Review Essay: Immer auf der richtigen Seite? Fallstricke der Kritik an der Islamfeindlichkeit

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Sammelbesprechung Immer auf der richtigen Seite? Fallstricke der Kritik an der Islamfeindlichkeit Humayun Ansari/Farid Hafez (Hrsg.), From the Far Right to the Mainstream. Islamophobia in Party Politics and the Media. Frankfurt a.M.: Campus 2012, 211 S., br., 29,90 Achim Bühl, Islamfeindlichkeit in Deutschland. Ursprünge, Akteure und Stereo- type. Hamburg: VSA 2011, 318 S., br., 22,80 Sebastian Friedrich (Hrsg.), Rassismus in der Leistungsgesellschaft. Analysen und kritische Perspektiven zu den rassistischen Normalisierungsprozessen der Sarrazindebatte. Münster: Edition Assemblage 2011, 262 S., br., 19,80 Kai Hafez, Freiheit, Gleichheit und Intoleranz. Der Islam in den liberalen Ge- sellschaften Deutschlands und Europas. Bielefeld: transcript 2013, 376 S., br., 29,80 Thorsten Gerald Schneiders (Hrsg.), Verhärtete Fronten. Der schwere Weg zu einer vernünftigen Islamkritik. Wiesbaden: Springer VS 2012, 265 S., br., 29,95 Besprochen von Dr. Levent Tezcan: Käte Hamburger Kolleg Centrum für religionswissen- schaftliche Studien, Universität Bochum, EMail: [email protected] Schlüsselwörter: Rassismus, Rechtsextremismus, Islamfeindlichkeit, Islamkritik, Integration, Sarrazin-Debatte DOI 10.1515/srsr-2015-0009 Einleitung Der Islam genießt heute keinen guten Ruf in Europa. Bevölkerungsumfragen ver- zeichnen hohe negative Werte gegenüber den Muslimen (vgl. die von 2002 bis 2010 von Wilhelm Heitmeyer herausgegebene Reihe Deutsche Zustände); neue rechtspopulistische Bewegungen formieren sich um eine antiislamische Politik; alte Rassismen schwenken ihre klassische ausländerfeindliche Politik gegen den Islam. Das wissenschaftliche Interesse an diesem Themenkomplex wächst derzeit rapide. Die hier zu besprechenden Studien befassen sich mit der Islamophobie, Islam-, Muslimfeindlichkeit oder mit dem antimuslimischen Rassismus. Es werden insgesamt fünf Bücher zu besprechen sein. Wenn auch die Bücher eine Reihe von Soziologische Revue 2015; 38(1): 92106 OLDENBOURG Bereitgestellt von | De Gruyter / TCS Angemeldet Heruntergeladen am | 27.02.15 13:25

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Sammelbesprechung

Immer auf der richtigen Seite? Fallstrickeder Kritik an der Islamfeindlichkeit

Humayun Ansari / Farid Hafez (Hrsg.), From the Far Right to the Mainstream.Islamophobia in Party Politics and theMedia. Frankfurt a. M.: Campus 2012, 211 S.,br., 29,90€Achim Bühl, Islamfeindlichkeit in Deutschland. Ursprünge, Akteure und Stereo-type. Hamburg: VSA 2011, 318 S., br., 22,80 €Sebastian Friedrich (Hrsg.), Rassismus in der Leistungsgesellschaft. Analysenund kritische Perspektiven zu den rassistischen Normalisierungsprozessen der„Sarrazindebatte“. Münster: Edition Assemblage 2011, 262 S., br., 19,80 €Kai Hafez, Freiheit, Gleichheit und Intoleranz. Der Islam in den liberalen Ge-sellschaften Deutschlands und Europas. Bielefeld: transcript 2013, 376 S., br.,29,80€Thorsten Gerald Schneiders (Hrsg.), Verhärtete Fronten. Der schwereWeg zu einervernünftigen Islamkritik. Wiesbaden: Springer VS 2012, 265 S., br., 29,95 €

Besprochen von Dr. Levent Tezcan: Käte Hamburger Kolleg – Centrum für religionswissen-schaftliche Studien, Universität Bochum, E 

˗ Mail: [email protected]

Schlüsselwörter: Rassismus, Rechtsextremismus, Islamfeindlichkeit, Islamkritik,Integration, Sarrazin-Debatte

DOI 10.1515/srsr-2015-0009

Einleitung

Der Islam genießt heute keinen guten Ruf in Europa. Bevölkerungsumfragen ver-zeichnen hohe negativeWerte gegenüber denMuslimen (vgl. die von 2002 bis 2010von Wilhelm Heitmeyer herausgegebene Reihe „Deutsche Zustände“); neuerechtspopulistische Bewegungen formieren sich um eine antiislamische Politik;alte Rassismen schwenken ihre klassische ausländerfeindliche Politik gegen denIslam. Das wissenschaftliche Interesse an diesem Themenkomplex wächst derzeitrapide. Die hier zu besprechenden Studien befassen sich mit der Islamophobie,Islam-,Muslimfeindlichkeit odermit demantimuslimischen Rassismus. Eswerdeninsgesamt fünf Bücher zu besprechen sein. Wenn auch die Bücher eine Reihe von

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gemeinsamen Aspekten und kompatiblen Ideen aufweisen, zeichnen sie sichjeweils durch einen besonderen Fokus aus. Zwei davon (Bühl und Hafez) sindMonographien, die anderen drei Sammelbände enthalten mehrere Einzelbeiträgezu den jeweiligen Schwerpunktthemen. Anders als die Beiträge in Friedrich, diedie Perzeptionen des Islam begrifflich auf den Rassismus hin auslegen, will KaiHafez durch einen anerkennungstheoretischen Ansatz die Mainstream-Islam-feindlichkeit erfassen. Analog zu einigen anderen Beiträgen spürt Bühl die Islam-feindlichkeit in ihren diversen geschichtlichen Erscheinungsformen von ihrenmittelalterlichen Anfängen bis heute auf. Das Hauptanliegen des von SebastianFriedrich herausgegebenen Sammelbandes besteht darin, am Fallbeispiel derSarrazin-Debatte die Verquickungen von Vorstellungen zu Klasse und Rasse inneueren Varianten des Rassismus, der auch mal ohne die Konzeption von Rassefunktioniert, bloßzulegen. Ansari / Hafez richten den Blick explizit auf rechtspo-pulistische bzw. rassistische Bewegungen und Parteien in Europa, die sich auf denIslam einschießen und dabei partiell neu aufstellen. Der Band von Schneiders, imWesentlichen eine abgespeckte Version von zwei zuvor erschienenen voluminö-sen Bänden in einem Buch, kontrastiert islamfeindliche Ansätze mit solchen Bei-trägen, die dieMöglichkeit einer „vernünftigen Islamkritik“ nachweisenwollen.

‚Tolerante Islamophobie‘ der Aufklärungselite

Das Buch „Freiheit, Gleichheit und Intoleranz“ von Kai Hafez wendet sich der„toleranten Islamophobie“ bzw. der „Mainstream-Islamfeindlichkeit“ (128) zu,die er von einem enger zu verstehenden anti-muslimischen Rassismus unterschie-den wissen will. In über 300 Seiten klopft Hafez alle relevanten gesellschaftlichenBereiche auf die dort wirksamen Islambilder ab, die meist auf Vorurteile, Stereo-typen und Feindseligkeiten verweisen. Anders als die noch zu besprechendenBeiträge in Friedrich wird allerdings die Islamfeindlichkeit nicht als eine bevölke-rungspolitisch geleitete Form des Rassismus mit dem Staat in eine innere Ver-bindung gebracht. Die zentrale Unterscheidung, die die Studie durchzieht, ver-läuft, sieht man von den Irritationen der problematischen Begriffsverwendunghier ab, zwischen dem trotz aller Anerkennungsmängel letztlich doch integrativorientierten ‚System‘ (verstanden als Staat, Politik, Recht) einerseits und derislamfeindlichen ‚Gesellschaft‘ (verstanden als Bevölkerung) andererseits. DieMehrheit sei islamophob und rassistisch, ohne jedoch über ein rassistisches Welt-bild zu verfügen (130). Aus Habermas’ ‚System und Lebenswelt‘ wird eine Begriff-lichkeit von ‚System und Gesellschaft‘, wobei Hafez nicht – wie Habermas – eineKolonisierung der Lebenswelt durch das System fürchtet, sondern die zunehmen-de Abkopplung der Gesellschaft vom System. Diese scheinbar in der liberalen

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Demokratie angelegte Spannung (19) lässt Hafez am Ende etwas hilflos die ein-zige Option über, ähnlich wie die von ihm zuvor gescholtene „appellative anti-rassistische Schulpädagogik“ (264) doch an die Toleranz einer Gesellschaft zuappellieren, der er mithilfe der Meinungsumfragen soeben die islamfeindlichfundierte Intoleranz attestiert hatte. Aus diesem Dilemma wird die ‚aufgeklärteElite‘ erst recht nicht heraushelfen, da gerade die deutungsmächtigen, aberkrisenbeängstigten und erodierenden Mittelschichtmilieus (198), die sich unmiss-verständlich vom klassischen Antisemitismus und kruden Rassismus fernhalten,als Träger einer ungeschminkten Islamfeindlichkeit auftreten.

Dabei beteiligen sich die Medien auf eine besondere Weise an der Produktionder Islamfeindlichkeit. Hafez bezieht sich hier auf die neueren Entwicklungen inder Medienanalyse, die den Leser dafür sensibilisieren, dass die Diskriminierunginzwischen durchaus auch ganz ohne Feindbilder oder explizite Stereotypen, wiesie z. B. noch von Achim Bühl gesammelt wurden, auskommt. Primär durch dieMittel der „Themenstellung und Kontextualisierung der Bilder“ (219) konstituiertsich eine ‚Salon-Islamophobie‘, die die ‚aufgeklärte Islamfeindlichkeit‘ der zwarnicht rassistischen, dafür aber offen antimuslimischen Mittelschichten repro-duzieren hilft.

Das moralische Anliegen, antiislamische Deutungspraktiken schonungslosaufzuspüren, verleitet Hafez allerdings bisweilen zu Fehldeutungen. Wenn näm-lich bei der Darstellung der Muslime das Nebeneinanderstellen der Bilder vonUsama bin Laden und den betenden Massen genau die mangelnde Kluft zwischenStaat und Volk suggeriert, während hingegen die Sowjetunion stets als modernerStaat dargestellt wurde (219), dann muss das nicht, wie Hafez glaubt, notwendi-gerweise als ein Indiz für die vermeintlich islamfeindlich grundierte selektiveWahrnehmung durch die Medien gedeutet werden. In dieser Differenz artikuliertsich womöglich die instinktiv gekonnte Anpassung der Medien an die unter-schiedlichen Gegenstandstypen – guter Journalismus also. Schließlich hat derSowjetkommunismus die Massenbewegungen über die Partei an einen institu-tionalisierten, straff organisierten Staat gekoppelt. Er hat also, in den Begriffenvon Deleuze und Guattari, die Massen in einen ‚Vereinnahmungsapparat‘ über-führt. Der Islamismus hingegen, der den geschichtlichen Referenzpunkt desInteresses am Islam bildet, unterminiert, um bei der Begrifflichkeit zu bleiben, alseine rastlose ‚nomadische Kriegsmaschine‘ die Staatlichkeit.

Auch an anderen Stellen beeinträchtigt die auf Enthüllung angelegte Motiva-tion des Autors eine ansonsten für das Buch maßgebliche nüchterne Beurteilungder Sachverhalte. Es irritiert die moralisierende Aussage, dass die „christlichenKirchen in ihrem Umgang [mit dem Islam im interreligiösen Dialog, L. T.] nichtimmer ehrlich sind, sondern eigene Interessen verfolgen“ (230). Was hat denn derWissenschaftler daran auszusetzen, dass soziale und religiöse Gruppen eigene

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Interessen verfolgen? Der Liberalismus, an dem sich der Ansatz von Hafez orien-tiert, basiert schließlich als Theorie wie auch als politische Regierungstechnolo-gie gerade auf der Idee der freien Interessenverfolgung und des Interessenaus-gleiches. Übrigens verfolgen die Kirchen nicht erst dann ihre eigenen Interessen,wenn sie islamkritisch auftreten, sondern erst recht, wenn sie muslimische Forde-rungen wie z. B. nach islamischem Religionsunterricht oder islamischen karita-tiven Institutionen unterstützen. Den christlichen Religionsunterricht kann esnämlich wegen des Gleichheitsgrundsatzes auf Dauer nur geben, wenn es denislamischen gibt, das wissen die Kirchen sehr wohl – so einfach ist das undsoziologisch gesehen absolut normal.

Hafez bleibt allerdings meist differenziert genug. Wenn er z. B. als eine Quelleder Islamfeindlichkeit den klassischen Orientalismus ausmacht, folgt er, andersals die meisten wie z. B. in Friedrich, Edward Said nicht unkritisch (254), um etwaeine rundumschlagende Okzident-Schelte (wie Bühl) zu betreiben. Bei ihm findetsich außerdem eine ebenfalls problematisierende Einbeziehung des Islam in dieAnalyse, während dieser anderswo oft einfach in die notorischen Zuschreibungs-praktiken der Deutschen, Christen, Westler, Weißen, allesamt von grundsätzlichdiskriminierender Natur, restlos aufgelöst wird, bis nur eine ‚kleine Minderheitböser Fundamentalisten‘ übrig bleibt, die niemand mag.

Nachdem Kai Hafez allerdings über Dreihundert Seiten mit den KategorienMehrheit / Minderheit, Muslime / Nichtmuslime und Anerkennung des Islam argu-mentiert hat, überrascht er uns am Ende mit der Aussage, dass dies eigentlich„improvisierte Kategorien mit bestenfalls heuristischer Bedeutung sind“ (317). Erspürt wohl den Druck des Identitätskorsettes, an dem er durch die Fixierung aufdie nicht weiter qualifizierte Zielvorgabe der Islamanerkennung mitgestrickt hat.Dieser Identitätszwang, der alle Migranten aus muslimisch geprägten Ländernauf ihre Muslimität hin adressiert und damit zur in den hier besprochenen Bei-trägen durchweg problematisierten ‚Ethnisierung der religiösen Identität‘ maß-geblich beiträgt, ist aber im gegenwärtigen Migrationsdiskurs kein Ausrutscher,sondern ein effektiver Bestandteil desselben. Dieser Aspekt ist Hafez zwar be-kannt, wird aber vernachlässigt.

Die unendliche Geschichte der Islamfeindlichkeit

Wie kommt es denn, dass der antimuslimische Eliten-Rassismus, obwohl seinneoliberal fundiertes Ressentiment im Grunde allen ‚nutzlosen‘ Unterschichtengilt, sich vornehmlich an den Muslimen ungehemmt austobt, wie die Beiträge inFriedrich fragen? Wie lässt sich erklären, dass marginale faschistische Parteienoder Grüppchen in den liberalen Demokratien erst dann hegemoniefähig werden,

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wenn sie den kruden Rassismus gegen eine polierte Islamfeindlichkeit einge-tauscht haben, wie die Beiträge in Ansari / Hafez diskutieren? Hat etwa die Is-lamfeindlichkeit eine mainstream-fähige Tradition in Europa? Hier war in der Tateine Forschungslücke, die Achim Bühl ausfüllt. Er hat sich in seinem Buch„Islamfeindlichkeit in Deutschland – Ursprünge, Akteure, Stereotype“ mit der his-torischen Kontinuität von den Anfängen bis in die Gegenwart befasst. Sein Werkwird oft als Referenz in der Forschungsliteratur zitiert, auch in vielen Beiträgen,die hier besprochen werden.

Es gibt in der Tat bedeutungsschwere geschichtliche Merkpunkte, in denenwirkmächtige Bilder vom Muslim Konturen annehmen. Naheliegend ist, dass, soBühl, die abendländische Islamfeindlichkeit mit den Kreuzzügen anhebt (14 ff.)und in jeder aktuellen Konfrontation eine neue Komponente hinzubekommt, wiez. B. die Eroberung von Konstantinopel durch die osmanischen Türken und die‚Türkenkriege‘, damit die erstmalige Gleichsetzung von Türke und Muslim. Lu-thers Schriften, die die Türken zu Feinden der Christenheit erklären und schließ-lich zuWiderstand aufrufen, sind in diesem Zusammenhang inzwischen zu einemTopos der Forschung zur Islamfeindlichkeit geworden. Mit der spanischen Recon-quista erhält diese anfänglich religiöse Islamfeindlichkeit erste rassistische Züge,die den an das Blut gebundenen, sich erst im 19. Jh. voll entfaltenden modernenRassismus vorbereiten (52 ff.). In demdarauf folgenden Zeitalter des Kolonialismusstellt die kolonialistische Sicht den muslimischen / orientalischen Anderen zwarnicht mehr als den religiös Bösen dar, dafür aber platziert sie ihn auf den unterenStufen der Kulturentwicklung, um ihn zumGegenstand seinerweltgeschichtlichenMission zumachen, die dadurch die eigeneÜberlegenheit unterstreicht (alles auchals Tabelle zu Historischen Quellen moderner Islamfeindlichkeit auf S. 96). AuchGeistesgrößen wie Max Weber werden hier (leider zu leichthändig, plakativ, seineProtestantismus-These missdeutend) mit dem Attribut ‚islamfeindlich‘ versehen,da Weber den Islam primär als eine Kriegerreligion klassifizierte (80). Schließlichbekommen den langen Atem der Islamfeindlichkeit auch die muslimischenMigranten im 21. Jh. zu spüren, die den Stereotypen des Jahrhunderte alten Has-ses ausgesetzt werden. In diese moderne Islamfeindlichkeit fließen auch Katego-rien und Figuren des Antisemitismus des 19. Jh. ein, die Bühl in zehn Punktenzusammenfasst, um sie anschließend in eine Analogie mit der Handreichung derEKD „Klarheit und gute Nachbarschaft“ einmünden zu lassen (281).

Hätte man den der Literatur zur Islamfeindlichkeit innewohnenden Über-führungstrieb etwas gezügelt, hätte man manches, was für unsere Gegenwart zuRecht nicht erfreulich erscheint, durchaus anders interpretiert. Ein wichtiges Pro-blem z. B. bei der Deutung der Sprüche von Luther besteht darin, dass in jenemhistorischen Moment nicht einfach ein Feindbild konstruiert wurde, sonderntatsächlich in Türken und Muslimen den westlichen Christen ein Feind gegen-

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überstand (vgl. auch Benz in Schneiders: 19). Kein Türke mit einem durchschnitt-lichen Geschichtsbewusstsein wird wohl Luther seine Worte übelnehmen. Ist esvielleicht unser gegenwärtig durch den Humanismus diffamiertes Verständnisvon „Feind“, das uns daran hindert, solche Beschreibungen in ihrem konkretengeschichtlichen Zusammenhang zu betrachten? Selbstverständlich war die Ge-schichte nicht so simpel, wie die Rassisten und Islamfeinde im Rückblick auf diehistorischen Ereignisse erzählen, da die Europäer genauso oft untereinander imClinch und die Türken ein (mächtiger) Teil der wechselnden Kräfteverhältnisse inder europäischen Politik waren. Der Autor Ian Almond beschreibt in seinem Buch„Two Faiths, One Banner: When Muslims Marched with Christians Across Europe’sBattlegrounds“ die vielfältigen Allianzen zwischen Muslimen und Christen inEuropa, vor allem in Spanien bis zur Reconquista, aber auch in Anatolien und aufdem Balkan. Bühl seinerseits versucht durchaus Analoges, indem er in Ab-schnitt 2 („Gegenbilder und Gegenrealitäten“) der dichotomisierenden Geschichts-erzählung eine andere Geschichte, die Geschichte der gegenseitigen Durchdrin-gung, gegenüber stellt, die ebenfalls kurz nach den Kreuzzügen ansetzt undschließlich einen positiven Beitrag zur europäischen Kulturentwicklung leistet.Spannend und von aktuellem Wert wäre daher die Frage, warum diese militäri-schen, politischen, kulturellen Übergänge, Allianzen und Austauschbeziehungenin bestimmten historischen Zeiten wie der unserigen weniger in den Blick ge-langen. Das lässt sich wiederum nicht tautologisch mit dem Hinweis auf dietiefsitzende Tradition der Islamfeindlichkeit erklären.

Bühl ist, wie typisch für die Forschung zur Islamfeindlichkeit, gegenüber denChristen, Deutschen, Abendländern in seiner Kritik schonungslos, bisweilen auchmaßlos. So will er Luthers Behauptungen von der ‚Intoleranz des Islam‘ widerle-gen, nimmt aber dessen Fragen in ihrem Eigenwert nicht ernst. Für Lutherbestand nun mal die Freiheit des Glaubens darin, wie Bühl aus dessen Schriftenzitiert (42), das Evangelium zu predigen, also Mission zu tätigen, was unter dertürkischen Herrschaft (auch später selbst in der laizistischen Türkei noch immer)verboten war. Übrigens schon seit dem Pakt Umar, dem dritten Kalifen aus dem7. Jh., war die durchaus zugestandene Pflege des Glaubens, also die ‚muslimischeToleranz‘, an strenge Einschränkungen gebunden, die vor allem die öffentlichePräsenz des Christentums betreffen. Auf das gleiche Verständnis von Glaubens-freiheit wie bei Luther berufen sich übrigens muslimische Verbände gegenwärtiggegenüber dem deutschen Staat, wenn sie Moscheen bauen und islamischenReligionsunterricht erteilen wollen. Den Glauben im stillen Kämmerlein pflegen,das wollen sie auch nicht.

Ebenso schwierig eignet sich der Sachverhalt, dass die Handreichung derEKD den Islam aus der abrahamitischen Familie ausschließt (228), als Indiz fürIslamfeindlichkeit. Denn diese Religionen sind ungeachtet des erklärten guten

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Willens ihrer Vertreter bereits von ihrer theologischen Anlage her die Negierungder anderen Religion. Der evangelische Theologe Thomas Naumann erkennt imtheologischen Programm des Islam zurecht eine „strukturelle theologische Demü-tigung für das Christentum“ (in Schneiders: 32). Daran wird auch kein noch so‚echter‘, weil ‚altruistischer’ Dialog, wie Kai Hafez fordert, etwas Substanziellesändern. Auch die islamische Würdigung der abrahamitischen Tradition, wie diemuslimischen Gelehrten nochmals in ihrem von Bühl positiv beurteilten Schrei-ben an den Papst Benedikt XVI. beteuern, kann letztlich nicht ohne die simpleThese Bestand haben, dass die jüdische und christliche Version nicht mehrauthentisch, d. h. buchstäblich ‚verfälscht‘, also ‚falsche Religionen‘ sind. Eskann daher nicht darum gehen, von diesen Religionen eine grundsätzliche, alsotheologische Anerkennung der anderen Religion zu erwarten. Das können siebeim besten Willen nicht (auch das Zweite Vatikanische Konzil nicht), ohne dieeigenen Glaubenswahrheiten zu gefährden. Darum streichen die Religionen ihrefür den jeweiligen Zeitgeist unerfreulichen Glaubenswahrheiten nicht gleich ausdem theologischen Bestand, was ja der Stiftung einer neuen Religion gleichkäme.Da kann auch das Wundermittel ‚historisch-hermeneutische Lektüre‘ keine Ab-hilfe schaffen. Viel eher werden diese Stellen wie die beiden ersten Strophen desDeutschlandliedes ausgeschwiegen.

Das zu sagen, ist keine Einladung zum gegenseitigen Gemetzel. Wir dürfendie Gemeinschaften in ihrer Fähigkeit nicht unterschätzen, ungeachtet solcherunvermeidlichen theologischen, die Anderen in ihrem ‚theologischen Sein‘ negie-renden Barrieren einen friedlichen Umgang miteinander zu pflegen. Oft erfolgtdas Zusammenleben nicht durch die explizite Thematisierung derartigen Dissen-ses, sondern gerade durch die Vermeidung der Kommunikation über solchegrundlegende theologische Figuren, die nur für interreligiösen Ärger sorgen. Daskann man in jedem halbwegs funktionierenden christlich-islamischen Dialog-kreis beobachten. Ginge es nach den Fundamentalisten einer moralisierten Popu-lärhermeneutik, die das Zusammenleben mit der untragbaren Bürde des wechsel-seitigen Verstehens belasten, würden sie sich andauernd auf Gedeih und Verderbbekriegen. Gott sei Dank, dem ist nicht so. Man müsste also fragen, warum sie esnicht tun. Das ist eine soziologisch spannende Frage.

Klasse, Rasse, Bevölkerung: Die Kritikam antimuslimischen Rassismus

Wie bei den beiden bereits besprochenen Büchern zeichnet sich das Buch „Ras-sismus in der Leistungsgesellschaft“ ebenfalls durch einen spezifischen Fokus aus.

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Die gerne auch auf die Biologie und Genetik zurückgreifenden Ansätze eines‚Eliten-Rassismus‘, der die Differenz zwischen dem (unterentwickelten) Islam unddem (aufgeklärten, toleranten) Westen nahezu ins Anthropologische steigert, wieKai Hafez es beschrieb (127), bilden den Hauptgegenstand der Beiträge in Fried-rich. Dieser Rassismus, der unterschiedlich als ‚Neorassismus‘ (auch ‚Kultur-rassismus‘) oder auch ‚postliberaler Rassismus‘ bezeichnet wird, wird nun in14 Einzelbeiträgen am Beispiel der Sarrazin-Debatte beleuchtet. Anders als beiKai Hafez, rückt hier die dort nur gestreifte Verbindung zwischen Klasse undRasse ins Zentrum. Und der Staat ist nicht mehr als ‚System‘ auf der Seite dertoleranten Islamanerkennung platziert, sondern ein mächtiger Akteur in der Kon-struktion eines biopolitischen, weil die Migration bevölkerungspolitisch nachethnischen Kriterien regulierenden Rassismus. Selbst das Integrationskonzept,das bei Hafez nur deshalb aufgegeben wurde, weil es der anspruchsvollerenAnerkennungsidee nicht genügen konnte, gerät hier unter den systematischenVerdacht, als Instrument eines „biopolitischen Dispositivs“ rassistisch zu sein(Altenried: 155). Ob man mit diesem Maximalgebrauch des Rassismus-Begriffeseinverstanden sein mag oder nicht, das hier behandelte Phänomen unterscheidetsich jedenfalls deutlich auch von den klassischen rassistischen und deren rechts-populistischen Anwandlungen, wie wir sie am Beispiel des Buches von Ansgari /Hafez sehen werden.

Beurteilt nach den häufig gebrauchten Begriffen (Diskurs, Biopolitik, Gou-vernementalität, Neoliberalismus, Dispositiv) und den Zitationsapparaten (mitgemeinsamen Referenztexten und gegenseitigen Verweisen aufeinander) vermit-teln die meisten Beiträge den Eindruck, aus einer gemeinsamen Diskurswerkstatthervorgegangen zu sein. Das hat den Vorteil, dass der Band mit etwas Vorsichtwie eine Monographie gelesen werden kann – wenn auch unvermeidlich mitvielen Wiederholungen. Der Nachteil ist, dass die Besprechung den einzelnenTexten mit Blick auf ihre Spezifizität womöglich nicht ganz gerecht wird.

Das größte Verdienst dieses Buches besteht m. E. darin, die ansonsten isoliertbetrachtete Debatte um den Islam in eine Verbindung mit der neoliberalenWendung im sozialpolitischen Diskurs zu bringen. Es geht um die „Humankapita-lisierung der Menschen“ (Kohlmann), die die Menschen nach ökonomischenKriterien als ‚nützlich‘ oder ‚verzichtbar‘ qualifiziert und die Gesellschaft wie einUnternehmen denkt (s. auch Butterwegge). Noch bevor es um die Muslime geht,wird bereits die Unterscheidung zwischen denjenigen, die fähig zur „Selbstsorge“sind und den „Fahrlässigen“ getroffen (Serhat Karakayali: 110). Deshalb stelleneinige Autoren die Frage, warum eigentlich die Sarrazin-Debatte derart auf diemuslimischen Migranten verengt werden konnte, obwohl eigentlich generell dieUnterschichten der Gegenstand dieses ökonomisch denkenden Rassismus sind(Räthzel: 231; Kohlmann: 168). Juliane Karakayali zeigt auf, dass die biopolitische

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Entscheidung, welche Kinder erwünscht sind (nämlich „Mittelschichtenkinder“),mit der Einführung des Elterngeldes schon vor Sarrazins Skandalisierung derKopftuchmädchen festgelegt war – „niemand entrüstete sich“ (137) aber. Die„nichthinterfragbare Rationalität der Ökonomie“ (Kohlmann: 175), die SarrazinsThesen zugrunde liegt, kann dann leicht die Muslime als ungeeignet für dasHumankapital aussortieren. Auf diese Weise, so argumentiert Kohlmann, kanndurchaus auch ohne Rasse und Kultur rassifiziert werden (178). Dass dies so leichtgeht, liegt auch daran, dass hier Ideen aus den Emanzipationsbewegungen un-schwer als Kultursignum zur Differenzmarkierung gegen die Muslime eingesetztwerden. Dieser Gedanke spielt in mehreren Beiträgen eine wichtige Rolle. Der„Postfeminismus“ (Juliane Karakayali) hat bereits erfolgreich die grundlagengesi-cherte Frauenemanzipation als eine Aufgabe der Selbstsorge an die zu verant-wortenden Individuen delegiert und die Gleichheitsproblematik damit gleichsamaufgegeben. Dieser Postfeminismus ist nunmehr kompatibel mit dem „postpoliti-schen Selbstbewusstsein des wohlsituierten Bürgertums als Wutbürger“, für wel-ches die Autoren Tsianos und Pieper (115) den Begriff „postliberalen Rassismus“gebrauchen. Dieser operiert raffiniert auch mit „egalitären Ideologemen“ (122;auch Serhat Karakayali: 111, zur Strategie eines „reflexiven Eurozentrismus“, derwie der Igel im Märchen immer schon als Erster da ist).

Mit welcher Art von Rassismus man zu tun hat, spielt wohl eine relativwichtige Rolle in den Beiträgen, die bisweilen einen inflationären Gebrauch vomPräfix ‚Post‘ machen. Mir scheint die Erklärung von Hofmann am plausibelsten:„Es ist kein ‚Rassismus ohne Rassen‘ – aber auch keiner mit. Die Strategie bestehtin der Schwammigkeit, durch die Grenzen recht willkürlich gezogen werdenkönnen und die ‚Beweise der Andersheit‘ je nach Opportunität aus dem jeweiligenWissenspol gezogenwerden können“ (177). Es geht also nicht um einen Rassismusnach dem Motto „Deutschland den Deutschen“, „sondern nach dem Paradigma‚Unternehmen Deutschland‘“ (ebd.). Diese These trifft sich mit der geopolitischenNeuaufstellung Deutschlands, in deren Kontext Kronau die sozialdarwinistischenVorstellungen der Industrie- und Managerelite (inklusive Sarrazin) als Teil derVision eines durchsetzungsfähigen deutschen Staates identifiziert.

Mit diesen kursorischen Beschreibungen sind denn auch die Grundzüge derBeiträge weitgehend wiedergegeben. Man müsste auch auf die kritische Analyseder Orientalisierungen eingehen, die einen durchgehenden Topos bilden (insb.Jasemin Shoomann; bei Serhat Karakayali findet sich Orient als „das Alter Ego“und „das Verdrängte des Westens“), was aber einen eigenständigen Beitrag er-forderte. Es wäre jedenfalls zu fragen, ob die restlose Auflösung der Begrifflich-keit Orient / Okzident in Repräsentationen strategischer Machtspiele, mit Saidgänzlich unter den Kolonialismus-Verdacht gestellt, der Longue durée der Kultur-entwicklung gerecht wird.

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Ebenfalls wäre Skepsis gegenüber der Behandlung der Integrationsthematikangebracht, die durch eine dezidiert negative, zuweilen missmutige Stimmunggekennzeichnet ist. Friedrich / Schultes werfen bspw. mit einer äußerst breitenInterpretationsfreiheit diverse Praktiken wie Integrationskurse, Einbürgerungs-tests, Sprachkurse in den einen Topf repressiver Maßnahmen (90). Der Begriff derIntegration wird durchweg in allen Beiträgen, in denen er vorkommt, mit Dis-kriminierung in Verbindung gebracht, nicht aber mit Empowerment-Strategien,(auch muslimische) Akteure zu fördern. Die bevorzugte Methode, die Diskurs-analyse, wird dabei mehr im Sinne einer Analyse von Repräsentationen gehand-habt, denn als Analyse von Positivitäten. Hinter der modischen Fassade arbeitetauch mal die altbekannte Ideologiekritik emsig weiter – konträr zum methodolo-gischen Anliegen von Michel Foucault. Aus dem bei Foucault noch offen gehalte-nen ‚Dispositiv‘ wird ein ‚eherner Käfig‘ rassistischer Biopolitik, die über einIntegrationsregime operiert (Altenried: 156).

Überall werden Spuren von Islamfeindlichkeit gesammelt, aber nirgends trittder Islam als etwas Positives auf. Einzig bei Jürgen Link scheint er nicht bloß alseine imaginierte Größe rassistischer Zuschreibungen, sondern als eigenständigeGröße vorzukommen. Allerdings bemerkenswerterweise nur als Opfer des „mi-litanten Interventionismus westlicher Mächte“, die als das „Haupthindernis derPluralisierung“ des Islam identifiziert werden (198). Sonst habe sich der Islamdank den Impulsen der Moderne längst entdogmatisieren können, wobei exzel-lente Kenner der islamischen Geschichte die Dogmatisierung eher auf die Effekteder modernen Kultur zurückführen (z. B. die bahnbrechende Studie von ThomasBauer, 2011). Eine solche modernisierungstheoretisch unterlegte ‚Repressions-hypothese‘ wäre zudem mit Foucault nicht zu vereinbaren, zu dessen Popularitätin Deutschland Link erheblich beigetragen hat. Mit derartigen Deutungen wirdaußerdem genau das zeitgenössische arabisch-islamische Opfergefühl bedient,das Hamad Abdel-Samad in Schneiders Buch, und dann ausführlich in seinemBuch mit dem provokativen Titel „Islamischer Faschismus“ (2014) beschreibt.

Der ekstatischen Suche nach Rassismen fällt auch das laizistische Kopftuch-verbot in Frankreich zum Opfer (Tsianov / Pieper: 121), obwohl man durchaus inErwägung ziehen könnte, es vom Republikanismus her zu interpretieren. Schließ-lich unterstützten auch säkulare Französinnen muslimischen Glaubens das Ver-bot. Man kann das Kopftuchverbot dann immer noch im Namen von Religions-freiheit und Menschenrechten oder Liberalität (wie Kai Hafez) kritisieren. DasRassismus-Attest ist einfach zu überzogen.

Erfrischend wirken bei so viel Missmut die Interventionstexte von CharlotteMisselwitz und von Gabriel Kuhn / Regina Wamper, zumal sie recht sparsam mitgroßen Begriffen umgehen und vor allem sich Misselwitz, wie übrigens auchKohlmann, mit Anklagen zurückhält. Durch die Technik der „narrativen Spiege-

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lung“ (nach dem Motto ‚Sarrazin und Banker sind Schmarotzer‘) versuchen dem-nach einige Aktivisten den Kulturdiskurs durch eine Klassendifferenz zu durch-kreuzen und dabei die emotionale Ebene mit anzusprechen (243). Eine (allerdingsnur kognitive) Umkehrung schwebt auch Nora Räthzel vor, die der kulturali-sierenden Orient / Okzident-Dichotomie die klassenperspektivische Differenz-linie Nord / Süd gegenüberstellt. Allein, in den muslimischen Teilen des Südens,wo die islamischen Bewegungen den Diskurs bestimmen, ist derzeit das Deu-tungsmuster Islam / Westen hegemonisch, nicht die Nord-Süd-Unterscheidung.Die dort gepflegte Okzident-Feindlichkeit läuft derzeit einer zweifellos vorhande-nen Klassenpolitik den Rang ab.

Hegemoniefähiger Rechtspopulismus

Der Sammelband von Ansari / Hafez „From the Far Right to the Mainstream.Islamophobia in Party Politics and the Media“ teilt den gemeinsamen themati-schen Kern der Beiträge bereits im Titel mit. Es sind Studien, die sich mit dendezidiert rechtsextremistischen und rassistischen Parteien bzw. Bewegungen be-fassen. Das Interesse gilt daher nicht den subtilen Formen eines neuen Rassismus(siehe das Buch von Friedrich) oder der Mainstream-Islamfeindlichkeit (siehe dasBuch von Kai Hafez), sondern der Funktionsweise und Transformation klassi-scher Rassismen und rechtspopulistischer Bewegungen. Dennoch wird schnelldeutlich, dass es hier nicht um die Beschreibung eines Randphänomens geht.Zum Beispiel gibt es den Fall der altbacken rassistischen Partei wie der BritishNational Party, die Islamfeindlichkeit als populäres Thema entdeckt und es soschafft, aus der marginalen Position herauszukommen (Ansari). Ebenso auf-schlussreich wird am Fallbeispiel von Jörg Haider und seiner ehemaligen ParteiFPÖ (Fared Hafez) die islamfeindliche Wende beschrieben. Dann gibt es solcheNeuschöpfungen wie „Pro-Köln“, die sich erst über die Islamfeindlichkeit imrechtsextremistischem Milieu konstituieren und zur Erweiterung dieses Milieusbeitragen (Häußler).

Neben diesen originellen Studien, die die Islamfeindlichkeit im politischenDiskurs rechtsextremistischer Parteien und Bewegungen untersuchen, sind auchsolche enthalten, die sich mit medialen Darstellungen des Islam befassen. Estevesvergleicht die Medien und politischen Debatten in Frankreich und Großbritan-nien, um deren Effekte auf die Konstruktion von Stereotypen herauszustellen.Ähnlich wie in den sämtlichen Beiträgen aller hier besprochenen Bücher, wirdauch hier die zwischen Orient und Okzident festgemachte Dichotomie auf ihreEinzelelemente hin bloßgelegt, die auch kulturelle Errungenschaften desWestensals egalitäre Ideologeme in einen antimuslimischen Diskurs einbinden. Anders

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als Esteves, der sich mit der ‚Soft Islamophobia‘ des Mainstreams befasst, nimmtsich die eine der zwei US-amerikanischen Studien, die von Paul Quinn, derradikalen christlichen Medien an, die die Muster der älteren anti-katholischenPolemik und die Rhetorik des Kalten Krieges mit den modernen anti-islamischenEinstellungen verbinden. „We are infiltrated from within by people who want todestroy the Constitution of our nation and replace it with Sharia Law and we can’tappease these people“ (149), so lautet die Verschwörungstheorie der christlichenFundamentalisten. Für sie steht schließlich an der Spitze dieser antiamerika-nischen Verschwörung kein geringerer als Barak („Hussain“) Obama, dessenchristlicher Glaube von den Verteidigern der ‚moral majority‘ in Zweifel gezogenwird. Die zweite Studie zu den USA ist insofern eine Ergänzung dazu, als darin dieEffekte der im ‚War against Terrorism‘ hochgepuschten islamfeindlichen Thema-tisierungen auf die jungen Muslime aus der Region Südostasien in der amerika-nischen Gesellschaft dargelegt werden. In ihrer persistenten Selbstidentifikationals Muslim artikuliert sich demnach eine trotzige Antwort auf die kollektive Dis-kriminierung (122).

Einige Beiträge eignen sich besonders für die Analyse der spannungsvollenBeziehungen zwischen Islamkritik/Islamfeindlichkeit einerseits und Rassismusandererseits. Entweder werden auf Kultur abstellende islamophobe Einstellungenals ‚differentieller Rassismus‘ in den Bestand der Rassismus-Forschung reinte-griert, da „cultural markers [the beard, the skull-cap, the ruck-sack, the hennaedhair, the baggy trousers] of difference are racialised“ (Ansari: 19). Denkbar ist aberauch, wie Johan Leman plausibel darlegt, „that Islamophobia may be integratedin and even sublimated by other interests that are not necessarily leading to anextreme right political expression“ (Leman: 69). Durch eine Unterscheidungzwischen dem Islam als gefährlicher, nicht integrierbarer Doktrin und Muslimenals Menschen, die integrierbar sind, konnte z. B. der Orientalist Koen Elst (imMilieu vom Vlaamse Belang (VB)) rassistisch unterlegte Islamfeindlichkeit einStück weit entschärfen. Schließlich wird der rechtsextremistische VB, der diemuslimischen Migranten reislamisieren will, um sie zurückschicken zu können,durch die Partei Nieuw-Vlaamse Alliantie verdrängt, die eine strikte Assimila-tionspolitik mit einer Position verbindet, die den Rassismus gewissermaßen neu-tralisiert.

Islamfeindlichkeit und/oder Islamkritik?

Die Struktur des von Thorsten Gerald Schneiders herausgegebenen Bandes „Ver-härtete Fronten. Der schwere Weg zu einer vernünftigen Islamkritik“ basiert auf derVorstellung, dass die negativen Einstellungen gegenüber dem Islam und den

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Muslimen einen berechtigten Kern besitzen könnten, darum nicht pauschal alsislamfeindlich skandalisiert werden sollten. Diese ‚vernünftige Islamkritik‘ wirdjedenfalls von den Beiträgen im Teil 2 überzeugend demonstriert. Sie führen unsvor allem eins vor Augen: es gibt den Islam. Ob es nun um die arabisch-islamischeOpferhaltung oder die Verherrlichung des Kriegers als Kulturideal geht (Abdel-Hamad), was bei Bühl noch als Indikator für die westliche Islamfeindlichkeitidentifiziert wurde, oder um die Grundzüge des islamischen Fundamentalismus(Abu Zayd), der insb. in Gestalt der Muslimbrüder die muslimischen Erweckungs-bewegungen des 20. Jh. bestimmt hat; ob die Realität der weitgehend anti-west-lich orientierten Weltvorstellungen der Imame (Ceylan) oder die mangelndeKritikfähigkeit der Muslime, insb. der konservativen Organisationen (Kaddor),oder auch die Abhängigkeit der größten muslimischen Organisationen DITIB vomtürkischen Staat (Kiefer) sowie die nationalistische Grundierung des islamischenGlaubens (Bozay) thematisiert werden: es gibt eine Reihe von geschichtlichenErscheinungsformen des im Westen feindlich beäugten Islam, die erschreckendgenau die Vorurteile der Islamfeinde bestätigen. Solche Phänomene müssen inder Forschung zur Islamfeindlichkeit systematisch zur Kenntnis genommen wer-den. Zwar ist es richtig, dass die Islamfeindlichkeit nicht die Anwesenheit derMuslime benötigt. Umgekehrt hilft jedoch die Einbeziehung zeitgenössischerErscheinungen des Islam in die Analyse definitiv, um mit den Begriffen wieIslamfeindlichkeit, Islamkritik, antimuslimischer Rassismus feinfühliger umzuge-hen. So hätte auch der Herausgeber des Bandes, Thorsten Gerald Schneiders, denbei den ‚Islamfeinden‘ oft vorkommenden Topos „stets beleidigte Muslime“ (80)nicht pauschal als Indikator für die Islamfeindlichkeit nehmen können, be-schreibt doch Abdel-Samad (135) explizit die Genealogie dieses den zeitgenössi-schen islamischen Reformismus kennzeichnenden Gemüts. Kaddors Text magdem Leser nicht raffiniert wissenschaftlich anmuten. Auf eine einfache Art gelingtes ihr jedoch, die Mikropolitiken des konservativen, keineswegs randständigenIslam zu beschreiben, die ein sozialmoralisches Milieu repressiver sozialer Kon-trolle schaffen. Sie führt damit u. a. auch Schneiders vor, dass ein solcher wahha-bitischer Islam durchaus auch in Deutschland, wenn auch weitaus beschränkt inseiner Entfaltung, operieren kann. Von hier aus gesehen gebietet sich schließlichein fairer Umgang mit der zugegeben sehr grobschlächtigen Islamkritik von HirsiAli, Necla Kelek, partiell auch Seyran Ates, um die berechtigten Elemente heraus-zuarbeiten, von denen die zeitgenössische muslimische Kultur nur so wimmelt.

Die Aussagen von Kaddors und Abdel-Samad zu solchen unangenehmenPhänomenen wie der Gewalt werden weiterhin in der Studie von Dirk Baier undChristian Pfeiffer bestätigt. Die Studie qualifiziert den allgemein bekannten Be-fund, dass die Religion die Delinquenz dämpfe, durch eine weitere Spezifizierungder Arten von Delinquenz. Während die These für christliche Jugendliche auch

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mit Blick auf die Gewaltbefürwortung und Männlichkeitsnormen weiterhinstimmt, wirkt hohe Religiosität bei muslimischen Jugendlichen definitiv verstär-kend (231). In diesen Bereich zum Studium negativer Orientierungen gehört zwarauch der Beitrag von Juliane Wetzel „Moderner Antisemitismus unter Muslimen inDeutschland“. Es leuchtet jedoch nicht ein, von welchem Ort aus die Sozialwis-senschaftlerin diesem „islamisierten Antisemitismus“ der Gegenwart schlicht denMissbrauch der Religion zwecks des politischen Palästina-Konflikts (249) vor-werfen und den Gläubigen eine genuin religiöse Begründung ihrer Judenfeind-lichkeit absprechen darf.

Auch die Beiträge im ersten Teil können zu einer nüchternen Sicht in derDebatte um Islamfeindlichkeit verhelfen. So legt der Theologe Thomas Naumannhistorische und theologische Gründe der europäischen Angst vor Muslimen,ähnlich dem formalen Schema von Achim Bühl, aber auf gerade mal 18 Seitenund weitaus differenzierter dar. Auf Luthers Schriften bekommt man hier einenicht-denunzierende Sicht. In der gleichen ausgewogenen Stimmungslage äußertsich auch Klaus Bade in seinem kurzen Essay zur Sarrazin-Debatte, in demSarrazins Gefährlichkeit nicht in einem ausgemachten Rassismus, sondern anden „fließenden Grenzen zwischen nüchterner Bestandsaufnahme mit pointierterPolemik einerseits, anthropologischen, ethno-nationalen und sozialbiologisti-schen Interpretationen andererseits“ (120) verortet wird (etwas ähnlich wie beiKohlmann). Anders als die radikale Kritik in Friedrich, die sich jedweder Integra-tionsrede entgegenstellt, verweigert sich Bade nicht grundsätzlich des Gemein-schaftsdiskurses, der doch die Integrationsdebatte trägt. Er greift dabei (‚ausSorge um Deutschland‘, könnte man sagen), anders als Schultes / Jäger im glei-chen Band, auf das ökonomische Argument zurück, wenn er mahnend auf dieRückwanderung der hochqualifizierten Einwanderereliten als eine dramatischeFolge der Fremdenfeindlichkeit hinweist. Ob Diskriminierung als die Ursache fürdie Rückwanderung zutrifft oder eher die Perspektiven der wachsenden Volks-wirtschaften für die Remigration der flexiblen Hochqualifizierten ausschlag-gebend sind, wäre eine Diskussion wert.

Schlussbemerkung

Das größte Handicap der Studien zur Islamfeindlichkeit besteht darin, dass sichdie Autoren mit ihrem Anliegen meinen moralisch auf der richtigen Seite zubefinden. Die begriffliche Präzision und eine differenzierte Betrachtung des Phä-nomens leiden oft darunter. Zwar steht es fest, dass die Islamophobie, Islam-feindlichkeit oder der antimuslimische Rassismus die lokale Anwesenheit derMuslime, also die konkrete Erfahrung, nicht benötigt. Kann man aber daraus

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schließen, dass die Art und Weise der zeitgeschichtlichen Präsenz des Islam,gerade in einer kommunikativ vernetzten Welt, irrelevant für die Wahrnehmungdes Islam und der Muslime ist? Schließlich spielte die Islamität der Migranten inden 60ern und 70er Jahren keine nennenswerte Rolle bei deren Wahrnehmung inden europäischen Ländern. Erklärungsbedürftig ist vielleicht mindestens genau-so, warum noch immer ein Teil der Bevölkerung den Islam gegenwärtig alsBereicherung empfindet, obwohl die Muslime, d. h.: muslimische Bewegungen,Organisationen, Staaten und Länder, dafür nicht den geeigneten Anlass geben.Das wäre durchaus eine Forschungsfrage. Für die politisch interessierte For-schung stellt sich damit auch die Frage: Ist eine grundlegende Kritik an derIslamfeindlichkeit ohne eine differenzierte Islamkritik als deren immanenterBestandteil, und nicht als ausgleichendes Attachment, möglich?

Literatur

Abdel-Samad, H. Islamischer Faschismus. Eine Analyse; Droemer Knaur: München, 2014.Almond, I. Two Faiths, One Banner: When MuslimsMarched with Christians Across Europe’s

Battlegrounds; I. B. Taurus: London/New York, 2009.Bauer, T. Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islam; Insel: Berlin, 2011.Heitmeyer, W. Deutsche Zustände. 10 Bände; Suhrkamp: Frankfurt a. M., 2002–2010.

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