Eichfeld, I., 2009: Die kaiserzeitlich-völkerwanderungszeitliche Siedlung von Mahlstedt, Ldkr....

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Archäologische Berichte des Landkreises Rotenburg (Wümme) 15, 2009 Die kaiserzeitlich-völkerwanderungszeitliche Siedlung von Mahlstedt, Ldkr. Oldenburg Chronologie, innere Struktur und überregionale Beziehungen Ingo Eichfeld Schlagwörter: Siedlung; Römische Kaiserzeit; Völkerwanderungszeit; Mahlstedt; Ldkr. Oldenburg Keywords: Settlement; Roman Iron Age; Migration Period; Mahlstedt, County of Oldenburg 1 Forschungsstand 1 Seit den 1950er Jahren haben groß angelegte Forschungsvorhaben sowie mehrere kleinere Grabungen vor allem im Elbe-Weser-Dreieck sowie im Marschenbereich der deutschen Nordseeküste das Wissen über die Siedlungsstrukturen während der Römischen Kaiserzeit und frühen Völkerwanderungszeit erheblich erweitert. Aus- gangspunkt für viele Untersuchungen waren die von der Deutschen Forschungsge- meinschaft (DFG) getragenen Projekte im Rahmen des „ Nordseeküstenprogramms und des Vorhabens „ Entwicklungsgeschichte einer Siedlungskammer seit dem Neoli- thikum (Flögeln)“. Im Unterschied dazu liegen für das nordwestliche Niedersachsen 1 Die vorgestellte Siedlung wird im Rahmen eines Promotionsprojektes am Institut für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (Prof. Dr. J. Bemmann) vom Verfasser aufgearbeitet. 307

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Archäologische Berichte des Landkreises Rotenburg (Wümme) 15, 2009

Die kaiserzeitlich-völkerwanderungszeitliche

Siedlung von Mahlstedt, Ldkr. Oldenburg

Chronologie, innere Struktur und überregionale Beziehungen

Ingo Eichfeld

Schlagwörter: Siedlung; Römische Kaiserzeit; Völkerwanderungszeit; Mahlstedt;Ldkr. Oldenburg

Keywords: Settlement; Roman Iron Age; Migration Period; Mahlstedt, County ofOldenburg

1 Forschungsstand1

Seit den 1950er Jahren haben groß angelegte Forschungsvorhaben sowie mehrerekleinere Grabungen vor allem im Elbe-Weser-Dreieck sowie im Marschenbereichder deutschen Nordseeküste das Wissen über die Siedlungsstrukturen während derRömischen Kaiserzeit und frühen Völkerwanderungszeit erheblich erweitert. Aus-gangspunkt für viele Untersuchungen waren die von der Deutschen Forschungsge-meinschaft (DFG) getragenen Projekte im Rahmen des „Nordseeküstenprogramms“und des Vorhabens „Entwicklungsgeschichte einer Siedlungskammer seit dem Neoli-thikum (Flögeln)“. Im Unterschied dazu liegen für das nordwestliche Niedersachsen

1 Die vorgestellte Siedlung wird im Rahmen eines Promotionsprojektes am Institut fürVor- und Frühgeschichtliche Archäologie, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn(Prof. Dr. J. Bemmann) vom Verfasser aufgearbeitet.

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200020002000200020002000200020002000

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1000 200 500 Meter

Abbildung 1: Lage der zwischen 1979 und 2000 untersuchten Flächen (schwarz). ImNorden konnten die Siedlungsgrenzen (schraffiert) durch Testschnitte festgestelltwerden. In den übrigen Bereichen wurde die Siedlungsausdehnung aufgrund von

Lesefunden ermittelt.

bis hin zur niederländischen Grenze nur wenige siedlungsarchäologische Auswer-tungen vor. Mehrere größere Siedlungsgrabungen wie die Untersuchungen des DFG-Forschungsvorhabens „Ammerland “ (Gristede, Helle, Querenstede) sind weitgehendunveröffentlicht. Für das Gebiet von der Oldenburger Geest bis zur Schwelle desWiehengebirges lassen sich daher kaum Aussagen über Siedlungsstrukturen oder dieOrganisation siedlungsbezogener Aktivitäten treffen. Ebenso sind die Beziehungender einheimischen Keramik zur rhein-wesergermanischen und nordseeküstennahenFundgruppe, zur friesischen Keramik sowie zur sächsischen Tonware der Völker-wanderungszeit nur schwer zu beurteilen.

Die Auswertung und Vorlage der bislang nur in Ausschnitten bzw. kurzen Vorbe-richten2 publizierten Siedlungsgrabung von Mahlstedt (Gemeinde Winkelsett, Ld-kr. Oldenburg) soll dazu beitragen, diese seit langem bestehende Forschungslückezu schließen. Finanziert aus Forschungsmitteln des Landes Niedersachsen fandenhier zwischen 1979 und 1983 vier Grabungskampagnen statt, bei denen unter der

2 Beispielsweise Wegner 1981. Wegner 1982. Faensen 1983.

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Leitung von Günter Wegner etwa 4000 qm Siedlungsfläche freigelegt wurden. Beiweiteren Grabungen durch die Bezirksarchäologie Weser-Ems (Jörg Eckert) wurdeim Jahr 2000 die nördliche Grenze des Siedlungsbereiches erfasst (Abb. 1 ).

2 Funde und Befunde

Unter den aufgedeckten Befunden sind sowohl Spuren vollständiger Hausgrundrisseals auch Zäune, Gräben, Vorratsgruben und Brunnen. Neben einem etwas abseitsstehenden Grundriss lassen sich zwei oder drei Hofplätze rekonstruieren, die durchZäune oder Palisaden voneinander getrennt waren (Abb. 2 ). Es dürfte sich um dieSiedlungsplätze einzelner Haushaltsgemeinschaften handeln, die hier über mehrereGenerationen in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander gelebt haben. In der Mitteder Grabungsfläche, zwischen den Hofplätzen A und B, lag eine stark vernässteSenke, in die eine hölzerne Treppe hinabführte.

Schon während der Ausgrabung wurde versucht, zusammengehörige Pfostenverfär-bungen zu erkennen. Das stark bewegte Oberflächenrelief, kaum vorhandene Wand-gräben sowie zahlreiche Überschneidungen erschweren jedoch die Identifikation ein-deutiger Hausgrundrisse. Auch wenn sich noch nicht alle Pfostenfluchten zu Grund-rissen zusammenfügen lassen, steht bereits fest, dass auf jedem Hofplatz mehrereGebäude unterschiedlicher Zweckbestimmung vorhanden waren, mindestens aberje ein dreischiffiges Hauptgebäude (Abb. 3 ). Teils innerhalb, teils außerhalb derHofplätze lagen die zur Wasserversorgung der Siedlung dienenden Brunnen (Abb.4 ), von denen vier ausgegraben werden konnten. Bei zwei Brunnen war es möglich,die zum Bau verwendeten Hölzer dendrochronologisch zu datieren. Die Ergebnissezeigen, dass die Siedlung bis in das frühe 6. Jahrhundert n. Chr. bestand, eine Zeit,aus der nur sehr wenige Siedlungen bekannt sind.

Zu den zahlreich geborgenen Funden gehören neben großen Mengen einheimischerKeramik (Abb. 5 ) auch Metallgegenstände wie eiserne Geräte, Fibeln, Pferdege-schirr oder Waffenbestandteile. Spinnwirtel und Webgewichte, Eisenschlacken sowieSpuren von Bronzeverarbeitung belegen ein breites Spektrum handwerklicher Tä-tigkeiten. Weiterhin dokumentieren Mahlsteine aus Basaltlava, Scherben römischerTerra sigillata, Münzen und Glasfragmente, dass die Siedlung in einen überregio-nalen Verkehrs- und Kulturraum eingebunden war, der sich bis in die Eifel und anden Niederrhein erstreckte.

3 Zielsetzungen

Im Rahmen des laufenden Promotionsvorhabens sollen die Funde und Befundeder kaiserzeitlich-völkerwanderungszeitlichen Siedlung von Mahlstedt aufgearbei-tet und untersucht werden. Ein besonderer Stellenwert kommt der typologisch-

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A

B

C0 10 m5

Abbildung 2: Die zwischen 1979 und 1981 ausgegrabene Siedlungsfläche mit rekon-struierten Hausgrundrissen.

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0 1 m

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N 0 1 m

0

0,5 m

N

Abbildung 3: Dreischiffiges Gebäude und Sechs-Pfosten-Speicher der Hofgruppe B.Planum und Befundtiefen.

chronologischen Analyse der einheimischen Siedlungskeramik sowie der Rekonstruk-tion der zahlreichen Baustrukturen zu. Durch eine Gegenüberstellung von Sied-lungskeramik und Baubefunden sollen mögliche Verbreitungsmuster innerhalb derSiedlung aufgedeckt und in ihrem zeitlichen Wandel sichtbar gemacht werden. Da-bei kommen Geographische Informationssysteme (GIS) zum Einsatz, deren Anwen-dungsmöglichkeiten in der fundstelleninternen Analyse (intrasite spatial analysis)bislang kaum beachtet wurden. Ziel ist die Erarbeitung des zeitlichen, räumlichenund funktionalen Siedlungszusammenhangs sowie die Analyse des wirtschaftlichenund sozialen Miteinanders benachbarter Haushaltsgemeinschaften. Ein abschließen-der Vergleich mit den kaiser- und völkerwanderungszeitlichen Siedlungen benach-barter Regionen wird das entstandene Bild verfeinern und ergänzen.

A Roman Iron Age and Migration Period Settlement of Mahlstedt (County ofOldenburg, Lower Saxony)

Between 1979 and 2000, five excavation campaigns have been carried out in the

settlement site of Mahlstedt (County of Oldenburg, Lower Saxony). The site dates

from about the 1st to the 6th century AD, which means that it belongs to the rare

number of settlements dating to the late migration period in this area. The findings

and building structures are currently investigated in order to reconstruct economic

and social processes within the settlement. In this context, major attention is drawn

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-1,5 m

-1,0

-0,5

0

Legende

hellgelb

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schwarzgrau

grau bis graubraun

dunkle Einschwemmschicht

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rötlichbraun

dunkelbraun

Geschiebelehm

Holz

Stein

grünlich (Ton)

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A B

Abbildung 4: Profilzeichnung Brunnen Nr. 3 (BefNr. 100, Hofplatz A). Der Brun-nenkasten bestand aus senkrecht in den Boden geschlagenen Stabbohlen aus Ei-chenholz. Diese ließen sich dendrochronologisch drei Schlagphasen (um 255, 268

und 366 n.Chr.) zuordnen.

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Abbildung 5: Auswahl Keramikfunde aus Brunnen Nr. 3 (M. 1:4).

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to the local pottery production. A methodical emphasis is put on the application of

Geographic Information Systems for intrasite spatial analysis.

Literatur

Faensen, Bertram 1993:Die Keramik einer kaiserzeitlichenLehmgrube aus der Siedlung Mahl-stedt, Landkreis Oldenburg. Un-veröffentlichte Diplomarbeit. Halle1993.

Wegner, Günter 1981:Eine Siedlung der römischen Kai-serzeit und der Völkerwanderungs-zeit in Mahlstedt, Gemeinde Win-kelsett, Ldkr. Oldenburg. Vorbe-

richt über die Grabungen 1979–1981. Archäologische Mitteilungenaus Nordwestdeutschland 4, 1981,43–63.

Wegner, Günter 1982:Zwei Spielwürfel der römischenKaiserzeit aus dem Gebiet zwi-schen Weser und Ems. Archäolo-gische Mitteilungen aus Nordwest-deutschland 5, 1982, 33–38.

Abbildungsnachweis

Abb. 1–5 : I. Eichfeld.

Anschrift des Verfassers:

Ingo Eichfeld M.A.Goethestraße 226382 [email protected]