Die Verbindung/Differenz kultureller Räume

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Das Projekt <Connecting Spaces> ist ein Aufbruch ins Unge- wisse. Eingeladen von Dagmar Reichert besuchten die Schweizer KunsTlerinnen und Künstler die Sladr Suchum/i* am Schwarzen Meer im Mai2014 das erste Mal. lnmilten eines infensiven Semeslers an der Hochschule fÜr Kunst und Design in Basel blieb wenigZeil zur Vorbereilung: ein VorTrag, einige Blogs, ein Reiseführer, in welchem seit dem Sezessions- k r i es d i e ReYl:ï ::lil: I ï:l: :::i ::'::l: : x:i: 1:..^^ connecting spaces An Exchange between Artists from the Southern Caucasus and Switzerland o rtosfoundotion for peoce.

Transcript of Die Verbindung/Differenz kultureller Räume

Das Projekt <Connecting Spaces> ist ein Aufbruch ins Unge-

wisse. Eingeladen von Dagmar Reichert besuchten die

Schweizer KunsTlerinnen und Künstler die Sladr Suchum/i* am

Schwarzen Meer im Mai2014 das erste Mal. lnmilten eines

infensiven Semeslers an der Hochschule fÜr Kunst und Design

in Basel blieb wenigZeil zur Vorbereilung: ein VorTrag,

einige Blogs, ein Reiseführer, in welchem seit dem Sezessions-

k r i es d i e ReYl:ï ::lil: I ï:l: :::i ::'::l: : x:i: 1:..^^

connectingspaces

An Exchange between Artistsfrom the Southern Caucasus

and Switzerland

o rtosfoundotionfor peoce.

t)as Projel<t ,.Connecling Spaces" isÏ ein Aufbruch ins Unge-

vvisse. Einç¡eladen von Dagrnar Reicherr besuchfen die

S<;hweizer l(iinsllerinnen und l(ünstler die Stadt.$uchum/io am

l3chwarzen Meer irn Mai2AM das ersle Mal. lnrnirten eines

inf c-::rrsir¡en Serneslers atr der l-lochschule fÜr l(unsT urrd [)esign

in Llasel blieb wt*nig'|-,eit zur Vorbereitltt-tg: ein Vorlrag,

cinig¿e ßlogs, ein Reìselùlhrer, in welchern seit rlem Sezessions-

l<ricç¡ ciie R.cgion Akrchasien* nic;hi nrehr verzeichnel ste ht"

lsl es veranlworlbar, sr¡ unwissencl an einen QrT zu falrren,

cJessen komplexe politische Dynamil< an der Bruchlinie

zwischen Russl¿lnd uncl denr Weslen selbsÏ Diplornaten kaum

ciurchschauen l<ötrnerr? Und auf der anderen Seite: Wie

würden die l(ünstlerinnen uncl l(ünsTler aus Suchurn/i die

Zusarnmenarbeit mit den jungen Schweizer/innen erleben?

nConnecting Spacesn is a projecT departing into rhe unl<nown.

lrr May 2014 a dozen Swiss arTists travelled to Sul<hum/i*, lhe

city on the Black Sea. lnvited by Dagmar Reichert all were in the

South Caucasus for the firsT time. There was little time for pre-

liminary investigaTions in f he midst of a busy semester at lhe

University of ArT and Design: a lecture, some blogs, a guide

bool< no longei' lisling Abkhazia* since lhe wars of secession.

ls it responsible to travel with such ingnorance ro this

place al lhe fracTure line between Russia and the WesT, whose

complex politics even diplomats can hardly penetrale? On lhe

other hand: how would f he artisTs from Sukhum/i experience the

collaboration with The Swiss arlisls? Don't they set out with very

different artistic methods based on sophisticaled technique and

an understanding of art schooled on Posl-soviet hisTory and

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Gehen sie nicht von einer ganz anderen künstlerischen Arbeils-

weise aus, die von raffin¡erter Technik, post-sowjetischem

Geschichtsbewusstsein und südkaukasischen Traditionen

geprägt isl? Haben sie in wirlschaftlich und politisch schwieri-

gen Zeiten noch spielraum und lnteresse an anderen Kunst-

lraditionen und -begriffen?

Verunsicherung auf allen Seiten' Aber eben auch der

lmpuls zu neuen Erfahrungen. Wie wenige Disziplinen -davon ist arlasfoundation überzeugT - kann die Kunst mit dem

Ungewissen umgehen; ja, sie hat Jahrhunderte erprobt,

Gewissheiten hinter sich zu lassen und den Selbstzweifei

ins Konstruktive zu wenden. Andere Voraussetzungen, andere

Ansprüche: ln der wohlhabenden Schweiz prägen Verlust-

ängste die öffentliche DebatÏe. Junge Menschen können

Southern Caucasion traditions? Would they be inTeresïed in

other traditions and terms of arT in these times of economicand political difficulties?

Diffidence on all sides. And yet also the lrigger for newexperiences. arlasfoundafion is convinced that art - like fewolher disciplines - thrives on disquiel. For centuries art has

examined how best lo leave all certitude behind and transformself-dou bt into someth i ng productive. Othe r prereq u isites,other challenges: ln wealthy Swilzerland the public debate is

tormented by fears of loss. Young people can choose froma thousand oplions, but find it difficult To see, where they canmake a real difference. Nor is it easy to unfold individualTalents in the Southern Caucasusr making a living and supporl-ing your family and the stultifying conflicl among former

unfer lausend Optionen wählen, doch wo es sie - und niemand

anderen - brauchÏ, ist oft schwer auszumachen. Am Süd-

kaukasus ist die persönliche Entfaltung auch unler Drucl<: das

Ringen um ein Einkommen, familiäre Verpflichtungen, der

lähmende politische KonflíkT unter einst verbrüderten StaaÏen

erschweren vielen den Zugang zu ihren kreativen Ressourcen.

Die Arbeit von arlasfoundafion fokussiert deshalb aufjunge Künsrlerinnen und Künstler, weil sie an die Erneuerung

einer Gesellschaft durch Kunst glaubt. Kunst wurzelt in Tradi-

Tionen, pflegt diese selbstbewusst und suchl dabei stets denAufbruch und das Experiment. Sie lebt vom Subjekliven, stärkt

individuelle Erfahrung gegenüber kollektíven (Vor-)Urteilen und

will doch öffentlich verhandelt sein. Die Bildende Kunst kann

einen Ort für Versrändigung und geteiltes Erlebnis schaffen

brother stales don'Î encourage access to creative resources.

Ihis is why arlasfoundation focusses on working with young

artists, believing in lhe regeneration of society Through art.

Arf is rooted in traditions, nourishing them with self-assurance,

always searching for new drifts and experiments. Art is driven

by the subjective, sTrenglhening personal experience againslcollective prejudices, still claiming the public discourse. Vísual

arts can create mutual understanding and shared adventures

even without common language, even where intenlions may

be misconstrued and a surname and passport make all the

difference. The appreciation of cultural diversily, the discovery

and coming to terms with our manyfold origins shape our iden-

tity - in the Soulhern Caucasus and all over the world.This booklet then assembles four perspectives on the role

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-\-

auch da, wo eine gemeinsame Sprache fehlt, wo einzelne

Worte falsch ausgelegt und ein Nachname oder Reisepass das

Leben bestimmen. Die Wertschätzung kultureller Diversität,

die Enldeckung und Bewältigung unserer unlerschiedlichenHerkunft bilden unsere ldentität - am Südkaukasus und

anderswo in der Welt.

So trägt dieses Heft vier SichTweisen auf die Rolle der

Kunst als oConnecting Spaceu und diesen spezifischenkünsrlerischen Auslausch im Südkaukasus und der Schweiz

zusammen. Der Kunsthisloriker Marcel Bleuer berichtet aus

dem Workshop in Suchum/i. Adgur Dzidzaria teilt im Aus-

tausch mit Asida Butba seine Einschätzungen der Kunstszene

in Abchasien. Die Kunstkritikerin Lali Pertenava spekuliertüber das Potenzial der Kunsl in vertrackren Siluationen,

of arl as a (connecting space)) and on this specific exchangeamong artisls. The art historian Marcel Bleuer tells his storyof the workshop in Sukhum/i. Afiisr Adgur Dzidzaria shares wilhAsida Butba his insights into the art scene of Abkhazia. Artcritique Lali Perlenava speculates about the polential of art incommunity building, based on her engagement for an NGO

in the villages along the adminislrative boarders of Georgia. Andin lhe texl litled <Artists and agora,, Dagmar ReicherT pleads

the plural unity of the communal created by arTists.

Dagmar Reicherl and Annina Zimmermann

*arlasfoundation would líke to underline that its use ofnames and filles parTicularly with regard to the conflictregions should not be construed as implying any formof recognilion or non-recognition by the foundation oras having any other political connotalion whatsoever.

gesrülzt auf ihre Erfahrungen als NGO-Mitarbeilerín in den

Dörfern entlang der administrativen Grenzlinien Georgiens.

Und im Text <Artisls and Agora" plädiert Dagmar Reichert

für den durch Künstlerinnen und Künstler geschaffenen Raum

einer mehrsrimmigen Gemeinschaft.

Dagmar Reicherl und Annina Zimmermann

*arlasfoundalion belont, dass die Nutzung von Bezeich-

nLrngen und Namen, besonders im Hinblick auf die

Konfliktregionen, nicht als Anerkennung oder Nichtaner-

l<ennung durch die Stiftung ausgelegt werden darf.

Diese haben in diesem Zusammenhang keinerlei politi-

sche Konnotationen.

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This projecT was made possible by

the joint efforls of many.

We would like to thank:

Die Verbind u ng / Diffe renzkultureller Räume -Ein ErfahrungsberichtMarcel Bleuler

lm Mai 2014 reisle ich mit einer Gruppe von Studierenden der

Hochschule für Geslaltung und Kunst Basel unter der Leitung

von Dagmar Reicherl und Maria Magdalena Z'Graggen füreinen 1Otägigen Workshop nach Abchasien. Ziel der von artas-

foundation organisierten Reise war es, dass sich die Studieren-

den mil jungen Kunslschaffenden aus Abchasien austauschen.

Wir würden am Rand der Stadt in Wohnungen untergebrachtwerden, uns täglich in den Räumlichkeiten der lokalen Arlists'Union lreffen und gemeinsam über Themen arbeiten, die das

Leben in der Hauptstadt Suchum/i betreffen. lch sollte keine

klare Rolle in diesem Austauschprojekt einnehmen. Letztlich

fungierÌe ich als Helfer, wann immer praktische Probleme und

organisalorische Fragen aufkamen, und manchmal als Moderator

bei Arbeitspräsentarionen. Einmal hielt ich einen Vortrag, von

dem ich hier unter anderem berichten werde. Mein lnteresse

an der Reise war die Frage, wie sich das Vorhaben umselzen

würde, eine Verbindung mit den Kunstschaffenden aus dem von

der Sowjetkultur geprägten und von geopolitischen Konflikten

mit Georgien gezeichneten Ort herzustellen.

The informal task group from differentcultural and youth organizations who

came up with the idea of an international

exchange among art studenls.The Sukhum Artists' Union, both

its director and its chairman, for,fheirhospirality.

The OSCE task force, especiallyAmbassador Angelo Gnädingerand his political consultant Tobias

Privileili, for f inancial contributionand support.

Günther Bächler, Swiss Ambassa-

dor lo Georgia, and Maren Haarrje

for their advice and encouragement.The University of Art and Design

Basel, especially Prof. Renée Levi.

The Basel based artist Maria

Magdalena Z'Graggen for shared res-

ponsibilites in the workshop on site

in Sukhum/i and the following exhi-

bition at Ausstellungsraum Klingenlalin Basel in December 2O14.

All participants of the workshop and

lnna Jenia und Vika Kapikyan for

translating.All contribulors to both workshop

and exhibition, listed in the accompany-ing sketchbook.

The publicist Nadla Venediklovaand ar I asfou nd ation's board me mberand diplomaf Heidi Tagliavini, whogenerously shared their insights into

the Southern Caucasus.

Asida Butba for her intelligenland unliring coordination oÍ artasfoun-dafion's queries.

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Diese Frage will ich nicht im Sinne einer GesamTbeurteilung,

sondern mit der Beschreibung einiger subjektiver Erinnerungen

beantworten. Diesen ist gemeinsam, dass sie nicht nur von

Verbindung oder Annäherung, sondern ebenso vom Gefühl

von Dífferenz handeln. Sie decken persönliche Reflexionen auf,

die, normalerweise kaum öffenllich gemacht, einen konkreÏen

Versuch greifbar machen, kulturelle Räume miteinander zu

verbinden.

Romantisierung

Die ersten Eindrücke des KÜstenabschniltes am Schwarzen

Meer lösten in mir eine für die gesamte Dauer des Aufenthalts

besfimmende Empfindung aus. Nachdem wir die langwierigen

Kontrollen am militärisch gesicherten Übergang in lngur passiert

hatten, fuhr uns ein Kleinbus zur Rajon-Hauptstadt Gal/i. ln

der Schweizer Gruppe machte sích die rypische Aufregung

breit, die einen in der Fremde befällt. Die ersten Eindrücke

lösten aber ebenso Betroffenheit aus. Die Slrassen waren voller

Löcher und überall fanden sich halb zersTörle Gebäude, die

Ìeils lroÏzdem bewohnt zu sein schienen. Als die Fahrt etwas

späÎer aus der Stadt hinaus führte, überlagerte die Betroffen-

heit der Eindruck einer wunderschönen Landschafl und einerüppigen Vegetation, die sich unkontrolliert ausbreilete und

in Küstennähe durch ehemals pompöse Pavillons aus der Sowjet-

zeit wucherte. Der Kleinbus passierte unzählige zerfallendeGebäude, von denen oftmals unklar blieb, ob sie vom Kriegzerslört oder schlichtweg verlassen worden waren, als

die Wirlschaft nach dem Ende der Sowjetunion zusammen-gebrochen war. Die jungen Ruinen und die verwilderte Natur

atmeten eine zweifellos drastische Geschichte, die sich in der

Vorbeifahrl nur erahnen und vage begreifen liess.

Vielleicht lag es an dieser nur oberflächlichen Sicht

während der Busfahrt, dass sich bei mir eine fast widersinnige

Faszination einstellte. Das Land erschien wie ein gesetzloser

Raum, der gerade aus einer westlichen Perspektive, die sich an

inÏakte und durchgeplante Slrukturen gewöhnt ist, Assozia-

tionen mit Freiraum und offenen Möglichkeiten weckte. lmmer

wieder passierten wir brach liegende Areale, nach denen

sich Hausbesetzer oder Kunstschaffende in der Schweiz auf

der Suche nach günstigem und weitläufigem Arbeitsraum

nur sehnen können. Zudem ernpfand ich die zerfallenden

Gebäude, die ihre frühere Pracht nach wie vor zu erkennen

gaben, auf eine sinnliche Art und Weise als schön.

Diese Faszination verlor sich über den ganzen Aufenthalt

hinweg nie ganz. So unangebracht es klingen mag: Die Ruinen,

die sich auch millen in der HaupTstadt Suchum/i finden und

die vom Fall eines Regimes, vom Kampf um das Gebiel und der

Vertreibung einer Bevölkerung zeugen, liessen sich romanti-

sieren. Das konnte fast erschreckend weit gehen. So gab es

beispielsweise ein zerstörtes Hallenbad innerhalb einer militäri-

schen Anlage am Rand von Suchum/i, von dem ich dutzende

Folos gemacht habe. Der Bau lrohnte Über dem Meer. Er war in

einem für die sozialistische Moderne überraschend feinglied-

rigen Stil erbaut und innen komplett von - heute grösstenteils

zerstörlen - himmelblauen Keramikplatten ausgekleidet.

Seine Fensterfronten fehlten und das ehemalige

Schwimmbecken war miT Schlamm gefüllt. Zudem fanden sich

um das Becken mit Sandsäcken erbaute Schutzwälle, hinter

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denen sich im Krieg ScharfschÜtzen verschanzf haben mÜssen.

Trotz dieser unmissverständlichen Spuren des Krieges

konnte ich den Raum anziehend finden. lch konnle díe Vor-

stellung von Kampf und Tod soweit abstrahieren, dass

sich die Patina des Schwimmbades, die Exotik der Sowjet-

ãsthetik und die Sinnlichkeit des Zerfalls lange belrachten,ja geniessen liessen.

Für diese Faszination fühlte ich mich in einem gewissen

Sinn schuldig, da sie, wie ich annehme, nur jemandem möglich

ist, der von aussen komml und von der Geschichte des Ortes

selbst nicht betroffen ist. Sie weist auf die Differenz zwischenmeiner westlichen Perspektive zu derjenigen der lokalen

Bevölkerung hin. Für diese müssen die zerfallenden Gebäudevermullich mil tragischen Erinnerungen verbunden sein

und für die Schwierigkeit stehen, in diesem Umfeld Visionenund Zukunftsperspektiven zu enrfahen. lch sage overmullich",

weil es mir in den Gesprächen mit den abchasischen Teil-

nehmenden des Workshops nicht gelang, herauszufinden,wie sie selbst die Ruinen wahrnahmen. Das lag hauptsächlich

an unserer meist holprigen sprachlichen Kommunikation,

die in gebrochenem Englisch oder in mäandrierenden Über-

selzu ngsprozessen stattfa nd. Die Kom muni kation f u n ktio-nierte grundsätzlich überraschend gut, aber sie machte es

schwer, heikle Fragen anzusprechen oder nuancierteAnsichten auszuslauschen.

Ölmalerei und lnstallarionskunslSo blieb die Begegnung mit den lokalen Workshop-Teilneh-menden in gewisser Weise undurchschaubar, was sich bis

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zulelzl nicht auflösle. Zugleich war aber auch vieles über-

raschend verTraut. ln Suchum/i trafen wir auf junge Kunst-

schaffende, die in vieler Hinsicht gar nicht anders sind

als diejenigen aus der Schweiz. Sie benutzen Facebook und

Smartphones. Sle versuchen, ihrer künstlerischen Tätigkeit

neben einem Broterwerb nachzugehen und sich mit vollem

Einsatz und Charisrna im lokalen Kunstbetrieb zu erablieren.

Bei den morgendlichen GruppensiTzungen des Workshops

erschienen die Teilnehmenden entweder gewissenhaft f rüh,

oder sie trafen verspälet ein. Ungeachtet ihrer geografi-

schen Herkunft lächelten sie eine Verspälung charmant weg

oder schauten sich gesenkten Blickes direkt nach einem

freien Stuhl um. ln diesem Moment verhielten sich alle in den

gleichen Mustern.

Eine deutliche Differenzzeig|e sich jedoch bei den Port-

foliopräsenlationen. Am erslen Morgen stellten die Teil-

nehmenden in kleinen Gruppen einander die eigene Arbeil vor.

lch bewegte mich zwischen den Gruppen hin und her und

bemerkte einen deutlichen Unterschied. Die Basler Studieren'

den zeigten viel Aussch nitthaftes: Objekte oder I nsta I lationen,

die zu einem grösseren künstlerischen Prozess gehörten und

viel Erklärung verlangten. Die Kunstschaffenden aus Suchum/i

zeigten oftmals in sich geschlossene Arbeiten: Einzelne Bilder,

in die man sich verliefen l<onnte und die nur wenig kommen-

riert wurden. Bei den deutschsprachigen Teilnehmenden stand

die Suche nach einem konzeptuellen Zugang zu Kunst

und nach einer Verbindung von unlerschiedlichen künstleri-

schen Praktiken im Vordergrund. Die Arbeiten der Kunst-

schaffenden aus Suchum/i waren auf Visualitäl fokussiert und

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griffen klassische Gallungen wie Malerei, skulptur oder

Fotografie auf.

Es steht ausser Frage, dass die Kunstbegriffe im Süd-

kaukasus und der Schweiz kulturhistorisch verschieden

geprägr sind. Daraus ergab sich im Workshop ein Spannungs-

feld zwischen den Teilnehmenden und zumindest implizit

auch ein Kräfteverhähnis. Einige Kunstschaffenden aus

Suchum/i konnten sicherlich kein Verständnis für die Projel<te

der Schweizer Studierenden aufbringen. Dennoch lag die

Ansicht in der Luft, dass wir aus der Schweiz näher am Puls

des internationalen Kunstgeschehens seien und damit den

aktuellen Kunsrbegriff aufzeigen, dem die Kunslschaffenden

aus dem Osten, die in Sowjet-Strukluren aufgewachsen

sind und in einer marginalisierten Region leben, nachhinken.

Ein Anzeichen dafür war, dass die Teilnehmenden aus

Suchum/i den Begriff ,lnslallation', den die Schweizer Sludie-renden in Bezug auf ihre künstlerischen Arbeiten oft ver-

wendeten und der anfangs näherer Erkläruhgen bedurfte, im

Verlauf des Workshops in ihr Vokabular übernahmen. Eine

Übernahme in die umgekehrte Richtung fand jedoch nichtstatt. Niemand in der Schweizer Gruppe begann sich bei-

spíelsweise an der Ölmalerei oder der ästhetisierlen Portra¡t-

und Landschaftsfotografie der ansässigen Kunstschaffendenzu orientíeren.

Mit diesem Hinweis will ich nicht implizieren, dass dieArbeiten der Schweizer Studierenden über jeden Zweifelerhaben waren, während diejenigen der lokalen KunsÌschaffen-den - von denen, nebenbei bemerkt, auch nicht alle nurÖlmalerei und Fotografie betrieben - nichts taugten. Aus

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meiner Sicht gab es auf beiden Seilen sowohl hochentwickelte

als auch weniger spannende Beispiele, und auf beiden Seilen

liess sich Sensibilität, Reflexion und Leidenschaft feststellen.

Die Differenz besland nicht in grundsätzlichen Qualitäten,

sondern in der Wahlvon Medien und Techniken, und nicht

zulelzl in der Arl der Präsentation. Während die Basler Sludie-

renden meist über strukturierle und grafisch durchgestahele

PorTfolios verfügten und ihre Arbeiten geübt vorstellten, brach-

len einige Kunstschaffende aus Suchum/i einfach Originale

mil, die sie sponlan kommentierten oder in unstruklurierten

Sammelsurien vorleglen, durch die man sich blättern konnte.

Obwohl die Differenz offensichtlich war, wurde sie im Plenum

nach den Präsentationen nur freundlich angedeutet, aber

nicht richtig zur Diskussion gestellt. An mir selbst beobachtete

ich, dass diese ZurückhalÎung mit der Schwierigkeit zusammen-

hing, eine solche Differenz anzusprechen, ohne in eine Wer-

lung zu münden. Auf beiden Seiten schien eine gewisse Rallo-

sigkeit gegenüber den Arbeiten der anderen zu herrschen.

zugleich stand aber die Bereilschaft im Vordergrund sich mit

Offenheil zu begegnen.

Un- / ÜberbrückbarkeirDie Differenz in der Kunstauffassung wurde eher durch gegen-

seitige Beobachtung als durch Diskussionen verarbeitet. Eine

Ausnahme bildete diesbezüglich eine Publikumsfrage nach

einem Vorrrag, den Dagmar Reichert etwa am dritten Abend

in der Artists'Union hielt. Zu dem Vortrag waren auch lokale

Kunsl- und Kulturschaffende gekommen, denen Reichert

Überlegungen zu den gesellschaftlichen Funktion, von Kunst

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präsenl¡erte. Die Werke, die sie dabei vorstellte, brachten

einen spielerischen und erweiterlen Kunstbegriff zum Aus-

druck. ln fast keinem der Beispiele bestand das Endresultat

aus einem Bild oder einer Skulptur. Daran schienen die Teil-

nehmenden des Workshops, die nach dem Ende des Vortrages

inleressierte Rückfragen stellten, bereits gewöhnt zu sein. lm

breiteren Publikums gab es jedoch auch etwas irrilierle Real<tio-

nen. Eine elwa 50jährige Journalislin fragte nach, ob denn

Kunst in den Augen von Reichert gar nichts mehr mit Aslhetikzu tun haben solle. Die empathisch hervorgebrachte Frage

liess genau diejenige Differenz aufklaffen, die im Workshopfreundlich übergangen worden war. Man spurte der Journalis-

tin an, dass sie die Präsenlation zwar inleressiert verfolgl hatle.

Zugleich schien sie aber nicht bereit, ihre eigene Vorstellung

davon, was Kunst ist (nämlich eben ein Bild oder eine Skulptur),

einfach aufzugeben.Obwohl ihre Wortmeldung in keine hitzige Diskussion

mündete, unterstrich sie die Schwierigkeil, die Diskrepanz

zwischen dem erweiterten KunsTbegriff des WesTen

und dem enger gefasslen der ehemaligen Sowjetrepublik,der massgeblich von einem ästhetisierten Realismus

und mystischen Symbolismus geprägt ist, zu überbrücken.Diese Schwierigkeit hat nicht einfach mit der Differenzzwischen den künstlerischen Traditionen in Osl und WesT zu

lun, sondern ebenso mit den jeweils spezifischen Kultur-geschichten, aus denen sie hervorgehen. Und diese Kultur-geschichten lassen sich nicht einfach abstreifen, odermehr noch: diese wíll man nicht einfach abstreifen, da sie

idenliläfsstiftend sind.

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Westliches ZerrbildDie Wortmeldung der Journalistin fiel mir auch deshalb auf,

weil mich die Frage beschäftigTe, wie ich in meiner Präsenta'

tion zwei Tage später der kulturellen Differenz Rechnung

tragen und der Gefahr vorbeugen könnte, ein Kräfteverhältnis

zu implizieren. lch wollte auf keinen Fall den Eindruck erwecken,

dass ich mich als kundigen Wissenschaftler aus dem Weslen

verstehe, der den Menschen in der isolierten Region im Osten

die zeitgenössische Kunst erklärl (eine Rolle, die Dagmar

Reichert scheinbar mühelos umgangen hatte).

Vor meiner Abreise hatte ich eine lose Powerpoinl-

Präsentation zusammengestellt, die mit einem aktuellen For-

schungsinleresse von mir zusammenhing und hauptsächlich

Kunstprojekte, aneinanderreihte, die sich auf lsrael oder Paläs-

lina - und damit zumindest implizit auf einen geopolitischen

l(onflikt - bezogen. Diese Beispiele, so haÌte ich im Vorfeld

überlegt, müsslen relevant sein für Kunstschaffende, die eben-

falls im Spannungsfeld eines geopolitischen Konflikls leben.

lch hatte erwarlet, dass sich die Menschen in Abchasien zwangs-

läufig mit ihrer Lebenslage und politischen Situation beschäfti-

gen und in ihrer Kunsl nach Wegen suchen würden, Position zu

beziehen oder zumindest den Konflikt zu reflektieren.

Nun beschlich mich der Verdachl, dass ich mit dieser

Erwarlung einer Klischeevorstellung aufgesessen war, die

im westlichen Kunstbetrieb über Osteuropa produziert wird.

Kunst aus den ehemals sozialistischen Ländern wird bei uns

hauptsächlich in Hinblick auf ihre politische Dimension disku-

tiert und unter den Vorzeichen ihrer politischen Geschichre

vermittelt. Seit dem Fall des eisernen Vorhangs fanden in West'

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eu ropa u nzä hlige Ausstellu ngen osteuropäischer Ku nst stalt,

diese zeigten jedoch kaum je traditionelle Ölmalerei und

ästhelisierte Forografien - also Werke, wie wir sie in Suchum/i

oftmals antrafen -, sondern in erster Linie progressive und

kritische Arbeilen, wie beispielsweise Dokumentationen von

aktivistischen Performances, betont konzeptuelle Arbeiten

oder zynische Gemälde, die die Mythen der Sowjetkultur

dekonstruieren.lm wesTeuropäischen Kunstbetrieb scheint die pauschale

Vorsfellung vorzuherrschen, dass die Kunst in Osteuropa

während des Sozialismus' hauptsächlich im Untergrund pro-

duzierr wurde und nun, nach dem Ende des totalitären

Regimes, in ihrer ganzen Scharfzüngigkeit und Experimentier-

freudigkeit an die Öffentlichkeil Treten kann. Damit wird

ein leilweise zulreffendes, aber insgesamt verzerrïes Bild

geschaffen, wonach Kunst in Osleuropa zwingend politisch

oder zumindest kritisch sei.

Zögerl ich keil / Verlra ulheitlm Zuge meiner Annäherung an das tatsächliche Kunstgesche-

hen in Suchum/i beschlichen mich Zweifel, ob eine PräsenTation

über Kunst mit Bezug zum Nahostkonflikt überhaupt auf lnler-

esse slossen würde. Als ich dann von einigen Workshop-Teilneh-

menden gebefen wurde, in meinem Vortrag den Begriff der

lnstallationskunst anhand historischer Beispiele zu fundieren,verwarf ich mein ursprüngliches Thema fast mit Erleichterung.

Die Anfrage, über lnslallalionen zu sprechen, brachte mich

aber auch in eine schwierige Situation. lch konnte zwar die

Neugierde der lokalen Kunstschaffenden verstehen, wollte

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ihnen aber auf keinen Fall vermiÌleln, dass es sich dabei um

<gu΀> und nfortschrittliche> Kunst handle, die sie adaptieren

müssÏen, wenn sie zeitgemäss sein wollten. Denn würde

ich damit nicht in eine quasi missionarische Rolle geraten und

ihrer lokalen künstlerischen ldenlität einen aus dem diskurs-

mächtigen WesÌen stammenden Begriff Überstülpen?

Die Befangenheil, die aus diesem Zweifel enlstand,

konnte ich während der Präsentation nicht ganz überwinden.

lch wurde die Sorge nicht los, dass meine AusfÜhrungen als

Belehrung ausgelegt werden könnte. Deshalb wies ich beim

Vortragen immer wieder darauf hin, dass ich lediglich meine

ganz subjektiven Ansichten ausführte. So sehsam es klingen

mag: lch versuchte meine BefangenheiT oder Unsicherheil

gar nicht zu überspielen, da sie mir letztlich als angemessen

oder gar politisch l<orrekt erschien.

Die von den kritischen Selbstreflexionen ausgelösÏe

Befangenheil verlor sich im Verlauf des Workshops zusehends'

Bald hatte sich eine Arbeilsatmosphäre eingestellt, in der

es nicht mehr im Zenlrum stand, die Differenzzu verarbeiten,

sondern gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen, da am

letzten Abend eine Ausstellung stattfinden sollte. lm intensiven

Zusammensein entstand eine zunehmende Vertrautheit und

Anfreundung. Zum Schluss des Workshops organisierten wir

einen Fondueabend für alle Beleiligten im Garten vor unseren

Wohnungen. Wie ofl an einem solchen Anlass, waren am Anfang

alle etwas verlegen, aber das gab sich schnell. lrgendwann sass

die inzwischen kleiner gewordene Gruppe in der lauen Nacht

und begann, sich gegenseitig heimatliche Lieder vorzusingen,

bis wir merkÏen, dass es auch Lieder gibl, die wir alle kennen.

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