Eine Tote in der Grube – Die slawische Siedlungsbestattung von Falkenwalde, Lkr. Uckermark

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Archäologische Forschungen auf der Trasse zwischen Lübeck und Stettin Die Autobahn A20 – Norddeutschlands längste Ausgrabung

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Archäologische Forschungen auf der Trassezwischen Lübeck und Stettin

Die Autobahn A20 –Norddeutschlands längste Ausgrabung

Die Autobahn A20 –Norddeutschlands längste Ausgrabung

Archäologische Forschungenauf der Trasse zwischen Lübeck und Stettin

Archäologie in Mecklenburg-Vorpommern 4

Herausgegeben vom

Archäologischen Landesmuseum und Landesamt für Bodendenkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern

durch Hauke Jöns und Friedrich Lüth

und der

Archäologischen Gesellschaft für Mecklenburg und Vorpommern e.V.

durch Thomas Terberger

Schwerin 2005

Archäologische Forschungenauf der Trasse zwischen Lübeck und Stettin

Die Autobahn A20 –Norddeutschlands längste Ausgrabung

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Eine Tote in der Grube –Die slawische Siedlungsbestattung von Falkenwalde, Lkr. Uckermark

Blagoje Govedarica

Durch das Brandenburgische Landesamt für Denk-malpflege und Archäologische Landesmuseum wurdeetwa 700 m südwestlich der Ortsmitte von Falken-walde ein Teil einer großen jungslawischen Siedlungausgegraben (Abb. 1). Die Siedlung lag auf einerKuppe, die sich aus der welligen Endmoränenland-schaft der nördlichen Uckermark heraushebt. Wiebei allen Fundorten in exponierter Lage wurden auchhier die Hausböden und andere oberirdische Anlagendurch die landwirtschaftlich bedingte Erosion abge-tragen, so dass für die archäologische Untersuchungnur die Reste von Siedlungsgruben erhalten geblie-ben sind.

Vielerlei GrubenAuf der durch die Breite der Autobahntrasse vorgege-benen 55 x 185 m großen Grabungsfläche konnteninsgesamt 377 slawische Gruben untersucht werden(Abb. 2). Sie konzentrierten sich in großen, durchfundfreie Flächen getrennten Gruppen. Die Grubenwiesen unterschiedliche Form und Funktion auf. Zu-meist handelte es sich um größere, stark eingetiefteGruben, die wohl als Silos für die Lagerung von Ge-treide gedient haben. Weitere, ähnlich tiefe Grubenwurden angelegt, um Sand und Lehm für den Bau vonHäusern und Wirtschaftsanlagen zu gewinnen. DieseGruben wurden anschließend wieder verfüllt oder fürdie Entsorgung von Abfall genutzt. Vereinzelt zeigtensich bei der Untersuchung auch Teile von Wirtschafts-einrichtungen, zum Beispiel Fundamente von im

Boden eingegrabenen Ofenanlagen und wannenför-mige Konstruktionen aus gebranntem Lehm.

Die Untersuchung der Keramik, der eisernen Ge-räte und Knochenkämme sowie anderer charakteri-stischer Funde (Abb. 3) ermöglicht eine Einordnungdieser Siedlung in die jungslawische Periode, genauerin die Zeit vom Ende des 11. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts.

Wo waren die Häuser?Wie bereits erwähnt, sind in Falkenwalde keine ge-sicherten Hausbefunde erhalten geblieben, so dassüber die Wohnanlagen nur anhand von Indizien ge-sprochen werden kann. Dass sie im gegrabenen Arealeinstmals vorhanden waren, zeigen zahlreiche Stückegebrannten Hauslehms, die aus mehreren Gruben ge-borgen werden konnten. Vermutlich lagen die Häuserinnerhalb der befundleeren Flächen zwischen den Gru-bengruppen. Es wird sich dabei wohl um ebenerdigeBlock- oder Flechtwandbauten gehandelt haben, diedurch jahrhundertelange Bodenerosion vollständig abgetragen wurden. Solche Bauten mit Wandlängenvon 3–5 m sind typisch für das westslawische Sied-lungsgebiet, zu dem auch der Wohnplatz von Falken-walde gehört. Besonders gut konnten solche Bautenin frühstädtischen Siedlungen mit vielschichtigenund daher konservierenden Befundlagen, in slawi-schen Burgen mit ähnlichen Erhaltungsbedingungensowie in Niederungssiedlungen mit hohem Grund-wasserstand nachgewiesen werden. Die Erhaltungs-

Abb. 1. Lage des FundortesFalkenwalde im Verlauf derAutobahn A20 (Grafik: Ch. Hartl-Reiter).

Das Bauopfer in der Siedlungsgrube Eine Besonderheit unter den Befunden der slawischenSiedlung von Falkenwalde stellt eine Grube dar, inder das Skelett einer 21–23 Jahre alten Frau freigelegtwurde. Die Grube wies im Planum eine ovale Formvon 1,5 x 1,9 m auf und war bis zu einer Tiefe von1,9 m in den Sand eingegraben worden. Die Wändewaren wie auch bei den anderen Gruben dieses

bedingungen derartiger Fundplätze führten zu einerKonservierung zumindest der unteren Lagen dieserebenerdigen Bauten. Leider gab es solche Erhaltungs-bedingungen in Falkenwalde nicht, doch kann vonvergleichbaren Fundplätzen ausgehend im untersuch-ten Teil der slawischen Siedlung von Falkenwalde mitetwa zehn bis zwölf ebenerdig errichteten Bauten ge-rechnet werden (Abb. 2).

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Abb. 2. Der Ausschnitt des Grabungsplans zeigt die vermuteten Standorteder slawischen Häuser(orange) zwischen denSiedlungsgruben (grau). Die Bestattung ist grünmarkiert (Entwurf: I. Borak,B. Govedarica, R. Opitz,Grafik: J. Nier).

Fundplatzes senkrecht. Das Skelett befand sich inder nördlichen Grubenhälfte. Es lag auf dem Rückenausgestreckt mit gekreuzten Beinen und seitlich am Körper anliegenden Armen. Der Leichnam warWest-Ost ausgerichtet, wobei der Kopf nach rechtsbeziehungsweise nach Süden geneigt war. Alles deu-tet darauf hin, dass man in einer ursprünglich zurSand- und Lehmgewinnung angelegten Grube einenLeichnam niedergelegt hatte (Abb. 4). Zwar fandensich weder Trachtteile noch Grabbeigaben, dochkonnte durch die anthropologische Untersuchung desSkeletts das Geschlecht und Alter der Bestatteteneindeutig bestimmt werden. Abgesehen von einigenScherben in der Grubenverfüllung gab es keine Hin-weise auf ein möglicherweise praktiziertes Begräb-nisritual.

Die Lage der Toten und ihre West-Ost-Ausrich-tung entsprechen durchaus dem slawischen Grabritusdieser Zeit, dagegen kann die Niederlegung innerhalbeiner Siedlung nicht mit dem regulären Begräbnis-

ritual der slawischen Zeit in Einklang gebracht wer-den. Solche intramuralen Gräber waren in Europaschon seit dem Mittelneolithikum durch extramu-rale, das heißt außerhalb der Siedlung eingerichteteFriedhöfe ersetzt worden. Die Tote von Falkenwaldewurde offenbar absichtlich in der Siedlung und ineiner Grube, aus der Baumaterial gewonnen wordenwar, niedergelegt. Es handelt sich daher wohl amehesten um eine spezielle Kulthandlung, die mit demHausbau verbunden sein könnte. Man spricht in solchen Fällen von Bauopfern, einem Brauchtum,das eine sehr lange Tradition hat.

Dieser uralten Sitte liegt der Glaube zugrunde,dass ein besonders wichtiges Bauwerk erst dann ge-schaffen werden kann, wenn ihm zuvor durch einOpfer Leben und Seele verliehen wurde, wodurchauch feindlich gesonnene Mächte gnädig gestimmtwurden. Als Opfergabe bediente man sich ausge-wählter Gegenstände wie beispielsweise Gefäßen, desWeiteren Tieren oder Teilen von ihnen und in seltenen

Abb. 3. Zu den typischenjungslawischen Funden zählen Gefäßeramik (obenund Mitte), Fragmente vonKämmen (Mitte und unten),Spinnwirtel (unten rechts),eine Schnalle (oben rechts)und ein Messer (untenlinks). Keramik M. 1:4,andere Funde M. 1:2,5(Zeichnung: I. Borak).

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Interessanterweise sind derartige Kulthandlungenhäufig auch in Sagen sowohl in der deutschen als auchin der slawischen Tradition überliefert. Sehr eindrucks-voll ist die Erzählung von dem Mädchen, das beimBau des Schlosses Gobelsberg in Niederösterreich ge-opfert beziehungsweise lebendig eingemauert wurde.Im südslawischen Balkangebiet sind solche Opferder volksmündlichen Überlieferung zufolge bis insHochmittelalter praktiziert worden. Beispielsweisegibt es eine serbische Ballade, die über die Einmaue-rung einer Frau berichtet, die für den Bau der Festungvon Skutari im heutigen Albanien geopfert werdenmusste. Ähnliche Geschichten sind auch in dergriechischen, albanischen und rumänischen Überliefe-rung zu finden.

Somit haben wir in der slawischen Siedlung vonFalkenwalde des 12./13. Jahrhunderts ein weiteresZeugnis dieses Brauchtums gefunden.

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Literatur: BEILKE-VOIGT 2001; BIERMANN 2000;BURCHARD 1990; DONAT 1980; DONAT 1998;DONAT/GOVEDARICA 1998; JANKOWSKA 1990; KIESS-LING 1928; PETER-RÖCHER 1997; RADOVANOVIn 2000;SCHUBERT 2002; SEYER 1983; SREJOVIn 1973; VEIT

1996.

During excavations of a late Slavonic settlementat Falkenwalde 10, Uckermark County, severalstorage pits as well as industrial structures werediscovered. There is only indirect evidence ofdwellings, as the remains of houses have been destroyed by erosion. A burial in a pit is probably connected with the construction of houses. It might represent an ancient sacrificialritual designed to protect a building.

Abb. 4. Blick in die slawen-zeitliche Grube nach derFreilegung des menschlichenSkeletts. Vermutlich handeltes sich um die Niederlegungeines Bauopfers (Foto: B. Govedarica).

Fällen auch Menschen. Solche Opferrituale wurdenschon im präkeramischen Neolithikum Vorderasiensausgeübt, und ihr Brauchtum kann bis in die Früh-geschichte immer wieder beobachtet werden. Bereitsin Lepenski Vir (Serbien), der ältesten im Gebiet desEisernen Tors um etwa 6500 v. Chr. gebauten dörf-lichen Siedlung Europas, wurden derartige Bauopferin mehreren Häusern niedergelegt. Sie sollten das Ge-lingen des Bauunternehmens fördern und dem Hausewigen Schutz vor bösen Geistern und Dämonengewährleisten. In einer Siedlung der mittelneolithi-schen Trichterbecherkultur bei Niedrwiedr in Süd-polen wurden Bauopfer ebenso wie in Falkenwalde inSiedlungsgruben niedergelegt.