Comics als Quelle der Geschichtswissenschaft: Mit Beispielen aus der DDR-Geschichte

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Struktur und Geschichte der Comics

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Struktur und Geschichte der Comics

Struktur und Geschichteder Comics

Beiträge zur Comicforschung

herausgegeben im Auftrag derGesellschaft für Comicforschung von

Dietrich Grünewald

Ch. A. Bachmann Verlag

Bibliographische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

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© 2010 Christian A. Bachmann Verlag, Bochum und Essenwww.christian-bachmann.de

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ISBN 978-3-941030-04-6

1. Auflage 2010

Umschlagabbildung aus Wilhelm Busch: »»Maler Klecksel««

Inhaltsverzeichnis

Vorwort Dietrich Grünewald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Das Prinzip BildgeschichteKonstitutiva und Variablen einer KunstformDietrich Grünewald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Erzähltheorie und ComicsAm Beispiel von Zeitungscomics des Herald TribuneMarianne Krichel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

Modellierung, Isolierung und KontrolleComics als Labor der MedienwissenschaftStephan Packard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

Montage im ComicSpezifische Nutzung eines ErzählmittelsBurkhard Ihme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

Comics und kulturelle GlobalisierungManga als transkulturelles Phänomen und die Legende vom ›östlichen Erzählen in Bildern‹Bernd Dolle-Weinkauff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

»Fremdheit« und »Geschichte«Identität und Alterität durch visuelle Stereotypisierung des ›Anderen‹ und der ›Geschichte‹ von der antiken Vasenmalerei bis zum gegenwärtigen Comic und Film. Ein AbrissOliver Näpel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

Geschichte in SequenzenÜber das Subgenre der GeschichtscomicsRené Mounajed . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

Im Wald der MittelalterfiktionenDas Bild des Mittelalters in den Comic-Serien Prinz Eisenherzund Die Türme von Bois-MauryHubert Mittler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

Das Pädagogische und das PolitischeWandlungen der Suppenkaspar-Geschichte in englischen Struwwelpeter-SatirenDetlev Gohrbandt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

Comics als Quelle der GeschichtswissenschaftMit Beispielen aus der DDR-GeschichteMichael F. Scholz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

(Ohn-)Macht und HakenkreuzComics im Schatten der ZensurRalf Palandt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

Die Quadratur der Inka-Eier im Entennest oder wer oder wen provoziert Pato Donald?

Der lateinamerikanische Comic als transkulturelles und autonomes Medium einer marginalisierten Moderne. Eine EinführungRike Bolte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

Japan als Bild(er)kulturErzähltraditionen zwischen narrativer Visualität und visueller NarrativitätStephan Köhn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289

Comic – eine illegitime Kunst?Sozioanalyse der Lust an einem hybriden MediumThomas Becker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309

Zu den Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

Informationen über die Gesellschaft für Comicforschung (ComFor) . . . . . 335

Michael F. Scholz

Comics als Quelle der GeschichtswissenschaftMit Beispielen aus der DDR-Geschichte

Die Zeitgeschichtsschreibung kommt ohne die Mediengeschichte nicht aus. Mitder Entwicklung neuer Kommunikationsformen wie Film, Radio und Internetsowie einer voranschreitenden Globalisierung haben sich Politik und Kultur, All-tagsverhalten und Mentalität stark verändert. Vor allem die Bildmedien haben das20. Jahrhundert in vieler Hinsicht geprägt. Der Historiker findet in den Wochen-zeitungen, Rundfunk- und Fernsehzeitschriften, Modemagazinen usw. ein Materialvor, das bisher nur in geringem Umfang für die historische Forschung ausgewertetworden ist. Diese Artefakte der Populärkultur vermitteln einen reichen Eindruckvom Leben des vergangenen Jahrhunderts und geben Einblick in das Innere derMenschen, in ihr Alltagsleben, ihre geheimen Wünsche und Gedanken, ihr Welt-bild und ihre Wertesysteme. Für die historische Forschung ist ihr Wert als Quelledeshalb kaum zu überschätzen. Zuletzt diskutierte das 46. Deutsche Historikertref-fen unter dem Motto »GeschichtsBilder« die Situation sowie aktuelle Trends in derAnwendung der Bildmedien in der Geschichtswissenschaft.1 Dieser hoffnungsvolleAnsatz wurde in den Medien – wohl etwas voreilig – als »visual turn« beschrieben(Der Spiegel 38/2006).

Zu den bisher in der akademischen Forschung stark vernachlässigten Bildme-dien gehören die Comics, die ein beachtliches Quellenmaterial für eine Reiheunterschiedlicher Forschungen sein können – und dies besonders, wenn man diepolitische und kulturelle Geschichte des 20. Jahrhunderts in erster Linie alsMedien- und Kommunikationsgeschichte begreift (vgl. Scholz 1990, Scholz 2007).

Auch für die deutsche Geschichte kommt den Comics als mediengeschichtlicheund historische Quelle in der zeitgeschichtlichen Forschung ein beachtlicher histo-risch-methodologischer Stellenwert zu. Bemühungen, Comics im Unterricht einzu-setzen, gehen bis in die 1970er Jahre zurück. Heute sind Comics auch imGeschichtsunterricht kein Fremdkörper mehr, doch geht ihr Einsatz nur selten überMotivierungseffekte hinaus (vgl. u.a. Riesenberger 1974, Melzer 1974/1985, Grü-newald 1982, Jung 1985, Grünewald 1991, Geschichte lernen 37/1994, Pieper1997, Gundermann 2006).

Die Anwendung von Comics als Quelle seriöser Forschung und ihr umfassen-der Einsatz in der Didaktik, der die Möglichkeiten der Comics zur Veranschauli-

1 Vgl. das Portal des 46. Deutschen Historikertags: www.uni-konstanz.de/historikertag/index2.php?menu=startseite (12.10.2006).

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chung, Konkretisierung und erzählerischen Einbettung historischer Sachverhaltenutzt, sowie die Verwendung von Comics in Ausstellungen sind noch immer dieAusnahme (vgl. Lochmann 1999). Besonders trifft dies für ihre Anwendung alsQuelle der Geschichtswissenschaft zu.2 Eine Ursache dafür mag in der Unsicherheitim Umgang mit den Comics liegen. Hier eine Änderung herbeizuführen, setzt einebessere Forschungsgrundlage zur Geschichte und den Besonderheiten dieses Medi-ums voraus.

Möglichkeiten der Anwendung und des Studiums von Comics im Rahmen derKultur- und Gesellschaftswissenschaften möchte ich im Folgenden am Beispiel derDDR-Comics als Quelle für die Erforschung der Geschichte der DDR diskutieren.

Der Platz der Comics in der internationalen und in der ostdeutschen Medienwelt

Eine Definition der Comics hinsichtlich ihrer Abgrenzung von anderen Formen derBilderzählung ist weiter in der Diskussion (vgl. Sackmann 2007, Strömberg 2003).Im Folgenden verwende ich Comics allgemein im Sinne einer Folge von Bildern,die – mit oder ohne Text – zusammen eine Geschichte erzählen.

Der Ursprung der modernen Comics ist Ende des 19. Jahrhunderts zu verorten.Ihre wachsende Popularität war verbunden mit der Urbanisierung, dem Aufkom-men der Massenproduktion, der technischen Entwicklung des Buch- und Zei-tungsdrucks sowie der Herausbildung einer Unterhaltungsindustrie. Nachdembereits kurz nach 1900 erste Reprintausgaben von Comics erschienen, erlebten inden USA in den 1930er Jahren die sogenannten Comic Books mit eigenen, neuenGeschichten ihren Durchbruch. Diese amerikanischen Comicmagazine richtetensich in erster Linie an ein jüngeres, oft männliches Lesepublikum. Im Laufe vonnur fünfzig Jahren hatten sich die Comics in diesem Teil der Welt etabliert. Sieprägten gesellschaftliche Erfahrungen wie individuelle Phantasien. Mit den ComicBooks war in den USA ein komplexes System entstanden, das keine nationalenGrenzen mehr kannte.

Angesichts einer nach dem Ende des 2. Weltkrieges immer stärkeren Darstel-lung von realistischer Gewalt und Sex in den Comic Books kam es weltweit in derersten Hälfte der 1950er Jahre am gesamten Medium zu einer Kritik, die hysteri-sche Züge annahm. Ein Ergebnis der Anti-Comic-Kampagne war die Einführungeines Moral-Kodex (Comic Code) durch die Produzenten (vgl. Nyberg 1998, Lent1999). Gegen die Selbstzensur der Branche revoltierten in den 1960er Jahren inden USA und in Westeuropa die Underground-Comix. Sie konzentrierten sich aufdie Darstellung der bisher tabuisierten Themen wie Sex, Narkotika und Politik.

2 Eine Ausnahme stellt der Österreicher Stefan Wolfingar dar. Er behandeltComics als historische Quelle, als Bildquelle, Quelle der Alltagssprache und derMentalitätengeschichte und diskutiert auch kunstgeschichtliche und zeichentheore-tische Untersuchungsmethoden, vor allem aber, wie Geschichte im Comic darge-stellt wird (vgl. Wolfinger 1999).

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Ohne zu übertreiben, darf man sagen, dass sich die Jugendkultur der westlichenIndustrieländer damals neben der Musik am stärksten in den Comics äußerte. Inden 1970er Jahren etablierten sich auf dem franko-belgischen Buchmarkt dieComicalben, die sich vorwiegend an Erwachsene richteten. Ende der 1990er Jahresetzten sich in Europa die japanischen Comics (hier Manga genannt) durch. Sie tra-fen bei den Jugendlichen beiderlei Geschlechts auf großes Interesse.

Mit der fortschreitenden Entwicklung der Technik haben sich den Comics neueMöglichkeiten eröffnet. Heute werden sie nicht mehr nur in den traditionellenMedien vertrieben, sondern auch digital auf CD, DVD und im Internet. Der Leserhat dabei unter anderem die Möglichkeit, einzelne Panels zu animieren oder dasEnde der Geschichte zu beeinflussen. Wir stehen heute erst am Anfang der großenVeränderungen, die das Internet für Produktion, Verbreitung und Konsumtion vonComics eröffnet, und manche Überraschung steht uns dabei noch bevor.

Comics standen immer in einem direkten Wechselverhältnis mit anderenMedien, der Kunst und der Literatur. Für die USA zeigt dies ein Blick auf die PulpMagazines. Für die Groschenhefte in den beiden deutschen Staaten gilt dies in gerin-gerem Maße. Die stärksten Gemeinsamkeiten weisen die Comics mit dem Film auf.Beide Medien sind ungefähr gleich alt und haben sich das gesamte 20. Jahrhunderthindurch gegenseitig befruchtet. Dies gilt für Erzähltechnik, Bildschnitt, Kamera-fahrt, Szenenwechsel, Dialog und Erzähltempo (vgl. Horn 2000, Moscati 1988). Inden letzten Jahren haben Comic-Helden mit wachsendem Erfolg die Kinoleinwän-de erobert. Die Bedeutung der Comics in den Medien ist national sehr unterschied-lich. Entsprechend ist ihr Wert als Quelle der Geschichtswissenschaft in den USAbedeutend größer als zum Beispiel für die deutsche Geschichte. Doch auch hier hatdas Medium eine nicht gering zu schätzende Rolle gespielt. Auch in den beidendeutschen Staaten standen die Comics mit der gesellschaftlichen Entwicklung inWechselwirkung und spiegelten deren Entwicklung (vgl. Dolle-Weinkauff 1990,Dolle-Weinkauff 2008, Knigge 1986, Schnurrer/Becker 1979).

In der sowjetischen Besatzungszone und dann in der DDR wurden die Comicsvon Beginn an bewusst als ein Medium für die geistige Beeinflussung und Erzie-hung junger Menschen genutzt. Dies war wesentliche Ursache dafür, dass sie sichtrotz offiziell ablehnender Haltung unter der SED-Diktatur bis zu deren Endebehaupten und entwickeln konnten (Lettkemann/Scholz 1994). Ein Bedarf nachComics war bei den deutschen Kindern und Jugendlichen in Ost und West Anfangder 1950er Jahre gleichermaßen vorhanden, ausgelöst durch die mit der amerika-nischen Besatzungsarmee nach Deutschland gekommenen Comic Books, was inWestdeutschland einen Comic-Import und bald auch eigene Produktionen anregte.Den Weg für eine eigene Comic-Produktion in der DDR ab Mitte der 50er Jahreebnete der Volksaufstand vom 17. Juni 1953, der es den Machthabern opportunerscheinen ließ, in der Kulturpolitik etwas freizügiger zu sein und ›Ventile‹ zu schaf-fen. Die Politik des ›Neuen Kurses‹ sollte nicht nur taktischer Bluff sein. Für dieMedien zeigte sich, dass sie fortan auch als Mittel des Konsums und der Unterhal-tung gesehen wurden. Das Kindermagazin Fröhlich sein und singen, später kurz Frö-si, gehörte damals zu den interessantesten Trägerzeitschriften für Comics. Neue

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Zeitschriften wurden in schneller Folge gegründet, die alle Comics in ihrem Pro-gramm führten. Am bekanntesten wurden Das Magazin, Eulenspiegel und Wochen-post. Die Wochenpost enthielt eine Seite direkt für Kinder. Auf ihr spielten Bilderge-schichten eine zentrale Rolle. Auch nahezu alle Zeitschriften und vieleTageszeitungen publizierten Comics, oder Bildgeschichten, wie sie in Abgrenzungzu den westlichen Produkten konsequent genannt wurden.

Etwas überrascht stand man nun jedoch der in den USA und Westeuropageführten Diskussion um den »verderblichen« Einfluss von Comics gegenüber (vgl.u.a. Scholz 1995, Scholz 2009, Jovanovic/Koch 1999, Spiegel 1996, Maiwald/Sackmann 2007). Doch nach einigem Zögern entschloss man sich in Ostberlin, indie Offensive zu gehen und eigene Comic- und Abenteuerhefte zu produzieren. Seit1955 erschienen die beiden wichtigsten reinen Comiczeitschriften – Atze undMosaik von Hannes Hegen. Atze kostete nur 20 Pfennig und erschien seit 1957monatlich, Mosaik zunächst vierteljährlich für 95 Pfennig, ab 1957 auch monatlichfür 60 Pfennig. Ihre Auflagenhöhe war trotz ständiger Papierknappheit hoch, unddie Hefte gingen zudem von Hand zu Hand.

Atze (monatliche Auflage im Jahresdurchschnitt, Quelle: Chowanetz 1983, 137)

1955 506 000 1963 389 8541956 493 000 1964 3812331961 394 967 1970 399 8001962 378 317 1980 547 000

Mosaik von Hannes Hegen (Jahresdurchschnittsauflage, Quelle: Chowanetz 1999, 398)

1955 150000 1963 3024501956 250000 1964 3394671961 252592 1970 4995001962 247492 1980 870000

1990 Januar: 1089000September: 390000

Das Medium Bildgeschichte erlebte in der DDR damals eine goldene Zeit, wennauch in bescheidenerem Maße als in der Bundesrepublik. Von Beginn an warenComics in der DDR Gegenstand der medialen Inszenierung des Parteistaates. Wäh-rend sich die politischen Konzeptionen für das neue Medium in Ost und Westunterschieden, war das kulturell-künstlerische Grundverständnis gleich: Die Comicswurden weder als neue Gattung darstellender Kunst noch als neues Medium verstan-den. Die Gründe für die deutsch-deutsche Übereinstimmung liegen im etwa glei-chen Verständnis von Bildung und Kunst. Es prägte in der Kaiserzeit und der Wei-marer Republik sowie im sogenannten Dritten Reich sowohl die bürgerlichenSchichten als auch die organisierte Arbeiterbewegung.

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Allmählich bildete sich in der DDR ein geschlossenes System der Pressebetreu-ung der Kinder und Jugendlichen heraus. Die Trommel und die Junge Welt galtenals Zentralorgane der Pioniere bzw. FDJ’ler. Die Schüler der 1. bis 3. Klasse solltendie ABC-Zeitung lesen, die Frösi hingegen sprach die Schüler der 4. bis 6. Klasse an.Ihre Aufgabe war es, »betont unterhaltend zu bilden und bildend zu unterhalten«.Auch Atze und Mosaik sollten dieser Altersgruppe gefallen.

Die Gründung eigener Comic-Zeitschriften war in der DDR von Anfang anmit einem Erziehungsauftrag verbunden. Dieser bestand zunächst in der Abwehrwestlicher Comics. Hinter dem bald formulierten Erziehungskonzept der »Heraus-bildung allseitig und harmonisch entwickelter sozialistischer Persönlichkeiten«stand ein politisches Konzept der Verfügbarkeit über das Individuum. Grundle-gende Richtlinien für kulturelle und erzieherische Publikationen wurden von derSED-Zentrale vorgegeben und vom Ministerrat beschlossen. Genauere Anweisun-gen kamen von der nächsten Ebene, dem Amt für Literatur und Verlagswesen bzw.dem Ministerium für Kultur. Auch die Auflagenhöhe wurde auf dieser Ebene fest-gelegt. Sie richtete sich nicht nach Angebot und Nachfrage, sondern nach den vonder SED gestellten kulturpolitischen Zielen und nach der Verfügbarkeit des allzeitknappen Papiers. Jährlich mussten für die einzelnen Zeitschriften so genannteLizenzanträge gestellt werden. Für die Verteilung der Presseerzeugnisse war 1948ein Postzeitungsvertrieb aufgebaut worden, der ab Mitte der 50er Jahre zum aus-schließlichen Publikationsverteilungssystem wurde. Der Vertrieb trat gegenüberden Verlagen als Käufer und gegenüber den Lesern als Verkäufer auf. Dieses Systembestand bis zum Juni 1992.

Die unpolitischen, dafür erfolgreichen Bildergeschichten des Mosaik waren denPolitideologen ein Dorn im Auge. Als Alternative zum allseits beliebten, aber imPrinzip unpolitischen Heft entstanden um 1963 Pläne zur Herausgabe eines Alter-nativcomics, der ein »neues journalistisches Mittel zur staatsbürgerlichen Erziehungim breitesten Sinne des Wortes« werden sollte. Auf Beschluss des Zentralrats derFDJ erschienen zunächst drei Testhefte »zur Verbreitung einer Bildergeschichte fürThälmannpioniere mit der Thematik der deutschen und internationalen Arbeiter-bewegung«. Inhaltlich und grafisch konnten die Hefte nur wenig überzeugen.3Obwohl sich der Chefredakteur erfolgreich um positive Leserzuschriften bemühte,konnte sich das Projekt auch ökonomisch nicht behaupten.

Neues Bilderheft für Jungen und Mädchen(Quelle: Kock 1999, 399)

3 Vollständige Online-Version unter www.ddr-comics.de/hefte2.htm (22.2.2009)

Druckauflage Verkaufsauflage Ergebnis (in TDM)

Sturm begann 5 Uhr 98700 88432 – 8,4

Die Fahne des jungen Soldaten

99278 59321 – 11,4

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Schließlich hatten einige Hefte eine solch negative Resonanz, dass von der Verlags-leitung eine stärkere Kontrolle durchgesetzt wurde. Die geplante Nummer 6,»Überfall im Atlas«, die dem Freiheitskampf des algerischen Volkes gewidmet war,kollidierte mit ihrer inhaltlichen Gegenwartsnähe mit aktuellen politischen Ent-wicklungen in dieser Region und durfte, obwohl sie bereits druckreif vorlag, nichtmehr erscheinen. Die Reihe wurde noch 1965 wegen »enormer Qualitätsmängel«und fehlender Akzeptanz unter den Käufern abgesetzt (vgl. Kock 1999, 202–207).Doch dies bedeutete keine Abstriche an der Erziehung zum Klassenbewusstsein.Der FDJ-Zentralrat beschloss 1966 folgende Kernpunkte für die Medienarbeit: DieDDR, mein Vaterland, ist mein größter Stolz; Der Sozialismus ist auch meinehöchstpersönliche Sache; Der Imperialismus ist ein aggressives, menschenfeind-liches System, dem mein ganzer Hass gilt; Die Partei der Arbeiterklasse führt auchmich immer auf den richtigen Weg; Der Jugendverband ist eine Schule für dasganze Leben. »Wenn wir den Kindern die sozialistische Perspektive unseres Vater-landes DDR richtig bewusst machen wollen«, hieß es in der Atze-Grundkonzeptionfür das Schuljahr 1966/67,

müssen wir sie zugleich zum Hass gegen die Verderber der deutschen Nation, gegendie westdeutschen Monopolherren, Multimillionäre, Militaristen und ihre Staats-maschinerie erziehen. [...] [A]uch zur Parteinahme gegen die Verbrechen der USA-Imperialisten in der ganzen Welt, besonders in Vietnam, Laos und Südamerika,gegen ihre neokolonialistische und rassistische Politik gegenüber den um ihre Unab-hängigkeit kämpfenden Völkern Südamerikas, der jungen Nationalstaaten Afrikasund gegen die Negerbevölkerung ihres eigenen Landes.

Tatsächlich entfernte sich der Charakter der Zeitschrift Atze in dieser Zeit von einerComic-Publikation. Atze wurde nun den Vorstellungen von einer sozialistischenComic-Zeitschrift unterworfen und erschien ab Januar 1967 in neuer Form, die sichvor allem durch eine politische Hauptgeschichte abhob (Scholz 2001, 159–184).

Ein subtiles Durchsetzen des allgemeinen Erziehungsauftrages, der in allerRegel kaum Veränderungen unterlag (sieht man von der Deutschlandpolitik ab),gelang mit den Comics in der DDR offenbar nicht. Mosaik konnte sich wegen sei-ner großen Leserresonanz behaupten, das stark politisierte Neue Bilderheft für Jun-gen und Mädchen dagegen nicht. Bei der Politisierung der Zeitschrift Atze in derzweiten Hälfte der 60er Jahre wollte und konnte man auf die beliebten, weil unpo-litischen Mäuseabenteuer von Fix und Fax nicht verzichten. Der politische Erzie-hungsauftrag musste auf Nebenfelder ausweichen, wie auf Mosaik-Beilagen oder abMitte der 60er Jahre auf die politisch-ideologisch aufgesetzten Atze-Geschichten amHeftanfang und schließlich auf die Bildergeschichten in dem Jugendmagazin Fröh-lich sein und singen/Frösi.

Flucht im Bomber 102350 52131 – 19,1

Das rettende Papier 120000 66926 – 5,9

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Aktuelle Trends in der ComicforschungEin Jahrzehnt nach der internationalen Anti-Comic-Debatte nahm die wissen-schaftliche Beschäftigung mit den Comics einen neuen Anlauf. Anfänglich zeigteman sich vor allem bemüht, das Ansehen der Comics im allgemeinen Diskurs zuverbessern, in dem man sie in eine von den Kultureliten als wertvoll akzeptierte Tra-dition stellte.4 Mittels einer medienarchäologischen Perspektive suchte man dieWurzeln der Comics in der Menschheitsgeschichte, man erforschte die Verbin-dungen zwischen Comics und moderner Kunst sowie zu anderen Medien, wie Filmund Fernsehen. Bereits 1979 thematisierte in Westdeutschland eine AusstellungComics als Forschungsgegenstand der Volkskunde (Deutsche Comics 1979). Nebender Politisierung des Mediums haben auch die Forschungen zur Kommerzialisie-rung der Comics und ihrer Verbindungen mit der Werbeindustrie eine längere Tra-dition (vgl. Gordon 1998). Die Forschung tut gut daran, die Verflechtung undwechselseitige Abhängigkeit der verschiedenen Aspekte der Mediengeschichte mitanderen Teilbereichen der historischen Wissenschaften vor Augen zu haben.

Von einer Akademisierung der Comicforschung kann man erst seit den 1990erJahren sprechen. Die lebhafte Theorie- und Methodendiskussion der an Comicsinteressierten Forscher und Forscherinnen unterschiedlicher Fachrichtungen führtezu einem weitgehend einheitlichen Herangehen an den gemeinsamen Forschungs-gegenstand.5 Gerade die frühe Geschichte des Mediums fand erneut das Interesseder Wissenschaft (vgl. Lefevre 1999, Kunzle 1973). Nun setzte auch ein Perspektiv-wandel ein: Nicht mehr allein die Comics aus den USA oder Europa erfreuten sichdes Interesses der Forschung. Comics wurden nun als eine weltweite medialeErscheinung begriffen und in wachsender Zahl als kulturelle Äußerungen von Nati-onen und Kulturen verstanden (vgl. Lent 1996). Heute bietet das Internet nebenTausenden Fanseiten unterschiedlicher Qualität seriöse Information und stellt For-schungsergebnisse sowie nicht zuletzt das Forschungsmaterial, die Comics, zur Ver-fügung.6

Eine akademische Comicforschung bildete sich auch in Deutschland heraus.7Ihre Beförderung und Vermittlung ist eine wichtige Aufgabe der Gesellschaft fürComicforschung (Comfor). Zu einem Forum für die Erforschung deutschsprachigerComics entwickelte sich das von Eckart Sackmann herausgegebene Jahrbuch Deut-

4 So zum Beispiel auf der Ausstellung der Akademie der Künste in Berlin/West1969/70, vgl. Hofmann 1970, Perry/Aldrige 1967; Graphis 159 (vol. 28) 1972/73,Sackmann 2007.5 Eine zentrale Rolle spielt hier das seit 1999 erscheinende IJOCA – The Interna-tional Journal of Comic Art. Siehe darin z.B. Lombard 1999, Ellis 1999, s.a. Magnus-sen/Christiansen 2000.6 Informationen zur und Comicbeispiele aus der internationalen Comic-Geschichte z.B. bei Coconio Classics: www.coconino-world.com/s_classics_v3/mng_classics.php und Andy’s Early Comics Archive: A History of Picture Stories:http://bugpowder.com/andy/.7 Einen guten Überblick über die deutsche Forschung gibt www.comicfor-schung.de.

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sche Comicforschung (2004ff.). Regelmäßig werden hier auch Artikel zu DDR-Comics publiziert. Zu deren Geschichte liegt auch ein erstes Übersichtswerk vor(Lettkemann/Scholz 1994). Im Mittelpunkt des Interesses der Fanszene für DDR-Comics steht mit Abstand das Mosaik. Dies gilt für das Mosaik von Hannes Hegen,aber auch für die Abrafaxe, die als neuere Comichelden seit 1976 im Mosaik ihreAbenteuer erleben. Neben einer Vielzahl von Fanartikeln und Fanzeitschriftenwurde auch akademisch zu diesem interessanten Heft gearbeitet (Kock 1999,Kramer 2002). Insgesamt steht aber die Erforschung der populären Presse sowie derKinderpresse der DDR noch immer in ihren Anfängen (Chowanetz 1983, Barck1999, Lüth/Pecher 2007, Steinlein 2007).

Sammlung, Archivierung und Zugang zu den ComicsDer Comicmarkt hat sich verändert, doch weiterhin erscheinen weltweit Comics ingroßer Zahl. Dabei ist die Produktion von Comics für das Internet im Wachsenbegriffen. Für viele Länder geben Comic-Kataloge (meist in Form von Preiskatalo-gen) einen guten Überblick über die jeweils nationale Produktion von Comicmaga-zinen und Comicalben. Für die DDR geben Krägermanns Comic Katalog von 1997und der seit 1976 erscheinende 1. Allgemeine Deutsche Comic-Preiskatalog sowie dieComic-Datenbank Deutscher Comic Guide einen guten Überblick.8 Doch Comicserschienen in der DDR auch in Tages- und Wochenzeitungen. Hier ist es bedeu-tend schwieriger, sich eine Übersicht zu verschaffen.9

In einigen Ländern sind Comics heute als Teil des nationalen Kulturerbes aner-kannt. In Frankreich und Belgien, aber auch in Portugal, investiert die öffentlicheHand in Comics. Die gilt nicht nur für ihre nationale Produktion, Erforschungund Bewahrung. Comics werden zunehmend auch als Attraktion für den Touris-mus nutzbar gemacht. In den USA übernehmen die großen Universitäten das Sam-meln und Bewahren dieses Teils des amerikanischen Kulturerbes. Bereits vor mehrals zwanzig Jahren hat man dort auch mit der Archivverfilmung der Comics begon-nen, um sie auf diese Weise der Forschung zugänglich zu machen. Über eine inter-essante und wichtige Sammlung zum Medium Comic verfügt die Comic Art Collec-tion der Michigan State University. Die Homepage der Sammlung präsentiert eineAuswahl des Comicmaterials aus dem 18. Jahrhundert sowie einige Folgen wichti-ger Comic Books (Real Heroes und True Comics). Von besonderem Wert sind dasmediale Dokumentationssystem sowie die Sammlungskriterien mit entsprechendenSuchfunktionen im Internet. Der Classified Index wird laufend aktualisiert undenthält zum Beispiel die Rubriken: Creative Personnel of Comics, Works about Comics,

8 Krägermanns Comic Katalog, Berlin 1996; Norbert Hethke/Peter Skodzik:1. Allgemeiner Deutscher Comic Preiskatalog, Schönau 1976ff.; http://www.comic-guide.de/php/wir.php (22.2.2009).9 Bibliographie der Zeitungs- und Zeitschriftencomics, in: Lettkemann/ Scholz1994, 99–108; www.ddr-comics.de.

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Genres of Comics, Titles of Comics, Games in Comics, Animals in Comics, Libraries ofComics, Nationalities of Comics und Publishers of Comics.10

Auch von Schweden kann man in Deutschland einiges lernen. Auf Initiative dernationalen Comicgesellschaft Seriefrämjandet wurde 2003 das Projekt Svenskt Seriear-kiv/Svensk Seriehistoria (»Schwedisches Comicarchiv/Schwedische Comicgeschichte«)gestartet. In dessen Rahmen wird unter der Schirmherrschaft des Reichsarchivs syste-matisch historisches Material zum Thema Comics gesammelt und bearbeitet. DasInteresse gilt dabei nicht nur den Comics, sondern auch den Themen Produktion,Verkauf, Leserschaft, Verbindungen der Comics mit anderen Medien sowie ihrerFormensprache in der Reklame und der Kunst (Seriefrämjandet 2003).

Anders als in Frankreich, Großbritannien und den USA, wo Forschungen zurComicgeschichte schon eine längere Tradition haben, ist in Deutschland dasgedruckte Material nur selten systematisch gesammelt worden, von privaten Nach-lässen der Comic-Künstler ganz zu schweigen. Die Bestände des Comic-Archivs desInstituts für Jugendbuchforschung der Frankfurter Goethe-Universität haben ihrenUrsprung bezeichnenderweise im Kampf gegen Comics und wurden vom MainzerDeutschen Jugendschriftwerk als »Schundkampfbeute« dem damals gerade gegrün-deten Institut übergeben (Dolle-Weinkauff 2005). Das Institut bemüht sich heuteaktiv um Bestandssicherung. So konnte unter anderem die bedeutende Privat-sammlung von Peter Orban und nahezu die Gesamtproduktion des Verlages JochenEnterprises erworben werden. Für die Comicgeschichte der DDR fehlen bislangvergleichbare Sammlungen.

DDR-Comics sind im Original zum Teil als Pflichtexemplare in der DeutschenNationalbibliothek in Leipzig vorhanden. Die Kinder- und Jugendbuchabteilungder Staatsbibliothek zu Berlin, die bereits zu DDR-Zeiten Comics sammelte, ver-fügt über einen guten, aber keineswegs vollständigen Bestand. UmfangreichereSammlungen sind dagegen privat vorhanden. Davon zeugen Kataloge und Inter-netpräsentationen. Das von Fankreisen zusammengestellte und zum Teil auch auf-bereitete Material ist – wie zum Mosaik von Hannes Hegen – oftmals von hoherQualität (Grünberg/Hebestreit 2006).

DDR-Comics werden – urheberrechtlich durchaus bedenklich – auch im Inter-net zugänglich gemacht.11 Verlässlicher sind die oft auch gut kommentiertenReprintausgaben, die heute im Prinzip alle Mosaik-Ausgaben seit 1955, alle in derAtze erschienenden Mäuseabenteuer von Fix und Fax sowie einen nicht geringen Teilder Zeitschriftencomics erfassen.12

10 Michigan State University’s Comic Art Collection: http://digital.lib.msu.edu/collections/index.cfm?CollectionID=2.11 www.ddr-comics.de und www.orlandos.de.12 Nachdrucke des Mosaik von Hannes Hegen werden heute vom Tessloff VerlagNürnberg besorgt, bis 2005 im Buchverlag Junge Welt. Das Mosaik mit den Abrafa-xen erscheint im Mosaik Steinchen für Steinchen Verlag Berlin, wo auch die Fix-und-Fax-Sammleredition erschienen ist. Unter dem Reihentitel Klassiker der DDR-Bildgeschichte erscheinen Zeitungs- und Illustriertencomics im Holzhof Verlag, Dres-den.

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Die Materialien über die Produktion und die politische Einflussnahme auf dieComics, darunter Verlagsarchive, Beschlussprotokolle, Korrespondenzen usw.,befinden sich, soweit überhaupt vorhanden, im Bundesarchiv in der »StiftungArchiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR« (SAPMO), darunter inden Beständen der SED, der Jugendverbände FDJ und Pionierorganisation ein-schließlich ihrer Verlage, sowie im Bestand der DDR-Regierung, vorwiegend imMinisterium für Kultur.13

Comics als Quelle humanistischer und gesellschaftswissenschaftlicher Forschung

Wie andere Bereiche der Populärkultur spiegeln Comics ihre Zeit und nehmen zuaktuellen Problemen Stellung. Durch das Zusammenspiel von Text und Bild ver-mitteln sie komplexe Kommunikationssituationen. Diese reichen von Umgangs-und Höflichkeitsformen über soziale Hierarchien bis hin zu den Beziehungen zwi-schen den Geschlechtern. Sie spiegeln Lebensumstände wider, Auffassungen überSexualität, Abtreibungen unter Minderjährigen, über Alleinerziehende, Familienbe-ziehungen, Genderfragen und Homosexualität. Als klassische Bildquellen zeigen sieDesign, Architektur, Mode, Inneneinrichtungen usw. Auch als Quellen für dieSprachwissenschaft sind sie geeignet. Dies gilt besonders für die Sprachsoziologieund die Dialektforschung (Scholz 1990). Da die Widerspiegelung nur partiellerfolgt, sind Comics von zeitgenössischen Komponenten geprägt, die der Historikerals sogenannte Überreste untersucht. Mit Hilfe von Comics kann man natürlichauch die Auswirkungen historischer Ereignisse auf die Gesellschaft untersuchen.Ökonomische und politische Krisen, politische Kampagnen und die Konstruktionvon Feindbildern haben in den Comics immer deutliche Spuren hinterlassen. Fürdie DDR-Comics wird dies besonders in den Politcomics der Atze und der Frösideutlich. Comics fangen nationale Besonderheiten und Vorstellungen von derNation sowie die Bemühungen um ihre Konstruktion ein. In den DDR-Comicswurde zum Beispiel regelmäßig der Stolz auf die Errungenschaften beim Aufbauder DDR thematisiert.

Das Studium der Comics kann neue Sichtweisen im Bereich Gender Studieseröffnen, denn Comics spiegeln die Vorstellungen vom Idealbild der Verteilung derVerantwortung im Haushalt und im Berufsleben wider, die Rollenverteilung in derLiebe, die Fragen: wer verführt wen, welche Berufe gehören zum Mann bzw. zurFrau, welcher Sprache bedient sich wer, wie kleidet sich wer?14 Eine länderübergrei-fende Untersuchung von Comics aus der Genderperspektive macht uns auf gene-relle geographische sowie historische Unterschiede hinsichtlich der Rolle bzw. der

13 Siehe unter www.bundesarchiv.de.14 S. Robbins 2002, www.imageandnarrative.be/gender/trinarobbins.htm); Bra-bant/Mooney 1997: www.findarticles.com/p/articles/mi_m2294/is_n3-4_v37/ai_20119673.

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Bilder von Mann und Frau aufmerksam und zeigt, wie sich die Genusstereotypenin Raum und Zeit verändern (s. Cooper-Chen 2001)

Historische Forschung ausschließlich mit Comicmaterial zu betreiben, wirdwohl die Ausnahme sein. In den USA, wo Comics eine gesellschaftlich viel wich-tigere Rolle als in Deutschland spielen, kann solche Forschung aber durchaus zuinteressanten Ergebnissen führen. Dies zeigen zum Beispiel Untersuchungen derregionalen Akzeptanz der Politik des New Deal (1933–1937) oder der Verände-rungen der amerikanischen Jugendkultur und der Kulturpolitik während des Kal-ten Krieges (Vrana 1989, Savage 1998, Wright 2001). Dies gilt aber auch fürandere Länder, wie Mexiko, wo Comics eine sehr zentrale Rolle für die Entwick-lung eines stabilen und demokratischen Staatswesens gespielt haben (Rubenstein1998). Weitere Beispiele ließen sich finden. Doch diese wenigen sollen genügen,um zu zeigen, welche Erkenntnisse man zu welchen Gebieten mit dem Studiumvon Comics erhalten kann.

Comics als historische Quelle – Analysemodelle In einer ganzen Reihe von Disziplinen spielen Comics heute in der Forschung eineRolle. Ausgehend von der jeweiligen Fragestellung werden sie aus verschiedenenPerspektiven untersucht (vgl. Lombard 1999, Scholz 1990). Die soziologische Per-spektive zielt auf die Gesellschaft mit ihren sozialen Institutionen, wie diese funkti-onieren und sich verändern. Dabei werden verschiedene gesellschaftliche Gruppen,die in den Comics auftreten, untersucht. Eine psychologische Perspektive zeigt auf,wie die Comics das Denken, Fühlen und Handeln der Menschen widerspiegelnbzw. beeinflussen. Aus kunsthistorischer und ästhetischer Perspektive wird dieInteraktion der Comics mit der Kunst bzw. anderen Medien untersucht werden.Eine ökonomische Perspektive betrachtet die Comic-Industrie, deren Werbestrate-gien, porträtiert Verlage, Redaktionen und Zeitschriften. Die historische Analyseuntersucht die Comics im Rahmen der Geschichte des eigenen Mediums und stelltsie dazu in eine nationale sowie internationale Perspektive. Sie diskutiert, wiebestimmte Ereignisse und Umstände die Ausformung der Comics beeinflussthaben. Eine philosophische Perspektive kann zum Beispiel erforschen, wie derHumor in verschiedenen Ländern und Zeiten funktioniert bzw. nicht funktioniert.Die sprachwissenschaftliche Analyse untersucht über die Dialektforschung hinaus,die sich zumindest für die frühen US-Comics anbietet, den Sprachgebrauch alskommunikative Aktion, was bei den DDR-Comics durchaus ergiebig scheint. Inder Methodendiskussion der Comicforscher dominieren die semiotische und dieDiskursanalyse. Auch eine historische Analyse, komparative Studien oder CaseStudies bieten sich an. Doch immer wird das Forschungsproblem die Perspektiv-und Methodenwahl steuern. Will man Comics als Quellen der historischen For-schung studieren, kann man entsprechend der Fragestellung verschiedene Perspek-tiven wählen und braucht sich nicht nur auf eine historische Perspektive zubeschränken.

210 Comics als Quelle der Geschichtswissenschaft

Als historische Quellen studiert der Historiker Comics zumeist als Überreste.Dabei greift er für ihre Analyse auch auf Methoden und Theorien anderer Wissen-schaftsbereiche zurück, darunter der Literaturwissenschaft und der Kunstwissen-schaft (Nusser 1991, Rydén 2006).

Mein Modellvorschlag einer einfachen historischen Quellenanalyse von Comicsfolgt den allgemeinen Regeln hinsichtlich einer äußeren und inneren Quellenkritikund stützt sich auf Modelle aus der Comicwissenschaft sowie der Didaktik (vgl.Lombard 1999, Rifas 2000, Nemert-Svedlund/Rundblom 1988, Sauer 2000).

Zunächst zur äußeren Quellenkritik, zur Identifikation der Quelle. In diesemArbeitsschritt wird die Frage der inhaltlichen Aspekte und der Zielgruppe disku-tiert. Zentral für die Analyse ist hier der mediale Überlieferungsrahmen, also in wel-cher Form der Comic ursprünglich publiziert wurde. War er zunächst als Tages-streifen oder Sonntagsseite einer Zeitung oder Zeitschrift gedacht und erschienenoder handelt es sich um den Teil eines Comic-Magazins bzw. Albums? Oder wurdeder Comic ausschließlich für das Internet produziert? Die Bedeutung und auch derWert des Trägermediums als eigenständiges erhellendes Quellenmaterial kann dabeikaum überschätzt werden. Zu klären ist in diesem Schritt auch die Frage der Ver-breitung, etwa nach der Auflage einer Zeitung und ihrem Zielpublikum. Die Fragenach der Echtheit zielt auf die ursprüngliche Form der Publikation und ob es sichum einen getreuen oder bearbeiteten Nachdruck handelt.

Der Absender/Urheber der Quelle: Hinter jedem Comic steht oftmals eineganze Gruppe von Individuen und Institutionen. Dazu zählen ein oder mehre Tex-ter und Zeichner, die zusammen mit dem Verlag bzw. dem Syndikat, das Vertriebund Verkauf des Comics übernimmt, zusammen als Absender bzw. Urheber stehen.Der Historiker untersucht hier auch die Konventionen und Erwartungen, die dieProduktion und Distribution der Comics bestimmen – ob etwa der ökonomischeGewinn oder die Wissensvermittlung an vorderster Stelle steht, welche moralischenWerte der Comic vermitteln will usw.

Die Entstehungssituation: Die Comicschaffenden (Text und Bild) sind vomZeitgeist und dem aktuellen Zeitgeschehen beeinflusst. Inhalt und Form derComics stehen im direkten Zusammenhang mit anderen Produkten der Massen-kultur, so der Wochenpresse und der Fernseh- und Radioproduktionen sowie derKioskliteratur. Diese ›befruchten‹ sich gegenseitig, was sich nicht zuletzt in Gestaltdes Merchandisings, stereotyper Handlungsstränge oder Charaktere zeigt.

Die Zielgruppe/Adressaten: Richtet sich der Comic an eine bestimmte Gruppe(Männer, Frauen, Erwachsene, Kinder, Jugendliche, Anhänger bestimmter Ideolo-gien, Religionen, Einwanderergruppen, ethnische Minoritäten)? Antwort gibt oftbereits das Trägermedium.

Der Inhalt: Welche Gruppe in der Gesellschaft reagiert eher positiv auf dieGeschichte, ihre Helden, Umstände und Probleme? Welcher Zweck und welcheAbsicht lassen sich erkennen? Viele Comics vermitteln Moralvorstellungen oderauch Faktenwissen, doch nicht zuletzt geht es den Urhebern um den ökonomischenGewinn. Comics sollen also gefallen und unterhalten.

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Der Handlungsverlauf und der Bild- und Textaufbau werden analysiert. Ästhe-tische Faktoren spielen dabei eine wichtige Rolle. Nicht alles »funktioniert« imComic. Um die Bilder deuten zu können, stützt sich auch der Historiker auf dietraditionelle Bildanalyse der Kunstwissenschaft. Zentral ist die inhaltliche Bedeu-tung der Bilder (im Zusammenspiel mit dem Text). Hier hilft die Semiotik. Auchfür die Einzelbilder im Comic gilt, dass sich die Bedeutung erst aus der ikonogra-phischen Analyse ergibt (s. Eco 1964/1984). Was ist abgebildet, in welchem Milieuvollzieht sich die Handlung (Tages-, Jahres-, Uhrzeit, historische Zeit)? WelcheIdentität besitzen die Helden der Geschichte (Alter, Geschlecht, Nationalität, Aus-bildung, Beruf, soziale Herkunft, Persönlichkeitsmerkmale)? Wie ist die Handlunggestaltet? Was wird erzählt? Wie ist das Verhältnis von Text und Bild? WelcheBedeutung hat die Farbgebung? Welche Sprache wird angewendet, ist sie sachlich,analysierend, überredend, witzig, gefühlsbetont? Handelt es sich um Umgangsspra-che, um Dialekt? Schließlich der konnotative, mitbedeutende Zusammenhang.Was wird im Comic positiv hervorgehoben? Welche Ideen und Vorstellungen wer-den präsentiert? Welche Muster sozialen Handels werden vorgeführt? WelcheEigenschaften von Menschen oder einer Gesellschaft werden als positiv hervorgeho-ben. Wird eine spezielle Ideologie vermittelt? Schließlich werden die Ergebnisse derAnalyse zusammengefasst.

Comics als Quellen zur Geschichte der DDR In der DDR sollten alle Kinder zur Liebe zur Heimat DDR und zum Stolz auf diesozialistischen Errungenschaften erzogen werden. In ihren Medien wurde die DDRals (fast) idealer »Ort zum Leben« dargestellt. Aus der »Liebe zum Vaterland« solltedie Motivation erwachsen, dieses aktiv mit zu gestalten und so die Lebensbedin-gungen für alle zu verbessern. Stolz, »Wir-Gefühl« und Selbstbewusstsein, so hoffteman, würden die Leistungsbereitschaft des Einzelnen steigern. Ein zentrales Themastellte der Aufbau der Hauptstadt der DDR dar (z.B. Atze 6/85: Hinter den Kulissendes Friedrichstadtpalastes).

Weitere Schwerpunkte waren die Erziehung zum »sozialistischen Kollektivbe-wusstsein« und zur Wehrbereitschaft. Comics thematisierten den NVA-Alltag (Atze2/71: Bewährungsprobe im Panzer), die Manöver mit den Armeen des WarschauerPakts (Atze 4/72: Gefechtsalarm auf der »Thälmann«), die vormilitärische Ausbil-dung an den Schulen und im Rahmen der paramilitärischen Gesellschaft für Sportund Technik (Atze 2/76: Kampfauftrag erfüllt, Genosse Kommandeur!) sowie dieTätigkeit der Volkspolizei und der Feuerwehr. Vor allem die »Liebe zur Sowjetu-nion« sollte entwickelt werden. Die UdSSR galt nicht nur als Sieger des Kriegesund im offiziellen Sprachgebrauch als »Befreier« vom Faschismus als Vorbild. Die inihr eingeführte sozialistische Gesellschaftsordnung war es, nach der es zu strebengalt. Für viele Jahrzehnte galt in der DDR die Losung: »Von der Sowjetunion ler-nen heißt siegen lernen.«

Aus der Geschichte heraus sollte die Überlegenheit des sozialistischen Systems,der Stolz auf die historischen Errungenschaften sowie ein festes Vertrauen in die

212 Comics als Quelle der Geschichtswissenschaft

Politik der SED begründet werden. Zur Durchsetzung dieser Aufgabe wurden dieComics verstärkt seit Mitte der 1960er Jahre herangezogen. Sie thematisierten undveranschaulichten historische Ereignisse im Rahmen der von der SED vorgegebe-nen Deutung. Ziel war nicht, die Vielfalt historischer Wirklichkeit erkennbar zumachen, sondern die Erziehung der Kinder und Jugendlichen zu »sozialistischenPersönlichkeiten«, die sich durch ein »Klassenbewusstsein« auszeichneten. Um his-torische Persönlichkeiten wurde in der DDR nicht selten ein Kult betrieben. Diebeabsichtigte Identität stiftende Wirkung rangierte dabei deutlich vor der tatsächli-chen Bedeutung der jeweiligen Person. Dies zeigt sich deutlich an den Comics überdas Leben von Wladimir I. Lenin (Atze 7–11/67: Sturm an der Newa; Atze 11/76:Der Mann aus Petrograd), Ernst Thälmann (Frösi 7/85–6/86: Der Weg zu Thäl-mann) und Wilhelm Pieck (Atze 12/75: Der Kampf geht weiter – trotz alledem; Frösi12/75: Eden-Hotel).

Die emotionale Inanspruchnahme der Menschen durch Staat und Partei kamnatürlich nicht ohne Feindbild aus. Die Kehrseite der »Liebe zum Sozialismus«musste einfach »Hass auf den Imperialismus« sein. Dabei bediente man sich histori-scher wie gegenwärtiger Stoffe. Zentral war in den 1960er Jahren der Krieg derUSA in Vietnam (Atze 6/67: Die Brücke am Drachenzahn; Atze 7–8/68: KimsGeheimnis). In den folgenden Jahrzehnten bot ein Vielzahl von Spannungsherdenetwa in Lateinamerika und im Nahen Osten Schauplätze für die allerdings nur sel-ten lesenswerten Politcomics der Atze (Atze1/74: Venceremos. Wir werden siegen!;Atze 7/75: Auf den Straßen von Lissabon; Atze 2/87: Tödliche Begegnung).

Der gesamtdeutsche Gedanke war im Bereich der Kinder- und Jugendliteraturfrühzeitig aufgegeben. Doch die Bundesrepublik stand für die Hasspropagandaimmer an vorderster Stelle. Sie vermittelte den Lesern von DDR-Comics ein durchund durch negatives Bild des anderen Deutschland. Auf der einen Seite war dasLeben dort von Ausbeutung und Unterdrückung gekennzeichnet, auf der anderenSeite gab es unter Führung der kommunistischen Partei doch eine starke Gegenbe-wegung in Gestalt von Streikbewegung bzw. Hausbesetzerszene (Atze 7/72: DerMarsch der Hundewärter; Atze 11/75: Die Schlacht um den »Kaiser Max«). Das Bildder anderen »führenden kapitalistischen Länder« USA und Großbritannien unter-schied sich da kaum (Atze 7/76: Die roten Männer von Wounded Knee; Atze1/73:Der Kurier der Minenarbeiter; Atze 8/78: »Blue Diamond« schießt scharf ).

Eine besondere Spielart der Hasscomics stellten die so genannten Mauercomicsdar, die seit August 1961 regelmäßig des Baus der Berliner Mauer gedachten.Bereits in den 50er Jahren wurden in den Comics »Republikflüchtlinge« gebrand-markt und Pioniere zu deren Denunziation aufgefordert (Unsere Kameradin. Frau-enbeilage des Grenzpolizisten 1958: Fritz’, Fratz’ und Lieschens Abenteuer an derGrenze). Nach dem August 1961 wurde die Mauer als notwendiger Schutzwallgegen den »faschistischen« Klassenfeind gerechtfertigt und regelmäßig auch in denComics dieselben Argumente und Feindbilder wiederholt. Sogenannte »Grenzver-letzer«, vermeintliche Spione und »Fluchthelfer« agierten in den Geschichten alsreale Feinde. Nicht selten ging die Vermittlung solcher Feindbilder einher mit derVerherrlichung der Sicherheitsorgane der eigenen Seite (Atze 8/61: Der Spion. Nach

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Protokollen unserer Sicherheitsorgane; Atze 11–12/61: Tatort Grabenstraße 11. Nacheiner tatsächlichen Begebenheit; Atze 8/62: Schüsse in der Grenzstraße; Atze 8/69:Alarm um Mitternacht; Atze 8/71, Alarm in der Brunnenstraße; Atze 8/1981: Esgeschah in Wilhelmsruh; Atze 6/85: Major Meißner erinnert sich; Frösi 9–10/86: Dieverschobene Hochzeit).

Die Gleichberechtigung von Mann und Frau schrieb in der DDR die Verfas-sung (Artikel 7) fest. Aus Sicht der SED war Gleichberechtigung nur möglich,wenn die Frau neben dem Mann einer geregelten Berufstätigkeit nachging. Mit derParole »Einbeziehung der Frau in den Produktionsprozess« versuchte sie den akutenArbeitskräftemangel zu verringern. Der SED-Staat unterstützte die Frauen deshalbbei der Erziehung der Kinder durch Kindergärten, Schulspeisung und weitere sozi-alpolitisch vorbildliche Maßnahmen. Diese tatsächlichen Errungenschaften wurdenauch in den Comics, besonders der Frauen-Illustrierten Für Dich, propagiert. Das»sozialistische Mädchen« interessierte sich für Technik und wuchs in ihre gleichbe-rechtigte Rolle in der sozialistischen Gesellschaft hinein. Emanzipierte Frauen frü-herer Jahrhunderte, Frauen aus Wissenschaft und der Arbeiterbewegung, wie Ama-lie Dietrich (Trommel 42–4/65: Amalie Dietrich, eine Frau in Australien; Für Dich22–52/78: Amalie setzt sich durch), Marie Curie (Für Dich 5–34/86: Das strahlendeGeheimnis), Jenny Marx (Für Dich 25-44/88: Jenny), Clara Zetkin (Frösi 9/75: Dierote Präsidentin) oder Frida Hockauf (Frösi 10/75: Ich danke dir!) wurden als Vorbil-der präsentiert.

Die Popularität der Bildergeschichten bei Kindern und Jugendlichen machtensich verschiedene DDR-Ministerien zur Vorbereitung und Durchführung vonAktionen zunutze. Kurze Comicepisoden lehrten den sparsamen Umgang mitEnergie und klärten über das Verhalten bei Bränden auf. Andere lehrten das rich-tige Verhalten im Straßenverkehr. Auch die Gesundheitsaufklärung, der Brand-schutz sowie der Gesundheits- und Arbeitsschutz bedienten sich mit Erfolg derComics. Solange man in der DDR die Produktwerbung zuließ, spielten Comicsauch hier eine Rolle. Diese auch in der Bundesrepublik praktizierte Aufklärungsar-beit wurde durch Objekte mit Comicbezug wie Bastelbögen und Spiele ergänzt.

Für die Untersuchung des parteilich ausgerichteten, doch deshalb eben auchwandlungsfähigen Geschichtsbildes in der DDR bieten die in diesem Land produ-zierten Comics reiches Material. Als ein besonderer Teil der Kinder- und Jugend-presse eröffnen sie die Möglichkeit, zu untersuchen, wie und in welchem UmfangBeschlüsse und Forderungen der Parteiführung durchgesetzt wurden, welche Wir-kungen sie erreichen konnten bzw. welche Botschaften tatsächlich die ostdeutschenKinderzimmer erreichten. Denn Comics wurden in der DDR im Normalfall frei-willig gekauft. In gewissem Umfang sind in den Verlagsarchiven und in Privat-sammlungen (!) auch Unterlagen zu Leserumfragen überliefert, deren Absicht esallerdings war, inhaltliche Konzepte zu bestätigen oder durchzusetzen (Lost 2007).Aussagen über die Verbreitung der Comics sowie über die konkrete Umsetzung derzentralen Beschlüsse durch ihre Produzenten, vom FDJ-Zentralrat über die Verlags-leitungen und Chefredakteure bis zu den Szenaristen und Zeichnern, lassen – auchunter der berechtigten Annahme selektiven Lesens – durchaus Schlüsse auf die Wir-

214 Comics als Quelle der Geschichtswissenschaft

kungsmöglichkeiten sowie Erkenntnisse über die Erfolge der »sozialistischen Erzie-hung« zu.

Für die DDR-Forschung bietet sich zunächst die politische Instrumentalisie-rung der Comics im Rahmen der allgemeinen politischen Indoktrination der Kin-der und Jugendlichen in der SBZ/DDR als zentrales Forschungsthema an. Anhandvon Comic-Beispielen, Dokumenten und Aussagen von Zeitzeugen könnten dieSchwierigkeiten der Behauptung des Mediums in der DDR ebenso aufgezeigt wer-den wie die Versuche von offizieller Seite zur Politisierung der Comics. Der Erzie-hungsauftrag ist aus den Beschlüssen des Politbüros bzw. des Zentralsekretariats derSED bzw. des Zentralrats der FDJ und des Ministeriums für Volksbildung deutlicherkennbar. Die Comicforschung kann Aussagen über deren tatsächliche Umsetzungim Bereich der Kinder- und Jugenderziehung machen. Da in der DDR die Comicsnach klaren Richtlinien der SED bzw. des Jugendverbandes FDJ produziert wur-den, kann ihre Erforschung produktiv in die Diskussion über die »Durchherr-schung« der Gesellschaft eingehen (Lettkemann/Scholz 1994, Scholz 2001).

Darüber hinaus bieten sich der DDR-Forschung als weitere Themen an: dasFrauenbild in der DDR, der Alltag der Kinder in der DDR, die Erziehungsziele inder DDR, die Erziehung zur Wachsamkeit und zum Hass, die Erziehung zur Liebeund zum Stolz auf die DDR, der Wandel des Deutschlandbildes bei Kinder undJugendlichen sowie die Vermittlung von Geschichtsbildern.

Comics stellen aufgrund ihrer massenkommunikativen Funktion für die histo-rische und andere Forschung letztlich ein Reservoir dar, dessen Studium erst amAnfang steht. Als Teil der Alltagskultur können sie uns Einblicke geben, die uns miteher traditionellen Quellentypen verschlossen bleiben. Dies gilt auch für dieComics aus der DDR.

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