Ein Bleibarren mit Stempel des Tiberius aus Tongern (Belgien), Atuatuca, 4, Tongeren, 2013

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Transcript of Ein Bleibarren mit Stempel des Tiberius aus Tongern (Belgien), Atuatuca, 4, Tongeren, 2013

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Colofon

De deputatie: Herman Reynders, gouverneur

Marc Vandeput, Walter Cremers, Gilbert Van Baelen, Frank

Smeets, Jean-Paul Peuskens, Mieke Ramaekers, gedeputeerden

Renata Camps, provinciegriffier

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Guido Schalenbourg, Gallo-Roman Museum

19th Century bronze statue of Ambiorix, central Market Place,

Tongeren

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Atuatuca / Publications of the Gallo-Roman Museum

Tongeren,

Under the supervision of Guido Creemers

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Tongeren, 2013

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9789074605618

D/2012/5857/60

Edited by

G. Creemers

ATVATVCA |4Publications of the Gallo-Roman Museum Tongeren, 2013

Archaeological Contributions to

Materials and Immateriality

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Ein Bleibarren mitStempel des Tiberiusaus Tongern (Belgien)

Bode M., Borgers K., Hanel N., Raepsaet G., Raepsaet-Charlier M.-Th.,Rothenhöfer P. & Vanderhoeven A.

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Einleitung

Die Fundumstände des tiberischen Blei -barrens aus Tongern lassen sich unter dreiGesichtspunkten zu untersuchen.Zunächst stellt sich die Frage nach demAussehen der römischen Stadt Tongern zurRegierungszeit des Tiberius. Inwiefern wiesdie einige Jahrzehnte zuvor gegründeteHauptstadt der Civitas Tungrorum bereits einrömisches Erscheinungsbild auf ? In welchem Umfang war das Stadtgebietschon mit öffentlichen Gebäuden undstädtischen Wohnhäusern in römischerTradition ausgestattet? Ab wann führte mandie Steinbauweise ein? Als nächstes müssen wir uns vor Augenführen, wie das Stadtviertel aussah, in dem derBleibarren in den Boden gelangte. Gehörte dieunmittelbare Umgebung des Fundplatzes zueinem öffentlichen oder privaten Bereich undwurde dieser Teil der Stadt tatsächlich schon

benützt?Zum Dritten sind Fundplatz und Fundkontextgenau zu betrachten. Hierbei wird deutlich,dass sich der Bleibarren zwar einem genaunachweisbaren Fundplatz zuordnen lässt,doch ist es zweifelhaft, ob es sich hierbei umden ursprünglichen Deponierungsort handelt.Zu diesen drei Fragestellungen folgen nuneinige Überlegungen.

Die Stadt

Wir wissen nicht, wie das römische Tongernaussah, als der Bleibarren in die Stadtgelangte. Fest steht, dass das städtischeStraßennetz schon angelegt gewesen ist. Diesmuss während der Stadtgründung um 10 v.Chr. geschehen sein1. Wir wissen bereits, dassdie ersten städtischen Wohnhäuser ineinheimischer Weise gebaut waren. In denvergangenen Jahren sind an vier Stellen

– 24 –

Die Fundumstände des

tiberischen Bleibarrens

aus Tongern

K. Borgers & A. Vanderhoeven

1 In der betreffenden Zeit sind die Straßen Tongerns noch nicht befestigt gewesen. Man nimmt an, dass dies erst inclaudischer Zeit geschah (Vanderhoeven 1955; Vanvinckenroye 1985,35-36).

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Wohnstallhäuser des sogenannten Typs

Alphen- Ekeren entdeckt worden2. Sie datieren

in spätaugusteische und tiberische Zeit. An

der Kielenstraat, dem Bereich einer zentral

gelegenen Insula, konnte eine Gruppe von vier

Gebäuden nachgewiesen werden, wovon eines

in mehreren Merkmalen von der traditionellen

Bauform abweicht. Der Stallteil scheint zu

fehlen und außerdem sind zwei hölzerne

Kellereinbauten entlang der Außenwände

abgetieft worden. In Zusammenhang mit

einem auffälligen Fundensemble (einem

Bauopfer und einem Münzschatz) deutet dies

auf einen höheren Status der Bewohner

gegenüber denen der drei übrigen Wohn -

stallhäuser hin. An der Hondsstraat konnte ein

tiberisches Wohnstallhaus vom Typ Alphen-

Ekeren ermittelt werden, das sich ebenfalls in

einer zentralen Insula befand. Am nördlichen

Rand der Stadt, an der Sacramentenstraat,

fanden sich Grundrisse zweier im zeitlichen

Ablauf aufeinander folgender Wohnstall -

häuser. Das ältere datiert in die tiberisch-

claudische, das jüngere in die claudisch-

neronische Periode. Schließlich nehmen wir

auch für die östliche Randzone des

Civitashauptortes, am heutigen Veemarkt, ein

weiteres Wohnstallhaus an, das einheimischen

Bauweisen folgt. Angesichts des jeweiligen

Abstandes der Gebäude zueinander, muss sich

das Areal des damals besiedelten Stadtgebietes

schon über viele Hektar erstreckt haben.

Möglicherweise haben in tiberischer Zeit

neben diesen einheimischen Wohnstall -

häusern bereits Wohnhäuser mit römisch-

mediterran beeinflussten Grundrissen und

ebensolcher Ausstattung bestanden. Ver -

gleichbare Wohnhäuser kennen wir aus

anderen zentralen Orten Nordgalliens und

Niedergermaniens. Für Köln wird dies auch

schon aus den historischen Quellen

ersichtlich, die von einer Domus berichten, in

dem sich Germanicus und seine Familie in den

Jahren 14 n. Chr. und vermutlich auch 16 n.

Chr. aufhielten3. Außerdem sind

archäologische Reste zum Vorschein

gekommen, die mit mehr oder weniger großer

Sicherheit einer römischen Domus

zuzuschreiben sind4. Spuren früher, in

römisch-mediterranerer Technik und

römisch-mediterranem Stil ausgestatteter

Stadtwohnhäuser sind außerdem aus Trier

bekannt5. Gut erhaltene Reste einer

städtischen Wohnbebauung augusteisch-

tiberischer Zeitstellung sind in Reims

ausgegraben worden6. Im Oppidum

Batavorum zeigt das schon bekannte

Siedlungsmuster dann wieder längliche

„Streifenhäuser“ auf langgestreckten Parzellen,

die sich nicht klar in die römische Tradition

einfügen lassen7. Obwohl die Situation in

Xanten noch nicht geklärt ist, ist auch hier

anzunehmen, dass in der „vorcoloniazeitlichen

Siedlung“ streifenhausartige Gebäude auf

langgestreckten Parzellen standen8. Bis jetzt

sind im augusteisch- tiberischen Tongeren

weder städtische Wohnhäuser in römisch-

mediterraner Bauweise noch Streifenhäuser

bekannt geworden, obwohl denkbar ist, dass

sich diese Wohnbauten bereits an exponierten

Stellen der Stadt befunden haben.

Wahrscheinlichste Fundstellen dieser Häuser

sind z. B. die Parzellen, die an die Hauptachsen

des Straßennetzes grenzen.

Wir dürfen auch annehmen, dass in der

tiberischen Zeit bereits öffentliche Gebäude

2 Vanderhoeven 1996, 2001 und 2007; Vanderhoeven u. a. 1992a, 1992b und 1993.3 Tac., Ann. 1, 39, 3 und 12, 29, 1. Siehe auch Eck 2004, 112- 126, insbes. 117 und 123. 4 Gelegen vor dem Dom (Eck 2004, Fußnote 27, S. 752), unter dem späteren Praetorium (Haensch 1997,67). Es ist auch

für die Breite Straße gesichert (Thomas & Liesen 2004, 574- 586, 620-621, 665 und Abb. 10).5 So an der Konstantinstrasse (Thomas 1995, 189 und Abb. 118, und Gothert 2003, 248 und 256, Fußnote 54 für die

genaue Fundstelle) und St. Irminen (Cüppers 1984a und 1984b).6 „Quartier gallo-romain de la Rue de Venise“ (Rollet u. a. 2001, 48- 58), das “Maison de Maranus” Balmelle & Neiss

2003, 45, 48- 55, 58 und 78-79) und das “Maison au Mercure” (Balmelle & Neiss 2003, 70- 71). Siehe auch Balmelle &Neiss 2003, 63.

7 Van Enckevort & Heirbaut 2010, 55-98.8 Ein Gegenstand der Diskussion ist die Deutung von Siedlungsspuren, die jenen der Colonia Ulpia Traiana vorangin-

gen. Entweder handelt es sich um eine Militäranlage mit militärischem vicus oder um einen zentralen Ort derCugerner (Lenz 2003; Precht 2008; Schalles 2008, 258- 263).

9 Eck 2004, 77-102.

– 25 –

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bestanden haben und diese zum Teil bereits in

Stein aufgeführt waren. Spuren solcher frühen

Gebäude und Monumente sind aus vielen

zentralen Orten im nordgallischen und

niedergermanischen Gebiet bekannt. In Köln

handelt es sich bei einem Turm aus massiven

Steinblöcken, einem Triumphbogen und die

berühmte Ara Ubiorum um Beispiele aus dem

öffentlichen Lebensbereich. Außerdem gibt es

Hinweise auf eine monumentale Grab -

architektur9. Aus Nimwegen ist die Götter -

säule bekannt, die eventuell anlässlich des

Triumphes des Germanicus im Jahr 17 n. Chr.

für Kaiser Tiberius errichtet worden ist10. Aus

noch älterer Zeit erfahren wir von einem

Kenotaph für G. und L. Caesar und einem Altar

für Augustus und Roma aus Trier11, von einem

weiteren Kenotaph für G. und L. Caesar in

Reims12 und einem Denkmal aus Bavay, das zu

Ehren des Tiberius zwischen 4 und 14 n. Chr.,

also noch in der Regierungszeit des Augustus,

errichtet worden ist13.

Im Fall Tongeren fehlen hierfür bislang

eindeutige Beweise, obwohl 1995 am

Elisabethwal indirekte Hinweise auf frühen

Steinbau zutage getreten sind. Hierbei handelt

es sich um ein Säulenelement, das als Podest

für einen Pfosten in einem Pfostenloch

wiederverwendet worden war. Dieses Pfosten -

loch war Bestandteil einer Holzkonstruktion,

die beim Brand von 69/70 zerstört worden ist.

Die Erstverwendung der Säule muss daher in

das frühe erste Jahrhundert datiert werden. Da

es sich um ein Säulenelement handelt, ist

anzunehmen, dass es ursprünglich Bestandteil

eines öffentlichen Gebäudes oder einer reichen

in römisch- mediterraner Bauweise er rich -

teten Stadt wohnung gewesen ist14.

Das Stadtviertel

In der Insula, wo man den Bleibarren fand (fig.

1), sind bis vor kurzem noch keine

archäologischen Untersuchungen durchge -

führt worden. Dies änderte sich rasch, als an

der Vermeulenstraat drei Flächen ergraben

wurden. Anlass war die Anlage dreier

Tiefgaragen. Zwei Flächen, Vermeulestraat 115

und Vermeulenstraat 216 wurden durch das

Vlaams Institut voor het Onroerend Erfgoed

(Flämisches Amt für Denkmalpflege) unter -

sucht, die Vermeulenstraat 317 durch eine

archäologische Projektgruppe im Auftrag der

Stadt Tongeren (fig. 2). Die letztgenannte

Grabung brachte den Bleibarren zum

Vorschein. Diese Ausgrabungen sind zurzeit

noch nicht ausgewertet, so dass nur eine

allgemeine Deutung der Grabungsergebnisse

möglich ist.

Die vorflavische Besiedlungsgeschichte des

Gebietes kann nur in begrenztem Umfang

rekonstruiert werden. Spuren dieser Epoche

wurden in späteren Zeitabschnitten größten -

teils zerstört. Einzelne Gräben und kleine

Gräbchen lassen sich mit Sicherheit vor -

flavisch datieren. Stratigrafisch gesehen sind

es auf jeden Fall die ältesten Befunde. An der

Vermeulenstraat 1 handelt es sich hierbei um

einen nord- süd verlaufenden Graben mit einer

Tiefe von 0,50 m und einer Breite von 0,80 m

und einen in Ost- West Richtung verlaufenden

10 Deren Reste sind in sekundärer Niederlegung vorgefunden worden, so dass wir nicht sicher wissen, wo sieursprünglich im Gebiet von Nimwegen gestanden hat (Panhuysen 2002; Driessen 2007, 85-87). Der Raum Nimwegenwar als Standort verschiedener augusteischer Militärlager schon seit 12 v. Chr. durch Zeugnisse repräsentativerBautätigkeit und die dahinter stehenden Ideologie gekennzeichnet (Driessen 2007, 25-89).

11 Schwinden 2000; Breitner & Goethert 2008.12 Neiss 1982; Vassileiou 1982.13 Heurgon 1948. Zu den Gründen für die Errichtung dieses Denkmals gibt es unterschiedliche Auffassungen. Leman

(2001, 90) denkt an die Vollendung eines bedeutenden Teils des nordgallischen Straßennetzes, Carmelez (2001, 101)stellt einen Zusammenhang mit dem Bau des Forums her und datiert die Errichtung des öffentlichen Teils desStadtzentrums ebenfalls in diese Zeit.

14 Vanderhoeven (im Druck).15 Vanderhoeven & Vynckier 2008a, 2009 und 2010a.16 Vanderhoeven & Vynckier 2008b, 2010a und 2010b.17 Borgers u. a. 2008 und 2010; Borgers 2009.

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– 27 –

Fig. 1: Tongeren:Einrichtung derGrabungsfläche an derVermeulenstraat 1 - 3.

Fig. 2: Tongeren:Grabungsflächen an derVermeulenstraat 1 - 3.1. Frührömische Graben; 2.Gruben; 3. Pfostenlöcher; 4.Frührömische Mauern; 5.Frührömischer Estrich; 6.Spätrömische Mauern; 7.Spätrömischer Estrich; 8.Herden und Öfen; 9. KalkGrube; 10. Fundstelle desBleibarrens.

0 40 m

1

2

3

2

1

3

40 m0 40 m

gemeentelijke jongens teekenschool

1 2 3 4 5 6

7 8 9

0 10 m

( 1867 )

10

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Graben mit einer Tiefe von 1 m und einer Breitevon 1,5 m der sich über eine Länge von 16 mverfolgen lässt. An der Vermeulenstraat 2finden sich drei Nord- Süd orientierte flacheGräben mit leicht unregelmäßigem Verlauf. Ander Vermeulenstraat 3 sind keine Spuren vonalten Gräbchen und Gräben nachgewiesenworden. Sowohl an der Vermeulenstraat 1 alsauch an der Vermeulenstraat 2 gefundenePfostenlöcher müssen zur vorflavischenHolzbebauung gehört haben. Sie zeigenallerdings zu wenig Strukturen, um hierausGrundrisse rekonstruieren zu können. Vielesist durch spätere Erdarbeiten verloren -gegangen. Merkwürdigerweise sind an derVermeulenstraat 3 keine Pfostenlöchergefunden worden. Das könnte darauf hin -deuten, dass dort in der vorflavischen Periodekeine oder nur wenige Gebäude standen.Schließlich datieren zumindest einige Grubenauf den drei Flächen vorflavisch. Auf welchedieser Gruben dies zutrifft und aus welcherPhase der vorflavischen Periode sie genaustammen, wird erst aus einer genauerenBestimmung des Fundinventars deutlichwerden. Auf Höhe der Fundstelle desBleibarrens haben wir jedenfalls einetiberische Grube und eine einzige vorflavischeAufschüttungslage nachweisen können18.

Auf den drei Flächen an der Vermeulenstraatwird nahezu die gesamte Oberfläche vonBefunden der flavischen Zeit, des 2., 3. und 4.Jahrhunderts eingenommen. Von einem Teil,der an der Vermeulenstraat 1 und 2 gefundenenPfostenlöcher nehmen wir an, dass sie derHolzbebauung aus dem letzten Viertel desersten Jahrhunderts, eventuell auch noch derersten Hälfte des zweiten Jahrhundertsangehören. Danach kommen Steinbauten auf.Eigentlich handelt es sich um Sockelmauernmit in Holz- Lehm Bauweise ausgeführtenAufbauten. An der Vermeulenstraat 2 fandensich ausgebrochene Mauerfundamente undBöden eines großen städtischen Wohnhausesaus dem 2. und 3. Jahrhundert. Das Gebäudewies verschiedene Bauphasen auf. An derVermeulenstraat 1 und 3 kamen Reste eines

rechteckigen Gebäudes ohne weitereInnengliederung gleicher Zeitstellung zumVorschein, von dem wir annehmen, dass essich um einen Wirtschaftsbetrieb handelt. Ander Westwand hatte sich eine ovaleZiegelkonstruktion erhalten, die möglicher -weise als Ofen gedient hat. Aus benachbartenGruben konnten Spuren handwerklicherBetätigung dokumentiert werden: verschie -dene kleine Öfen, Konzentrationen zersplit ter -ter Rinder knochen, Abfall aus der Gewin nungvon Knochenmark und -öl, sowie vonKnochenfett und –leim und außerdemMetallschlacken und Schmelztiegel. Sowohldas Wohngebäude an der Vermeulenstraat 2 alsauch der Handwerkerbereich an der Ver -meulen straat 1 und 3 wurden im 3. Jahrhun -dert aufgegeben und sind nahezu planmäßigabgebrochen worden.

Im 4. Jahrhundert standen zumindest zweiunterschiedliche städtische Wohnhäuser andieser Stelle. An der östlichen Begrenzung derVermeulenstraat 2 kam gerade noch derwestliche Rand eines Gebäudeflügels zumVorschein, der mit einem Hypocaustumbeheizt worden ist. An der Vermeulenstraat 3sind gut erhaltene Reste eines zweitenstädtischen Wohnhauses kartiert worden. Dasbemerkenswerteste Element stellt einviereckiger saalartiger Raum dar, der miteinem Kanalhypocaustum geheizt wurde. Ausder Schuttlage über dem Boden des Raumes isteine große Menge der Wandmalereiengeborgen worden. Zu erkennen war unteranderem eine Erntedarstellung mit einer Villaim Hintergrund. Die Buchstaben AVG(ustus)verdeutlichen, dass es sich um die Darstellungdes gleichnamigen Monats handelt. Da sichauch Fragmente mit der BuchstabenfolgeNOV(ember) erhalten haben, nehmen wir an,dass verschiedene Monate des Jahres auf derInnenwand des Saales abgebildet waren, dereinen bedeutenden, repräsentativen Trakt desWohngebäudes darstellte. Es ist nichtbekannt, wann das römische Viertel an derVermeulenstraat letztendlich aufgegebenworden ist.

18 Siehe ‘Die Fundumstände’.

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Da die Flächen an der Vermeulenstraatwährend des Mittelalters im Bereich derGärten der Kanonikerhäuser an derMaastrichterstraat lagen und unmittelbar andie Stadtmauer des 13. Jahrhunderts grenzten,sind beinahe keine Befunde oder Funde ausdieser Periode zutage getreten. Nach demAbbruch der Stadtmauer aus dem 13.Jahrhundert in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts, wurde 1866 die „Gemeentelijke

Jongens Teekenschool“ (Öffentliche Zeichen -schule für Jungen) errichtet, in derenUmgebung nun die drei Grabungsflächen derVermeulenstraat liegen.

Die Fundumstände

Wie bereits erwähnt wurde der Bleibarren aufder Fläche an der Vermeulenstraat 3 gefunden.Er lag in einem Schichtenpaket, dass eineGrube bedeckte. Wir nehmen an, dass sich derBarren nicht mehr in ursprünglicher Fundlagebefand (Fig. 3, 4 und 5).

Die Grube, Befund 845, hat einen ovalenGrundriss, mit einer Größe von ca. 130 x 180 cmund einer erhaltenen Tiefe von ca. 30 cm imWesten und ca. 20 cm im Osten ( Fig.3 und 4).Die Füllung besteht aus drei Schichten: eineca. 10 cm starke Schicht grauen Sandes mitHolzkohlefragmenten, ein 10 bis 20 cm dickesPaket gelbgrauen sandigen Lehms mitHolzkohle und einer 10 bis 20 cm starken Lageweißen Sandes mit Holzkohlefragmenten. Inder Füllung sind folgende Funde beobachtetworden19.

1. 5 Randfragmente, 1 Wand- und 1 Boden -fragment einer Terra sigillata Tasse TypDragendorff 25. Ware: südgallisch.Stempel: ALBVS (das L steht auf demKopf ): Albus aus La Graufesenque (Hartley& Dickinson 2008, Albus i/Albus v).Vergleiche konnten wir nicht finden.Datierung: Albus i wird in die Periode 45 -75 datiert, Albus v in die Periode 30 - 50.Eventuell handelt es sich jedoch um einenTöpfer, wodurch eine tiberische Datierungdes Stempels gut möglich ist (Hartley &

19 In den folgenden Fundkatalogen wurde für jedes Individuum eine Katalognummer vergeben.

– 29 –

Fig. 3: Tongeren: Detail derGrabungsfläche an derVermeulenstraat 3.

Fig. 4: Tongeren: Detail derGrabungsfläche an derVermeulenstraat 3: 1: Grube845; 2: Schicht 551; 3: Schicht549; 4:Schicht 552; 5: Schicht550; 6: spätere römischeGruben und Baubefunde; 7:Bleibarren.

Fig. 5: Tongeren,Vermeulenstraat 3:Stratigrafische Situationvan Grube 845 und derSchichten 549, 550, 551und552.

552

549 550

551

845

1 22 3 7

4 5 65 6

0 1m

845

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Dickinson 2008, 144 - 149 und 153).

Dragendorff 25 wird etwa nach 40 nicht

mehr produziert (Polack 2000, 117). Fig. 6: 1.

2. 3 Randfragmente einer Terra sigillata Tasse

Typ Dragendorff 27. Ware: südgallisch.

Stempel: SCOT F (das F steht auf dem

Kopf ): Scotius aus La Graufesenque (Polak

1995, S45). Datierung: ca. 25 - 50. Fig. 6:2.

3. 6 Rand- und 4 Wandfragmente eines Terra

rubra Bechers Typ Deru 1996, P17. Ware:

nördlich. Verziert mit Kerbbanddekor.

Datierung: -25/20 - 40/45. Fig. 6:3.

– 30 –

Fig. 6: Tongeren,Vermeulenstraat 3:Funde aus Grube 845.Maßstab 1/3.

4. Wandfragment aus Terra rubra. Ware:

nördlich.

5. Wandfragment aus Terra rubra. Machart:

nördlich.

6. 3 Wandfragmente und Bodenfragment aus

Terra nigra. Ware: nördlich. Anpassung an

Katalognr. 4 aus Schicht 552. Fig. 6:6.

7. Wandfragment aus Terra nigra. Ware:

nördlich.

8. 10 Wand-, 2 Randfragmente und 1 Boden -

1

2

3

6

8

9

10

15

11 15

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Fig. 7: Tongeren,Vermeulenstraat 3: Fundeaus Schicht 551. Maßstab 1/3.1: Maßstab 1/6; 2 & 4(Verzierung): Maßstab 1/2.

fragment eines rauhwandigen Topfes Typ

Stuart 1962, 201A/Höpken 2005, R18. Ware:

granular grey. Datierung: ca. 20 - 120

(Anderson 1981; Höpken 2005, 123 - 124;

Brulet u.a. 2010, 305- 306). Anpassung an

Katalognr. 5 aus Schicht 552. Fig. 6: 8.

9. Rand- und Wandfragment eines rauhwan -

digen Topfes Typ Stuart 1962, 201A/Höpken

2005, R18. Ware: granular grey. Datierung: ca.

20 – 120 (Anderson 1981; Höpken 2005, 123 -

124; Brulet u. a. 2010, 305 306). Fig. 6: 9.

10. Rand- und Wandfragment rauwandiger

Ware eines Topfes Typ Stuart 1962

201A/Höpken 2005, R18. Machart:

blaugrauer Ton, rauhwandig. Datierung:

ca. 20 – 120 (Anderson 1981; Höpken 2005,

123- 124; Brulet u. a. 2010, 305 306). Fig. 6: 9.

11. 9 Wand- und 8 Bodenfragmente eines

Doliums. Fig. 6: 11.

12. Wandfragment eines Doliums.

13. Wandfragment eines Doliums.

14. Wandfragment eines Doliums.

15. Randfragment und 2 Wandfragmente eines

Halterner Kochtopfes Typ Vanvinckenroye

1991, Nr. 34 - 39. Datierung: ca. 1 - 120

(Vanvinckenroye 1991, 18 - 20). Fig. 6: 15.

16. Fragment eines sekundär verbrannten

Imbrex.

17. Feuersteinabschlag. Datierung: vor ge -

schicht lich.

Befund 845 wird von einem Paket von vier

Schichten mit einer Gesamtstärke von einigen

Dutzenden Zentimetern abgedeckt. Diese

Schichten (Nr. 549, 550, 551 und 552) dehnen sich

unregelmäßig über eine Oberfläche von etwa

Dutzend Quadratmetern übereinander aus und

werden an allen Seiten durch jüngere Gruben

und Baubefunde geschnitten (Fig. 4 und 5).

Schicht 551 setzt sich aus gelbbraunem

sandigem Lehm mit weißen Einschlüssen

zusammen und enthält Holzkohle, Stücke

verbrannten Lehms und Dachziegelgrus. Aus

der Schicht wurden folgende Funde geborgen:

1. Der Bleibarren mit Aufschrift. Fig. 7: 1.

2. Randfragment einer Terra sigillata

Schüssel Typ Dragendorff 29. Ware:

südgallisch. Obere Zone mit

durchlaufendem Rankenfries wie Hermet

(1934, pl. 40,24), mit viergliedrigen

Rankenknoten und abwechselnd nach

oben und nach unten orientierten Paren

von Efeublättchen. Vergl. Dannel u. a. 2003,

S- T, Taf. G1 und G2 (Senicio) und Dannel u.

a. 2003, M. 1, Taf. G4 und G8 (Melainus).

Datierung: ca. 30 - 80. Fig. 7: 2.

3. Wandfragment einer Terra sigillata Tasse

Typ Ha. 8. Ware: italisch. Datierung: ca. -15

- 25 (Hanut 2004, 172, 183 und 188).

1

2 4

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Fig. 8: Tongeren,Vermeulenstraat 3: Fundeaus Schicht 549. Maßstab1/3.

4. Wandfragment eines Terra rubra Bechers.

Ware: nördlich. Fig. 7: 4.

5. Wandfragment einer Terra nigra Scherbe.

Ware: nördlich.

6. Wandfragment eines engobierten Bechers

Typ Stuart 1961, 1/Höpken 2005, E15. Ware:

Köln. Technik a. Verziert mit

Körnchendekor. Datierung ca. 60 - 120

(Höpken 2005, 74).

7. 2 Wandfragmente glattwandiger Keramik.

Ware: Maasländisch weiß.

8. Bodenfragment glattwandiger Keramik.

Ware: Maasländisch weiß.

9. Wandfragment eines Deckels aus rauh -

wandiger Keramik. Ware: Maaslän disch

weiß.

10. Wandfragment einer Amphore,

möglicherweise Typ Ha. 70. Datierung: ca. -

50 – 50. (Peacock & Williams 1986, 115-116,

class 15; Martin-Kilcher 1994a, 388).

Schicht 549 ist ein Paket graubraunen

sandigen Lehms mit grünen Einschlüssen. Sie

enthält Holzkohle, Stücke verbrannten Lehms

und etwas Mörtel und Kalk. Außerdem wurden

folgende Funde aufgesammelt:

1. Fragment eines bleiernen Gegenstandes.

2. Wandfragment aus Terra nigra.

3. 2 Wandfragmente glattwandiger Keramik.

Ware: Köln.

4. Wandfragment glattwandiger Keramik.

5. Bodenfragment eines Mortariums. Ware:

Grob gemagert. Datierung: ca. 20 - 120

(Vanvinckenroye 1991, 72; Willems 2005,

46-49). Fig. 8: 5.

6. Randfragment eines Doliums. Fig. 8: 6.

7. Wandfragment eines Doliums.

8. Wandfragment eines Doliums.

9. Wandfragment einer Amphore Typ D 7/11.

Datierung: ca. 1 - 100 (Peackock & Williams

1986, 117-119, class 16 ; Martin-Kilcher

1994a, 399).

10. Wandfragment einer Amphore Typ D 2/4.

Ware: Tarragona, Datierung: ca. -25 - 100

(Raynaud 1993; Martin-Kilcher 1994a, 340-

341 und 1994b, 670 Farbtafel C, 28a und b;

Tomber & Dore 1998, 91 und Pl.67).

11. Randfragment eines Halterner Kochtopfes

Typ Vanvinckenroye 1991, Nr. 31-33.

Datierung: ca. 1 - 100 (Vanvinckenroye 1991,

18). Fig. 8: 11.

Schicht 552 besteht aus grauem Sand mit

gelben Einschlüssen. Sie enthält Holzkohle

und folgende Funde:

1. Fragment geschmolzenes Blei.

2. Bodenfragment eines Terra rubra Tellers.

Ware: Champagne.

3. Wandfragment aus Terra rubra. Ware:

nördlich.

5

6

11

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20 Bisher liegen Meldungen über vorgeschichtliches Fundmaterial von der Grabung am Elfde Novemberwal (Vynckieru. a. 1994 und 1995; Machiels & Wyns 2010, 39; Borgers u. a 2009, 1), von der Ecke Pliniuswal und Bilzersteenweg (DeWinter 2009, 10 - 11 und Beilage 9; De Winter & Driessen 2010, 132 - 133) und nun auch von der Vermeulenstraat(Borgers u. a. 2008, 20 und 22; Vanderhoeven & Vynckier 2009, 375 und 2010a, 148) vor.

– 33 –

Fig. 9: Tongeren,Vermeulenstraat 3: Fundeaus Schicht 552. Maßstab 1/3.

Fig. 10: Tongeren,Vermeulenstraat 3: Fundeaus Schicht 550. Maßstab1/3.

4. Bodenfragment aus Terra nigra. Ware:nördlich. Gehört zu Katalognr. 6 vonBefund 845. Fig. 9: 4.

5. Wandfragment rauhwandiger Keramik.Ware: granular grey. Datierung: ca. 20 - 120.Gehört zu Katalognr. 8 von Befund 845.

6. Wandfragment einer Amphore Typ G4.

Schicht 550 ist ein in seiner Ausdehnung starkeingeschränktes Paket grüngrauen Sandes mitetwas Holzkohle und zwei Funden:

1. Randfragment einer Schüssel ausrauhwandiger Keramik Typ Stuart 1962, 210.Ware: nicht näher zu bestimmen, reduzierendgebrannt mit zahlreichen graubraunen,kantigen Quarzkörnchen (> 1 mm).

2. Randfragment eines Halterner KochtopfesTyp Vanvinckenroye 1991, Nr. 31- 33. Datierung:ca. 1 - 100 (Vanvinckenroye 1991, 18). Fig. 10: 2.

Einige Merkmale von Grube 845 sprechendafür, diesen Befund in die tiberisch-claudische Periode zu datieren. Zum einentieft die ovale Grube in den gewachsenenBoden ein. Sie schneidet weder eine römischeAufschüttung noch einen anderen Befund.Zum anderen besteht die Füllungausschließlich aus tertiärem Sand, demMaterial, das sich zur Zeit der Stadtgründungvon Natur aus an der Oberfläche befunden hat.Schließlich beinhaltete die Grube einen

Feuersteinabschlag. Artefakte aus Feuersteinund Fragmente handgeformter vorge -schichtlicher Keramik kommen in einer mehroder minder großen Häufung im nördlichenTeil des römerzeitlichen Stadtgebiets vonTongeren vor, wo der natürliche Untergrundnicht aus Löss sondern tertiärem Sandzusammengesetzt ist. Die ersten Bewohner desantiken Tongeren haben dann diesevorrömischen Reste beinahe vollständigüberbaut, so dass die ältesten Befunde aus derrömischen Stadt regelmäßig vorgeschicht -liches Material aufweisen20. Die weiterenFunde verdeutlichen zusätzlich, dass derBefund nicht zur frühesten Phase derrömischen Siedlung gezählt werden kann,sondern in eine etwas jüngere Periode zudatieren ist, nämlich der tiberisch-claudischen Zeit.

Wie bereits festgestellt, wurde die Grubedurch ein Aufschüttungspaket abgedeckt, indem sich vier Schichten unterscheiden ließen(Fig. 4 und 5). Diese lassen sich anhand der inihnen enthaltenen Funde in die claudisch-neronische Periode stellen. Sie belegen diePlanierung und/oder Aufhöhung des

Geländes, die nach derAbtiefung und Wiederver -füllung von Grube 825 statt -gefunden haben muss.Eventuell geschah dies, umdiesen Bereich zur Überbauungvorzubereiten. Diese Besied -

lung, von der weiter nichts bekannt ist,scheint durch den Brand von 69/70 beendetworden zu sein. Die charakteristischeBrandschicht, die traditionell mit demBataveraufstand in Verbindung gebracht wird,ist allerdings nirgendwo nachgewiesenworden, vermutlich weil wir uns wederinnerhalb noch in der Umgebung einesvorflavischen Gebäudes bewegen. Wo das inTongeren der Fall ist, finden wir beinaheimmer eine charakteristische rot gefärbteBrandschicht, die sich aus Bruchstücken

2

4

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verbrannter Lehmwand zusammensetzt.

In der untersten der vier Aufhöhungs- und

Planierungsschichten, Befund 551, wurde der

Bleibarren zuerst beobachtet (fig. 4 und 5). Er

lag mit seiner beschrifteten Seite nach unten.

Einige Scherben aus der auf der Schicht 551

(und 549) liegenden Schicht 552 gehören zu

Gefäßen, von denen bereits Teile in der

zuunterst liegenden Grube 845 beobachtet

wurden. Es handelt sich dabei um einen Terra

nigra Boden (Katalognr. 6 von Grube 845 und

Katalognr. 4 von Schicht 552) und einen Topf

vom Typ Stuart 201A in rauhwandige Ware

(Katalognr. 8 aus Grube 845 und Katalognr. 5

von Schicht 552). Während der Aufhöhungs-

und Planierungsarbeiten, in deren Folge

nacheinander die Schichten 551, 549, 552 und

550 entstanden sind, muss infolge der

Arbeiten Grube 845 angeschnitten worden

sein. Obwohl der Bleibarren aus Schicht 551

nicht unmittelbar über der Grube 845

gefunden wurde, müssen wir doch in

Erwägung ziehen, dass dieser, ebenso wie dies

für die oben erwähnten Scherben aus Schicht

552 zutrifft, aus der älteren Grube stammt.

Es fällt auf, dass sich der Gegenstand aus Blei

unbeschädigt erhalten hat und in diesem

Zustand in den Boden gekommen ist. Das

könnte auf eine intentionelle Deponierung

hindeuten. An den weiteren Funden aus Grube

845 fällt auf, dass die zwei Terra sigillata

Tassen ebenfalls fast vollständig erhalten

geblieben sind. Diese Beobachtungen

sprechen dafür, einen Teil der Funde aus Grube

845, einschließlich des Bleibarrens, als eine

rituelle Deponierung zu klassifizieren.

Darüber hinaus scheint sich hinter dem

übrigen Fundinventar auch zum Teil normaler

Haushaltsabfall zu verbergen.

Schluss

Angesichts der Fundumstände des Bleibarrens

ist anzunehmen, dass der Gegenstand in die

Civitashauptstadt der Tungrer gelangt ist, als

diese sich bereits voll ausgedehnt hatte. Die

Stadt ist ein knappes halbes Jahrhundert

vorher, ungefähr 10 v. Chr. durch die römische

Verwaltung gegründet worden, wobei das

Militär eventuell für das hierfür notwendige

technische Knowhow und die Arbeitskräfte

gesorgt hat. Wir wissen mittlerweile, dass die

einheimische Bevölkerung die Siedlungs -

parzellen in Besitz nahm und dort Wohn -

stallhäuser errichtete, die die eisenzeitlichen

Bautraditionen fortführten. Möglicherweise

entstand, wie in den benachbarten Civitas -

hauptstädten, in den frühen Phasen an heraus -

gehobenen Stellen der Stadt eine stärker

romanisierte städtische Wohnbe bauung, von

der jedoch zurzeit noch jede Spur fehlt. Mit

großer Sicherheit befanden sich dort aber

schon öffentliche Gebäude, die zumindest in

Teilen schon in Stein aufgeführt waren. Die

auf der Fläche am Elisabethwal gefundene

Säulentrommel gibt möglicher weise hiervon

Zeugnis.

Ebenso wie in anderen nordgallischen und

niedergermanischen Städten müssen sich

auch in Tongern zu Anfang der Gründung

bereits umfangreiche Bauaktivitäten

entwickelt haben. Diese erstreckten sich über

mehrere Jahrzehnte21. Wir nehmen an, dass

hierbei auch Blei verarbeitet worden ist, und

der tiberische Rohstoffbarren zu diesem

Zweck nach Tongern gelangte. Aus dem ein

oder anderen Grund ist der an der

Vermeulenstraat gefundene Barren jedoch

nicht verarbeitet, sondern in der rundovalen

Grube 845 vergraben worden. Später entfernte

man ihn während der claudischen oder

neronischen Terrassierungsmaßnahmen aus

seinem ursprünglichen Zusammenhang und

er gelangte in die vorflavische Aufhöhungs -

lage 551. Hierbei ist unklar, ob der Barren

unbemerkt umgelagert wurde, oder erneut

niedergelegt worden ist. Es scheint unwahr -

scheinlich zu sein, dass die Erbauer der

Terrasse, beim Anschneiden des Blei barrens

21 Der Eindruck einer Stagnation in der tiberischen Periode ist eventuell auf das Fehlen einer guten archäologischenDokumentation für die frühen Phasen zurückzuführen (Coquelet 2011, 216 - 217).

– 34 –

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dieses Objekt unbemerkt umge lagert haben.So ein schwerer Gegen stand kann unmöglichübersehen werden. Die Terras sierung hattevielleicht den Zweck, den Baugrund für dieBesiedelung vorzubereiten. Möglicherweisegeschah dies zum ersten Mal und der Bereichhatte zur Zeit der ersten Deponierung desBarren noch brach gelegen. Die Erinnerung andie halbrunde Grube mit dem darinverborgenen Gegenstand scheint zu diesemZeitpunkt bereits verloren gegangen zu sein.

Weil der Barren intakt gelassen wurde undzusammen mit einer unbekannten Anzahlwenn auch nicht unbeschädigter, so dochvollständiger Gegenstände in der rundovalenGrube vergraben wurde, gehen wir von einerrituellen Deponierung aus. So ist schwervorstellbar, dass ein dermaßen schwererGegenstand, der immerhin eine große Mengewertvollen Baumaterials darstellt, unbewusstverloren gegangen sein soll. Schwerer zudeuten ist die Tatsache, dass auch dieHersteller der Aufschüttungslage denGegenstand nicht beeinträchtigten. Hatte mansich bei der (Wieder)entdeckung derursprünglichen Bedeutung des Objekteserinnert und es erneut niedergelegt? Es istjedenfalls auffällig, dass der Barren währendder Grabung haargenau mit dem Text nachunten vorgefunden wurde, was den Eindruckeiner sorgfältigen (Neu)deponierung erweckt.

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Der in Tongern aufgefundene

Bleibarren mit dem Namen des

Kaisers Tiberius

Marie-Thérèse Raepsaet-Charlier & Georges Raepsaet

Beschreibung, Lesung & Übersetzung:Der Bleibarren hat die Form eines Trapezes; er ist 53,3 cm lang, 4 bis 5 cm hoch, 6,5 cm breit

(oben) sowie 9,5/9,8 cm breit (unten), sein Gewicht beträgt 17, 970 kg (fig. 1)1.

Auf der Oberseite trägt der Barren eine bei dem Gussvorgang in die Barrenform eingeprägte

Inschrift, die in eine Kartusche eingepasst ist. Die Inschrift besteht aus sehr sorgfältig

ausgeführten Majuskeln; zwischen den einzelnen Worten stehen Trennpunkte. Die Versalhöhe

der Buchstaben variiert von 3,0 bis zu 3,6 mm.

IMP(eratoris)° TI(berii) CAESARIS° AVG(usti) (plumbum)° GERM(anicum)° TEC(-)

Eigentum des Kaisers Tiberius Caesar Augustus, germanisches Blei, TEC(-).

Datierung: Regierungszeit des römischen Kaisers Tiberius: 14-37 nach Christus.

Fig. 1Zeichnung und Photo desBarrens aus Tongern

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Interpretation

Die Eigentumsmarke trägt den Namen des

Kaisers, was auf eine offizielle Produktion des

römischen Staates hinweist. Es bestehen

sicher Varianten bei den Organisations -

modalitäten dieser Herstellung, aber der

Umstand, dass der Name des Kaisers in der

Gussform eingebracht ist und nicht durch

Ritzung nachträglich auftragen wurde oder

durch spätere Prägung, zeigt den kaiserlichen

Besitz schon ab dem Guss des Barrens und

somit ab der Gruben-Gewinnung2.

Das Wort GERM() darf nicht als Beinamen des

Kaisers interpretiert werden, der diesen cogno-

men ex virtute niemals getragen hat, sondern,

den Barren aus Großbritannien gleich, als ein

Hinweis auf den geographischen Ursprung

des Metalls. Tatsächlich charakterisieren die

in der Provinz Britannia hergestellten und dort

aufgefundenen Barren das Metall oft als

Brit(annicum plumbum): So kann man zum

Beispiel Vespasian - Besitzstempel anführen

(RIB 2404.4  -2404.13); bei Letzteren ist die

Abkürzung BRIT in die Kartusche eingegossen

wie bei dem Bleibarren aus Tongern. GERM

muss also auf eine germanische Produktion

verweisen, wie dies auch ein anderer, den

Namen des Kaisers Augustus tragender Barren

belegt, der in einem Wrack entdeckt wurde

(siehe unten).

Das Wort TEC() ist schwerer zu interpretieren.

Man könnte an T() E() C() denken, drei getrenn-

te Buchstaben, die den Namen des im Dienste

des Kaisers stehenden Grubenverwalters oder

Pächters in Form einer Abkürzung wiederge-

ben. Die römischen Namen enthalten in der

Tat drei Bestandteile, die tria nomina, mit dem

praenomen (hier also Titus), dem nomen gentile

(der mit E beginnen könnte, zum Beispiel

Eggius oder Ennius oder Egrilius; man beach-

te, dass die mit E beginnenden Familiennamen

selten sind) sowie dem Beinamen, dem cogno-

men (das hier mit C beginnt, daher eröffnen

sich unzählige Benennungsmöglichkeiten).

Barren aus germanischem Blei geben manch-

mal den Namen des Herstellers an, wie man

noch sehen wird, allerdings in unterschiedli-

cher Form.

Weiterhin wird man vielleicht einwenden,

dass die drei Buchstaben TEC nicht durch

Punkte getrennt sind, was die Vermutung

nahe legt, dass diese Buchstaben eher zu

einem einzigen Wort gehören.

Eine andere Interpretation ergibt sich durch

bestimmte Barren aus Großbritannien, die

inner- oder außerhalb der Kartusche eine

Angabe zum Herstellungsort tragen. Diese

Standorte können identifizierbar sein oder

auch nicht.

Besonders interessant sind die aus der vespa-

sianischen Herstellung stammenden

Beispiele: So weist ein Barrentypus in der

Kartusche, also bei dem in der Grube eingegos-

senen Stempel, die Inschrift Brit(annicum) ex

arg(entariis) (RIB 2404.13) auf. An einigen

Barren findet sich die Inschrift ex arg(entariis)

VEB(-) an einer seitlichen Markierung, die

ebenfalls in der Gussform eingebracht war

(RIB 2404. 4-10). Der Betrieb lag in den Händen

einer societas, die auf einigen Barren an anderer

Stelle durch einen Prägestempel ausgewiesen

wird: soc(iorum) Novaec(-). VEB(-) verweist also

nicht auf einen Personennamen, sondern ist

eher als geografisches Indiz zu verstehen;

denkbar ist ein Herstellungsort im

Bergwerksbezirk der Mendips (Somerset).

TEC(-) könnte daher als Abkürzung für den

Herstellungsbezirk verstanden werden.

Das Blei dieses Barrens wurde von Dr. Michael

Bode im Labor der Universität Münster

Isotopenanalysen unterzogen. Die Ergebnisse

geben Hinweise auf die jeweiligen Zonen, in

denen dieses Blei eventuell hergestellt werden

konnte oder auch nicht. (Verweis auf das tech-

nische Kapitel)

Das Ergebnis für den Barren lässt zwei

Interpretationsmöglichkeiten zu: Entweder

handelt es sich um die Standorte in der

Nordeifel oder um die Gegend um Brilon im

1 Für die Illustrationen danken wir Guido Schalenbourg (Gallo-Römisches Museum) und André Dettloff (OE).2 Sehe auch: Raepsaet-Charlier 2011.

– 39 –

Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 39

Sauerland. Die Gegend um Brilon3 zeigt

Spuren römischen Bergbaus zur Zeit des

Kaisers Augustus, aber sie liegt rechtsrhei-

nisch, in einem Gebiet, das von den Römern

ausschließlich zwischen 12 vor Christus, dem

ersten Jahr der Eroberung durch Drusus, und 9

nach Christus, als Varus die Schlacht im

Teutoburger Wald (bei Kalkriese) verlor, unter-

worfen, verwaltet und erschlossen wurde, also

zur Zeit der Provinz Germanien4. Ab dem Jahr

9 wird die Provinz jenseits des Rheines aufge-

geben und es ist undenkbar, dass Kaiser

Tiberius Gruben in dieser rechtsrheinischen

Zone besessen und dort Abbau betrieben

haben könnte. Spuren römischer Anwesenheit

haben die Zeiten überdauert, Händler waren in

der Germania libera unterwegs, aber der offi-

zielle Bergwerksbetrieb ist zu dieser Zeit been-

det: An diesem historischen Sachverhalt

besteht kein Zweifel. Zum Zeitpunkt des

Todes von Augustus haben sich die Römer

bereits seit mehreren Jahren völlig hinter die

Rheinlinie zurückgezogen5.

In der Eifel sind mehrere Bergwerke lokalisiert

worden; sie geben Zeugnis von der

Erzförderung zu römischer Zeit6.

So ist in Mechernich ein Bleigewicht der von

43 bis 70 n. Chr. am Rhein stationierten XVI.

Legion (AE 2006, 867) aufgefunden worden7.

Weiterhin stammen im Moseltal zwischen

Trier und Koblenz, genauer in St. Aldegund

(Lkr. Cochem-Zell), aufgefundene Bleibarren8,

von denen einer Prägestempel des Kaisers

Valentinian III. (425-455) trägt, ebenfalls aus

den Bergwerken der Nordeifel, entweder aus

Mechernich oder aus Stolberg, was auf eine

über die ganze römische Zeit hin bestehende

Ausbeutung dieser Vorkommen hindeutet.

Bei genauer Betrachtung der archäologischen

Karte der Herstellungsregion um Mechernich

stellt man fest, dass sich in unmittelbarer

Nähe von Mechernich die Standorte Floisdorf,

Soller und Boich befinden:

An diesen drei Orten wurden sog. „topischen“

Gottheiten geweihte Altäre entdeckt, wobei

diese Bezeichnung darauf verweist, dass diese

Gottheiten den Namen der Gegend oder des

Ortes tragen, an denen sie verehrt wurden9;

diese Göttinnen heißen Matronae Textumehae

(CIL XIII 7849, 7899 und Schillinger-Häfele 146)

und sind ausnahmslos in diesem Gebiet10 rund

um den antiken Siedlungsbereich Zülpich

belegt.

Die sprachwissenschaftliche Untersuchung

dieser als germanisch11 identifizierten

Bezeichnung Tech + tum + Suffix ehae verweist

auf die indoeuropäische Wurzel deks/texs, wie

sie auch einerseits im keltischen12 Tecto- so z.B.

im Namen der Tectosagen13, in der curia der

Textoverdi (RIB 1695) und im germanischen

techs „rechts, südlich“14 andererseits erscheint.

Daher kann man die Hypothese aufstellen,

dass die Buchstaben TEC (fig. 2) am Ende des

Bleibarrenstempels aus Tongern auf den

3 Rothenhöfer 2003; Hanel & Rothenhöfer 2005.4 In Bezug auf die Gründung, Hauptstadt und Organisation der Provinz Germanien siehe: Eck & von Hesberg 2003;

Eck 2004 a; 2004b 63-126; 2007 9-32.5 Siehe dazu z.B.: Tacitus, Annalen, I, 31; vgl. Cassius Dio LVI, 23-25 bezüglich der Jahre 9-11. Zur einheimischen

Produktion siehe: Melzer & Capelle 2007.6 Rothenhöfer 2005, 88-90.7 von Petrikovits 1960, 68; Horn 1987, 154-156; Rothenhöfer 2005, 88-90.8 Rothenhöfer 2007.9 Vgl. Spickermann 2002, 145-146; Spickermann 2009, 356-357.10 Spickermann 2008, 295.11 Gutenbrunner 1936, 169; Neumann 1987, 109 ; Reichert 1987, 659.12 Delamarre 2003, 294.13 Evans 1967, 265-266.14 Pokorny 1959, 190.

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Fig. 2Buchstaben mit TEC

Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 40

Herstellungsbereich Mechernich hinweisen,

was aufgrund der Isotopenanalysen möglich

wäre, und dessen Name nach den ihn schüt-

zenden Matronen, den Matronae Textumehae,

rekonstruiert werden könnte15.

Plumbum Germanicum – Barren aus

augusteisch-tiberischer Zeit

Die im Mittelmeer geborgenen Schiffswracks

haben uns eine beträchtliche Zahl epigrafi-

scher Informationen über das germanische

Blei geliefert; aus ihnen geht hervor, dass das

Blei nicht nur in der Herstellungsregion ver-

wendet, sondern auch in das Imperium expor-

tiert wurde. Diese Informationen können mit

lokalen Funden verglichen werden. Die

Interpretation dieser schriftlichen Zeugnisse

kann sich dabei auf Isotopenanalysen aus den

letzten Jahren stützen, bei denen sich zwei

große, auch in archäologischer Hinsicht aner-

kannte Produktionsgebiete herausgestellt

haben. So zum einen die Eifel, aus der das Blei

des in Tongern aufgefundenen Barrens

stammt. Zum anderen die Gegend um das sau-

erländische Brilon16, die Spuren römischen

Bergbaus zur Zeit von Augustus aufweist:

Diese Gegend befindet sich auf der rechten

Rheinseite, in einem Gebiet, das die Römer

nach der clades Variana aufgaben; die

Produktion wurde anschließend linksrhei-

nisch weitergeführt.

1° Das Wrack von Rena Maiore vor Sardinien17

liefert zwei interessante Inschriften auf unter-

schiedlichen Barren:

a) Augusti Caesaris (plumbum) Germanicum

(AE 2000, 653)18

„germanisches Blei, Eigentum des

Kaisers Augustus Caesar“

Auf einigen Barren befinden sich außerdem

Gegenstempel:

- L. Val(erius) Ruf(us)19 (AE 2002, 636a) auf der

Langseite, teilweise zwei- oder dreimal aufge-

druckt;

- CHI könnte die auf den Schmalseiten aufge-

prägte Abkürzung des Namens Chilon20 (AE

2002, 636b) sein;

- IMP(eratoris)21 (AE 2002, 636c).

b) Pudentis (plumbum) Germ(anicum) (AE

2002, 636d)22

„germanisches Blei, (Herstellung?)

durch Pudens,

ebenfalls versehen mit dem Gegenstempel

CHI (AE 2002, 636e)23.

Anzumerken ist, dass die Zeichen des Kaisers

Augustus in eine Kartusche gegossen, die von

Pudens hingegen mit einem Stempel geprägt

sind. Die vollständig ausgeschriebene Angabe

Germanicum belegt deutlich, dass alle anderen

früher angeführten Lesarten für die auf Barren

vorhandenen Abkürzungen Ger oder Germ

falsch sind.

Die Gegenstempel bedeuten, dass andere

Personen, deren Rolle aber schwer einzuschät-

zen ist, beteiligt waren: An der Herstellung?

Oder am Transport oder am Vertrieb?

2° Dieses Zeichen lässt sich vergleichen mit

der unvollständigen Prägung, die in Brilon24,

einem Bergbaugebiet des Sauerlandes, ent-

deckt wurde:

]Pudent[is (AE 2005, 1099)

Die Analysen zeigen, dass dieses Blei auf kei-

nen Fall aus Spanien oder Britannien stammen

kann, eine Herstellung im Sauerland hingegen

möglich ist. Zu lesen ist der Name des Kaisers

Augustus sowie der eines Herstellers, Pudens.

Dieser einzige Name könnte auf einen kaiserli-

chen Beamten, einen Sklaven oder einen

Freigelassenen hindeuten; es kann allerdings

nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um

15 Eine neue Interpretation (Belgien) gibt Raepsaet-Charlier 2011.16 Rothenhöfer 2003; Hanel & Rothenhöfer 2005.17 Ruggeri 2000, Riccardi & Genovesi 2002.18 Ruggeri 2000, 877 und 897-904 (Vorschlag einer iberischen Bleiherkunft); Riccardi & Genovesi 2002, 1319-1324.19 Riccardi & Genovesi 2002, 1323.20 Riccardi & Genovesi 2002, 1323. ein griechischer Name, der auf den Leibeigenenstand verweist: Solin 1996, 390.21 Riccardi & Genovesi 2002, 1324.22 Riccardi & Genovesi 2002, 1327-1329.23 Riccardi & Genovesi 2002, 1327.24 Hanel & Rothenhöfer 2005, 56-57.

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Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 41

das Cognomen eines römischen Bürgers han-delt, der das Blei durch Pacht erworben hat, daes sich hier um einen Genitiv und nicht umeinen Nominativ handelt (Subjekt zu fecit).Denkbar ist ebenfalls ein Peregrinus, ein freierEinwohner des Kaiserreiches. Pudens istjedoch ein häufig anzutreffender Name fürSklaven25. Man beachte, dass die Pudens-Zeichen nicht in die kaiserliche Kartusche ein-gegossen sind, sondern eingeprägt wurden.

3° Das Wrack vor Saintes-Maries-de-la-Mer26

hat andere eingegossene, derselben Zeit zuzu-ordnende Stempel ergeben:a) Flavi Veruclae plumb(um) Germ(anicum)

(AE 1992, 1183 b1)„germanisches Blei, hergestellt vonFlavius Verucla“mit Stempeln, deren Prägung nur die unterB verzeichnete Eigentumsmarke trägt:Imp(eratoris) Caes(aris) (AE 1992, 1183a)„Eigentum des Kaisers Caesar“.

Veruclas Name steht in der Kartusche einge-gossen, während der Name des Kaisers aufeinem Seitenstempel steht, der nach demHerausnehmen aus der Form eingeprägtwurde.b) Andere Barren, die aus demselben Wrack

geborgen wurden, weisen zwei oder dreiStempel27 auf:L(uci) Fl(avi) Veru(clae) (AE 1992, 1183b2)oder L(uci) Fl(avi) Ve(ruclae);Erotis (AE 1997, 1042), dieser Aufdruckerfolgte mit zwei unterschiedlichenStempelmodellen (A und B);

Imp(eratoris) Caes(aris), dieserAufdruck erfolgte mit zwei unterschiedlichenSiegelmodellen (A und B),was auf die Beteiligung einer dritten Person an

dem Herstellungsprozess oder an derKontrolle oder auch am Vertrieb hinweist,nämlich auf einen gewissen Eros (es handeltsich hierbei um einen weiteren, ausdrücklichauf die Zugehörigkeit zur Sklavenschicht ver-weisenden Namen28), der ein kaiserlicherSklave oder ein als institor oder actor handeln-der Sklave (oder Freigelassener) von Veruclasein könnte; eventuell auch ein staatlichbestellter, im Verladungshafen tätiger Prüfer.Der auf Besitz hinzuweisen scheinende Genitivist jedoch problematisch.

4° Der unvollständige Stempel an dem Barrenaus Bad Sassendorf/ Heppen (Museum Soest)29,Sauerland, ist in seiner Machart durchausganz und gar vergleichbar, da er Kartuscheund Stempel für ein- und denselben Namenmiteinander verbindet:L. Fla[vi Veruclae plumb. Germ.] (Kartusche)L. F. Ve (Stempelung)„germanisches Blei, hergestellt von L. FlaviusVerucla » (AE 2003, 1222 ab, s. AE 1920, 7)30

Die Isotopenanalyse hat dieselben Ergebnissegezeigt und in Anbetracht des Fundortes kannman sehr wahrscheinlich auf eine Herstellungauf rechtsrheinischer Seite schließen; mankann daher davon ausgehen, dass die ZeichenL. Flavius Verucla ebenfalls auf die Zeit derProvinz Germania Magna unter dem KaiserAugustus (-12 / +9) zurückgehen. Veruclakönnte der Pächter der Grube Brilon sein oderauch nur ein Pächter.

5° Ein anderer Stempel, der aus einemSchiffswrack aus Fos-sur-Mer31 (MuseumIstres) stammt, ist ebenfalls sehr interessant,was die Erkenntnisse über die Bleiverhüttungin Germanien betrifft:

25 Kajanto 1965, 264.26 Pomey 1992; Long & Domergue 1995. Die Verfasser, in der offensichtlichen Überzeugung, dass es kein plumbum

Germanicum gibt, da sie diese Auslegung nicht einmal erwähnen, haben als Lesart „germ(anum)“ vorgeschlagen. Dasvon Verucla hergestellte Blei soll „rein“ oder „echt“ sein sowie hispanischer Provenienz, nur aufgrund der Typologieder Barren.

27 Zeichnungen: Long & Domergue 1995, 813, Abb. 10, zusammenfassende Tabelle, 856-859.28 Solin 1996, 284-290.29 Rothenhöfer, 2003.30 Sie wurde so gelesen: L(uci) Fla(vi) // L(uci) F(lavi) Ve[teris].31 Laubenheimer-Leenhardt 1973, 124-125 Nr. 16 und 193-199: da die Autorin von dem Nichtvorhandensein des germa-

nischen Bleis überzeugt war, lautete ihr Vorschlag für Ger(-) ein in Britannien liegender Herstellungsstandort. Sieheim vorliegenden Band den Artikel von M. Bode zur Isotopenanalyse.

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Sociorum plumb(um) Ger(manicum) oderSociorum plumb(i) Ger(manici) (AE 1959, 124),eingegossen in eine Kartusche„Germanisches Blei, Eigentum der Gesell -schafter“ (der Mitglieder der Genossenschaft,die germanische Bergwerke und den Abbau inPacht übernahm) oder auch „Eigentum derGesellschafter der Genossenschaft des germa-nischen Bleis“.Diese Markierung bezeugt das Vorhandenseineiner societas zum Zwecke der Pacht, welchewie „Staatspächter“ auftraten. Bei der Über-prüfung des archäologischen Kontextes32

ergibt sich zeitlich gesehen der Verlauf des 1.Jahrhunderts, eher noch die zweite Hälfte des1. Jahrhunderts33. Das Blei dieses Barrenswurde untersucht: Es entspricht genau demProfil der anderen Barren aus germanischemBlei und verweist also aufgrund seinerDatierung auch auf die Eifel.6° Andere in Bleibarren gegossene Stempel ausdem Mittelmeer können als weitere Gegeben -heit hinzugenommen werden: Zum einen einunveröffentlichter Barren aus Fos-sur-Mer, derden Namen Tiberius trägt und zum anderenein 1986 vor der korsischen Insel Île Roussegeborgener Barren34. Beide werden derzeit ander Université Libre de Bruxelles untersuchtund in der nächsten Veröffentlichung (M.Bode) behandelt.

Die Bergbauverwaltung

In den letzten Jahren waren der Besitz sowiedie Betriebsweisen und der Abbau in den römi-schen Bergwerken Gegenstand wichtigerUntersuchungen und Abklärungen, darunterzeichnen sich insbesondere Claude Do mer -gues35 Forschungsarbeiten aus. Bedeu tendeEntwicklungen lassen sich beim Übergang vonder Republik bis zur Kaiserzeit feststellen,allerdings ist deren zeitliche Zuordnung nichtimmer ganz einfach; dies betrifft insbesondere

den Zeitraum um die Herrschaft des KaisersAugustus, in dem die Macht der großenStaatspächtergenossenschaften merklichschwindet und man zu einem staatlichenFinanzwesen übergeht, das unmittelbarer mitder zentralen Obrigkeit des Kaisers verbundenist. Allerdings muss man dabei einräumen,dass selbst zur Zeit der Republik nicht alleBergwerke der res publica in den Händen derpublicani waren. Aber bei Hinzuziehung dersich mit dem Betrieb der Bergwerke befassen-den Quellen vor allem aus späterer Zeit mussman in Bezug auf den untersuchten ZeitraumVorsicht walten lassen. Die epistemologischeGefahr einer Gleichstellung der damals ergrif-fenen Maßnahmen mit Dirigismus oderLiberalismus stellt ebenfalls ein Risiko dar, vordem Jean Andreau warnt36.Für die Zeit der Republik schlägt man dasVorhandensein zweier Betriebsweisen derGruben vor, das sind die großen Genossen -schaften der publicani einerseits, welcheDomergue zufolge keinen Abbau betreiben,sondern die Abgaben für die Verhüttung ein-heimsen, und andererseits Privatgenossen -schaften, die nicht über die umfassendenPrivilegien der großen societates verfügen.Aber die Bedeutung des Begriffes publicani istselbst nicht eindeutig geklärt; ob es sich umeigens gebildete Gesellschaften handelt oderob es jeder Ersteigerer als Auftragnehmer desStaates ist, der Bergwerke gepachtet hat37.Domergue folgert bei der Prüfung derSituation in Spanien, dass die Gesellschaftender Publikanen Steuern auf Bergwerke erhe-ben oder eintreiben; diese Gruben werden vonPrivatunternehmern oder Familien vonBergleuten, ja sogar von kleinen, privatrechtli-chen Genossenschaften betrieben, die wieder-um den großen PachtgenossenschaftenSteuern entrichten.In der Hohen Kaiserzeit gehören die Bergwerkehauptsächlich dem fiscus; dies bedeutet aber

32 Benoît 1958, 34-37.33 Marty 2009.34 Pomey et al. 1988, 54 –55; AE 1992, 913; siehe auch den Artikel von M. Bode.35 Domergue 1983; 1990; 2008.36 Andreau 1989; 1990.37 Lange Diskussion bei Andreau 1989, 91-95 und Domergue 2008, 192-193.

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nicht, dass jedes Bergwerk zwangsläufigEigentum des Staates ist. Was die bedeutendenBergbaubezirke und Vorkommen an sichangeht, verweisen alle uns zugänglichenQuellen auf eine direkte oder indirekteVerwaltung durch den Staat. Aus rein juristi-scher Sicht wird über die Zugehörigkeit dessolum provinciale, das heißt des erobertenGebietes, zum Patrimonialbesitz des Princepsdebattiert, aber faktisch impliziert sie eine pri-vilegierte Stellung des Staates, „redoublé parla conquête“38, insbesondere wohl in solchheiklen und lebenswichtigen Bereichen wieden Bergwerken. Die Bergwerke wären dannein Teil des von dem fiscus verwaltetenPatrimoniums. Aber die Zäsur wäre nicht ein-schneidend, da der Staat nicht unbedingt diezuvor geltenden Vorschriften ändert.Das Römische Reich ab Augustus verwalteteine erheblich gestiegene Menge vonVermögenswerten, für die der fiscus offen-sichtlich zentral verantwortlich zeichnet undgleichzeitig Beschaffer von Einkünften ist. DieGesamtheit der Bergwerke sowie des kaiserli-chen Vermögens in einer Provinz steht unterder Verantwortung eines ritterlichenProkurators; ihm zur Seite steht ein freigelas-sener Prokurator. Auf der iberischen Halbinselgibt es vier hauptamtliche Prokuratoren, dazuin den Bergbauregionen einen freigelassenenProkurator, so etwa den procurator metallorum

der Tafeln von Aljustrel. Die Bergwerks ord -nung des lusitanischen Vipasca zeigt im 2.Jahrhundert die äußerst aktive Rolle des mitder Leitung des Bergwerkes betrautenProkurators auf, der mit Unterstützung vonSklaven und kaiserlichen Freigelassenen vollverantwortlicher Verwalter des Bezirkes fürden fiscus war39.Die Verpachtung scheint dort gegeben zu sein.Domergue zufolge ist sie in der Kaiserzeit vor-herrschend. Der Bergbau ist an Unternehmerverpachtet, unter Kontrolle durch den

Prokurator oder freigelassenen Prokuratoroder dessen Stellvertreter. Eine Bergwerksord -nung wie die aus Vipasca scheint genau zwi-schen der Aufsicht durch und den Interessendes fiscus einerseits und denen des Pächter-Betreibers andererseits zu unterscheiden.Verschiedene Pachtarten bestehen nebenei-nander. So gibt es die Verpachtung anPublikanen-Genossenschaften, die aberanscheinend in der Kaiserzeit an Bedeutungverliert, belegt ist auch nach Zuschlag aneinen einzigen und einzelnen conductor dieVerpachtung einer Bergbaukonzession, odersogar eines Bezirkes oder einer Region40.Umstritten ist allerdings, wie der Titel con-

ductor inhaltlich definiert werden kann, wiezum Beispiel bei dem conductor ferrariarum

Noricarum. Eine Quantifizierung hinsichtlichder Anzahl der „großen“ Pächter und der derkleinen Betreiber-Pächter wie in Vipascaerscheint sehr schwierig, zumal nichts derUnterverpachtung oder Übertragung mittelseines Vertrages der Art conductio-locatio entge-gensteht.Die direkte Verwaltung durch den Staat gibt esauch. In diesem Fall gibt es zwangsläufig mehrstaatliche Beamte und diese sind unmittelba-rer involviert, mit umfangreicheren Auf -gaben bereichen. Unter Augustus erfolgt dieGoldgewinnung im Nordosten Spaniens durchden Staat, wobei einheimische Peregrini dieArbeit ausführen, auch wenn die Betriebs -struktur im Einzelnen “ganz ungeklärt“ bleibt41.Zum direkten Betrieb durch den Staat kannman noch das Heer hinzufügen, dessenAnwesenheit an mehreren Bergwerksstand -orten belegt ist. Andreau bezeichnet sie als„gelegentlich“; er erkennt eher eine Kontroll -funktion als eine Arbeit vor Ort in den inBarren der legio II Augusta eingegossenenKürzeln (RIB 2404.24-25), die an Blei vor -kommen mit Silberanteilen in Wales angetrof-fen werden. Das kann sein, darüber muss aber

38 Andreau 1989, 111.39 Mateo 2003.40 Domergue 2008, 200-201; vgl. Andreau 1989, 100-102. Der einzige für die Provinz Niedergermanien belegte conductor

betrifft die Quadragesima und den „portus Lirensis“ (Nesselhauf 161). Zur Interpretation dieses Portus siehe France2001, 337-345; man befindet sich hier allerdings in einem anderen Bereich, dem der Steuern und Abgaben.

41 Andreau 1989, 106.

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Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 44

noch gesprochen werden, insofern als das

Heer über die nötige Infrastruktur und die

technische Ausrüstung für den Erzabbau ver-

fügte und wahrscheinlich seit dem Beginn der

Kaiserzeit in Germanien wirkte.

Domergue42 hat Recht, wenn er die beiden Fälle

miteinander verbindet. Und wenn man, wie in

Spanien, berücksichtigt, dass der Name des

Herstellers in die Form auf der Rückseite des

Barrens eingegossen ist und die Seitenstempel

nur die an der Distribution nacheinander

beteiligten Händler bezeichnen, dann muss

man als erwiesen annehmen, dass der Kaiser

der Produzent ist, wenn sein Name in die Form

eingegossen ist: Es handelt sich dann um

Direktverwaltung. Auf welche Art und Weise

kann man sich die Bleiherstellung in

Germanien folglich vorstellen? Die in der

Form eingebrachten Prägestempel mit den

Namen Augustus oder Tiberius, wie auch die

der Kaiser, die auf Barren aus Aquitanien,

Britannien, Sardinien oder Noricum43 belegt

sind, verweisen auf das Patrimonium und auf

eine Direktverwaltung.

Die Herstellung des germanischen Bleis ist in

einen ganz besonderen historischen Kontext

einzuordnen, zumindest in Bezug auf die

rechtsrheinische, sehr kurzzeitige Gewinnung,

frühestens in das Jahr -12, als Drusus die

Eroberung bis zur Weser und an die Elbe aus-

dehnt, spätestens in das Jahr 9 nach Christus,

bei der Varusniederlage. Eine ganze Reihe von

Indizien lassen darauf schließen, dass das

eroberte Gebiet als Provinz44 eingerichtet

wurde, und dies schon ab dem Triumph des

Tiberius im Jahre -8. Hiermit wird durch die

unmittelbar anschließende Urbanisierung,

wie zum Beispiel in Waldgirmes, oder die

Einsetzung des Kaiserkultes im Oppidum

Ubiorum, der bisher vernachlässigte Text von

Cassius Dio (56,18,2) bestätigt. Augustus woll-

te wohl ähnlich wie in Gallien die gleiche

Integrationsdynamik nach der ersten Reise

Agrippas einführen und eine rasche

Zustimmung und Einbindung der neuen ein-

heimischen Eliten erreichen, ein wenig wie bei

den Tres Galliae, als er im Jahre 12 nach

Christus die einheimischen Vertreter der neu

gebildeten gallischen civitates in Lyon zum

Kaiserkult um den Altar versammelte. Werner

Eck vertritt die Vorstellung einer direkten und

starken Einbeziehung der höchsten Ebene der

Staatsmacht, das heißt des Kaisers und seiner

Familie, seiner familia, in die Organisation der

neuen Provinz. Drusus und, nach seinem Tod,

Tiberius (fig. 3), übt die höchste Macht aus; er

befehligt das Heer und trägt die zivile

Verantwortung eines Statthalters für die

Provinz. Lange vor der Neugründung der Stadt

durch Claudius als Colonia Claudia Ara

Agrippinensis erscheint das Oppidum Ubiorum

wie ein umfassender städtischer Wirtschafts-

und Verwaltungsschwerpunkt inmitten einer

voll nutzbaren Fluss- und Straßeninfra -

struktur. Es gibt mehrere Hinweise auf den

direkten Einfluss der augusteischen Staats -

macht am Rhein, so zum Beispiel in dem oppi-

dum, das monumentale Mausoleum eines dis-

pensator, welcher im Finanzbereich verant-

wortlich tätig war, oder die Präsenz des

Vedianus, eines weiteren kaiserlichen Frei -

gelassenen, den Werner Eck45 durchaus mit

dem Patrimonium, das ab der ersten Erobe -

rungsphase zur Verwaltung des von der

Staatsmacht erworbenen Patrimonialvermö -

gens gebildet wurde, verbunden sähe. Diese

beiden Zeugnisse sollen die Indizien für das

Vorhandensein eines mit diversen, direkt mit

den Belangen des Princeps verknüpften

Aufgabenbereichen betrauten Personals sein.

42 Domergue 1994.43 Domergue 2008, 191.44 Vgl. o.a.45 Eck & von Hesberg 2003, 191-198 (AE 2004, 969 abc).

– 45 –

Fig. 3Buchstaben mit TI(berii)

Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 45

Während der relativ kurzen Zeit der

Einrichtung der neuen Provinz Germanien auf

der rechten Rheinseite musste das Heer beson-

ders aktiv gewesen sein. Wie auch in den ande-

ren eroberten Provinzen werden die

Infrastruktur und die Verwaltungsgrundlagen

der neuen Staatsmacht von den Legionen und

ihren spezialisierten Diensten (dazu gehören

Topografen, Techniker und Logistiker) sowie

eigene oder dienstverpflichtete Arbeitskräfte

gelegt und gebildet. Die rheinischen Bezirke

behalten ihre strategische Bedeutung auch

nach der Niederlage des Varus und dem

Rückzug auf die linke Rheinseite. Mehrere

Legionen und Auxiliartruppen sichern die

Nordwestgrenze des Imperium Romanum.

In der linksrheinisch gelegenen Eifel sind die

Voraussetzungen für den Bergwerkbetrieb in

einer befriedeten Gegend anders geartet, in

der das Heer wohl eher eine deutlich unbedeu-

tendere Rolle gespielt hat und der Betrieb

durch Privatunternehmer stärker verbreitet

war. Die über einen langen Zeitraum (bis in die

späte Kaiserzeit und sogar noch weiter bis ins

20. Jahrhundert hinein) währende Bleiherstel -

lung hat zwangsläufig zur Ent wicklung ande-

rer Abbauarten geführt; diese Entwicklungen

wurden bisher wenig dokumentiert46.

Man kann alles in allem meinen, dass es sich

um eine Direktverwaltung durch den Staat

handelt, wenn der Name des Kaisers im

Hauptstempel auf der Rückseite des

Bleibarrens aus plumbum Germanicum

erscheint; diese Verwaltung stützt sich bei

bestimmten Umständen auf die technischen

Hilfsmittel des Heeres wie wohl auch auf die

Fachkompetenz und Erfahrung der örtlichen

Bevölkerung. Wenn hingegen der Name eines

Privatmannes erscheint, wie z.B. L. Flavius

Verucla, oder auch der einer Genossenschaft,

hier z.B. die für Fos-sur-Mer belegten socii,

könnte es sich um eine indirekte Verwaltung

handeln, also um eine Pacht. Allerdings

spricht nichts gegen das gleichzeitige

Nebeneinander von Privatunternehmern und

unmittelbar dem Princeps unterstehendem

Militär- oder Zivilpersonal in demselben

Bergwerksbezirk. Die auf ein und demselben

Barren nebeneinander stehenden Namen des

Privatunternehmers und des Kaisers können

dem dem Staat vorbehaltenen Produktions -

anteil und eventuell gleichzeitig dem

Pachtzins entsprechen; dieses Vorgehen bei

der Eintreibung ähnelte dann der pars dimidia

ad fiscus pertinens auf der Tafel von Aljustrel.

In jedem Fall ist bei den beobachteten

Vorgehensweisen der Gewinnung des plum-

bum Germanicum jegliches Zufallsgebaren

fremd. Sie erfolgen im Rahmen bekannter und

bewährter Amtsstrukturen, was auf rechts-

rheinischer Seite für den offiziellen Status der

neuen Provinz Germanien spricht, auch wenn

dies nur vorübergehend war, und auf links-

rheinischer Seite für ein Verwaltungswesen, in

das die civitates und die Prokuratoren einge-

bunden sind.

Bei dem Versuch, die Gebrauchsschemata der

Stempel und Gegenstempel näher zu erklären,

stößt man auf folgende Befunde, die innerhalb

der großen Optionen (Direktverwaltung,

Verpachtung) eine Reihe von Varianten auf-

weisen.

A. Bei den eingegossenen Stempeln aus Rena

Maiore (AE 2000, 653) handelt es sich um eine

Direktherstellung des Kaisers Augustus. Die

Gegenstempel verweisen wahrscheinlich auf

verschiedene Stadien des Transportes vom

Herstellungsbergwerk bis zum Schiff, denn

zum gegenwärtigen Zeitpunkt fehlen für das

plumbum Germanicum (fig. 4) konkrete Belege

für die Ankunft in Ostia. L. Valerius Rufus (AE

2002, 636a) könnte entweder der Name eines

kaiserlichen Beamten sein (aber es erscheint

verwunderlich, dass ein ingenuus ein solches

Amt bekleiden könnte) oder auch der eines

Transportunternehmers oder Händlers47.

Chi(lo ?) (AE 2002, 636b) könnte ein im Hafen

beschäftigter Sklave sein, der mit der

Kontrolle des jeweiligen Gewichtes betraut

war oder auch mit der Aufsicht über die

Gebührenzahlung (oder die Befreiung

davon)48. IMP(eratoris) (AE 2002, 636c) könnte

46 Siehe den Artikel von Peter Rothenhöfer in diesem Band.47 Riccardi & Genovesi 2002, 1323.48 Riccardi & Genovesi 2002, 1323-1324.

– 46 –

Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 46

ein redundanter Stempel sein oder der

Hinweis auf eine Beschäftigungskategorie: In

diesem Falle bedeutet die Abwesenheit dieses

Stempels vielleicht zum Beispiel, dass der

nicht nochmals gestempelte Barren nicht dem

öffentlichen Gebrauch zugeführt wird, son-

dern dem Handel. Oder auch, dass diese mehr-

fach mit Imp. abgestempelten Barren den Preis

für eine Transaktion darstellen (Transport?).

B. Im Falle der eingegossenen Stempel aus

Saintes-Maries-de-la-Mer mit dem Namen

Verucla (AE 1992, 1183b1) erscheint L. Flavius

Verucla als „Prinzipal“, als Pächter und

Produzent. In diesem Falle würde der nach-

träglich durch einen Stempel aufgebrachte

Gegenstempel Imp. Caes. (AE 1992, 1183a) einer

Zahlung an den Kaiser entsprechen, und zwar

als Pachtzins oder als Kaufpreis bei einem

Nutzungsvertrag49, oder auch als Gebühr.

C. Wo Verucla als Gegenstempel erscheint (AE

1992, 1183b2)50, gibt es keinen eingegossenen

Stempel, daher besteht Unsicherheit bezüg-

lich des Eigentümers oder Hauptersteigerers,

es sei denn, man akzeptiert den Gegenstempel

als offiziellen Produktionsstempel. Eine ande-

re Alternative wäre: Eine kaiserliche Direkt -

produktion, bei der Verucla als Händler oder

Spediteur auftritt. Wenn man von dieser

Hypothese ausgeht, wäre Eros (AE 1997, 1042)

gleichbedeutend mit Chilon, einem staatli-

chen Zoll- oder Hafenaufseher. Und der

Stempel IMP CAES könnte als Quittung für

geleistete Abgabenzahlungen dienen.

D. Das Fragment aus Bad Sassendorf (AE 2003,

1222 ab) kombiniert B und C: Verucla in der

Kartusche und als Gegenstempel auf demselben

Barren. Man könnte in Betracht ziehen, dass

Verucla gleichzeitig als Ersteigerer-Produzent

und als selbstständiger Händler auftritt.

E. Der Fall Pudens ist unklar (AE 2002, 636d  ;

AE 2005, 1099)51. Der Einzelname mit Bezug auf

eine Leibeigenschaft deutet auf einen Sklaven

hin, aber ist es ein kaiserlicher Sklave (in die-

sem Falle hat man es mit einer

Direktverwaltung zu tun) oder handelt dieser

als actor eines Ersteigerers (in diesem Falle

ginge es dann um eine Verpachtung)? Der

Genitiv könnte einfach ein Indiz für eine von

Pudens aufgrund seiner Dienstpflichten getä-

tigte Handlung sein. Die Hypothese eines

selbstständigen Peregrinus klingt aufgrund

der Datierung wenig glaubhaft -es geht um

den Beginn einer Provinz- Produktion in einer

frisch eroberten Region-; ein Beleg könnte

auch die sprachliche Beschaffenheit des in

Germanien seltenen Namens sein, der wahr-

scheinlich auf deine Herkunft aus Italien hin-

deutet. Im Falle des Pudens-Barrens aus dem

Wrack vor Rena Maiore kann der mit dem der

anderen Barren unterschiedlicher Machart

identische Gegenstempel CHI(lo  ?)(AE 2002,

636e) der Beleg für ein späteres Aufbringen

dieses Stempels sein, der in Zusammenhang

mit dem Transport oder eher noch Umschlag

im Hafen stehen könnte52.

F. Der eingegossene Stempel der Socii (AE 1959,

124) impliziert eine dritte Betriebsart in der

Form einer Verpachtung, nicht an eine

Einzelperson, sondern an eine societas.

Aufgrund der Datierung53 muss im vorliegen-

den Falle die Gründung der Genossenschaft

die Vergabe an Einzelpersonen abgelöst haben;

Gründe hierfür liegen zum Beispiel in der

Ausweitung des Bleiabbaus und der

Herstellung und des damit einhergehenden

Anstieges der Kosten und Investitionen.

49 Rothenhöfer 2005, 92.50 Mehrere Abläufe werden von Long & Domergue 1995, 830-834 in Betracht gezogen; alle betreffen mehrere Stadien

bei der Distribution.51 Hanel & Rothenhöfer 2005, 57-58.52 Riccardi & Genovesi 2002, 1327.53 Die von Ruggeri (2000, 903) vertretene Vorstellung, dass die societas der Vergabe an Einzelne vorausgegangen ist,

scheint durch das Datum der Ladung widerlegt.

– 47 –

Fig. 4Buchstaben mit GERM(ani-cum)

Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:54 Pagina 47

Abschließend kann man sagen, dass der nichtmit einem Gegenstempel versehene Bleibarrendes Tiberius in Tongern sich in die vor RenaMaiore geborgenen augusteischen Barren ein-reiht; er entspricht der kaiserlichen Direktver -waltung, die in vorliegendem Fall in der Eifelvielleicht fortgesetzt wurde, und den man inBritannien nur mit dem Namen des Kaisersund dem topografischen Hinweis auf dasVorkommen versehen auffindet (zum BeispielRIB 2404.31).In Tongern wie in Britannien wird der Barrenin der Nähe des Herstellungsortes aufgefun-den, was erklärt, warum er nicht mit den mitdem Transport und den Hafenverrichtungenzusammenhängenden Gegenstempeln verse-hen worden ist, die man auf den Barren ausden Wracks findet.

Schlussbetrachtungen

Der Barren des Tiberius liefert also einenergänzenden und interessanten Aspekt derThematik hinsichtlich der Gewinnung desplumbum Germanicum. Zunächst einmal ist dieEinbindung des Kaisers in die Herstellung indiesem Falle klar belegt, und zwar nicht nur inden militärisch besetzten Gebieten in der Zeitder Eroberung, sondern auch in der ProvinzNiedergermanien. Nach einer langen Zeit -dauer, in der das plumbum Germanicum von derForschung völlig ignoriert wurde, hatten diekürzlich vorgelegten Untersuchungen vorallem die augusteische Produktion imSauerland herausgestellt, die zwar nur sehrkurz, aber dafür umfangreich war und in denMittelmeerraum exportiert wurde. Der inTongern aufgefundene Barren veranschaulichtzum ersten Mal ein kaiserliches Besitztum zuBeginn des 1. Jahrhunderts n. Chr. in denBergwerken der Nordeifel; diese waren bisherfür Produktionen in späterer Zeit bekannt (wiezum Beispiel der Stempel der XVI. Legion oderder des Valentinianus in St. Aldegund zeigen).Nach unserer Meinung fügt sich das in dieserStudie von uns hervorgehobene Toponymie-

Element besonders gut in die von technischenund historischen Indizien ausgehendeArgumentationskette ein, die für eineHerstellung von Blei in der Eifel zu römischerZeit spricht54.

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54 Übersetzung aus dem Französischen von Hilla Maria Heintz

– 48 –

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– 49 –

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Einleitung

Der folgende Beitrag befasst sich mit dernaturwissenschaftlichen Untersuchung vierfrühkaiserzeitlicher römischer Bleibarren. EinBleibarren wurde in Tongeren (Tab. 1, B-0001)gefunden, zwei weitere in der Rhônebucht beiFos-sur-Mer (Tab. 1, F-0001, F-0007) und einBarren bei Île Rousse auf Korsika (Tab. 1, F-0006)2. Während drei Bleibarren in ihrenGußinschriften römische Kaiser nennen, istauf einem nur eine anonyme Pachtgesellschaft(socii) erwähnt. In allen Gussinschriften findetsich das Kürzel GERM bzw. GER. Aus histo-risch-epigraphischer Sicht stellt sich dieFrage, ob dieses Kürzel jeweils zu derHerkunftsangabe (plumbum) Germanicum auf-zulösen ist. Zumindest im Falle des Barrensvon Île Rousse wäre auch eine Auflösung alskaiserlicher Beiname Germanicus denkbar.

Die Provenienzbestimmung mittels Blei -isotopen analyse soll hier zu mehr Klarheitführen. Zur Zeit sind 54 Barren von fünf (sollte sich derBarren von Île Rousse auch als germanischesBlei zu erkennen geben, dann sechs)Fundorten bekannt, die über ihre Inschriftendeutlich als plumbum Germanicum-Barrengekennzeichnet sind [Fos-sur-Mer (F), ÎleRousse (F), Rena Maiore (I), Saintes-Maries-de-la-Mer (F), Soest (D), Tongeren (B)].3 Mehr als100 weitere Bleibarren sind aufgrund ihrerStempel und Fundumstände ebenfalls römi-scher Bleiproduktion in Germanien zuzuord-nen.4

Im folgenden werden Bleiisotopendaten derrömerzeitlichen Bleierzbergbaue der Nord -eifel, des Bergischen Landes und des BrilonerBergbaureviers im Sauerland innerhalb des

– 50 –

Bleiisotope als Schlüssel

zur Herkunftsbestimmung

von Metallen – Die

römischen Plumbum

Germanicum-Barren

Michael Bode 1

1 Deutsches Bergbau-Museum Bochum, Forschungslabor für Archäologie und Materialwissenschaften, HernerStraße 45, D-44787 Bochum. E-mail: [email protected]

2 Eingehende archäologisch-epigraphische Untersuchung der Barren F-0006 und F-0007: Raepsaet-Charlier, 2011, s. a. Beitrag Raepsaet-Charlier & Charlier, in diese Publikation.

3 Laubenheimer-Leenhardt 1973; Long & Domergue 1995; Riccardi & Genovesi 2002; Rothenhöfer 2003.4 Rothenhöfer 2003; Vergl. Hanel & Rothenhöfer 2005; Bode 2008; Bode et al. 2009.

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nördlichen Rheinischen Schiefergebirges alsVergleichsdaten zugrunde gelegt.5 Anzu mer -ken ist, dass das Briloner Bergbaurevier aushistorisch-archäologischen Überlegungenheraus nur in augusteischer Zeit, also zur Zeitder Germanienfeldzüge bis zur Varus-Schlacht9 n. Chr., den Römern als Bleilieferquellegedient haben kann.6 Eine Unterscheidungvon Bleierzen der Nordeifel und des BrilonerBergbaureviers ist allerdings weder geoche-misch noch bleiisotopisch möglich.7

Grundlagen der Bleiisotopie

In der Archäologie kann die Entschlüsselungder Herkunft von Metallobjekten wichtigeInformationen über Handelsbeziehungen,Handelswege und die Ausbreitung vergange-ner Kulturen bereitstellen. Für die Herkunfts -untersuchung bedarf es einer Ver gleichs -möglichkeit, die bei der Metall herstellungunverändert bleibt, sich also eindeutig vomMetall zum Erz zurückverfolgen lässt. DerVergleich der chemischen Zusammensetzungvon Erz und Metall, das heißt von Spuren -elementen im Erz, die mit dem Metall legieren,ist nur bedingt geeignet, da Erzlagerstättenheterogen aufgebaut sein können und sich dieSpurenelemente bei der Verhüttung verschie-den verhalten. Zudem ist grundsätzlich frag-lich, ob die heute anstehenden Erze mit dendamals abgebauten wirklich vergleichbarsind.

Weitaus besser geeignet ist der Blick auf dieIsotopenzusammensetzung ausgewählter che-mischer Elemente. Viele Elemente kommen alsIsotopengemische vor, deren Atome eine kon-stante Anzahl an Protonen, aber unterschied-lich viele Neutronen besitzen, also auch unter-schiedliche Massen. Bei leichten Elementenwie Sauerstoff ist der relative Massenunter -schied zwischen den Isotopen verhältnismä-ßig groß, sodass bei physikalischen Prozessenwie Verdampfung messbare Fraktionierungs -

effekte, also Veränderungen der Isotopen -zusammensetzung, auftreten. Dies liegt darinbegründet, dass die leichteren Isotope gegen-über den schwereren bevorzugt in dieDampfphase übergehen. Schwere Elemente,deren relative Massenunterschiede zwischenden Isotopen entsprechend gering sind, frak-tionieren nur unwesentlich, sodass kleinstedaraus resultierende Veränderungen imIsotopenverhältnis vernachlässigt werdenkönnen.8

Für die Herkunftsuntersuchung von Metallen,aber auch Gläsern, Pigmenten oder Glasuren,eignet sich besonders das schwere ElementBlei (Pb). Blei besteht unter anderem aus denstabilen Bleiisotopen 204Pb, 206Pb, 207Pb und 208Pb.Entgegen dem seit der Erdentstehungursprünglichen 204Pb wächst der Anteil derdrei anderen radiogenen Bleiisotope imMuttergestein von Erzlagerstätten durch denZerfall der radioaktiven Elemente Uran undThorium kontinuierlich an. Eisen-, Kupfer-oder Bleierzlagerstätten enthalten nur in selte-nen Fällen Uran und Thorium. Bleiglanz, dashäufigste Bleierz, ist praktisch frei davon. Jejünger eine Erzlagerstätte ist, desto radiogenerist ihre Bleizusammensetzung. Die Blei -isotopenverhältnisse dienen somit als „geolo-

5 Informationen zum römischen Bleibergbau im Bergischen Land bietet Körlin 2006.6 Hanel & Rothenhöfer 2005.7 Bode 2008.8 Diskussion z. B. in Gale & Stos-Gale 1982, 2000; Stos-Gale & Gale 2009.

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gische Uhr“, wodurch mit Hilfe der Blei -

isotopenmethode also nicht nur eine direkte

Vergleichsmöglichkeit zwischen Erz und

Metall, sondern auch ein Unterscheidungs -

kriterium für Lagerstätten verschiedenen

Alters besteht.

Im Falle der römischen massiven Bleibarren

kommt zum Tragen, dass sie als unmittelbare

Bergbauprodukte erfahrungsgemäß die bleii-

sotopische Zusammensetzung des Bleierzes

einer einzelnen Lagerstätte widerspiegeln, es

sich also nicht um zusammengegossenes

Altmetall handelt. Allerdings ist darauf hinzu-

weisen, dass die Bleiisotopenmethode ein

Ausschlussverfahren ist. Das heißt die absolut

sichere Bestimmung eines Metallliefer -

gebietes mittels bleiisotopischen „Fingerab -

drucks“ ist hiermit nicht möglich. Dies liegt

daran, dass gleich alte Lagerstätten sehr ähnli-

che Bleizusammensetzungen aufweisen kön-

nen. Offenkundig ist dagegen, welche

Lagerstätten als Liefergebiet von Metallen

nicht in Frage kommen können.

Messmethodik

Die Proben der römischen Bleibarren von

Tongeren (B-0001) und Fos-sur-Mer (F-0001)

(Tab. 1), sowie zusätzlich die eines Bleistücks

von Tongeren (Tab. 2) gefunden in der Gegend

des Barrens während die Ausgrabungen, wur-

den im Institut für Mineralogie in Münster mit

einem ThermalIonisations-MassenSpectro -

meter (TIMS, VG Sector 54) analysiert.9 Die

Bleiisotopenzusammensetzung der Proben

der römischen Bleibarren F-0006 und F-0007

wurde im Institut für Geowissenschaften der

Universität Frankfurt a. M. mit einem

Multikollektor-ICP-MS (Neptune, Thermo

Scientific) bestimmt. Diese Proben wurden in

2 N HNO3 gelöst, abgeraucht und mit 2 %

HNO3 verdünnt (0,25 mg/l). Als interner

Standard wurde den Proben 0,1 mg/l Thallium

zugesetzt. Zur Kontrolle wurde der Standard

NIST SRM-981 mitgemessen. Die Präzision lag

unterhalb 0,005 %, die Genauigkeit unterhalb

0,05 % (2r SD).

Bleiisotopenvergleich der vier römischen

Bleibarren mit weiteren Barrenanalysen

und wichtigen Bleierzlagerstätten des

Römischen Reiches

Obwohl die Inschriften der untersuchten

Bleibarren auf eine Herkunft aus Germanien

deuten, sollten neben diesen potentiellen

Liefergebieten (Nordeifel, Bergisches Land,

eventuell auch das Briloner Bergbaurevier)

weitere für jene Zeit in Frage kommende

Bleierzlagerstätten mit in die Untersuchung

einbezogen werden. Hierzu gehören die gro-

ßen Bergbaureviere im Süden der Iberischen

Halbinsel (Cartagena-Mazarrón, Sierra

Morena), die während der Zeit der römischen

Republik und auch darüber hinaus die antike

Welt mit Blei belieferten.10 Bleiisotopenunter -

suchungen an Bleibarren der römischen

Republik und der frühen römischen Kaiserzeit

bestätigten dies.11 Auch in Südfrankreich

(Cévennen, Montagne Noir) könnte Blei in den

Jahrhunderten römischer Herrschaft in größe-

ren Mengen, also auch für den Export von Blei

in Form von Bleibarren, erwirtschaftet worden

sein. Dies kann jedoch bis heute nicht durch

entsprechende Bergbauspuren untermauert

werden.12 Auf Sardinien gibt es immerhin

einen Bleibarren mit der Nennung des

Augustus und mindestens weitere 10

Bleibarren mit Hadrian-zeitlicher Gußin -

schrift, wovon fünf bis dato analysierte

Bleibarren aufgrund des Bleiisotopen ver glei -

ches auch dort produziert worden sein dürf-

ten.13 Was die Epoche des Augustus betrifft,

zeigen auch Bleiisotopenanalysen an insge-

samt 150 Bleifunden aus augusteischen

Militärlagern des rechtsrheinischen Germa -

niens, dass eine Versorgung Germaniens mit

9 Zur Methodik z. B. Bode et al. 2009.10 Domergue 1987 und 1990; Meier 1995; Trincherini et al. 2001.11 Grögler et al. 1966; Begemann & Schmitt-Strecker 1994; Pinarelli et al. 1995; Trincherini et al. 2001 und 2009;

Picottini et al. 2003; Róda 2004; Domergue et al. 2006; Tisseyre et al. 2008.12 Davies 1935; Nriagu 1983; Meier 1995; Trincherini et al. 2001.13 Eine Analyse stammt von Pinarelli et al. 1995.

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Blei aus Südfrankreich oder Sardinienunwahrscheinlich ist. Das untersuchteBleikontingent scheint fast gänzlich aus denlokalen Bergbauen am Rhein und ein geringerTeil aus Spanien zu stammen.14

Der Vollständigkeit halber werden inAbbildung 1, ungeachtet der Zeitstellung, allezur Verfügung stehenden Isotopenanalysenvon römischen Bleibarren und deren mutmaß-liche Herkunftsgebiete präsentiert. EinGroßteil der Daten stammt aus dem laufendenProjekt Corpus der römischen Bleibarren desDeutschen Archäologischen Instituts und desDeutschen Bergbau-Museums Bochum, mitdem eine möglichst vollständige Aufnahmealler bekannter Bleibarren des RömischenReiches und die Bestimmung der Bleiisotopewichtiger Bleibarren(-gruppen) angestrebtwird.15 Dadurch sollen unter Anderem neueErkenntnisse zur Bleiversorgung gewonnenwerden.

In den Bleiisotopen-Diagrammen der Ab -bildung 1 wird die Bleizusammensetzung derBleierze Britanniens, Deutschlands, Sardi -niens, Spaniens, der römischen Bleibarrenund eines Bleistücks aus Tongeren alsHäufigkeitsverhältnisse aufgetragen. Rechtsoben in den Graphiken befinden sich die geo-logisch älteren, links unten die jüngerenBleierze und die aus ihnen hergestellteBleibarren. Fallen die Bleiisotopenverhältnissevon einer Lagerstätte mit denen von Blei -objekten zusammen, so ist eine Herkunft desMetalls von dort möglich. Ist dies nicht derFall, kann eine Herkunft ausgeschlossen wer-den, es sei denn, dass die Analysendaten aufeiner Mischungs- bzw. Verbindungslinie zwi-schen zwei Lagerstätten liegen. Je nachPosition auf solch einer Linie könnte man dieMischungsverhältnisse ablesen. Für Bleibar -ren als direkte Bergbauprodukte sind keineMischungseffekte bekannt.

Die Bleizusammensetzung der hier vorgestell-ten vier römischen Barren (gelbe Karos, Datenin Tab. 1) liegen in beiden Diagrammen derAbbildung 1 im Variationsbereich der Bleierz -lagerstätten der Nordeifel und des BrilonerBergbaureviers (blaue Quadrate, 207Pb/206Pb-Verhältnisse zwischen 0,845 und 0,855). DasBergische Land kommt in diesem Fall nicht inFrage (blaue Quadrate, 207Pb/206Pb-Verhältnissezwischen 0,855 (ein Datenpunkt) und 0,862).Von hier kann aber z. B. der Halterner Barrender 19. Legion kommen.16 Britannien kann aushistorischen Gründen nicht als Bleiquelle fun-giert haben. Die Barren fügen sich also in dieGruppe der anderen frühkaiserzeitlichenplumbum Germanicum-Barren (hellblaue Ka -ros).17 Damit dürfte im Falle des Barrens von ÎleRousse das in der Kartuscheninschrift nachdem Kaisernamen erscheinende GERM wohlweniger als Siegerbeiname Germ(anicus) dennals Herkunftsangabe Germ(anicum) aufzulö-sen sein.Des Weiteren distanziert sich diese Gruppevon Bleibarren in beiden Schaubildern deut-lich von denen aus der Zeit der RömischenRepublik und der frühen Römischen Kaiserzeit(violette Karos), die mit Sicherheit von derIberischen Halbinsel stammen. Das gleichegilt für die vermutlich auf Sardinien produ-zierten Hadrian-zeitlichen Bleibarren (orangeKaros). Dass die plumbum Germanicum-Barrendas Resultat einer Mischung von Bleierzen ausSpanien sind, ist theoretisch möglich, kannaber, wie oben angedeutet, ausgeschlossenwerden. Nicht nur die Herkunftsbezeich -nungen auf den Barren sprechen dagegen, son-dern auch, dass die Datenpunkte der einzelnenBleibarren in solch einem Fall, da sie von min-destens fünf verschiedenen Produzenten kom-men, auf einer gedachten Mischungslinie zwi-schen den spanischen Lagerstätten links undin der Mitte der Diagramme (violetteQuadrate) in einem größeren Bereich streuensollten. Es bleibt also festzuhalten, dass durch

14 Bode 2008; Bode et al. 2009. 50% der Messdaten stammen von Durali-Müller 2005.15 Siehe Artikel Rothenhöfer, Hanel & Bode in diese Publikation.16 von Schnurbein 1971;Bode 2008.17 Trincherini et al. 2001. Bode 2008. Bode et al. 2009. Unter Verwendung aktueller Daten des CMPR-Projekts.

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das Zusammenspiel von Naturwissenschaft,Lateinischer Epigraphik und Archäologieherausgearbeitet bzw. bestätigt werden konn-te, dass mit großer Wahrscheinlichkeit nichtnur Spanien und ab Mitte des 1. Jh. n. Chr.Britannien, sondern auch Germanien, wenigs-tens für einige Jahrzehnte der frühen römi-schen Kaiserzeit, eine wichtige Rolle in der

Bleiversorgung des Imperium Romanumspielte.Die Bleiisotopenverhältnisse eines Bleistückesvon Tongeren (gelbes Quadrat, Daten in Tab. 2)sind vergleichbar mit denen der plumbum

Germanicum-Barren, womit davon ausgegan-gen werden kann, dass sein Blei aus demselbenLiefergebiet kommt.

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Objekt 208Pb/206Pb 207Pb/206Pb 206Pb/204Pb 207Pb/204Pb 208Pb/204Pb 204Pb/206Pb±1.E-03 ±3.E-04 ±4.E-02 ±2.E-02 ±7.E-02 ±3.E-05

B-0001, IMP TI CAESARIS 2,086 0,8501 18,339 15,591 38,253 0,05453AVG GERM TEC, TongerenF-0001, SOCIORVM PLVMB 2,090 0,8510 18,374 15,637 38,397 0,05442GER, Fos-Sur-Mer

208Pb/206Pb 207Pb/206Pb 206Pb/204Pb 207Pb/204Pb 208Pb/204Pb 204Pb/206Pb±2.E-04 ±2.E-04 ±4.E-03 ±1.E-03 ±1.E-02 ±1.E-05

F-0006, [.] CAES AVG IMP 2,085 0,8509 18,357 15,620 38,278 0,05447GERM TFCF, Île RousseF-0007, IMP TI CAESARIS 2,085 0,8497 18,376 15,614 38,323 0,05442AVG GERM TEC, Fos-Sur-Mer

Tabelle 1: Bleiisotopenverhältnisse ± 2r-analytische Genauigkeit (entspricht dem Schwankungsbereich, in dem sich der wahre Wert zu 95% auf-hält) der plumbum Germanicum-Barren (B-0001, F-0001 (s. Bode et al. 2009 „F1/1“), F-0006, F-0007)

Objekt 208Pb/206Pb 207Pb/206Pb 206Pb/204Pb 207Pb/204Pb 208Pb/204Pb 204Pb/206Pb±1.E-03 ±3.E-04 ±4.E-02 ±2.E-02 ±7.E-02 ±3.E-05

Bleistück von Tongeren 2,090 0,8505 18,376 15,629 38,397 0,05442

Tabelle 2: Bleiisotopenverhältnisse ± 2r-analytische Genauigkeit (entspricht dem Schwankungsbereich, in dem sich der wahre Wert zu 95% auf-hält) eines Bleistücks aus Tongeren

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Abbildung 1: 204Pb/206Pb und 208Pb/206Pb vs. 207Pb/206Pb-Diagramm mit Bleiisotopenverhältnissen von römischen Bleibarren(verschiedenfarbige Karos), von den hier vorgestellten Bleibarren aus Tongeren (B), Fos-sur-Mer und Île Rousse (F) (gelbeKaros) und von einem Bleistück aus Tongeren (B) (gelbes Quadrat) im Vergleich mit den für die Bleibarrenproduktion inFrage kommenden Bleierzlagerstätten (verschiedenfarbige Quadrate) (Quellen der Lagerstätten-Bleiisotopendaten s. z. B.Bode et al. 2009)

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– 57 –

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Einleitung

Glückliche Umstände führten dazu, dass in

den letzten Jahren zahlreiche Bleibarren

bekannt wurden, die im römischen

Germanien produziert worden sind. Es sind

vor allem ein Schiffswrack aus der

Rhônebucht (Saintes-Maries-de-la-Mer 1) und

ein Wrack vor der Nordwestküste von

Sardinien (bei Rena Maiore, Aglientu), die mit

zusammen weit über 150 massiven Bleibarren

den Kenntnisstand zum römischen Germanien

in der frühen Kaiserzeit, speziell zum august -

eischen Germanien, wesentlich bereichern

(Fig. 1)2.

Bei dem Fundstück aus Tongeren handelt es

sich zwar nur um einen einzelnen Barren, den-

noch ist seine Bedeutung als historische

Quelle nicht weniger gering. Die Gussinschrift

auf dem Rücken des Barrens nennt neben dem

herrschenden Kaiser, Tiberius (14-37 n. Chr.),

in dessen Regierungszeit das Stück produziert

worden ist, auch die Herkunft des Metalls:

(plumbum) Germ(anicum) - Blei aus Germa -

nien3. Allein diese Angabe ist bereits von gro-

ßem Wert. Doch auch hier ist von hohem

Interesse, welche Bleierzlagerstätte im Bereich

– 58 –

Römische Bleigewinnung

in der Nordeifel

Peter Rothenhöfer 1

Fig. 1: Karte des ImperiumRomanum zur Zeit seinergrößten Ausdehnungunter Trajan. DieRechtecke geben dieFundorte der Wracks bei(1) St. Maries-de-la-Mer inder Rhônebucht und bei(2) Rena Maiore (Aglientu,NW-Sardiniën) an.

1 Dr. Peter Rothenhöfer, Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik des Deutschen Archäologischen Instituts,Amalienstrasse 73b, D-80799 München. E-mail: [email protected]

2 Long et al. 1995; Hanel et al. 2005; Rothenhöfer 2005, 92-93.3 siehe Beitrag Raepsaet-Charlier & Raepsaet in diese Publikation.

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der beiden späteren germanischen Provinzen

konkret als Produktionsgebiet in Frage

kommt.

Eine der wichtigsten Gewinnungsregionen für

Blei in den römischen Nordwestprovinzen war

neben Britannien, dessen Eroberung aber erst

unter Kaiser Claudius ab 43 n. Chr. einsetzte,

die Nordeifel. Es überrascht deshalb wenig,

dass die naturwissenschaftlichen Analyse -

ergebnisse in Verbindung mit der Inschrift

recht klar auf dieses Produktionsgebiet hin-

deuten4.

Seit langem ist bekannt, dass in der Nordeifel

bereits in römischer Zeit Bleierze abgebaut

wurden5. Während jedoch über den mittelal-

terlichen und neuzeitlichen Abbau schriftli-

che Quellen wie zum Beispiel Konzessions -

urkunden oder Betriebsakten reichlich

Informationen bereithalten, fehlen sie für die

Römerzeit völlig. Deshalb hing der

Forschungsstand lange Zeit gänzlich von den

materiellen Hinterlassenschaften und archäo-

logischen Beobachtungen ab. Doch gerade hier

wirkte erschwerend, dass durch bergbauliche

Aktivitäten in jüngeren Abbauphasen ältere

Spuren überprägt und vielfach zerstört wur-

den. Andererseits sind aber gerade dadurch

erste Nachrichten und Beobachtungen über-

liefert6. Sie bezeugen unzweifelhaft römischen

Bergbau, doch lagen Beginn, Dauer, Intensität

und Strukturen des Abbaus weitgehend im

Dunkeln7. Erst Forschungen in jüngster Zeit

vermochten hier erstmals nähere Einblicke zu

geben. Es sind Resultate ganz unterschiedli-

cher Disziplinen, die sich aber gut miteinan-

der verbinden lassen und die diesem nicht

unbedeutenden Wirtschaftszweig wieder

Konturen geben.

Die Bleierzlagerstätten der Nordeifel

In der Nordeifel liegen verschiedene Ver -

erzungszonen von Blei, die bis in die Mitte des

20. Jahrhunderts ausgebeutet wurden8.

Wirtschaftlich bedeutend waren im 19. und 20.

Jahrhundert die Erzlagerstätte Rescheid auf

dem Gebiet der Gemeinde Hellenthal, der

Maubacher Bleiberg, vor allem aber die

Vorkommen bei Mechernich und bei Aachen-

Stolberg. Hinweise auf römischen Abbau

liegen aber nur aus dem Raum

Mechernich/Kall-Keldenich und Aachen-

Stolberg/Breinigerberg vor (Fig. 2)9.

Zwischen Mechernich und Kall-Keldenich

liegt am östlichen Rand der Mechernicher

Trias-Senke, einer Buntsandsteinformation,

eine sich über 12 km in südwest-nordöstlicher

Richtung erstreckende Vererzungszone. Der

Buntsandstein ist hier infolge des hydrother-

malen Aufstiegs von Erzlösungen aus dem

Erdinnern unter anderem mit Galenit

(Bleiglanz) imprägniert worden: Quarzkörner

sind mit dem Sandstein verkittet und bilden

dichte Konkretionen von 0,5-6 cm großen

Knottenerzen (Fig. 3). Charakteristisch für

diese Lagerstätte ist der eher geringe

durchschnitt liche Bleigehalt von lediglich 1,0

bis 1,5 % und zugleich ein extrem niedriger

Silbergehalt. Es ist demnach zu vermuten,

dass die Gewinnung von Silber durch

Kupellation ökonomisch nur von untergeord-

neter Bedeutung war.

Ergiebige Bleierzlagerstätten lagen auch süd-

lich von Stolberg, Kreis Aachen, an der

4 Wie Michael Bode bereits darlegte, kämen aus rein naturwissenschaftlicher Sicht auch Lagestätten im Raum Brilon(Hochsauerlandkreis, Nordrhein-Westfalen) als Herkunftsgebiet in Frage. In den letzten Jahren haben sich Hinweisegemehrt, dass dort in der kurzen Zeitspanne der augusteischen Eroberung zwischen 8 v. Chr. und 9. n. Chr. wohlrömischer Bleierzabbau einsetzte. Siehe Rothenhöfer 2003 und Hanel et al. 2005. Diese Region scheidet jedoch auf-grund historischer Sachverhalte aus. Denn nach der Niederlage des P. Quinctilius Varus im rechtsrheinischenGermanien 9 n. Chr. ist eine umfangreiche römische Bleiproduktion rund 100 km östlich des Rheins nicht mehr vor-stellbar. Unabdingbare Grundvoraussetzungen wie dauerhafte Sicherheit sowohl des Produktionsortes wie auch derVerbindungswege waren nicht mehr gegeben, so dass Investitionen römischer Unternehmer in dieWiederaufnahme der Erzgewinnung unterblieben sein dürften.

5 Zum Beispiel Davies 1935; Petrikovits 1958; Gechter 1993; Wegener 1993.6 Zum Beispiel Eick 1867, 40 ff. zu Kall-Keldenich oder Alpen 1821 zu Gressenich.7 Siehe zum Beispiel Bechert 2001, 7-8 (sehr summarisch).8 Zu den Lagerstätten wie generell zur Geologie der Eifel siehe Meyer 1994.9 Zur Nutzung der Eifellagerstätten in römischer Zeit Rothenhöfer 2005, 77-100, besonders 88-94 (Blei).

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Fig. 3:In den Sandsteinflözen beiKall-Keldenich undMechernich ist dieHauptmenge des Bleierzesin Form so genannterErzknotten verteilt. Diessind Kügelchen ausQuarzsand, die mitBleiglanz-, aber auch mitCerussit-Partikeln verkittetsind. Sie kommen auch inWolken oder in Schnürenvor. Im Bereich vonStörungen ist die Vererzungam intensivsten. Als„Blankgut“ (Bildmitte) wer-den mit Bleierz gefüllteHohlräume und Klüftebezeichnet.

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Fig. 2:Im südlichen Teil derProvinz Germania Inferiorlagen bedeutende Zonen mitBleierzen vor allem imRaum Kall-Keldenich/Mechernich(Rechts unten) und wenigsüdlich von Aachen-Stolberg (Links oben).Jüngste Forschungen halfenzu klären, dass der Abbauentsprechender Erze erst-mals in römischer Zeitwohl kurz vor derZeitenwende einsetzte.

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Nordwest flanke des Hohen Venns. Sie bildetendort zusammen mit der Gewinnung weitererErze, unter anderem des Zinkerzes Galmei,über lange Zeit einen wichtigen Wirt schafts -zweig10. Die Bleiglanz- und Zinkerzvor kom -men stehen dort an, wo Verwerfungen denKohlenkalk kreuzen. Vor allem in Hohlräumenmeist grobbankiger Kalke und Dolomite konn-ten sich Bleiglanz und andere primäre Sulfid -vererzungen ablagern11. Die römische Blei -produktion fand hier - wie auch die Eisen -gewinnung - bislang relativ wenig Beach tung,ganz im Gegensatz zum Galmeiabbau, der dieBasis schuf für das Aufblühen der örtlichenund regionalen Messingproduktion.

Die Anfänge des Abbaus

Vielfach findet sich der Hinweis, dass es in derNordeifel bereits in vorrömischer Zeit Bergbauauf Bleierze durch Kelten gegeben habe und dassdemnach der Anfang des Bleierzbergbaus in dievorrömische Epoche falle12. Eine exakte Analyseder Überlieferungslage führt jedoch zu demErgebnis, dass diese Angabe nicht zutreffendist. Vielmehr zeichnet sich aufgrund jüngsterForschungen ein Bild ab, dem zufolge dieAnfänge des Bergbaus zwar noch in das 1. vor-christliche Jahrhundert gehören, allerdings erstim Verlauf der letzten beiden Jahrzehnte vor derZeitenwende - und damit zu Beginn der römi-schen Epoche des Rheinlandes - einsetzen. Bereits aus der archäologischen Fundlage zurausgehenden Latènezeit ergeben sich Zweifel aneinem vorrömisch-einheimischen Bergbau aufBleierze in der Region. Setzt man diesen abervoraus, dann sollte doch mit einem gewissenFundniederschlag an Bleiobjekten wenigstens inden regionalen Siedlungen zu rechnen sein. Diesist allerdings nicht der Fall. Die Fundspektrengut untersuchter Sied lungen wie etwa der oppi-

da von Hambach-Niederzier, Kreis Düren, undEschweiler-Laurenzberg, Kreis Aachen, sind freivon jeglichen Bleifunden und liefern somit

keine Argumente für einen vorrömischenAbbau13. Und auch im südlichen Teil der Eifel imtreverischen Heiligtum auf dem Martberg(Pommern, Kreis Cochem-Zell) konnte keinesder zahlreich vorhandenen Fundstücke aus Bleider “keltischen Zeit” zugeordnet werden, so dassauch aus dieser Perspektive eine vorrömischeNutzung der Eifel-Bleiressourcen nicht belegtwerden kann14.Das zentrale Argument für “keltischen” Abbauvon Bleierzen in der Nordeifel sind “keltischeMünzfunde” in den Abbauregionen. Auch hiererweist sich der Blick auf die Objekte als höchstaufschlussreich. Forschungsgeschicht lich diewichtigste Quelle ist hierbei folgende Notiz vonC.A. Eick aus dem Jahre 1867 über Funde ver-schiedener Typen “keltischer” Münzen in altenHalden und Schächten bei Kall-Keldenich. Eickbeschreibt zwei Typen von Münzen, wobei ausseinen Worten deutlich wird, dass es sich wederum römische noch mittelalterliche oder neu-zeitliche Gepräge gehandelt haben dürfte.Obwohl er keine Angaben zum Material macht,scheint es sich einmal um nicht näher zuweisba-re Potinmünzen zu handeln, im zweiten Fallegelingt aufgrund seiner Beschreibung einIdentifizierung mit einem bekannten Münztyp:“Keine der mit zu Gesichte gekommenen warmit einer Umschrift versehen, das Gepräge der-selben im Allgemeinen sehr roh und dieFigurenzeichnung nur durch kleinere oder grö-ßere Punkte angedeutet.” Die weitereBeschreibung dieses Typs, von dem Eick fünfMünzen vorlagen, ist aufschlussreich: “Auf derHauptseite eine sitzende Figur, die in derRechten eine Sichel, in der Linken einen nichterkennbaren Gegenstand hält; auf der Rückseitebefindet sich das Bild eines Hirsches”15. Diesefrühe Beschreibung - entstanden lange vor derEtablierung einheitlicher Kriterien für dieBeschreibung von Münzen durch die numisma-tische Forschung - passt nur auf einen Münztyp,der in der heutigen Forschung als Quinar des

10 Rothenhöfer 2005, 90-91.11 Gussone 1964; Krahn et al. 1986.12 Zum Beispiel Imle 1909, 6. 13 Hambach-Niederzier: Simons 1989. – Eschweiler-Laurenzberg: Joachim 1980. Zur möglichen Besiedlungsdauer siehe

auch die Bemerkungen von Lenz 1999, 73 Anm. 297.14 Nickel et al. 2008, 55-56 besonders mit Anm. 232.15 Eick 1867, 42.

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Typs Scheers Sch 57 II (Quinar mit ‘tanzendemMännlein’)16 benannt wird (Fig. 4). Es handeltsich dabei um kleine Silbernominale, die den abca. 20/19 v. Chr. in der Region ansässigen Ubiernzugeschrieben werden können und die kaumüber die Zeitenwende hinaus in Umlauf waren17.Es handelt sich demnach nicht um keltisch-vor-römische Münzen, sondern um einheimischeGepräge, die bereits unter römischer Herrschaftausgebracht wurden und umliefen. In altenStollen und Halden aufgefunden, sind sie einsehr wichtiges Datierungselement: Bergbau -liche Aktivitäten lassen sich so erstmals für dieletzten beiden Jahrzehnte vor der Zeitenwendewahrscheinlich machen. Dies gilt nicht nur fürKall-Keldenich, sondern auch für den RaumAachen-Stolberg, denn dort wurden Münzendieses Typs auch am Schlangenberg beiBreiniger berg gefunden18. Historische Überlegungen stützen dieses

Ergebnis: In die Anfänge des 2. Jahrzehnts v. Chr.fällt auch die Anlage der Fernstraße Lyon-Trier-Zülpich-Neuss (bzw. später Köln), die bei Kall-Keldenich durch die Mechernicher Vererzung -zone führt. Spätestens bei deren Ausbau solltedie Lagerstätte den Römern, die generell ein gro-ßes Interesse an Boden schätzen besaßen, aufge-fallen sein. Dieses besondere Interesse derRömer manifestierte sich auch in der raschenErschließung von Bleierzlagerstätten im rechts-rheinischen Germanien während der kurzenPhase der augusteischen Okkupation (12/8 v. Chr.bis 9 n. Chr.): sowohl rund 100 km östlich desRheins im Raum Brilon (Hochsauerlandkreis)als auch in relativer Nähe Kölns auf demLüderich bei Bergisch-Gladbach (Rheinisch-Bergischer Kreis) ist mittlerweile römischerBergbau mit guten Gründen anzunehmen bezie-hungsweise nachgewiesen. Wenn aber dortinnerhalb kurzer Zeit die Ausbeutung vonBleierz lager stätten aufgenommen wurde, solltedies auch für die Nordeifel vorausgesetzt wer-den. Dass bereits vor 9 n. Chr. Blei von denRömern in Germanien produziert wurde, bele-gen ferner Wasserleitungsrohre, die in der augu-steischen Siedlung von Lahnau-Waldgirmes(Lahn-Dill-Kreis) entdeckt worden sind19. DiesesBlei muss aufgrund seiner Isotopendaten entwe-der in der Nordeifel oder im Sauerland produ-ziert worden sein. Von ganz anderer Seite wird diese früheDatierung der Aufnahme bergbaulicher Aktivi -täten in die letzten beiden Jahrzehnte vor derZeitenwende bestätigt. Denn bei der Unter -suchung von Sedimenten mehrerer Eifel-Maarefielen den Geologen in den Ablage rungen, dieaus den ersten Jahr hunder ten der römischenEpoche stammen, Anomalien im Schwermetall -gehalt auf. Plötzlich, vor ca. 2000 Jahren, wurdeüber die Atmosphäre ein Vielfaches an Blei indie Gewässer eingetragen und dort einsedimen-tiert. Da die Isotopenwerte des abgelagertenBleis denen der Lagerstätten im Norden der Eifelentsprechen, ist diese drastische Veränderung

16 Scheers 1983, 117 – 118 & Taf. XIII.17 Heinrichs 2003, 281 ff. und 276 Karte 2b.18 Löhr et al. 1980, 93.19 Becker et al. 2001, 607.

– 62 –

Fig. 4:Münzen (Silberquinare) ein-heimisch-ubischen Typs(Scheers Sch 57 II) wurdensowohl am Schlangenbergbei Stolberg-Breinigerbergals auch am Tanzberg beiKall-Keldenich gefunden.Sie belegen Bleierzabbau umdie Zeitenwende bzw. mög-licherweise bereits in denbeiden Jahrzehnten davor.

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nur durch einen schnell einsetzenden, massiven

Abbau regionaler Bleierze und durch deren

Verhüttung, bei der Blei in die Atmosphäre frei-

gesetzt wird, zu erklären. Ausdrücklich weisen

die Geowissenschaftler G. Schettler und R.

Romer darauf hin: “There is no pre-Roman anthro-

pogenic Pb anomaly in the sediments. Therefore,

Celtic Pb and Ag mining in the Northwestern Eifel

before the Roman occupation seems to have been insi-

gnificant or absent”20.

Der Aachen-Stolberger Bergbaudistrikt

Ca. 12-15 km südöstlich von Aachen wurde in

römischer Zeit vor allem zwischen Breiniger -

berg und Gressenich massiv Blei produziert21.

Die ältesten Siedlungsspuren in Form von

Keramik und Münzfunden – unter anderem ubi-

sche Quinare des Typs Scheers Sch 57 II - aus der

Zeit kurz vor beziehungsweise um die

Zeitenwende stammen vom Schlangenberg (Fig.

5) bei Breinigerberg. Diese früheste Siedlung

verlagerte sich wohl um die Mitte des 1.

Jahrhunderts n. Chr. um wenige hundert Meter.

Die Grundmauern einfacher römischer Gebäude

liegen heute unter den Häusern von Breiniger -

berg (Fig. 6)22. Ein weiterer vicus, dessen ökono-

mische Grundlagen ebenfalls Bergbau,

Metallproduktion und -verarbeitung waren, lag

ca. 5 km östlich bei Gressenich;23 dem bislang

bekannten Fund spektrum zufolge dürfte dieser

vicus etwas jünger sein und wohl ab flavischer

Zeit, dass heisst möglicherweise ab frühestens

70 n. Chr. existiert haben.

Wiederholt ließen sich einige der umfangrei-

chen Schlackenhalden in dieser Region durch

Beifunde eindeutig in römische Zeit datieren, so

etwa im Raum Gressenich und bei Breiniger -

berg. Zwischen dem Schlangenberg und dem

vicus bei Breinigerberg wurde zudem ein

Kolluvium aus Dolomitsand, wie er bei der

20 Schettler et al. 1998, 795.21 Rothenhöfer 2005, 90-91. Dort finden sich auch die jeweiligen Einzelnachweise.22 Schmidt-Burgk 1923; Zedelius 1986; Löhr et al. 1980.23 Jürgens et al. 1981; Gerlach et al. 1992.

– 63 –

Fig. 5:Der Schlangenberg beiStolberg-Breinigerberg mar-kiert eines der ältestenProduktionsgebiete von Bleiim Bereich der römischenNordwestprovinzen. Spurenalten Bergbaus in Form vonPingen sind sowohl an des-sen Hang als auch in dernäheren Umgebung anzu-treffen. Münz- undKeramikfunde deutendarauf hin, dass der Abbauvon Bleierzen hier wohlgegen Ende des 1.Jahrhunderts v. Chr. einsetz-te.

Fig. 6:Am Fuße desSchlangenbergs entstandam VerbindungswegVarnenum – Gressenich einrömischer Vicus, dessenwirtschaftliche Grundlagewohl ebenfalls auf demMetallerzabbau basierte.

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Erzwäsche anfällt, beobachtet. Dieser Sand ent-

hielt unter anderem Bleischlacken, zudem römi-

sche Keramik- und Ziegelfragmente. Römische

Bleischlackenhalden avancierten aufgrund ihres

hohen Metallgehaltes ihrerseits im 19.

Jahrhundert zu begehrtem Abbaugut und wur-

den industriell verwertet. Dies trifft zum

Beispiel für die bis zu 5 m mächtigen

Bleischlackenhalden zu, die einst im Gelände

zwischen den Bleierzgruben Diepenlinchen und

Römerfeld lagen24. Ausgedehnte römische

Bleischlackenhalden sollen sich zudem zwi-

schen Werth und Gressenich sowie zwischen

Gressenich und der Mausbacher Heide befun-

den haben25.

Der Mechernicher Distrikt

In dem Bleierzdistrikt am östlichen Rand des

Mechernicher Trias-Dreiecks lagen die

Schwerpunkte bergmännischer Aktivitäten in

römischer Zeit am Tanzberg bei Keldenich und

am Bleiberg bei Kommern/Mechernich26. Hier

erfasste der Abbau leicht zugängliche Bereiche

der Lagerstätte. Am Tanzberg bei Keldenich

lässt sich ein alter Pingen- und Haldenzug mit

einer Ausdehnung von 750 x 300 m verfolgen;

der Tagebau erreichte hier eine Teufe von 73 m.

Immer wieder wurden in diesem Bereich Funde

aus römischer Zeit geborgen wie Münzen,

Ziegel- und Keramikfragmente27. Am Nordhang

des Tanzberges (Flur Schließenmaar) befinden

sich zudem Rückstandshalden ausgewaschener

Sande, wie sie bei der Bleierzaufbereitung anfal-

len. Sie werden von der römischen

Eifelwasserleitung, die nach Köln führt, durch-

schnitten und müssen deshalb bereits in der

Zeit vor dem Bau der Leitung angehäuft worden

sein28. Mitteilungen von Funden alter bergbauli-

cher Relikte liegen auch vom Bleiberg bei

Kommern/Mechernich vor. Zahlreiche alte

Abbaue liegen ferner am Südrand des

Kallmuther Berges ebenso wie bei Roggendorf29.

Wie im Aachen-Stolberger Distrikt wirkte auch

hier der Bergbau siedlungsfördernd. Ein vicus,

der wohl auch das ökonomische Zentrum dieses

Abbaureviers darstellte, entstand bei Kall-

Keldenich in unmittelbarer Nachbarschaft zum

Tanzberg30. Von großer Bedeutung dürfte gewe-

sen sein, dass die Fernstraße Köln-Trier durch

diesen hindurch führte und dadurch eine gute

Verkehrsanbindung gegeben war. Ein weiterer,

östlicher Abzweig dieser Fernstraße erschloss

Abbaugebiete am Mechernicher Bleiberg und

bei Kommern und dürfte sich positiv auf die

ökonomische Entwicklung der Region ausge-

wirkt haben31.

Erwähnenswert ist ferner ein kleines

Bleigewicht, das im Raum Mechernich gefun-

den wurde und die Eigentumsmarkierung einer

militärischen Einheit, der 16. Legion, trägt32.

Bislang ist es der einzige konkrete Hinweis auf

eine - wenigstens - zeitweilige militärische

Präsenz in diesem Bleierzab baugebiet. Dabei ist

noch völlig offen, ob das Bergbaugebiet militä-

risch extra gesichert war oder ob es sich ledig-

lich um das Zeugnis einer vexillatio dieser

Legion handelt, die zur Baustoffgewinnung

abkommandiert war. Für letzteres spricht die

Tatsache, dass die 16. Legion, die von 41 n. Chr.

bis 70 n. Chr. in Neuss stationiert war, dort

umfangreiche Baumaßnahmen durchführte.

Wirtschaftliche Strukturen des

Abbaubetriebs

Die bislang bekannten Funde und Befunde aus

den Abbauregionen belegen Abbauaktivitäten

in der römischen Epoche über mehrere

Jahrhunderte. Nähere, wirtschaftshistorisch

relevante Informationen wie beispielsweise zum

Umfang des Abbaus, zu Produktions mengen

24 Werner 1881, 147; Bonner Jahrbuch 159, (1959), 415-416. Vergleiche Jürgens et al. 1981.25 Alpen 1821; Voigt 1955/56; Rothenhöfer 2005, 90.26 Rothenhöfer 2005, 88-90.27 Rothenhöfer 2005, 89 Anm. 84.28 Ibid.29 Ibid.30 Eick 1867, 39-40; Hagen 1931, 131; Rothenhöfer 2005, 89.31 Bonner Jahrbuch 31, (1861), 43, 206; Eick 1867, 36 ff.; Veith 1885, 12; Hagen 1931, 131-132, 168; Grewe 1995, 80;

Rothenhöfer 2005, 89.32 Petrikovits 1960, 68 mit Anm. 118; Horn 1987, 156 Abb. 91, wo das 6,3 cm lange und 268 g schwere Objekt irrtümlich

als Bleibarren benannt wird.

– 64 –

Atuatuca 4 binnenwerk_J_Roman Glass A4-2 5/10/12 10:55 Pagina 64

und Absatzregionen geben sie aber nicht her.

Ebenso wenig ermöglichen sie Einblicke in die

Struktur und Organisation des Abbaus. Hier

kommen nun andere Fundgattungen und

Disziplinen zum Tragen.

Dass hierzu dennoch Aussagen möglich sind,

verdanken wir vor allem einer Fundgruppe: den

Bleibarren. Wie bereits kurz angedeutet, hat

sich in den letzten Jahren die Zahl von

Bleibarren, die im römischen Germanien produ-

ziert worden sind, durch Wrackfunde im westli-

chen Mittelmeer ganz erheblich vermehrt. Wie

im Fall des Barren aus Tongeren sind es vor

allem die auf den Barren angebrachten

Inschriften, die wesentliche Infor ma tionen

bereithalten: Die Nennung des Kaisers Tiberius

ist nicht nur ein wichtiger Datierungsanhalt -

die Verwendung des praenomen Imperatoris, den

anzunehmen Tiberius bekanntlich abgelehnt

hat - könnte möglicherweise darauf hindeuten,

dass die Produktion des Barrens in die

Anfangszeit der Regierung des Tiberius zu

datieren ist. Auf jeden Fall verfügte dieser Kaiser

über Bergwerksbesitz in Germanien, und wie

wir durch die Isotopen untersuchung wissen,

speziell in der Nord eifel. Die Abkürzung TEC am

Ende der Kartuscheninschrift könnte eventuell -

sofern es sich um eine tria nomina-Abkürzung

handelt - auf einen Pächter kaiserlicher Gruben

hindeuten. Ganz sicher ist diese Interpretation

allerdings nicht. Dass eine derartige Bewirt -

schaftungsstruktur jedoch nicht unwahrschein-

lich ist, belegen wiederum Barren aus

Germanien, die noch in die Zeit des Augustus

gehören. Die Ladung des Wracks St.-Maries-de-

la-Mer 1 bezeugt unzweifelhaft die Ver pach tung

kaiserlicher Bleigruben an einen privaten

Unternehmer, Lucius Flavius Verucla33. Denn

sämtliche Barren aus der Produktion dieses

Unternehmers, die sich auf dem Schiff befan-

den, waren mit Imp(eratoris) Caes(aris)-Stempeln

als kaiserliches Eigentum gekennzeichnet. Da

ein Ankauf durch den Kaiser sehr unwahr-

scheinlich ist, dürfte es sich um den Teil der

Produktion handeln, den der Pächter der

Gruben an den Verpächter - sprich den Kaiser -

laut Vertrag abzugeben hatte. In einem anderen

Fall kennen wir eine anonyme

Pachtgesellschaft, socii, die Bleigruben in

Germanien gepachtet hatten (Fig. 7)34. Andere

“germanische” Barren des Augustus stammen

aus Bergwerken, die der Prinzeps wohl direkt

bewirtschaften ließ. Neben dieser direkten

Metallproduktion unter Aufsicht von

Angehörigen der familia des Prinzeps - Werner

Eck hat in diesem Zusammenhang wiederholt

auf einen in Köln bezeugten kaiserlichen

Kassenverwalter (dispensator) aufmerksam

gemacht, der wohl unter Augustus und Tiberius

am Rhein tätig war35 - ist die Verpachtung an ein-

zelne Unternehmer bzw. Gesellschaften mittler-

weile gut belegt. Damit erhellt sich zumindest in

Grundzügen die Bewirtschaftungsstruktur.

Die Wracks mit Blei aus Germanien sind noch in

anderer Hinsicht höchst aufschlussreich. Das

Wrack St.-Maries-de-la-Mer 1 hatte 99 Barren

geladen, was ein Gesamtgewicht der Bleiladung

von rund 5,5 t ergibt. Und auch das Wrack bei

Rena Maiore (Aglientu, Sardinien) beinhaltete

mehrere Tonnen germanischen Bleis. Setzt man

voraus, dass wir mit den Wracks nur einen sehr

geringen Teil des antiken Transport- bzw.

Warenverkehrs erfassen, dann sollte von ganz

erheblichen Produktions mengen ausgegangen

werden. Diese Schluss folgerung findet

Bestätigung durch Berech nungen der Geologen

G. Schettler und R.L. Romer: Sie bestimmten auf

der Grundlage der erhöhten, anthropogen ver-

33 Rothenhöfer 2003.34 Laubenheimer-Leenhardt 1973, 124-125; Rothenhöfer 2005, 92.35 Eck et al. 2003; Eck 2004, 93-94. Eck 2007.

– 65 –

Fig. 7:Umzeichnung derProduzenteninschrift aufeinem Barren, der alsEinzelfund in derRhônebucht geborgenwurde. Genannt sind (imGenitiv) socii, d.h.Geschäftspartner einerPachtgesellschaft, die imrömischen Germanien Bleiproduzierten.

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ursachten Bleiab lagerungen römischer Zeit imSchalken mehrener und Meerfelder Maar(Vulkaneifel) die durchschnittliche Jahres -produktion an Blei in den nördlich benachbar-ten Bergwerks bezirken. Unter der Annahme,dass die zugrunde liegenden Bleiemissionen vonder metallurgischen Aufbereitung bzw. Verarbe -itung von Bleierzen herrühren, kommen sie zufolgendem Ergebnis: die durchschnittliche jähr-liche Produktions menge an Blei habe - übereinen Zeitraum von 230 Jahren - bei rund 450 tgelegen36. Auch wenn dieser Wert sicherlichetwas nach unten zu korrigieren ist, da ein Teilder Emissionen nicht vom Verarbeitungs -prozess der Bleierze, sondern durch den Versuchder Silbergewinnung in Kupel lationsöfen her-rühren könnte, so bleiben die produziertenQuantitäten doch gewaltig. Setzt man beispiels-weise eine Produktionsmenge von 1 t pro Tagvoraus, dann hätte alle 5-6 Tage eine Großladung- vergleichbar der des Wracks St.-Maries-de-la-Mer 1 - die Region verlassen können. Die Wracks in der Rhônebucht und vorSardinien deuten bereits an, dass Blei ausGermanien überregional von Bedeutung war.Untersuchungen an römischem Blei aus derWestschweiz bestätigten dies. Blei aus denEifellagerstätten fand auch in dortigenSiedlungen reichlich Verwendung37.

Schluss

Die Forschungen der letzten Jahre haben dazubeigetragen, das Wissen um die Nutzung desRohstoffes Bleierz in der Nordeifel in der römi-schen Epoche ganz erheblich zu erweitern.Dennoch bleibt eine Vielzahl an Fragen zu klä-ren. Dazu gehört, den weiteren Verlauf derAbbauaktivitäten zu erhellen. Die massiv erhöh-ten Bleiwerte in den Sedimenten der Eifelmaareerstrecken sich nur über einen Zeitraum vonrund 230 Jahren, dann sinken die Werte deutlichab. Kam es etwa in der ersten Hälfte des 3.

Jahrhunderts n. Chr. zu einem Produktions -einbruch, und was könnten die Ursachen gewe-sen sein? Gleichzeitig aber ist in Betracht zu zie-hen, dass durchaus noch Bleiproduktion - wennauch indirekt - belegt ist: Bleisärge aus demKölner Raum des 3. und 4. Jahrhunderts sind ausBlei gefertigt, das regionalen Eifellagerstättenentstammt38. Selbst für die erste Hälfte des 5.Jahrhunderts deutet ein Barren, der bei St.Aldegund (Kreis Cochem-Zell) an der Moselgefunden wurde, auf römischen Abbau in kai-serlichen Gruben wohl der Nordosteifel hin(Abb. 8)39. Damit sind es in eindrucksvollerWeise die Bleibarren als unmittelbare Berg -bauprodukte, die Zeugnis geben von einerJahrhunderte währenden Nutzung dieserLagerstätten, die sich im Besitz der römischenKaiser befanden.

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– 66 –

Fig. 8:Massiver Bleibarren aus demMoselort St. Aldegund (Kr.Cochem-Zell, Rheinland-Pfalz), den ein dreifach auf-gedrückter Stempel als kai-serliches Eigentum aus-weist. Wohl zwischen 425-455 n. Chr.

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AbbildungsnachweisFig. 1, 5-8: P. Rothenhöfer. Fig. 2. Gallo-RomeinsMuseum Tongeren. Fig. 3: M. Bode. Fig. 4: W. Eck.

– 67 –

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Einleitung

Blei stand – was die Aufmerksamkeit in denAltertumswissenschaften wie auch in der anti-ken literarischen Überlieferung betrifft –immer im Schatten der kostbaren Edelmetalleund des unter anderem als Münzmetallgebrauchten Kupfers. Dabei war Blei in römi-scher Zeit durchaus kein unwichtiges Metall.Unter dem Aspekt des Gebrauchswertesbetrachtet nahm es sogar einen bedeutendenRang ein.

In den vorgeschichtlichen Epochen wurde Bleiaufgrund seiner Materialeigenschaften nichtbzw. nur in geringem Umfang genutzt, dennes eignete sich aufgrund seiner leichtenVerformbarkeit nicht zur Herstellung vonWaffen2, zudem schied eine Nutzung alsMaterial für Schmuckgegenstände aufgrundder raschen Bildung einer unansehnlichenOxidationsschicht weitgehend aus. Es wareneben die Werkstoffeigenschaften wie hoheDichte, niedriger Schmelzpunkt (327˚ C),

– 68 –

Auf den Spuren des Bleis

der Römer:

Das Forschungsprojekt

Corpus der römischen

Bleibarren

Peter Rothenhöfer, Norbert Hanel & M. Bode 1

1 Dr. Peter Rothenhöfer, Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik des Deutschen Archäologischen Instituts,Amalienstrasse 73b, D-80799 München. E-mail: [email protected] – Dr. Norbert Hanel, Universität zu Köln, Archäologisches Institut - Archäologie derrömischen Provinzen, Albertus-Magnus-Platz, D-50923 Köln. E-mail: [email protected] – Dr. MichaelBode, Deutsches Bergbau-Museum Bochum, Forschungsstelle für Archäologie und Materialwissenschaften,Archäometallurgie, Hernerstr. 45, D-44787 Bochum. E-mail: [email protected]

2 Schleuderbleie kamen wohl erst im Verlauf des 5. Jahrhunderts v. Chr. in Griechenland auf. Siehe Weiss et al. 2010.

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leichte Verformbarkeit und die Eigenschaft,

Edelmetalle zu binden, die in römischer Zeit

zum Tragen kamen.

Die Einsatzmöglichkeiten waren vielfältig

(Fig. 1): Bedeutsam war die Verwendung im

Bausektor, vor allem beim Vergießen von

Eisenklammern und -dübeln, die Steinquader

zusammenhielten. Hierbei wurden große

Quantitäten verbraucht. Exemplarisch sei auf

die Porta Nigra in Trier verwiesen: Modernen

Schätzungen zufolge waren 7 Tonnen Blei zur

Verfüllung der Eisenverdübelungen der

Quadersteine dieses Stadttores vonnöten3.

Weiterhin konnten zum Beispiel Dächer mit

Bleiplatten gedeckt werden. Entsprechende

Zeugnisse mehren sich in der Spätantike.

Bedeutsam war Blei als Rohstoff zur

Anfertigung von Bleirohren; allein in der

Region Lyon wurden für Druckwasser-Siphon-

Leitungen römischer Aquaeduktsysteme nach

modernen Schätzungen zwischen 10.000-

15.000 Tonnen Blei verwendet4. Ferner diente

das Weichmetall zur Produktion von

Bleigefäßen und Bleisarkophagen, zur

Herstellung von Bleiplomben, Warenetiket -

ten, Fluchtäfelchen, Schleuderbleien oder

auch zur Edelmetallurgie (Kupellation). Auch

im Bereich der antiken Schifffahrt spielten

Geräte aus Blei eine wichtige Rolle, sei es als

Anker, Netzbeschwerer oder als Material für

Rohre, Pumpsysteme oder Behältnisse ver-

schiedenster Art5. Von der Alltäglichkeit und

Vielfältigkeit der Nutzung von Blei im

Römischen Reich zeugt nicht zuletzt die erst-

malige Entstehung eines spezialisierten blei-

verarbeitenden Metallhandwerkerberufes, der

plumbarii6.

3 Schwinden 2001, 143 ff.4 Trevor Hodge 1983, 220-221.5 Rosen et al. 2007.6 Rothenhöfer & Hanel (in Vorbereitung).

– 69 –

Fig. 1Eine der zahlreichenVerwendungsmöglichkeitenvon Blei im Alltag demons-triert diese römischeHandmühle (mola manua-ria). Um die Festigkeit derzentralen Achse zu gewähr-leisten, hatte man sie mitBlei vergossen. MuseoArqueologico de Portman,Prov. Murcia, Spanien.

Fig. 2BedeutendeBleierzabbauregionen lagenvor allem im Westteil desRömischen Reiches.

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Die wichtigsten Bergbaureviere

Es ist demnach ein enormer Verbrauch imImperium Romanum vorauszusetzen, derdurch die Produktion in den verschiedenenAbbaugebieten des Reiches gedeckt werdenmusste. Die wichtigsten Reviere lagen dabeiim Westteil des Imperiums (Fig. 2)7: Zu nennensind vor allem die beiden bedeutendenAbbauregionen der Iberischen Halbinsel, dieRegion um Cartagena-Mazarrón mit ihren jun-gen subvulkanischen Hydrothermalver -erzungen8 und die Sierra Morena mit ihrenherzynischen Sulfid-Vererzungen9. Beide wur-den schon in republikanischer Zeit ausgebeu-tet, wobei die Gewinnung von Silber imVordergrund stand. Wohl ab augusteischerZeit lieferten auch Bergwerke auf dem Balkan,vor allem aus der späteren Provinz MoesiaSuperior, Blei10. Mit der Eroberung Britanniensab claudischer Zeit setzte auch dort eineumfangreiche Bleigewinnung in verschiede-nen Revieren ein11 Kleinere, aber nicht wenigerbedeutende Abbaugebiete bestanden z. B. aufSardinien12 und – wie sich durch Forschungender letzten Jahre abzeichnet – auch in den ger-manischen Provinzen. Hier sind vor allem zunennen: Die Nordeifel mit Lagerstätten beiMechernich, Kr. Euskirchen, und bei Stolberg,

Kr. Aachen. Kurzzeitig wurde mit großerWahrscheinlichkeit Blei auch im nördlichenSauerland auf der Briloner Hochfläche unmit-telbar nach der Eroberung des rechtsrheini-schen Germanien unter Augustus gewonnen;kleinere Erzreviere bestanden zudem an derUnteren Lahn und bei Wiesloch nahe Heidel -berg. Abbaustellen sind ferner vom Lüderichbei Bergisch-Gladbach und von der GrubeAltglück bei Königswinter-Oberpleis imSiebengebirge bekannt13.

Bleibarren als historische Quellen

Unser Wissen über römischen Bleibergbauberuht u. a. auf der literarischen Überlieferung– hier ist an erster Stelle auf Buch 34 derNaturgeschichte des Plinius zu verweisen –,doch sind die Informationen mehrheitlich nurpunktueller Natur. Zu manchen Regionenschweigen die antiken Schriften diesbezüglichgänzlich, wie zum Beispiel zu Germanien.Auch montanarchäologische Funde undBefunde tragen eher selten zu einem vertieftenKenntnisstand über Größe, Dauer undIntensität der Erzgewinnung in den einzelnenRevieren bei, da jüngerer Abbau in der Regeldie Spuren älterer Nutzungsphasen zerstörte.Viel stärker sind es die unmittelbaren Berg -

7 Römischer Bleierzabbau ist z. B. auch in Nordafrika (Marokko, Tunesien, Ägypten) und der Türkei nachgewiesen.Die ökonomische Bedeutung ist allerdings vielfach noch unklar. Die attischen Silbergruben von Laurion(Griechenland) spielten dagegen in römischer Zeit keine überregionale Rolle mehr. Siehe Meier 1995.

8 Zur Geologie zum Beispiel Urban 1968; Pavillon 1969; Graeser 1970. – Aus Cartagena stammen zum Beispiel dieBarren aus den antiken Wracks von Comacchio, Mahdia und Mal di Ventre. Siehe Domergue et al. 2005; Begemann et

al. 1994; Pinarelli et al. 1995, 79–86.9 Zur Geologie z. B. Lecuyer et al. 1998; San José et al. 2004. 10 Genovesi 2005 mit weiterer Literatur.11 Tylecote 1964.12 Valera et al. 2005.13 Vgl. Rothenhöfer 2005, 88–94.

– 70 –

Fig. 3Der römischeBleibergbaubetrieb zeichnetsich dadurch aus, dass dieBarren in grosser Zahl undstandardisierter Form pro-duziert wurden. Typisch fürdie hispanischen Provinzensind längliche Barren mitrundem Rücken, auf demsich zentral angeordnet einoder mehrere Kartuschenmit Inschrift oder Markenbefinden. Hier inSchrägansicht ein Exemplaraus Cartagena (Spanien).Die Inschrift bezeichnet denBarren als Produkt des im2./1. Jahrhundert vorChristus tätigenUnternehmers C(aius)Aquinius, Sohn des Marcus.

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bauprodukte, d. h. Bleibarren, die zu einemdeutlichen Kenntnisgewinn beitragen können. Römische Bleibarren stellen eine besondereFundgruppe dar. Sehr viele Barren tragenGuss- und/oder Stempelinschriften undSchlagmarken. Schon in republikanischer Zeitentwickelte sich das Phänomen, dass dieProduzenten des Bleis bereits bei der Herstel -lung des Produkts ihren Namen, in einigenFällen erweitert um Herkunfts- oder Waren -bezeichnung, in Form mitgegossenerKartuscheninschriften dauerhaft anbringenließen (Fig. 3). Über 90 % aller Bleibarren tra-gen derartige Produzenteninschriften. Bedeut -sam sind darüber hinaus weitere Arten vonInschriften, die sich auf den Barren finden.Dazu zählen in erster Linie mit Buchstaben -stempeln eingeschlagene Markie rungen, dieebenfalls auf den Produzenten verweisen kön-nen, öfters aber Kontrollvorgänge und/oderBesitzerwechsel anzeigen dürften und die sichauf nahezu fast allen Barren finden. WeitereKategorien von Barrenmarkie rungen sind zumeinen Gewichtsangaben, die in der Regel miteinem Meißel eingeschlagen wurden, und zumanderen Zahlenangaben, oft in der Form vonGraffiti.

Das Erkenntnispotenzial allein der Produ -zenten inschriften berührt unter anderemFragen der Herkunft und sozialen Stellung dergenannten Personen, etwa wenn wie im Falleder plumbum Germanicum-Barren aus Soest

und aus dem Wrack Saintes-Maries-de-la-Mer1 sich ein sehr wahrscheinlich in augusteischerZeit aus Hispanien in das neu eroberteGermanien zugewanderter Bergwerksunter -nehmer namens Lucius Flavius Verucla fassenlässt. Um in umfassenderem Sinne untersu-chen zu können, welche Unternehmer welcherHerkunft an welchen Orten und in welchemZeitraum im Bleigeschäft tätig waren, ist einereichsweite Zusammenstellung aller Objektenotwendig. Dies ist das Ziel eines interdiszipli-nären Forschungsprojekts zwischen der Kom -mission für Alte Geschichte und Epigrap hikdes Deutschen Archäologischen Instituts unddem Deutschen Bergbau Museum Bochum14.

Auch die Namen von mindestens 14 verschie-denen Kaisern vornehmlich des 1. und 2.Jahrhunderts sind auf Bleibarren zu lesen,wodurch diese als Besitzer entsprechenderMinen in verschiedenen Provinzen ausgewie-sen sind (Fig. 4). Jenseits der Frage derLokalisierung dieser Bergwerke und ihrerBetrachtung als bedeutende Einnahmequellendes Kaisers sind gerade diese Barren vonInteresse für eine der zentralen Fragen derStruktur dieses Wirtschaftszweiges. Dabei giltes zum Beispiel, die vor allem in Teilen derForschung unter dem Eindruck einiger weni-ger Historikerstellen15 vertretene Hypotheseeiner mit Tiberius einsetzenden kaiserlichenPolitik einer Monopolisierung der Boden -schätze kritisch zu überprüfen. Bleibarren lie-

14 Die Arbeiten konnten im Herbst 2009 dank der großzügigen finanziellen Unterstützung der DeutschenForschungsgemeinschaft (DFG) aufgenommen werden.

15 Strabo 3,2 zu Besitzverhältnissen spanischer Minen; Tac. ann. 6,19,1 zur Verurteilung des Sex. Marius; Dio 52,28,5über Bodenschätze als bedeutendste feste Einnahmequelle des Staates. Vgl. zuletzt Hirt 2010, 84-106.

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Fig. 4Länglich pyramidenstumpf-förmige Barren, bei den sichdie Kartusche über dengesamten Rücken erstreckt,scheinen in der frühenKaiserzeit aufzukommen.Dieses Exemplar ausSardinien entstammt kaiser-lichen Metallgruben, wie dieInschrift Caesaris Aug(usti)anzeigt. Altes MuseumBerlin, Deutschland.

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fern auch in dieser Frage Anhaltspunkte, etwawenn eine Gebietskörperschaft in der Gus -sinschrift als Produzent erscheint wie zumBeispiel im Fall der gallischen Segusiaver16. EinPachtverhältnis ist in diesem Fall auszuschlie-

ßen. Vielmehr dürfte die Civitas der Segu -siaver zu der Zeit, als der Barren produziertwurde, das ius metallorum besessen haben. DerZugriff auf das Material unter dem Aspekt derBesitzverhältnisse führt zu einer weiteren zen-tralen Frage: Wem flossen die Einnahmen ausdem Bergbaubetrieb zu? Darüber hinaus erlauben die Barreninschrif -ten konkrete Einblicke in die Organisation desAbbaubetriebes. Beispielsweise lassen sicheinige private Produzenten mit großerSicherheit als Pächter von Minen auf kaiserli-chem Bergwerksbesitz nachweisen, da ihreBarren später mit Stempeln als kaiserlicherBesitz markiert wurden. Ein Aufkauf diesesMaterials durch den Kaiser ist eher unwahr-scheinlich; viel eher dürfte es sich um den Teilder Produktion handeln, der an den Verpäch -ter, in diesem Falle den Kaiser, abzuführenwar17. Eine umfassende Zusammen stellungund Untersuchung aller Barrenin schrif ten istdie Voraussetzung, um auch in der Frage derOrganisationsformen des Produktions betrie -bes zu vertieften Einsichten zu gelangen.

Von großer Bedeutung ist ferner, dass dasMaterial selbst für die Altertumsforschungrelevante Informationen bereithält (Fig. 5).Naturwissenschaftliche spektrometrischeAnalysemethoden ermöglichen die Bestim -mung der Bleiisotopenanteile im Metall undgeben dadurch Anhaltspunkte für eineHerkunftsbestimmung, die auf dem Vergleichmit den entsprechenden Werten von Erzenpotentieller Liefergebiete beruht. Wichtigsind diese naturwissenschaftlichen Prove -nienz studien in den Fällen, wo die Barren kei-nen Herkunftsvermerk wie zum Beispiel(plumbum) Britannicum oder Germanicum tra-gen. Dies ist aber bei der überwiegendenMehrzahl der Barren der Fall. Und selbst beiden Fällen, bei denen bereits inschriftlich eineHerkunftsregion genannt ist, besteht dieMöglichkeit, die Provenienz enger – wennnicht sogar genau – einzugrenzen, wie etwa imFalle der Germanicum-Barren des WracksSaintes-Maries-de-la-Mer 1, die innerhalb desrömischen Germanien nur aus der Nordeifeloder dem nördlichen Sauerland stammen kön-nen.

Eine selten untersuchte Frage ist diejenigenach der Art und Weise, wie römischeBleibarren hergestellt wurden, da man bislangkeine entsprechenden Gussformen entdeckthat18. Als Material der Gussformen werdengebrannter Lehm, Metall oder Holz inErwägung gezogen. Von größter Wichtigkeitdürfte in diesem Zusammenhang eineBleimatrize aus der Gegend von Mazarrón(Prov. Murcia, Spanien) sein. Sie zeigt spiegel-verkehrte, eingetiefte Buchstaben. DasFormular stimmt mit Kartuscheninschriftenauf Bleibarren überein19. Im Mittelpunkt derUntersuchungen muss die Frage stehen, wiediese Bleimatrize mit den eigentlichen

16 Corpus Inscriptionum Latinarum XII 5700. 17 Regelungen der hadrianischen lex metalla dicta aus dem portugiesischen Aljustrel/Vipasca zeigen, dass dort dem

Kaiser als Verpächter ex more ein vertraglich festgelegter Anteil der Produktion zustand. Dort heißt es in Abs. 5: ... itaut, cum venae ex eo proferentur, ex more pars dimidia fisco salva sit. - ... so dass, wenn aus ihr (der Grube) erzhaltigesGestein gefördert wird, nach alter Gewohnheit die Hälfte dem Fiskus vorbehalten ist. Den Text mit deutscher Über-setzung gibt Flach 1979.

18 Whittick 1961.19 Domergue 2005b, 188 Kat.-Nr. 66-67.

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Fig. 5Die Entnahme wenigerMilligramm metallischenBleis erfolgt in der Regel aufder Unterseite der Barrenmittels eines Akku-Drehbohrers. Aufbereitungund Messung der Probe lie-gen in den Händen einesSpezialisten derForschungsstelle fürArchäologie undMaterialwissenschaften desDeutschen Bergbau-Museums Bochum.

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Gussformen verbunden war. Ferner ist zuüberprüfen, wie viele Bleibarren ungefähr auseiner Gussform gewonnen werden konnten.Archäometallurgische Experimente verspre-chen neue Erkenntnisse zu denHerstellungsprozessen der Bleibarren undEinblicke in die Organisation des antikenBleibergbaus.

Von fundamentaler Bedeutung ist, dass bis-lang kein anderes Metall – sei es Eisen, Kupfer,Zinn etc. – ähnlich umfassende Möglichkeiteneiner epigraphischen und zugleich naturwis-senschaftlichen Auswertung bietet; zudemexistiert von keinem anderen Metall eine auchnur annähernd vergleichbar hohe Anzahl mas-siver Barren. Die Gesamtzahl aller bekanntenrömischen Bleibarren dürfte bei knapp unter2.500 Exemplaren liegen, wobei in den letztenJahrzehnten Wrackfunde mit zum Teil großenLandungen an Bleibarren die Zahl hat in dieHöhe schnellen lassen. Gegenüber einer erstenÜbersicht durch Maurice Besnier aus denJahren 1920/21 mit rund 150 bekannten Barren,die etwa 70 verschiedene Inschriften tragen,hat sich das Material demnach in außerordent-licher Weise vervielfacht20. Allerdings ist zukonstatieren, dass ein aktueller Überblick überdiese Materialgruppe ein Desiderat darstellt.Allenfalls sind vereinzelte, jeweils sehr zer-streut publizierte Fundberichte erschienen.Eine Zusammenstellung und umfassendeAuswertung unter epigraphischen, archäolo-gischen und archäometallurgischenGesichtspunkten – wie sie im Rahmen desProjekts Corpus der römischen Bleibarren(Corpus massarum plumbearum Romanarum –CMPR) seit September 2009 betrieben wird –stellt eine vorzügliche Basis dar, um die obenskizzierten Fragestellungen zu beantworten.

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20 Besnier 1920, 1921a und b.

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AbbildungsnachweisFig. 1-5: P. Rothenhöfer

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Der Barren des Tiberius aus Tongern-Vermeulenstraat liefert interessante Erkennt -nisse über die Frage der Ausbeutung vonBleierzen im römischen Germanien. Zunächstwird dadurch das kaiserliche Engagement inder Produktion gut belegt, und zwar nicht nurin den Militärbezirken der Eroberungsphase,sondern auch in der Provinz Niedergermanien.Nach einer langen Periode, in der das Blei ausGermanien von Forschern gänzlich ignoriertwurde, erscheint durch die jüngsten Arbeiteneine Produktion im Sauerland unter Augustussehr wahrscheinlich. Sie dauerte wohl nur sehrkurz, dürfte aber umfangreich gewesen sein.Der Export germanischen Bleis in denMittelmeerraum ist gut belegt. Der Barren vonTongeren belegt zum ersten Mal kaiserlichesEigentum im frühen 1. Jahrhundert n. Chr. anden Minen der Nordeifel; bislang war lediglicheine spätere Produktion bekannt (z.B. durchdie Marke der 16. Legion auf einem Bleigewichtaus Mechernich oder durch einen Barren ausSt. Aldegund). Auch das unseres Erachtenstoponymische Element reiht sich besondersgut in das Bündel von naturwissenschaftli-chen und historischen Argumenten ein, diefür eine Bleiproduktion in der Eifel in derrömischen Epoche sprechen.

In der Nordeifel existierten in römischer Zeitzwei bedeutende Abbaubezirke für Bleierze.Der eine umfasste den zentralen Bereich derMechernicher Blei-Zink-Lagerstätte mitSchwerpunkt am Tanzberg bei Kall-Keldenich,der andere befand sich wenige Kilometer süd-lich von Stolberg (Kr. Aachen) im RaumBreinigerberg-Diepenlinchen-Gressenich. Hinweise für einen vorrömischen (“kelti-schen”) Bergbau fehlen. Vielmehr belegen ubi-sche Münzen und ein sprunghaft erhöhterBleigehalt in Sedimentablagerungen von Eifel-Maaren einen Beginn der Bleiproduktion inden letzten beiden Jahrzehnten vor der

Zeitenwende. Die Inschrift auf dem Bleibarrenaus Tongeren belegt eindrucksvoll, dass dieAbbaubezirke in der Nordeifel zur Zeit desTiberius (14-37 n. Chr.) Teil des patrimonium

principis waren. Als kaiserliche Minenbezirkedürften sie bereits mit der Aufnahme derProduktion unter Augustus eingerichtet wor-den sein. Über einen Zeitraum von wenigstens230 Jahren wurde dort Blei in großen Mengenproduziert, doch ist römische Produktionnoch in der ersten Hälfte des 5. Jahrhundertsnachgewiesen.

Der Artikel stellt weiter ein Provenienzstudiefür eine besondere Gruppe frühkaiserzeitli-cher römischer Bleibarren vor. Laut Inschirftstammen sie aus Germanien, wobei einBleibarrenfund aus Tongeren und drei ausdem französischen Mittelmeerraum imVordergrund stehen. Mit Hilfe von Blei -isotopenvergleichen  zwischen diesen plum -

bum Germanicum-Barren und weiteren römi-schen Bleibarren sowie römerzeitlichen Blei -erz lagerstätten kann deutlich herausgestelltwerden, dass die plumbum Germanicum-Barrennicht nur laut Inschrift, sondern auch aufgrundder geochemischen Signatur aus dem römischbesetzten Germanien stammen können.

Um ein besseres Bild von der Bleiproduktionund –versorgung im gesamten römischenReich und den Veränderungen in diesemProduktionssektor im Laufe der Zeit zu erhal-ten, werden seit 2009 sämtliche römischeBleibarren wissenschaftlich erfasst. Um dasInformationspotential dieser Quellengattungausschöpfen zu können, werden in interdiszi-plinärer Zusammenarbeit epigraphische,archäologische und naturwissenschaftlicheDaten wie Bleiisotopenwerte und Spuren -element gehalte dokumentiert. Sie sollen ineinem Corpus der römischen Bleibarren derWissenschaft zugänglich gemacht werden.

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Schlussbetrachtung

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