Mise-en-Game - Die spielerische Aneignung filmischer Räume

25
Mise en Game Die spielerische Aneignung filmischer Räume ANDREAS RAUSCHER Aus heutiger Sicht zählt die Kategorie der Mise en Scène, das szenische Arrangement und die Positionierung der Akteure vor der Kamera, sowie die Umsetzung des Set Designs und nach einigen weiter gefassten Definitionen auch die Bewegung der Kamera im Raum, zu den etablierten stilistischen Mitteln der Filmregie. Der ästhetische Einfallsreichtum eines Regisseurs in der Zusammenarbeit mit den Kameraleuten bemisst sich häufig, wie der britische Filmwissenschaftler John Gibbs in seiner 2002 erschienen Einfüh- rung über die Mise en Scène anmerkt, an den »contents of the frame and the way in which they are organised.« 1 Die Autoren der Cahiers du Cinéma um André Bazin, aus deren Kreis sich später die Regisseure der Nouvelle Vague rekrutierten, sorgten in den 1950er und frühen 1960er Jahren für eine Aufwertung der inszenatorischen Entscheidungen, die für sie die individuelle künstlerische Handschrift eines Regisseurs als Auteur bestimmten. Die Finesse von Regisseuren wie Ho- ward Hawks, John Ford und Alfred Hitchcock, die zuvor lediglich als soli- de Hollywood-Handwerker rezipiert wurden, ergab sich aus ihrem Umgang mit der Mise en Scène. Für André Bazin stellte die Inszenierung in die Tie- fe des Raums bei Orson Welles und Jean Renoir eine realistischere Alterna- tive zu den die Zeit und in einigen Fällen auch die filmische Aussage mani- pulierenden Eingriffen der Montage dar. 1 Gibbs, John: Mise-en-scène. Film Style and Interpretation, London: Wallflower Press 2002.

Transcript of Mise-en-Game - Die spielerische Aneignung filmischer Räume

Mise en Game

Die spielerische Aneignung filmischer Räume

ANDREAS RAUSCHER

Aus heutiger Sicht zählt die Kategorie der Mise en Scène, das szenische Arrangement und die Positionierung der Akteure vor der Kamera, sowie die Umsetzung des Set Designs und nach einigen weiter gefassten Definitionen auch die Bewegung der Kamera im Raum, zu den etablierten stilistischen Mitteln der Filmregie. Der ästhetische Einfallsreichtum eines Regisseurs in der Zusammenarbeit mit den Kameraleuten bemisst sich häufig, wie der britische Filmwissenschaftler John Gibbs in seiner 2002 erschienen Einfüh-rung über die Mise en Scène anmerkt, an den »contents of the frame and the way in which they are organised.«1

Die Autoren der Cahiers du Cinéma um André Bazin, aus deren Kreis sich später die Regisseure der Nouvelle Vague rekrutierten, sorgten in den 1950er und frühen 1960er Jahren für eine Aufwertung der inszenatorischen Entscheidungen, die für sie die individuelle künstlerische Handschrift eines Regisseurs als Auteur bestimmten. Die Finesse von Regisseuren wie Ho-ward Hawks, John Ford und Alfred Hitchcock, die zuvor lediglich als soli-de Hollywood-Handwerker rezipiert wurden, ergab sich aus ihrem Umgang mit der Mise en Scène. Für André Bazin stellte die Inszenierung in die Tie-fe des Raums bei Orson Welles und Jean Renoir eine realistischere Alterna-tive zu den die Zeit und in einigen Fällen auch die filmische Aussage mani-pulierenden Eingriffen der Montage dar.

1 Gibbs, John: Mise-en-scène. Film Style and Interpretation, London: Wallflower

Press 2002.

2 | ANDREAS RAUSCHER

Die Mise en Scène markiert, auch wenn der Begriff ursprünglich aus der Terminologie des Theaters stammt, eine der medienspezifischen Be-sonderheiten der Kunstform Film, die ihn von der literarischen Bedeutung angesehener Vorlagen oder auch von auf dem Papier, aber nicht auf der Leinwand gehaltvollen Drehbüchern unterschied.

Doch was kann eine stilistische Debatte aus der Hochzeit der filmischen Moderne zu aktuellen Perspektiven der Game Studies beitragen? Demons-trierten nicht François Truffaut, Jean-Luc Godard, Jacques Rivette und ihre Kollegen nachdrücklich, dass die Verfilmung eines prestigeträchtigen lite-rarischen Werkes oder Theaterstücks nicht automatisch auch einen gelun-genen und schon gar nicht einen stilsicheren Film ergibt? Lassen sich nicht ähnliche Transferprobleme seit Jahrzehnten bezüglich der nicht immer ein-fachen Austauschprozesse zwischen Filmen und Videospielen beobachten?

Warnende Beispiele vor einer allzu unreflektierten Übertragung der äs-thetischen Kriterien des Kinos auf die Videospiele finden sich hinreichend: Im Frühjahr 2014 gruben in der Wüste von New Mexico der Regisseur Zak Penn und sein als Medienarchäologen aktives Team Cartridges der künstle-risch und kommerziell gescheiterten Adaption von Steven Spielbergs E.T. –

THE EXTRA TERRESTRIAL2 wieder aus. 1982 besiegelte dieser Schnellschuss das Schicksal des renommierten Entwicklers Atari. Die nicht verkauften Remittenden wurden, einer urbanen Gamer-Legende zufolge, unter einem Parkplatz im Niemandsland begraben. Zak Penn und seine in dem Film SIGNAL TO NOISE3 dokumentierte Recherche belegten schließlich den Wahrheitsgehalt dieser in jeder Geschichte der Videospiele aufgegriffenen Erzählung.

Auch die Diskussion um einen ›Cinema Envy‹, den falschen Neid auf die visuellen Möglichkeiten des Films, taucht häufiger in Entwicklerkreisen und gelegentlich auch in den Game Studies auf. Potentielle Diskrepanzen zwischen Game Studies und Filmwissenschaft erreichten, trotz eines gele-gentlich proklamierten Visualismus, nie die Schärfe der Ludologen-Narrativisten-Debatte. Dazu waren und sind die Film Studies im Unter-schied zur expansionsfreudigen Erzähltheorie zu sehr mit ihren eigenen theoretischen Problemen beschäftigt. Doch die Warnungen vor einem kon-

2 E.T. – THE EXTRA TERRESTRIAL (USA 1982, R: Stephen Spielberg); E.T. – THE

EXTRA TERRESTRIAL (Atari 1982, O: Atari).

3 SIGNAL TO NOISE (USA 2014, R: Zak Penn).

MISE EN GAME | 3

textbefreiten Ästhetizismus erscheinen gerade angesichts des Hypes um kommerziell lukrative Medienkonvergenzen durchaus berechtigt.

Es soll im folgenden Beitrag daher nicht darum gehen, oberflächliche Synergien zwischen Filmen und Games zu affirmieren, die lediglich die Er-setzung der obligatorischen Kaffeetasse zum Film durch ein mittelmäßiges Spiel mit entsprechendem Logo als Transmedia-Storytelling oder das gele-gentliche Drücken einer Taste auf der Fernsteuerung als interaktiven Film feiern würden. Vielmehr sollen die Familienähnlichkeiten zwischen beiden audiovisuellen Kunstformen nutzbar gemacht werden, um die ästhetischen Besonderheiten einiger Videospiele genauer und differenzierter erfassen zu können. Die Suche nach begrifflichen Verwandtschaftsbeziehungen soll nicht nach den normativen Setzungen einer geschmäcklerischen, auf einen erhobenen oder gesenkten Daumen fixierten Film- oder Gamekritik erfol-gen. Im Sinne eines reflektierten kritischen Diskurses, wie er in den franzö-sischen und anglo-amerikanischen Film Studies zwischen Feuilleton und Academia erfolgt, soll der Blick auf die einzelnen Phänomene und die mit deren Verständnis verbundenen kulturellen und kognitiven Prozesse ge-schärft werden. Insbesondere die Ebene der Ästhetik wurde jenseits ober-flächlicher Parallelen zwischen Filmen und Spielen in den Game Studies häufig zu stark vernachlässigt. Formal-ludologische Analysen des Regel-werks und die Fokussierung auf narratologische Storytelling-Schemata zeichnen sich beide durch einen hohen Abstraktionsgrad aus, der nur flüch-tig einbezieht, welche Sinneseindrücke und welche ästhetischen Arrange-ments zu welchen spielerischen Entscheidungen oder zu welchem Verlauf der Geschichte (sofern eine vorhanden sein sollte) führen. An anderer Stelle habe ich die Übertragung von in ihrer Ästhetik filmisch vorgeprägten Stan-dardsituationen als ausbaufähige Schnittstellen zwischen filmischen Genre-Settings und über ihr Gameplay definierte Game-Genres thematisiert.4 Da-rauf aufbauend widmet sich der folgende Beitrag der ludischen Umsetzung der Mise en Game.

Der britische Filmtheoretiker V.F. Perkins kennzeichnet die Funktion der filmischen Mise en Scène als »moments of choice.«5 Diese Beschrei-bung erinnert nicht von ungefähr an Sid Meiers pragmatische Definition ei-

4 Vgl. Rauscher, Andreas: Spielerische Fiktionen. Transmediale Genrekonzepte in

Videospielen, Marburg: Schüren Verlag 2012.

5 Vgl. J. Gibbs: Mise-en-scène, S. 10.

4 | ANDREAS RAUSCHER

nes Spiels als »a series of interesting choices.«6 Im Unterschied zur filmi-schen Mise en Scène muss eine Mise en Game den Spielern an entschei-denden Stellen die kreative Kontrolle zwar nicht unbedingt über die ästheti-sche Konzeption, aber zumindest über deren Konfiguration überlassen. Die Handschrift eines Game Designers zeigt sich gerade nicht darin, dass er die Spieler wie in einem interaktiven Film an die Hand beziehungsweise an die Fernbedienung nimmt und sie gelegentlich den einen oder anderen Knopf drücken lässt. Sie äußert sich vielmehr im überlegten Zusammenspiel zwi-schen Regeln, Mechanik, Gameplay, räumlicher Dramaturgie mit narrati-ven Potentialen und audiovisueller Umsetzung.

In einem ersten Schritt werden die Elemente der filmischen Mise en Scène und deren Übertragbarkeit auf Spielräume diskutiert, darauf aufbau-end wird als zweiter Schritt die räumliche Involvierung der Spieler betrach-tet, bevor in einem abschließenden Ausblick vier mögliche Formen einer Mise en Game skizziert werden, die verschiedene Anknüpfungspunkte zur weiteren Vertiefung der ästhetischen und dramaturgischen Austauschbezie-hungen zwischen Filmen und Games bieten.

SPIEL-RÄUME – VON DER MISE EN SCÈNE ZUR MISE EN GAME Obwohl unter dem Begriff der Mise en Scène allgemein die räumlichen Beziehungen innerhalb der filmischen Bildkomposition im Unterschied zur zeitlichen Organisation durch die Montage gefasst werden, lassen sich zwei grundsätzliche Tendenzen in der Verwendung des Begriffs ausmachen. Theoretiker wie V.F. Perkins, John Gibbs oder Kritiker der Cahiers du Ci-néma wie Jacques Doniol-Valcroze zählen die Bewegungen der Kamera zur Mise en Scène, die neoformalistisch-kognitivistischen Filmwissen-schaftler David Bordwell und Kristin Thompson begreifen hingegen darun-ter lediglich, »all of the elements placed in front of the camera to be photo-

6 Egenfeldt-Nielssen, Simon/Tosca, Susana Pajares/Smith, Jonas Heide: Under-

standing Video Games, New York u.a.: Routledge 2008, S. 37.

MISE EN GAME | 5

graphed: the settings and props, lighting, costumes and makeup, and figure behavior.«7

Die Beurteilung der Mise en Scène erweist sich in beiden Definitionen als eng mit der Frage nach dem Stil des jeweiligen Films verbunden. Bord-well und Thompson betonen, dass sich die stärksten Erinnerungen an einen Film auf die Inszenierung beziehen würden, und für Gibbs schafft die Mise en Scène die Verbindung zwischen Form und Inhalt sowie zwischen Stil und Bedeutung.8 Abgesehen von der Positionierung der Kamera herrscht Einigkeit über deren Unterkategorien: Ausleuchtung, Kostüme und Make-Up, das Set Design und die Ausstattung, sowie das Arrangement der Dar-steller und das Setting. Ausleuchtung und Kostüme können wie auch das Setting in Videospielen unmittelbare Assoziationen an filmische Vorbilder schaffen. Im Unterschied zu einem Film kann im Spiel häufig lediglich ein bestimmter Look, beispielsweise Endzeitkostüme in der FALLOUT-Reihe oder mittelalterliche Rüstungen in DRAGON AGE – ORIGINS vorgegeben werden,9 da die Spieler in den meisten Rollenspielen das Aussehen ihres Avatars aus einer Vielzahl von Möglichkeiten selbst auswählen können. Die Ausleuchtung kann, wie in den Spielen L.A. NOIRE und GRIM FAND-

ANGO, unmittelbare filmhistorische Bezüge zur Low-Key-Beleuchtung des Film Noir aufweisen, oder, wie in den auf dem Setting der ALIEN-Reihe ba-sierenden Spielen ALIENS VS. PREDATOR und ALIENS – COLONIAL MARINES, ästhetische Referenzen an die filmischen Vorlagen einbauen, indem das in den Filmen von Ridley Scott und James Cameron in die Kulissen selbst in-tegrierte Licht im virtuellen Set nachgebildet wird.10 Die assoziative Atmo-sphäre des Ambientes bereitet entsprechend auf die bevorstehenden Her-ausforderungen durch die Angriffe der in den Schächten der überrannten

7 Bordwell, David/Thompson, Kristin: Film Art. An Introduction, 8th Edition,

New York: McGraw Hill 2008, S. 479.

8 Vgl. J. Gibbs: Mise-en-scène, S. 64.

9 FALLOUT (Interplay/Bethesda 1997, O: Interplay Entertainment); DRAGON AGE

– ORIGINS (EA Games 2009, O: BioWare).

10 L.A. NOIRE (Rockstar Games 2011, O: Team Bondi); GRIM FANDANGO (Lu-

casArts 1998, O: LucasArts); ALIENS VS. PREDATOR (Fox Interactive 1999, O:

Rebellion); ALIENS – COLONIAL MARINES (Sega 2013, O: Gearbox Software).

 

6 | ANDREAS RAUSCHER

Raumstationen und Schiffe weitgehend unsichtbaren Aliens vor. Bevor die aus James Camerons ALIENS – THE RETURN11 weitgehend vertraute Stan-dardsituation eines Alien-Hinterhalts eintritt, dienen die spärliche Beleuch-tung und das von dunkelroten Alarmlichtern geprägte, leicht beschädigt anmutende Industrial Design bereits als warnende Signale. Es gehört jedoch zu den in den Spielregeln aufgegriffenen Genrekonventionen, dass die Spieler trotz der unangenehmen Vorahnungen der Gefahr nicht ausweichen, sondern wie bei einer Geisterbahnfahrt diese bewusst als Nervenkitzel su-chen.

Die Mise en Game erfüllt in diesem Fall zwei Funktionen: Sie bereitet durch die Anspielungen auf filmische Vorbilder gezielt Déjà-vu-Momente vor und arrangiert zugleich den Hindernis-Parcours der zu erwartenden Herausforderungen. Während in Filmen die in der Mise en Scène enthalte-nen Objekte auf symbolische Bedeutungen abzielen oder den realistischen Eindruck eines dargestellten Milieus intensivieren, erfüllen sie auf der Ebe-ne des Game Designs zugleich eine ludische Funktion. In ihrer ebenso kenntnisreichen wie informativen praxisbezogenen Einführung Game De-sign Workshop weist Tracey Fullerton auf die zentrale Bedeutung der Be-grenzung für das Ausspielen von Konflikten hin, die die Spieler am Errei-chen ihrer Ziele hindern – »they separate the game from everything that is not a game.«12 Die filmische Vorlage einer Mise en Scène verwandelt sich im Kontext eines Videospiels in ein Spielfeld, in dem die Ausstattung und Kostüme der Charaktere zu wichtigen Ressourcen für die Lösung der ge-stellten Aufgaben werden und das Ambiente mit einer ganzen Reihe von Herausforderungen versehen wird. Auffällig erscheint an jenen Film-Adaptionen, die sich nicht einfach auf die beliebige Verwendung einer vom filmischen Universum entkoppelten Spielmechanik beschränken, dass in ihnen eine nicht narrativ, sondern ludisch motivierte Multiplikation der in der filmischen Mise en Scène enthaltenen Hindernisse erfolgt. Die Anzahl der Gegenspieler hat sich vervielfacht und im Film als Überraschungseffekt eingesetzte Gimmicks werden im ludischen Kontext zu Gebrauchsgegen-ständen, deren Einsatz mit ansteigendem Schwierigkeitsgrad erlernt werden soll. Die ›Suspension of Disbelief‹ erscheint im Unterschied zum Film, in dem eine nicht mehr logisch nachvollziehbare Anzahl an Gegenspielern

11 ALIENS – THE RETURN (USA 1986, R: James Cameron).

12 Fullerton, Tracey: Game Design Workshop, New York: Elsevier 2008, S. 78.

MISE EN GAME | 7

und ein inflationärer Einsatz von Spezialausrüstung schnell die Grenze zum Absurden überschreitet, im Spiel nicht gefährdet, solange sie mit den Spiel-regeln des Genre-Settings korrespondiert.

Die 2005 erfolgte Game-Adaption des über vierzig Jahre zuvor entstan-denen James Bond-Films FROM RUSSIA WITH LOVE bezieht einen eigenen Reiz aus dem Spiel mit Referenzen an die 007-Filme der 1960er Jahre.13 Der Hindernis-Parcours im Labor des Waffentüftlers Q wird in einem der ersten Level in einer Plansequenz durchlaufen, die jene von André Bazin eingeforderte Kontinuität der Mise en Scène idealtypisch realisiert, aller-dings in einem Szenario, das dem vom Ziehvater der Nouvelle Vague pro-pagierten Realismus in nahezu allen Aspekten zuwiderläuft. Die in den Ja-mes Bond-Filmen aus den 1960er Jahren etablierten Utensilien wie der mit Maschinengewehren ausgerüstete Aston Martin aus GOLDFINGER und der Raketenrucksack aus THUNDERBALL kommen ebenso wie ein ferngesteuer-ter Mini-Helikopter und eine Laser-Uhr zum Einsatz.14 Ihre Comic-Relief-Funktion aus den Filmen wird im Kontext des Videospiels um eine den Spielmechaniken entsprechende Funktion erweitert. Die Passagen, in denen Bond den ferngesteuerten Mini-Helikopter durch Lüftungsschächte steuern muss, wiederholen sich bei graduell erhöhtem Schwierigkeitsgrad. Der Ein-satz des Jet Packs wird einerseits für eine spektakuläre Sequenz genutzt, die in den Filmen gar nicht existiert: 007 rettet nach einem Überfall auf einen Abendempfang die Tochter des Premierministers in einem Luftkampf rund um den Big Ben. Andererseits bilden die Flüge mit dem Jet Pack ein eige-nes Spielprinzip, das mit zunehmend komplizierteren Gegnern verbunden ist. Das in der filmischen Vorlage enthaltene Set Piece des Kampfs gegen einen angreifenden Helikopter, den Bond lediglich mit seinem Gewehr be-waffnet besiegt, wird im Videospiel zur alltäglichen Standardsituation, in-dem sich das gleiche Geschehen mehrfach als Stock-Situation aus dem 007-Repertoire wiederholt. FROM RUSSIA WITH LOVE gelingt die Adaption, in-dem die einem Abenteuerspielplatz entsprechende Raumlogik der Mise en Scène des Films adäquat auf die Levelstruktur des Games und das Game-

13 FROM RUSSIA WITH LOVE – JAMES BOND 007 (GB 1963, R: Terence Young);

FROM RUSSIA WITH LOVE – JAMES BOND 007 (Electronic Arts 2005, O: EA

Redwood Shores).

14 GOLDFINGER – JAMES BOND 007 (GB 1964, R: Guy Hamilton); THUNDERBALL

– JAMES BOND 007 (GB 1965, R: Terence Young).

8 | ANDREAS RAUSCHER

play übertragen wird. Der Wiedererkennungswert des Set Designs aus der filmischen Vorlage als digitales Retro-Phänomen trägt einerseits zur Wir-kung der detailverliebten Umsetzung bei, andererseits werden die Hand-lungsräume um eine im Film gar nicht vorhandene geheime Schurkenbasis und weitere Levels ergänzt. Die Gestaltung der Spielmechanik, die aus den 007-Filmen der 1960er Jahre bekannte Gadgets in das Gameplay integriert, sorgt auf der ludischen Ebene für einen Adaptionsprozess, der dem ver-spielten Charakter der frühen 007-Filme gerecht wird. Die Mise en Game entspricht im Zusammenspiel von Regeln, Mechanik und Look den durch die filmische Mise en Scène vorgeprägten Erwartungshaltungen. Das Prob-lem diverser Game-Adaptionen bekannter Filme besteht häufig darin, dass lediglich zur jeweiligen Zeit populäre Spielformen wie etwa Platform Ga-mes Anfang der 1990er Jahre auf das Setting des Films übertragen werden, ohne dass die Logik und die Mechaniken des Spiels mit der räumlichen Lo-gik des filmischen Szenarios korrespondieren würden.

In ihrer Einführung Understanding Video Games beziehen Simon Egen-feldt-Nielsen, Susana Pajares Tosca und Jonas Heide Smith neben der Per-spektive, der Repräsentation, der Geographie und der Raumgestaltung auch die Faktoren Spielregeln, Gameplay (»the game dynamics emerging from the interplay between rules and game geography«15) und Game Balancing als konstituierende Elemente einer Game-Ästhetik ein. Einer der ersten An-sätze für ein mit der filmischen Mise en Scène sich produktiv ergänzendes Konzept der Mise en Game besteht daher in der schlüssigen Übersetzung filmischer, von Ausstattung, Lichtsetzung und Architektur geprägter Szena-rien in Spielregeln, Gameplay und Balancing. Wenn James Bond auf der Leinwand in QUANTUM OF SOLACE16 die gewagtesten Sprünge von einem Haus auf einen fahrenden Bus übersteht und im Spiel daran scheitert, eine einfache Absperrung, an der offensichtlich das Level endet, zu überwinden, erscheint der transmediale Transfer der Figur ein wenig absurd. Produktio-nen wie das ganz auf strategische Gefechte und übertriebene Gewaltexzesse konzentrierte THE GODFATHER II scheitern schließlich nicht nur an der Adaption der filmischen Vorlage,17 sondern verfehlen deren Stil in auffälli-

15 S. Egenfeldt-Nielsen/J. Smith/S. Tosca: Understanding Video Games, S. 102.

16 QUANTUM OF SOLACE – JAMES BOND 007 (GB 2008, R: Marc Forster).

17 THE GODFATHER PART II (USA 1974, R: Francis Ford Coppola); THE GODFA-

THER II (Electronic Arts 2009, O: EA Redwood Shores).

MISE EN GAME | 9

gem Ausmaße, indem der für Francis Ford Coppolas Inszenierung zentralen Familientragödie des Films im Spiel keinerlei Bedeutung beigemessen wird.

Ästhetische Gestaltungsmittel der filmischen Mise en Scène können im Kontext der Mise en Game in durch die Spielregeln verknappte Ressourcen umgewandelt werden. In Spielen wie ALAN WAKE und AMNESIA – THE

DARK DESCENT18 wird der Einsatz der Beleuchtung in Form von Kerzen und Taschenlampen selbst zu einem spielentscheidenden Element. Kostüme und Ausrüstung können im Videospiel sowohl als visuelles Gestaltungsmit-tel wie auch als in die Spielmechanik integrierte Variable verwendet wer-den. Das auf verschiedenen Marvel-Comic-Reihen basierende Spiel SPI-

DER-MAN DIMENSIONS19 interessiert sich nur marginal für das reflexive Po-tential der Begegnung unterschiedlicher Inkarnationen der gleichen Figur aus verschiedenen Comicwelten. Stattdessen wird das Ambiente ganz auf die ludischen Eigenschaften des auf Schleichmissionen spezialisierten Noir-Spider-Man oder des mit technologisch verbessertem Equipment aus-gestatteten Spider-Man aus der Zukunft angepasst. Spiele wie SPIDER-MAN

DIMENSIONS befinden sich in ihrer Konzeption des Gameplays, der Regeln und des Balancings näher an Action-Figuren als an Spielen, die versuchen die Erzählungen einer Storyworld zu erweitern. Ein weiteres Beispiel für figurenzentriertes Game Design wäre STAR WARS – BOUNTY HUNTER, in dem die Spieler weitere Abenteuer des in STAR WARS EPISODE II – ATTACK

OF THE CLONES denkbar unspektakulär geköpften Jango Fett erleben kön-nen.20 Die Mise en Scène der STAR WARS-Filme deutet Handlungsmöglich-keiten der Figuren an, die in von der Handlung der Filme entkoppelten Spielen weiter ausgebaut werden. Die Utensilien der Kopfgeldjägerrüstung wie ein Raketenrucksack, eine Fesselungsmechanik und diverse Geheim-waffen kommen auf der Leinwand nur spärlich zum Einsatz, sie machten in den frühen 1980er Jahren aber maßgeblich die Attraktivität der Spielzeug-figur Boba Fett aus. Videospiele wie das 1996 erschienene SHADOWS OF

THE EMPIRE, in dem der zum Fan-Favoriten aufgestiegene Kopfgeldjäger

18 ALAN WAKE (Microsoft 2010, O: Remedy); AMNESIA – THE DARK DESCENT

(Frictional Games 2010, O: Frictional Games).

19 SPIDER-MAN – SHATTERED DIMENSIONS (Activision 2010, O: Beenox).

20 STAR WARS – BOUNTY HUNTER (LucasArts 2002, O: LucasArts); STAR WARS

EPISODE II – ATTACK OF THE CLONES (USA 2002, R: George Lucas).

10 | ANDREAS RAUSCHER

als Zwischengegner auftritt, und BOUNTY HUNTER adaptieren die in der filmischen Mise en Scène begründeten Talente der Figur innerhalb einer Mise en Game, die das passende virtuelle Spielzeug-Set zur Action-Figur konstruiert. Die ästhetische Gestaltung der Räume orientiert sich zwar nach wie vor an der für die STAR WARS-Filme stilprägenden Pastiche-Komposition aus unterschiedlichen Genre-Settings, ihre Strukturen ent-sprechen aber in besonders auffälliger Weise genau jenen Raumformen ei-nes linearen oder eines verzweigten Labyrinths oder einer Arena, wie sie Michael Nitsche21 in seiner Studie Video Game Spaces als charakteristisch für eine Vielzahl von Game-Design-Konzepten ausmacht. Bezeichnender-weise beginnt das Spiel in einer Arena, die im Gegensatz zu ATTACK OF

THE CLONES nicht als Schauplatz für Liebeserklärungen zwischen Camp und Douglas-Sirk-Melodram dient, sondern ohne einen ausgearbeiteten nar-rativen Zusammenhang als Areal für eine Reihe von Schaukämpfen, in de-nen der Spieler die grundlegenden Manöver des Avatars erlernt. Es er-scheint hierbei wenig überraschend, dass die wichtigsten Spielzüge der Fi-gur den Eigenschaften der 1980 veröffentlichten Boba-Fett-Spielzeugfigur entsprechen.

Die Abstimmung der Umgebung im Spiel auf das ludische Potential der Avatare verweist auf eine weitere zentrale Schnittstelle zwischen Mise en Scène und Mise en Game, deren Übertragung von einem Medium auf das andere sich komplizierter als Set Design, Utensilien, Kostüme und Aus-leuchtung gestaltet. John Gibbs weist treffend darauf hin, dass erst die In-teraktion zwischen den einzelnen Elementen der Mise en Scène ihre Wir-kung erzeugt:

»It is important to be able to describe the individual elements of mise-en-scène, and

it is important to consider each element’s potential for expression. But it is worth

remembering from the outset that these elements are most productively thought of in

terms of their interaction rather than individually – in practice, it is the interplay of

elements that is significant. Additionally, we need to consider the significance ac-

quired by the individual element by the virtue of context: the narrative situation, the

›world‹ of the film, the accumulating strategies that the filmmaker adopts.«22

21 Vgl. Nitsche, Michael: Video Game Spaces, Cambridge: MIT Press 2008,

S. 171-189.

22 J. Gibbs: Mise-en-scène, S. 26.

MISE EN GAME | 11

Die Interaktion der einzelnen Elemente wird also maßgeblich durch die Handlungen der Spieler und deren Involvierung bestimmt.

INTERAKTION ALS INSZENIERUNG UND INVOLVIERUNG Die filmische Mise en Scène unterstützt in der Regel das Spiel der Schau-spieler mit dem Ziel, eine interessante Darbietung auf Film zu bannen. Im Spiel kann durchaus ein ähnlicher Effekt entstehen, auf den sich die schau-spieltheoretische Unterscheidung zwischen den Kategorien Acting und Per-formance anwenden lässt. Der Filmwissenschaftler James Naremore defin-iert in seiner Studie Acting in the Cinema die Schauspielform des Acting als »a special type of theatrical performance in which the persons held up for show have become agents in a narrative.«23 Dieses Vorgehen konzentriert sich auf das Ausagieren der narrativen Rolle; die Schauspieler versuchen in ihrem Spiel ganz dem Charakter der vorgegebenen Figur zu entsprechen. Der weiter gefasste Begriff der Performance integriert hingegen auch Ei-genheiten, die ein Schauspieler durch seine oder ihre Persönlichkeit in die Rolle einbringt, diese können von einer unbewussten spontanen Reaktion bis hin zur idiosynkratischen Einfühlung des Method Acting reichen. Schauspieler realisieren nach Naremore performative Elemente, wenn sie über die durch das Script vorgeschriebene Rolle, beispielsweise durch den Rückfall in alltägliche Verhaltensweisen, hinausgehen –

»when people are caught unaware by a camera, they become objects to be looked at,

and they usually provide evidence of role-playing in everyday life; when they know

they are being photographed, they become role-players of another sort.«24

Videospiele können beide Formen des Ausagierens einer Rolle unterstüt-zen. Rollen, die überwiegend durch gescriptete Ereignisse und Dialoge be-stimmt sind, kombinieren die ludischen Herausforderungen mit dem Aus-agieren einer von den Game Designern vorgegebenen Charakterentwick-

23 Naremore, James: Acting in the Cinema, Berkeley: University of California

Press 1988, S. 23.

24 Ebd., S. 15.

12 | ANDREAS RAUSCHER

lung. Performative Komponenten können hingegen wie in einigen Rollen-spielen durch die freie Ausgestaltung des Avatars und dessen Verhalten derart prägende Ausmaße annehmen, dass der Spieler oder die Spielerin ein möglichst stark den eigenen persönlichen Eigenschaften und Vorlieben ent-sprechendes Spielverhalten annimmt. Effiziente Formen der Mise en Game gewichten je nach Spielkonzept beide Möglichkeiten. Die Spiele der GRAND THEFT AUTO-Reihe werden häufig als Beispiele für Open World-Games herangezogen, obwohl in ihnen die Entwicklung des Avatars im li-nearen Hauptplot ähnlich deutlich durch Cutscenes und die zu erfüllenden Missionen wie in einem Gangsterfilm vorgegeben zu sein scheint. Die per-formativen Aspekte kommen entsprechend zur Geltung, wenn der Spieler die beliebig ausgestaltbare Freizeit zwischen den einzelnen Missionen nutzt, um die in der Spielwelt vorhandenen Utensilien nach Belieben aus-zuprobieren und einzusetzen. Auf diese Weise können Situationen entste-hen, die nicht mehr den Konventionen eines Gangster-Dramas von Martin Scorsese oder Brian De Palma entsprechen, sondern an eine Genreparodie in der Tradition von Zucker-Abrahams-Zucker oder Mel Brooks erinnern. In GTA – VICE CITY25 kann der Protagonist Tommy Vercetti, nachdem er bereits zum Herrscher über die Unterwelt der an Miami angelehnten Stadt aufgestiegen ist, immer noch zwischen den Missionen als Pizzalieferant ar-beiten. Die für das Studio Rockstar typische Mise en Game enthält in der Regel als zusätzliche Option derartig absurde Handlungsmöglichkeiten, die in der Adaption des mehrfach in VICE CITY zitierten Gangster-Epos SCARFACE26 undenkbar gewesen wären. Der Filmtheoretiker V.F. Perkins betont: »the primary function of decor is to provide a believable environ-ment for the action.«27

Die Möglichkeiten einer vielseitigen Mise en Game ähneln in dieser Hinsicht stärker einer Filmkulisse als deren Abbild in der zweckgebunde-nen Mise en Scène eines fertigen Films. Je nach Vorliebe können die Spie-ler in einer offen gehaltenen Spielwelt die Codes des assoziierten Genre-Settings ausführen oder sabotieren. In den meisten dreidimensionalen Spielwelten erhalten sie zusätzlich auch die Kontrolle über die Kamera, die

25 GRAND THEFT AUTO – VICE CITY (Take Two Interactive 2002, O: Rockstar

North).

26 SCARFACE (USA 1982, R: Brian De Palma).

27 Perkins, V.F.: Film as Film, Baltimore: Penguin 1972, S. 94.

MISE EN GAME | 13

als strategisches Werkzeug zur Erfassung und Erarbeitung des Lösungs-wegs und/oder als ästhetisches Gestaltungsmittel genutzt werden kann. Zahlreiche Machinima-Filme nutzen letzteren Aspekt, um Spielen durch performative Abweichungen Momente abzuringen, die in dieser Form gar nicht vorgesehen waren. Die Kultserie RED VS. BLUE, in der die Spielfigu-ren der Shooter-Reihe HALO28 außerhalb des regulären Spielgeschehens existenzialistische Dialoge über ihr Dasein als fremdkontrollierte Marionet-ten führen, ist ein Beispiel für eine derartige performative Umcodierung.

Im regulären Spielverlauf dient in den meisten Fällen die Spielmecha-nik zur Verbindung zwischen der Semantik, dem auf Motive der Science-Fiction, des Abenteuerfilms, der Fantasy und anderer Genres verweisenden Erscheinungsbild und der Syntax, dem dramaturgischen Arrangement von Standardsituationen, Plot Points und Quests.29 Egenfeldt-Nielsen, Tosca und Smith merken über die Funktion der Mechanik an:

»The key to a successful mechanics is to make players feel that they are contributing

to creating a plot; the most successful narrative actions happen in games where our

actions have noticeable plot consequences.«30

Die effiziente Verknüpfung zwischen Spielmechanik und Mise en Game in einem linearen Game-of-Progression verführt den Spieler dazu, die Rolle auszuagieren und schafft zugleich die Illusion, man könne im Eifer des Ge-fechts auch die andere Abzweigung nehmen, obwohl hinter dieser lediglich die Begrenzung des Spielfeldes warten würde. Wie und mit welchen Ein-drücken der Avatar innerhalb des vorgegebenen Handlungsverlaufs von Punkt A nach Punkt B gelangt, kann maßgeblich die ästhetische Erfahrung des Spiels bestimmen. Die selbst durchgeführte Kamerafahrt kann sich ganz im Sinne von Jean-Luc Godards Diktum zu einer moralischen Ent-scheidung entwickeln. Etwa zu Beginn von HALF-LIFE 231 können die Spie-ler durch einen Schwenk das in der Diktatur von City 17 präsente Unrecht

28 HALO: COMBAT EVOLVED (Microsoft 2001, O: Bungie).

29 Für Anregungen zur Verknüpfung von Semantik und Syntax möchte ich mich

bei Espen Aarseth bedanken.

30 S. Egenfeldt-Nielsen/J. Smith/S. Tosca: Understanding Video Games, S. 183.

31 HALF-LIFE 2 (Valve/Sierra 2004, O: Valve).

14 | ANDREAS RAUSCHER

zur Kenntnis nehmen oder sich einfach nur zielstrebig zur nächsten vorge-gebenen Handlungsmarkierung weiter bewegen.

Gordon Calleja unterscheidet in seinem Konzept der räumlichen Invol-vierung zwischen der Makroebene der Exploration32 und der Mikroebene der konkreten räumlichen Navigation33, die von den drei Phasen der Erkun-dung, dem Erstellen einer mentalen Landkarte und der graduellen Kontrolle über den Spielraum durch taktische Interventionen geprägt ist. Zu den me-dienspezifischen Ausprägungen der navigierbaren Räume merkt er an:

»Digital games and virtual worlds are particularly adept at facilitating spatial explo-

ration that enables players not only to project their imagination into the represented

landscapes but also to traverse them.«34

In Hinblick auf die Mise en Game wäre zu ergänzen, dass die Vorstellung des Spielraums durch die entsprechenden Cues, audiovisuellen Signale und Genre-Referenzen, die zum kognitiven Verständnis der Spielumgebung bei-tragen, inszenatorisch vorcodiert sein kann und daher der »process of upda-ting the mental image of the space«35 einen entsprechenden Filter verliehen bekommt. Die Semantik der Mise en Game und die durch sie hervorgerufe-nen Assoziationen ermöglichen unter Umständen eine entsprechend be-schleunigte Orientierung hinsichtlich der Mechanik und des mit dieser ver-bundenen Gameplays. Wenn der Spieler zu Beginn von STAR WARS – THE

FORCE UNLEASHED36 Darth Vader steuert, lässt sich auf Grund des ikono-graphischen Vorwissens bereits erahnen, dass sich dieser nicht gerade wie sein Alter Ego aus der YouTube-Serie CHAD VADER auf dem Weg zur Ar-beit im örtlichen Supermarkt befindet. Die Organisation des spielerischen Handlungsraums rekurriert auf ein serielles Vorwissen der Spieler. Shane Denson und Andreas Jahn-Sudmann benennen in ihrem Aufsatz Digital Se-

32 Vgl. Calleja, Gordon: In-Game. From Immersion to Incorporation, Cambridge:

MIT Press 2011, S. 73.

33 Vgl. ebd., S. 77.

34 Ebd., S. 73.

35 Ebd., S. 89.

36 STAR WARS – THE FORCE UNLEASHED (LucasArts 2008, O: LucasArts/Aspyr).

MISE EN GAME | 15

riality37 drei Formen von Serialität in digitalen Spielen: eine intra-ludische Serialität zwischen den Levels und Welten eines Spiels, eine inter-ludische Serialität, die sich zwischen einzelnen Spielen ergibt, und eine paraludische Serialität, die sich auf Wissen außerhalb der jeweiligen Spiele bezieht. In Videospielen, die im Kontext eines Transmedia-Worldbuilding- oder Transmedia-Storytelling-Komplexes angesiedelt oder als Fortsetzung zu ei-nem anderen Spiel angelegt sind, kann die Mise en Game analog der Mise en Scène in Sequels und Prequels dazu genutzt werden, um entsprechende inter-ludische Erwartungshaltungen bezüglich des Gameplays und der Me-chanik zu befördern. Zu Beginn des Spiels TOMB RAIDER – LEGEND38 soll-ten die meisten Spieler mit den Handlungskonventionen der Abenteurerin Lara Croft vertraut sein, selbst wenn sie die anderen Spiele der Reihe nur flüchtig kennen. Der vergleichbar den INDIANA JONES- und JAMES BOND-Filmen unmittelbar erfolgende Einstieg im Tutorial mitten in einer riskan-ten Kletterpartie im Hochgebirge appelliert an das popkulturelle Gedächtnis der Spieler und lässt eine Mind Map erwarten, die nicht dem Aufbau einer realistischen Bergsteiger- und Höhlenmission entsprechen wird. Eine be-sondere Finesse des 2013 erfolgten TOMB RAIDER-Reboots,39 der deutlich von der Mystery-Robinsonade der TV-Serie LOST beeinflusst wurde, be-steht neben dem realistischeren Erscheinungsbild Laras in den Beschrän-kungen des Gameplays, das der Situation ihres ersten Abenteuers ent-spricht. Anstelle der üblichen Bewaffnung mit zwei Pistolen, die über un-begrenzte Munition verfügen, muss sich Lara die später vertrauten Fähig-keiten erst mühsam im Spielverlauf aneignen. Inszenierung und Spielme-chanik werden im Rahmen der Mise en Game unmittelbar kombiniert und involvieren den Spieler durch das für innovative Genreformen charakteris-tische Wechselspiel aus Wiederholung und Variation.

Die spielerische Involvierung ergibt sich im Sinne von Britta Neitzel maßgeblich aus der Unterscheidung zwischen Point-of-View, dem Blick

37 Denson, Shane/Jahn-Sudmann, Andreas: »Digital Seriality: On the Serial Aes-

thetics and Practice of Digital Games«, in: Eludamos. Journal for Computer

Game Culture, 7, 1 (2013), S. 1-32, http://www.eludamos.org/index.php/eluda

mos/article/view/vol7no1-1/7-1-1-html

38 TOMB RAIDER – LEGEND (Eidos Interactive 2006, O: Crystal Dynamics).

39 TOMB RAIDER (Square Enix 2013, O: Crystal Dynamics).

16 | ANDREAS RAUSCHER

des Betrachters, und dem tatsächlichen Point-of-Action, von dem aus die Spieler in das simulierte Geschehen eingreifen:

»Die Zentralperspektive ist eine Technik, die den Betrachter im Bild als Betrachter

verankert. Im Computerspiel wird jedoch nicht nur der Blickpunkt eines Spielers im

Bild verankert, sondern auch ein Aktionspunkt (Point-of-Action), wobei beide Punk-

te je nach Spiel unterschiedlich miteinander interagieren.«40

Die TOMB RAIDER-Reihe lässt einen bestimmten Point-of-Action, der sich aus der Third-Person-Perspektive ergibt, erwarten, während in einem Ad-venture die gleichen von der Figur ausgeführten Handlungen einen weitaus distanzierteren und gemächlicheren Umgang mit dem Interface nahelegen würden.

Von der filmischen Mise en Scène inspirierte Strategien der Mise en Game ermöglichen eine emotionale Anteilnahme des Spielers, kombiniert mit einem gezielten Wechselspiel aus Handlungsmöglichkeiten und drama-turgisch konzipiertem Kontrollverlust. Britta Neitzel schreibt in einem Ausblick über die Adressierung der einfühlsamen Affekte in Videospielen: »Emotionale Involvierung wird traditionell eher als von der Imagination abhängig

verstanden. […] Empathie oder Identifikation, ein Mitleiden oder Mitfühlen mit ei-

ner Figur, wird jedoch vor allem möglich durch die Unmöglichkeit des Eingreifens

in das Geschehen im Film oder in anderen nicht-interaktiven Medien.«41

Videospiele wie PLANESCAPE TORMENT, RED DEAD REDEMPTION und THE

LAST OF US nutzen auf sehr unterschiedliche und jeweils pointierte Weise die temporäre Blockade des Eingreifens zur Erzeugung von Empathie.42 Das zum Veröffentlichungszeitpunkt weitgehend unterschätzte, erst im Nachhinein ›neu‹ entdeckte Rollenspiel PLANESCAPE TORMENT unterläuft

40 Neitzel, Britta: »Involvierungsstrategien des Computerspiels«, in: Gamescoop

(Hg.), Theorien des Computerspiels. Zur Einführung, Hamburg: Junius Verlag

2012, S. 98.

41 Ebd., S. 102.

42 PLANESCAPE TORMENT (Interplay 1999, O: Black Isle Studios); RED DEAD RE-

DEMPTION (Rockstar Games 2010, O: Rockstar San Diego); THE LAST OF US

(Sony 2013, O: Naughty Dog).

MISE EN GAME | 17

die Konventionen des Genres, indem der Protagonist, der durch einen See-lenhandel die eigene Unsterblichkeit erlangte, mit den Auswirkungen der damit verbundenen Schuld umgehen muss und im letzten Level sämtliche seiner Begleiter zwangsweise verliert. Die zentrale Thematik, die Frage nach der Veränderbarkeit der Natur eines Menschen, wird durch die Mise en Game und die mit den Themen Tod und Transzendenz konnotierten Schauplätze entsprechend vorbereitet. Das tragische Ende des als Antihel-den angelegten Avatars in RED DEAD REDEMPTION wird durch das für skep-tische revisionistische Western wie IL GRANDE SILENZIO und MCCABE AND

MRS MILLER charakteristische winterliche Setting während der letzten Kon-frontation mit einem ehemaligen Gefährten vorbereitet.43 Entgegen den Konventionen eines Boss Fights stürzt sich der Gegner nach einer halsbre-cherischen Verfolgungsjagd zu Tode statt mit dem Avatar zu kämpfen. Zu-gleich hinterlässt er dem Protagonisten die entscheidende Warnung, dass man selbst das nächste Opfer der korrupten Regierungsagenten, in deren Auftrag der Avatar gehandelt hat, sein wird. In THE LAST OF US bekommt der Spieler im Verlauf des Prologs die spielerische Kontrolle über die junge Tochter des späteren Protagonisten, nur um deren brutalen Tod durch einen Soldaten am Ende des Levels hilflos mit ansehen zu müssen. Der Effekt dieser Form der Mise en Game erinnert an die emotionale Motivation, die einem Schauspieler zur Ausgestaltung einer übernommenen Rolle vermit-telt wird. Die Handlungen der gespielten Figur sind vom Designer vorge-geben und der Spieler vollzieht im Idealfall die damit assoziierten Emotio-nen und Affekte nach.

Aus einer gamesorientierten Perspektive wäre es als Forschungsfrage und Gegenentwurf zum orchestrierten Einfühlen außerdem ergiebig, die Entwicklung von der filmischen Mise en Scène zu einer weiteren Form der Mise en Game im Videospiel über die kollaborativen Prozesse zwischen ei-nem Game Master und einer Spielergruppe in Pen-and-Paper-Rollenspielen genauer zu erforschen. Die Funktion eines Game Masters erinnert durch seine Kontrolle über das Spielszenario an einen Regisseur. Zugleich muss er jedoch auf der Grundlage der Spielregeln und der Spielmechanik mit der Spielergruppe die Konsequenzen der Handlung erst ermitteln. Im Unter-schied zum weitgehend festgelegten Drehbuch eines Spielfilms, ähnelt die-

43 IL GRANDE SILENZIO (Italien 1968, R: Sergio Corbucci); MCCABE AND MRS

MILLER (USA 1971, R: Robert Altman).

18 | ANDREAS RAUSCHER

se Situation den Handlungen im Rahmen eines Improvisationstheaters. In einigen Videospielen vollziehen sich diese auf einer Bühne, die über die elaborierten Illusionseffekte eines Spielfilms verfügt, und dennoch zugleich die Offenheit einer Pen-and-Paper-Rollenspiel-Sitzung beibehält.

Eine Untersuchung dieser Remedialisierungs- und Transferprozesse, die über den Ansatz einer gewöhnlichen Adaption hinausgehen, würde einen ausbaufähigen Übergang zwischen literarischen Quest-Narrativen und abs-trakten formalistischen spielerischen Herausforderungen und der audiovi-suellen Ausformulierung im Rahmen einer Mise en Game schaffen.

AUSBLICK – SKIZZE ZU MÖGLICHEN VARIANTEN EINER MISE EN GAME Ausgehend von den in der vorangegangenen Analyse betrachteten spieleri-schen Rauminszenierungen sowie der mit diesen verbundenen Handlungs-möglichkeiten und Involvierungsformen der Spieler möchte ich abschlie-ßend als Ausblick vier Varianten der Mise en Game vorschlagen. Zwei von ihnen lassen sich als Erweiterung des von Henry Jenkins 2004 entwickelten Konzepts des Gamedesign as Narrative Architecture fassen, allerdings nicht zwangsläufig mit dem Ziel verbunden, neue narrative Erfahrungen durch die kreative Manipulation der Umgebung zu erzeugen:

1. Anspielungsreiche Mise en Game, die Jenkins Idee einer »evocative

narrative«44 ergänzt und sich insbesondere für Adaptionen, Appropria-tionen oder die spielerische Erweiterung bekannter filmischer, literari-scher oder inter-ludischer Vorlagen anbietet. Sie ähnelt einer mit ei-nem konkreten Franchise wie den JAMES BOND-Filmen oder einer mit der Ästhetik einer bestimmten Storyworld wie STAR WARS gekoppel-ten Variante jener ›konventionalisierten Genreräume‹, die Oliver Schmidt 2012 in seiner Studie Hybride Räume »als mediales Phäno-men im Filmtext und als Ergebnis der kognitiven Aktivitäten des Zu-

44 Jenkins, Henry: »Game Design as Narrative Architecture«, in: Katie Salen/Eric

Zimmerman (Hg.), The Game Design Reader. A Rules of Play Anthology, Cam-

bridge: MIT Press 2006, S. 677.

MISE EN GAME | 19

schauers«45 definiert hat. Die im Spiel inszenierte Welt kann einen zu-sätzlichen kognitiven Anreiz für die Spieler schaffen, wenn beispiels-weise in einem STAR WARS-Videospiel die detaillierte Ausgestaltung von Orten erfolgt, die in den Filmen nur flüchtig angedeutet werden. Sie muss aber nicht zwangsläufig einen narrativen Zweck erfüllen, sondern kann vergleichbar einem Rollenspiel-Source-Book auch ein-fach als eine Art imaginärer Reiseführer dienen. Ob die virtuelle Welt als Bühne für eine epische Narration, als Arena für ludische Wett-kämpfe oder einfach als sozialer Raum für Gespräche unter Fans ge-nutzt wird, bleibt beispielsweise im Online-Rollenspiel THE OLD RE-

PUBLIC46 den Spielern überlassen. Games zu Filmen wie das von Peter Jackson betreute Spiel zu sei-nem KING KONG-Remake47 von 2005 funktionieren zwar auch auf ei-ner rein ludischen Ebene. Der besondere Reiz besteht jedoch darin, je-ne Winkel der Skull Island zu erforschen, die im Film lediglich ange-deutet werden. Darüber hinaus bietet das Spiel auf einer kulturge-schichtlichen Meta-Ebene eine interessante Möglichkeit zum Ver-gleich von Jacksons Vision des Worldbuildings mit vorangegangenen KING KONG-Filmen.

2. Andeutende Mise en Game, die räumliche Ausgestaltung einer Hand-lung über eine »embedded narrative«,48 die die wesentlichen Informa-tionen einer die gegenwärtigen Ereignisse prägenden Background Sto-ry vermitteln kann. Dies wird von Jenkins in seinem Aufsatz am Bei-spiel von Detektivgeschichten und der auf die Vergangenheit verwei-senden Kulissen des Melodrams erläutert. In einer klassischen Krimi-nalgeschichte bringt die Rekonstruktion des Tatvorgangs sukzessive den Grund des Verbrechens zum Vorschein. In Melodramen wie Wut-hering Heights deutet ebenso wie im Gothic Horror der Zustand der verlassenen Häuser die dunklen Geheimnisse der Vergangenheit an, die die Gegenwart der Protagonisten bestimmen.

45 Schmidt, Oliver: Hybride Räume. Filmwelten im Hollywood-Kino der Jahrtau-

sendwende, Marburg: Schüren Verlag 2012, S. 208.

46 STAR WARS – THE OLD REPUBLIC (EA Games/LucasArts 2011, O: BioWare).

47 KING KONG (Neuseeland/USA 2005, R: Peter Jackson); KING KONG (Ubisoft

2005, O: Ubisoft Montpellier).

48 H. Jenkins: »Game Design as Narrative Architecture«, S. 481ff.

20 | ANDREAS RAUSCHER

Die räumliche Vermittlung einer dramatischen Hintergrundge-schichte hat in Videospielen inzwischen eine ebenso ausgeprägte Viel-falt an Umsetzungsformen wie im Film hervorgebracht: Das Adven-ture GONE HOME49 erinnert an einfühlsame Independent-Filme. Die Coming-Out- und Coming-of-Age-Geschichte einer jungen Frau wird über die von ihrer älteren Schwester im verlassenen Haus der Eltern vorgefundenen, mit 1990er Jahre Retro-Flair versehenen Gegenstände erzählt. In Rollenspielen wird die andeutende Mise en Game meistens verwendet, um zusätzliche Informationen über die weiter gefasste Spielwelt zu vermitteln. Schauplätze, über die nur in Aufzeichnungen berichtet wird oder deren Existenz durch Charaktere und Objekte an-gedeutet wird, können in späteren Erweiterungssets oder Sequels vor-kommen. In den Rollenspielen des Studios BioWare wie JADE EMPIRE, MASS EFFECT und DRAGON AGE dient diese Strategie als wichtiges ge-stalterisches Mittel, um die Weite der im Spiel nur in überschaubaren Teilbereichen zu bereisenden Welt zu vermitteln.50 In einzelnen Passa-gen werden schlaglichtartige Einblicke in die Vergangenheit genutzt, um wie in einem Melodram die tragische Vorgeschichte eines verfal-lenen Ortes zu erzählen. In einem der Add-Ons zu DRAGON AGE –

ORIGINS und in der Unterwelt des von asiatischen Wu Xia-Märchen beeinflussten JADE EMPIRE deuten die an Geistererscheinungen erin-nernden, räumlich umgesetzten Schatten der Vergangenheit noch zu sühnendes Unrecht an. Gordon Calleja weist auf eine wichtige Ergänzung zu Jenkins Katego-rie der ›embedded narrative‹ hin:

»Jenkins’s formulation does not, however, differentiate elements of embedded

narrative assembled in the mind of the player from those that are conveyed as

discrete narrative chunks, such as back-story or ongoing events portrayed

through cut scenes.«51

49 GONE HOME (The Fullbright Company 2013, O: The Fullbright Company).

50 JADE EMPIRE (Microsoft/2k Games 2005, O: BioWare); MASS EFFECT (Mi-

crosoft 2007, O: BioWare).

51 G. Calleja: In-Game, S. 120.

MISE EN GAME | 21

Die durch die Raumgestaltung angedeutete Hintergrundgeschichte kann emotional entsprechend intensiver wirken, wenn der Spieler Be-züge erkennt, die zwar nicht für das Gameplay und die Beherrschung der Spielmechanik relevant sind, aber zur emotionalen Wirkung der Atmosphäre beitragen und durch die Kenntnis bestimmter Genre-Codes zu einer mentalen Ausgestaltung der im Spiel enthaltenen Cha-rakterskizze animieren. Ein Beispiel hierfür sind die Hintergrundge-schichten der Gefährten in den BioWare-Rollenspielen, die meistens auf melodramatische Standardsituationen verweisen.

3. Ludonarrative Mise en Game – vergleichbar der filmanalytischen Erfassung eines einzelnen Szenenaufbaus umfasst die ludonarrative Mise en Game die Optionen zum Ausagieren einer ludischen Situation in einem bestimmten Abschnitt. Diese kann im Sinne des Ausspielens einer vorgegebenen Rolle (Acting) oder als von individuellen, unter Umständen auch gegen die ursprüngliche Spiellogik gerichteten Ei-genheiten (Performance) erfolgen.

4. Ludische Mise en Game – diese ruft die Begrenzung eines Spielfel-des, entweder als Arena oder als Labyrinth, deutlich ins Bewusstsein. Im Mittelpunkt steht das in einigen Fällen deutlich als wiederholbar gekennzeichnete und von Regeln bestimmte Spielgeschehen. Prototy-pische ludische Mise-en-Game-Strukturen finden sich in klassischen Arcade-Spielen, die analog zum filmischen ›Cinema of Attraction‹ auf einen Blick die Mechanismen und die Ziele des Spiels vermitteln. Die räumliche Umsetzung der Spiele ähnelt stärker den Anforderungen ei-nes Brettspiels als einem auf atmosphärische Stimmigkeit hin angeleg-ten Filmset. Die auf strategische Taktik und auf Gruppen-Management ausgelegten Dungeon-Crawls in den meisten Rollenspielen sind typi-sche Beispiele für eine ludische Mise en Game. Dass das besiegte Un-geheuer sich in einen Stapel Münzen und Heiltränke auflöst, bildet keinen wirklichen Widerspruch zur Logik der durch das Szenario dar-gestellten Welt, da es eindeutig um Spielziele, Hindernisse, Herausfor-derungen und Regeln geht.

In den meisten Videospielen, die auf Grund ihres Umfangs inzwischen ge-nerell zu hybriden Kombinationen aus mehreren Genres, wie etwa einem Racing-Game, einem Third-Person-Shooter und einem Exploration-Sandbox-Game in den GRAND THEFT AUTO-Spielen, tendieren, finden sich

22 | ANDREAS RAUSCHER

mehrere Formen der Mise en Game sequenziell zu einer topographischen Dramaturgie arrangiert. In Rollenspielen wechseln sich in der Regel eine vorgegebene Rahmenhandlung, ludonarrative Passagen, in denen die Spie-ler ihre moralische Gesinnung und das Verhältnis zu anderen Charakteren ausgestalten können, und ludische Szenarien ab, in denen es überwiegend auf Würfelglück und die richtige Taktik ankommt.

Michael Nitsche hält in seiner Abhandlung Video Game Spaces über den Unterschied zwischen der Konstruktion der filmischen und der ludi-schen Diegese fest:

»If a film audience were to step through the camera and onto the film set they would

see a modern film studio. The diegetic film world would be deconstructed as the

production studio replaces the fictional world. Instead of a ceiling there might be a

battery of light; where one would expect the fourth wall, there would be cameras,

sound equipment, and a number of technicians working to produce the illusion. This

space is not the world of the story but that of the production of the film.«52

Im Videospiel müssen sowohl im Unterschied zu den vorgegebenen

Rahmungen des Films, als auch zu traditionellen, in einem begrenzten Spielfeld angesiedelten, Spielen die räumlichen Strukturen als navigierbare Räume mit unterschiedlichen performativen, ludischen und narrativen Op-tionen bedacht werden. Die Mise en Game kann jenseits des durch den in-teraktiven Film beförderten ›Cinema Envy‹ dazu beitragen, dass die Ge-meinsamkeiten, aber auch die medienspezifischen Unterschiede zwischen den Kunstformen Film und Videospiel sich präziser definieren und disku-tieren lassen.

LITERATUR

Bordwell, David/Thompson, Kristin: Film Art. An Introduction, 8th Edi-tion, New York: McGraw Hill 2008.

Calleja, Gordon: In-Game. From Immersion to Incorporation, Cambridge: MIT Press 2011.

52 M. Nitsche: Video Game Spaces, S. 85.

MISE EN GAME | 23

Denson, Shane/Jahn-Sudmann, Andreas: »Digital Seriality: On the Serial Aesthetics and Practice of Digital Games«, in: Eludamos. Journal for Computer Game Culture, 7, 1 (2013), S. 1-32, http://www.eludamos. org/index.php/eludamos/article/view/vol7no1-1/7-1-1-html 

Egenfeldt-Nielssen, Simon/Tosca, Susana Pajares/Smith, Jonas Heide: Un-derstanding Video Games, New York u.a.: Routledge 2008.

Fullerton, Tracey: Game Design Workshop, New York: Elsevier 2008. Gibbs, John: Mise-en-scène. Film Style and Interpretation, London: Wall-

flower Press 2002. Jenkins, Henry: »Game Design as Narrative Architecture«, in: Katie Salen/

Eric Zimmerman (Hg.), The Game Design Reader. A Rules of Play An-thology, Cambridge: MIT Press 2006, S. 330-365.

Naremore, James: Acting in the Cinema, Berkeley: University of California Press 1988.

Neitzel, Britta: »Involvierungsstrategien des Computerspiels«, in: Game-scoop (Hg.), Theorien des Computerspiels. Zur Einführung, Hamburg: Junius 2012, S. 75-103.

Nitsche, Michael: Video Game Spaces, Cambridge: MIT Press 2008. Perkins, V.F.: Film as Film, Baltimore: Penguin 1972. Rauscher, Andreas: Spielerische Fiktionen. Transmediale Genrekonzepte in

Videospielen, Marburg: Schüren Verlag 2012. Schmidt, Oliver: Hybride Räume. Filmwelten im Hollywood-Kino der Jahr-

tausendwende, Marburg: Schüren Verlag 2012.

FILME ALIEN (GB/USA 1979, R: Ridley Scott) ALIENS – THE RETURN (USA 1986, R: James Cameron) ALIEN 3 (USA 1992, R: David Fincher) ALIEN – RESURRECTION (USA 1997, R: Jean-Pierre Jeunet) ALIEN VS. PREDATOR (USA 2004, R: Paul W.S. Anderson) E.T. – THE EXTRA TERRESTRIAL (USA 1982, R: Stephen Spielberg) FROM RUSSIA WITH LOVE – JAMES BOND 007 (GB 1963, R: Terence

Young) THE GODFATHER PART II (USA 1974, R: Francis Ford Coppola) GOLDFINGER – JAMES BOND 007 (GB 1964, R: Guy Hamilton) IL GRANDE SILENZIO (Italien 1968, R: Sergio Corbucci)

24 | ANDREAS RAUSCHER

KING KONG (Neuseeland/USA 2005, R: Peter Jackson) MCCABE AND MRS MILLER (USA 1971, R: Robert Altman) QUANTUM OF SOLACE – JAMES BOND 007 (GB 2008, R: Marc Forster) SCARFACE (USA 1982, R: Brian De Palma) SIGNAL TO NOISE (USA 2014, R: Zak Penn) STAR WARS EPISODE II – ATTACK OF THE CLONES (USA 2002, R: George

Lucas) THUNDERBALL – JAMES BOND 007 (GB 1965, R: Terence Young)

COMPUTERSPIELE

ALAN WAKE (Microsoft 2010, O: Remedy) ALIENS VS. PREDATOR (Fox Interactive 1999, O: Rebellion) ALIENS – COLONIAL MARINES (Sega 2013, O: Gearbox Software) AMNESIA – THE DARK DESCENT (Frictional Games 2010, O: Frictional

Games) DRAGON AGE – ORIGINS (EA Games 2009, O: BioWare) E.T. – THE EXTRA TERRESTRIAL (Atari 1982, O: Atari) FALLOUT (Interplay/Bethesda 1997, O: Interplay Entertainment) FROM RUSSIA WITH LOVE – JAMES BOND 007 (Electronic Arts 2005, O: EA

Redwood Shores) GONE HOME (The Fullbright Company 2013, O: The Fullbright Company) GRAND THEFT AUTO – VICE CITY (Take Two Interactive 2002, O: Rockstar

North) GRIM FANDANGO (LucasArts 1998, O: LucasArts) HALF-LIFE 2 (Valve/Sierra 2004, O: Valve) HALO: COMBAT EVOLVED (Microsoft 2001, O: Bungie) JADE EMPIRE (Microsoft/2k Games 2005, O: BioWare) KING KONG (Ubisoft 2005, O: Ubisoft Montpellier) L.A. NOIRE (Rockstar Games 2011, O: Team Bondi) MASS EFFECT (Microsoft 2007, O: BioWare) THE LAST OF US (Sony 2013, O: Naughty Dog) PLANESCAPE TORMENT (Interplay 1999, O: Black Isle Studios) RED DEAD REDEMPTION (Rockstar Games 2010, O: Rockstar San Diego) SPIDER-MAN – SHATTERED DIMENSIONS (Activision 2010, O: Beenox) STAR WARS – BOUNTY HUNTER (LucasArts 2002, O: LucasArts)

MISE EN GAME | 25

STAR WARS – THE FORCE UNLEASHED (LucasArts 2008, O: LucasArts/ Aspyr)

STAR WARS – THE OLD REPUBLIC (EA Games/LucasArts 2011, O: Bio-Ware)

STAR WARS – SHADOWS OF THE EMPIRE (LucasArts/Nintendo 1996, O: Lu-casArts)

THE GODFATHER II (Electronic Arts 2009, O: EA Redwood Shores) TOMB RAIDER (Square Enix 2013, O: Crystal Dynamics) TOMB RAIDER – LEGEND (Eidos Interactive 2006, O: Crystal Dynamics)