an

die Martin-Luther-Universität Halle-Wit-

tenberg berufen.

Alterungsprozess in Japan: Am oberen rechten Rand stehen Prozentzahlen der Alterung –weiße Fläche: unter 7 Prozent, hellgrau: 7 bis 10 Prozent, dunkelgrau: bis über 30 Prozent.

..............................................................................scientia halensis 4/2004

...............................................................................

15

Institut für Psychologie

Im Zusammenhang mit dem Begriff der»psychischen Störung« stellt sich automa-tisch auch die Frage des Normkriteriums.Was ist gestört, was ist krank? Sollte es ak-zeptiert werden, dass ein junges Mädchenfast nichts mehr isst, bis auf die Knochenabmagert und sich trotzdem noch als zudick empfindet? Gehört es zum »freienWillen« eines Menschen, bei jedem berühr-ten Gegenstand erst bis achtzig zu zählen,bis er wieder aus der Hand gelegt werdenkann oder ist es zu tolerieren, wenn einePerson täglich bis zur Erschöpfung dieWohnung putzt und anschließend stets vie-le Stunden duschen muss? Wann kann,wann soll eingegriffen werden?

Wann hat ein Verhalten»Krankheitswert«?

Offensichtlich reichen funktionale, indivi-duelle, statistische, moralische oder gar re-ligiöse und politische Normbegriffe nichtaus, um die Frage der behandlungsbedürfti-gen Normabweichung zu klären. Und danicht jede, wenn auch manchmal bizarre,Normvariante als krankhaft aufgefasst wer-den darf, wurden während der letzten vier-zig Jahre genaue Klassifikationssystemeentwickelt, in denen für jede denkbare psy-chische Störung genaue inhaltliche undzeitliche Kriterien festgelegt sind. Erstdann darf von einer Normabweichung mit»Krankheitswert« gesprochen werden. AlsZusatzkriterien dienen die Selbst- (undmanchmal auch Fremd-)gefährdung sowiedie »Beeinträchtigung basaler Alltagsfunk-tionen« und der »Leidensdruck«. Leidersind auch diese Kriterien nicht erschöp-fend, da es immer wieder Patienten gibt,die zwar stark beeinträchtigt sind, aber kei-nen Leidensdruck verspüren.Andererseits gibt es auch Patienten, dietrotz erheblichen Leidensdruckes ihre All-tagsfunktionen recht gut aufrecht erhaltenkönnen. Zusammen mit den detailliertenKriterienkatalogen lässt sich für die meis-ten Beschwerdebilder aber doch recht ge-nau der »Krankheitswert« einer Verhaltens-

WAS IST NORMAL?DEN MECHANISMEN ABWEICHENDEN VERHALTENS AUF DER SPUR

Bernd Leplow

Was ist normal? Ist jede Normabweichung therapiebedürftig? Sicherlich nicht, doch trotz-dem ist diese Frage keineswegs einfach zu beantworten. So galt Homosexualität lange Zeitals Krankheit und wurde mit zum Teil brachialen Mitteln zu »behandeln« versucht. Unddass politisch abweichende Meinungen oft den Stempel »krankhaft« erhalten, ist aus vie-len diktatorischen Systemen bekannt. Aber nicht alle Abweichungen von der zumeist stati-stisch gedachten Norm gelten als »krankhaft«: Der Muskelprotz aus dem Body-BuildingStudio wird durchaus nicht überall negativ bewertet und bei selbsternannten Führern reli-giöser Erweckungsbewegungen wird die Frage der Normalität besonders schwierig.

auffälligkeit angeben. Somit ist »Die Erfor-schung und Behandlung abweichenden Ver-halten mit Krankheitswert« Gegenstandder Klinischen Psychologie.

Mechanismen abweichenden Verhaltens

Damit geht es in der Klinischen Psycholo-gie unter anderem um die Aufklärung derMechanismen, welche eine Störung »prä-disponieren«, »auslösen« und »aufrechter-halten«. Dieses geschieht, indem das kom-plexe Beschwerdebild einer psychischen

• Zeigen Patienten, die sich in vollerKenntnis in Bezug auf die Sinnlosigkeit deseigenen Verhaltens viele Stunden am Tagohne Pause waschen müssen, eine be-stimmte Form der Reaktion auf bedro-hungsassoziierte Hinweisreize? Entsprichtdie Angst, nicht sauber genug zu sein, denÄngsten anderer Menschen, wenn diesesich zum Beispiel in großer Höhe befin-den? Das scheint definitiv nicht der Fall zusein. Statt dessen entspricht die genannteForm der Reizverarbeitung anderen psy-chischen Störungen und einer Reihe vonneurologischen Erkrankungen.• Lassen sich bei Patienten nach einer de-pressiven Episode, also im störungsfreien

Intervall, diskrete Veränderungen spezifi-scher Aufmerksamkeits- und Gedächtnis-leistungen identifizieren? In der Tat habenKooperationsprojekte mit der Klinik fürPsychiatrie (Prof. Dr. Andreas Marneros)gezeigt, dass sich derartige Veränderungenfinden lassen und mit hoher Wahrschein-

Störung zunächst auf der Ebene des offe-nen Verhaltens, der Emotionen und Kogni-tionen sowie der somatischen Reaktionengenau beschrieben wird. Zu der zuletzt ge-nannten Ebene gehören vor allem auch dieFunktionen des Gehirns.In der Arbeitseinheit für Klinische Psycho-logie der Martin Luther-Universität Halle-Wittenberg werden die Mechanismen ab-weichenden Verhaltens unter anderem anfolgenden Fragestellungen untersucht:

lichkeit den weiteren Verlauf der Störun-gen beeinflussen.• Resultieren die depressiven Zustände ei-nes Parkinsonpatienten (einer schwerenneurologischen Erkrankung der körperli-chen – und oft auch mentalen – Beweglich-keit) aus den neuropharmakologischen Ver-änderungen im Gehirn oder sind sie einepsychische Reaktion auf die schweren Be-hinderungen? Wie auch die eigenen Arbei-ten zeigen, scheinen beide Mechanismen indefinierter Form ineinander zu greifen.

Erhöhte kortikale Aktivität des Stirnhirns während der Lernaufgabe – funktionelle Magnet-resonanztomographie (fMRT) einer gesunden Probandengruppe Grafik: Robby Schönfeld

....................................................................................scientia halensis 4/2004

................................................................................

16

Institut für Psychologie

• Welcher Art sind die kognitiven Verarbei-tungsmuster bei schweren degenerativenErkrankungen? Wie Kooperationsprojektemit der Klinik für Neurologie (Prof. Dr.Stephan Zierz) gezeigt haben, lassen sichsogar kompensatorische Verbesserungenfeststellen, die möglicherweise therapeu-tisch nutzbar sind.Die aus der Beantwortung derartiger Fra-gen gewonnenen Erkenntnisse haben nichtnur erhebliche Auswirkungen auf das Ver-ständnis der den Störungen zu Grunde lie-genden, sie damit aufrechterhaltenden undoft ihre Chronifizierung begünstigendenMechanismen, sondern sie ermöglichenauch die Fokussierung spezifischer Trai-nings- und Therapiebausteine. Andererseitskann abweichendes Verhalten mit Krank-heitswert nur dann richtig verstanden wer-den, wenn auch das gesunde Verhalten un-tersucht wird: Zeigen zum Beispiel fasten-de Personen ähnliche, wenn auch schwä-cher ausgeprägte Hirnfunktionsveränderun-gen wie Personen, die an einer Magersuchtleiden? Wenn das so ist – und eigene For-schungen deuten es an –, dann erhöht dasnatürlich unser Wissen um die ernährungs-abhängigen Veränderungen im Gehirn unddamit auch unser Verständnis über patho-logische Entwicklungen. Dieses soll anHand eigener Untersuchungen beispielhafterläutert werden.

Hungern, Magersucht und Lernverhalten– gibt es Zusammenhänge?

Eingesetzt wurde eine Lernaufgabe, bei dersechs neutrale Begriffe (»Stil«, »Takt« etc.)zusammen mit sechs sinnfreien schwarz-weiß-Figuren präsentiert wurden. Aufgabeist es, die vom Versuchsleiter willkürlichgesetzten Assoziationen zwischen je einemBegriff und einer Figur nach Versuch undIrrtum zu erraten und über die Versuchs-durchgänge hinweg zu erlernen. Diesescheinbar wirklichkeitsferne Aufgabe istvon großer praktischer Bedeutung: So las-sen sich die verschiedenen Lernphasen(»Identifikationsphase«, falsche oder kor-rekte »Wiedererkennung«, »Festigung desGelernten« und letztlich »automatischerAbruf«) distinkten neuronalen Schaltkrei-sen im Gehirn zuordnen. Diese Zuordnungist besonders deutlich, wenn neutrale undnicht emotionshaltige Begriffe konditional-assoziativ gelernt werden müssen, da beiemotionalem Material zu viele Hirnregio-nen zusätzlich aktiv sind (s. Abb. oben).

Im Rahmen einer mit einem 1. Posterpreisgewürdigten Diplomarbeit (Julia Pönicke)fanden sich bei Personen bereits nach dreiTagen des Fastens deutliche Veränderun-gen: Fastende können Reizmaterial dieserArt sehr viel schlechter lernen als nicht-fastende Kontrollpersonen (s. Abb. oben).Und noch sehr viel aufschlussreicher sindmehrfach replizierte Befunde aus Koopera-tionsprojekten mit der verhaltensmedizini-schen Klinik Bad Bramstedt (Prof. Dr.Detlev-O. Nutzinger, Dr. Roy Murphy),denen zufolge sich eine gleichartige Verän-derung bei magersüchtigen Frauen findet.Entsprechende Auffälligkeiten beim kondi-tional-assoziativen Lernen neutralen Reiz-materials findet sich auch bei Patientinnen,die unter ritualisierten Wiederholungen vonHandlungs- oder Gedankenabfolgen leiden(sogenannte »Zwangsstörungen«), nicht je-doch bei Personen, die andere Formen vonEss- oder Angststörungen aufweisen. DasLernen emotionalen Materials war dagegenin alle Gruppen unauffällig.Wie darüber hinaus aus der Grundlagenfor-schung bekannt ist, sind sowohl Mager-süchtige als auch Zwangspatienten durchfunktionelle Veränderungen in bestimmtenBereichen des Stirnhirns und der zugehöri-gen neuronalen Netzwerke gekennzeichnet.Und genau diese Regionen sind auch beimkonditional-assoziativen Lernen neuenMaterials gefragt, dessen emotionale Va-lenz, wie im beschriebenen Versuch, nichtganz eindeutig ist.Erste Ergebnisse einer zusammen mit Ra-diologen und Neurologen durchgeführtenfMRT-Studie (s. Abb. S. 15; mit Dipl.-Inform. Robby Schönfeld; Dr. ManfredKnörgen, Dr. Georg Leonhardt) zeigendeutlich, dass bei dieser Aufgabe nur ganzbestimmte Areale beteiligt sind. Es sinddieselben Gebiete, in denen sich auch beiden genannten psychischen Störungen pa-thologische Auffälligkeiten zeigen. Damitkönnte – im Umkehrschluss – Nahrungs-

mangel also zu sehr spezifischen Verände-rungen der Hirnaktivität führen. Diese äu-ßern sich offensichtlich in spezifischenVeränderungen der Reizverarbeitung unddes Lernverhaltens – ohne dass dieses imklinischen Alltag unmittelbar erkennbar ist.Zwar muss der direkte Zusammenhangnoch nachgewiesen werden, doch weiß manschon jetzt, dass eine besonders schwereBeeinträchtigung des konditional-assoziati-ven Lernverhaltens neutralen Reizmaterialsmit einem besonders schlechten, mittelfri-stigen Therapieerfolg einhergeht.Auf diese Weise lassen sich über scheinbarwirklichkeitsfremde Testprozeduren zumeinen vertiefte Einblicke in die schwerenpsychischen Störungen zu Grunde liegendeMechanismen gewinnen. Zum anderen aberdeuten sich durch derartige Ergebnisse auchKonsequenzen von hoher therapeutischerRelevanz an. An diesen Aufgaben, derIdentifikation therapeutisch relevanterSubgruppen und der Gestaltung entspre-chend spezifischer Therapieprogramme istauch die Klinische Psychologie der Martin-Luther-Universität mit ihren zahlreichenKooperationspartnern beteiligt.

Der Verfasser, Jahrgang 1953, studierte

1975–81 an der Universität Hamburg Psy-

chologie, war dann wissenschaftlicher Mit-

arbeiter am Universitätskrankenhaus

Hamburg-Eppendorf, am SFB 115 (Psycho-

physiologie obstruktiver Atembeschwerden)

und am Institut für Psychologie der Uni-

versität Kiel. 1988 wurde er an der Uni-

versität Hamburg zum Dr. phil. promo-

viert und habilitierte sich 1994 in Kiel, wo

er bis 1999 als Oberassistent tätig war.

Seit 1999 ist er Universitätsprofessor für

Klinische Psychologie am Fachbereich Ge-

schichte, Philosophie und Sozialwissen-

schaften der Martin-Luther-Universität.

Hier baute er seit 2002 den Arbeitskreis

»Suchtprävention« und die Hochschul-

ambulanz für Psychotherapie auf.

Ergebnisse der gestellten Lernaufgabe Grafik: Robby Schönfeld

..............................................................................scientia halensis 4/2004

...............................................................................

17

Institut für Psychologie

Was sind Déjà-vu?

Der Begriff Déjà-vu kommt aus dem Fran-zösischen und bedeutet ›bereits gesehen‹.Er wurde im Jahr 1896 von dem französi-schen Mediziner F. L. Arnaud als festste-hender Begriff in die Wissenschaft einge-führt. Déjà-vu-Erlebnisse gehören zu denGedächtnisstörungen der Paramnesien undlassen sich als paradox erlebte Eindrückevon Vertrautheit einer gegenwärtigen Erfah-rung charakterisieren, obgleich die Her-kunft dieser Erfahrung nicht klar zu be-stimmen ist. Eine neuartige Situation wirdso erlebt, als habe sie bereits früher stattge-funden, obwohl dies tatsächlich gar nichtmöglich ist (zum Beispiel weil man nievorher an diesem Ort war). Déjà-vu-Erleb-nisse können für Sekunden bis hin zu meh-reren Minuten anhalten und sind mit über70 Prozent in der Bevölkerung weit ver-breitet. Beim Déjà vu ist die Wahrnehmungan sich immer real, nur wird etwas Unbe-kanntes als vertraut interpretiert. Der/dieErlebende selbst empfindet es häufig alsunangemessen, da es doch eindeutigen Tat-sachen widerspricht (›Ich bin hier noch niezuvor gewesen‹). Des weiteren bleibt dereigentliche Inhalt des Erlebnisses ohnezeitlichen Bezug (›Ich weiß nicht, wann ichdas erlebt habe‹). In der Kulturgeschichtegalt das Déjà-vu für viele Menschen als einHinweis auf ein früheres Leben und unter-stützte die Hypothese einer Seelenwande-rung (Reinkarnation), wie sie in vielen Reli-gionen ihren Niederschlag fand.

Eine empirische Studie in Halle

Unter welchen Bedingungen treten Déjà-vu auf? Bisher gibt es zu diesem Themanur sehr wenige empirische Studien in derPsychologie. Deshalb wurde eine Studie an295 Studierenden der Universität Halle-Wittenberg (Durchschnittsalter 21.7 Jahre)sowie 217 SchülerInnen eines halleschenGymnasiums (Durchschnittsalter 14.9 Jah-re) durchgeführt. Verwendet wurde ein ausdem Niederländischen ins Deutsche über-tragener Fragebogen, der verschiedeneAspekte des Déjà-vu behandelt.

»DAS HABE ICH DOCH SCHON EINMAL GESEHEN ...«DÉJÀ-VU-ERFAHRUNGEN AUS PSYCHOLOGISCHER PERSPEKTIVE

Uwe Wolfradt

»Wir alle haben wohl schon das Gefühl kennen gelernt, das uns gelegentlich überkommt,als wäre etwas schon lange, lange vorher gesagt und getan worden, als hätten wir in alters-grauer Zeit dieselben Gesichter, Gegenstände und Verhältnisse erlebt und wüssten genau,was im nächsten Augenblick geschehen wird, – ebenfalls aus alter Erinnerung her«, sagtDavid Copperfield im gleichnamigen Roman von Charles Dickens. Das Erlebnis, dasCopperfield hier beschreibt, ist den meisten von uns als Déjà-vu-Erlebnis bekannt.

Die Ergebnisse zeigen, dass etwa 52 Pro-zent der Befragten eine Déjà-vu-Erfahrungvon wenigen Sekunden berichteten, 17,4Prozent nannten eine konzentrierte Tätig-keit, als das Déjà-vu auftrat. Der Großteilder Studierenden war vor dem Auftretendes Déjà-vu entspannt (45,8 Prozent) undheiter (31,6 Prozent) und nach dem Déjà-vu eher erstaunt (86,7 Prozent). Etwasüber 60 Prozent der Befragten hatten wäh-rend des Déjà-vu das Gefühl zu wissen,was gleich passieren wird, auch wenn sichnur bei 14,6 Prozent der Befragten das Er-lebnis genau so wiederholte. 69,3 Prozentkam das Déjà-vu-Erlebnis unwirklich vor.79,8 Prozent der Studierenden und Schüle-rInnen gaben als Erklärung für das Auftre-ten des Déjà-vu ›unbewusstes Erinnern ei-nes Ereignisses‹ an.Zwischen Studierenden und Gymnasias-tInnen gab es keinen signifikanten Unter-schied bezüglich der Häufigkeit des Erleb-nisses. Interessant war, dass zwischen der

Häufigkeit der Déjà-vu-Erfahrungen und der(Nacht)Traumerinnerungen eine positiveBeziehung bestand. Alter und Geschlechtder Befragten spielten für die Häufigkeitkeine Rolle.

Psychologische Erklärungsmodelle

Welche wissenschaftlichen Erklärungsmo-delle gibt es nun in der Psychologie, die unshelfen, das Phänomen des Déjà-vu besserzu verstehen?Schon die Psychoanalyse lieferte ein erstesErklärungsmodell und versuchte, Déjà-vuals einen psychologischen Abwehrmecha-nismus zu verstehen. So bezeichnete imJahre 1901 Sigmund Freud Déjà-vu-Erleb-nisse als perzeptive Urteile, die Ausdruckunbewusster Phantasien oder Wünsche sind(»Die Empfindung des ›déjà vu‹ entspricht,kurz gesagt, der Erinnerung an eine unbe-wusste Phantasie«). Die gegenwärtigeWahrnehmung reaktiviert die unbewusstenWünsche oder Phantasien, die in der Ver-gangenheit gebildet wurden, wenn sie in ir-gendeiner Form durch die momentane Situa-tion ausgelöst werden. Demgegenüberscheinen Erklärungsmodelle der Kognitions-und Gedächtnispsychologie besser geeignet

Zuständigkeitsbereiche verschiedener Hirnareale Quelle: Zeitschrift Gehirn & Geist

....................................................................................scientia halensis 4/2004

................................................................................

18

Institut für Psychologie

zu sein, die Déjà-vu-Erfahrung zu beleuch-ten. In der Kognitiven Psychologie wirdvermutet, dass zwei Ereignisse (ein Ort –etwa ein See – und was dort geschehen ist,zum Beispiel ein Picknick) gemeinsam imLangzeitgedächtnis abgespeichert werden,aber nur ein Ereignis (hier: der Ort) erinnertwird, ohne dass das dazugehörende Ereig-nis (hier: Picknick) abgerufen werden kann.Deswegen wird im Déjà-vu der Ort, derSee, als vertraut und zugleich unvertrautwahrgenommen, da die betreffende Personnicht weiß, was dort geschehen ist. Zweisonst synchrone kognitive Prozesse laufenfür einen kurzen Moment unkoordiniert ab.

Anfangswahrnehmung unter einer Ablen-kungsbedingung auf (zum Beispiel ›Ichsehe eine Person, obwohl ich mich geradebeim Autofahren auf den Stadtverkehr kon-zentrieren muss‹). Dieser Ablenkung folgtsofort eine zweite Wahrnehmung – jetztbei voller Aufmerksamkeit (zum Beispiel›Ich stehe an der Ampel und sehe die Per-son noch einmal‹). Nun kommt einem diePerson plötzlich bekannt vor, obwohl manglaubt, sie noch nie gesehen zu haben. Die-se Erklärung betont die Bedeutung einesmomentan gestörten Zeitgefühls und einerunbewussten Wahrnehmung für das Déjà-vu-Erlebnis.

Neurobiologische Erklärungsmodelle

Aber auch neurobiologische Erklärungenwerden für Déjà-vu-Erfahrungen angenom-men. Hiernach ermöglicht eine fehlerhafteAktivität des Wiedererkennungs-Gedächt-nis-Systems, die aus dem parahippocam-palen Gyrus und seinen Verbindungen zumNeokortex bestehen, das Auftreten vonDéjà-vu (s. Abb. S. 17). Während derHippocampus zuständig für die bewussteErinnerung von Kontextelementen ist (einOrt wird wie eine Navigationsplan reprä-sentiert) und so eine zeitliche und räumli-che Dimension einer Erfahrung erzeugtwird, unterscheidet der parahippocampaleGyrus zwischen vertrauten und unvertrau-ten Reizen (Bekanntheitsurteile – ein Ortwird wie ein Foto einer Szene repräsen-tiert). Bei der Déjà-vu-Erfahrung passiertnun folgendes: Eine fehlerhafte Aktivierungführt zu einer Trennung (Diskonnektion)der Verbindung zwischen Parahippocam-pus und Hippocampus – so dass eine mo-

mentan wahrgenommene Szene als vertrautempfunden wird (Parahippocampus), ob-gleich die Szene nicht eindeutig lokal zuzu-ordnen ist (Hippocampus).Eine weitere neurobiologische Erklärungführt eine Verzögerung der neuronalenImpulsübertragung vom Auge in die beidenGehirnhemisphären an. Im visuellen Sys-tem werden sensorische Informationenüber verschiedene Bahnen zwischen Augeund Gehirnhemisphären gelenkt. Die ein-treffende Information gelangt nun verzö-gert über eine Bahn in den Kortex. Mini-male Unterschiede im Eintreffen der Infor-mation werden vom Kortex zu einer Infor-mation integriert. Wird der zeitliche Unter-schied nun zwischen dem Eintreffen derInformation zwischen der primären und se-kundären Bahn größer, wird die zweite ver-zögerte Information als eigene Wahrneh-mungserfahrung aufgefasst. Die Entfrem-dung entsteht dann, wenn sie mit der ers-ten Information verglichen wird, die dieserja vollkommen gleicht.Das Déjà-vu-Erlebnis zählt zu den häu-figsten subjektiven Phänomenen und lässtBetroffene für den Bruchteil eines Augen-blicks an der Wirklichkeit zweifeln.Die Erforschung des Déjà-vu kann viel-leicht bei der Klärung der Fragen helfen,weshalb immer wieder Gedächtnistäu-schungen entstehen und welche psycholo-gischen und neurobiologischen Mechanis-men dennoch eine konstante Realitätaufrechterhalten.

Der Verfasser, Jahrgang 1961, studierte

1981–1989 in Bonn und Freiburg Psycho-

logie und Ethnologie, lehrte und forschte

dann an den Universitäten Osnabrück und

Jena (Promotion 1996, Habilitation 2001).

Seit 1996 ist er wissenschaftlicher Assis-

tent, seit 2002 Oberassistent am Institut für

Psychologie der Martin-Luther-Universität

und forscht über klinische und interkultu-

relle Aspekte der Persönlichkeit.

Eine weitere Erklärung rückt die Aktivie-rung des impliziten Gedächtnisses in denVordergrund: So entsteht ein Déjà-vu,wenn einige Aspekte einer Situation objek-tiv vertraut sind (wie ein alter Schrank aufeinem Trödelmarkt), die Quelle für dieseVertrautheit aber vergessen wurde (viel-leicht stand ein ähnlicher Schrank bei denGroßeltern). Die Gedächtniserklärung hebtnun hervor, dass eine Person oder ein Er-eignis als vertraut erlebt wird, weil diese(s)früher bereits in anderem Kontext unbe-wusst wahrgenommen wurde (Priming).Ein Vertrautheitsgefühl für ein Ereigniskann durch einen Geruch ausgelöst werden.Dieses Ereignis ist tatsächlich fremd (es istnoch nie zuvor passiert), doch der Geruchentstammt einer anderen, früher erlebtenSituation, an die man sich aber im Momentnicht mehr erinnern kann.Eine andere Erklärung macht Aufmerksam-keitsprozesse für eine Déjà-vu-Erfahrungverantwortlich. In einer Situation tritt eine

Diese Berge, diese Burg, das habe ich doch schon einmal gesehen ...? Quelle: privat

Welches Auge bildet die aktuelle Realität und welchesdie Erinnerung ab? Quelle: privat

ANZEIGE

..............................................................................scientia halensis 4/2004

...............................................................................

19

Die Lebenserwartung des Menschennimmt stetig zu. Betrachtet man allein diejeweils höchsten Lebenserwartungen inverschiedenen Ländern, so wächst dieLebensspanne des Menschen jedes Jahrum rund 3 Monate. Der Anstieg der Le-benserwartung betrifft dabei nicht nur dieheute Neugeborenen, sondern auch jene,die bereits ein fortgeschrittenes Alter er-reicht haben. Gleichwohl bestehen Varia-tionen und Schwankungen, die den Einflusskulturell bedingter Lebensumstände auf dasAltern belegen.Eine eindrucksvolle Illustration liefern Be-funde aus der Arbeitsgruppe von JamesVaupel am Max-Planck-Institut für demo-grafische Forschung in Rostock. Innerhalbvon 15 Jahren hat sich die zuvor noch um10 Jahre geringere durchschnittliche Le-benserwartung der DDR-Bevölkerung fastvollständig an die Westdeutschlands ange-glichen. Ein solcher Befund verdeutlichtnicht nur die ungeheure Wirkungskraft derKultur in der Entwicklung des Menschen.Er verweist ebenso auf individuelle Hand-lungs- und Gestaltungsräume des Einzelnen:Verlauf, Richtung und Qualität des Alternssind so (auch) ein Ergebnis der Gestaltungdes eigenen Lebenslaufs.Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich dieentwicklungs- und gerontopsychologischeForschung am halleschen Institut für Psy-

ALTERN ALS HERAUSFORDERUNG UND CHANCE:FORSCHUNGSBEITRÄGE ZUR GESTALTUNG DES EIGENEN LEBENSLAUFS

Frieder R. Lang und Franziska S. Reschke

Ältere Menschen sind meist kaum weniger zufrieden mit ihrer Lebenssituation als jüngereMenschen, obgleich sie häufiger Verluste und Einbußen erfahren. Eine zentrale Frage derForschung zielt auf die Strategien, die zur Stabilisierung der Persönlichkeit beitragen unddie Anpassungsfähigkeit im höheren Alter verbessern. Dies umfasst Strategien der Verän-derung und Gestaltung der (Beziehungs-)Umwelt sowie motivationale und protektive Stra-tegien im Umgang mit den vielen Kränkungen, die das Alter oft mit sich bringt. Die inter-disziplinäre Forschungsausrichtung unserer Abteilung beschäftigt sich mit den spezifi-schen Prozessen und Mechanismen, die zur Entwicklung handlungsbezogenen Strategien-wissens im Lebenslauf und im Alter beitragen.

Institut für Psychologie

Grafisch veränderte Chromo-Lithografie der Firma May (Dresden) um 1900 (Museum fürdeutsche Volkskunde Berlin). Die Adjustierung der Altersangaben der Treppenstufen erfolgtenach Maßgabe der durchschnittlichen und der maximalen Lebenserwartung im Jahr 2004.(Im Original ist das Alter auf der höchsten Stufe mit 50 dargestellt.)

chologie mit der Frage, welche Bedingun-gen das individuelle Handlungs- und An-passungspotenzial im Lebenslauf schützenund verbessern. Im Vordergrund steht dabeidas Zusammenspiel von Person- und Um-welt-(bzw. Kultur-)faktoren im Alterns-prozess.

Der Lebenslaufals Gegenstand individuellen Handelns

Entwicklungshandlungen des Individuumsberuhen auf Prozessen der Zielsetzung,Zielbewertung und Zielerreichung, mitdenen das reflexive Subjekt zwischen Um-weltgelegenheiten auswählt. Die Reflexivi-

tät des Handelnden bezieht sich auf einevon den Dingen abgelöste Kenntnis dergenerellen Veränderbarkeit der eigenen Um-welt und der eigenen Handlungsmöglich-keiten. Dieses Wissen über den Gegenstanddes Lebenslaufs wird schrittweise aufge-baut und ist selbst ein Thema der For-schung. Gemeinsam mit Germanisten,Medienwissenschaftlern und Japanologender Martin-Luther-Universität werden zurZeit unter anderem die Bedingungen der mitdiesen Alternsvorstellungen verbundenen»Rituale des Alterns« untersucht.

Der Lebenslauf in Literatur und Kunst

Darstellungen des Lebenslaufs in Literatur,Kunst und Medien veranschaulichen kultu-rell überliefertes Wissens von Alternsver-läufen und Lebensübergängen. Meist folgendiese Darstellungen einem einfachen Prin-zip, in dem auf Aufstieg und Höhepunktein Abfall der körperlichen, geistigen und

....................................................................................scientia halensis 4/2004

................................................................................

20 sozialen Potenziale des Menschen folgt.Im 19. wie im 20. Jahrhundert finden wirdies in allegorischen Lebenstreppen wieder(vgl. Abb. S. 19). Im Original der Litho-grafie aus dem Jahr 1900 wird der Lebens-lauf in 9 Stufen vom 10. bis zum 90. Le-bensjahr eingeteilt, wobei der Höhepunktim Alter von 50 Jahren dargestellt ist. Zujener Zeit lag die durchschnittliche Lebens-erwartung noch bei etwa 50 Jahren. Damitwurde der Lebenshöhepunkt einem Alterzugeordnet, das damals kaum ein Drittelder Menschen erreichte.In der hier abgebildeten Darstellung wur-den die Altersangaben des Originals an dieheutige Lebenserwartung von Männern(durchschnittlich 76 Jahre) angepasst, umzu verdeutlichen, wie das Bild um das Jahr1900 auf Betrachter gewirkt haben muss.Solche Allegorien des Lebenslaufs veran-schaulichen zweierlei:Erstens enthalten sie normative Informa-tionen über zu erwartende Gewinne undVerluste im Lebenslauf; zugleich sind diesNormen des Umgangs mit der eigenen nochverbleibenden Lebenszeit. Die Untersu-chungen belegen, dass die subjektive zeit-liche Zukunftsperspektive einen starkenEinfluss auf Ziele, Beziehungs- und Le-bensgestaltung haben.Zweitens vermittelt das überlieferte Ent-wicklungswissen einen Bewertungsmaß-stab, an dem die eigene Alternserfahrunggemessen und geordnet wird. Entwick-lungswissen fungiert dabei als Leitbild dereigenen Lebensgestaltung.

Anpassungsstrategien im Alter

Berücksichtigt man die eingeschränktenHandlungsgelegenheiten und die möglichenLeistungsverluste in der zweiten Lebens-hälfte, dürfte man erwarten, dass das Altereine Phase der Destabilisierung, des Un-wohlseins und der Depressivität mit sichbringen müsste. Die empirische Befundlagesieht anders aus. Ältere Menschen sind imAllgemeinen nicht weniger zufrieden, nichteinsamer und in ihrer Persönlichkeit undemotionalen Kompetenz oft sogar stabilerals jüngere Menschen. Trotz der Belege fürvielfältige Verluste zeigt sich eine hohe Sta-bilität und Kontinuität der Befindlichkeitund der Selbstbewertung im Alter. Aller-dings ist bislang nicht geklärt, in welcherWeise Menschen ihre selbst- und umwelt-bezogenen Handlungsstrategien im Laufedes Lebens an die sich verändernden

Lebensumstände anpassen. Eine Annahmebesagt, dass ein Leitmotiv menschlichenEntwicklungshandelns in der Sicherung undVerbesserung eigener Gestaltungsmöglich-keiten in der Zukunft liegt.So ist es Menschen möglich, sich durch ko-gnitive Umdeutungen ihrer Ziele und Stan-dards unter widrigsten Umständen noch alshandlungsfähig zu erleben und dabei Ver-lusterfahrungen auszugleichen. Bedeutsamsind hier gleichermaßen selbstregulativeHandlungsstrategien wie Strategien der Ge-staltung der (Wohn- und Beziehungs-)Um-welt. Zu diesem Thema forscht die Abtei-lung Entwicklungspsychologie gemeinsammit einer Arbeitsgruppe von Prof. Hans-Werner Wahl vom Deutschen Zentrum fürAlternsforschung in Heidelberg.

»Richtige« Einschätzungen eigenerGestaltungsmöglichkeiten im Alter

In der entwicklungspsychologischen For-schung wird auch der Frage nachgegangen,inwieweit eine hohe Lebensqualität im Al-ter davon abhängt, ob eigene Handlungspo-tenziale adäquat eingeschätzt und genutztwerden. Hinweise liefern Befunde einerStudie, in der 42 Personen im Alter zwi-schen 70 und 90 Jahren 6 Monate lang zuihren alltäglichen Ereignissen, Wohlbefin-den und Kompetenzerleben befragt wurden.Glaubten die Befragten auf ihre eigene Zu-kunft selbst Einfluss nehmen zu können,dann nahm ihr Wohlbefinden über 6 Mona-te zu, wenn sie in dieser Zeit positive Er-eignisse erlebten. Blieben dagegen die posi-tiven Alltagsereignisse aus, hatte dies dra-matische Folgen für die weitere Lebensqua-lität (s. Abb. oben):Wer glaubte, Einfluss auf die eigene Zu-kunft zu haben, ohne dass sich dies im all-täglichen Leben bestätigte, der riskierte ei-nen Einbruch des Wohlbefindens.

Wer hingegen seine zukünftigen Kontroll-möglichkeiten gering bzw. realistisch ein-schätzte, der profitierte kaum von positi-ven Ereignissen, erlebte aber auch keineEinbußen, wenn der Alltag ereignisarmblieb.Eine wichtige Rolle spielt hierbei der Ein-satz von kompensatorischen Handlungs-strategien im Umgang mit Belastungen.So konnten diejenigen, die über ein Wissenvon Kompensationsstrategien verfügten,ihre subjektive Lebensqualität sogar ange-sichts belastender Alltagsereignisse verbes-sern.Wer also die eigenen Chancen auf angeneh-me Ereignisse im Alter realistisch ein-schätzt und negative Erfahrungen kompen-sativ bewältigt, kann auch im sehr hohenAlter eine spürbare Verbesserung der eige-nen Lebensqualität erreichen. Sich nicht zuverschlechtern, sich gleichbleibend wohl zufühlen, erscheint vor diesem Hintergrundals eine weitere Leistung des Alters.

Prof. Dr. Frieder R. Lang, Jg. 1962, stu-

dierte an der TU Berlin Psychologie und

wurde 1993 am Max-Planck-Institut für

Bildungsforschung und an der Freien Uni-

versität Berlin promoviert. Er habilitierte

sich 2001 an der Humboldt-Universität zu

Berlin im Fach Psychologie.

Seit 2002 leitet er den Arbeitsbereich Ent-

wicklungspsychologie, Institut für Psycho-

logie am Fachbereich Geschichte, Philoso-

phie und Sozialwissenschaften der Martin-

Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Dipl.-Psych. Franziska S. Reschke, Jg.

1977, studierte 1996–2003 Psychologie an

der Universität Leipzig und ist seit 2003

wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dokto-

randin im Arbeitsbereich Entwicklungs-

psychologie am o. g. Institut der Martin-

Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Institut für Psychologie

Eine unangemessene Vorstellung des eigenen Einflusses auf zukünftige Ereignisse (Kontroll-erleben) geht mit Einbußen des Wohlbefindens bei älteren Menschen einher.(Quelle: Lang, F. R. & Heckhausen, J. (2001). Perceived control over development andsubjective well-being: Differential benefits across adulthood. Journal of Personality and SocialPsychology, 81, S. 509–523).

..............................................................................scientia halensis 4/2004

...............................................................................

21

Was genau im Gehirn geschieht, das gehörtzu den interessantesten (und komplizier-testen) Forschungsfragen der Neuro- undKognitionswissenschaften und ist schonlange nur mehr als interdisziplinäre Unter-nehmung möglich: Neurologen und Physio-logen erforschen die Anatomie und Neuro-physiologie der beteiligten Areale des Ge-hirns auf der Ebene von einzelnen Nerven-zellen und Zellverbänden (die »Hardware«des Wahrnehmungssystems).Psychologen befassen sich mit Beschrei-bung und Modellierung der »Software«,erfassen die Wahrnehmungsleistung auf derEbene unserer bewussten (und gelegentlichauch unbewussten) Empfindungen und for-mulieren deren Gesetzmäßigkeiten. Infor-matiker versuchen, diese Wahrnehmungs-leistungen auf Rechnern nachzubauen undzu implementieren. Alle Forschergruppenverwenden mathematische (und ingenieur-wissenschaftliche) Modelle und benötigengelegentlich Physiker zur Charakterisierungder Reizeigenschaften.

Scheinbewegung und Daumenkino

Ein besonders schönes Beispiel für wahr-nehmungspsychologische Fragestellungenist die Psychologie der Bewegungswahr-nehmung – einem der Forschungsschwer-punkte am Institut für Psychologie in Halle.Den grundlegenden Trick kennt jedes Kind:Aus einfachen Zeichnungen lassen sich miteinem Daumenkino lustige Bewegungsein-drücke herstellen. Auf diesem Phänomender sogenannten Scheinbewegung (derensystematische Untersuchung durch MaxWertheimer 1915 zu den wichtigstenGrundlagen der einflussreichen Gestalt-psychologie gehört) beruht bis heute jedeDarstellung von Bewegung in Filmen undim Fernsehen:

WIE DIE BILDER LAUFEN LERNTEN ...KOGNITIVE PROZESSE BEI DER BEWEGUNGSWAHRNEHMUNG

Josef Lukas und Michael Hanke

Wahrnehmungspsychologen haben es meistens besonders schwer, wenn sie ihren For-schungsgegenstand erläutern sollen. Sehen, hören, tasten, riechen – das funktioniert imAlltag so mühelos und selbstverständlich, dass uns nicht bewusst wird, wie kompliziertdieser Vorgang tatsächlich ist.Häufig begegnet man der naiven Vorstellung, dass »Sehen« nichts weiter sei als eine opti-sche Abbildung der Wirklichkeit in unser Bewusstsein und dass für diese Abbildung dasAuge zuständig sei. In der Tat spielt das Auge eine wichtige Rolle: Die auf die Netzhaut(Retina) treffenden Lichtstrahlen erzeugen ein (zweidimensionales) Abbild der (dreidimen-sionalen) »Realität«, der optische Apparat des Auges sorgt dafür, dass dieses Bild – ähn-lich wie bei einer Kamera – einigermaßen scharf ist. In der Netzhaut wird das Licht inneuronale Aktivität umgewandelt.Die eigentliche Wahrnehmung aber, also die Identifikation von Objekten, das Erkennen vonBuchstaben, Personen oder Gegenständen, kurz: die Verarbeitung der neuronalen Aktivität,findet nicht im Auge statt, sondern im Gehirn.

Unter bestimmten Bedingungen sehen wirbei einer Abfolge von statischen Bilderneine kontinuierliche Bewegung. Wir sehen

eine Bewegung, obwohl in den Reizen kei-ne reale Bewegung stattfindet – der Bewe-gungseindruck wird aktiv von unseremWahrnehmungssystem erzeugt.Für diese aktive Konstruktion von Bewe-gungsempfindungen gibt es viele weitereBelege: Wenn wir auf einen einzelnenschwachen Lichtpunkt im Dunkeln star-ren, dann scheint sich der Lichtpunkt nachkurzer Zeit unweigerlich zu bewegen, ob-wohl er starr und fest montiert ist (IngmarBergman hat diesem »autokinetischen Phä-nomen« in seinem Film »Szenen einer Ehe«ein schönes Denkmal gesetzt). Gut be-kannt ist auch das Phänomen der Bewe-gungsnachbilder: Nach längerer Betrach-tung einer gleichförmigen Bewegung (etwaeines Wasserfalls oder einer Rotationsbe-wegung) sehen wir bei einem plötzlich sta-tischen Bild eine deutliche Bewegung in derumgekehrten Richtung. Mit bestimmtenMustern ist ebenfalls – ohne eine entspre-chende physikalische Ortsveränderung –eine verblüffend klare Bewegungswahrneh-mung herstellbar (s. Abb. rechts oben).

Experimentelle Psychologie

Schon diese wenigen Beispiele deuten an,dass der Eindruck einer »Bewegung« aufsehr unterschiedlichen Wegen entstehenkann. Derzeit sind mindestens drei ver-schiedene Komponenten des Bewegungs-wahrnehmungssystems bekannt, die aufunterschiedlichen physikalische Reizeigen-schaften operieren und einen Großteil derbisher vorliegenden experimental-psycho-logischen Phänomene und Ergebnisse erklä-ren können. Zu den vielen noch offenenFragen gehört die Wahrnehmung von

Tiefen-Bewegungen im dreidimensionalenRaum. So ist noch weitgehend ungeklärt,ob die beiden (monokularen) Bewegungs-signale des rechten und linken Auges imGehirn zu einem räumlichen Bewegungs-signal integriert werden – oder ob bei gese-hener Bewegung im Raum die zeitlicheÄnderung der Disparität (der statischenUnterschiede im Netzhautbild des linkenund rechten Auges bei räumlichen Objek-ten) ausgewertet wird (s. Abb. nächste Seiteoben).

Zur experimentellen Untersuchung dieserFragestellung verwenden wir dynamischeReizmuster (sog. Zufallspunkt-Kinemato-gramme), die im Wahrnehmungslabor ste-reoskopisch dargeboten werden (s. Abb.nächste Seite unten).Ein Stereoskop dient üblicherweise dazu,einen plastischen räumlichen Eindruck da-durch herzustellen, dass dem rechten undlinken Auge unterschiedliche Bilder darge-boten werden (die der jeweils unterschied-lichen Perspektive der beiden Augen ent-sprechen).In unseren Untersuchungen werden Zu-fallspunkte dargeboten, die räumlich oderzeitlich nach unterschiedlichen Regeln kor-relieren. Auf diese Weise kann exakt kon-trolliert werden, welche Information je-weils dem rechten und linken Auge zur

Fixieren Sie das Kreuz in der Bildmitte und bewegen Siesich auf die Abbildung zu oder von ihr weg. Die beidenkonzentrischen Anordnungen der Symbole scheinensich in gegenläufiger Richtung zu drehen.(aus: Akiyoshi Kitaoka: Trick eyes, Tokyo, KANZEN2002 mit freundlicher Genehmigung des Autors)

Institut für Psychologie

....................................................................................scientia halensis 4/2004

................................................................................

22

Institut für Psychologie

Verfügung gestellt wird und welche dyna-mischen Eigenschaften die Reize aufwei-sen. Entscheidend ist, dass mit dieser Ver-suchsanordnung Reize hergestellt werdenkönnen, die unter natürlichen Beobach-tungsbedingungen niemals vorkommen. Beijeder (realen) Bewegung im Raum verän-dert sich immer beides, die Disparität desbewegten Objektes und das Verhältnis derBewegungssignale im rechten und linkenAuge. Bei stereoskopisch dargebotenenZufallspunkt-Kinematogrammen kann mandagegen diese beiden Variablen unabhängigvoneinander variieren und dadurch ihrenEinfluss auf die Bewegungswahrnehmungstudieren.Die bisherigen Ergebnisse deuten daraufhin, dass nur die zeitliche Änderung derDisparität von Objekten bei der Wahrneh-mung von Tiefenbewegungen eine Rollespielt. Zusätzliche Geschwindigkeitsdiffe-renzen in den monokularen Bewegungs-signalen führen dagegen nicht zu einerErhöhung der Diskriminationsleistung imWahrnehmungsexperiment.

Forschung für die Praxis

Warum will man das eigentlich so genauwissen? Von der (legitimen) Forscherneu-gier einmal abgesehen: Kann man diesesWissen auch anwenden? Ja, natürlich. Hiernur drei kurze Hinweise dazu:(1) Die Ergebnisse der Wahrnehmungspsy-chologie haben erst die Voraussetzung fürdie Herstellung der Illusion von Farbe,Raum und Bewegung in den Medien ge-

schaffen. Die Nachbildung der Wirklichkeitim Kino, im Fernsehen, in Computerspie-len (in perfektionierter Form in sog. virtu-ellen Realitäten) ist eine Illusion, die aufden spezifischen Eigenschaften desmenschlichen Wahrnehmungssystems be-ruht. Auf der Leinwand findet keine konti-nuierliche Bewegung im physikalischenSinn statt, sondern eine serielle Abfolgestatischer Bilder. Die spektrale Zusammen-setzung des Lichtes, das von der Leinwandreflektiert oder vom Bildschirm ausge-strahlt wird, hat so gut wie nichts zu tunmit dem Spektrum des Lichtes der entspre-chenden Szene in der Realität. Und vonräumlicher Tiefe kann bei einer zweidimen-sionalen Leinwand oder einem Computer-bildschirm ganz sicher nicht die Rede sein.Trotzdem sehen wir Bewegungen, die vonrealen Bewegungen nicht zu unterscheidensind, sehen Farben, die dem Farbeindruckder Realität ziemlich nahe kommen, sehenräumliche Tiefe und Bewegung (wenn ge-nügend wahrnehmungsrelevante Tiefen-signale in den Bildern enthalten sind).Worin diese Tiefensignale genau bestehenund welche Effekte sie hervorrufen, daseben ist Ergebnis psychologischer Wahr-nehmungsforschung.(2) Kenntnisse der Funktionsweise desWahrnehmungssystems werden zuneh-mend angewandt in der Künstlichen Intel-ligenz (KI), in der es umgekehrt darumgeht, menschliche Wahrnehmungsleistun-gen auf Rechnern und Robotern nachzu-

Mögliche Kanäle der Verarbeitung von Bewegungsinformationen bei der Wahrnehmung vonTiefenbewegungen im Raum.

Grafiken (2): Josef Lukas und Michael Hanke

Schematische Darstellung einer stereoskopi-schen Reizdarbietung. Das linke Auge (L)sieht nur den linken Monitor, das rechteAuge (R) nur den rechten.Die virtuellen Bilder beider Monitore liegengenau in der Mitte, so dass die Konvergenzder Blickachsen den natürlichen Beobach-tungsbedingungen entspricht.

bauen (zum Beispiel Lesen, Spracherken-nung, Objekterkennung, Bewegungsdetek-tion).(3) Die Erforschung der Funktionsweiseunseres Gehirns ist vielleicht auf keinemGebiet weiter vorangeschritten als im Be-reich der Wahrnehmung. Gerade die Bewe-gungswahrnehmung wird häufig als das»Flaggschiff« der Hirnforschung sowohl inder Neurowissenschaft als auch in der Ko-gnitionspsychologie bezeichnet. Die Me-thoden und Ergebnisse in diesem Bereichkönnten deshalb für viele Fragestellungender Hirnforschung wegweisend sein, in de-nen die Begriffsbildung und die Theorien-bildung noch schwieriger und komplexersind (so im Bereich der Emotionen, desDenkens, des Bewusstseins usw.) und diedeshalb noch sehr viel weniger weitentwickelt sind.

Josef Lukas, Jg. 1951, studierte in Regens-

burg Psychologie und Mathematik und

wurde dort 1981 zum Dr. phil. promoviert.

1987–94 war er wissenschaftlicher Assis-

tent bzw. Hochschuldozent am Psychologi-

schen Institut der Universität Heidelberg.

In seiner Habilitation (1992) behandelte er

die Psychophysik der Raumwahrnehmung.

1994 wurde er als Gründungsprofessor

für Allgemeine Psychologie an das neu ge-

gründete Institut für Psychologie der Mar-

tin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

berufen und ist derzeit geschäftsführender

Direktor des Instituts.

Michael Hanke, Jg. 1978, studierte 1999–

2003 in Halle Psychologie und Informatik.

Seit dem Abschluss der Diplomprüfung in

Psychologie 2003 ist er wissenschaftlicher

Mitarbeiter am Institut für Psychologie und

arbeitet an einer Dissertation zur räumli-

chen Bewegungswahrnehmung.

..............................................................................scientia halensis 4/2004

...............................................................................

23

Institut für Psychologie

Geld ist nicht alles ...

Zwar gibt es eine substanzielle Korrelationzwischen dem Reichtum von Nationen undder Lebenszufriedenheit ihrer Bewohner.Diese geht jedoch allein auf Einkommens-und Zufriedenheitsunterschiede zwischenärmeren Ländern (etwa Tansania und Bra-silien) zurück, während sich im Vergleichzwischen westlichen Industrieländern kei-ne systematischen Zusammenhänge zwi-schen pro-Kopf-Einkommen und Wohlbe-finden zeigen. Auch erwies sich die mittlereLebenszufriedenheit der US-Amerikanerüber Jahrzehnte hinweg als konstant trotzeiner dramatischen Steigerung ihrer preis-bereinigten Einkommen. Die Befriedigungmaterieller Basisbedürfnisse ist also einenotwendige Voraussetzung von Lebens-zufriedenheit; ein darüber hinausgehenderWohlstand steigert jedoch das Wohlbefin-den offenbar nicht maßgeblich.

Und wie steht es mit der Schönheit?

Auch die Effekte anderer externer Faktorenauf das Wohlbefinden erwiesen sich als ge-ring: So sind zwar physisch attraktiveMenschen zufriedener als weniger attrakti-ve; die Korrelation beträgt aber lediglich0,20; und sie reduziert sich weiter, wennAccessoires, welche die Attraktivität be-einflussen (Frisur, Schmuck, Kleidung)verdeckt werden. Offenbar führt also nichtnur Schönheit zu mehr Glück; vielmehr tunzufriedene Menschen auch mehr für ihrÄußeres. Ähnliche Wechselwirkungendürften auch für den Zusammenhang zwi-schen Familienstand und Wohlbefinden gel-ten: Verheiratete sind als Gruppe glückli-cher als Ledige und diese wiederum glückli-cher als Geschiedene. Dabei mag einerseitsder Familienstand die Zufriedenheit undandererseits die Zufriedenheit Zustande-kommen und Bestand von Partnerschaftenbeeinflussen.Eine psychologische Erklärung für geringeZusammenhänge zwischen Wohlbefindenund verfügbaren Ressourcen könnte sein,

DER BLICK DURCH DIE ROSAROTE BRILLE

SUBJEKTIVES WOHLBEFINDEN UND INFORMATIONSVERARBEITUNG

Peter Borkenau, Nadine Mauer und Anja Friedel

Bereits die antiken Philosophen beschäftigte das Problem des richtigen Weges zum Glück,und seit dem 20. Jahrhundert widmen sich die empirischen Sozialwissenschaften dieserProblematik: Insbesondere Soziologen und Wirtschaftswissenschaftler führten repräsenta-tive Umfragen durch, in denen Fragen zu soziostrukturellen Faktoren (zum Beispiel nachBerufstätigkeit, Einkommen und Familienstand) gemeinsam mit Fragen nach der Lebens-zufriedenheit vorgelegt wurden. Dabei erwiesen sich die gefundenen Zusammenhänge(Korrelationen) der soziostrukturellen Faktoren mit der Lebenszufriedenheit als unerwar-tet niedrig.

Auf der Basis dieser Befundlage wurde –gefördert durch zwei Sachbeihilfen derDeutschen Forschungsgemeinschaft – eini-gen Fragen zum Verhältnis von subjektivemWohlbefinden und der Verarbeitung ange-nehmer und unangenehmer Informationennachgegangen:

dass mit deren Zunahme auch die Ansprü-che wachsen. Dies wird als das Modell derhedonischen Tretmühle bezeichnet: Mögensich Menschen auch noch so sehr abstram-peln, um ihre Situation zu verbessern – dieEffekte solcher Bemühungen auf das Wohl-befinden werden durch steigende Ansprü-che vollständig kompensiert. Zwar spre-chen die Daten keineswegs uneingeschränktfür dieses Modell; es gibt jedoch zahlreicheBelege, dass sowohl positive (wie Ehe-schließung ) als auch negative Lebensereig-nisse (Verwitwung) das Wohlbefinden nurkurzfristig stark verändern. Danach pendeltes sich wieder auf ein von Person zu Per-son unterschiedliches Ausgangsniveau ein.

Oder ist es die rosarote Brille?

Wie kommt es zu diesen individuellen Un-terschieden? Zur Klärung dieser persön-lichkeitspsychologischen Frage ist es hilf-reich, zunächst einige Merkmale individu-eller Unterschiede im Wohlbefinden festzu-halten.• Sie sind über Jahrzehnte hinweg relativstabil.• Sie sind wenig situationsgebunden: Per-sonen, die für Arbeitssituationen mehr Zu-friedenheit berichten, tun dies auch fürFreizeitsituationen, soweit man jeweilsviele Situationen beider Art einbezieht.• Die Lebenszufriedenheit eineiiger Zwil-linge ist ähnlicher als die zweieiiger Zwil-linge, was auf genetische Einflüsse hinweist.

• Beachten zufriedene Personen angenehmeInformationen mehr und unangenehme In-formationen weniger als unzufriedene?• Erinnern zufriedene Personen angenehmeInformationen besser und unangenehmeInformationen schlechter?• Verarbeiten zufriedene Personen ange-nehme Informationen leichter und unange-nehme Informationen weniger leicht?• Schätzen zufriedene Personen die Wahr-

scheinlichkeiten positiver und negativerEreignisse in ihrem Leben systematischanders ein?

Ein Test zur Aufmerksamkeit ...

Die Aufmerksamkeit für angenehme undunangenehme Informationen wurden mit-tels eines emotionalen Stroop-Tests ge-prüft. Dabei werden zwei Arten von Infor-mationen präsentiert, aber nur auf eine da-von ist zu reagieren. Die Latenzzeit bis zurinstruktionsgemäßen Reaktion dient als In-dikator, in welchem Ausmaß die Probandendurch die andere – für die instruktionsge-mäße Bearbeitung irrelevante – Informationabgelenkt wurden.In einem einschlägigen Experiment wurdenper Computer freundliche und unfreundli-che Gesichter in von Bild zu Bild wech-selnden farbigen Rahmen präsentiert. Ab-bildung 1 (oben) zeigt zwei Beispielbilder.Die Probanden sollten die Rahmenfarbedurch Drücken einer vorab definierten Tas-te auf der Tastatur des Computers angeben.

Abbildung 1: Bildmaterial für den emotionalen Stroop-Test Quelle: Archiv des Instituts für Psychologie

....................................................................................scientia halensis 4/2004

................................................................................

24

Institut für Psychologie

Erwartet wurde, dass die Aufmerksamkeitzufriedener Personen weniger durch un-freundliche Gesichter in Anspruch genom-men würde, und dass sie deshalb wenigerZeit benötigten, die Farbe des Rahmens umBilder mit unfreundlichen Gesichtern zubenennen. Für unzufriedene Personen soll-te das Gegenteil gelten. Diese Hypothesenließen sich überwiegend bestätigen:Habituelle Zufriedenheit geht offenbar miteiner verminderten nicht intendierten Be-achtung unangenehmer Gesichter einher.

... und einer zum Optimismus

In einer anderen Serie von Studien ließenwir zufriedene und unzufriedene Personendie Wahrscheinlichkeiten positiver (bei-spielsweise eine interessante Arbeit finden)und negativer (arbeitslos werden) Ereignis-se einschätzen – zum einen für sich per-sönlich, zum anderen für Personen ihresAlters, Geschlechts und Bildungsstandesallgemein.Dabei zeigte sich bei der Mehrheit unsererProbanden ein sogenannter optimistischerBias (systematischer Fehler): Sie schätztendie Wahrscheinlichkeit positiver Lebens-ereignisse für sich selbst als höher und dieWahrscheinlichkeit negativer Lebensereig-nisse für sich selbst als niedriger ein als fürandere Personen.Abbildung 2 (oben rechts) berichtet dieMittelwerte über alle Versuchsteilnehmer.

Positive Affektivität ging mit erhöhtenWahrscheinlichkeitserwartungen für positi-ve Ereignisse im eigenen Leben einher, ne-gative Affektivität hingegen mit erhöhtenWahrscheinlichkeitserwartungen für negati-ve Ereignisse. Zusammenhänge mit denRisikoeinschätzungen im Leben andererPersonen waren dem gegenüber nurschwach ausgeprägt. Zufriedene Personenerwarten mithin vor allem für sich selbstmehr Gutes und weniger Schlechtes vomLeben, weniger für Menschen allgemein.

Peter Borkenau, Jahrgang 1949, wurde

1982 in Heidelberg promoviert und habili-

tierte sich 1987 in Bielefeld. Seit 1995 ist er

Professor für Differentielle Psychologie

und Psychologische Diagnostik am Institut

für Psychologie der Martin-Luther-Univer-

sität Halle-Wittenberg. Von 1996–2000 war

er Herausgeber des European Journal of

Personality und ist zur Zeit Mitglied des

Board of Directors der International Socie-

ty for the Study of Individual Differences.

Anja Friedel, Jahrgang 1972, studierte

Psychologie an der Martin-Luther-Univer-

sität. Sie erwarb ihr Diplom im Jahre 2001

und ist seitdem wissenschaftliche Mitarbei-

terin in der Abteilung für Differentielle Psy-

chologie und Psychologische Diagnostik

des Instituts für Psychologie.

Nadine Mauer, Jahrgang 1977, studierte

Psychologie an der Martin-Luther-Univer-

sität. Sie erwarb ihr Diplom im Jahre 2001

und ist seitdem wissenschaftliche Mitarbei-

terin in der genannten Abteilung.

Abbildung 2: Wahrscheinlichkeitsangaben für sich selbst und für andere Personen Quelle: Archiv des Instituts für Psychologie

Keine Regel ohne Ausnahme

Bei einem knappen Drittel der Probandenfand sich allerdings ein pessimistischerBias: Sie sahen die Lebensperspektive an-derer Personen günstiger als ihre eigene. Eslag nahe, nach Zusammenhängen von opti-mistischem und pessimistischem Bias mitUnterschieden in der Lebenszufriedenheitzu suchen: Erwartungsgemäß fand sich derpessimistische Bias gehäuft bei den weni-ger zufriedenen Personen.Sodann wurde unterschieden zwischenzwei Komponenten des Wohlbefindens,der positiven und der negativen Affektivi-tät. Positive Affektivität beinhaltet dashäufige Erleben positiver (Stolz, Begeiste-rung), negative Affektivität das häufigeErleben negativer (Angst, Ärger) Affekte.

..............................................................................scientia halensis 4/2004

...............................................................................

25

Um es deutlich zu sagen: Diese Berichteließen sich in wissenschaftlichen Untersu-chungen nie bestätigen, und nach heutigemKenntnisstand überschätzen sie die Mög-lichkeiten unbewusster Verhaltensstimu-lation auf geradezu abenteuerliche Weise.Derartige Berichte haben einer sachlichenAuseinandersetzung mit dem Phänomenunbewusster Wahrnehmung eher im Wegegestanden als sie befördert.

Nachweis unterschwelliger Einflüsse

Dennoch besteht nach heutigem Stand derForschung kein Zweifel mehr daran, dassunbewusste Reize unter bestimmten Be-dingungen tatsächlich Einfluss auf das Ver-halten nehmen können. Das haben viele,methodisch einwandfreie Studien nachge-wiesen. Die Abbildung unten illustriert eineetablierte experimentelle Anordnung, mitder sich solche unterschwelligen Einflüssestudieren lassen, das sogenannte Bahnungs-paradigma. Versuchteilnehmer werden gebeten, soschnell wie möglich durch eine Reaktionmit der linken oder rechten Hand anzuge-

UNBEWUSSTE WAHRNEHMUNG

MYTHEN UND MÖGLICHKEITEN UNTERSCHWELLIGER VERHALTENSBEEINFLUSSUNG

Wilfried Kunde

Ist es denkbar, dass Reize die nicht bewusst wahrgenommmen werden, das Verhalten be-einflussen? Diese Frage erregt das Interesse der psychologischen Fachwelt und der allge-meinen Öffentlichkeit spätestens seit den Tagen Sigmund Freuds, der dem Unbewussteneine zentrale Rolle in der menschlichen Verhaltenssteuerung zuschrieb.In der Tat ist die Vorstellung, dass menschliches Handeln durch unbewusste Reize beein-flusst werden könnte, nicht nur kontraintuitiv, sondern geradezu besorgniserregend. Manstelle sich nur vor, dass auf unser Handeln ohne unser Wissen und möglicherweise entge-gen unseren Absichten Einfluss genommen würde. Das gilt umso mehr, als in den Mediennoch heute immer wieder kolportiert wird, dass zum Beispiel die unbemerkte Einblendungvon Werbebotschaften in Kinofilmen geeignet sei, den Coca-Cola-Konsum anzuheizen.

ben, ob eine dargebotene Ziffer größer oderkleiner als 5 ist. Diese Ziffer wird als Ziel-reiz bezeichnet, weil sich auf ihn die gefor-derte Reaktion bezieht. Dem Zielreiz gehtunmittelbar ein sogenannter Bahnungsreizvoran. Man spricht von Bahnungsreiz,weil geprüft werden soll, ob dieser Reiz inder Lage ist, die Verarbeitung des nachfol-genden Zielreizes zu erleichtern. Tatsäch-lich zeigt sich, dass Reaktionen schnellergelingen, wenn Ziel- und Bahnungsreiz bei-de größer oder beide kleiner als 5 sind unddaher dieselbe Reaktion erfordern, als wennsie unterschiedlichen Reaktionen zugeord-net sind. Die interessante Beobachtung be-steht darin, dass dieses Ergebnis auch dannauftritt, wenn der Bahnungsreiz so kurzdargeboten und durch weitere irrelevanteReize so stark maskiert wird, dass er phä-nomenal nicht mehr wahrgenommen wird.Die Verarbeitung dieser unbewussten Reize»verrät« sich also quasi indirekt durch be-schleunigte Reaktionen auf Zielreize, denenein Bahnungsreiz voranging, der dieselbeReaktion erfordert wie der Zielreiz.Aus vielen derartigen Untersuchungen istmittlerweile allgemein akzeptiert, dass un-bewusste Reize das Verhalten tatsächlich

in die eine oder andere Richtung beeinflus-sen können. Das Forschungsinteresse kon-zentriert sich daher auf die vermittelndenMechanismen. Das ambitionierte Ziel die-ser Forschungsrichtung besteht darin, ausden Beschränkungen unbewusster Reiz-verarbeitung etwas über die Funktionendes Bewusstseins zu lernen: Wenn bekanntist, unter welchen Bedingungen bewusstwahrnehmbare Reize das Verhalten beein-flussen, unbewusste Reize aber nicht, gibtdies Auskunft über den funktionellen Stel-lenwert bewusster mentaler Zustände –eine Frage die zum Beispiel die Philoso-phie seit ihren Anfängen beschäftigt.

Kontroverse Meinungen

Die gegenwärtigen Meinungen über dieMöglichkeiten unbewusster Wahrnehmunggehen allerdings noch weit auseinander. Aufder einen Seite des Meinungsspektrumssteht die Annahme, dass sich die Verarbei-tung bewusster und unbewusster Reizenicht wesentlich unterscheidet. Demnachwerden alle Reize denselben Verarbeitungs-operationen unterzogen, seien diese Reizenun bewusst wahrnehmbar oder nicht. Inder oben erläuterten Beispielaufgabe wer-den so betrachtet sowohl die Zielziffern alsauch die Bahnungsziffern als kleiner odergrößer als 5 klassifiziert.Auf der anderen Seite des Meinungsspek-trums wird angenommen, dass der Verar-beitung unbewusster Reize sehr enge Gren-zen gesetzt sind. Unterschwellige Reize-sind danach lediglich in der Lage, stereoty-pe Reaktionsweisen auf den Plan zu rufen.

Versuchsteilnehmer sollen auf Ziffern kleiner 5 eine linke Taste betätigen und auf Ziffern größer 5 eine rechte Taste. Der Zielziffer geht einesog. Bahnungsziffer voran, die unterschwellig präsentiert wird. Die Reaktionen gelingen schneller, wenn Bahnungsziffer und Zielziffer denselbenReaktionen zugeordnet sind (linke Abbildung), als wenn sie unterschiedlichen Reaktionen zugeordnet sind (rechte Abbildung), selbst wenn derBahnungsreiz unbemerkt bleibt. Grafik: Wilfried Kunde

Institut für Psychologie

....................................................................................scientia halensis 4/2004

................................................................................

26

Institut für Psychologie

Von dieser Warte aus aktiviert im darge-stellten Beispiel die unterschwellig präsen-tierte Ziffer 2 eine Reaktion mit der linkenHand nur deshalb, weil die Versuchsteil-nehmer im Experiment häufig im Zusam-menhang mit der Zielziffer 2 die linke Tas-te betätigen. Tritt diese Ziffer dann irgend-wann als Bahnungsreiz unterschwellig auf,aktiviert sie automatisch diejenige Reakti-on, die auf diesen Reize gewohnheitsgemäßabgegeben wird.Unbewusste Reize können unter dieserVoraussetzung nicht tiefgehend inhaltlichverarbeitet (zum Beispiel hinsichtlich ihrernumerischen Größe beurteilt) werden, son-dern sie aktivieren entsprechende Verhal-tensalternativen mehr oder weniger reflek-torisch.

Hallescher Beitrag zum Diskurs

Gegenwärtig ist der wissenschaftliche Dis-kurs über die angemessene Beschreibungunbewusster Wahrnehmungsvorgänge nochin vollem Gange. Mit den Studien amhalleschen Institut für Psychologie wird

versucht, einen Beitrag zu diesem Diskurszu liefern. Sie legen einen Erklärungsansatznahe, der in gewisser Weise zwischen denoben dargestellten Extrempositionen liegt.Es wird vermutet, dass unbewusste ReizeVerhaltensweisen tatsächlich sehr unver-mittelt auf den Plan rufen, allerdings wederaufgrund einer tiefgehenden semantischenAnalyse der Reize noch aufgrund der lern-abhängigen Aneignung stereotyper Reakti-onstendenzen.Vielmehr können Versuchsteilnehmer of-fenbar bewusst und willentlich vorab fest-legen, welche unterschwelligen Reize wel-che Reaktionen aktivieren sollen. Im Bei-spiel aktiviert eine unterschwellig präsen-tierte Ziffer 2 eine linke Reaktion, weil dieVersuchsteilnehmer die Absicht haben,nach der 2, sobald sie im experimentellenKontext erscheint, die linke Taste zu drü-cken. Ohne diese Absicht würde eine ent-sprechende Ziffer völlig wirkungslos blei-ben. Anders formuliert:Menschen scheinen über die faszinierendeFähigkeit zu verfügen, bewusst kontrollie-ren zu können, durch welche unbewusstenReize ihr Verhalten wie beeinflusst wird.

Wenn diese Überlegung richtig ist, dannmuss niemand befürchten, zum Spielballunterschwelliger Werbebotschaften zu wer-den. Im Gegenteil, unbewusste Reize ent-falten keinerlei Einfluss – es sei denn, manbeabsichtigt, auf sie entsprechend zu rea-gieren. Unterschwellige Reize können alsomenschliches Verhalten nicht entgegen,sondern allenfalls zugunsten vorhandenerAbsichten beeinflussen. Diese Annahmewird derzeit experimentell geprüft undspezifiziert.

Der Verfasser, Jahrgang 1967, studierte

von 1988–1994 Psychologie, Philosophie

und Neurologie (Promotion 1998, Habili-

tation 2004). Von 1994 bis 2002 lehrte und

forschte er an den Universitäten Hamburg

und Würzburg. Seit 2002 ist er wissen-

schaftlicher Mitarbeiter am Institut für Psy-

chologie der Martin-Luther-Universität.

Seine Forschungsinteressen konzentrieren

sich auf Wechselwirkungen von Wahrneh-

mung und Handlung, visuelle Aufmerk-

samkeit, unbewusste Wahrnehmung und

Handlungskontrolle.

UNIVERSITÄTS-WEINHAUSMARTIN-LUTHER-UNIVERSITÄT HALLE-WITTENBERG

Der Wein für Akademikererlesene Saale-Unstrut Weine

WeinverkostungenGeschenke & Präsente

zum trinken in geselliger Rundezum Verschenken & Genießen

ein guter Tropfen zu jedem Anlass

WWW.UNI-WEINHAUS.DE

Universitäts-WeinhausQuerfurter Str. 9 06632 Freyburg

Tel.: 0345 2398858 0177 3148647Fax: 0345 2398857

[email protected]

BA

RA

N · a

gro

np

lus

..............................................................................scientia halensis 4/2004

...............................................................................

27

Institut für Psychologie

Die gesellschaftspolitische Relevanz

In den USA gibt es eine Institution, in deralle Fälle von Diskriminierung bei der Per-sonalauswahl registriert werden: die EqualEmployment Opportunity Commission(EEOC). Im Jahr 2000 wurden bei derEEOC ca. 80 000 Fälle von Diskriminie-rung bei der Personalauswahl gemeldet.Für Deutschland und andere europäischeLänder stehen in Ermangelung derartigerzentraler Institutionen solche Zahlen nichtdirekt zur Verfügung. Betrachtet man aberzum Beispiel die Entwicklung der Arbeits-losenquote bei Ausländern und Einheimi-schen in Deutschland in den letzten Jahren,so kann man auch hier soziale Diskriminie-rungsprozesse vermuten: Nach Angabender Bundesagentur für Arbeit (2004) stiegdie Arbeitslosenquote in den letzten zehnJahren (von 1993 bis 2003) bei Ausländernum 9,7 Prozent von 10,7 auf 20,4 Prozent,in der Gesamtpopulation dagegen nur um4,2 Prozent von 6,3 auf 10,5 Prozent. Ob-wohl für diese Entwicklung unterschiedli-che Faktoren verantwortlich sind, unter an-derem das Ausbildungsniveau der ange-sprochenen Gruppen, liegt auch der Ein-fluss von sozialer Diskriminierung nahe.Konkrete Aufforderungen zur Diskriminie-rung findet man sogar in den Stellenanzei-gen der Bundesagentur für Arbeit. So for-derte ein Regensburger Callcenter im Jahr2002 von seinen Bewerbern: »AngenehmeTelefonstimme, EDV-Grundkenntnisse,keine Bewerber aus den neuen Bundeslän-dern«.Ob soziale Diskriminierung auch bei derBesetzung von Führungspositionen einThema ist, wollte die Zeitschrift News-week im Jahr 2002 wissen und befragte die100 größten europäischen Unternehmen.Es zeigte sich nicht nur, dass die Unterneh-men auf diese Fragestellung mit großerEmpörung reagierten (etwa der Sprechereiner Frankfurter Bank: »Was für eine ras-sistische Fragestellung!«), sondern ebenso,

SOZIALE DISKRIMINIERUNG BEI DER PERSONALAUSWAHL

WELCHEN AUFSCHLUSS GIBT DIE FORSCHUNG ÜBER DIE URSACHEN?

Lars-Eric Petersen

Wissenschaftler der University of Western Ontario in Kanada und des Instituts für Psy-chologie der Universität Halle untersuchen seit einigen Jahren in enger Kooperation, wel-che Faktoren für soziale Diskriminierung bei der Personalauswahl in Europa und Nord-amerika relevant sind. Unter sozialer Diskriminierung bei der Personalauswahl verstehtman dabei ein Verhalten, bei dem eine Person bei der Bewerbung auf eine vakante Stelle be-nachteiligt wird, nur weil sie Mitglied einer bestimmten Gruppe ist. Die Gruppenzugehö-rigkeit kann sich dabei aus ethnischer Abstammung, Nationalität, Konfession, Geschlecht,Alter oder sexueller Orientierung ergeben. Konkret können also Personen diskriminiertwerden, weil sie zum Beispiel einer ethnischen Minderheit angehören, weil sie Ausländer,homosexuell oder eine Frau sind oder weil sie ein zu hohes oder zu niedriges Lebensalteraufweisen.

dass sich in den Chefetagen der großen eu-ropäischen Unternehmen kaum Mitgliedervon Minoritäten befinden.

Die Forschungsmethode

In den von der University of Western On-tario und der Universität Halle-Wittenbergdurchgeführten wissenschaftlichen Studienwurden nun Personalauswahlverfahren inRollenspielen simuliert.

weiße Nordamerikaner) und sollten bei derPersonalentscheidung zwischen Bewerbernder Eigengruppe und einer Fremdgruppe(z. B. Ausländer, Ostdeutsche, Westdeut-sche, schwarze Nordamerikaner) wählen.Ein diskriminierendes Verhalten konntesich in einer Bevorzugung von Bewerbernder eigenen Gruppe gegenüber Bewerberneiner Fremdgruppe zeigen.In den unterschiedlichen Studien wurdenun einerseits auf Personenmerkmale derTeilnehmer fokussiert. Erhoben wurde bei-spielsweise das Ausmaß, in dem sich dieTeilnehmer mit ihrer Arbeitsstelle und ih-rem Arbeitgeber verbunden fühlen (Organi-sationsbindung), die generelle Bereitschaftder Teilnehmer, implizite oder expliziteAnweisungen Vorgesetzter im betrieblichenKontext umzusetzen (Autoritarismus) undauch bestehende Stereotype und Vorurteilebei den Teilnehmern gegenüber Mitgliedernvon Minoritäten, über die in den Personal-auswahlsituationen entschieden werdensollte.

Die Teilnehmer nahmen an einer Postkorb-übung teil, wie sie in Assessmentcenterngebräuchlich ist. In der Rolle einer Füh-rungsperson sollten sie verschiedene Ent-scheidungen treffen. Die zentrale Entschei-dung bestand in der Auswahl von Bewer-bern für eine vakante Stelle.Die Teilnehmer gehörten in jeder Einzel-studie einer bestimmten Gruppe an (z. B.Deutsche, Westdeutsche, Ostdeutsche,

Zwei geeignete Bewerberinnen: Wen wird der Personalentscheider auswählen? Foto: Lars Petersen

Andererseits wurden betriebliche Rahmen-bedingungen in den Rollenspielen simuliert,die eine Diskriminierung in der Personal-auswahlsituation eher verringern oder för-dern könnten. So wurde eine Bedingung si-muliert, die in der Betriebspsychologie als»enforcement of organizational homoge-neity« bezeichnet wird. Die Teilnehmererhielten hier während des Entscheidungs-prozesses eine Notiz des Vorgesetzten, in

....................................................................................scientia halensis 4/2004

................................................................................

28

Institut für Psychologie

der es hieß: »Bei der Durchsicht der Be-werbungsunterlagen ist mir aufgefallen,dass sich eine relativ große Zahl von Aus-ländern beworben hat. Bei der Auswahl derKandidaten für das Vorstellungsgesprächsollte beachtet werden, dass in unseremBetrieb fast ausschließlich Deutsche be-schäftigt sind. In der Vergangenheit hat sichgezeigt, dass die Homogenität des Perso-nals sehr zu unserem Erfolg beigetragenhat. Der neue Stelleninhaber sollte weiter-hin Garant einer bisher guten Chemie imTeam sein.«

Die Ergebnisse

In allen Studien – sowohl in Nordamerikaals auch in Deutschland – konnte gezeigtwerden, dass eine Diskriminierung vonFremdgruppenmitgliedern bei der Personal-auswahl eher selten ist, wenn man die Teil-nehmer bei der Personalauswahl völligunbeeinflusst entscheiden lässt. Werden al-lerdings Rahmenbedingungen simuliert, diein der Betriebspsychologie als »enforce-ment of organizational homogeneity«,»person-organization fit« oder »matching«geführt werden und deren wesentlicher Be-standteil es ist, eine Homogenität der Be-legschaft zu sichern, dann kommt es zurDiskriminierung bei der Personalauswahl:Deutsche diskriminieren Ausländer, West-deutsche benachteiligen Ostdeutsche, Ost-deutsche wählen systematisch wenigerWestdeutsche aus und weiße Nordamerika-ner diskriminieren schwarze Nordamerika-ner. Insbesondere werden auch häufig we-niger qualifizierte Eigengruppenmitgliederausgewählt und besser qualifizierte Fremd-gruppenmitglieder nicht berücksichtigt.Allerdings lassen sich nicht alle Teilnehmerdurch die erwähnten betrieblichen Rahmen-bedingungen zur Diskriminierung verleiten.Diskriminierendes Verhalten zeigen auchunter diesen Bedingungen in erster LinieTeilnehmer, die durch hohe Autoritaris-muswerte gekennzeichnet sind und damitgenerell eine große Bereitschaft zur Umset-zung der Anweisungen von Vorgesetzten anden Tag legen oder die ausgeprägte Vorur-teile oder Stereotype in Bezug auf die inder Auswahlsituation diskriminiertenFremdgruppenmitglieder aufweisen. AuchPersonen mit einer extrem starken Bindungan ihre Organisation zeigen unter den ge-schilderten Rahmenbedingungen diskrimi-nierendes Verhalten.

Dies ist ein erstaunliches Ergebnis, da einehohe Organisationsbindung ansonsten nurmit positivem Verhalten innerhalb des Un-ternehmens in Verbindung gebracht wird.Es verdeutlicht, dass diskriminierendesVerhalten unter bestimmten Rahmenbedin-gungen nicht nur von den »üblichen Ver-dächtigen«, also etwa von Personen mitstarken Vorurteilen, verübt wird.

Die Implikationen

Die angeführten Ergebnisse zeigen deutlich,dass Unternehmen, wenn sie ihre Mitarbei-ter nach demografischen Kriterien suchen,hinsichtlich ihrer Eignung, Motivation undErfahrungen nicht die besten auswählen.Dies kann die Leistungs- und Konkurrenz-fähigkeit der Unternehmen einschränken.Unternehmen täten daher gut daran, klareKriterien für Personalentscheidungen ein-zuführen, um die Gelegenheiten für Diskri-minierung in der Personalauswahl und Per-sonalentwicklung zu reduzieren. SelbstPersonen mit hohen Autoritarismuswertenoder Vorurteilen zeigen keine diskriminie-renden Verhaltensweisen, wenn die betrieb-lichen Rahmenbedingungen deutliche Hin-weise geben, dass diskriminierendes Ver-halten nicht erwünscht wird.Organisationen sollten deshalb ihre Unter-nehmenskultur auf die Werte des Egalitaris-mus und der Diversifizierung ausrichten.Dies kann durch ein modernes DiversityManagement erreicht werden, das die Ent-wicklung einer Unternehmenskultur fürDiversity, die auf humanistischen Wertenbasiert, ebenso einschließt wie konkreteVerhaltensregeln, die das Management he-terogener Arbeitseinheiten hinsichtlich Ko-operation und Arbeitsfrieden optimierensollen.

Diversity Management bringt ferner dieUnternehmensentscheidungen in Einklangmit bestehenden oder für die Zukunft zuerwartenden gesetzlichen Regelungen. Inden USA ist bereits heute gesetzlich vorge-schrieben (Titel VII), dass Unternehmendas Geschlecht, die Zugehörigkeit zu einerbestimmten ethnischen Gruppe, das Her-kunftsland und die Religionszugehörigkeitvon Mitarbeitern oder Bewerbern in Perso-nalentscheidungen nicht zum Kriteriummachen dürfen. Ähnliche Regelungen plantdie Bundesregierung derzeit im Rahmeneines Antidiskriminierungsgesetzes.

Der Verfasser, Jahrgang 1965, studierte

von 1985 bis 1992 Psychologie an der

Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Er

wurde 1994 mit einer Arbeit zum Thema

»Selbstkonzept und Informationsverarbei-

tung« promoviert. Seit 1996 lehrt und

forscht er am Institut für Psychologie der

Martin-Luther-Universität. 1999 habilitier-

te er sich mit Studien zum Thema »Soziale

Diskriminierung«. In den Jahren 2000/01

übernahm er eine Vertretungsprofessur an

der Technischen Universität Dresden am

Institut für Arbeits-, Organisations- und

Sozialpsychologie. 2003 war er Gastwis-

senschaftler an der University of Western

Ontario in Kanada. Seine Forschungs-

schwerpunkte sind zur Zeit: Selbstkonzept

und Informationsverarbeitung, soziale

Diskriminierung sowie antisoziales und

unethisches Verhalten in Organisationen.

ANZEIGE

Quelle der Grafik: Petersen, L.-E. & Dietz, J. (2000): Social discrimination in a personnelselection context: The effects of an authority’s instruction to discriminate and followers’authoritarianism. In: Journal of Applied Social Psychology, 30, pp. 206–220

..............................................................................scientia halensis 4/2004

...............................................................................

29

Institut für Psychologie

In der Hochschulambulanz des Arbeitsbe-reiches Klinische Psychologie des Institutsfür Psychologie werden ausschließlich Er-wachsene behandelt. Die Störungsbilderbeziehen sich den Forschungsschwer-punkten der Arbeitseinheit entsprechendvor allem auf Menschen, die unter nichtmehr kontrollierbaren Ängsten sowieZwangshandlungen und -gedanken leiden.Aber auch die sogenannten »psychophy-siologischen Störungen« stellen einen wich-tigen Arbeitsschwerpunkt dar: Unter dieserdiagnostischen Rubrik sind Patienten anzu-treffen, die primär ein körperliches Symp-tombild zeigen, das in seinem Auftretenund Verlauf aber eindeutig von psychologi-schen Faktoren gesteuert wird. Das könnenzum Beispiel entzündliche Erkrankungendes Darmes sein, die auf Grund der typi-schen Symptomatik eine ängstliche Fokus-sierung auf die Symptome bewirken undnicht selten dazu führen, dass die Patientenselbständige Aktivitäten zunehmend unter-lassen – mit fatalen Folgen nicht nur für diekörperliche, sondern auch die psychischeGesundheit. Ähnliche Entwicklungen las-sen sich regelgerecht bei asthmatischenSyndromen sowie bei vielen internistischenund vor allem auch neurologischen Erkran-kungen feststellen.

Kooperation Universität – Kliniken

Die Hochschulambulanz arbeitet eng mitKliniken inner- und außerhalb der Martin-Luther-Universität zusammen. Das betrifftnicht nur die Kliniken für Psychiatrie undNeurologie der MLU, sondern auch vieleEinrichtungen der Inneren Medizin. Dar-über hinaus gibt es u. a. enge Kooperatio-nen mit den psychosomatisch-verhaltens-medizinischen Klinken Roseneck in Prien/Chiemsee, Bad Bramstedt/Schleswig Hol-stein, Lübstorf/Schweriner See und Lindow/Brandenburg sowie einer Reihe von Uni-versitätsinstituten und postgradualenWeiterbildungseinrichtungen.

ÜBERREGIONAL VERNETZT:DIE HOCHSCHULAMBULANZ FÜR PSYCHOTHERAPIE

Bernd Leplow

Eine wirtschaftlich tätige Einrichtung an einer Philosophischen Fakultät? Das gibt es seit1. September 1999. Seitdem erlaubt das Psychotherapeutengesetz auch an Universitäts-Instituten für Psychologie die Einrichtung sogenannter Hochschulambulanzen für Psycho-therapie (früher »Poliklinische Institutsambulanz für Forschung und Lehre«).Diese Ambulanzen nehmen durch eigens dafür von der Kassenärztlichen Vereinigung Sach-sen-Anhalts ermächtigte Personen »in dem für Forschung und Lehre erforderlichem Um-fang« an der psychotherapeutischen Versorgung der Bevölkerung der Region teil. Durchge-führt wird ausschließlich Krankenbehandlung – eine Beratung bei Lebensproblemen »ohneKrankheitswert« kann nicht abgerechnet werden. Von den Einnahmen wird der laufendeBetrieb der Ambulanz inklusive Mitarbeiterstelle finanziert.

Diese Kooperationen beinhalten einen For-schungs- und einen Ausbildungsschwer-punkt.

Forschung und Ausbildung

Im Rahmen des Ausbildungsschwerpunk-tes durchlaufen die Studierenden ein ver-haltenstherapeutisches Curriculum, in demzentrale Basiskenntnisse und erste prakti-sche Kompetenzen quasi im Trockenkursvermittelt werden. Hierbei leisten Lehrbe-auftragte der kooperierenden Praxiseinrich-tungen (teilweise über die Ambulanz finan-ziert) einen wichtigen Beitrag. Haben dieStudierenden die universitären Veranstal-tungen erfolgreich absolviert und alle Leis-tungskriterien erfüllt, werden sie von derArbeitseinheit Klinische Psychologie(AEKP) den Kooperationskliniken indivi-duell vorgeschlagen und leisten dort unteranderen ihre psychotherapeutische Fall-arbeit ab. In den Fallseminaren der AEKPwerden diese Aktivitäten anschließend vor-gestellt und theoretisch nachbereitet. Zu-sätzlich (oder alternativ) gibt es die Mög-lichkeit der Wahrnehmung einer Ko-Thera-pie, wo die Studierenden unter Anleitungeines approbierten und ermächtigten Mit-arbeiters innerhalb der Ambulanz eine am-bulante Psychotherapie begleitend beob-achten können.Der Forschungsschwerpunkt der Hoch-schulambulanz umfasst zum einen Di-plomarbeiten, die häufig in den Koopera-tionskliniken durchgeführt werden. Frage-stellungen sind zum Beispiel:• Wie sind die Entscheidungsstrategien beipathologischen Glücksspielern organisiert?• Gibt es neuropsychologische und psy-chophysiologische Korrelate, die klinischunauffällig sind, für den Verlauf der Stö-rung aber eine entscheidende Bedingungdarstellen?• Welche neuronalen/neuropsychologischenMechanismen führen dazu, dass sich Alko-holiker und andere Abhängigkeitskranke

nicht an den massiven und negativen, abererst mittelfristig eintretenden Konsequen-zen ihres Verhaltens orientieren können?• Weisen sie diesbezüglich Gemeinsamkei-ten mit ganz anderen Verhaltensauffällig-keiten auf und wie unterscheiden sie sichvon anderen psychischen Störungen?Aus solchen und ähnlichen Fragen entste-hen gemeinsame, langfristig angelegte For-schungsprojekte von Klinik und Ambu-lanz/Universität, die sich bereits in zahlrei-chen Publikationen niedergeschlagen haben.Auch realisieren die Psychologen der Klini-ken nicht selten ihre Promotionsvorhabenüber diese Kooperation. So trägt die Hoch-schulambulanz zu der immer wieder gefor-derten Vernetzung von praktischer Tätig-keit und wissenschaftlicher Forschung bei– zum Nutzen der Studierenden, die dieseBereiche nicht mehr als sich wechselseitigausschließend erleben. Im Gegenteil, prak-tisches Tun und wissenschaftliches Den-ken sind aufeinander angewiesen und be-fruchten sich gegenseitig. Diesem Credo istdie Arbeit der Hochschulambulanz fürPsychotherapie verpflichtet. ■

Die Arbeitseinheit Klinische Psychologie kooperiertmit zahlreichen psychosomatisch-verhaltensmedizini-schen Kliniken (Roseneck in Prien/Chiemsee, BadBramstedt/Schleswig Holstein, Lübstorf/Schweriner See,Lindow/Brandenburg) und psychotherapeutischen Aus-bildungseinrichtungen. Grafik: Robby Schönfeld

....................................................................................scientia halensis 4/2004

................................................................................

30

Ein interessantes Feld der japanbezogenenWirtschaftsforschung sind die kleinen undmittelständischen Unternehmen (KMU).Wie in Deutschland haben auch in JapanKMU eine hohe volkswirtschaftliche Be-deutung. Die industriellen Zulieferunter-nehmen, die zum Beispiel in der Automo-bilindustrie Komponenten kostengünstig»just in Time« an die Endhersteller liefern,haben einen wesentlichen Beitrag zum Er-folg japanischer Exportindustrien geleistet.

UNTERNEHMEN ALS GEGENSTAND JAPANOLOGISCHER FORSCHUNG:INFORMATIONSMANAGEMENT IN KLEIN- UND MITTELBETRIEBEN

Silke Bromann

Japan als die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ist ein wichtiger Geschäftspartner undMarkt für deutsche Unternehmen. Umgekehrt sind viele japanische Firmen in Deutschlandund Europa tätig. Ähnlich strukturiert und mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiertwie Deutschland, ist das japanische Wirtschaftssystem in vielen Bereichen geeignet für dievergleichende Betrachtung.

regelmäßig und verlässlich Aufträge vonseinem Hauptkunden zu erhalten, muss essich nicht eigenständig um neue Kundenbemühen. Mit anderen Worten, Marketingund – längerfristig gesehen – Strategieent-wicklung waren unter diesen Rahmenbe-dingungen für den Zulieferer bisher keinwichtiges Thema. Viele Berichte zur Lagedes KMU-Sektors in Japan äußern sichdaher eher zweifelnd zu den Management-Fähigkeiten in diesen Unternehmen.

Die Rolle des Informationsmanagements

Vor diesem Hintergrund untersuchte einForschungsprojekt den Umgang kleinerund mittelständischer industrieller Zuliefe-rer mit dem Faktor Information. Es wurdeder Frage nachgegangen, wie sich mittel-ständische Zulieferunternehmen aus Auto-mobil- und Maschinenbau Informationenzur Marktlage und zur technologischenEntwicklung beschaffen. Dabei fiel auf,dass die Rolle der Hauptabnehmer als In-formationsquelle abnimmt. Die Unterneh-men erschließen sich zunehmend eigenstän-dig alternative Informationsquellen wieFachmessen, Unternehmensverbände oderBerater. Des weiteren nutzen sie verstärktdas Internet zur Informationsbeschaffung.Jedoch das Know-how, Informations-recherche effektiv und wirtschaftlich zubetreiben, ist häufig nicht in ausreichendem

Maße vorhanden. Dieses Problem wurde inden meisten untersuchten Unternehmen er-kannt und – wenn finanziell und personellmöglich – gezielt zu lösen versucht, etwadurch Schulungen oder die Einstellung ent-sprechend qualifizierter Mitarbeiter.Insgesamt lässt sich für den Bereich derInformationsversorgung ein Trend hin zueiner größeren Management-Eigenständig-keit der Zulieferunternehmen erkennen.Zudem lassen sich bei den kleinen und mit-telständischen Zulieferern Bestrebungenausmachen, selbständig neue Produkte zuentwickeln und Kundenkreise zu erschlie-ßen, beispielsweise mittels Ausbau ihrerForschungs- und Entwicklungs-Aktivitä-ten. Wendet man sich also von der traditio-nellen Betrachtungsweise ab und richtetden Blick auf zukünftige Innovations- undMarktpotenziale, finden sich auch positiveAussichten im japanischen KMU-Sektor.Insgesamt bleibt damit der japanische Mit-telstand ein vielschichtiges und interessan-tes Thema, mit dem sich zu beschäftigenauch in Zukunft lohnenswert ist.

Die Autorin, Jg. 1971, studierte Japanolo-

gie, Betriebswirtschaftslehre und Sinologie

in Trier und Nagoya (M. A. 1998) und

wurde 2003 an der Universität Duisburg-

Essen mit einer Arbeit zum Informations-

management in mittelständischen japani-

schen Zulieferunternehmen zum Dr. rer.

oec. promoviert. Wissenschaftliche Mitar-

beiterin in Trier und Duisburg, seit 2003

am Seminar für Japanologie der MLU.

Forschungsschwerpunkte: Umweltmana-

gement, Unternehmensführung, besonders

in kleinen und mittelständischen Unterneh-

men, Sport und Wirtschaft in Japan.

Seminar für Japanologie

Mittelstand – Motor oder Problem ?

Während hierzulande der Mittelstand aberals der »Motor der Wirtschaft« bezeichnetwird, gilt er in Japan als »Problem«. Esherrscht große Skepsis, ob diese Unterneh-men, die fast ausschließlich auf den Bin-nenmarkt ausgerichtet sind, angesichts derin den 90er Jahren stagnierenden binnen-wirtschaftlichen Entwicklung, zunehmen-der internationaler Verflechtung (»Globali-sierung«) und rapidem technologischenFortschritt auch in Zukunft bestehen kön-nen. Die Mehrheit der KMU in der japani-schen verarbeitenden Industrie ist als Zu-lieferer tätig. Oft ist es so, dass ein oderzwei Hauptabnehmer fast den gesamtenUmsatz des mittelständischen Zulieferersausmachen. Solange ein Unternehmen alsZulieferer langfristig die Aussicht hat,

Foto links oben: kleine Zulieferfabrik für Kunststoffteile für die Autoindustrie nahe NagoyaFoto unten: eine Buchhandlung, auch in der Nähe von Nagoya Fotos (2): Silke Bromann

..............................................................................scientia halensis 4/2004

...............................................................................

31

Seminar für Japanologie

Historisch betrachtet hatte Deutschland esdurchaus nicht immer nötig, in Japan fürsich zu werben. Nach der Öffnung desLandes und der Meiji-Restauration von1868 brauchte Japan für seine rasche Mo-dernisierung viel westliches Know-Howund Technologie. Um dieses Wissen zu be-schaffen, holte man zahlreiche ausländischeBerater ins Land, von denen viele ausDeutschland stammten – einige auch ausHalle. 1879 reiste beispielsweise DavidAugust Brauns, der sich fünf Jahre zuvorin Halle habilitiert hatte, nach Japan, um ander kaiserlichen Universität Tokyo Geolo-gie zu unterrichten. Gleichzeitig schickteman Hunderte von jungen Japanern zumStudium nach Europa und Amerika, um diehochbezahlten Ausländer schleunigst durcheigene Spezialisten zu ersetzen.

Japans Elite studierte auch in Halle

Fast 100 Japaner dieser neuen Elite habenin Halle studiert und teilweise sogar denDoktortitel erworben. Der erste von ihnen,der 1883 zum Studium nach Halle kam,war nach dem gegenwärtigen Stand derForschungsarbeiten Shinkichi Nagai, dernach seiner Promotion in Halle über »DieLandwirtschaft Japans, ihre Gegenwartund ihre Zukunft« u. a. an der landwirt-schaftlichen Erschließung von Japans dünnbesiedeltem Norden beteiligt war.In den 1880er Jahren schrieben sich zwarnicht mehr als zehn Japaner zum Studiumin Halle ein, die meisten von ihnen wurdenaber in der Folge um so berühmter (s. auchUniversitäszeitung April 2003, S. 12): Bei-spielsweise stieg Seinosuke Goh zu der

führenden Persönlichkeit in Japans Wirt-schaftswelt auf. Noburu Kanai gründetenach deutschem Vorbild den japanischenVerein für Sozialpolitik. Inazo Nitobe – inHalle promoviert und hierzulande bekanntu. a. für seine Schriften über den japani-schen »Weg des Kriegers« (bushido) –wurde gar Vizepräsident des Völkerbundes

HALLES ROLLE IN DEN DEUTSCH-JAPANISCHEN BEZIEHUNGEN

AUSSENPOLITIK, STUDIERENDENAUSTAUSCH UND WIRTSCHAFTSBEZIEHUNGEN

Christian Oberländer

Japanische Populärkultur ist heute in Deutschland allgegenwärtig. Karate, Judo, Manga,Anime, Karaoke, Tamagochi oder Pokemon sind Beispiele für Japans erfolgreichen Kultur-export. Die deutsche Populärkultur dagegen erfährt in Japan nicht annähernd so viel Auf-merksamkeit – ja das japanische Interesse an Deutschland schwindet in der jüngeren Gene-ration sogar rapide. Diesem Trend will die Bundesregierung mit dem »Deutschlandjahr inJapan« 2005/06 durch zahlreiche Veranstaltungen entgegenwirken und ein moderneresDeutschlandbild in Japan etablieren.Den Beitrag Halles zu den deutsch-japanischen Beziehungen zu untersuchen und möglicheAnsatzpunkte für neue Initiativen der deutsch-japanischen Zusammenarbeit zu identifizie-ren, ist Ziel eines Forschungsprojekts am Seminar für Japanologie.

und ist bis heute mit seinem Portrait aufdem 5 000- Yen-Geldschein verewigt.In den 90er Jahren des 19. Jahrhundertsnahm die Zahl der »halleschen Japaner«dann deutlich zu: Unter ihnen waren derspätere Hof- und Innenminister KitokuroIchiki, der führende AgrarwissenschaftlerTokiyoshi Yokoi und der für die deutsch-japanischen Beziehungen engagierte Toshi-take Okubo.

Japan aus Sicht der DDR

Aber auch im 20. Jahrhundert spielte dieUniversität Halle eine wichtige Rolle alsBrücke nach Asien. So sollten im Diensteder Außenpolitik der DDR wissenschaftli-che Veranstaltungen dabei helfen, die Hall-stein-Doktrin der Bundesrepublik in Asienzu unterminieren und damit die internatio-nale Isolierung der DDR zu durchbrechen.Ein zentrales Ziel der »Arbeitsgemein-schaft für buddhistische Forschungen inder DDR«, die 1966 mit Sitz in Halle ge-gründet wurde, sollte es sein, »... den wei-

teren Prozess des Abbaus der Hallstein-Doktrin zu beschleunigen«. Diese Arbeits-gemeinschaft wandte sich u. a. mit Gruß-botschaften an zahlreiche Buddhisten undBuddhologen in aller Welt, und auch ein in-ternationaler Kongress zur »Historiogra-phie des Buddhismus« wurde vorbereitet.Diese Veranstaltung sei notwendig, so be-gründete man in höchsten SED-Kreisen,

weil der »Alleinvertretungsanspruch West-deutschlands, der sich gegenüber der bud-dhistischen Bevölkerung dieser Länder alsverständnisvoller Freund des Buddhismuszu legitimieren sucht, (...) Bemühungen sei-tens der DDR erforderlich (mache), aufdem Wege über wirkungsvolle wissen-schaftliche und kulturpolitische Arbeit,

Inazo Nitobe auf der japanischen 5000-Yen-Banknote

Studierende des halleschen Seminars für Japanologie mit dem Autor (2. v. links) im BerlinerArchiv des Auswärtigen Amtes, in den Händen das Original des Einigungsvertrages

Fotos (3): privat

....................................................................................scientia halensis 4/2004

................................................................................

32

Seminar für Japanologie

nicht allein Verleumdungen über angeblicheBuddhistenfeindschaft entgegenzutreten,sondern auch die Lügner als tatsächlicheFeinde der buddhistischen Bevölkerung(...) zu entlarven.«Japan hatten die DDR-Planer dabei mit imVisier, denn »auch die in Japan stark an-wachsende neubuddhistische Bewegungenthält teilweise beachtliche progressiveTendenzen.« Noch im Jahr seiner Grün-dung lenkte aber die britische Regierung dieAufmerksamkeit westdeutscher Stellen aufdie Aktivitäten des halleschen »BuddhistCentre« und bat um nähere Information.Das Auswärtige Amt der BundesrepublikDeutschland unternahm daraufhin eigeneSchritte, um die befürchteten DDR-Ein-flüsse auf den Buddhismus in Asien mög-lichst zu konterkarieren.

Partner in Wirtschaft und Wissenschaft

Heute ist Japan ein wichtiger PartnerDeutschlands in Wissenschaft und Wirt-schaft, der auch für Branchen und Standor-te in den neuen Bundesländern potenziellvon großer Bedeutung ist (s. Box rechts).So führte das hallesche Seminar für Japa-nologie im Januar 2004 die erste deutsch-japanische Fachtagung zu ErneuerbarenEnergiequellen (EE) in Wittenberg durch.

Mitteldeutschland und die japanische Wirtschaft

Japanische Investitionen können für Standorte in den neuen Bundesländern einegroße Bereicherung sein, und umgekehrt kann der Japan-Export helfen, Arbeits-plätze in Mitteldeutschland zu sichern. In diesem Zusammenhang beschäftigtsich das Seminar für Japanologie mit Initiativen, die es japanischen Unterneh-men erleichtern sollen, auf dem deutschen Markt Fuß zu fassen, sowie deut-schen Unternehmen den Marktzugang in Japan eröffnen sollen.Im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Halle in Japan, Japan in Halle« wurde überdie historischen Beziehungen zwischen Mitteldeutschland und Japan hinaus miteinem breiten Spektrum von Experten aus unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern –Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft – über Ansätze für ein modernes Ja-pan-bezogenes »Standortmarketing« für Halle bzw. die Region Sachsen-Anhaltdiskutiert. So erläuterte Dr. Horst Dietz – aus Halle stammender Chef des Inter-national Investment Council (IIC), das für die internationale Standortwerbungfür Ostdeutschland zuständig ist – den halleschen Studierenden, wie die Lobby-Arbeit in Japan in der Praxis funktioniert und welche Einstiegschancen es dortgibt. Eine Untersuchung, die Florian Becker am Seminar für Japanologie derzeitdurchführt, analysiert die Chancen, die »Local-to-Local«-Partnerschaften desjapanischen Ministeriums für Wirtschaft und Außenhandel (METI) deutschenUnternehmen aus Technologie-intensiven Schlüsselbranchen beim Aufbau vonKontakten zur japanischen Wirtschaft bieten können.

Hiroyuki Kawaai diskutiert mit einem Teilnehmer der Tagung zu erneuerbaren Energiequellen

»Kommen Sie bitte ein ganzes Jahr nachJapan und setzen Sie Ihre Arbeit dortfort.« Mit dieser Einladung wurde derBundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell,Initiator des Erneuerbare-Energien-Geset-zes, anlässlich der Fachtagung überrascht.»Was in unserem Land fehlt, ist eine breitepolitische Unterstützung für Wind-, Son-nen- und Bioenergie«, begründete HiroyukiKawaai, Vorsitzender des Umweltaus-schusses der japanischen Anwaltsvereini-gung, seine spontane Bitte an Fell.Der langjährige Anti-Atomkraft-Aktivistwar mit acht weiteren Vertretern von Poli-tik, Interessenverbänden und Wirtschaftvon Japan nach Wittenberg gereist.Die Durchführung des Treffens, an demauch zahlreiche Studierende der Martin-Luther-Universität teilnahmen und mit-diskutierten, wurde insbesondere durcheine enge Zusammenarbeit mit dem Institu-te for Sustainable Energy Policy (ISEP) inTokyo und finanzielle Unterstützung sei-

tens der Deutschen Energie-Agentur(DENA) ermöglicht.Da die erneuerbaren Energien und andereaktuelle hallesche Forschungsschwerpunk-te in jüngster Zeit in Japan auf großes In-teresse stoßen, werden voraussichtlichauch hallesche Studierende und Wissen-schaftlerInnen zum Deutschlandjahr in Ja-pan 2005/06 in vielfältiger Weise beitragen.

Der Autor studierte 1985–92 Medizin,

Japanologie und Public Administration in

Bonn, Tokyo und London; 2000 Master of

Public Administration in Harvard, 2001

Habilitation an der Universität Bonn im

Fach Japanologie. Zahlreiche Forschungs-

aufenthalte in Japan. Forschungsschwer-

punkte: Geschichte Japans; Gesundheits-

und Sozialpolitik, Forschungs- und Hoch-

schulpolitik Japans; wirtschaftliche und

wissenschaftliche Zusammenarbeit zwi-

schen Deutschland und Japan.

..............................................................................scientia halensis 4/2004

...............................................................................

33

Seminar für Japanologie

Gefragt sind also neue Wege, um interkul-turelle Kompetenz bereits hier zu vermit-teln, indem der Umgang mit einer fremdenKultur möglichst wirklichkeitsnah simu-liert wird. Einen derartigen neuen Weg hatdas hallesche Seminar für Japanologie mitder Konzipierung und Durchführung vonDeutsch-japanischen studentischenSommerschulen beschritten.

Internationalisierung undInterkulturalität durch Sommerschulen

Am Seminar für Japanologie fanden inner-halb des letzten Jahres zwei Veranstaltun-gen statt, die das Ziel verfolgten, deutscheund japanische Studierende zusammenzu-führen und gemeinsam an einem Thema,

DEUTSCH-JAPANISCHE SOMMERSCHULEN

ZUKUNFTSTRÄCHTIGES TRAININGSFELD FÜR INTERKULTURELLE KOMPETENZ

Gesine Foljanty-Jost und Tino Schölz

Seit Jahren sind Studierende wie Lehrende verschärften Bedingungen in der Ausbildungausgesetzt. Für die Studierenden lauten die Anforderungen, neben einem soliden Fach-wissen während des Studiums möglichst Auslandserfahrungen, Fremdsprachenkenntnisseund praktische, beruflich verwertbare Kenntnisse zu erwerben. Für Lehrende stellt es einezunehmende Herausforderung dar, den Rahmen für diese Anforderungen zu garantierenund Hilfestellungen bei deren Realisierung zu geben. Die Voraussetzungen hierfür sind un-günstig: Die steigende Anzahl von Studierenden führt zu einer wachsenden Konkurrenz beider Bewerbung um Auslandsstipendien, die verfügbaren Exkursionsmittel der Universitä-ten schrumpfen zusehends, die Einbindung von Studierenden in internationale und oftmalsinterdisziplinäre Netzwerke durch den Besuch internationaler Konferenzen scheiterthäufig aus fachlichen und organisatorischen Gründen.

Der übergreifende Ansatz dieser – wie auchgeplanter künftiger Sommerschulen – ist,anhand gemeinsamer Fragestellungen beiderGesellschaften die Gültigkeit gewohnter(und meist im Kontext der jeweiligen eige-nen gesellschaftlichen Realität entwickel-ter) Aussagen kritisch auf ihre Kulturge-bundenheit hin zu hinterfragen bzw. durchsystematischen Vergleich eine historischeund kulturelle Kontextualisierung der Be-funde zu erarbeiten.

Historikerkolleg

In den bisherigen halleschen Sommerschu-len wurden diese Ziele erreicht:Im Historikerkolleg 2003 (s. auch Univer-sitätszeitung Februar 2004, S. 4) konnteherausgearbeitet werden, wie stark etwadie Erinnerung an den zweiten Weltkrieg inbeiden Ländern durch kulturelle Kontextedeterminiert ist, was sich eindrucksvoll anden begrifflichen Kategorien und der zumTeil daraus resultierenden Verschiedenartig-keit der Diskurse über Vergangenheit auf-zeigen lässt.Da die christliche Religion einen Begriffwie »Schuld« kennt, erscheint ein Transferdieser Kategorie in den politisch-histori-schen Bereich in Deutschland fast selbst-verständlich. Umgekehrt stellen die bud-dhistisch-shintoistischen Glaubensformenin Japan ein derartiges Instrumentarium garnicht zur Verfügung.

Ökologische Sommerschule

Im Rahmen der ökologischen Sommerschu-le (s. auch Universitätszeitung Dezember2004, S. 12) war die Arbeit im Plenum undin den binationalen Kleingruppen auf dieAnalyse der umweltpolitischen Steue-rungsmuster in Japan und Deutschland fo-kussiert. Mit Hilfe der vergleichenden Un-tersuchung der politischen Netzwerke imKontext der jeweiligen politischen Kultur

das für beide Gesellschaften von hoheraktueller Brisanz ist, arbeiten zu lassen.Gewählt wurden zum einen das Thema»Nationale Identität und Vergangenheitsbe-wältigung seit 1945« für ein deutsch-japa-nisches Historikerkolleg, das im November2003 in Halle stattfand. Zum anderen wur-de im September/Oktober dieses Jahres dieÖkologische Sommerschule zum Thema»Strategies for Sustainable Development inGermany and Japan« angeboten. Die Teil-nehmerInnen kamen aus unterschiedlichenDisziplinen, die japanischen Studierendenauch aus verschiedenen Universitäten. Allebefanden sich im Hauptstudium oder – imFalle der japanischen KommilitonInnen –mindestens im MA-Studiengang. Die Fi-nanzierung der japanischen TeilnehmerIn-nen übernahm der DAAD.

Abschlussseminar der Ökologischen Sommerschule 2004: japanische und deutsche Studierendetragen ihre Arbeitsergebnisse vor. Fotos (2): Gesine Foljanty-Jost

....................................................................................scientia halensis 4/2004

................................................................................

34

Seminar für Japanologie

in beiden Ländern wurde deutlich, dass un-terschiedliche umweltpolitische Strategienceteris paribus durch Unterschiede in Poli-tikstil, Interessenvermittungsstrukturenund zivilgesellschaftlichen Traditionen zubegründen sind.

Sommerschulen wirken in die Zukunft

Der Ertrag solcher Lehrveranstaltungengeht weit über die Vertiefung unseres Ver-ständnisses von historischen oder umwelt-politischen Problemen im jeweils anderenLand hinaus: Für alle TeilnehmerInnen bie-ten sie die Möglichkeit, Basisqualifikatio-nen auszubilden, deren Bedeutung zu-nimmt: die Sensibilität und Offenheit ge-genüber dem Fremden oder auch die Fähig-keit zu Zusammenarbeit und Kommunika-tion in interkulturellen Kontexten. Hinzukommt ein Gratiseffekt: Sommerschulenwerben wirksam für den StudienstandortHalle – mancher der japanischen Teilneh-merInnen denkt bereits über eine Rückkehrnach Halle nach!

Prof. Dr. Gesine Foljanty-Jost, Jg. 1952,

studierte Japanologie und Geschichte in

Berlin und Tokyo. Seit 1992 hat sie am Se-

minar für Japanologie die Professur für

Wirtschaft, Politik und Gesellschaft des

modernen Japans inne. Ihr Forschungs-

schwerpunkt liegt im Bereich Politik und

politische System Japans mit besonderer

Berücksichtigung der Umweltpolitik.

Tino Schölz, M. A, Jg. 1976, studierte von

1994 bis 2003 Japanologie und Geschichte

an der MLU. Seit 2003 ist er wissenschaft-

licher Mitarbeiter am Seminar für Japano-

logie. Sein Forschungsschwerpunkt sind

Politiken der Erinnerung in Deutschland

und Japan nach 1945 im Vergleich.

In den letzten fünfzehn Jahren wird Japan mehr und mehr inder Stadt Halle präsent. Dies ist nicht zuletzt Ergebnis derreichen wissenschaftlichen Kontakte, die verschiedene Insti-tute der Martin-Luther-Universität, aber auch die Hochschulefür Kunst und Design, mit dem asiatischen Land geknüpfthaben. Eine Folge ist, dass auch die Zahl der Japaner inun_serer Stadt immer mehr zunimmt. Sie kommen als Sprach-schüler, Austauschstudenten, Gastwissenschaftler, und vielebleiben und bereichern durch ihre Arbeit das wissenschaft-liche und kulturelle Leben unserer Stadt.

Nicht zuletzt dies war ein Grund, vor nunmehr fast zehnJahren die Deutsch-Japanische Gesellschaft Halle ins Lebenzu rufen. Sie sollte ein gemeinsames Forum bilden für Japa-ner, die in Halle leben und deutsche Japaninteressierte allerCouleur.

Darüber hinaus sollte sie aber auch Wissen von der japani-schen Geschichte, Kultur und Kunst einem breiten Publikumin der Stadt Halle zugänglich machen. Hierzu organisiert dieDJG oft in enger Kooperation mit der Universität Vorträge.

DIE DEUTSCH-JAPANISCHE GESELLSCHAFT HALLE

SEIT ZEHN JAHREN SCHNITTSTELLE ZWISCHEN STADT UND UNIVERSITÄT,BRÜCKE ZWISCHEN HALLE UND JAPAN

Dabei geht die Schwerpunktsetzung weit über wissenschaftlicheThemen im engeren Sinne hinaus – Japan in all seinen Facettenwird vorgestellt: von Geschichte und traditionellen Künstenwie Blumenstecken oder Teezeremonie über Religion hin zumodernen Aspekten wie Wohnkultur, Spielzeug oder den neuer-dings auch in Deutschland so beliebten Manga und Anime. AuchAusstellungen und Konzerte gehören inzwischen fest zumRepertoire.

Ebenso steht die Förderung des Jugendaustausches ganz obenauf der Agenda. Besonders gern hilft man jungen Menschen, dasjeweils andere Land durch die Vermittlung von Praktika kennenzu lernen, ein Angebot, das immer wieder gern angenommenwird.

Insofern ist die DJG weitaus mehr als herkömmlicher Verein vonJapaninteressierten. Sie ist zu einer Schnittstelle zwischen Uni-versität und Stadt, zwischen Deutschen und Japanern, zwischenHalle und Japan insgesamt geworden.

Die TeilnehmerInnen der deutsch-japanischen Okologischen Sommerschule 2004 beim Besuchder Deponie Lochau südlich von Halle

..............................................................................scientia halensis 4/2004

...............................................................................

35

BERUFUNGEN

Prof. Dr. rer. nat. Taïeb Mellouli

Universitätsprofessor für Wirtschafts-informatik und Operations Research (C4) ander Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultätseit 1. Oktober 2004.Geboren am 29. März 1964 in Sfax, Tunesien.

Wissenschaftlicher/beruflicher Werdegang:1983–1989 Studium d. Informatik u. Mathe-

matik an d. Universität Stuttgart1989–1990 Mitarbeit am Wissenschaftl.

Zentrum der IBM in Heidelberg1990 Diplomabschlüsse Mathematik

und Informatik1990–1996 Wiss. Angest. für Prakt. Infor-

matik, Wissensbasierte Systemeund Wirtschaftsinformatik anden Univ. Duisburg u. Paderborn

1994 Dr. rer. nat., Univ. Paderborn1997–2003 Hochschulassistent (C1) im

Bereich Wirtschaftsinformatik,Decision Support u. OperationsResearch, an d. Univ. Paderborn

2003 Habilitation und Venia Legendi2003–2004 Mitarbeiter bei Hapag-Lloyd

Flug, EDV-Flugbetrieb, Projekt-leiter beim Support der Crew-Planung mittels OR-Methoden

2004 Universitätsprofessor in Halle

Arbeits- und Forschungsschwerpunkte:Betriebliche IT-Systeme im Spannungsfeldvon Wirtschaftsinformatik und OperationsResearch: Optimierende u. heuristische OR-Methoden, Wissensbasierte Systeme, Math.Programmierung, Netzwerkmodelle, Produk-tionsplanung, Transportlogistik, Dienstein-satzplanung, Optimierung im Airline-Bereich

Publikationen (Auswahl):• Mellouli, T., A Network Flow Approachto Crew Scheduling based on an Analogy toa Train/Aircraft Maintenance Routing Pro-blem. In Voß et al. (Eds.) Computer-Aided

Scheduling of Public Transport, LENMS505, 91–120. Springer. Berlin 2001• Mellouli, T., and Suhl L., Heuristics forScheduling Buses and Drivers for an Ex-Urban Public Transport Company with Bus-Driver Dependencies. Applied Optimization

48, 3–16. Kluwer Academic Publisher 2001• Suhl, L., Mellouli, T., Biederbick, C., andGoecke, J., Managing and Preventing Delaysin Railway Traffic by Simulation and Opti-mization. Applied Optimization 48, 17–35.Kluwer Academic Publisher 2001

WIRTSCHAFTS-WISSENSCHAFT-LICHE FAKULTÄT

Prof. Dr. iur. Susanne Sieker

Universitätsprofessorin für BürgerlichesRecht, Handelsrecht, Steuer- u. Wirtschafts-recht (C4) an der Juristischen Fakultätseit 1. Oktober 2004.Geboren am 22. April 1956 in Bielefeld.

Wissenschaftlicher/beruflicher Werdegang:1979–1986 Studium der Rechtswissenschaft

an der Universität Bielefeld imRahmen der einstufigen Juris-tenausbildung, Schwerpunktaus-bildung im Bereich »Wirtschaftund Arbeit«

1987–1991 Wiss. Mitarbeiterin am Fach-bereich Rechtswissenschaft derFreien Universität Berlin

1991 Promotion zum Dr. iur.1991–1993 Wiss. Mitarbeiterin am Bundes-

verfassungsgericht1993–1999 Wiss. Assistentin am FB

Rechtswissenschaft d. FU Berlin1999 Habilitation u. Lehrbefugnis f.

Bürgerliches Recht, Handels- u.Gesellschaftsrecht, Steuerrecht

2000–2001 Vertretungsprofessur an derTechnischen UniversitätDarmstadt

2001–2004 Universitätsprofessorin am FBRechts- und Wirtschaftswissen-schaften der TU Darmstadt,Lehrstuhl für Deutsches undEuropäisches Finanz- undSteuerrecht

2004 Universitätsprofessorin in Halle

Arbeits- und Forschungsschwerpunkte:Unternehmenssteuerrecht; Handels- undSteuerbilanzrecht; Gesellschaftsrecht

Publikationen (Auswahl):• Eigenkapital und Fremdkapital der Perso-nengesellschaft – Gesellschaftsrecht, Steuer-recht, Bilanzierungsfragen, 1991 (Dissertation)• Der Motivirrtum des Erblassers wegennicht bedachter Ereignisse, AcP (Archiv fürcivilistische Praxis) 2001, S. 697–729• Umgehungsgeschäfte – Typische Strukturenund Mechanismen ihrer Bekämpfung, 2001(Habilitationsschrift)• Möglichkeiten rechtsformneutralerBesteuerung von Einkommen, DStJG (Ver-öffentlichungen der Deutschen Steuerjuristi-schen Gesellschaft), Bd. 25 (2002),S. 145–177

JURISTISCHE

FAKULTÄT

Prof. Dr.-Ing. Thomas Groth

Universitätsprofessor für BiomedizinischeMaterialien (C3) am FB Ingenieurwissen-schaften seit 1. Oktober 2004.Geboren am 21. April 1953 in Berlin.

Wissenschaftlicher/beruflicher Werdegang:1980–1985 Studium Biologie/Biophysik an

d. Humboldt-Universität Berlin1985 Diplom in Biologie1985–1987 Aspirantur an der Medizini-

schen Fakultät Charité derHumboldt-Universität

1987–1994 Wiss. Assistent an der Charité1990 Gastwissenschaftler am Institut

f. Pathologie d. RWTH Aachen1991 Promotion zum Dr. rer. nat.1995–2002 Wiss. Mitarbeiter am Institut

f. Chemie d. GKSS Forschungs-zentrums, StellvertretenderLeiter d. Abteilung Biomaterial

2003–2004 Leiter d. Abt. Biomaterialien-Medizintechnik am Institut fürChemie des GKSS Forschungs-zentrums

2003 Habilitation und LehrbefugnisUniversität Potsdam

2004 Universitätsprofessor in Halle

Arbeits- und Forschungsschwerpunkte:Entwicklung und Charakterisierung von Bio-materialien für Tissue Engineering Anwen-dungen und biohybride Leberersatzsysteme,biomimetische Oberflächenmodifikationenvon Implantatmaterialien, Charakterisierungder Biokompatibilität von Materialien fürBlut- und Gewebekontakt.

Publikationen (Auswahl):• Groth T, Lendlein A: Layer-by-layer depo-sition of polyelectrolytes – A versatile toolfor the in vivo repair of blood vessels andthe preparation of biocompatible implantcoatings. Angewandte Chemie – Internatio-nal Edition, 43(8) (2004) 926–928• Faucheux N, Schweiss R, Lützow K, Wer-ner C, Groth Th: Self-assembled monolayerswith different terminating groups as modelsubstrates for cell adhesion studies. Biomate-rials 25 (2004) 2721–2730• Krasteva N, Seifert B, Albrecht W, WeigelT, Schossig M, Altankov G, Groth Th:Influence of polymer membrane porosity onC3A hepatoblastoma cell adhesive inter-action and function. Biomaterials 25 (2004)2467–2476

FACHBEREICH

INGENIEURWISSEN-SCHAFTEN

Personalia

....................................................................................scientia halensis 4/2004

................................................................................

36

Personalia

ÄMTER, EHRUNGEN, GREMIEN ETC.

Der neue »Leitwolf« ist gefundenund führt ab sofort das IWH

Prof. Dr. rer. pol. Ulrich Blum (s. S. 37)trat am 1. November 2004 – als Nachfolgervon Prof. Dr. rer. pol. Rüdiger Pohl, der mitdieser Wahl sehr einverstanden ist – seinAmt als Präsident des Instituts für Wirt-schaftsforschung Halle (IWH) an. Dass derMünchner von der TU Dresden, nach derAbsage des Freiburger WirtschaftsexpertenProf. Dr. Bernd Raffelhüschen, bereit war,diesen vakanten Posten zu übernehmen, be-zeichnete auch der WirtschaftsministerSachsen-Anhalts Horst Rehberger als ausge-sprochenen »Glücksfall« – und das IWH-Team darf sich freuen, einen so versiertenund international bekannten Wissenschaftleran seiner Spitze zu wissen.

Neuer Vertrauensdozentder Fulbright-Stiftung gekürt

Nach dem unerwarteten Tod von Prof. Dr.

Hermann-Josef Rupieper, Lehrstuhl fürZeitgeschichte am Institut für Geschichte,Fachbereichs Geschichte, Philosophie und

Sozialwissenschaften der halleschen Univer-sität, im Sommer 2004 wurde unter anderemdie Position des Vertrauensdozenten derFulbright-Stiftung an der Martin-Luther-Uni-versität vakant. Mit dieser verantwortungs-vollen Aufgabe hat das Rektorat der Univer-sität mit Wirkung vom 1. November 2004Prof. Dr. Dieter Heyer, Lehrstuhl für Psy-chologische Methodenlehre am Institut fürPsychologie, Fachbereich Geschichte, Philo-sophie und Sozialwissenschaften, betraut.

Prof. Dr. Dr. Reinhard H. H. NeubertEhrendoktor der MedizinischenUniversität Poznan

Am 6. Oktober 2004 verlieh der Rektor derMedizinschen Universität Poznan, Prof. Dr.Grzegorz Breborowicz, im Auftrag des Aka-demischen Senates im Rahmen eines akade-mischen Festaktes, Prof. Dr. Dr. Reinhard

H. H. Neubert den Titel Doctor Honoris

Causa. Als Promotor trat Herr Prof. Dr.Tadeusz Hermann von der Pharmazeuti-schen Fakultät der Medizinischen Universi-tät Poznan auf. Die Verleihung erfolgte aufGrund der wissenschaftlichen Leistungen des

Ehrendoktors sowie für seine Verdienste umdie Kooperationen zwischen der Pharmazeu-tischen Fakultät der Medizinischen Universi-tät Poznan und dem Fachbereich Pharmazieder Martin-Luther-Universität.

Polnische Juristin, die an Halle-Leipzi-ger Akademie-Projekt beteiligt ist, erhältEike-von-Repgow-Preis 2004

Prof. Dr. Danuta Janicka, Lehrstuhl fürRechtsgeschichte der Universität Torún inPolen, erhielt für ihre umfangreichen For-schungen – u. a. im Rahmen des Projekts derSächsischen Akademie der Wissenschaftenzu Leipzig »Das sächsisch-magdeburgischeRecht als kulturelles Bindeglied zwischenMittel- und Osteuropa« (unter der Leitungdes halleschen Rechtshistorikers Prof. Dr.

Heiner Lück und des Leipziger SlawistenProf. Dr. Ernst Eichler für die Zeit von2004 bis 2019 geplant) – am 22. November2004 den zum achten Mal von Stadt undUniversität Magdeburg verliehenen Eike-von-Repgow-Preis für Verdienste um dieErforschung von Kultur- und Wissenschafts-geschichte Mitteldeutschlands.

Hallescher Mathematiker Vorsitzender desMathematisch-NaturwissenschaftlichenFakultätentages

Prof. Dr. Gernot Stroth, Geschäftsführen-der Direktor des Instituts für Algebra undGeometrie am Fachbereich Mathematik undInformatik der Martin-Luther-Universität,übernahm am 1. Oktober 2004 turnusgemäßden Vorsitz des Mathematisch-Naturwissen-schaftlichen Fakultätentages, der sich damitfür die Dauer eines Jahres in Halle befindet.

´

´

´

´

..............................................................................scientia halensis 4/2004

...............................................................................

37

Personalia

Prof. Dr. rer. pol. Ulrich Blum

Universitätsprofessor für Volkswirtschafts-lehre an der Wirtschaftswiss. Fakultät (C4)und Präsident des Instituts für Wirtschafts-forschung Halle seit 1. November 2004.Geboren am 19. Mai 1953 in München.

Wissenschaftlicher/beruflicher Werdegang:1975–1979 Studium Wirtschaftsingenieur an

der Universität Karlsruhe1976 Federal Reserve Board, USA1977–1979 Stipendium d. Studienstiftung d.

Deutschen Volkes: Diplom1979–1985 Wiss. Mitarb. am Inst. f. Wirt-

schaftspolitik u. Wirtschafts-forschung, Universität Karlsruhe

1982 Promotion zum Dr. rer. pol.1986 Hochschulassistent, Habilitation1986–1987 Alexander-von-Humboldt-Sti -

pendium für Gastprofessur an derUniversität Montreal, Kanada

1987–1992 Privatdozent u. Professor fürVolkswirtschaftslehre an derUniversität Bamberg

1988–2004 dreizehnmal Gastprofessor ander Universität Montreal

1992–1994 Gründungsdekan/-prof. der Fak.Wirtschaftswiss. d. TU Dresden

1992–1999 Vorsitzender des Forschungsbei-rats b. Sächsischen Staatsminis-terium f. Wissenschaft u. Kunst

1999–2001 Vors. Komm. »Wirtschaftsinte-grierende Forschungsförderung«beim Bundesminister für Wirt-schaft und Technologie, Berlin

2004 Präsident des Instituts für Wirt-schaftsforschung Halle undUniversitätsprofessor in Halle

Wissenschaftspreis:1982 August-Lösch-Preis der Stadt

Heidenheim für Leistungen imBereich Regionalwissenschaft

Arbeits- und Forschungsschwerpunkte:Institutionen- u. Industrieökonomik; Regio-nal- u. Verkehrsökonomie; Volkswirtschafts-lehre, Wirtschaftspol. u. Entrepreneurship

Publikationen (Auswahl):• (mit F. Leibbrand) Entrepreneurship undUnternehmertum, Wiesbaden, 2001• (mit T. Bahke und G. Eickhoff) Normenund Wettbewerb, Berlin 2002• Volkwirtschaftslehre, 4. Aufl., Oldenbourg/München 2003

WIRTSCHAFTS-WISSENSCHAFT-LICHE FAKULTÄT

Prof. Dr. rer. nat. Ralf Seppelt

Universitätsprofessor für Angewandte Land-schaftsökologie (C3) seit 11. Oktober undDepartementsleiter im UFZ Leipzig-HalleGmbH seit 15. Februar 2004.Geboren am 13. Juli 1969 in Braunschweig.

Wissenschaftlicher/beruflicher Werdegang:1989–1994 Studium der Technomathematik

mit Abschluss als Diplom-Ma-thematiker an der TU Clausthal

1994–1997 Wiss. Mitarb. am SFB 179»Wasser- u. Stoffdynamik inAgrarökosystemen« der TUBraunschweig

1997 Promotion zum Dr. rer. nat. imFach Agrarökologie und System-analyse am Inst. f. Geographieu. Geoök. d. TU Braunschweig

1997–2004 Wiss. Mitarb. u. Doz. am o. g.Institut

2000 Gastwiss. am Institute of Ecolo-gical Economics, University ofMaryland, Center for Environ-mental Sciences, Maryland, USA

2004 Habilitation u. Venia legendiGeoök./Umweltsystemanalyse

2004 Leitung des Departments fürAngewandte Landschaftsökolo-gie am Umweltforschungszen-trum Leipzig Halle GmbH (UFZ)u. Universitätsprofessor in Halle

Arbeits- und Forschungsschwerpunkte:Systemanalyse ökologischer Prozesse undräumlich explizite mathematische Modellie-rung, d. h. georeferenzierte landschaftsöko-logische Prozesse; Analyse Interaktionenzwischen Anthropo- u. Biosphäre. Entwick-lung v. optimalen Nutzungsstrategien v. Res-sourcen, (renewable) ressource management.

Publikationen (Auswahl):• R. Seppelt (2003): Computer-based Envi-ronmental Management, 304 pp. VCH-Wiley, Weinheim, New York. 2003• C. Loos, R. Seppelt, S. Meier-Bethke, J.Schiemann, O. Richter (2003): Spatially ex-plicit modelling of transgenic maize pollendispersal and cross pollination. In Journal forTheoretical Biology. 225(2). 241–255• R. Seppelt, A. Voinov (2002): Optimiza-tion Methodology for Land Use PatternsUsing Spatially Explicit Landscape Models.In: Ecological Modelling. 151(2–3):125–145

FACHBEREICH

GEOWISSEN-SCHAFTEN

BERUFUNGEN, EHRUNGEN, GREMIEN ETC.

Hallesche Wissenschaftler im CAPITALund in der FAZ

Der Jurist Prof. Dr. Kai-Detlef Bussmann

und der Dipl.-Soziologe Markus Werle

vom Lehrstuhl für Strafrecht und Kriminolo-gie der Juristischen Fakultät der halleschenUniversität legten jüngst die Ergebnisse ihrerUmfrage bei 600 Unternehmen vor, in der esvorrangig um die Frage ging, ob Fremden-feindlichkeit und rechte Gewalt einen Stand-ortnachteil für die ostdeutsche Wirtschaftbedeuten. Das Wirtschaftsmagazin CAPITAL berichte-te am 14. Oktober 2004 darüber und zitierteLudwig Georg Braun (Präsident des Deut-schen Industrie- und Handelskammertags),der angesichts dieser halleschen Forschungs-ergebnisse »eine starke Koalition der Ver-nunft« fordert.Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zognach und stellte die Studie in der November-beilage »Innovatives Sachsen« vor.

Zeitschriftenpreis der Fritz ThyssenStiftung für halleschen Soziologen

Prof. Dr. Helmut Thome, Institut für So-ziologie der MLU, erhielt am 4. Oktober2004 bei der seit 1981 22. Verleihung desZeitschriftespreises Fritz Thyssen Stiftung –anlässlich des 32. Kongresses der DeutschenGesellschaft für Soziologie in München – denmit 1000 € dotierten zweiten Preis des Zeit-schriftenjahrgangs 2002.Dem Preisträger wurde die Auszeichnung zu-erkannt für einen Aufsatz zum Thema »Kri-minalität im Deutschen Kaiserreich, 1883–1902. Eine Sozialökologische Analyse«, derin der Zeitschrift »Geschichte und Gesell-schaft« (Jg. 28, S. 519–553) veröffentlichtwurde.

Vivadent-Forschungspreisfür hallesche Zahnmedizinerin

Dr. Katrin Bekes, Zentrum für Zahn-, Mund-und Kieferheilkunde der Medizinischen Fa-kultät, wurde am 6. Oktober 2004 beim 6.Friedrich-Hesse-Symposiums in Leipzig(Schirmherr ist Prof. Dr. Kurt Merte) mitdem Vivadent-Forschungspreis – 500 € undeine Teilnahme an einer Fortbildungsveran-staltung eigener Wahl im Zentrum für Wei-terbildung der Firma Ivoclar Vivadent AG inSchaan/Liechtenstein – ausgezeichnet. DiePreisträgerin präsentierte die Resultate ihrerDissertation »Die Haftkraft verschiedenerAdhäsivsysteme auf kortikalem Schweine-knochen in vitro« (Mitautoren: OA Dr.Christian Gernhardt, Prof. Hans-GünterSchaller, OA Dr. Dr. Peter Maurer und Prof.Dr. Dr. Johannes Schubert).

Ablösung im Rechenzentrum der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Anfang November wurde ein Amtswechselim Universitätsrechenzentrum vollzogen.Der Rektor dankte in einer Senatssitzungdem aus dem Amt scheidenden Direktor, Dr.

Friedhard Wörfel, für seine Tätigkeit ander Spitze des Universitätsrechenzentrumsund stellte zugleich Dr. Frank Wossal alsneuen Direktor der Einrichtung vor.

....................................................................................scientia halensis 4/2004

................................................................................

38

Rätsel/Autoren

Martin-Luther-Universität Halle-WittenbergFachbereich Geschichte, Philosophieund SozialwissenschaftenDekan Prof. Dr. Andreas RanftTel.: 0345 55-24202Fax: 0345 [email protected]–06099 Halle (Saale)

Institut für Ethnologie

Reichardtstraße 11

www.ethnologie.uni-halle.de

Prof. Dr. Richard RottenburgTel.: 0345 55-24200Fax: 0345 [email protected]

Prof. Dr. Burkhard SchnepelTel.: 0345 55-24190Fax: 0345 [email protected]

Prof. Dr. Shingo ShimadaTel.: 0345 55-24195Fax: 0345 [email protected]

Dr. Thomas G. KirschTel.: 0345 55-24199Fax: 0345 [email protected]

Institut für Psychologie

Brandbergweg 23c

www.psych.uni-halle.de

Prof. Dr. Peter BorkenauTel.: 0345 55-24362Fax: 0345 [email protected]

AUTORINNEN IN DER AUSGABE 4/04 DER »SCIENTIA HALENSIS«Prof. Dr. Frieder LangTel.: 0345 55-24353Fax: 0345 [email protected]

Prof. Dr. Bernd LeplowTel.: 0345 55-24358Fax: 0345 [email protected]

Prof. Dr. Josef LukasTel.: 0345 55-24350Fax: 0345 [email protected]

PD Dr. Wilfried KundeTel.: 0345 55-24637Fax: 0345 [email protected]

PD Dr. Lars-Eric PetersenTel.: 0345 55-24373Fax: 0345 [email protected]

PD Dr. Uwe WolfradtTel.: 0345 55-24356Fax: 0345 [email protected]

Dipl.-Psych. Anja FriedelTel.: 0345 55-24375Fax: 0345 [email protected]

Dipl.-Psych. Michael HankeTel.: 0345 55-24375Fax: 0345 [email protected]

Dipl.-Psych. Nadine MauerTel.: 0345 55-24354Fax: 0345 [email protected]

Dipl.-Psych. Franziska ReschkeTel.: 0345 55-24374Fax: 0345 [email protected]

Seminar für Japanologie

Brandbergweg 23c

www.japanologie.uni-halle.de

Prof. Dr. Gesine Foljanty-JostTel.: 0345 55-24330Fax: 0345 [email protected]

Prof. Dr. Christian OberländerTel.: 0345 55-24337Fax: 0345 [email protected]

M. A. Silke BromannTel.: 0345 55-24333Fax: 0345 [email protected]

M. A. Tino SchölzTel.: 0345 55-24336Fax: 0345 [email protected]___________________________

Dr. Tilo GrätzMPI für ethnologische ForschungAdvokatenweg 36, 06108 Halle (Saale)Tel.: 0345 [email protected]

WETTEN,SIE WISSEN’SNICHT ...

Erkennen Sie auf dem Foto rechts

a) eine Müllhalde der Deponie Lochau,b) eine unbewohnte Gegend im Hochland von Peru oderc) etwas ganz Anderes – und wenn ja, was?

Wer uns als erste(r) die richtige Lösungübermittelt (per Telefon, Fax oder Mail),erhält ZWEI FREIKARTEN – wahlweisefür ein Konzert des Instituts für Musik-pädagogik bzw. Collegium musicum oderfür eine Aufführung der Sprechbühne desInstituts für Sprechwissenschaft/Phonetik.

Das Rätsel-Foto in der Ausgabe 3/04 im Oktober (Aufnahme: Norbert Kaltwaßer) zeigte einDetail des Gefäßsystems einer Plazenta.

Vorsitzender des Kuratoriums: Senator e.h. Dr. Gerhard Holland

Präsident: Senator e.h. Dr. Wolfgang Röller

Geschäftsführer: Dr. Heinz Bartsch, Wolfgang Grohmann, Peter Wenigerc/o Martin-Luther-Universität Halle –Wittenberg, 06099 Halle (Saale)Telefon: (03 45) 55-2 10 24/25Telefax: (03 45) 55-2 70 85e-mail: [email protected]: http://www.uni-halle.de/vff/

Für Mitgliedsbeiträge und Spenden wurden folgende Konten eingerichtet:Dresdner Bank Halle,Konto-Nr. 857 362 100, BLZ 800 800 00Stadt- und Saalkreissparkasse Halle,Konto-Nr. 386 300 762, BLZ 800 537 62

Spenden zur Verwirklichung der Ziele der Vereinigung und zum Nutzen der Universität sind jederzeit willkommen. Diese Spenden können aneine Zweckbestimmung gebunden sein. Die Vereinigung ist berechtigt, steuerwirksame Spendenbescheinigungen auszustellen.

VEREINIGUNG DER FREUNDE UND FÖRDERER DER

MARTIN-LUTHER-UNIVERSITÄT HALLE –WITTENBERG E.V.

Ehrenvorsitzender des Kuratoriums: Senator e.h. Dr. h.c. mult. Hans-Dietrich Genscher

VFF unterstützt archäologische Grabungen am Assad-Stausee in Syrien

Bei Grabungen am vierten Tempel gefunden: Rollsiegel etwa 1,9 cm hoch – rechts: Abrollung auf Modelliermasse

In der Zeit, in der das Reich der Pharao-nen sich zu seiner größten Blüte entwik-kelte und kriegerische Unternehmungenbis in die Levante durchführte, gab es aufdem Gebiet des heutigen Syrien großebefestigte Siedlungen mit einem hochdif-ferenzierten sozialen Leben. Die Stadtan-lage von Ekalte am Assad-Stausee – auchunter dem heutigen Namen Tall Munbaqabekannt – ist eine davon. „Von 1550 bis1300 vor Christus lebten etwa 3000Menschen hier“, sagt Professor FelixBlocher vom Institut für Orientalische Ar-chäologie und Kunst. Als Student war er1979 zum ersten Mal auf dieser 1969begonnenen Grabung. Seitdem hat es ihnimmer wieder nach Syrien gezogen. KeinWunder, denn Ekalte ist zum einen des-halb besonders bedeutend, weil hierschriftliche Zeugnisse in Form von Tonta-feln gefunden wurden, aus denen sichereignis- und sozialgeschichtliche Datenrekonstruieren lassen. Zum anderen herr-schen sehr günstige Grabungsbedin-gungen, die es ermöglichten, die Stadtgroßflächig auszugraben. „Ekalte wurdeim 13. Jahrhundert vor Christus von denEinwohnern verlassen. Da es kaum jünge-re Bauschichten gibt, treffen wir hierschon dicht unter der Oberfläche auf dengut erhaltenen bronzezeitlichen Original-zustand“, sagt Felix Blocher, der geradevon der Ausgrabung in Syrien zurückge-kommen ist. Blocher und sein Partner von

Der vierte Tempel von Ekalte

der Technischen Universität Hamburg-Harburg haben an einem erst 1993 ent-deckten Gebäude gegraben, bei dem essich nach den neuesten Erkenntnissenwahrscheinlich um den vierten Tempel derStadt handelt. Interessant ist dieser Tempelvor allem deshalb, weil er im Gegensatzzu den drei anderen Tempeln in Ekaltedeutliche Nutzungsspuren aufweist. „Wirhoffen, dass wir im Hauptraum Kultein-richtungen wie Altäre, Statuenpodeste undbewegliches Inventar finden werden“, sagt

Felix Blocher. Aber noch ist der Raumnicht vollständig freigelegt. 2005 sollenan dieser Stelle weitere Untersuchungenstattfinden. „Wenn uns die VFF nicht sogroßzügig unterstützt hätte, wäre es garnicht möglich gewesen, mit den Grabun-gen im vierten Tempel zu beginnen.Nach den vielversprechenden Funden indiesem Jahr hoffen wir, bei der nächstenGrabungskampagne 2005 weitere Er-kenntnisse über das Leben im bronzezeit-lichen Ekalte zu gewinnen.“

Sie bieten uns:Kommunikationsfreude · Teamfähigkeit · Sprachgewandtheit · starkeKundenorientierung

Wir bieten Ihnen:einen anspruchsvollen Job · einen festen Stundenlohn (keine Provision!) ·spannende In- und Outbound Projekte · interessante Entwicklungspers-pektiven · flexible Arbeitszeiten in Voll- und Teilzeit · ein dynamischesund innovatives Team

Bewerben Sie sich jetzt!Gebührenfreie Info- & Bewerberhotline 0 800-66 7 77 77 [email protected] · Betreff „CSA Halle“

Aufgrund großer Projektausweitungen suchen wir zahlreiche

Customer Service Agents(Telefonagenten)

Die buw Unternehmensgruppe realisiert seit über elf Jahren mit 1.500Mitarbeitern ganzheitliche Customer Care Lösungen (Call Center). Als größ-ter inhabergeführter Customer Care Dienstleister Deutschlands und EuropasCall Center Dienstleister des Jahres – qualitätsorientiert, wachstumsstarkund innovativ – betreuen wir Kunden wie BMW, RWE, debitel und Miele.

„Nette Kollegen und tollesArbeitsklima!“Franka Dietrich, Customer Service Agent, buw Halle

buw – Qualitätsführer der BrancheEinzigartiger Sicherheitsstandard in IT und TK buw führt als erstes Unternehmen der Customer Care Branche mit dem BSI-Siegel (Bundesamt für Sicherheit in derInformationstechnik) einen vertrauenswürdigen Nachweis über ein Höchstmaß an IT-/TK-Sicherheit. Datenschutz undDatensicherheit werden bei buw groß geschrieben.

Mitglied im DDV (Deutscher Direktmarketing Verband e.V.)Als Mitglied des Deutschen Direktmarketing Verbands haben wir den DDV Ehrenkodex unterzeichnet. Im Rahmen derMitgliedschaft verpflichtet sich buw beispielsweise, keine Kaltakquise im Privatkundenbereich durchzuführen.

Ausgezeichnete QualitätMit den Auszeichnungen als Europas Call Center Dienstleister des Jahres, Gewinner des International Best Service Awards undEntrepreneur des Jahres 2002 bestätigten unabhängige Juroren die Qualität unserer Dienstleistung.

Das spricht für sich – unsere KundenFür namhafte Kunden wie BMW, debitel, RWE oder Miele realisiert die buw Unternehmensgruppeanspruchsvolle Aufgabenstellungen im In- und Outbound. Das spricht für sich.

w w w . b u w . d e

Der ideale

Studi-Job!