Die Beinkleider vom Rieserferner und die keltischen „bracas“

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Die Beinkleider vom Rieserferner und die keltischen „bracas“ 1

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Die Beinkleider vomRieserferner

und die keltischen „bracas“

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Vorgelegt von:

Florian MessnerSommersemester 2009

[email protected]

Einleitung

Der Rieserfernerfund bezeichnet den Fund von gut erhaltenen

hallstattzeitlichen Geweberesten in der Rieserfernergruppe in

Südtirol.

Zur genaueren Lokalisierung des Gebietes (siehe Abb. 1): Wir

befinden uns hier im Antholzertal, nahe der Rieserfernerhütte

am Gamsbichljoch. Dieses Joch stellt den Übergang zwischen dem

Antholzer- und dem Rein- bzw. Tauferer Ahrntal. Der

Textilkomplex befand sich etwa 200 Meter westlich der Hütte,

auf einer Meereshöhe von 2.841 m.

Fundgeschichte

In den Jahren 1992 und 1994 fand Gottfried Leitgeb, der Wirt

der Rieserfernerhütte, nahe der Schutzhütte in ausgeapertem

Gebiet mehrere Gewebe unbekannten Alters (Strumpf), die

anschließend vom Amt für Bodendenkmäler untersucht wurden. Bei

den Untersuchungen kamen noch weitere Objekte zum Vorschein

(Abb. 2 und 3). Insgesamt handelte es sich um ein Paar

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„Socken“, zwei Paare Beinkleider, sowie verschiedene Schnüre

und Lederreste. Die Beinkleider waren teilweise in

hervorragendem Zustand und Proben dieser Bekleidungsreste

wurden von der ETH Zürich mittels der Radiokarbonmethode auf

ihr Alter bestimmt. Diese Untersuchungen brachten nun eine

Sensation zu Tage: Die Beinkleider stammen aus der älteren

Eisenzeit (Hallstattzeit) und sind etwa 2.500 – 2.800 Jahre

alt.

1994 wurde das Fundgebiet unterhalb des Gamsbichljoches

archäologisch mittels Georadar untersucht. Dabei konnten,

abgesehen von einigen Schnüren und Lederresten, keine weiteren

Kleiderreste entdeckt werden. Auffallend war auch, dass keine

menschlichen Knochen gefunden wurden.

Die Kleider wurden in Bozen restauriert und auch vom Labor für

Archäobiologie in Como genauer untersucht.

Die einzelnen Kleidungsstücke

Alle der aufgefundenen gewebten Textilien sind aus Wolle

gefertigt, allerdings nicht aus Schafwolle, sondern aus Wolle,

die von Ziegen stammt.

a) Das erste Paar Beinlinge (Abb. 4) besteht aus Leinenbindung

und ist 64 cm lang, mit einem Höchstdurchmesser von 34 cm. Die

Leggings weisen unten jeweils eine Lasche auf, um den Fußspann

zu schützen. Beide Stücke bestehen aus je einem Teil, das

umgebogen und zusammengenäht wurde. Teilweise sind noch zwei

braunrote Borten appliziert.

b) Das zweite Paar Beinlinge (Abb. 5) besteht aus einem

schwereren Stoff und ist mit einer anderen Technik

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(Spitzköperbindung) gewebt. Im Detail sieht man eine

Flickstelle im Kniebereich (Abb. 6), wo zwei verschiedene

Gewebearten (erkennbar durch verschiedene Farben)

zusammengenäht wurden. Der Kniebereich ist mit einem Stoff aus

Leinenbindung verstärkt, wobei diese Bindung aber nicht mit

derjenigen des ersten Legging-Paares identisch ist. Die

Schnüre, die man am rechten Exemplar erkennen kann, dienten

wahrscheinlich zur Befestigung des Objektes am Fuß.

c) Beide Exemplare der Wollschuhe oder „Socken“ (Abb. 7)

bestehen aus Leinenbindung und sind aus verschiedenen Streifen

zusammengenäht. Das rechte Exemplar ist in einem sehr guten

Zustand, während man das linke nur aus dem Zusammenhang als

Schuh bezeichnen kann. Die Oberfläche der Socken ist leicht

verfilzt, was auf Wasserkontakt schließen lässt, wie etwa bei

Hochgebirgstouren über Gletscher. Die Verfilzung könnte aber

auch auf den Versuch zurückzuführen sein, Wasser abzuweisen um

trockenen Fußes Gletscher zu überqueren.

Auf diesen Bildern erkennt man leider nicht, dass der rechte

Schuh mit einem Faden genäht wurde, der noch heute deutliche

Spuren einer Blaufärbung trägt.

d) Des weiteren fanden sich mehrere Fragmente aus Leder (Abb.

8), die Dal Ri als Überschuhe für die „Socken“ interpretiert.

Diese Überschuhe dienten wohl dem Schutz der „Socken“ vor

Beschädigung und Nässe.

Interpretation

Das Bemerkenswerte am Rieserfernerfund ist die Auffindung eines

kompletten Satzes Unterbekleidung, welches seinesgleichen

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sucht, denn z.B. aus Hallstatt wurden vor allem Gewebe in

Zweitverwendung geborgen. Leggings wurden auch schon 2.000

Jahre früher im Hochgebirge getragen, das zeigt die

Beinbekleidung von Ötzi, der Leggings aus Ziegenleder besaß.

Die Kleidungsstücke haben in etwa dieselbe Größe und bilden ein

Ensemble. Sie wurden wahrscheinlich alle übereinander getragen,

um eine möglichst gute Kälteisolation zu erreichen. Die Schnüre

könnten zur Befestigung der Stücke der Socken als auch der

Leggings am Gürtel gedient haben. Die Lederreste stammen

wahrscheinlich von Überschuhen.

Das Fehlen jeglicher menschlicher Knochen könnte bedeuten, dass

die Kleider gewechselt und zurückgelassen wurden.

Auszuschließen ist aber auch nicht, dass sich im Gletscher noch

ein Leichnam befindet, oder dass es sich um eine rituelle

Hinterlegung der Kleidung (z. B. aufgrund einer erfolgreichen

Jochüberquerung) handelt.

Auffallend sind die zahlreichen Flickstellen und die

Unterschiede in der Machart zwischen den einzelnen Stücken, was

auf eine Lebensweise des Trägers fern menschlicher Zentren

(z.B. Hirte) hinweisen könnte.

Die geographische (15 km) und zeitliche Nähe (ebenfalls

Hallstattzeit) zum Gräberfeld von Niederrasen (Windschnur)

lässt darauf schließen, dass der Besitzer der Kleidung

zumindest Kontakt mit der dortigen Bevölkerung gehabt hat. Im

dortigen Gräberfeld sind nämlich auch Steigeisen, die für

solche Hochgebirgstouren vonnöten waren, gefunden worden.

Heute wird der Rieserfernerfund im Südtiroler Archäologiemuseum

von Bozen ausgestellt.

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Keltische bracas

Die Bezeichnung „Bracas“ geht auf den römischen Schriftsteller

Diodorus Siculus (kurz Diodor) zurück, der im Jahre 54 v. Chr.

eine Universalgeschichte schrieb, in der er auch die Kelten

erwähnt. Laut Diodor gehörten trugen Kelten bestickte Hemden in

unterschiedlichen Farben. Zu diesen Hemden trug man Hosen,

deren Muster und Farbe leider nicht erwähnt wird. Allerdings

waren die Mäntel der Kelten gestreift und mit einem dichten,

mehrfarbigen Karomuster verziert. Deshalb werden bei heutigen

Rekonstruktionen oft karierte Hosen verwendet.

Die Form der Hosen war unterschiedlich. Funde zeigen

verschiedene Varianten wie knöchellange, aber auch knielange

kurze Hosen.

Laut Polybius war besonders die Kniehose seit dem 2.

Jahrhundert v. Chr. in Gallien im alltäglich. Die römischen

Schriftsteller, denen Hosen fremd waren, sprachen deswegen

häufig von „Gallia braccata“, dem behosten Gallien.

Funde von kompletten Hosen aus dieser Zeit sind Mangelware,

weswegen hier auf einige Exemplare eingegangen wird, die von

Moorleichen aus Nordeuropa stammen. Die Hosen von Marx-Etzel

und Dätgen stammen zwar aus dem germanischen Kulturkreis und

wurden nach Christi Geburt gefertigt. Allerdings wird sich die

germanische nicht grundlegend von der keltischen Hose

unterschieden haben, da die Hose ja eine Allzweckform

darstellt.

Die Hose der Moorleiche von Marx-Etzel (Ostfriesland-

Niedersachsen), die ins erste bis dritte Jahrhundert nach

Christus datiert, besteht aus einem einzigen Tuchstück, das

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umgelegt und vernäht wurde. Wegen dieser einfachen

Herstellungsart war diese Hose im Bund sehr weit. Sie musste

deshalb stark in Falten gelegt, oder mit einem Gürtel gehalten

werden (siehe Abb. 9)

Die Moorleiche von Dätgen (Schleswig-Holstein) stammt aus dem

zweiten bis dritten nachchristlichen Jahrhundert. Und wurde

1959 entdeckt. Bei den gut erhaltenen Textilien der Leiche

handelt es sich unter anderem um eine kurze Hose, die aus

mehreren Teilen besteht. Wegen dieses aufwändigeren Schnittes

kann die Dätgen-Hose der Körperform besser angepasst werden

(siehe Abb. 10).

Erwähnt werden soll noch eine exemplarische Abbildung, die auf

einer Schwertscheide aus Grab 994 in Hallstatt (frühe

Laténezeit) stammt (siehe Abb. 11).

Die Scheide ist mit einer figürlichen Ritzverzierung

geschmückt, die mehrere Personen und deren Hosen darstellt. Die

Beinkleider bestehen aus übereinander angeordneten

Stoffstreifen, die unterschiedlich gemustert sind und bis zur

Taille reichen. Diese hosenähnlichen Kleidungsstücke werden

unterschiedlich gedeutet. Die Meinungen reichen von einer

bloßen Ornamentierung, über Beinwickel bis zu eng anliegenden

gemusterten Hosen. Laut Kurzynski ist die Interpretation als

Beinwickel unwahrscheinlich, da keine Halterungen abgebildet

sind und für reine Ornamente sind die „Hosen“ zu detailliert.

Wahrscheinlich handelt es sich um eine strumpfhosenartige

Bekleidung.

Abbildungen

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Abbildung 1: Die Lokalisierung der Fundstelle

Abbildung 2:

Untersuchungen am

Gamsbichljoch

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Abbildung 3: Umzeichnung des Textilkomplexes Abbildung

4: „Leggings“ aus Leinenbindung

Abbildung 5: „Leggings“ aus

Spitzgratköper

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Abbildung 6:

Detailansicht

Abbildung 7: Die beiden

Wollsocken

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Abbildung 8: Eines der Lederfragmente

Abbildung 9: Schnittzeichnung der

Hose von Marx Etzel

Abbildung 10:

Schnittzeichnung der Hose von

Dätgen

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Abbildung 11: Detail der Schwerscheide aus Hallstatt

Bibliographie

Bazzanella, Marta, Lorenzo Dal Ri, Alfio Maspero und Irene

Tomedi 2005: Iron Age Textile artefacts from

Rieserferner/Vedretta di Ries (Bolzano/Bozen – Italy), in:

Hallstatt Textiles. Technical Analysis, Scientific

Investigation and Experiment on Iron Age Textiles, BAR

International Series 1351, S. 151-160.

Demetz, Stefan, Reimo Lunz, Luzia Brunner Renzler 1997: Urne,

Beil & Steigeisen. Archäologie in Rasen-Windschnur und der

rätselhafte Rieserfernerfund.

Dal Ri, Lorenzo 1996: I ritrovamenti presso il rifugio Vedretta

di Ries/Rieserferner nelle Alpi Aurine (2850 m s.l.m.), in:

Rivista di Scienze Preistoriche 47, 1995-96, S. 367-388.

Gleba, Margarita 2008: Textile Production in pre-roman Italy,

Ancient Textiles Series Vol. 4.

Kurzynski, Katharina von 1996: "... und ihre Hosen nennen sie

bracas". Textilfunde und Textiltechnologie der Hallstatt- und

Laténezeit und ihr Kontext. Internat. Arch. 22.

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Lunz, Reimo 2005: Archäologische Streifzüge durch Südtirol.

Band 1, Pustertal und Eisacktal.

http://www.germanenleben.de/ausstattung/kleidung/kleidung.htm,

Zugriff: 5. Juli 2009.

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