Der Wächter an der Quelle – Eine jungsteinzeitliche Siedlung mit Kultstätte in Drense, Lkr....

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Archäologische Forschungen auf der Trasse zwischen Lübeck und Stettin Die Autobahn A20 – Norddeutschlands längste Ausgrabung

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Archäologische Forschungen auf der Trassezwischen Lübeck und Stettin

Die Autobahn A20 –Norddeutschlands längste Ausgrabung

Die Autobahn A20 –Norddeutschlands längste Ausgrabung

Archäologische Forschungenauf der Trasse zwischen Lübeck und Stettin

Archäologie in Mecklenburg-Vorpommern 4

Herausgegeben vom

Archäologischen Landesmuseum und Landesamt für Bodendenkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern

durch Hauke Jöns und Friedrich Lüth

und der

Archäologischen Gesellschaft für Mecklenburg und Vorpommern e.V.

durch Thomas Terberger

Schwerin 2005

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Der Wächter an der Quelle – Eine jungsteinzeitliche Siedlung mit Kultstätte in Drense, Lkr. Uckermark

Blagoje Govedarica

Bei den Ausgrabungen im Vorfeld des Autobahnbauswurden im Landkreis Uckermark durch das Branden-burgische Landesamt für Denkmalpflege und Archäo-logische Landesmuseum mehrere Bodendenkmale un-tersucht, die vielerlei neue und wichtige Einblicke indas Leben und die Kultur jungsteinzeitlicher Menschenermöglicht haben. Als besonders aufschlussreich erwiessich die kleine Siedlung von Drense 32, deren Erbauerder Trichterbecherkultur angehörten (Abb. 1; 2). DieTrichterbecherkultur, die während des 4. Jahrtausendsv. Chr. weite Teile Nordeuropas einnahm, zählt zu dengrößten und bedeutendsten Kulturerscheinungen derJungsteinzeit Europas. Neben den charakteristischenund namengebenden trichterförmigen Gefäßen ist sievor allem durch ihre imposanten Grabanlagen ausFindlingsblöcken, die so genannten Megalithgräber,sowie durch zahlreiche befestigte Siedlungen bekannt.Die neu entdeckte Siedlung von Drense mit ihrenkleinen Ausmaßen und ihrer Kombination profanerund kultischer Einrichtungen stellt ein bisher unbe-kanntes Phänomen innerhalb der Trichterbecherkulturdar und erweitert somit das uns bekannte Repertoirean Siedlungsformen dieser Kultur.

In exponierter LageDie Ausgrabungsstätte liegt 1,5 km östlich des heuti-gen Dorfes Drense auf einer etwa 100 m langen Kuppe.Diese dominiert mit einer Höhe von 82,6 m das um-liegende Gebiet und ist einer der höchsten Punkte in der Hügellandschaft der nördlichen Uckermark.

Offensichtlich war von den Menschen der Jungstein-zeit diese Lage nicht zufällig, sondern aus strategischenGründen gewählt worden, da sie eine gute Übersichtin alle Himmelsrichtungen erlaubte. Wie sich bei derAusgrabung zeigte, wurde der gleiche Ort wohl ausdenselben Gründen etwa 2500 Jahre später, in derBronzezeit, erneut besiedelt.

Die exponierte Lage des Ortes wirkte sich jedochfür die Erhaltung des Denkmals nachteilig aus, dadurch Erosion Teile der archäologischen Substanz ver-

Abb. 1. Lage des FundortesDrense im Verlauf derAutobahn A20 (Grafik:Ch. Hartl-Reiter).

Abb. 2. Auf dem Grabungs-plan sind die Pfostengruben(schwarz) und die Sied-lungsgruben (dunkelgrau)sowie die Gräber (grün) hervorgehoben. Alle dargestellten Verfärbungendatieren in die Jungsteinzeit(Entwurf: B. Hildebrand,A. Löser, R. Opitz, Grafik:J. Nier).

war. Am oberen Südhang der Kuppe wurden unmittel-bar unter dem Oberboden die Spuren eines ehemaligenWasserlaufs in Form eines breiten Bandes aus dunkel-grauem sandigem Sediment freigelegt (Abb. 2; 3). Die-ses hangabwärts immer breiter werdende Band konnteauf einer Länge von 35 m bis zur 1,5 m niedriger ge-legenen südwestlichen Grabungsgrenze verfolgt werden.Der Quellbereich weist eine ovale Form und besondersdunkles Sediment auf. Hier wurden zahlreiche Steinedokumentiert, die vermutlich den Wasserlauf reguliertoder zur Auskleidung einer wohl hölzernen Quell-einfassung gedient haben (Abb. 4).

Am südlichen Rand der Quelle wurde der einstigeAbfluss von zwei ovalen, einander gegenüber liegendenGruben flankiert (Abb. 3; 4). Während die westliche,

loren gingen. Dieser Prozess wurde durch den Acker-bau im Mittelalter und in der Neuzeit noch weiter ver-stärkt, so dass sowohl bei der neolithischen als auch beider bronzezeitlichen Siedlung nur die unteren Teile derBau-, Wirtschafts- und sonstigen Strukturen erhaltenblieben. Von der trichterbecherzeitlichen Siedlung sindhauptsächlich Reste der Siedlungsgruben überliefert,in denen man damals Nahrungsmittel als winterlichenVorrat oder zum täglichen Gebrauch lagerte. Weiter-hin wurden auch Pfosten- und Abfallgruben doku-mentiert (Abb. 2).

Der Tote an der QuelleBesonders hervorzuheben ist ein Befundkomplex, wieer aus der Trichterbecherkultur bisher nicht bekannt

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Abb. 3. Die Wasserquelle mit daran anschließendemWasserlauf und Grab alsdunkle Bodenverfärbungenim Luftbild (Foto: B. Govedarica).

nur noch flach erhaltene Grube keinerlei archäologi-sche Funde aufwies, wurden in der östlichen die Resteeiner Bestattung freigelegt. Das schlecht erhalteneSkelett, von dem nur noch Bein- und Armknochenvorhanden waren, lag als Nord-Süd ausgerichteterHocker mit dem Kopf im Norden. Auf beiden Seitendes Körpers stand jeweils ein Gefäß mit charakteris-tischem, trichterförmig ausladendem Oberteil (Abb. 5;6). Bei einem Gefäß konnten eine Fransenverzierungam unteren Teil sowie ein kleiner flacher Boden fest-gestellt werden (Abb. 6). Fragmente von Tongefäßenmit ähnlichen Merkmalen fanden sich auch in mehre-ren Gruben der sich im Nordwesten anschließendenSiedlung.

Durch die an der Quelle gelegene Bestattung er-hält der Komplex eine kultische Dimension. Mög-licherweise wurde dieses Begräbnis im Rahmen einesbesonderen Wasserkults vollzogen wurde. In der reli-giösen Vorstellungswelt des vorgeschichtlichen Men-schen galten Quellen als heilige Orte, Bezugsorte derNaturkraft sowie als Wohnstätten der Götter, Geisterund Dämonen. Bestattungsakte an der Quelle solltenoffenbar eine Verbindung mit den Göttern des Wassersund der Unterwelt ermöglichen und deren Gnade er-bitten. Der Tote aus Drense sollte das Diesseits mitdem Jenseits verbinden, diesen heiligen Platz ewig be-wachen und die Lebenden vor den bösen Kräften derUnterwelt schützen. Solche Sonderbestattungen undandere mit Wasser und Wasserquellen verbundeneRituale sind ein bekanntes Phänomen in der euro-päischen Urgeschichte, doch war derartiges für dieTrichterbecherkultur bisher nicht belegt.

Nur ein kleiner WeilerObwohl die Grabungsgrenzen durch die Breite derAutobahntrasse festgelegt waren, ist es gelungen, dengrößten Teil der neolithischen Siedlung Drense 32freizulegen. So konnte mit Sicherheit festgestellt wer-den, dass sie nicht befestigt war. Die Anordnung der

Pfostenlöcher und der Siedlungsgruben weist daraufhin, dass es sich um eine recht kleine Siedlung ge-handelt hat, die lediglich aus drei bis vier vornehm-lich auf der Südseite der Kuppe errichteten Höfenbestand. Nach der modernen Siedlungsterminologiewird diese Siedlungsform als Weiler bezeichnet. DerInhalt der Gruben lässt darauf schließen, dass diehauptsächliche Wirtschaftsform der Bewohner derAckerbau gewesen ist.

Abb. 4. Auf dem Ausschnittaus dem Grabungsplansind die Steine der Quell-

einfassung und der Wasserabfluss sowie dasdicht an der Quelle liegendeGrab zu erkennen (Zeichnung: M. Schütz, B. Hildebrand, A. Löser).

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