Design-System-Theorie. Überlegungen zu einem systemtheoretischen Modell von Designtheorie.

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DESIGN - SYSTEM - THEORIE Überlegungen zu einem systemtheoretischen Modell von Design-Theorie Wolfgang Jonas Bergische Universität Gesamthochschule Wuppertal Fachbereich 5, Design (22. Oktober 1993)

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DESIGN - SYSTEM - THEORIEÜberlegungen zu einem systemtheoretischen Modell von Design-Theorie

Wolfgang JonasBergische Universität Gesamthochschule WuppertalFachbereich 5, Design

(22. Oktober 1993)

Design - System - Theorie 4_______________________________________________________________

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Vorwort des Herausgebers

"Der gesunde Verstand ist die bestverteilte Sache der Welt;denn jedermann glaubt, so wohl damit versehen zu sein, daßselbst einer, der in allen anderen Dingen nur sehr schwer zubefriedigen ist, für gewöhnlich nicht mehr davon wünscht, alser besitzt. Daß sich hierin alle täuschen, ist nichtwahrscheinlich." So beginnt René DESCARTES 1637 seinen Discoursde la Méthode, seine Abhandlung über die Methode des richtigenVernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung. Und erfährt fort: " ... es genügt nicht, gesunde Geisteskräfte zuhaben, die Hauptsache ist, sie gesund zu gebrauchen."

Vermutlich verhält es sich mit dem "guten Geschmack" ähnlichwie mit dem "gesunden Menschenverstand."

Sicherlich sind beide notwendige Voraussetzungen für gutes underfolgreiches Design, aber genauso sicherlich sind sie dafürheute auch nicht mehr hinreichend, nicht mehr ausreichend. Erstmit der kritischen Reflektion unserer Erfahrungen beginnenunsere Erkenntnisse, aus implizitem Wissen werden so expliziteErkenntnisse. Ordnen wir letztere schließlich noch systema-tisch, nämlich nach ihren Begründungs- undWirkungszusammenhängen, so gelangen wir zu Theorien, zuGedankengebäuden.

Dies gilt auch für unsere Gedanken über Design, also fürDesigntheorie. Ihre Inhalte sind universell: Sie umfaßt alles,was sich denkend, erkennend und argumentierend mit Design aus-einandersetzt: Ziele, Inhalte, Methoden; Wesen und Ursachen;Beurteilung und Begründung; Geschichte, Gegenwart und Zukunft;Theorie, Praxis, Forschung und Ausbildung; beruflicheAusdifferenzierung und allgemeine Grundlagen; IndustrialDesign, Kommunikationsdesign und alle Bindestrich-Designs;

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Logik, Ethik und Ästhetik; Ökonomie und Ökologie; Ideologie,Weltbild und Berufsbild; Selbstverständnis zwischen Kunst undWissenschaft, zwischen Handwerk und Industrie, zwischenProduktion und Dienstleistung.

Allgemeines Ziel jeder Designtheorie ist es, Design-Praxis zuverstehen und zu verbessern, also das jeweils Richtige zubewahren und zu erhalten und das jeweils Falsche zu beseitigen.

Die Methoden, die dazu hilfreich sind, sind vielfältig,meistens interdisziplinär.

Die Reihe DESIGNTHEORIE will solche Gedankengebäudeveröffentlichen und zur Diskussion stellen, sie versteht sichals Dienstleistung für die Design-Praxis.

Prof. Dr. Dr. h.c. Siegfried Maser

Es gibt bis heute keine allgemein anerkannte, konsistente Designtheorie; es bestehtnicht einmal ansatzweise Konsens zur Frage, was Designtheorie sein könnte.Andererseits gibt es zahlreiche "Designtheorien", teils parallel existierend, teilseinander in schneller Folge ablösend. Auch diese Arbeit erhebt nicht den Anspruch,die von einigen langersehnte, von vielen für unmöglich erklärte und von den meistenPraktikern als eher überflüssig empfundene Theorie zu liefern. Sie präsentiertÜberlegungen zur Entwicklung einer Begrifflichkeit, die geeignet sein könnte, denstrukturellen und prozessualen Rahmen einer erst noch zu erarbeitenden Theorie desEntwerfens zu bilden. Dieser Rahmen sollte das Abstraktions- und Reflexionsniveaueiner Wissenschaftstheorie besitzen. Er schafft damit die Distanz und dieerforderlichen begrifflichen Hilfsmittel zur produktiven Kritik, Reflexion undNeuordnung der vorhandenen Theorie- und Methodikelemente. Konsequenzen aufder Ebene des praktisch-disziplinären Handelns werden angedacht und sind inweiteren Schritten zu präzisieren. Zur Konstruktion dieses Theorierahmens scheinenElemente der Systemtheorie, insbesondere der Theorie selbstorganisierenderSysteme, der operativen Erkenntnistheorie (second order cybernetics) und der hand-lungsorientierten Kognitionswissenschaften geeignet zu sein.

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Abb. 0: Bildgalerie, Lithographie von M.C. Escher, 1956. Haags Gemeentmuseum, Den Haag.

Inhalt 9___________________________________________________________________________

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Wolfgang Jonas

DESIGN - SYSTEM - THEORIE

Überlegungen zu einem systemtheoretischen Modell von Design-Theorie

Inhalt Seite

Einführung..........................................11- Problemfeld und Arbeitsperspektive.......................12- Eine Art Gebrauchsanweisung............................15- Vorverständnisse.....................................16

1 DESIGNTHEORIEN......................................27

1.1 Designtheorien - exemplarisch.......................28- Selbstdarstellungen...................................28- Probleme und "Lösungs"-Ansätze.........................31- Konstruktionstheorien in Deutschland (Engineering Design)......36- Designtheorien in Deutschland (Industrial Design).............41- Entwurfstheorien in England (Design)......................48

1.2 Theoriendynamik - exemplarisch......................50- "Function follows form" und andere Parolen.................50- "Funktionalismus" und "Produktsemantik"..................54- Sinn durch Dinge?....................................59- Zum Zweck von Design.................................61- Theorieentwicklung als Sinnproduktion für die Disziplin?........63

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2 EIN NEUER ANSATZ....................................69

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen...............74- Systembegriff und Systemtheorien........................74- "Klassische" und "evolutionäre" Theorien: ein Gegensatz?........82- Systemtechnik und System Dynamics.......................93- Systemdenken: Systembildung, Modellbildung, Theoriebildung....98- System und Wirklichkeit...............................105

2.2 Operative Erkenntnistheorie als Denkweise..........112- Grundbegriffe......................................112- Sprache und Kommunikation ..........................116- Beobachtung, Erkenntnis und "blinder Fleck"................119- Sprachliche Ebenen und Beobachtungsebenen..............124- Fazit und Fragen zum Konstruktivismus....................129

3 SOZIOTECHNISCHE SYSTEME............................133

3.1 Soziale Systeme....................................134- Soziologische Systemtheorie............................135- Kausalität, Determinismus und Freiheit....................144- Zur Beeinflußbarkeit sozialer Systeme.....................151- Zweckrationalität und Planung..........................157- Planung und Bedürfnisbefriedigung......................166

3.2 Modelle sozialer Systeme...........................172- Design-externe Ansätze...............................172- Design-interne Ansätze................................183- Ropohls "Systemtheorie der Technik"......................188

4 SYSTEMTHEORIE UND DESIGN...........................193

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System............196- Entwerfen als Problemlösung?..........................197- Der Zyklus der Produktkommunikation....................203- Wert, Verantwortung und "transklassische Wissenschaft".................210- Das Gesamtmodell...................................219- Systemebenen des Entwerfens..........................227

4.2 Die Praxis: Entwerfen auf dem Weg zum System?......234

Inhalt 11___________________________________________________________________________

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- Veränderte Randbedingungen..........................234- Ändern sich die Artefakte? .............................241- Ändern sich die Menschen?.............................247- Ändert sich die Disziplin?..............................250- Neue transdisziplinäre Netzwerke........................255- Perspektiven: Die neue Rolle von Design...................265

Zusammenfassung....................................269

Anhang: Simulationsmodelle.........................271- Sim Earth (LOVELOCK)................................272- World3 (MEADOWS)..................................273- System Dynamics - Software (Stella II).....................274- Beispiele mit Stella II: Emergenz- und Attraktorverhalten.......278

Literatur..........................................287

Dank...............................................299

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Einführung

"There are plenty of good designerswho have no difficulty at allin producing the right answers,if only they are asked the right questions."

Bruce Archer (1965)

Einführung 13___________________________________________________________________________

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ZyklischerAttraktorQuelle:Kunick / Steeb

Die Einführung gibt zunächst einen Überblick über dasProblemfeld, in dem sich die Arbeit bewegt und skizziert denTheorierahmen und die Linie der Argumentation. Der zweiteAbschnitt erläutert die Verwendung der Begriffe Design undKonstruktion und liefert eine Art von Gebrauchsanleitung zumUmgang mit den vier Hauptkapiteln des Textes. Der letzteAbschnitt der Einführung thematisiert das der Fragestellung undder Vorgehensweise zugrundeliegende Vorverständnisindividueller und historisch-soziokultureller Art.

Problemfeld und Arbeitsperspektive

Entwerfen ist Planung zukünftigen Handelns. Entwerfen hat (nebenvielen anderen) konstruktive und gestalterische Aspekte. Entwerfenist ganz wesentlich auch selbst soziale Handlungspraxis. EineTheorie des Entwerfens umfaßt sprachliche Aussagen, die dieseHandlung beschreiben, die sie begründen, im Voraus, und sierechtfertigen oder kritisieren, im Nachhinein.

Die Konstruktionstheorie bietet, zumindest im deutschsprachigenRaum, heute ein überschaubares Bild. Sie gruppiert sich um dasmethodisch-normative, von CROSS und ROOZENBURG (1991) sogenannte Konsensmodell der Richtlinie VDI 2221 (1985). Man istzwar keineswegs uneingeschränkt zufrieden mit diesem um-fassenden und weitgehend problemneutralen Modell, aber auchkritische Auseinandersetzungen mit dem Thema und Weiterentwick-lungen orientieren sich überwiegend an diesem Theorie-Kern alsAusgangsbasis. Wollte man den Begriff nicht dem engeren Bereichder Wissenschaft vorbehalten, so könnte man hier fast im Sinnevon KUHN (1962) von einem Paradigma der Konstruktionslehresprechen.

Im Design ist die Lage erheblich unübersichtlicher. Es gibtzwar die an der VDI 2221 orientierte methodische RichtlinieVDI/VDE 2424 für das Industrial Design, diese kann aber keines-

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falls als konsensfähig bezeichnet werden. Designtheorie ist heutemeist reduziert auf die praxisorientierte Beschreibung desstatus quo und die Organisation der Anpassung der Disziplin ankurzfristig absehbare Veränderungen des ökonomischen undtechnischen Umfeldes. Der schnelle Theorienverschleiß (dieZiele ebenso wie Inhalte und Methoden betreffend) und dieeifrige Besetzung immer neuer Arbeitsgebiete - derzeit wiedersichtbar unter dem Schlagwort Interface-Design - sind Indiziendafür. Besonders ins Auge fällt die verbreitete und sehr pau-schale Verabschiedung sogenannter rationalistischer Theoriender Moderne oder dessen, was man dazu erklärt. Häufig wirddieser ganze Begriffskomplex kurzerhand gleichgesetzt mit dernaturwissenschaftlich orientierten Theoriebasis des momentannicht gerade geachteten Funktionalismus Ulmer (HfG) oder Des-sauer (Bauhaus) Provenienz. Die Hinwendung zu "postmodernen"Denkweisen erleichtert den Umgang mit den akuten und nicht zuübersehenden Problemen der Welt. Man gestattet sich - dies istder häufig vermittelte Eindruck - diese als weitestgehend au-ßerhalb der eigenen Beeinflußbarkeit stehend zu sehen und siedamit praktisch zu übersehen. Die Dinge stehen weiterhin imMittelpunkt; der Horizont ist weitgehend verengt auf das Ziel,den Dingen Sinn zu geben bzw. - in der entwickelteren Version -die Sinnkonstruktion der Braucher in ihrer Beziehung zu denDingen zu unterstützen. Die Etiketten heißen "Produktsemantik"oder "Theorie der Produktsprache". Hermeneutik und Phänomeno-logie dienen, zumindest im deutschsprachigen Raum, alswesentliche Methoden dabei. Anders orientierte einzelwissen-schaftliche Ansätze erscheinen, unabhängig von ihrer jeweiligenAusgangsdisziplin, in ihrer Perspektive zu stark eingeschränkt.Neuere Hinweise auf die Notwendigkeit disziplinübergreifenderAnsätze sind auffallend selten und noch recht vage (vgl. etwaOEHLKE 1982, 1990 oder KRIPPENDORFF 1989a,b, 1991).

Frühe systematische Überlegungen zur Frage, wie eine De-signtheorie aussehen könnte, stammen von MASER (1972). Siepaßten damals nicht in die Atmosphäre der beginnendenFunktionalismuskritik und sind bis heute in ihrer Bedeutung undpotentiellen Ergiebigkeit nicht erkannt worden, wie ihreKommentierung (etwa bei BÜRDEK 1991a) zeigt. Möglicherweiseliegt dies an der verbreiteten "Theoriephobie" unter Designernbzw. dem freiwilligen Rückzug in die disziplinären "Kleingär-

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ten" derjenigen Praktiker, die sich nebenher theoretisch mitihrer Disziplin befassen. Die MASERschen Überlegungen werden inKap. 4 intensiver aufgenommen, da sie zum einen zahlreichetheoretisch weiterhin fruchtbare Ansätze enthalten und da sich- dies erscheint wichtiger - ihre praktische Bedeutung zurHandlungsplanung im Kontext immer komplexerer Rahmenbedingungenerst heute in aller Deutlichkeit zeigt.

Designtheorie scheint befangen in ihrer kurzen, aberturbulenten Geschichte, in ihrer wenig reflektiertenVerflechtung mit Wirtschaftsprozessen und in ihrer derzeitungeliebten und daher gern verdrängten Verbindung mit Technikund Ingenieurwissenschaften. Erforderlich ist eine Neufun-dierung auf einem theoretischen Niveau, das zum einen der He-terogenität und Komplexität des Gegenstandes angemessen ist unddas darüberhinaus die derzeit verfügbaren wissenschaftlichenMethoden konsequent verwendet.

Entwerfen ist konstitutives Element menschlicher Kognitions-,Kommunikations- und Handlungsprozesse. Die Tätigkeit desEntwerfens ist eng gekoppelt an die Funktionen, welche dieProdukte und der Umgang mit ihnen innerhalb dieser gesell-schaftlich-kulturellen Prozesse besitzen. Und diese Funktionensind offenbar niemals nur rational gewesen. Aber dierationalistische (oder wie immer man sie sonst nennen will)Tradition der europäischen Aufklärung ist zu wertvoll, zu er-giebig und zu wenig ausgeschöpft, um sie im Blick aufDesigntheorie einfach fallenzulassen. Auch diejenigen, die diespropagieren, tun es nicht wirklich und können es nicht wirk-lich, denn es gibt keine brauchbare Alternative dazu. Auch dieGeisteswissenschaften, als späte Abspaltung von der einst allesumfassenden (Natur-) Wissenschaft, sind ein Element dieser Ent-wicklung und ohne sie buchstäblich nicht denkbar. Es liegtnicht an dieser Theorientradition, daß die Welt heute sounübersichtlich und problematisch ist, sondern eher an der Ge-schichte der Praxis, die wir alle selber mitgestalten und derenProdukte - entgegen anderslautenden Idealisierungen - u.a. auchdie Wissenschaften sind.

Ich plädiere für den schmalen Mittelweg, der vielleicht zurGratwanderung wird: Es erscheint am aussichtsreichsten, dieZersplitterung, das Chaos, die scheinbare Nichtbeeinflußbarkeit

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der Dynamik der "postmodernen" Welt zu akzeptieren und dennochnicht in pragmatisch-kurzsichtige Denkblockaden hedonistischerbis fatalistischer Ausprägung zu verfallen, sondern an denaufklärerischen Utopien der Moderne und den Reflexionspoten-tialen rationalistischer Denkweisen festzuhalten und mit ihnen- skeptisch aber sorgfältig - weiterzuarbeiten. Geradenaturwissenschaftliches Denken liefert heute Mittel, auch überkomplexe, scheinbar chaotische Prozesse nachzudenken. Und,vielleicht noch wichtiger, es liefert Argumente zur Aufhebungdes Dualismus von Natur- und Geisteswissenschaften, mit desseneiner Seite die aktuellen Designtheorien gerade so heftigkokettieren. Stichworte hierzu sind: Die Theorie der"Beobachtung von Beobachtungen" (2nd order cybernetics,Operative Erkenntnistheorie, Radikaler Konstruktivismus), dieTheorie dynamischer Systeme (kybernetische und insbesondereSelbstorganisationstheorien) und das sehr integrationsgeeigneteSpektrum der Kognitionswissenschaften (Cognitive Sciences). Eindarauf basierender systemtheoretisch orientierter Ansatzkonstruktivistisch-operationalistischer Ausrichtung, der in derTerminologie der Mathematik (vgl. den ."Grundlagenstreit"Intuitionismus / Operativismus vs. Formalismus / Logizismus)auch als intuitionistisch gekennzeichnet werden könnte,- liefert den begrifflichen Rahmen für die inter- /transdisziplinäre Behandlung von Entwerfen,- scheint geeignet, die komplexen Interdependenzen und dieDynamik transparent und damit erfaßbar und möglicherweisebeeinflußbar zu machen,- kann zur Entwicklung eines disziplinären Selbstverständnissesvon Design beitragen,- kann zur Grundlage eines erweiterten Planungsinstrumentariumsentwickelt werden- und vermeidet objektivistisch-dogmatische Ansprüche und diedamit verbundene Gefahr der Ideologisierung.

Inhaltlich geht es um die Fundierung der folgendenArgumentationslinie, die sich in Form von 10 Thesenzusammenfassen läßt:1) Design wirkt (bisher in ausführender Funktion) mit bei derGestaltung sozialer Systeme.

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2) System(at)isches Denken ist im Design wenig verbreitet.Design braucht mehr "Systemdenken". 3) Die kybernetische Systemtechnik reduziert soziale Systemeauf regelbare Sachsysteme; dies wird bei ihrer Anwendung zuwenig reflektiert.4) Die Gefahr einer wiederbelebten Systemtechnik im Designbesteht in der erneuten Proklamation einer Ideologie derMachbarkeit. 5) Die evolutionäre Systemtheorie ist geeignet, soziale Systemezu beschreiben. Sie fungiert primär als Wahrnehmungs- undDenkweise, nicht als Handlungvorschrift.6) Die evolutionäre Systemtheorie in Verbindung mit einerkonstruktivistischen Erkenntnistheorie relativiert die Idee derSteuerbarkeit und Optimierbarkeit.7) Gesellschaft ist immer mehr als dynamisches Netzwerkinteragierender Teilsysteme statt als relativ statischeHierarchie beschreibbar.8) Design muß autonomes und gleichzeitig eingebundenesTeilsystem werden, um verantwortlich und kompetent agieren zukönnen.9) Aktive Neuorientierung ist erforderlich: Das "Vor-Denkenmöglicher Welten" statt "Das Machbare machen", "Problem-Design"statt "Lösungs-Design".10) Damit entsteht eine weiterentwickelte Disziplin, die denzukünftigen Anforderungen besser gewachsen ist.

Das Vorgehen ist in gewisser Weise zirkulär und deshalb imSinne herkömmlicher Wissenschaftstheorie angreifbar. Siebeschreibt Entwerfen, zunächst vielleicht überraschend, ineiner systemtheoretischen Begrifflichkeit. Das ermöglicht dieKonstruktion systemischer Merkmale und Zusammenhänge, diewiederum die Begrifflichkeit rechtfertigen. Dies erscheintzulässig, weil es nicht darum geht, ein Modell von Entwerfenmit dem Anspruch zu präsentieren, die "Realität" entsprechediesem Modell. Es passiert keine unzulässige Vermischung vonEmpirie und Theorie; vielmehr geht es um das prototypischeModell einer Theorie, die in bezug auf das empirisch faßbareEntwerfen zunächst den Charakter einer Metapher hat. ImWechselspiel mit der Empirie soll die Theorie präzisiert wer-den; dies wäre ein wünschenswerter Effekt dieser Arbeit. Es

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wird also keine Lösung zur unmittelbaren Verbesserung derHandlungspraxis des Machens präsentiert, sondern die Brauchbar-keit (die kommunikative Anschlußfähigkeit) einer Hypothese zurDiskussion gestellt. Sehr wohl relevant ist dies jedoch für diedas Machen begleitende Reflexionspraxis und insbesondere für diereflektierende Handlungspraxis des Lehrens.Eine Art Gebrauchsanweisung

Zur Abgrenzung des Handlungsfeldes: Die Rede impliziertzunächst zwei idealtypische Disziplinen Design und Konstruktion, diees in der Praxis so vermutlich gar nicht gibt. Ihre Darstellungist pointiert und zuweilen überzeichnet. Sie ist geeignet zumAufzeigen der emotionsgeladenen Polarität von Abstoßung(Betonung der Unterschiedlichkeit) und Anziehung (Verbindungenund Gemeinsamkeiten). Das Spannungsverhältnis Gestalter -Ingenieur ist allgemein bekannt, wird in der Praxis viel dis-kutiert und dient damit als plausibler Ausgangspunkt zumEinstieg in das Problemfeld und als Aufhänger für Kritik.

Real geht es in dem angesprochenen Feld um den Entwurfkomplexer technischer Produkte und Systeme (Konsum- undInvestitionsgüter), um Aufgaben, an denen Ingenieure und Indu-strial Designer schon immer zusammenarbeiten mußten. Es gehtnicht um kunsthandwerklich geprägte Design-Felder (Mode,Textilien, Schmuck, Hausrat, etc.).

Perspektivisch ist die zu entwickelnde neue Sicht von Entwerfenals Planung zukünftigen Handelns im Bereich komplexer sozialerUmfelder (Arbeit, Verkehr, Wohnen, Freizeit, Gesundheit, etc.).Dies betrifft u.a. die traditionellen Disziplinen Design (IDund KD), Ingenieurwesen, Stadtplanung, Architektur; außerdemneue Disziplinen wie Umweltplanung, Zukunftsforschung u.v.a.m.Die Polarisierung Design - Konstruktion wird damit obsolet.

Es folgt nun eine Übersicht über den Text und so etwas wieeine Anleitung zu seiner Handhabung:

Kapitel 1.1 gibt einen collageartigen Überblick überTheorieansätze der unterschiedlichsten Herkunft, speziell unterdem Aspekt des "Systemdenkens". Zur Kategorisierung werden"deutsche" und "englische" sowie konstruktionsorientierte undgestaltungsorientierte Ansätze unterschieden. Kapitel 1.2versucht anhand zweier beobachtbarer Theorieausprägungen eineerste hypothetische Verallgemeinerung des Vorgangs der Theo-

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riebildung und des Theoriewandels unter den Bedingungen derDualität der disziplininternen Dynamik und der Dynamik desgesellschaftlichen Umfelds. Die Schlußfolgerung besteht darin,daß die Systemtheorie in einer gegenüber der Kybernetikerweiterten Form als strukturell-prozessualer Rahmen geeignetist, daß sie jedoch einer erkenntnistheoretischen Fundierungbedarf.

Kapitel 2.1 liefert die Erweiterung der kybernetischen Systemtheoriedurch die vielfältigen Theorien der systemischenSelbstorganisation. Kapitel 2.2 führt die Operative Erkenntnistheorieals geeignete Basis zur nötigen Klärung des Systemstatus ein.Erweiterter Systembegriff und Operative Erkenntnistheoriebedingen einander (denkbar ist auch die Sicht des ersten alsTeil der zweiten), ihre Einführung muß hier jedoch notgedrungennacheinander erfolgen.

Kapitel 3.1 führt die auf beiden genannten Grundlagenstehende soziologische Systemtheorie ein. Die soziologischeAusprägung des zunächst anwendungsneutralen Systembegriffsscheint im Hinblick auf die angestrebte Sicht von Entwerfen alssozialem Teilsystem am geeignetsten zu sein. Kapitel 3.2fokussiert den Blick weiter und präsentiert einige wichtige An-wendungen der soziologischen Systemtheorie im Design und in seinemUmfeld.

Kapitel 4.1 beschreibt das Modell von Entwerfen als sozialemTeilsystem. Hier wird das Raster präsentiert, in welchesgeeignete Theorieelemente eingebaut werden können. Es ist soangelegt, daß das Auswechseln der Theoriestücke möglich ist,ohne daß dabei jeweils die Gesamttheorie aufgegeben werden muß.Kapitel 4.2 versucht eine vorsichtige Wiederannäherung an diedisziplinäre Praxis und schließt damit in gewisser Weise - auf einererweiterten, mit besseren Hilfsmitteln ausgestattetenReflexionsebene - den bei 1.1 begonnenen Zirkel. Oder andersausgedrückt: Kapitel 4.2 ist eine mögliche Ausprägung einergesellschaftlichen Theorie des Entwerfens in dem präsentiertenRahmen.

Der Text ist so angelegt, daß der Einstieg prinzipiell injedem der 4 Kapitel möglich ist. Gewisse gewollte inhaltlicheRedundanzen sind dabei hilfreich. Der Kenner der disziplinärenProblemlage kann bei Kap. 2 beginnen, der Kenner vonSystemtheorie und Operativer Erkenntnistheorie bei Kap. 3, der

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Kenner der soziologischen Systemtheorie bei Kap. 4. Für denreinen Praktiker sind die Kapitel 1 und 4.2 von besonderemInteresse.

Die einfach eingerahmten Passagen an den Abschnittsenden der 4Hauptkapitel resumieren das Gesagte und liefern, nacheinandergelesen, eine Kurzfassung der Arbeit.

Die doppelt eingerahmten Passagen an den Enden der 8Halbkapitel resumieren den Inhalt und verweisen zumFolgekapitel. Sie bilden damit übergreifende Klammern für denGesamttext.

Ziel der Arbeit, besser ihre Funktion, ist die Hilfestellung bei derReflexion der Frage, wie Designtheorie und Designpraxis heute aussehen könnten.Durch die Förderung eines erweiterten Systemdenkens soll ein Bei-trag zur Rehabilitierung "rationalistischer" Denkweisen in der De-signtheorie und zur Relativierung des Gegensatzes natur- undgeisteswissenschaftlicher Ansätze geleistet werden. Nicht nurder Gegenstand von Designtheorie (Designpraxis) ist impermanenten Wandel, sondern auch ihre theoretisch-methodischen"Tools". Die vielfältigen Anleihen aus den unterschiedlichstenWissenschaftsbereichen bekommen erst durch ihre Einbettung inden system- und erkenntnistheoretischen Rahmen einenSinngehalt, der größer ist als die Summe zunächst beliebigerEinzel-Theoriestücke. Es soll der Disziplin also keine neueTheorie verordnet werden, vielmehr soll die Möglichkeitgeschaffen werden, Theorie-Collagen / -Patchworks im Rahmen desbegrifflichen Rasters von Kapitel 4.1 zu modellieren.

Leserinnen und Leser sind aufgefordert, den angebotenenRahmen mit eigenen Beiträgen zu füllen, den Zyklus in derPerspektivität des eigenen Blicks erneut zu durchlaufen. Nur inder permanenten Zyklizität des Wieder-Fragens kannmöglicherweise so etwas wie ein temporärer Eigenwert entstehen,der als Modell einer für einige Zeit brauchbaren, passenden,lebensfähigen Theorie konsensfähig ist. In einer Zeit, in derkleine Eingriffe große Wirkungen hervorrufen können, sindAnregungen und Regeln zum experimentellen Umgang mit Rand-bedingungen und Sachzwängen des eigenen disziplinären Tuns

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nicht nur von theoretischem Interesse. Sie leisten vielmehreinen Beitrag zu verantwortlicher Praxis und anspruchsvoller Lehre.

Vorverständnisse

"Alles Gesagte wird von jemandem gesagt" Der Satz stammt von den chilenischen Biologen Humberto R. MA-TURANA und Francisco J. VARELA (1987), zwei der zahlreichenVordenker dessen, was heute unter Radikalem Konstruktivismus oderOperativer Erkenntnistheorie firmiert. Im Alltagszusammenhang ist dieBemerkung trivial, im Wissenschaftsbetrieb aber dennoch erstmalirritierend. Denn üblicherweise wird ja - zumindeststillschweigend - so getan, als sei das, was gesagt wird, vonder sprechenden Person unabhängige, objektive Wahrheit.MATURANA präzisiert (1990: 126): "Unsere Emotionen finden abervöllig legitim Eingang in unser Tun als Wissenschaftler in derGrundlegung der Umstände unseres wissenschaftlichen Erklärens,weil sie in jedem gegebenen Augenblick den Handlungsbereichspezifizieren, in dem wir operieren, wenn wir unsere Fragenaufwerfen." Und man müßte konsequenterweise ergänzen: Siespezifizieren nicht nur den Bereich der Fragen, sondern damitauch den Raum möglicher Antworten darauf. MATURANA und VARELAsprechen hier also unmittelbar den individuell-persönlichen Bereichdes Forschers an. Indem sie die Emotionen als legitimeEinflußparameter für Wissenschaftshandeln bezeichnen, gehen siebewußt in die Nähe des Nicht-mehr-Kommunizierbaren, des"Irrationalen". Dies ist tatsächlich ungewöhnlich. Diesprachliche Erkundung dieser Grenzbereiche und ihre Vermittlungerfordern ein hohes Maß an Sorgfalt und Präzision. Michel FOU-CAULT (1981), aus einem ganz anderen wissenschaftlichenBereich, betont neben dem "wer" die Bedeutung der Frage nachdem "wo": Von welchem historischen und sozialen Ort aus sagtjemand etwas? Hier ist der intersubjektiv-soziale Kontext desForschenden und Sprechenden gemeint, gekennzeichnet durchParameter wie Geschichte, Gesellschaft, Kultur oder Geographie.

Es geht im Sinne nachvollziehbarer Theoriebildung alsodarum, das Vorverständnis des Sprechers soweit wie möglichoffenzulegen. Eine gewisse - oft sehr weitgehende - Blindheit

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gegenüber dem eigenen Vorverständnis ist andererseits er-forderlich zum reibungslosen Funktionieren des alltäglichenpraktisch-disziplinären Handelns. Die folgende Überlegungdeutet darauf hin: Ungeachtet der angeblichen Objektivität derKonstrukteure gibt es gute und schlechte Konstrukteure(=Subjekte). Und ungeachtet der angeblichen Subjektivität derGestalter gibt es richtige und falsche Lösungen (=Objekte). Derjeweilige Gegenbegriff ist ausgeblendet, aber dennoch of-fensichtlich unverzichtbar für das Gemeinte, welches erst durchdie Einheit der Differenz von Gesagtem und Nicht-Gesagtemkonstituiert wird. Die kreative Auseinandersetzung mit einer ge-gebenen Situation, d.h. das Schaffen neuerEntwicklungsvarianten, erfordert jedoch zumindest die Thematisie-rung dieser Blindheit.

Diese Vorgehensweise macht die Argumentation anfällig fürden Vorwurf der Subjektivität, der Nicht-"Wertfreiheit" unddamit - am bedenklichsten - der Unwissenschaftlichkeit. DiesesRisiko ist nicht zu vermeiden, da es hier gerade um ein Wissen-schaftsverständnis geht, welches die Berücksichtigung der obengenannten Bedingungen als konstitutiv versteht. Es ist unange-messen, vom Gestalten unserer Umwelt in Begriffen zu reden, dievon menschlicher Erfahrung, Handlung und Sprache und ihrerwirklichkeitskonstituierenden Kraft abstrahieren.

Der individuell-persönliche Hintergrund, die emotionalenBefindlichkeiten (vgl. oben, MATURANA) im Verlauf vonIngenieurstudium, Forschungs- und Industrietätigkeit (z.B.JONAS 1983, JONAS und SCHULZ 1987 und DIN 66304), der Wechselzur Kunst (z.B. JONAS 1989a, b) und schließlich zum Designinclusive aller Um- und Seitenwege (z.B. JONAS 1990, 1991a)soll hier nicht ausgebreitet werden. Dennoch geht es punktuellauch um bestimmte Erfahrungen dieses Weges. Dies ist etwa dieErkenntnis in Bezug auf die Suche nach einem disziplinären Ort:Es gibt kein Feld, das meinem Anspruch an die umfassende Sichtder Dinge genügt. Sowohl das Ingenieurwesen, als auch dieKunst, als auch das Design haben jeweils sehr spezielleSichtweisen. Einen soliden Standpunkt als Basis für produktive,offene und fehlerfreundliche Weiterarbeit muß man sich offen-sichtlich durch eigene Theoriearbeit selbst schaffen, er-arbeiten, erfinden. Eine zentrale Funktion haben Wahrnehmung undSelbst-Wahrnehmung, die Offenheit nach außen und innen, die

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Überwindung der strikten Subjekt/Objekt-Trennung, dasBeobachten der eigenen Emotionen bei der "Projektionsarbeit",der Arbeit an vermeintlich zweckrationalen "Projekten". Dieshilft dabei, den eigenen Standpunkt als selbst gemachten zuerkennen, es fördert die Fähigkeit, Perspektiven bewußt undreflektiert zu wechseln, aufzugeben, anzupassen. Dies bedeutetnicht Beliebigkeit, sondern impliziert die Selbst-Verantwortlichkeitfür die eigenen Standpunkte, den Verzicht auf das Abschiebenvon Verantwortung für das eigene Tun auf die "Verhältnisse",die "Sachzwänge", die äußeren Bedingungen oder auf "das Sy-stem".

Ausgangspunkt der Theoriearbeit, war ein diffuser Fragenkomplexim Begriffsfeld "Entwerfen - Computer - Kreativität", der sichin der Auseinandersetzung mit der Praxis des Computer AidedDesign herausgebildet hatte (JONAS 1991b). Im Zentrum desInteresses stand zunächst der kognitive Prozeß als ver-meintliche Basis einer darauf zu entwickelnden Theorie. Daswesentliche kognitive Instrumentarium bei der Tätigkeit desEntwerfens sind Bilder und Sprache. Der Vorgang der Pro-blemdefinition / Aufgabenbeschreibung eines Entwurfsprojektsist ein überwiegend sprachlicher, während des eigentlichenProzesses dominiert interner und externer Gebrauch von(Vorstellungs-) Bildern. Bilder, Modelle, Gestalten und Textesind Ergebnisse des Entwerfens. Die Verbindung von Bildern undSprache in der technischen Zeichnung wird metaphorisch be-zeichnet als die "Sprache des Ingenieurs". Sprache und Bilderund Metaphern wandeln sich im Laufe der Zeit; das Verständnisvon Entwerfen und das Reden über Entwerfen ändern sich eben-falls im Laufe der Zeit. Der Computer als universeller formaler"Sprachprozessor" verändert den Prozeß des Entwerfens undschafft neue Metaphern. Kreativität ist einer der am meistengebrauchten und mißbrauchten Begriffe, wenn es um diegestaltende, Einfluß nehmende, Besitz ergreifende Beziehung derMenschen zu ihrer Umwelt, ihrem Lebensraum geht. Der Mißbrauchgeschieht vermutlich meist unbeabsichtigt, da der Begriff nichtklar definiert bzw. auch kaum definierbar ist (vgl. WERMKE1989). Bemerkenswerterweise erfährt er gerade in Kombinationmit dem Computer eine erstaunliche neue Blüte. Als Folge

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eigener Erfahrungen im Bereich CAD drängten sichFragestellungen der folgenden Art auf:- Was ist ein Problem (ohne Probleme kein Entwerfen)?- Was ist Entwerfen (Informationsverarbeitung, Problemlösung,Problemdefinition)?- Sind Schritte / Teile im Entwurfsprozeß unterscheidbar(schöpferische, mechanische, ...)?- Gibt es analytisches / synthetisches, konvergentes /divergentes Denken beim Entwerfen?- Was ist Kreativität, gibt es Kreativität?- Hat Entwerfen mit Kreativität zu tun?- Warum ist der Begriff im Design unproblematisch?- Warum taucht der Begriff in der Konstruktion so selten auf?- Was sind die bedrohlichen Aspekte der Kreativität?- Was bedeutet die Trennung von Konstruktion und Design indiesem Zusammenhang?- Was ist die Rolle des Computers im Entwurfsprozeß, welcheTeile unterstützt er?- Unterstützt er kreative Prozesse indirekt (durch Entlastung)oder direkt (durch Förderung)?- etc.

Bei näherem Hinsehen erweist sich, daß die Fragen unterVerwendung von Alltagsbegrifflichkeit alle irgendwiebeantwortbar sind (die Marketingaussagen der Computerherstellerund Softwareanbieter belegen dies eindrucksvoll), daß sie aberwissenschaftlich in dieser Breite nicht greifbar sind. Es hatsich also schnell herausgestellt, daß es zur Strukturierung desThemas unerläßlich ist, zuerst eine konsistente begrifflicheFundierung zu schaffen. Die Arbeit an Einzelfragen erforderteinen Orientierungsrahmen zum Verständnis des übergreifendenZusammenhangs. Der Computeraspekt im Zusammenhang mit dem ko-gnitiven Prozeß, der ursprünglich im Zentrum der Fragestellungstand, bleibt also erst einmal weitgehend ausgeblendet. Es gehtzunächst um die Entwicklung (Erfindung) eines strukturell-prozessualen Rahmens. Der wesentliche Zweck eines derartigenglobalen Vorgehens ist die Konstitution eines Suchschemas, umerst einmal überhaupt "die richtigen Probleme" identifizierenzu können.Die Beschäftigung mit dem historisch-sozial-kulturellenVorverständnis konzentriert sich auf die Begriffe Erkenntnis und

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Fortschritt. Sie erscheinen für die Behandlung von Entwerfenunerläßlich: Erkenntnis führt zur Frage nach der Lösbarkeit vonProblemen, Fortschritt zur Frage nach der Optimierbarkeit vonLösungen.

Erkenntnis - philosophischIn Bezug auf Erkenntnis und Wissen dominiert seit denVorsokratikern ein "metaphysischer Realismus". Man kann ihnauch als den "naiven Realismus" der Alltagsphilosophiebezeichnen. Seine wichtigsten Merkmale:1) Die Trennung Subjekt / Objekt, damit die Annahme einerbewußtseinsunabhängig existierenden und prinzipiell erfaßbarenund zugänglichen Wirklichkeit.2) Die Annahme der Möglichkeit einer objektiven, unabhängigenBeobachtungsinstanz als Referenz für die Vergabe des Prädikates"wahr".

Die Kritik daran hat eine lange Tradition. Mit derEntwicklung der Naturwissenschaften tritt die ontologische Fragenach dem Was der Erkenntnis in den Hintergrund. Der Mensch,zunehmend als Entdecker und Beherrscher der Welt auftretend,stellt die Frage nach den erkenntnistheoretischen Begingungen,dem Wie des Weltzugangs. Der Skeptizismus stellt die Eigenschaf-ten der Dinge in Frage, KANT formuliert Zweifel an derDinghaftigkeit selbst: Wie erhält eine Erlebenswelt, die nichteine Spiegelung der Wirklichkeit ist, eine stabile Struktur?Seine Antwort: Das Verarbeiten des sinnlichen Rohstoffsgeschieht durch die automatische Funktion der "Anschauungen"(Raum, Zeit) und der "Kategorien" (Quantität, Qualität,Relation, Modalität) unseres Denkens. Diese sind erfahrungs-unabhängig (apriori), sie bilden eine Art von vorgegebenerBeschreibung des erfahrungsfähigen Organismus. Die Fragen nachdem Wie und dem Warum bleiben ausgeklammert. Es bleiben das"Rätsel der Selbstorganisation" und der Rückgriff aufTeleologie; im Hintergrund steht Gott. Im vorliegendenZusammenhang weiterführend ist Giambattista VICO (1710, zitiertbei VON GLASERSFELD 1984: 26): "Ebenso wie die Wahrheit Gottesdas ist, was Gott erkennt, indem er es zusammenfügt undschafft, ist die menschliche Wahrheit das, was der Menscherkennt, indem er es handelnd aufbaut und durch sein Handelnformt. Darum ist Wissenschaft Kenntnis der Entstehung, der Art

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und Weise, wie die Dinge hergestellt wurden." Das jeweilsGemachte bestimmt das, was noch gemacht werden kann. Die Artund Weise der Wirklichkeitskonstruktion wird durch die Ge-schichte des Konstruierens bestimmt.

Die Naturwissenschaften entwickeln in der Folgezeit ihreeigenen Erkenntnismethoden, die an den Erfordernissen derForschungspraxis orientiert sind (Wissenschaftstheorie,philosophy of science). Die Geisteswissenschaften separierensich; Philosophie wird mehr und mehr zur reinen Gei-steswissenschaft. Die phänomenologischen Ansätze in derPhilosophie des 20. Jahrhunderts (HUSSERL, HEIDEGGER, MERLEAU-PONTY), obwohl für das in der modernen Physik brennende Problemdes Verhältnisses von Wahrnehmung und Wirklichkeit von großemInteresse, gewinnen für die Naturwissenschaften kaum Bedeutung.MERLEAU-PONTY (1966) etwa sieht die Wahrnehmung als grundle-genden Zugang zur Welt, in der wir uns bereits mit unserer gan-zen Leiblichkeit befinden. Sie ist nicht ein Vermögen, sonderndie fundamentale Einstellung des Menschen zu seiner Welt, ausder heraus Handeln und Erkennen erst rekonstruierbar werden:"Die Welt ist das, was wir wahrnehmen." Er thematisiert dieSpannung zwischen der Unmittelbarkeit von Wahrnehmung und Leib-lichkeit einerseits und dem kulturellen Vermittlungszusammen-hang von Sprache und Geschichte andererseits und versucht, dieStrukturen der Lebenswelt, unseres "Seins-in-der-Welt", vor je-dem wissenschaftlichen und metaphysischen Zugang zu be-schreiben. Diese Denkfiguren tauchen im Konstruktivismus imnaturwissenschaftlichen Kontext in anderer Begrifflichkeitwieder auf.

Die Angewiesenheit des Denkens auf die Fähigkeit der Sinneund gleichzeitig deren Unzuverlässigkeit war schon den Griechenbewußt. PLATOs Verachtung des Sinnlich-empirischen ist hiernicht repräsentativ. ARNHEIM (1977) beklagt die zunehmendeTrennung von Wahrnehmung und Denken in der Entwicklung derwestlichen Kultur und deutet ihren Ursprung psychologisch alsReaktion auf die beunruhigende Erfahrung der Diskrepanzzwischen dem durch die Sinne erfahrbaren Chaos der Welt und derim Denken möglichen Harmonie, wie sie etwa die Mathematikidealtypisch repräsentiere. Seine Kritik ist nicht immernachvollziehbar, denn gerade die moderne Naturwissenschaft istauf Wahrnehmung als einziger Möglichkeit des Realitätskontakts,

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des Erwerbs und der Validierung von Wissen angewiesen. Sie istnotwendige, aber auch apparativ und interpretatorisch manipu-lierbare Komponente im Forschungsprozeß. Die klare begrifflicheTrennung der Wahrnehmung vom Wissen ist, so LUHMANN (1990:229), notwendige Bedingung für dessen Entwicklung und für dieEntstehung und Ausdifferenzierung von Wissenschaft generell.

Erkenntnis - naturwissenschaftlichEine Wiederannäherung von Philosophie und Naturwissenschaftenist mit den Arbeiten von POPPER, QUINE, KUHN, u.a. zu verzeich-nen. QUINE fordert eine "naturalisierte Erkenntnistheorie":Philosophie habe immer innerhalb des naturwissenschaftlichenWeltbildes stattzufinden. Er sieht Beobachtungssätze alsempirische Basis der Wissenschaft. Der individuelleSpracherwerbsprozeß liefert intersubjektiv zugängliche Destil-late privater Wahrnehmungen. Die Kanäle, über die wir,ausgehend von bestimmten Sinnesreizungen, die Sprache erlernen,sind für QUINE identisch mit den Kanälen, über die eine wissen-schaftliche Theorie mit der Erfahrung verbunden ist. Wahrheitoder Falschheit eines Satzes haben jeweils als Konsequenzbestimmte mögliche Erfahrungen zur Folge. Entsprechend seiner"Verifikationstheorie der Bedeutung" sind es genau diesemöglichen Erfahrungen, die die Bedeutung des Satzes ausmachen.Daraus ergibt sich eine weitgehende Übereinstimmung vonSemantik und Erkenntnistheorie. In dieser Einsicht in dieobjektivierende Funktion von Sprache kann man, so MÜHLHÖLZER(1990), einen der wichtigsten Gründe für den sogenannten"linguistic turn" in der Philosophie des 20. Jahrhundertssehen. Die Frage, wie es uns gelingt, aus den mageren In-formationen, die wir aufgrund der Reizungen unserer Sinnesre-zeptoren empfangen, unsere reichen wissenschaftlichen Theorienzu gewinnen, die ihrerseits wieder Aussagen über diese Sin-nesrezeptoren und ihre Reizungen enthalten, bedeutet für QUINEkeinen circulus vitiosus mehr, sondern stellt einen circulus virtuosusdar. Sie lädt zu einer Art Konsistenzbetrachtung ein: UnsereTheorien sollten unter anderem erklären, wie wir zu ihnenselbst gekommen sein können. Das System der Wissenschaften istfür QUINE eine von uns selbst gebaute Begriffsbrücke, durch dieverschiedene Sinnesreize miteinander verbunden werden. Unserwissenschaftliches und nichtwissenschaftliches Reden über

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äußere Dinge ist nichts weiter als ein Begriffsapparat, der unshilft, zukünftige Reizungen unserer Sinnesrezeptoren unterBerücksichtigung vergangener Reizungen vorauszusehen und zubeeinflussen. Die Reizungen sind letztlich alles, was wir zurVerfügung haben. Die Frage nach dem Spielraum beim"Brückenbau", den uns die Daten bei der Theoriekonstruktionlassen, führt zur Erkenntnis der Unterbestimmtheit der Theorien durchdie Erfahrung: Wir haben immer verschiedene Möglichkeiten, unsereTheorien der Erfahrung anzupassen, wir können diesen oder jenenSatz revidieren, und das Spektrum an Revisionsmöglichkeiten istso groß, daß es zu grundlegend verschiedenen Theorien führt,die zugleich empirisch äquivalent sind (vgl. DUHEM-QUINE-Holismus). Die voraussetzungslose Frage nach der Wahrheit vonTheorien ist für QUINE sinnlos; man kann nur innerhalb vonTheorien danach fragen; sie wird damit zum Meta-Problem.

QUINEs Position läßt sich, so MÜHLHÖLZER (1990: 77),charakterisieren als Kombination von "erkenntnistheoretischemInstrumentalismus" und "ontologisch / metaphysischem Re-alismus": "Der Erkenntnistheoretiker betrachtet die Theorie unddie Gegenstände, auf die sich die Theorien beziehen, vomBlickwinkel ihres Konstruiert- und Postuliertwerdens. Dabeisteht er jedoch auf dem Standpunkt einer dieser Theorien.Erkenntnistheorie ist nichts anderes als ´auf sich selbstgerichtete Naturwissenschaft´." Dies ist die eine Seite, dieandere: "Wir akzeptieren eine Theorie von der Welt, nehmen siebeim Wort und sehen das von ihr Behauptete und Postulierte alsreal an. ... Haben wir die Elektronen konstruiert odergefunden? Beides. Vom Standpunkt des Erkenntnistheoretikerssind sie Konstrukte, vom Standpunkt des Ontologen sind sieetwas Gefundenes. Dabei muß sich weder der Ontologe noch derErkenntnistheoretiker aus der Gesamttheorie der Welt, dieletztlich von der Naturwissenschaft erstellt wird,hinausbegeben. Sie schauen lediglich in verschiedeneRichtungen." QUINES Position zeigt in vielen Punkten eineauffallende Nähe zum Konstruktivismus, der nun den Versuchunternimmt, die Forderung nach der "Naturalisierung derErkenntnistheorie" einzulösen.

Wissenschaftshistorische Belege für die These von derKontingenz der Theorien liefert Thomas S. KUHN (1962, 1976).Wissenschaftliche Arbeit geschieht auf der Basis von Paradig-

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men. Sie enthalten "quasimetaphysische Bindungen auf höhererEbene." Paradigmen sagen den Wissenschaftlern, welche Entitätenes in der Natur gibt und welche nicht, und wie sie sichverhalten. Das Zusammenwirken des Paradigmas mit der normalenUmwelt entscheidet darüber, welche Daten zugänglich sind undwelche nicht (vgl. dazu weiter unten die "blinden Flecken").KUHN thematisiert, auf der Basis historischer Analysenwissenschaftlicher Theorieentwicklungen, seine Zweifel an derbisher dominierenden Erkenntnistheorie (1976: 137): "Aber istsinnliche Erfahrung fixiert und neutral? Sind Theorien einfachmenschliche Interpretationen gegebener Daten? Dererkenntnistheoretische Standpunkt, der die westlichePhilosophie während dreier Jahrhunderte so oft geleitet hat,verlangt ein sofortiges und eindeutiges Ja! In Ermangelungeiner ausgereiften Alternative halte ich es für unmöglich,diesen Standpunkt völlig aufzugeben. Und doch, er fungiertnicht mehr wirksam, und die Versuche, ihn durch die Einführungeiner neutralen Beobachtungssprache wieder dazu zu bringen,erscheinen mir hoffnungslos." (S. 218 im Postskriptum von1969): " ... die Vorstellung von einer Übereinstimmung zwischender Ontologie einer Theorie und ihrem ´ realen´ Gegenstück inder Natur scheint mir ... prinzipiell trügerisch zu sein."

Erkenntnis - konstruktivistischDie operative Erkenntnistheorie, in Deutschland bekannter als RadikalerKonstruktivismus, bezeichnet sich nach SCHMIDT (1987b) als "a wayof thinking, not a collection af facts". Die wichtigsten Ur-sprünge sind die biologische Kognitionstheorie, insbesonderedie Theorie autopoietischer Systeme von MATURANA und VARELA,die Theorie der Wissenskonstruktion von Heinz VON FOERSTER(1985a), Warren MC CULLOCH, Ernst VON GLASERSFELD und anderen,im Anschluß an die Entwicklungspsychologie von PIAGET, sowiedie Kybernetik von Norbert WIENER und die Allgemeine System-theorie von Ludwig VON BERTALANFFY. Erkenntnistheoretischbemerkenswert ist die Betrachtung der Wahrnehmung aus der Per-spektive des Gehirns statt der Sinnesorgane wie bisher, etwaauch in der POPPERschen evolutionären Erkenntnistheorie (ROTH1987a,b). Die physiologische Grundidee läßt sich wie folgtskizzieren: Die neuronale Erregung, die in den Sinnesorganenentsteht und von dort zum Gehirn weitergeleitet wird, ist als

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solche unspezifisch. Die Sinnesorgane übersetzen die Vielfaltder Welt in die "Einheitssprache" der bioelektrischen Nervenpo-tentiale. Diese Einheitssprache ist Grundlage und Voraussetzungfür die Integrationsleistung von Nervensystem und Gehirn. Erstder Ort im Gehirn, an dem eine neuronale Erregung eintrifft undverarbeitet wird, bestimmt die Modalität (Hören, Sehen, Rie-chen, etc.) und die Qualität (Farbe, Geschmack, Geruch, etc.)der Sinnesempfindung, die Impulsfrequenz bestimmt dieIntensität der Empfindung. Die topologischen Kriterien sindteils angeboren, teils ontogenetisch erworben. Der Bau derSinnesorgane legt fest, welche Umweltereignisse überhaupt aufdas Gehirn einwirken können. Dies bedeutet: Das Gehirn ist einkognitiv in sich abgeschlossenes System, das nur mit seineneigenen Zuständen umgeht. MATURANA prägte hierfür den Begriffdes autopoietischen Systems. Es ist nicht in der Lage,Wirklichkeit als solche abzubilden oder zu repräsentieren.Innen und Außen, Raum und Zeit gibt es nur dort. Schöpfer derkognitiven Welt ist nicht das kognitive Subjekt, sondern dasreale Gehirn. Das kognitive Subjekt erfährt und erleidetWahrnehmung. Das reale Gehirn ist in der kognitiven Weltebensowenig zugänglich wie die Realität selbst und der realeOrganismus. Das reale Gehirn erschließt seine Existenz undseine Eigenschaften aufgrund innerer Erregungszustände.Wahrnehmung ist demnach Interpretation, Bedeutungszuweisung andie eingehenden bedeutungsneutralen Signale. Bewußt wird nur,was bereits vielfältig gestaltet und geprägt ist. Sehr prägnantheißt es dazu bei LUHMANN (1990: 43): "Das Bewußtsein interpre-tiert Körpervorgänge als Welt."

VON GLASERSFELD, in Anlehnung an PIAGET, betont stärker denHandlungsaspekt bei der Konstitution von Wirklichkeit (1984:30f): Erkennen und Wissen sind Ergebnis von Handlungen einesaktiven Subjekts. Die Art und Weise, wie der Intellektoperiert, um aus dem Fluß des Erlebens eine einigermaßen dauer-hafte, regelmäßige Welt zu konstruieren, wird nicht von außendefiniert, sondern intern im Sinne der Herstellung von Re-gelmäßigkeit, Konstanz und Struktur in der Erlebenswelt auf-grund von Vergleichsoperationen. Wissen ist demnach be-schreibbar als kognitive Strukturen, die der Erlebenswelt (derwir sie abgewonnen haben) dauernd ausgesetzt sind und ihr wei-terhin standhalten oder nicht. Dieses Wissen bietet einen gang-

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baren Weg, aber keinesfalls eine Aussage über die ontischeWelt. Wissen ist brauchbar, relevant, lebensfähig, "wahr", wennund solange es erfolgreiches Handeln ermöglicht. VON GLASERS-FELD hat hierfür den Begriff der Viabilität geprägt.

Wissenschaft - konstruktivistischDiese Ansätze zeigen bereits einen deutlichen Wandel im Umgangmit der bisher kaum als solcher thematisierten Paradoxie derwissenschaftlichen Praxis des Beobachtens von Beobachtungen.Bisher erfolgte die Auflösung dieser Paradoxie statisch, imRückgriff auf extern angenommene letzte Prinzipien und Ur-Gründe, vom transzendentalen apriori der Vernunft bis hin zuPOPPERs "Welt3". Nun geschieht sie mehr und mehr dynamisch, alsrekursiver Prozeß im Vorgang des Beobachtens von Beobachtungen.Durch begriffliche Strukturierung und durch Temporalisierung imaktiven Nacheinander des Operierens im Schema von Problem undProblemlösung entstehen, so LUHMANN (1990: 98f), imhistorischen und sozialen Kontext relativ stabile Eigenzustände(sprachliche Formen, Wissen). Die bewußte Anwendung desPrinzips des Beobachtens von Beobachtungen bedeutet einenwichtigen Schritt hin zur Re-Empirisierung der Erkenntnis-theorie. Heinz VON FOERSTER (1985a) formuliert denparadoxiegefährdeten Kern dieser Kybernetik 2. Ordnung so: "Eineoperative Erkenntnistheorie übersieht und verdrängt nicht, daßsie selbst ein Produkt des menschlichen Erkennens ist, welchessie zu erklären beansprucht. Sie muß daher so ausgearbeitetwerden, daß sie sich selbst erklärt."

Vor diesem Hintergrund der sozialen und geschichtlichenBedingtheit wird die weitere alleinige Zurechnung von Wissenauf das Bewußtsein von Einzelsubjekten fragwürdig. WINOGRAD /FLORES (1989: 130): "Wissen ist somit weder ´subjektiv´ (demIndividuum zu eigen) noch ´objektiv´ (unabhängig vomIndividuum). Es ist Interaktionsmuster vor einem gemeinsamensozialen Bezugsrahmen. Menschsein bedeutet, einer Gattunganzugehören, die durch Sprechen und Zuhören wechselseitige Ver-pflichtungen herstellen kann." Die Sprechakttheorie von SEARLE(1971) oder auch die Interaktionstheorie von HABERMAS (1981)thematisieren zwar diesen sozialen Aspekt, der Schwerpunktdabei liegt jedoch auf der Kommunikation zweier Subjekte bzw.der Interaktion zwischen zwei einzelnen Bewußtseinen. LUHMANN

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(1990: 134) kritisiert diese "unversehrte Intersubjektivität"und stellt die Frage nach dem Systembezug bei der Zurechnungvon Wissen erheblich radikaler. Für ihn "ist Wissen, was immerder korrespondierende Bewußtseinszustand sein mag, eineStruktur, die zur Ermöglichung der Autopoiesis vonKommunikation beiträgt." Kommunikation ist in dieser Auffassungvom individuellen Bewußtsein weitgehend unabhängig. Ererweitert - durchaus umstritten - die Theorie autopoietischerSysteme auf soziale Systeme. Soziale Systeme sind bei LUHMANN(1984) Kommunikationssysteme. Kommunikation wird damit zumautopoietischen, strukturdeterminierten System und dieZurechnung von Wissen erfolgt auf das Bezugssystem Gesellschaftbzw. Kommunikation. Vgl. hierzu ROTH (1987b), der Kommunikation- im Gegensatz zu LUHMANN - und Kognition - im Gegensatz zu MA-TURANA - nicht als autopoietische, sondern als selbstreferentielleSysteme bezeichnet.

FortschrittFortschritt ist ein zentraler Grundbegriff derGeschichtsphilosophie und des Geschichtsbewußtseins derbürgerlichen Gesellschaft westlicher Prägung. Die Neuheit derVorstellung als solcher wird deutlich am Bedeutungswandel desenglischen "progress" (CHATWIN 1992: 267): Im Mittelenglischenwar progress die Rundreise eines Königs zu den Schlössernseiner Peers, eines Bischofs in seine Diözesen, eines Nomadenzu seinen Weideflächen. Moralisch-wertende oder materielleSeiten des Fort-Schritts waren bis zum 17. Jahrhundertunbekannt. Im Mittelpunkt stand die zyklische Wiederkehr desGleichen. Die Neuzeit dagegen formuliert ihre Vorstellung vonpositiver Zukunftserwartung unter diesem Etikett. Die zyklischenAuffassungen der ewigen Wiederkehr und auch die in der Antikedominierenden und immer wieder auftretenden Verfallstheorienwerden in den Hintergrund gedrängt. Mit dem Entstehen des"historischen Bewußtseins" tritt der Begriff an die Stelle derchristlichen Geschichtstheologie. Fortschritt meint nun primärdas lineare, in immer kürzeren Zeiträumen erfolgende quantita-tive und qualitative Wachstum eines theoretischen Wissens undseiner technischen Nutzung. In der Aufklärung liegt dem Begriffdurchaus noch die Annahme zugrunde, daß eine freie Entwicklungdes Intellekts und eine Steigerung insbesondere des

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naturwissenschaftlichen Wissens im gleichen Zuge auch zu einerHumanisierung der Gesellschaft führe; Fortschritt wird insofernmit Aufklärung als historischem Prozeß gleichgesetzt. Imheutigen Alltagsverständnis wird Fortschritt mit technischemFortschritt identifiziert. Diese pragmatische Sicht ist relativneu, denn erst die Fortschrittsgläubigkeit der entstehenden In-dustriegesellschaft des 19. Jahrhunderts rückt die huma-nistischen gesellschaftlich-emanzipatorischen Aspekte in denHintergrund und beschränkt sich auf die materiellen Resultateeines expandierenden technischen Wissens. Die über die Lei-stungsfähigkeit dieses Wissens erreichte Steigerung des"Lebensstandards" wird zum Maßstab für Fortschritt; insgesamtein Verständnis, welches das Denken in der Praxis bis heutedominiert. Alternative Auffassungen haben in der Dynamik derModerne keinen Platz.

RAPP (1992) spricht vom Fortschrittsgedanken als der"letzten Religion der Gebildeten". BREUER (1992: 158) deutetTechnik und Wissenschaft als "Hierophanie" (dies sind Formen,in denen sich das Heilige verkörpert): "Hat nicht schon Marx ineinem ganz unreligiösen Diskurs demonstriert, daß die kapita-listische Ökonomie im Zeichen des Heiligen steht, eine"Religion des Alltagslebens" verkörpert, die sich in einerPersonifizierung der Sachen und einer Versachlichung derPersonen darstellt. ... Wäre es nicht denkbar, daß das Heilige,weit davon entfernt, sich zurückzuziehen, in Technik undWissenschaft eine neue Daseinsform gefunden hätte? Daß es,anstatt eine marginale und intermittierende Existenz zu führen,in die Kernstruktur der Gesellschaft eingewandert und somiteher in die Welt gekommen als aus ihr verschwunden wäre? DieIndustriegesellschaft besitze die Mittel, das Metaphysische insPhysische zu überführen, hat Herbert Marcuse einmal, obschon ineher utopischer Absicht, gemeint. Wie, wenn er damit, ohne eszu ahnen, das Geheimnis der Moderne ausgesprochen hätte?"

Erkenntnisfortschritt - darwinistisch?Der Begriff des Erkenntnisfortschritts als zunehmende Verbesserungmenschlichen Wissens steht im Vordergrund der Reflexionen derWissenschaftstheorie seit POPPERs "Logik der Forschung" (1934),in der er die Auffassung des Kritischen Rationalismus begründet.Fortschritt ist demnach nur konstatierbar, wenn es allgemeine

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methodische Kriterien des wissenschaftlichen Erkennens gibt;für POPPER ist das Entscheidende der Grad der Bewährung einerTheorie. Die Möglichkeit allgemeiner methodischer Kriterienist durch Thomas KUHNs These von der methodischen Inkommen-surabilität von Paradigmen grundsätzlich in Frage gestelltworden. Er erklärt die Auffassung von der fortlaufenden Steige-rung der Reife und Verfeinerung wissenschaftlicher Probleme,Normen und Theorien für unangemessen. Erkenntnisfortschritt istdemnach allenfalls paradigmenintern feststellbar. FEYERABEND(1976) hält methodologische Prinzipien für überhauptfortschrittsfeindlich, er formuliert als Gegenthese seinenerkenntnistheoretischen Anarchismus.

Der Diskurs über den Fortschritt in Wissenschaft und Alltagist bis heute geprägt durch die Verwendung einer evolutions-theoretischen Begrifflichkeit, welche auf Charles DARWINs "Onthe Origin of Species by Means of Natural Selection, or thePreservation of Favoured Races in the Struggle for Life" von1859 zurückgeht. Der wesentliche Inhalt läßt sichfolgendermaßen skizzieren: Variationen in einem Organismus be-wirken eine Selektion durch die Umwelt. Der Organismus verhältsich dabei wesentlich passiv. Dadurch erfolgt eine fortschrei-tende Anpassung der Organismen an ihre Umwelt, es wirkt derMechanismus der "natürlichen Auslese". Auf diese Weise entstehtdie unglückliche Formulierung des "survival of the fittest". Ander Tatsache des Überlebens festgestellt, ist dies nur eineTautologie, schlimmer ist jedoch die Gefahr des Mißbrauchs. Vonder Begrifflichkeit des "Kampfes ums Dasein", der "natürlichenAuslese", dem "Überleben des Tüchtigsten", ist es nicht mehrweit bis zu sozialdarwinistischen Rasse-Ideologien.

Dieses populärdarwinistisch orientierte Denken beeinflußtzwei wichtige Bereiche: Einmal die Frage der Anpassung vonGehirn und Wahrnehmungsapparat an die Struktur der Wirklichkeitim Prozeß der biologischen Evolution, zum anderen dieFormulierung von Theorien des wissenschaftlichen Fortschrittsselbst (siehe oben). Zum ersten Aspekt vgl. die evolutionäreErkenntnistheorie nach LORENZ und POPPER: Sie interpretiert dieEntwicklung der Werkzeuge des Wissens als Produkte derbiologischen Evolution. Das Ziel der Wahrnehmung liege nicht imErwerb abstrakten Wissens, sondern in der überlebensförderndenVerhaltenssteuerung. Während der Grundgedanke, daß auch der

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Denk- und Erkenntnisapparat ein Evolutionsprodukt ist,unumstritten sein dürfte, sind die weiterreichenden Folgerungenaus dieser Einsicht, die faktisches Denken und Erkennen, die"Übereinstimmung" von "Geist" und "Welt" sowie auch das Verhal-ten des Menschen betreffen ("Soziobiologie"), durchaus kontro-vers. Zum zweiten Aspekt: Nach TOULMIN (bei WOLTERS 1980) habendie beiden POPPERschen Maximen der wissenschaftlichen Methode,nämlich Freiheit des Entwurfs und Strenge der Kritik, unmittel-bar evolutionstheoretischen Sinn: Vergrößerung des verfügbarenPools von Theorievarianten (Variation) und Verstärkung desselektiven Drucks (Selektion). Auf der Basis eines oft starkvereinfachten Verständnisses der DARWINschen Theorie verbreitetsich die Auffassung von Evolution als Modell der optimalenProblemlösung vom wissenschaftlichen bis in den technischenBereich, vgl. etwa die RECHENBERGsche "Evolutionsstrategie" zurOptimierung technischer Systeme.

VON GLASERSFELD (1984: 18f) betont hierzu: Nicht dieOrganismen oder die Ideen passen sich der Wirklichkeit an,sondern die Wirklichkeit - durch ihre Beschränkung des Mögli-chen - vernichtet, was nicht lebensfähig ist. Das DARWINsche"fit" meint "passen" und nicht "stimmen" (dies wäre dasenglische "match"). "Natürliche Auslese", Selektion durch dieUmwelt, geschieht nicht positiv in dem Sinne, daß das "Beste","Tüchtigste", "Wahrste", etc. überlebt, sondern negativ: dasnicht passende stirbt. Anpassung nach Mutationen oder Perturba-tionen ist die aktive Wiederherstellung der Lebensfähigkeit desOrganismus, nicht eine Optimierung in bezug auf ein externvorgegebenes Zielkriterium. Evolution beruht nach BATESON(1987) auf dem kybernetischen Prinzip der Beschränkung, nichtauf dem Prinzip von Ursache und Wirkung. Es gilt dieTautologie: Das Überlebende ist - zumindest zur Zeit -zulässig, mehr nicht. Überleben ist das einzige Kriterium fürErfolg oder Mißerfolg. LUHMANN (1990: 556f) betont im Zusammen-hang mit Evolution anstelle der Anpassung den Aspekt der Aus-differenzierung der Systeme, verbunden mit einer zunehmendenAbkopplung von den Umweltbedingungen. Bezogen auf kognitive undsoziale Systeme erscheint dieser Aspekt tatsächlich wichtigerals die Mechanik der Anpassung.

Entwerfen - darwinistisch?

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VON GLASERSFELD erweitert den Gedanken und sagt, es lasse sichzumindest metaphorisch die Analogie herstellen zwischen le-bensfähigen organischen Strukturen in Bezug zu ihrer Umwelt undbrauchbaren kognitiven Strukturen in Bezug zu ihrerErlebenswelt (in Wissenschaft, Kultur oder Alltagsleben).Brauchbarkeit bedeute in diesem Zusammenhang Erklärungs-, Pro-gnose- und Kontrollfähigkeit sowie die Steuerbarkeit von Erfah-rungen.

HYBS und GERO (1992) verwenden eben diese Analogisierung derbiologischen und der kulturellen Evolution in ihrem formalenModell des Entwerfens. Problematisch wird es in dem Moment,wenn sie die populärdarwinistische Deutung hinzunehmen: Der Me-chanismus von Variation und Selektion sei nicht nur anwendbarauf den kognitiven Prozeß der Entwicklung einer Beschreibungdes zu produzierenden Produkts, sondern auch auf das "Über-leben" dieses Produkts auf dem Markt ("survival of the fittestproduct"). Diese Ausdehnung auf kulturelle Prozesse erscheintals ein Überstrapazieren des ohnehin zu kritisierendenDARWINschen Modells. Allerdings laden gerade diejenigen"Altmeister" (BATESON, VON GLASERSFELD), die die spezielle Me-chanik des DARWINschen Modells kritisieren und korrigieren,durch die gleichzeitige Ausdehnung von der Biologie aufSoziologie, Kultur und Wissenschaft zu derartigen gewagtenInterpretationen ein. Interessant ist, daß schon Norbert WIENER(1948, 1968) BATESON genau davor gewarnt hat. HYBS´ und GEROsSchlußfolgerungen scheinen dennoch durchaus beachtenswert undauch richtungweisend für das Folgende, weil sie die aktiveWechselbeziehung zwischen dem System (Produkt) und seinerUmwelt betonen (1992: 290): "The environment should beunderstood in the holistic manner as one whole including theproduct or artefact itself. The design process is then seen asan integral part of the evolution of the total environment andits progression towards a new state."

1 Designtheorien 37___________________________________________________________________________

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1 DESIGNTHEORIEN

"Die Antwort ist natürlich, daß wireine Gesellschaft haben müssen,die auf menschliche Werte gegründet ist und nicht auf Kaufen und Verkaufen.Um diese Gesellschaft zu erreichen,brauchen wir eine Menge von Planungen und Kämpfen,die, wenn es zum besten verläuft,sich auf der Ebene von Ideen abspielen,und wenn nicht - wer weiß wie?"

Norbert Wiener (1947)

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1 Chaotische

WirklichkeitenQuelle:Sim Earth

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1.1 Designtheorien - exemplarisch

Die Tätigkeit des Entwerfens industriell zu fertigender Gegenständebetrifft eine Vielzahl von Disziplinen, von den Stylisten auf dereinen Seite des Spektrums bis hin zu den Entwicklungsingenieurenauf der anderen Seite. Zur Pointierung der weiterenAusführungen erscheint es zulässig, stellvertretend von den Be-rufsgruppen der Designer und der Konstrukteure zu sprechen. Analogwäre es möglich, zwischen vorwiegend technisch geprägtenObjekten (z.B. Motoren, Getriebe), für die Konstrukteurezuständig sind und vorwiegend gestalterisch geprägten Objekten(z.B. Möbel, Eßbestecke), mit denen sich Designer befassen, zuunterscheiden. Meist sind die Produkte jedoch sowohl technisch,als auch gestalterisch geprägt (von der Kaffeemaschine bis zumKraftfahrzeug) und es findet eine intensive Zusammenarbeit mitanderen beteiligten Disziplinen statt (Berechnung,Fertigungsplanung, Projektierung, Marketing, Vertrieb etc.).Design und Konstruktion (Gestaltung und Technik, Form undInhalt) werden hier nicht nur wegen ihrer gemeinsamenEinbettung in soziale Prozesse und wegen der fortschreitendenRe-Integration des Produktentwicklungsprozesses (vgl. W. JONAS1988) gemeinsam behandelt, sondern vor allem auch aufgrund desverbreiteten Verständnisses von Entwerfen als eines Prozesses,der eine verbal formulierte Problem-Situation (auf zuweilenwunderbar anmutende Weise) in ein anfaßbares, brauchbaresArtefakt als Lösung transformiert, einerlei ob "gestaltet" odernicht. Das "anfaßbar" bedeutet nicht, daß die Konzeption vonnichtmateriellen Artefakten (z.B. Software) nicht auch imwesentlichen Entwerfen ist. Daß der innerste Kern deskognitiven Prozesses nicht faßbar ist - auch wenn immer wiederbehauptet wird, man sei ihm auf der Spur -, tut dabei nichtszur Sache. Es steht außer Frage, daß dieses Verständnis vonEntwerfen zu erweitern und zu differenzieren ist. Die vonbeiden Seiten des oben genannten Spektrums aus Gründen derprofessionellen Identitätsstiftung oft betonte scharfe Trennungvon Konstruktion und Design erscheint jedoch überholt und eherhinderlich. Die angelsächsische Rede von Engineering Design und In-dustrial Design scheint eher integrationsfördernd zu sein.

40 1 Designtheorien__________________________________________________________________________________________

Selbstdarstellungen

Die folgende Sammlung von Beschreibungen aus dem Innern derDisziplinen macht bereits viele der Probleme deutlich und zeigtauch die Dynamik der Selbstbilder:

Konstruktiv orientierte Entwerfer haben kaumSchwierigkeiten, sich als ausschließliche Gestalter, alsUmsetzer eines von außen gelieferten Katalogs vorwiegend verbalfestgelegter Anforderungen in ein konkretes Objekt zuakzeptieren und dabei von sozialen und sonstigen Randbedingun-gen weitestgehend abzusehen. Die Aussagen hierzu sind vonwohltuender Deutlichkeit, vgl. etwa PAHL und BEITZ (1986) inihrer "Konstruktionslehre": "Wesentliche Aufgabe einesIngenieurs ist es, für technische Probleme mit Hilfenaturwissenschaftlicher Erkenntnisse Lösungen zu finden und sieunter den jeweils gegebenen Einschränkungen stofflicher,technologischer und wirtschaftlicher Art in optimaler Weise zuverwirklichen." Die ökonomischen Randbedingungen werdenschwieriger; dies wird als wesentliches Motiv für weitereAnstrengungen in der Methodenentwicklung thematisiert, so etwabei BARIUS (1991): "Product renewal through development andintroduction of new products is of vital importance to theearning capacity and future existence of industrial firms."Gleichzeitig ist dieses zweite Zitat ein Beispiel für die zu-weilen erschreckende Eindimensionalität und Trivialität derAussagen, die in der Folge der Dominanz vonWirtschaftlichkeitsaspekten in weiten Bereichen der Theorieheute ins Auge fällt.

Die Dominanz der Ökonomie ist selbstverständlich im Designnicht geringer. Dies kann man eher resignativ aus dermarxistisch-idealistischen Sicht der frühen 70er Jahreinterpretieren (KUBY in: SELLE 1973: 155): "Ohne irgend etwasanderes zu verheißen als das Glück der Warenbesitzer, ohneAnknüpfungspunkte für Dysfunktionales, Spontanes, über dasGegebene Hinausgehendes, frißt sich das Industrial Design durchdie Wohnungen hindurch, überzieht noch den letzten Winkel eineranderen Lebensweise mit seiner platten Rhetorik und erfaßt nachund nach immer weitere Kreise der Gesellschaft. Weil es dabei

1.1 Designtheorien - exemplarisch 41___________________________________________________________________________

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gegen den Kitsch vorgeht, gegen Spitzendecken und repressivenMuff, erntet es den Beifall derer, die, weil sie grundsätzlicheVeränderungen nicht für nötig halten, ´Verschönerungen´eilfertig bejubeln. Aber in Wahrheit erhält die Repression nurein anderes Gewand, werden die Elemente des falschenBewußtseins weiter verstärkt, wird ein ihnen angemessenesSozialklima weiter geschaffen. Der Anspruch, zur Errichtungeiner menschlicheren Umwelt beizutragen, ist innerhalb deskapitalistischen Industrial Design nicht zu verwirklichen."

Dies kann man auch aus der pragmatisch-technokratischenSicht der frühen 90er Jahre sehen, vgl. etwa ZEC (1992a), derdie Schlüsselfunktion des europäischen Designs im Kampf derWirtschaftsregionen Europa, Japan, USA betont. Die erstePosition ist momentan nicht angesagt und die zweite möchten diemeisten Designer, im Gegensatz zu den Konstrukteuren, sodeutlich heute nicht hören. Sie bemühen sich um wohlklingendereBeschreibungen ihres Tuns. Die mutigsten Definitionen zumSpezifischen der eigenen Profession liefern die Praktiker.Zumeist sind sie sehr pragmatisch und wenig ausgearbeitet, ent-halten aber zahlreiche theorierelevante Aspekte. Durchgehendund theorie- und zeitgeistunabhängig ist die Proklamierung dereigenen Bedeutung für Glück und Lebensqualität der Braucher. Sehrwohl zeitgeistabhängig ist die Einschätzung derRealisierbarkeit dieses Anspruchs. Es geht dabei oft um diegenerellen Ziele von Design und um die Frage, wer kompetent ist,diese Ziele angemessen zu definieren und zu vertreten, etwaeher Planer und Techniker oder eher Gestalter. Eins derallgemeinsten Ziele scheint die Schaffung von "Lebenssinn" durchProdukte (vgl. etwa SUDROW 1989: 245, 248) zu sein.

Man könnte bei all diesen Aussagen statt von Definitionenbesser von Selbstbeschreibungen sprechen, weil die Identitätdes Systems, das sich selbst so bezeichnet, nicht problemati-siert wird. Man bedenkt nicht den Aspekt, daß es theoretischerReflexion bedarf, mit Anspruch von "Objektivität" den Bereichzu beschreiben, in dem man sich selbst als konstitutiverBestandteil befindet. Es wird deutlich werden, daß die Fragenach den Zielen von Entwerfen auf der hier vorgestellten theo-retischen Ebene unergiebig ist. Auf solchen Postulierungenaufsetzende ad-hoc-Theoriebildungsprozesse aus der Disziplinheraus scheinen eine wichtige Rolle in der Konstituierung des

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professionellen Selbstverständnisses zu spielen. Die häufigeBetonung des sozialen Engagements und der sozialen Verpflichtungläßt vermuten, daß es dabei auch um den Aspekt der Verge-wisserung bezüglich der eigenen professionellen Identität geht,die mehr umfassen soll als nur marktgerechte Dienstleistung.Hier besteht ein Gegensatz zu den Ingenieuren, die - zumindestauf der Ebene der Praxis - leichter ohne Derartiges auskommen.

Die gängigen Selbstbeschreibungen des Designs vermeiden dasenge Verständnis von Entwerfen als bloßer Formgebung industriellgefertigter Produkte. Man grenzt sich scharf ab sowohl vom noch(kunst-) handwerklich geprägten überlieferten Bild des"Verzierers", als auch vom heute in der Öffentlichkeitverbreiteten Bild des marktorientierten "Stylisten" von Pro-dukten, deren wesentliche Merkmale bereits an anderer Stellefestgelegt wurden. So betont SEEGER (1983: 39): "Die bisherigeBehandlung des Design als Teil einer allgemeinen Kunst- oderStilgeschichte ... wird insbesondere dessen sozialem Engagementnicht gerecht."

Weitgehend akzeptiert ist die recht allgemeine Umschreibungvon Entwerfen als produktdefinierendem Problemdefinitions- undProblemlösungsprozeß, jeweils mit präzisierenden Erläuterungen,in einem umfassenden, aber kaum näher spezifiziertengesellschaftlichen Kontext (vgl. SUDROW 1989: 243-268, SELLE1978 u.a.). SEEGER führt dies weiter aus (1983: 57): "Es wärefalsch, das Industriedesign weiterhin nur als angewandteMinimalästhetik (Ulm) oder als eine nur am Verkauf orientierte"Warenästhetik" zu verstehen. Ausbildung und Qualifikation derIndustriedesigner beinhalten heute einmal das umfassendeErkennen und Definieren der praktischen und sozialen Ge-brauchskriterien für ein Produkt sowie das Entwickeln kon-struktiver Lösungen dafür." Von allgemeinerem Interesse, imKontext der Begrifflichkeit von "Problem" und "Lösung", sindinsbesondere auch das hier so bestimmt reklamierte "Erkennenund Definieren der praktischen und sozialen Gebrauchskriterien"sowie die angeblich daraus resultierenden "besseren und ge-brauchstüchtigeren Artefakte" (SUDROW 1989: 244f). Extrem istder Anspruch des Designers als "Allgemeiner Problemlöser", wieer sich beispielsweise bei ROERICHT (1987) findet. Dieeingängige Formulierung stammt aus "Ulm" und wurde offenbarwiederbelebt durch die breite, aber recht unreflektierte

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Rezeption der "Sciences of the Artificial" von Herbert A. SIMON(1981, 1990).

Das weite Spektrum vom "Allgemeinen Problemlöser" bis zum"Sinnstifter" weist bereits hin auf das Spannungsfeld"Funktionalismus" - "Produktsemantik", auf das noch genauereinzugehen sein wird. Gerade in den vergangenen Jahren wurdengroße Anstrengungen unternommen, die Funktion von Design als"Beitrag zu unser aller Lebensqualität" zu begründen und derBehauptung (SUDROW 1989: 245, 248): "Im Haben von Produktenwird Lebenssinn gesehen." eine wissenschaftliche Fundierung zuverschaffen. Die entsprechende Theorieausprägung dazu wurde mitdem Namen "Produktsemantik" ("Theorie der Produktsprache")versehen. Überspitzt könnte man diese Position bezeichnen mitdem Schlagwort vom Entwerfen als "universeller Glücksbringer". Die Mängeldieses Ansatzes werden zunehmend deutlich, vgl. etwa KRIPPEN-DORFF (1991), der bereits dabei ist die Semiotik zu"transzendieren". Die hauptsächliche Kritik richtet sich gegendie verbreitete Ansicht, einem Ding einen definierten "Sinn"hinzufügen zu können und weist hin auf die extremeMark(e)t(ing)konformität dieser Theoriefragmente. KRIPPENDORFFbetont stattdessen nun die nicht weniger anspruchsvolleForderung, Design solle die individuelle Sinnkonstruktion derBraucher unterstützen anstatt den Sinn bereits fertigmitzuliefern.

Es präsentiert sich eine reiche Auswahl verschiedensterFunktionen von Design und eine offensichtliche Überfrachtungmit kaum einlösbaren Ansprüchen.

Das Verhältnis von Design und Wissenschaft ist immer wieder vonNeuem Thema, wobei eine gewisse Ambivalenz auffällt: Auf dereinen Seite die Herstellung der Beziehung Design - Wissenschaftim Sinne einer meist recht vorsichtigen Behauptung der"Wissenschaftlichkeit" von Design. Hierbei leistet das GALILEIvon BRECHT (1962: 125) in den Mund gelegte Wort, "daß das ein-zige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühseligkeit dermenschlichen Existenz zu erleichtern", immer wieder gute Ar-gumentationshilfe. Es scheint etwas Verlockendes und für dasDesign zugleich Beängstigendes an dem Gedanken der Wissen-schaftlichkeit zu geben, denn andererseits gibt es die Abgren-zung, die Unterscheidung zwischen dem "finden" (entdecken) in

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der Wissenschaft und "erfinden" (machen) im Design, dieUnterscheidung zwischen "Tatsachen erforschen" und "Tatsachenschaffen", nämlich "bessere und gebrauchstüchtigere Artefakte"(SUDROW 1989: 244f). Und dann ist da auch die klare undrealistische Einschätzung, daß es bis heute keine Designtheoriegibt und damit erst recht keine Design-Wissenschaft (SEEGER1983: 60).

Auch im Bereich der Konstruktionstheorie gibt es eine langeDiskussion dazu. Obwohl dort die unproblematische, weilakzeptierte Nähe zu den Ingenieurwissenschaften die Standortbe-stimmung erleichtert, ist ein Konsens über Gegenstand, Theorienund Methoden kaum abzusehen. Im Gegenteil, seit etwa Anfang der80er Jahre herrscht weitgehend Konsens, daß Entwerfen zwarGegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen sein kann, selbstaber wohl nicht als Wissenschaft anzusehen bzw. zu etablierenist (ARCHER 1991). Diese Aussage gilt nicht weniger, seit,insbesondere mit der Rezeption der Arbeiten von KUHN, dertraditionelle Begriff von Wissenschaft als der Alltagser-kenntnis prinzipiell überlegenes Instrument zur Gewinnung vonWissen über "die Welt, wie sie wirklich ist", in Frage gestelltwird. Um dieses Thema abzuschließen: "Wissenschaft ist dort, wodiejenigen, die als Wissenschaftler angesehen werden, nachallgemein als wissenschaftlich anerkannten Kriterien forschendarbeiten." (SEIFFERT 1989: 391f). Im Rahmen dieses Beitrags,als Arbeitshypothese, soll Design als Dienstleistungs-Disziplinverstanden werden, nicht als Wissenschaft (die Frage, obWissenschaft nicht auch letztlich Dienstleistung sein sollte,bleibt davon unberührt). Die Fragestellung, um die es hiergeht, kann allenfalls sein, ob Design-Theorie Wissenschaft istoder nicht. Auch sie ist noch offen.

Die Selbstbeschreibungen des Designs umfassen ein weitesSpektrum. Es reicht vom allgemeinen Glücksbringer über denMotor der Wirtschaft bis zum willenlosen Handlanger der Wirt-schaft. Am beliebtesten ist die Sicht vom sozial engagierten"Sinnstifter", dem gutwilligen aber infolge von Sachzwängen nichtimmer erfolgreichen Anwalt der Braucher.

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Probleme und "Lösungs" - Ansätze

Es folgt eine Zusammenstellung von kritischen Statements zurSituation und mehr oder weniger ausgearbeiteten Vorschlägen zuihrer Verbesserung bzw. zu ihrer theoretischen Durchdringung.SUDROW (1989: 250, 257) stellt aus der Sicht der Praxisselbstkritisch fest, Design bringe nicht die Lösung existen-tieller Probleme, sondern sei Teil des Problems selbst. Ersieht einen Widerspruch zwischen dem traditionellenFortschrittsbegriff und der Lebensqualität. Aus diesem Grundesei gestalterische "Grundlagenforschung" erforderlich, insbesondere inForm genauerer Bedarfsanalysen. Daneben müßten experimentelleFreiräume zur Entfaltung der gestalterischen Ausdrucksfähigkeitohne den kommerziellen Druck geschaffen werden. Die Probleme imsozialen und kognitiven Kontext sind also sehr wohl bewußt.SEEGER (1983: 24, 25) sieht die Produktvielfalt als gravierendesProblem. Die übliche Begründung von Seiten der Designer besteheim Hinweis auf Kundenwünsche. Mögliches Motiv, so SEEGER, seiaber eher die "Imitation der Vielfalt der Natur". Er stellt,ohne diese etwas mysteriöse Aussage näher zu erläutern, dieebenso undeutliche Frage, ob sich dahinter die "Schwäche derFachwissenschaft" oder die "Ängstlichkeit der Praxis" verberge?Die aktuelle Aufgabe sieht er darin, die Produktvielfaltsinnvoll reduzieren, nicht zuletzt aus ökologischen Gründen.Dazu müsse die Mensch-Produkt-Beziehung noch genauer als bisherin die Produktentwicklung und -gestaltung einbezogen werden.Das ist leichter gesagt als getan, vor allem, wenn man denSchlüssel dafür zuerst in der eigenen Disziplin(Fachwissenschaft und Praxis) sucht.

Von anderer Seite (VAN DEN BOOM 1989) wird die mangelndeInnovationsbereitschaft der Designer, speziell die nur sehr zögerndeAkzeptanz der neuen elektronischen Entwurfshilfsmittel, an-gesichts der heraufdämmernden "Informationsgesellschaft" be-klagt, einer "Gesellschaft, in der wir schwerpunktmäßig nichtmehr Güter, sondern Informationen produzieren und konsumierenwerden. ... Informationen sind ... weder Materie noch Energie;ich schließe daraus, daß Informationen extrem umweltfreundlichsind und trotzdem Spaß machen. Um Informationen zu produzierenbraucht man praktisch keine Rohstoffe, keine neuen landwirt-

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schaftlichen Nutzflächen, man hat keinen erhöhtenEnergiebedarf." Dann die "visionäre Definition von Design" als"formgebende Aufarbeitung von Information, damit sie für Men-schen genießbar wird." Die Frage nach der Natur der kognitivenProzesse wird dabei im Vorbeigehen mit erledigt: "Daß Designdurch den Computer unterstützt werden kann, impliziertletztendlich die Tatsache, daß Entwerfen schlicht und einfacheine Art von Datenverarbeitung ist." So einfach ist das!

RUPPERT (1990), ein kulturwissenschaftlicher Theoretiker,beklagt eine allgemeine Misere (er präzisiert sie als"Umweltkrise"), konstatiert eine Diskrepanz zwischen "denLebensbedürfnissen und ... einer instrumentellen Rationalität,die auf die Reflexion ihrer kulturellen Wirkungen und ihreskulturgeschichtlichen Ortes verzichtet und sich hinter demSchlagwort der Sachzwänge eine naturhafte Fassade gibt". Eswerden "Fluchtbewegungen" und "Sehnsüchte", vor allem nach"östlichem Denken" (nah- oder fern- oder ganz-nah-östlich???)konstatiert. In der Design-Ausbildung wird eine "aus der frühenindustriellen Arbeitsteiligkeit der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts stammende Reduzierung des Berufsbildes des Gestal-ters auf den Formentwerfer..." entdeckt und dann gefordert:"Das Studium darf sich nicht auf die Perspektive einesIndustrieunternehmens reduzieren, denn dessen Perspektiven sindunterschiedlich gegenüber denen der Gesellschaft oder -überhöht gesprochen - denen der Überlebenshoffnungen derMenschheit." Schließlich wird auch hier sehr bald derLösungsansatz zur "Ökologisierung der Industriegesellschaft"präsentiert: "... ein Diskurs der Engagierten über kulturelleVoraussetzungen unseres Denkens... Diese (Ökologisierung, W.J.)wird jedoch nur gelingen können, wenn hochkompetente Elitenauch aus den Bereichen der Gestaltungsarbeit, Technik undWirtschaft an dem gemeinsamen Ziel arbeiten." Die notwendigenKonsequenzen für die Ausbildung bestehen dann, so der Autor, inder Vermittlung der Fähigkeiten, "die Beziehungsgefüge der In-dustriekultur in ihren Entwicklungen zu erkennen, desDurchschauens von längerfristigen kultur- undsozialgeschichtlichen Entwicklungen, der Dechiffrierung von kunst-und designgeschichtlichen Zusammenhängen ... Die künftigenDesigner müssen verantwortliche Subjekte ihrer eigenen Arbeitwerden, nicht die Verantwortung an die Auftraggeber deligie-

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rende Geschäftsleute." Soweit eine Stimme aus derKulturwissenschaft.

Auffallend an allen diesen Positionen ist einerseits diedeutliche Sicht der Problematik der massenhaften Produktion vonimmer "neuen" Produkten, andererseits die Rede in einer unre-flektiert aus der Alltagssprache oder - im Falle derWissenschaftsbeiträge - der jeweiligen eng begrenztenFachdisziplin übernommenen Begrifflichkeit. Auf diese Weisegelingt das sofortige "Wieder-Zukleistern" der Problematik mitvermeintlichen Lösungen aus den jeweils eigenen Fachgebieten.Zwei Aspekte sind durchgehend zu beobachten:1) Die Beanspruchung der Position des externen, objektivenBeobachters. Aber extern in Bezug auf was? Gibt es "dasDesign"? Da ist keine von den Sprechern so einfach unterscheid-bare soziale Einheit, die auf diese pauschalisierende Weisebeobachtbar wäre. In der Betonung des sozialen Engagements wirdoffensichtlich verkannt, zumindest nicht thematisiert, daß De-signer Teil der Gesellschaft sind und ihre Funktion undIdentität gerade aus diesem Eingebundensein beziehen. Wohersoll so eine besondere Einsicht beispielsweise in die "eigent-lichen" oder die "wirklichen" Bedürfnisse kommen? 2) Die Beanspruchung einer objektiven Wahrheit, die mittels"Dechiffrierung" und "Durchschauens" der Phänomene erkanntwerden kann. RUPPERTs Beitrag gibt vor, das Problem mitsamt derLösung erkannt zu haben; die Schwierigkeit besteht offenbar nurnoch darin, daß niemand bereit ist, sich damitauseinanderzusetzen. Begriffe wie "Bedürfnis", "Lebensqualität"und "Sinn" werden nicht sehr viel reflektierter verwendet alsbei den Praktikern.

Der "Diskurs der Engagierten" (was immer dies sein mag) istzweifellos zu begrüßen. Gegenüber den "hochkompetenten Eliten",zu denen man sich offenbar selbst ohne Frage hinzurechnet, istjedoch äußerste Skepsis angebracht. Es kann doch nicht um eineerneute (diesmal aber ganz sicher zutreffende!) Interpretationhistorischer "Zusammenhänge" als Grundlage von Rezepten für dieZukunft gehen. Die wohlklingende Zielvorstellung, daßzukünftige Designer "verantwortliche Subjekte ihrer eigenenArbeit" werden sollen, übersieht einfach die Dynamik desSystems, in das diese Designer-Subjekte eingebunden sind. Es

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ist das ökonomische System und - bisher nur sehr schemenhafterkennbar - ein darin eingebettetes disziplinäres System. Unterderartigen Rahmenbedingungen kann diese Art von persönlicherVerantwortlichkeit nicht sehr weit führen. Der Umgang mit demProblem bewegt sich dann irgendwo in dem Spektrum zwischen demeinen Extrem des perfekten Selbstbetrugs hinsichtlich der (Un-)Verantwortlichkeit des eigenen Tuns und dem anderen Extrem, derKonsequenz, diesen Beruf wegen der Unmöglichkeit perfekt ver-antwortlichen Handelns nicht mehr auszuüben. Auf dieserausschließlich individuellen Ebene ist die Problematik kaumvoranzubringen.

Auch die Sicht von der Digitalisierung des Designs alsHeilmittel überzeugt nicht besonders. Die Thesen von VAN DENBOOM, zum großen Teil auch auf SIMON (1981, 1990) basierend,entsprechen eher den Wunschvorstellungen der gläubigen Gemeindeder symbolischen KI über menschliche Problemlösungsprozesse alsdem, was seit etwa 10 Jahren selbst in der ingenieurwissen-schaftlichen Entwurfstheorie weitgehend Konsens ist. DasNachwort von Oswald WIENER (nicht gerade ein KI-Gegner) zurdeutschen Übersetzung der Arbeit von SIMON ist geeignet, dieDefizite dieses Denkens zu illustrieren.

Wenn Entwerfen als Gegenstand anderer Disziplinen behandeltwird, geht es meist um sehr spezifische fachliche Fragestellun-gen, deren Ergebnisse über die Fachgenzen hinaus, vor allem imDesign selbst, meist nur sehr begrenzt brauchbar sind. Essollte zunächst auch gar nicht um Handlungsanweisungen gehen,sondern vielmehr um die Entwicklung eines theoretischen In-strumentariums zur angemessenen, möglichst disziplin-neutralen,Beschreibung der Situation. Wenn in weiteren Schritten darausErklärungen oder gar handlungsrelevante Vorschläge ableitbarsind, umso besser. Abschließend deshalb ein Beitrag derPhilosophie zum Entwerfen. Ansätze von dort erscheinen auf denersten Blick vielleicht deshalb so vielversprechend, weil manimmer noch voller Wohlwollen bereit ist, das Verständnis einerMeta-Disziplin mit Überblick und umfassender Kompetenz damit zuverbinden. Die "Wiederentdeckung des praktischen Handelns" in derPhilosophie seit Anfang der 70er Jahre (SEIFFERT 1985: 15-32),läßt umso mehr hoffen, hier Wege zu finden, den Vorgang desEntwerfens auf dem im Blick auf die Zielsetzung unverzichtbaren

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hohen Abstraktionsniveau zu behandeln. Nach JELDEN (1990) siehtdie philosophische Handlungstheorie Handeln als willentlichbegangenes, bewußtes und zweckgerichtetes Verhalten. Es gehtihr um den Versuch einer "Erfassung der Bedingungen der Mög-lichkeit von zweckgerichtetem Tun". Ansatz und Anspruch werdenaber sehr bald von der Autorin selbst stark eingeschränkt :"Vor allem von psychologischen und soziologischen Handlungs-theoretikern wird dieses rationale Verständnis von Wollen alsZweckidentifikation aufgrund von Werten oft als unrealistischabgelehnt. Dieser Einwand ist nicht zu widerlegen, sondern nurmit einem Hinweis auf die Beschränkung der philosophischenHandlungstheorie auf bewußtes, gerichtetes Verhalten zubeantworten. Auf jeden Fall ist hier eine Er-gänzungsbedürftigkeit der Philosophie durch die anderenDisziplinen bei der Erfassung des menschlichen Verhaltens über-haupt gegeben." Im Mittelpunkt der Untersuchung steht das Han-deln des Einzelnen: Konstrukteur, Verbraucher, Programmierer,etc. treten auf als ideale, für ihr Tun verantwortliche Sub-jekte. Zentrale Begriffe sind: "Bedürfnisse", "Wert", "Moral","Verantwortung", "Ethik", etc. Eine zentrale Konsequenz diesesAnsatzes ist dann die folgende: "So wird der Konstrukteur zumMit-Akteur bei allen Handlungen, die unter Einsatz seiner Kon-struktion als Mittel vorgenommen werden. Er trägt - als Stell-vertreter der zweckrationalen Handlungsbestimmung - dieVerantwortung für die ethische Legitimität des Mittels. Vondieser Verantwortung kann er sich nur insofern befreien, als erWertbezüge und Beschränkungen der Angemessenheit (durch Ge-fahren, Nebenwirkungen) des Mittels explizit mitteilt." DieEingebundenheit des entwerferischen Tuns in Systemzusammenhängewird zwar angesprochen, aber mit Hinweis auf die Grenzen deshandlungsphilosophischen Ansatzes sofort wieder auf das Indivi-duum zurückgeführt. Die Verantwortung bleibt letztlich beimeinzelnen Konstrukteur, dem, wenn er seine Arbeit nicht mehrvertreten kann, eigentlich nur noch die Konsequenz der Beendi-gung seines Arbeitsverhältnisses bleibt. Das mag eine korrekteBeschreibung der Situation vieler Ingenieure sein, es mag aucheine fundierte (handlungs-) philosophische Analyse sein,dennoch wirkt es reichlich hilflos und unangemessen. Der Ansatzist kaum geeignet, den Prozeß des Entwerfens in seinerkomplexen gesellschaftlichen Einbindung zu erfassen. Also

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insgesamt Ent - Täuschung über den Beitrag der Philosophie; dieMöglichkeiten der Handlungsphilosophie sind begrenzter alserwartet.

Bei LENK (1980) findet sich der deutliche Hinweis, "... daßeinzelwissenschaftliche Theorien allein die Probleme desHandelns nicht angemessen erfassen können ... Die Schwierigkei-ten einer interdisziplinären Integration der Wissenschaften vomHandeln, der Handlungswissenschaften, sind gewaltig." Ananderer Stelle (LENK 1989: 125, 126) betont er explizit die Be-grenztheit der philosophischen Handlungstheorie:"... eineHandlung ist nicht eine ontologische Entität, sondern eininterpretatorisches Konstrukt, eine semantisch gedeuteteEntität ... Die Unterschiede und verschiedenen Möglichkeiten,die Handlung zu einem besonderen Handlungsbereich zuzuordnen,hängen von der u.a. sozial beeinflußten Definition derSituation, vom sozialen Kontext und der Umgebung mit allen ih-ren Normen, Regeln, Traditionen, Werten, Bezugsrahmen, Be-zugsgruppen ab, die eine entscheidende Rolle spielen - schonbei der Wahrnehmung und um so mehr bei aktivem Sich-Orientieren, Reagieren und Handeln."

Also bleibt weiter die Frage: Welche Fachdisziplin beobachtet undinterpretiert das Entwerfen mit welchen Mitteln? Auf der Ebene derEinzelwissenschaften bleibt das Unternehmen eben Philosophieoder Soziologie oder Kulturtheorie mit Gegenstand Entwerfen.Interdisziplinarität klingt gut, aber das Problem besteht inder Integration der Ergebnisse zu einem qualitativ neuenWissenskomplex, der mehr als die Summe der Einzelbeiträgeumfaßt. Dies ist eine Aufgabe, an der viele "interdisziplinär"geplante Projekte letztlich scheitern. Es scheint sinnvoller,offensiv einen Ansatz zu suchen, der die Disziplingrenzenzunächst bewußt mißachtet. Man könnte ihn hier provisorisch als"transdisziplinär" oder gar "kontradisziplinär" bezeichnen. Esist heute unbestritten, daß Wissenschaft nur von Wissenschaftselbst (der Wissenschaftstheorie oder spezieller z.B. derWissenschaftssoziologie) angemessen beobachtet werden kann; derPhilosophie wird diese Aufgabe nicht mehr überlassen. DasErgebnis ist Wissenschaftstheorie. Vielleicht ist es deshalb amfruchtbarsten, wenn Experten aus dem Entwurfsbereich sich mitdem Entwerfen im oben skizzierten Rahmen befassen. Man mag sich

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als Entwerfer für einen solchen Experten halten, sollte dabeiaber deutlich den Mangel an methodischen und theoretischenHilfsmitteln zur Selbstreflexion im Auge behalten. Es wird alsodarum gehen, diese zu erarbeiten.

Als Integrationskern bietet sich der System-Begriff an, derdisziplinneutrale Bausteine für die Theorieentwicklung liefert.Es folgt deshalb nun eine kurze Übersicht über Designtheorien,speziell unter dem Gesichtspunkt "Systemdenken". Schwerpunktesind Deutschland (Konstruktionswissenschaften und Theorie desIndustrial Design) und England (Designtheorie im umfassendenSinne). Es ist anzunehmen und es gibt genügend Belege dafür,daß die Begriffe "Systemtheorie" und besonders "Systemtechnik"im deutschen Design, mindestens seit dem Ende des"Funktionalismus", keinen guten Klang mehr besitzen. Konzeptewie "Autopoiese" oder "Chaos", obgleich aus verwandtenDenkrichtungen stammend, gelten dagegen in ihren postmodernenPopulärvarianten momentan als besonders aktuell; allerdings istbisher nicht erkennbar, wie sie in die Theorie, geschweige dennin die Design-Praxis zu integrieren wären.

Die Systemtechnik ist - historisch gesehen - ein echtes"Kind des Kalten Krieges". Seit dem Ende der 40er Jahre in denUSA aus der Kybernetik und Informationstheorie entwickelt undin den Militär- und Raumfahrtprojekten der 60er Jahre("Polaris", "Apollo") zur Praxisreife entwickelt, vgl. etwa KO-ELLE (1976), DAENZER(1976/77) oder PATZAK (1977), ist sie ausder industriellen und ökonomischen Planungspraxis nicht mehrwegzudenken. Ebenfalls in den 60er Jahren bildete sie die Basisfür Theorieentwicklungen im Design und in der Konstruktion. Diefrühen Arbeiten von Christopher ALEXANDER (1964) oder BruceARCHER (1965) sind eindrucksvolle und anschauliche Beispielefür das damalige Design-Denken. In Deutschland wurden dieAnsätze v.a. in Ulm aufgenommen, vgl. in rückblickenderDarstellung etwa MALDONADO (1987) und RITTEL (1987). Man warvoller Euphorie über das Potential der neuentdeckten Technikenund glaubte, nun endlich ein adäquates Hilfsmittel zurwissenschaftlich fundierten Modellierung und Optimierung nichtnur planerischer, sondern auch kognitiver und sozialer Prozessegefunden zu haben. Man sah das Design auf dem besten Weg zurWissenschaft. Während im englischsprachigen Raum, wo die Tren-nung von Design und Konstruktion nie die ideologische Schärfe

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hatte wie in Deutschland, bereits zu Beginn der 70er Jahre dieUnzulänglichkeiten eines präskriptiv verstandenen Ansatzesdieser Art gesehen wurden und die entwurfstheoretische For-schung auf eine wesentlich breitere Basis psychologischer,soziologischer, philosophischer Art gestellt wurde, vgl. imÜberblick etwa CROSS (1984), verlief die Entwicklung inDeutschland anders. Es ist heute leider unerläßlich, zumindestin der Beschreibung, Konstruktion und Design (Technik undGestaltung) zu unterscheiden. Noch 1960 sagte Hans GUGELOT:"der designer ist ein konstrukteur, der den menschen als teileines systems mit einbezieht." Vielleicht ist der frühe Tod von"Ulm" mit ein Grund für die Polarisierung?

Daß Design heute Teil des Problems ist, das es zu lösen vorgibt,wird gesehen, sowohl intern, als auch in diversenWissenschaften, die sich mit Entwerfen befassen. DieLösungsvorschläge bleiben in den jeweiligen Disziplinenbefangen. Ein übergreifender Ansatz scheint erforderlich. DerSystembegriff, der sowohl in der Konstruktion als auch im Designeine Vorgeschichte besitzt, kann dabei als begrifflicher Rahmendienen.

Konstruktionstheorien in Deutschland (Engineering Design)

Ein Blick auf die Publikationslandschaft vermittelt denEindruck, daß eine so reichhaltige und bunte und dabei dochstark vernetzte "Design-Research-Szene" wie etwa in England, wosie mindestens Industrial Design, Engineeering Design,Architektur und Stadtplanung umfasst, hierzulande bedauerli-cherweise nicht (mehr) existiert. Es gab sie ansatzweise zurZeit von "Ulm" und kurz danach. Die englischen Ansätze werdenin Deutschland entweder kaum zur Kenntnis genommen oder aberrecht pauschal abgehandelt, wie etwa bei RUTZ (1985: 33): "Dieenglischsprachigen Autoren versuchen, alle Bereiche abzudecken,kommen dabei aber nicht über eine beschreibende Darstellunghinaus." Eine treffende Antwort auf diese provokante Bemerkung,gleichzeitig eine pointierte Charakterisierung der in ihrem"mainstream" etwas festgefahrenen deutschen Theoriesituation,liefert GREGORY (1986) in einer Besprechung der englischen

1.1 Designtheorien - exemplarisch 53___________________________________________________________________________

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Ausgabe der "Konstruktionslehre" von PAHL und BEITZ (1986):"Books such as this which attempt something like a compre-hensive statement, although they may provide a good teachingbase, tend to reflect a position which is becoming out of date,whether intellectually or practically. ... Another way ofregarding such a monument is to see it as a part of theinfrastructure upon which new endeavours can be built, even ifthe monument provides only rubble (Schutt, W.J.) for the newfoundations."Die deutsche Konstruktionstheorie, dem soliden und verläßlichenCharakter ihrer Exponenten entsprechend, ging also den einmaleingeschlagenen systemtechnisch orientierten Weg konsequentweiter und steht nun vor dem "Monument" einer weitgehend pro-duktneutralen Konstruktionsmethodik, die - wie in Deutschlandwohl unvermeidlich - ihren normativen Niederschlag in der VDI-Richtlinie 2221 (1985) gefunden hat. Das Schema ist in seinerGrundstruktur linear und betont die sequentiellen Phasen derProjektentwicklung. Sein Anspruch ist präskriptiv. Es solltekorrekterweise nicht als Entwurfsmethodik, sondern alsentwurfsbezogenes Projektplanungsschema bezeichnet werden, dasimplizit den Anspruch erhebt, auch den kognitiven Prozeß desEntwerfens in idealtypischer Weise zu beschreiben. CROSS undROOZENBURG (1991) bringen die Problematik des Ansatzes sehrdeutlich auf den Punkt: "As such these observations do not dis-qualify the model, because it is a prescriptive model thatintends to structure, and not to predict, design behaviour, butthere is not much sense in prescribing ´impossible´behaviour. ... opinions on the value of the model as aheuristic method for engineering design are still largely basedon personal experience and beliefs in its rationality."

Die deutschen Theoretiker konzentrieren sich, wie etwa beiNIEMITZ (1990) beschrieben, seit den 50er Jahren weitestgehendauf die methodisch-analytischen Ansätze in der "HANSEN-Tradition", deren Ziel die praktische Verbesserung des Prozessesund der Produkte des Entwerfens ist. Von besonderer Bedeutungin diesem Zusammenhang waren die Diskussionen um den "EngpaßKonstruktion" Anfang der 60er Jahre. Die in der Folgeentwickelten Methoden erscheinen, trotz der immerwiederkehrenden Berufung auf die Systemtechnik, wenigersystemorientiert im Sinne dynamischer, auch mit der Umgebung

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interagierender Abläufe, sondern vielmehr strukturalistisch, d.h.eine statische, nicht notwendigerweise bewußte Struktur anneh-mend, die den kognitiven Prozessen zugrundeliegt, die zu"entdecken" ist (bzw. bereits "entdeckt" wurde), die dann zubefolgen ist und die dann schließlich auch in Algorithmenumzusetzen ist. Charakteristisch für diesen normativen Ansatz istder Anspruch, die vielfach eher intuitiv-assoziative Ar-beitsweise der Praxis durch rational-systematische Methoden zuersetzen. Der oft im Hintergrund stehende Traum in diesenfrühen Tagen des Rechnereinsatzes war die vollständige Algo-rithmisierbarkeit des Entwurfsprozesses. Der Traum ist auchheute unverzichtbar, denn sonst wären die immensen Forschungs-anstrengungen zur Effizienzsteigerung des Computereinsatzes inder Konstruktion kaum zu rechtfertigen. Die geschlosseneAutomatisierbarkeit ist heute allerdings kein Thema mehr, dafürsetzt man umso mehr auf "KI" und Expertensysteme (vgl. etwaKRAUSE u.a. 1991). Die nichttechnischen bzw. nicht unmittelbarden individuellen kognitiven Prozeß betreffenden Aspekte müssendementsprechend weitestgehend ausgeklammert oder (wie in derVDI-Richtlinie 2221 mit dem Industrial Design geschehen) mitmehr oder weniger Gewalt in die algorithmische Methodik inte-griert werden. Dies erklärt, daß die gesellschaftlichen Entwick-lungen seit der 2. Hälfte der 60er Jahre die deutsche (andersals die englische) Methodik-Szene weitgehend unbeeinflußt ge-lassen haben. Allenfalls im Industrial Design sind die Auswir-kungen zu spüren, etwa in der Diskussion der "Kritik derWarenästhetik" (HAUG 1971) oder in der Debatte um die "Funktio-nalismus-Kritik" (vgl. z.B. GROS u.a.).

1.1 Designtheorien - exemplarisch 55___________________________________________________________________________

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Arbeitsabschnitte Arbeitsergebnisse

1 Klären und präzisieren der Aufgabenstellung

2 Ermitteln von Funktionen und deren Strukturen

3 Suchen nach Lösungsprinzipien und deren Strukturen

4 Gliedern in realisierbare Module

5 Gestalten der maßgebenden Module

6 Gestalten des gesamten Produkts

7 Ausarbeiten der Ausführungs- und Nutzungsangaben

Weitere Realisierung

Aufgabe

Anforderungsliste

Funktionsstruktur

Prinzipielle Lösung

Modulare Struktur

Vorentwürfe

Gesamtentwurf

Produktdokumentation

Abb. 1.1: Ablaufschema beim Entwickeln und Konstruieren nachVDI 2221.

Von Seiten der Konstruktionsmethodik wird im Blick auf dieDurchdringung des kognitiven Prozesses Stagnation beklagt. RUTZ(1985) fordert, ungeachtet seiner Kritik an der "nur be-schreibenden" Darstellung bei den englischsprachigen Autoren,mit Vehemenz eine deskriptive statt präskriptive Theorie undfolgt damit einer Entwicklung, die im englischsprachigen Raumfast 20 Jahre früher eingesetzt hat. Statt aber nun die Theo-riebasis zu verbreitern und erst einmal Grundlagenforschung zubetreiben, wird sogleich wieder nach "brauchbaren" Methodikengesucht. Er wird fündig bei einem psychologischenBeschreibungsmodell (MILLER, GALANTER, PRIBRAM 1960), dem sog.TOTE - Schema (Test-Operate-Test-Exit), vgl. Abb. 1.2.

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Zielzustand erreicht? xit

ja

neinVeränderung des

gegebenen Zustands

TE

O

est

peration

Abb. 1.2: RUTZ (1985: 92): "Das TOTE-Schema entspricht demRückkoppelungsprinzip der Kybernetik. Es ist damit in der Lage,die Dynamik des menschlichen Denkens zu erklären." (sic!)

Es handelt sich um die kybernetische Analyse des Verhaltens inForm von negativ rückgekoppelten Handlungsschleifen. GARDNER(1989) bezeichnet es, im Kontext seiner Entstehungszeit, alsAngriff auf das bis dahin dominierende behaviouristische Modelldes Reflexbogens; heute kann es wohl kaum mehr als irgendwieweiterführend bezeichnet werden. Die Position scheint vertret-bar, daß kognitive Prozesse des Problemlösens, geschweige denndes Entwerfens, auf absehbare Zeit nicht erfaßbar sind. Wirkönnen aber als Beobachter darüber kommunizieren und in derFolge auch Bedingungen schaffen, die das praktische Denken undHandeln im gewünschten Sinne beeinflussen (dies war die Absichtder Konstruktionsmethodiker). Auf jeden Fall erscheint es ver-früht, wenn CAD-Theoretiker oder Entwurfsmethodiker hier imAlleingang nach Lösungen suchen. Was herauskommt sind stetsModelle, die auffallend dem ähneln, was die jeweilige Disziplinohnehin produziert, also Software-Systeme oder Maschinen-systeme. Abb. 1.1 und 1.2 sind Belege dafür.

Die systemtheoretisch fundierten Theorien gelten imKonstruktionsbereich inzwischen weitgehend als Grundkonsens,auf dem alles Weitere aufzusetzen hat. Die Vorteile im Blickauf die Ausbildung und auf die formale Strukturierung komplexerProjekte sind unbestritten; gesehen wird allerdings auchzunehmend, daß die professionelle Praxis sie nicht im erhofftenMaße akzeptiert. Seit Anfang der 80er Jahre ist nicht mehr zu

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verdrängen, daß die algorithmischen Modelle der Realität derkognitiven Vorgänge und des praktischen Handelns kaumangemessen sind. Eine Zusammenfassung der wesentlichen Einwändefindet sich bei RIEHM (1983). Die Wunschvorstellung scheintdoch allzu weit von der kognitiven Wirklichkeit des Entwerfensentfernt zu sein. Auch die lange gehegte Vorstellung, etwa beiSPUR und KRAUSE (1985), der zunehmende Rechnereinsatz in derKonstruktion könnte den Methoden zum Durchbruch verhelfen, imSinne der "normativen Kraft des Faktischen", hat sich nichterfüllt. Die unzulässig starke Vermischung präskriptiver unddeskriptiver Ansätze wird eingesehen. Man räumt ein, daß manvon deskriptiven Theorien so weit entfernt ist wie eh und je,hält aber dennoch unbeirrt fest am Glauben an dieModellierbarkeit zumindest produktspezifischer Entwurfspro-zesse. Das wesentliche Hilfsmittel, auf das man nun baut, sindKI-Methoden, speziell Expertensysteme. Dieselben CAD-Theoretiker, die vor 10 Jahren die allgemeingültigen Methodikenpropagierten, fordern inzwischen produktorientierte Methodikenauf der Basis einer rechnerinternen Abbildung des(individuellen) Problemlösungsvorgangs (KRAUSE u.a. 1991). DasKonzept des "general problem solver" ist zumindest in der Kon-struktion damit verabschiedet.

Auch ROPOHL (1983), aus systemtheoretischer undtechnikphilosophischer Sicht, kritisiert den zu stark nor-mativen Charakter der Konstruktionswissenschaften und betontdie Notwendigkeit der weitergehenden Abstützung auf deskriptiveTheorien. Sein systemtheoretisches Beschreibungsmodell derTechnik (ROPOHL 1979), in dem er die Skizze einer "AllgemeinenTechnologie" präsentiert, ist geeignet, Beiträge zu einerumfassenderen Theorie zu liefern. Ihr Gegenstand wäre die Mengeder Artefakte, die Menge der menschlichen Handlungen und Institu-tionen, in der diese entstehen und die Menge der menschlichenHandlungen, in denen diese verwendet werden. Speziell denVerwendungszusammenhang, vermißt er in den bisherigen sy-stemtheoretischen Ansätzen der Konstruktionswissenschaften,etwa in HUBKAs "Theorie der Maschinensysteme" von 1973 oderHANSENs "Konstruktionswissenschaft" von 1974. ROPOHLs Sicht,daß Artefakte ihren Sinn erst darin finden, daß sie vonMenschen verwendet werden und damit soziotechnische Handlungssystemekonstituieren, mag für "gestandene" Konstrukteure noch etwas

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befremdlich klingen, tatsächlich gibt es jedoch bereitszahlreiche entsprechende VDI-Richtlinien, etwa zumergonomiegerechten (2242), zum recyclinggerechten (2243), zumsicherheitsgerechten (2244) oder zum instandhaltungsgerechten(2246) Konstruieren technischer Erzeugnisse. Die Sicher-heitstechnik (STRNAD / VORATH 1983) betont bereits sehr frühdie Notwendigkeit, technische Erzeugnisse nur im Kontext mitdem Menschen und der Umwelt (Mensch-Maschine-Umweltsysteme) zukonzipieren. Im Blick auf großtechnische Gefahrensituationen(Atomtechnik, Chemie, Gentechnik, etc.) ist dies jedoch kaumausreichend. Dort, wo es nicht mehr um individuelleZurechenbarkeiten auf Schädiger und Geschädigte geht, wird dasFehlen eines gesellschaftlichen Verständnisses von Sicherheit deutlich. Dieswürde bedeuten, nicht vorhandene Gefahrenpotentiale zuuntersuchen und ggf. wahrscheinlichkeitstheoretisch zuminimieren (zu eliminieren sind sie nicht!), sondern möglichezukünftige Gefahrenpotentiale noch nicht (bzw. zumindest nochnicht im industriellen Maßstab) existierender Techniken zuuntersuchen. Dies verweist bereits auf den Begriff der"experimentellen Technologiepolitik" in Kap. 4. Vgl. hierzuauch BECK (1986, 1988).

Aber auch die Konstruktionstheorie vollzieht in jüngsterZeit einen Begriffswandel: HUBKA und SCHREGENBERGER (1988),offensichtlich inspiriert von ROPOHL, sprechen nicht mehr vontechnischen, sondern von soziotechnischen Systemen. ImGegensatz zu ROPOHL verstehen sie darunter jedoch weiterhin nurden Entstehungszusammenhang der Artefakte, d.h. den Konstrukti-onsprozeß in seinen kognitiven und (eingeschränkt) auchsozialen Dimensionen. Der Verwendungszusammenhang in seinersozialen Dimension bleibt weiter ausgespart. Vgl. hierzu dieAbbildung (1988: Fig. 1) "Konstruktionssystem": der sozialeProzeß des Entwerfens, hier im Konstruktionszusammenhang, wirdals System bezeichnet. Das Systemverständnis ist unübersehbardas des Regelkreises. Gegenüber RUTZ (Abb. 1.2) ist einesoziale Ebene, der Management-Prozeß, hinzugefügt.

Ein wichtiger Beitrag zur Verständigung über dieDisziplingrenzen ist ihr morphologisches Ordnungsschema zurKategorisierung konstruktionswissenschaftlicher Aussagen. Diebeiden Merkmale mit ihren je zwei Ausprägungen, Wissen über

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technische Systeme / Wissen über den Prozeß sowie deskriptive /präskriptive Aussagen liefern 4 Klassen von Aussagen:

ManagementProzeß

Bedarf Konstruktionsprozeß(Konstrukteure handhabenArbeitsmittel)

Mittel, dieBedarf decken

externes Wissen

Ziele,Anordnungen

Kontroll-Informationen

Abb. 1.3: "Konstruktionssystem" bei HUBKA / SCHREGENBERGER(1988).

a) Deskriptive Aussagen über technische Systeme im Gebrauchszustand.Sie bezeichnen sie als "Technische Systeme-an-sich". Dies isteine sehr mißverständlich Formulierung, da scheint der Wunschzur Eingrenzung, zum Behalten der Übersicht im Vordergrund zustehen. Aber es gibt keine "Technischen Systeme an sich", esgibt keinen Gebrauchszustand ohne Braucher!b) Präskriptive Aussagen über technische Systeme (Konstruktions-Sachwissen). Dies erscheint am wenigsten problematisch; dieAuswahl einer Schraube oder eines Lagers aus einem Katalog istsicherlich automatisierbar.c) Deskriptive Aussagen über den Prozeß ("Theorie derKonstruktionsprozesse"), hier überwiegen, so die Autoren, noch"vorwissenschaftliche" Hypothesen. Aus der Sicht dervorliegenden Arbeit ist hier ist die Unterscheidung zwischenkognitiven und sozialen Aspekten des Prozesses unerläßlich.d) Präskriptive Aussagen über den Prozeß (Konstruktionsmethodik).Die Problematik wurde oben skizziert.Zusätzlich e) Deskriptive und präskriptive Aussagen überArbeitsmittel, z.B. Computer.

Dieser bisher noch rudimentäre Ansatz erscheint sinnvoll,muß jedoch erweitert werden um die vernachlässigte bzw. eherbewußt ausgeklammerte soziale Dimension auf unterschiedlichenEbenen (Team, Unternehmen, Gesellschaft). Besonders deutlichwerden die Defizite in den prozeßorientierten Problembereichen.

Ein neuer Beitrag von ROPOHL (1991a) sieht in der seit den50er Jahren verstärkten Zusammenarbeit zwischenKonstruktionstheorie und Systemtechnik / Systemtheorie bereits

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den Übergang vom "szientifischen" zum "technologischen"Paradigma: "Statt der szientifischen Beschränkung auf dienaturale Dimension der Sachen besteht das technologischeParadigma auf der Gesellschaftlichkeit des technischenHandelns, das sich der Sachen bedient und neue Sachen hervor-bringt ... So kann das technologische Paradigma, wenn esplanmäßig ausgearbeitet wird, zu einer neuen Grundlagendiszi-plin der Technikwissenschaften führen, die ich "AllgemeineTechnologie" nennen möchte." Konkret sieht er die folgendenpositiven Anzeichen:Ausweitung des Systemhorizontes: Die Verbreitung von Systemdenken hatzur Folge, daß ein Objekt nicht mehr als isolierter technischerGegenstand, sondern als Funktionsträger in seinenWechselwirkungen und Verflechtungen mit anderen Gegebenheitender natürlichen, technischen und gesellschaftlichen Umgebunggesehen wird. "Die Perfektionierung einzelner Sachsysteme wirdersetzt durch die Optimierung ökotechnischer undsoziotechnischer Systeme."Ausweitung des Zeithorizontes: Er konstatiert eine zunehmenddynamische Sicht auf den gesamten Lebenszyklus eines Sachsy-stems von der Planung bis zum Recycling. Vermutlich habenProduzenten dies schon immer getan, wenn nur der ökonomischeZwang dazu bestand. Aber was hat dies mit dem folgenden Satz zutun, der einen ganz anderen ethischen und zeitlichen Horizontanspricht? "Technisches Handeln gestaltet die Zukunft und kanndies nur verantworten, wenn es die zukünftigen Handlungsfolgenvon vornherein jederzeit berücksichtigt." Wer bewertet dieseHandlungsfolgen? Wer ist Träger dieser Verantwortung?Ausweitung des Qualifikationshorizontes: Der heutige Konstrukteur " ...benötigt ... fachübergreifende Qualifikationen, die ihnbefähigen, in interdisziplinär zusammengesetzten Gruppen mitVertretern anderer Bereiche und Fächer fruchtbarzusammenzuarbeiten." Dem ist ohne Einschränkung zuzustimmen.Aber sind auch Vertreter der Soziologie oder der Psychologieoder gar der Philosophie gemeint?Ausweitung des Methodenhorizontes: " ... im Gegensatz zum analytisch-elementaren Prinzip der klassischen Naturwissenschaften ver-folgen diese Methoden das synthetisch-systemare Prinzip, indemsie Komplexität nicht künstlich verdrängen, sondern im

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Gegenteil ausdrücklich anerkennen und planmäßig damitarbeiten." Ausweitung des Werthorizontes: Er betont, " ... daß es in der Techniknie die eine beste Lösung gibt, sondern daß immer unterLösungsalternativen auszuwählen ist. Für die Auswahl kommenaber nicht nur Kriterien der sachtechnischen Funktionsfähigkeitund der betriebswirtschaftlichen Effizienz in Betracht, sondernauch die nicht-technischen und die nicht-wirtschaftlichen Werteder Lebensqualität ...". Ja! Und weiter? Wie kann das praktischaussehen?

ROPOHLs zuweilen euphorisch anmutende Rede wirkt mehr wieeine programmatische Wunschvorstellung und kaum wie einerealistische Beschreibung der Situation und des Bewußt-seinsstandes in der deutschsprachigen Konstruktionstheorie.Aber dennoch: Utopien sind wichtig! Nur, wenn schon Utopie,dann sollte sie auch in der Verwendung ihrer Schlagworte etwasgeschickter operieren. Die Rede vom "technologischenParadigma", angelehnt an sein durchaus sinnvolles Konzept der"Allgemeinen Technologie", hat angesichts der Auswüchse destechnologischen Zeitalters schon rein semantisch keinebesondere Attraktivität. Oder ging es vielleicht doch mehr umeine Festrede für die Gemeinde der Konstruktionstheoretiker?

Das systemtheoretische Denken der Konstruktionstheorie inDeutschland arbeitet weitgehend mit dem Regelkreismodell desEntwerfens: PLANvolle Angleichung eines IST-Zustands an einen von"außen" gegebenen SOLL-Zustand. Der soziale Aspekt desVerwendungszusammenhangs der Objekte und Systeme bleibtausgespart bzw. wird auf technische Lösungen reduziert.

Designtheorien in Deutschland (Industrial Design)

Übersichten über die Theorieentwicklung finden sich etwa beiSELLE (1973, 1978) aus kulturwissenschaftlicher Sicht oder beiBÜRDEK (1991a) aus der Sicht eines theoretisch orientiertenPraktikers. Eine gängige Einteilung ist die folgende Ordnungnach Dekaden:

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- die 50er als Jahrzehnt der Wissenschaften,- die 60er als Jahrzehnt der Kybernetik und derPlanungsmethoden,- die 70er als Jahrzehnt des sozialen Engagements,- die 80er als Jahrzehnt der Selbstverwirklichung.Die 90er sind noch zu vergeben: Öko (-logie) - Design liegt gutim Rennen, auch wenn die Neigung zunimmt, es bis zum nächstenÖko (-nomie) - Boom erstmal zurückzustellen. Die mehroptimistisch-postmodern-zukunftsorientierten Vertreter derZunft plädieren für das "Interface-Design". Und dann gibt esnoch recht zaghafte Wiederbelebungsversuche von "System-Design"oder "Intelligent Design" (Europäischer Design Kongreß Essen,November 1992); wobei noch nicht erkennbar ist, ob estatsächlich nur als zweiter Aufguß der Systemtechnik der 60ergedacht ist oder ob mehr dahinterstecken soll. Die folgenderecht holzschnittartige Charakterisierung nachVierteljahrhundert-Phasen stammt von MASER (1992b).

Zeit Theorie Praxis Beispiel

19001925195019752000

KunstKunstWissenschaftKybernetik (CAD)Kybernetik

HandwerkIndustrieIndustrieIndustrieAutomation

HistorismusJugendstilBauhausUlm"Pluralismus""Post" - ...

Tabelle 1.1: Design-Phasen nach MASER (1992b).

Bis in die 70er Jahre dominierte der "Funktionalismus", dessenwesentliche Wurzeln in den Ideen des Bauhauses liegen. Die"Verwissenschaftlichung" der Designpraxis, erstmals konsequentvertreten von Hannes MEYER, war bis zum Ende der HfG Ulm diewesentliche Grundlage der Theorieanstrengungen. Mit Hilfenatur- und humanwissenschaftlicher Theoriebeiträge entwickelteman Methoden, um die planerischen und gestalterischen Prozessezu rationalisieren, zu strukturieren, kontrollierbarer undeffizienter zu machen und Fehlerquellen zu beseitigen.

1.1 Designtheorien - exemplarisch 63___________________________________________________________________________

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Problemstellung

Zustandsanalyse

Problemdefinition /Zieldefinition

Konzeptentwurf /Alternativenbildung

Bewertung undAuswahlentscheidung

Entwicklungsplanungund Ausführungsplanung

Abb. 1.4: Informationstheoretisches Modell des Designprozessesnach BÜRDEK (1975).

Sieht man von den aufklärerischen Utopien ab, damit einebessere, gerechtere, zur Selbstbestimmung ihrer Bedürfnissebefähigte Gesellschaft zu fördern, so kann man von einem prak-tischen Instrumentarium zur Organisation komplexer werdenderDesignprojekte sprechen. BÜRDEK (1971, 1975) gibt einenÜberblick über die wichtigsten Verfahren. Er beschreibt denDesignprozeß entsprechend Abb. 1.4 alsinformationsverarbeitendes System. Verbunden damit ist einMethodenbaukasten mit den wichtigsten systemtechnischen "Tools"für die Designpraxis.

Die Kritik daran, die "Revolte" dagegen wurde ausgetragen inder "Funktionalismusdebatte". Das noch recht junge und nochnicht sehr entwickelte Kind Systemtheorie wurde "mit dem Badeausgeschüttet". Spontan wie man eben ist, verabschiedete mandie "rationalistischen" Theorien der "Moderne" ganz und gar.BÜRDEK (1991a) spricht von einem "Paradigmenwechsel" Mitte der70er Jahre, weg von der Eindimensionalität der Naturwissen-schaften und hin zur Theorienvielfalt derGeisteswissenschaften. Er versucht , dies mit den Arbeiten vonKUHN und FEYERABEND zu belegen. Habe man bisher eher deduktivgearbeitet, von der allgemeinen Problemstellung zur speziellenLösung fortschreitend (von außen nach innen), so gehe man im

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Neuen Design zunehmend induktiv vor (von innen nach außen). DieFrage sei: Für welche Zielgruppe läßt sich ein speziellerEntwurf überhaupt anwenden oder vermarkten? Was bedeuten dieDinge für uns? Die Argumentation erscheint nicht sehrschlüssig, sie wirkt eher wie der nachträgliche Versuch derKonstruktion einer plausiblen Erklärung disziplinärer Umbrüche:Das bisherige Ziel (Verbesserung der Gesellschaft) warverlorengegangen bzw. nicht mehr haltbar, das neue Ziel(Service für die Wirtschaft) klang nicht so verlockend, deshalbmußte man ein neues Erklärungsmuster erfinden (Dienst amIndividuum). Dies war durchaus folgerichtig in einer Ökonomie,in der es nicht mehr um Bedarfsdeckung, sondern umBedarfsweckung und Bedarfserzeugung ging.

Die kritischen Theorien aus dieser Zeit formulieren diessehr deutlich. SELLE (1973) beschreibt das "neue Paradigma" inForm eines kybernetischen Regelkreises, den er als vergrö-berndes hypothetisches Modell der Massenkommunikation über dasMedium Produkt- und Umweltform bezeichnet. Die Grundannahmensind wie folgt:1) Designobjekte vermitteln produktsprachlich codifizierteInformation. Diese Annahme wird in Kap. 1.2 noch kritischbeleuchtet.2) Produktgestaltung und Werbung bilden einen Medienverbund fürkoordinierte Informationsmaßnahmen. Dieser ist der direktenEinwirkung des Konsumenten entzogen. Damit besitzen sie(Produktgestaltung und Werbung) die Funktion von Massenmedien.3) Massenkommunikation ist immer indirekt und verläufteingleisig. Der Konsument der Information muß sich weitgehendpassiv verhalten. Es gilt die Grundannahme, "daß die Moral- undWertvorstellungen des Menschen ... heute durch die Mediengeformt werden." Auch dieses Postulat ist zu korrigieren.4) Trotz einseitigen Verlaufs des Kommunikationsflusses handeltes sich nicht um eine Informations-Kette, sondern infolgeRückkopplung um einen Kreis (Abb. 1.5). Allerdings ist der Kon-sument dabei passiv, die Rückkopplung erfolgt durchRegistrierung seines Verhaltens.

1.1 Designtheorien - exemplarisch 65___________________________________________________________________________

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ProduktplanungDesignund

W erbung(ID und KD)

Konsum

Rückkopplung

Abb. 1.5: Der Zyklus von Produktplanung, Design / Werbung undKonsum (SELLE 1973).

Abb. 1.6 zeigt die Rückkopplungsmechanismen von Produktion undKonsumption sowie die Funktion von Design und Webung (1973:150, 151): "Der Konsument wird auf verschiedene Weise direktund indirekt angesprochen oder ´manipuliert ´". Sein Zweckbestehe darin, das Konsumverhalten bzw. die allgemeineKonsumbereitschaft auf hohem Niveau zu halten und vorStöreinflüssen zu bewahren. Das Konsumverhalten ist meßbar etwain Absatzziffern, diese wiederum sind abhängig von derKaufkraft und von den Einstellungen und Konsumnormen derZielgruppen. Das Erklärungspotential wird sehr hocheingeschätzt (1973: 152): "... das Modell macht anschaulich, inwelcher engen Beziehung die ökonomischen Interessen derProduktion und ihre Ideologien stehen, wie sie sich quasi´gegenseitig´ regeln oder bestätigen in einem stabilen Systemder Informationsflüsse und -rückflüsse, das aufSelbstregulierung bei Abweichungen oder auftretenden Störungenangelegt ist. ... Auch die Unterhöhlung und die Verfälschungauthentischer Gebraucherbedürfnisse lassen sich so amRegelkreismodell erklären." Der pessimistische Grundtenorbetont die vermeintlich kaum aufzubrechende Stabilität diesesMechanismus. Chancen werden, wenn überhaupt, in derEinflußnahme auf die übermächtigen, das Bewußtsein derKonsumenten determinierenden Überbau-Institutionen gesehen.Unabhängig von der Frage, ob ein determinierender Einfluß vorliegtoder nicht, seien hier zwei Bemerkungen aus der Perspektive von1993 angeführt:- Systemimmanente ökonomische und ökologische Probleme wirkenmehr und mehr destabilisierend auf das System selbst zurück und- schon rein mathematisch besitzen derartige Regelkreiseinhärente Destabilisierungstendenzen (vgl. Kap. 2.1).

66 1 Designtheorien__________________________________________________________________________________________

Pessimismus ist also heute kaum noch in Bezug aufVeränderbarkeit angesagt, sondern eher im Blick auf dieMöglichkeiten der Einflußnahme auf die Richtung derVeränderungen.

Daten von der ökon. Basis zum Überbauideologisch-normatives Feedback vom Überbauzu Werbung und Formgebung

indirekte Beeinflussungsmaßnahmen auf das "institutionalisierte Bewußtsein"

direkte Maßnahmen zurBeeinflussung des Konsumenten

Formgebung und Werbung

Daten fürMaßnahmen

ökonomischeBasis

Management undMarketing(Zielsetzung derProduktion)

Konsument(Zielgruppen)

Verhaltens-dispositionen Überbau-Institutionen

"Bewußtsein"normativeOrientierungshilfen

Feedback des Verhaltens

ideologisch-normatives Feedback vom Überbau zum Management

ideologisch-normatives Feedback vom Überbau zur ökon. Basis

Feedback des Verhaltens

Abb. 1.6: Der Regelkreis von Produktion und Konsumption (SELLE1973: 151).

Soweit SELLE. Die von innerhalb der Design-Szene offenbar nurschwer erkennbare ökonomische Bedingtheit und Konformität mitdem "postmodernen" Zeitgeist ist von außen allzu deutlich. Mankam eine ganze Weile ohne Theorie aus, man emigrierte in den"Okkultismus" (ROERICHT 1987) oder beschäftigte sich mit dereigenen Selbstverwirklichung. In der Praxis lebte derFunktionalismus (zumindest als Stil) trotz seinerVerabschiedung weiter, aber in der medialen Öffentlichkeit gabdas "Neue (deutsche) Design" den Ton an.

Einigen reichte dies nicht. In der 1. Hälfte der 80er Jahrewerden in (West-) Deutschland Stimmen laut, die die Situationder Theorielosigkeit beklagen (GROS 1983). Als neues Theo-rieangebot wird ein recht eingeschränkter, aber in seinerBeschränkung dennoch ausgearbeiteter Ansatz auf der Basisgeisteswissenschaftlicher Konzepte (Hermeneutik, Phänomeno-

1.1 Designtheorien - exemplarisch 67___________________________________________________________________________

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logie, etc.) präsentiert: Design als Sinnproduktion, Desi-gntheorie als "Theorie der Produktsprache" ("Produktsemantik"),im breiteren Zusammenhang dargestellt bei BÜRDEK (1991a). Auchdie amerikanische Variante der Produktsemantik, vertreten u.a.durch KRIPPENDORFF (1991), äußert den Anspruch der Sinngebungdurch Design. Es wäre wunderbar, wenn die Disziplin dieskönnte; weiter unten dazu mehr.

Man kann durchaus geteilter Meinung darüber sein, ob die heutigeTheorie-Situation, wie MASER sagt, ausgerechnet von Kybernetikdominiert ist. Der Begriff ist immer noch eher negativ besetzt,als Stichwort weist er dennoch auf einige bedenkenswerteAspekte hin:- Es gab eine große Euphorie in Bezug auf "high-end" - CAD,hervorgerufen durch die plötzliche Flut der "pretty pictures".Diese ist seit einigen Jahren vorbei, weil der Nutzen nichtüberzeugt und die Kosten zu hoch sind. Vgl. etwa BÜRDEK(1991b). Der Weg zu den bunten Bildern ist mühsame undzeitraubende Routinearbeit und hat wenig mit der gewohntengestalterischen Entwurfsarbeit zu tun. Der eigentliche Nutzen,die Schnittstelle zur Fertigung, ist für das Design vonuntergeordneter Bedeutung. Die große Chance, über CAD dieSchnittstelle zur Konstruktion zu verbessern, ist kaum einThema; dort gibt es noch Berührungsängste.- Die Euphorie hat sich verlagert auf kleine flexible Geräte.ROERICHT (1987) propagiert "Machine Aided Work (MAW)" anstelledes aus seiner Sicht zu stark industriell besetzten CAD-Begriffs. Es ist richtig, daß CAD eine Denkweise oder auch eineIdeologie mitliefert, aber dies tut MAW auf seine Weise ebenso.- Man sieht neuerdings die Gestaltung von Geräten derMikroelektronik als neues Arbeitsfeld ("Interface Design");vermutlich nicht zuletzt deshalb, weil es dafür so schöne,einfache Software gibt. Dies ist ein typisch interdisziplinäresFeld: bei der Prozeß-Logik sind Psychologen, Ergonomen und v.a.Techniker erforderlich, bei der Grafik eher Grafik-undKommunikations-Designer. Was machen die Industrial Designer?Eine ganz wichtige Aufgabe besteht in der Weiterentwicklung desCAD-Prozesses selbst, denn beim Entwerfen sind Designertatsächlich Experten. Es wird darum gehen, von einerBildschirm-Schnittstelle (wie seit dem Beginn bis heute üblich

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mit Tablett, Maus, Keyboard, etc.) zu einer VR (VirtualReality) - Schnittstelle zu kommen, zu einem "virtuellenModellbau". Ein bedenkenswertes Szenario hierzu findet sich beiDEKKER (1992).

Eine andere "Schule" (VAN DEN BOOM 1990, 1984) propagiert dievollständige Digitalisierung des Designs, u.a. auf der Basisder CHOMSKYschen Linguistik und der SIMONschen KI-Ansätze. Erverspricht zunächst sehr viel, seine Gedanken deshalb hierausführlicher: "Wir brauchen an der Maschine eine menschlicheSeite, und für die ist der Ingenieur nicht vorgebildet. ... DerDesigner ("der nächste Verwandte des Ingenieurs") trans-formiert das industrielle Produkt von der raumzeitlich-objektiven Naturwelt des Physikers und Ingenieurs in diealltägliche Lebenswelt des Durchschnittsmenschen ..." Designsoll die Form nicht länger "zum Diener (der Technik, W.J.) er-niedrigen, sondern zum Lehrer für Lebensformen erheben. ... Un-ter dem Stichwort des qualitativen Wachstums wird die bisherigeIngenieur-Industrie zunehmend durch eine Designer-Industrieallseitig intelligenter Produkte abzulösen sein, die vomMenschen als humanwissenschaftlich erforschtes Thema ausgeht."

Den Design-Prozeß sieht der Autor, wie heute üblich, alssemiotischen Prozeß: " ... alle Investition von Arbeit, welchedie materielle Reproduktion übersteigt, dient im Grunde derProduktion von Zeichen." Design ist für ihn die "expliziteCodierung semantischer Information von Industrieprodukten. EinDesigner, der die Bedeutung von ihm entworfener Produkte selbernicht hinreichend aufschlüsseln kann, ist doch wohl imwichtigsten Aspekt seiner Arbeit gescheitert. ... Designtheoriefaßt Designobjekte als Medien auf und enträtselt dieBotschaften, die sie sind. ... Designtheorie nenne ich diesystematische Überlegung, was Design ist und sein soll. IhrThema ist der Mensch als Umweltgestalter; er ist das einzigeWesen, das seine Lebensvoraussetzungen herstellen muß. ...Fundamental für die Designwissenschaft ist eine Handlungstheo-rie, die sich nicht am Homo öconomicus, sondern am Homo faber,ja am Homo ludens, dem spielenden Menschen orientiert."

Bemerkenswert ist seine Ermahnung: "Die Design-Praxis solltevon der Theorie nicht vorschnell eine ´praktikable´, einesogenannte ´verständliche´ Theorie fordern ... Designtheorie fordert

1.1 Designtheorien - exemplarisch 69___________________________________________________________________________

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anspruchsvolle Nachdenklichkeit." Bisherige hermeneutische Ansätzekommen, so der Autor, über "begleitende Reflexion" nichthinaus. Nun aber bahne sich in den Geisteswissenschaften eine"Revolution" an: "... sie sind vielerorts auf dem Wege zurexakten Wissenschaft und damit auch auf dem Wege derAnwendbarkeit ... auch der Mensch scheint entgegen seinem ge-schichtlich-provisorischen, seinem Entwurfscharakter, endgültigberechenbar zu werden. ... Nicht bloß der berechnende Verstand,auch der schöpferische Geist findet sich plötzlich in derKonkurrenz zur Maschine, zum Computer wieder." Damit dieGesellschaft dadurch nicht in eine ähnliche Krise geführt wirdwie zuvor durch die exakten Naturwissenschaften im Bund mit denIngenieuren, habe der Designer nun die Aufgabe, "im Dialog mitden exakten Geisteswissenschaften" die neuen Techniken zubeherrschen.

Information, verstanden als die "Aufprägung einer Form",wird zum Schlüsselbegriff erhoben: "Zwischen den Menschen undden Dingen bestehen also Informationsstrukturen." In einemwissenschaftstheoretischen Gewaltakt wird dann die Linguistik(CHOMSKYscher Ausprägung, wie es scheint) zur integrativentheoretischen Basis erklärt: "Diese Wissenschaft übernahm ander Schwelle des 20. Jahrhunderts nun endgültig und energischdie Führung in der Methodologie der neuen Geisteswissenschaftund hat sie bis heute inne. Sie ist es schließlich, die zumkompetenten Gesprächspartner der Naturwissenschaft wurde. Sieist das Paradigma exakter Geisteswissenschaft, an dem sichalles, was sonst noch in der Geistes- und Sozialwissenschaftaufgewacht war, anlehnte und orientierte. Sie ist esschließlich auch, die all das assimilieren konnte, was da imGrenzbereich von Natur- und Geisteswissenschaft sowie derPhilosophie an Wertvollem entwickelt worden war, z.B. in derWahrnehmungspsychologie, der Phänomenologie, der mathematischenLogik, der Semiotik, der Kybernetik."

Es ist schon erstaunlich, was man in der Design-Szene soalles behaupten kann. Jedenfalls ist es dann kein Problem mehr,den einige Atemzüge zuvor als nicht so dringend bezeichnetenSchritt zur Praxis zu vollziehen. Die Praxisrelevanz werde sichmit dem Einzug des Computers zeigen: "Der Designprozeß ist,utopisch zuende gedacht und auf die Spitze getrieben, ein An-

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wendungsfall von Datenverarbeitung. ... Computer und Design,das könnten bald austauschbare Begriffe werden ..."

Soweit VAN DEN BOOM. Bei aller Angreifbarkeit seinerPosition: Interessante Überlegungen zum Thema Entwerfen mit undohne Computer, aber noch lange keine Theorie. Durchweg werden"Supersingulare", wie LUHMANN (1990: 500, 501) sie nennt, ver-wendet: "Das Design" tritt auf wie ein aktiv handelndes Sub-jekt, ebenso "der Designer" als autonomes Subjekt seines Tuns.Die Eingebundenheit in ein gesellschaftliches, kulturelles undökonomisches System wird gesehen, bleibt aber in ihrenImplikationen weitgehend unreflektiert. Gesellschaft erscheintbei VAN DEN BOOM gleichbedeutend mit "der Mensch" bzw. "derDurchschnittsmensch". Der produktsemantische Ansatz ist inzwi-schen weitgehend akzeptiert. Der Anspruch allerdings, derDesigner müsse diesen Sinn (des Produkts) exakt erfassen kön-nen, um seine Aufgabe zu erfüllen, ist abwegig und führt überdie naiv informationstheoretische Sicht (Transport einerBotschaft durch das Objekt) kaum hinaus. Dringend erforderlichist eine Kommunikationsebene, die vom Einzelobjekt (und vomEinzelsubjekt) abstrahiert . Wo der Theorieansatz präzisiertwird, wie bei der Behauptung der zentralen Funktion derCHOMSKYschen Sprachtheorie als Basis einer "exakten Geisteswis-senschaft" und der Betonung der Parallelen von Design und Com-puter, wird das Denken einengend. Man fühlt sich in dieKybernetik-Euphorie der frühen 60er Jahre zurückversetzt. Auf-fallend sind auch die Parallelen zu dem, was -weniger geistes-wissenschaftlich "fundiert"- bis vor etwa 10 Jahren in derdeutschen Konstruktionstheorie (s.o.) vielfach vertretenwurde: daß nämlich Entwerfen prinzipiell computerisierbar sei.Herbert A. SIMON (1981, 1990) läßt grüßen. Eine sehr fundierteAuseinandersetzung mit der Beziehung von KI und Entwerfenfindet sich bei COYNE / SNODGRASS (1993).

Was zunächst wie eine sorgfältige Annäherung an dasschwierige Feld aussieht ("Designtheorie fordert anspruchsvolleNachdenklichkeit") erweist sich schließlich in wesentlichenTeilen als eine sehr gewagt argumentierende Forderung nachverstärkter Computeranwendung in Ausbildung und Praxis desIndustrial Design. Der Eindruck drängt sich auf, daß hier dieeigenen philosophischen Vorlieben (PLATO, LEIBNIZ, FREGE, dersogenannte "frühe" WITTGENSTEIN, CHOMSKY, ...) und die profes-

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sionellen Anforderungen der Praxis (hier eingeengt auf CAD) zueiner allzu stromlinienförmigen Designtheorie kombiniert werdensollen.

Das Stichwort zur Kennzeichnung der heutigen Theorie- undPraxissituation scheint tatsächlich "Pluralismus" zu sein.Sowohl das Design, als auch die Konstruktion, scheinenunzufrieden mit dieser Lage zu sein. Der Statik der kon-struktionstheoretischen Ansätze steht die "Brandrodungs-Mentalität" (ein Ausdruck von PIRSIG 1991, dort nicht bezogenauf Design) der Designtheorie gegenüber: Alle paar Jahre wirddas alte Gebiet verlassen, man fängt an anderer Stelle mitgroßer Euphorie wieder ganz von vorne an und beutet dieintellektuellen Ressourcen so lange aus, bis auch hier nichtsmehr zu holen ist. Es stellt sich angesichts dieser Theo-riefragmente die Frage: wie könnte es weitergehen?

Eine erste vage, aber sichere Antwort: Es sollte zumindestin der Theorieentwicklung gemeinsam weitergehen. Das Folgendelehnt sich deshalb an die englische Betrachtungsweise an undverwendet Entwerfen als gemeinsamen Oberbegriff von(mindestens) Design und Konstruktion. Die eine Disziplin istohne die andere nicht denkbar. Es geht nicht, daß Designer sichals Anwälte der Nutzer gebärden, die diese vor den schlimmstenTechnik-Ausgeburten der Konstrukteure schützen (VAN DEN BOOM),während diese sich als Macher wertfreier Technik sehen und dieDesigner als eigentlich verzichtbare Anhängsel des Marketingbelächeln. Dies konserviert die liebgewordenen, idyllischen,aber zunehmend unangemessenen Selbstbilder und behindert denBlick und das Denken in dieser durchaus kritische Phase dersoziokulturellen Entwicklung.

Inhaltlich deutet sich eine weitere Antwort auf die Fragenach dem "wie weiter?" an: Der reizvolle Gedanke, dieunübersichtliche Dynamik der 80er Jahre als Ausgangspunkt fürdie fällige Erweiterung systemtheoretischen Denkens im Designzu interpretieren, gewinnt Gestalt. Die "Theoriephobie" derMemphis-Generation wird damit unerwartet zum Keim einerWeiterentwicklung von Theorie. Eine (Wieder-) Hinwendung zurKybernetik in einem neu zu definierenden und zu erweiterndenSinne kann durchaus eine programmatische Perspektive

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darstellen, aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. DieseArbeit versteht sich als ein Beitrag dazu.

Der Pluralismus der zahlreichen einander widersprechenden und (inGestalt ihrer Vertreter) bekämpfenden Designtheorien verhindertdie im Hinblick auf die zukünftige Praxis notwendigeIntegration. Erweitertes und neudefiniertes systemtheoretischesDenken sollte auf seine Eignung als Integrationskern untersuchtwerden.

Entwurfstheorien in England (Design)

In England sieht man die Dinge schon wesentlich früherdifferenzierter als in Deutschland. Insbesondere die rechtunkritische Übernahme systemtechnischer Methoden in den 60erJahren wird auch im Ingenieurbereich als unbefriedigendempfunden. PATZAK (1982) zitiert in diesem Zusammenhang R.ACKOFF (1973): " ... they use Machine-Age concepts and methodsin attempts to deal with Systems-Age problems. ... messes(Durcheinander, "Schlamassel", W.J.) were murdered by reducingthem to problems, problems were murdered by reducing them tomodels, models were murdered by excessive exposure to theelements of mathematics." Bruce ARCHER (1979) bemerkt mit Bezugauf seine - im Vergleich etwa zur deutschen VDI-Richtlinie 2221äußerst differenzierte - "Systematic Method for Designers" von1965: "... I wasted an awful lot of time in trying to bend themethods of operational research and management techniques todesign purposes." Im Gegensatz dazu steht seine aktualisierte,aber recht allgemein formulierte Position: "There exists a de-signerly way of thinking and communicating both different fromscientific and scholarly ways of thinking." Er sieht also eineDenkweise, die weder natur-, noch geisteswissenschaftlich, son-dern "entwerferisch" ist. Sie wird aber, so ist zu vermuten,Elemente aus beiden genannten Gebieten enthalten.

Nigel CROSS (1984) gibt eine prägnante Übersicht überEntwicklung und Stand des Gebietes von etwa 1962 bis 1982. Erbeschreibt vier Hauptbereiche der Theoriearbeit, die in gewis-

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ser Weise auch die Entwicklungsphasen der Disziplinwiderspiegeln. Es wird sichtbar, wie Einstellungen undMeinungen auch der führenden Vertreter sich in diesem Zeitraumdramatisch gewandelt haben.1) Prescription of an ideal design process. Dies bezeichnet das"design methods movement" der frühen 60er Jahre, die Zeit des"systematic design", basierend auf den neuen Problemlösungsme-thodiken der Managementwissenschaften und des OperationalResearch, die im 2. Weltkrieg und in den 50er Jahren entwickeltworden waren. Die Kybernetik hat großen Einfluß im Sinne derFormulierung einer präskriptiven Methodik gehabt. Hier sinddeutliche Übereinstimmungen mit der Entwicklung imdeutschsprachigen Raum.2) Description of the intrinsic nature of design problems. AlsFolge der Erkenntnis, daß Entwurfsprobleme nicht in dem Maßesystematisierbar sind wie erhofft, wird seit der 2. Hälfte der60er Jahre versucht, die offensichtliche Komplexität dieserspezifischen Art von Problemen (the "ill-structuredness" ofdesign problems, wie Horst RITTEL es bezeichnet) zu verstehen.3) Observation of the reality of design activity. Hierbei handeltes sich um psychologische Ansätze zum Verständnis der Problemeund der gebräuchlichen Lösungsstrategien. Man untersucht dasVerhalten der Designer in Laborexperimenten und Interviews.4) Reflection on the fundamental concepts of design. DieseArbeitsrichtung beginnt verstärkt in den 70er Jahren. Auf derBasis der Erfahrungen der vergangenen Dekade wird eingrundsätzlicherer Zugang gesucht, philosophisch undwissenschaftstheoretisch orientiert, ohne den Anspruch unmit-telbar präskriptiver Handlungsorientierung. Hier wäre auch dievorliegende Arbeit einzuordnen.

Die unterschiedlichen Strömungen laufen parallel und esscheint ein reger Gedankenaustausch stattzufinden. Die DesignResearch Society und die seit 1980 erscheinenden Design Studies ("TheJournal for research in engineering design, industrial design,architecture, and design theory") sind die wesentlichendisziplinären Foren. Besonders wichtig im Sinne der hiervertretenen Auffassung: Man sieht und betont die Notwendigkeitzur Integration der unterschiedlichen Ansätze im EngineeringDesign einerseits und im Industrial Design und der Architekturandererseits. CROSS und ROOZENBURG (1991) schlagen vor, daß

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versucht werden sollte, die Vorteile des präskriptivenEngineering-Ansatzes mit seiner Betonung der sequentiellenPhasen der Projektentwicklung mit den Vorteilen desdeskriptiven Gestaltungs-Ansatzes mit seiner Betonung derZyklizität des kognitiven Prozesses zu verbinden: "Good methodsare built upon rationality, adapted to the characteristics ofthe tasks to be performed, and to the cognitive properties ofthe designer. This calls for an integration of descriptive andprescriptive insights."

Näher ausgeführt sind die Gedanken dazu, die sich allerdingsauf den kognitiven Prozeß im engeren Sinne konzentrieren, beiCROSS (1989). Vorstellungen zur Re-Integration von IndustrialDesign und Engineering Design unter dem Aspekt des CAD-Einsatzes finden sich in W. JONAS (1988).

Zum Abschluß dieses Abschnitts noch einmal ARCHER (1979) insehr abgeklärter Weise: "Design methodology is living in thebosom of its family: history, philosophy, criticism, episte-mology, modelling, measurement, management, education."Vielleicht ein wenig zu abgeklärt? Dies erscheint doch allzubeschaulich und im Interesse einer mehr eigenständigorientierten Design-Theorie recht unfruchtbar. Auch im Jahre1991 kommt er in einer Buchbesprechung zu DIXONs "Design Theory´88" über eine mit KUHN und POPPER belegte vehemente Ablehnungdes traditionellen analytischen Wissenschaftsparadigmas leidernicht hinaus.

Die angelsächsische Entwurfstheorie vermeidet die Trennung vonkonstruktiven und gestalterischen Ansätzen. Diesystemtechnischen Verfahren bilden ein Element eines breitennatur-, human- und geisteswissenschaftlichen Theorie- und Methodenspektrums.Man sieht die Notwendigkeit weiterer Integration.

Fazit 1.1: Die Polarisierung zwischen gestalterischem undtechnischem Denken existiert gerade in Deutschland weiter. Inder Technik gibt es die Orientierung an der kybernetischenSystemtechnik. In der Gestaltung herrscht ein diffuser,

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momentan geisteswissenschaftlich orientierter Pluralismus. DieTheorien wechseln schnell. Es gibt viele Einflüsse, aber wenigFortschritt in Richtung auf eine tragfähige Theoriebasis.---> Versuch einer Annäherung an die Mechanismen derTheoriendynamik im Design.

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1.2 Theoriendynamik - exemplarisch

Anhand der Gegenüberstellung von "Funktionalismus" und"Produktsemantik" soll exemplarisch die hier vertreteneAuffassung von Theoriendynamik oder - respektloser - die"Brandrodungs-Mentalität" in Theorie und Praxis des Designsillustriert werden. Es geht um die Annäherung an die Frage, obes sich beim Übergang von der engen Kopplung an die Naturwis-senschaften ("Ulm" in seiner mittleren Phase) zu denGeisteswissenschaften um einen Erkenntnisfortschritt handeltoder eher um ein Phänomen der in wichtigen Teilen unreflektiertvollzogenen Zeitgeistanpassung. Die Wechselwirkungen und dieÄhnlichkeiten der Ansätze werden behandelt unter dem Aspekt dersich wandelnden Randbedingungen für das "System Entwerfen".

"Function follows form" und andere Parolen

Ein immer wieder dankbar genutzter Aufhänger für die Kritik amFunktionalismus ist die Louis SULLIVAN zugeschriebenegestalterische Maxime "form follows function", die Julius POSE-NER interpretiert als: "Löse die Aufgabe dem Zweckentsprechend! Wähle die Konstruktion, die ihn am besten imvorgegebenen Material verwirklicht, und die Schönheit wird sichvon selbst einstellen!" Das Einfachste und zur Abgrenzung vonder überholten Vergangenheit Prägnanteste ist nun, die Maximeschlicht umzudrehen. Exemplarisch ist hierfür VAN DEN BOOMsVorgehensweise (1990: §26 S. 21, 22). Er zitiert einen Ingeni-eurwissenschaftler mit der jedem Ingenieur und sicher auch je-dem Designer ohnehin bekannten trivialen Erkenntnis, daß einlogischer Schluß von der Funktion (dem Gebrauchszweck) zurStruktur (der materiellen Form) eines technischen Systems nichtmöglich sei. Was er offenbar übersieht: damit verliert auch deran die Adresse des "Funktionalismus" gerichtete Vorwurf, "formfollows function" sei ein die Gestaltungsfreiheit einengenderImperativ, jede logische Grundlage. Dennoch stimmt er ein in denRuf zur Umkehr: "Design ging bis vor kurzem von Innen(=Funktion) nach Außen (=Form); die Form folgte - gehorchte -

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der Funktion. Wir müssen in Zukunft die Richtung umkehren undvon außen nach innen gehen, von der Form zur Funktion." Der ge-stalterische Freiraum, den VAN DEN BOOM damit erst neuerdingswieder sieht und den es nun ästhetisch und vor allem mit Sinnzu besetzen gilt, war immer schon da, denn er ist logische Folgeder oben konstatierten Nicht-Kausalität der Beziehung zwischenFunktion und Form. Dieser platt-plakativen Umkehrung ist nurmit Mühe zu folgen. Glaubt man tatsächlich, einem in seinemZweck, seiner Technik (es ist hier kaum vertretbar, den Begriffder Funktion zu vermeiden!) weitestgehend von anderer Stellefestgelegten Gegenstand durch Gestaltung eine neue Funktiongeben zu können? Oder liegt hier ein Mißverständnis bezüglichdes verwendeten Funktionsbegriffs vor? Selbst ausgewiesene"Funktionalisten" wie RAMS (1984) räumen ein, daß derFunktionsbegriff sich ausweitet, von der Gebrauchsfunktion hinzu den ästhetischen und symbolischen Funktionen, und daß die"Sinn-Dimension" angesichts gesättigter und mehr und mehrübersättigter Märkte an Bedeutung gewinnt. Ob der Funk-tionsbegriff hier noch angemessen ist, oder ob man besser wieSCHOLZ (1989) von den "Rollen" der Gegenstände reden sollte,ist dabei eine untergeordnete Frage. Dennoch, solange es umDesign und nicht um freie Kunst gehen soll, bleibt weiterhineine recht eindeutige Richtung in der Beziehung Funktion ->Form. Sie ergibt sich aus den Funktionen der Form:Funktion 1: Die Form konstituiert die Grenze zwischen demtechnischen System und seiner Umwelt und determiniert dieBedingungen der Beziehung System - Umwelt. Dies ist heute sehrviel weniger als früher bestimmt durch die Bedingungen der in-ternen Mechanik; aber immer noch stark beeinflußt z.B. von denjeweils verfügbaren Herstellungsverfahren und Materialien.Funktion 2: Die Form dient der Erfüllung der Gebrauchsfunktion.Hier schwindet im Zuge der Elektronisierung, welche dieBedienung mehr und mehr von den oft nicht mehr sichtbaren undnicht mehr greifbaren Wirkmechanismen trennt, der Einfluß aufdie Gestalt.Funktion 3: Die Form vermittelt den Nutzern dieGebrauchsfunktion. Diese Teilfunktion ist unter dem Aspekt"Bedienungsfreundlichkeit" (Ergonomie) sogar sehr starkformbestimmend.

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Funktion 4: Die Form dient der Erzeugung des Besitzwunsches,der aus Bedürfnissen entsteht (hier muß die "Sinnproduktion"drinstecken). Auch dieser Aspekt ist stark formbestimmend.

Eine bei der Rede über Produktsemantik immer wieder mitRecht betonte Aufgabe angesichts der Elektronisierung /Miniaturisierung / "Immaterialisierung" der Objekte ist das so-genannte "Interface-Design" (siehe Funktion 3). DieGebrauchsfunktion bewegt sich immer weiter an die (Benutzer-)Oberfäche der Gegenstände und es geht darum, sie durch formaleMittel verständlich zu machen. Die notwendige Forderung nach"Selbsterklärungsfähigkeit" für die immer umfangreichere undimmer weniger durchschaubare Funktionalität der Objekte istoffensichtlich extremstes "form follows function".

Also: Nichts davon rechtfertigt die Aussage "function followsform". Was deutlich wird ist die untrennbare Verquickung undgegenseitige Bedingtheit der beiden Kategorien. Soviel inhalt-lich dazu. Die Auseinandersetzung auf dieser Ebene derInterpretation von beliebig besetzbaren Begriffen mußnotwendigerweise unfruchtbar bleiben. Eine Position kann mitder größten Sorgfalt dargelegt werden, man bleibt dennochunentrinnbar verstrickt im Gewirr von eigenen und fremdenVorverständnissen, aus dem es kein gemeinsames Entrinnen gibt.Wenn etwa BÜRDEK (1991: 244) die Neue Nationalgalerie von MIESVAN DER ROHE in Berlin als schlimme Ausgeburt des"Funktionalismus" bezeichnet, dann kann man dazu allenfallsanmerken, daß man über Geschmack nicht streiten sollte.Wahrnehmung ist notwendigerweise mit "blinden Flecken"behaftet. Es empfiehlt sich wohl, dieses Feld den Feuilleto-nisten zu überlassen (zufällig herausgegriffen und sicher nichtextrem: BAACKE / BRANDES / ERLHOFF 1984), die - immer am Pulsdes Zeitgeistes - den Wechsel der Strömungen wort- undgeistreich kommentieren. Die inflationäre Funktionalisierungvon Begriffen zum Zwecke der Plausibilisierung, nichtFundierung, der Theorieansätze - NAKE (1984) spricht hier sehrtreffend von der "Begriffsverwilderung" -, soll im Folgenden aneinigen Beispielen illustriert werden:

Sprache: Hier fällt auf, wie unpräzise der Begriff verwendetwird und wie vage seine im Grunde recht kontingente Einführungin die Designtheorie motiviert wird. Alles, was halbwegs dazu

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paßt, wird assoziativ als Stütze verwendet, ohne jedochinhaltlich überzeugende Beziehungen herzustellen. Als Beispielseien die Begriffe des "Strukturalismus" und des "linguisticturn" in der Philosophie genannt, die von BÜRDEK (1991a: 180)mehr assoziativ als argumentativ benutzt werden, um mittels dergenerell zunehmenden Bedeutung semiotischer und linguistischerAnsätze die designtheoretische "Produktsemantik" im Vorbeigehengleich mit zu untermauern. Syntax (noch nicht Sprache) besteht,ganz allgemein, aus Lexikon (Wortschatz) und Grammatik. Mankann vermutlich, mit einigem Wohlwollen, zeitlich, örtlich undgruppenspezifisch beschränkte "Produkt-Wortschätze"beschreiben, "Produkt-Grammatiken", wie sie merkwürdigerweiseauch der späte Bruce ARCHER (1985) andeutet, aber beim bestenWillen sicher nicht. In diesem Sinne ist die Rede von einer"Produktsprache" vergleichbar mit der von der "Sprache derArchitektur" bei JENCKS (1988). Die in der Wortwahl suggerierteAnwendbarkeit linguistischer Theorien erweist sich alsSackgasse. Vgl. auch MALDONADO. OEHLKE (1990) setzt sich aufdieser Ebene ausführlich damit auseinander und nennt die Ver-wendung des Begriffs metaphorisch. Dabei kann man es belassen.Was bleibt, ist die Zeichenhaftigkeit der Produktform; in diesemSinne wäre die Bezeichnung "Produktsemiotik" am wenigstenmißverständlich. Semantik wäre dann ein Aspekt von Semiotik,der sich mit der Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetembeschäftigt. Zur Übertragung semiotischer Begrifflichkeit aufDesign wurde von BENSE (vgl. etwa 1971 und 1975) und anderenvor 20 Jahren einiges vorgedacht. In der DDR gab es in den 80erJahren darauf aufbauende Überlegungen (OEHLKE 1982, 1987),allerdings mehr im Sinne eines analytisch-interpretativenInstruments und nicht so sehr als generativ-methodischesMarketing-Hilfsmittel wie im Westen. Vor dem dortigen histo-rischen und wirtschaftlichen Hintergrund ist dieser Ansatzplausibel. Was weiterhin fehlt, ist ein semiotischer Ansatz,der neben den syntaktischen und semantischen auch diepragmatischen Aspekte einbezieht, die soziale Praxis deskommunikativen Handelns mit Dingen. Vermutlich übersteigt diesdie Möglichkeiten der Semiotik.

Rationalität, Natur- und Geisteswissenschaften, Hermeneutik: GROS, BÜRDEK undandere erklären, wie oben erwähnt, Denkweisen aus der

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"rationalistischen" Tradition westlicher Naturwissenschaftengenerell für ungeeignet und überholt. Die Kritik wäreverständlich, wenn die Anwendung dieser Verfahren und Methodenzwangsläufig bedeuten würde, auch deren ontologisch-metaphysi-sche und erkenntnistheoretische Implikationen zu übernehmen;etwa die klare Trennung Subjekt - Objekt oder die Annahme derExistenz und Zugänglichkeit objektiver Wahrheit. Aber dies istheute durchaus nicht mehr zwingend und die Kritik - wie siehier geäußert wird - ist auch anders gelagert: Man hört denVorwurf, rationales Denken nütze allein der Technikseite unddamit der Industrie und nicht den Brauchern, nur nichtrationa-listisches (geisteswissenschaftliches) Denken sei geeignet,emanzipatorische Effekte zu erzielen. Naturwissenschaftenbekommen die Konnotation von technokratischem Denken undHandeln.

Aber man sollte nicht vergessen: Formales Denken zwingt zuKlarheit und führt zu Nachvollziehbarkeit und erlaubt durchausmoralische Standpunkte. Der Biophysiker Heinz VON FOERSTER(1985b) benutzt extrem formalisierte Ansätze, um seine Theorieeiner operativen Erkenntnistheorie zu modellieren. SeineHaltung erscheint "humanistisch" im besten Sinne. Der Rückzugauf die Geisteswissenschaften dagegen zementiert die Trennungvon Natur und Geist, die im 20. Jahrhundert von immer mehrnaturwissenschaftlichen Disziplinen als nicht mehr haltbarerkannt wird. Die Haltung erscheint wie eine hausgemachteLegitimation, jede Art geistreicher feuilletonistischer Redeals "Theorie" auszugeben und erleichtert durch die still-schweigende Konnotation von Geisteswissenschaft und Mensch-lichkeit die Verdrängung der Frage nach Wert und Moral des ei-genen Tuns, welches ohne die Einbindung in ökonomisch-indu-strielle Abläufe gar nicht denkbar ist. Im übrigen übersiehtman völlig (was im Hinblick auf die Methodenwahl für eineDesign-Theorie eigentlich irritieren müßte), daß die"humanistische" deutsche Geisteswissenschaft Arbeit und Technikals "sozialanthropologische Grundbestimmungen des Menschen"(ROPOHL 1991b: 219) gänzlich außer acht gelassen hat. Erbemerkt hierzu weiter: "Daß dem Neuhumanismus jene krasseVerkürzung überhaupt unterlaufen konnte, läßt sich wohl nur mitseiner klassizistischen Vorbelastung erklären, in der erunbesehen eben auch die aristokratische Arbeitsverachtung einer

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Sklavenhaltergesellschaft übernahm." Daß man bei allemgeisteswissenschaftlichen Anspruch selbst dennoch extrem reduk-tionistische Annahmen macht, den vielgeschmähten Denkstil alsoselbst nicht überwindet, zeigt die Aufteilung der Produktfunk-tionen in praktische und produktsprachliche und die weitereanalytische Zergliederung der produktsprachlichen in formaläs-thetische, anzeichenhafte und symbolhafte Funktionen (GROS1983: 62). Erkenntnistheoretisch besonders interessant ist dortdie folgende Definition : "Als praktische Funktionen bezeichnenwir entsprechend alle Mensch-Produkt-Relationen, die nicht überunsere Wahrnehmungskanäle vermittelt werden, sondern überdirekte physische Produktwirkungen zustande kommen." Das mußman sich auf der Zunge zergehen lassen: Ist da quan-tenmechanische "Fernwirkung" gemeint oder so etwas wie"Erkenntnis ohne erkennendes Subjekt"? VAN DEN BOOM (1984: Kap.II) führt gar den Begriff der "exakten Geisteswissenschaften"ein, die er offenbar auf der Basis der Linguistik CHOMSKYscherPrägung entstehen sieht. Die Beziehung dieses Konzepts zumThema der Produktsemantik wie sie hier behandelt wird, bleibtallerdings unklar. Erste Hinweise zur Überwindung der Trennungvon Natur- und Geisteswissenschaften mit Blick aufDesigntheorie sind bei KRIPPENDORFF (1989b) zu finden. Spätermehr dazu.

Abschließend noch eine Bemerkung zur Methode derHermeneutik, angeregt durch GELDSETZER (1989): Er hält es fürdenkbar, hermeneutische Begrifflichkeit, die ja im strengenSinne auf Textauslegung beschränkt ist, auch auf dieInterpretation "künstlicher Arrangements und menschlicher Ein-griffe in die Natur", also (so meine Auslegung) auch Design-Objekte, auszudehnen. Da es im Design um Praxis geht, um dieunmittelbare Interpretation des unter den Kriterien technischerRichtigkeit und Perfektion Gemachten (im Gegensatz etwa zurnachträglichen Interpretation von archäologischen Objekten),handelt es sich wohl um die Ausprägung einer "dogmatischen"Hermeneutik (im Gegensatz zur theoretischen sogenannten"zetetischen" Hermeneutik). Diese ist traditionell auf diedisziplinären Problemlagen von Theologie und Juristereizugeschnitten. Es geht dort um die Aufbereitung des Sinnsheiliger Texte zur Beantwortung religiöser Sinn- undGewissensfragen bzw. der geltenden Gesetze zur Entscheidung von

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Rechtsfällen. Die Herstellung der Parallele zwischen der"Sinnproduktion" durch theologische Dogmatik und der"Sinnproduktion" durch produktsemantische Dogmatik bietet sichan, sie soll jedoch nicht weiter verfolgt werden.

Moderne / Postmoderne, Kultur / Technik: Die Anfälligkeit der Design-Szene für "zeitgeistige" Philosophie-Angebote ist wohl derHauptgrund dafür, daß man so vehement in die Rede vom Ende des"Projekts der Moderne" einstimmt. Daneben hat man aber aucherkannt, daß sie die Verabschiedung des "Funktionalismus"unterstützt. Design grenzt sich ab von Technik und stimmt auchimmer mal wieder (auf halblaut-diffuse oder auch auf vorlauteArt, je nachdem, wo man sich befindet) ein in vielfachberechtigte Technikkritik. Man gibt sich als Vertreter derBraucher und schlägt sich auf die vermeintlich gute Seite,nämlich die der Kultur. Die Disziplin trägt damit bei zurKonservierung des Scheingegensatzes von Technik und Kultur, derin Deutschland eine lange Tradition hat und zurückgeführtwerden kann auf die Humboldtsche humanistische Bil-dungstradition (ROPOHL 1991b: Kap. 11). Aber genau die aufdiese Weise geförderte Verselbständigung des wirtschaftlich-industriellen Sektors, die inzwischen fast untrennbar gewordeneSymbiose von Technik und Ökonomie, scheint doch mit ihren kaumhinterfragten "Sachzwängen" den wesentlichen Beitrag zurheutigen Misere zu liefern. Und da Design, ebenso wie dieTechnik bzw. als Teil von Technik, mit Wirtschaft innig ver-quickt ist, erscheint auch diese Abgrenzung nicht sehr überzeu-gend und als Basis zum Weiterdenken jedenfalls nicht geeignet.Skepsis ist zu empfehlen gegenüber den Verabschiedern vonRationalität / Moderne / Aufklärung, vor allem dann, wenn sieselbst als "Mittäter" unlösbar eingebunden sind in dieses Sy-stem mit all seinen Problemen und - für unseren kleinenprivilegierten Teil der Welt immer noch weit überwiegenden -Vorzügen. Worum es geht ist die aufgeklärtere Fortsetzung des"Projekts der Moderne". ROPOHL (1991b: Kap. 2) interpretiertdie derzeitige Problemlage in diesem Sinne als "Grundlagenkriseder Technikwissenschaften" und genereller als"Orientierungskrise im Projekt der Moderne" und fordert einProgramm der "Technologischen Aufklärung", in dem technischePraxis als Einheit von Technik, Gesellschaft, Ökonomie und

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Politik gesehen wird und in dem, auch von geistes-wissenschaftlicher Seite, Technik als Kultur und nicht alsGegensatz von Kultur gesehen wird.

Was an den aktuellen Theorieversuchen generell auffällt: DerAnsatz Produktsemantik klärt nicht, thematisiert nicht einmaldie Frage, warum immer mehr und immer neuer Sinn produziertwerden muß. Er tut so, als sei dies die nicht weiter zu hinter-fragende Basis. Er vermeidet damit auch elegant die nicht neueFrage nach der eigenen Rolle dabei. Es scheint immer noch soetwas wie ein Tabu zu sein, bestimmte, von kritischer Theorieschon einmal thematisierte Fragen im Zeitalter der"überwundenen Moderne" wieder aufzugreifen. Man gerät dadurchin den Verdacht der ideologischen Befangenheit und - im Designnoch schlimmer - der hoffnungslosen Gestrigkeit. Angesichts desökonomischen Ungleichgewichts zwischen unserer "ersten" und denrestlichen "Welten" und der aktuellen ökologischen Situationerscheint es dennoch nicht abwegig, Theorien der oben beschrie-benen Art für kunstvolle (aus bestimmten geografischen und in-tellektuellen Blickwinkeln eher obszöne) Selbst-Rechtferti-gungsideologien eines übersteuerten Konsumkultes zu halten. Zum"Kult" paßt die oben erwähnte "produktsemantische Dogmatik" er-staunlich gut. Aber Auseinandersetzungen auf diesem Niveau sindunergiebig und sollen deshalb unterbleiben. Die Kritik läßtsich unter drei Aspekten fassen:- fachwissenschaftlich, festgemacht an Einzelfragen, z.B.:Handelt es sich um eine Sprache oder ist die Rede metaphorischzu verstehen? (siehe oben),- wissenschaftstheoretisch-methodisch, sind natur- odergeisteswissenschaftliche Herangehensweisen erfolg-versprechender? (siehe oben), - den Theoriebildungsprozeß in seiner Dynamik selbstbetreffend, die von außen dabei zu beobachtenden "blindenFlecke".

Es folgt nun explizit die Gegenüberstellung "Funktionalismus" -"Produktsemantik". Mit der anschließenden Frage nach derSinnproduktion wird übergeleitet zum Aspekt der Theoriebil-dungsprozesse. Diese Perspektive erscheint erstmal fruchtbarer

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zu sein als das schnelle Schielen nach dieser oder jenerpraxisorientierten neuen Theorie.

Großzügig ausgelegter postmoderner Pluralismus ("anything goes")verlockt zur allzu einseitigen Auswahl der Theorieelemente, dieman zum Bau von Designtheorien verwendet. Dies hat Begriffsverwir-rungen zur Folge und erschwert die disziplinäre Kommunikation.

"Funktionalismus" und "Produktsemantik"

Auch wenn bereits wieder Schwerpunktverschiebungenfestzustellen sind, etwa im verstärkten Interesse am"Interface-Design" oder - genereller - in der Frage nach der"Gestaltbarkeit der Mikroelektronik" (KÄO 1989): Es sieht soaus, als sei "Produktsemantik" derzeit im Design ein konsensfä-higes und immer noch recht lebendiges Theoriemodell. Esüberwindet, so seine Anhänger, den bis in die 70er Jahredominierenden "Funktionalismus". Mit der Aufgabe der na-turwissenschaftlichen Theoriebasis und der Proklamierung derGeisteswissenschaften, speziell der Hermeneutik, als neuerGrundlage gelingt die Abgrenzung von "rationalistischen"Denktraditionen (GROS 1983 und BÜRDEK 1991a). Damit sei esgelungen, die Theorielosigkeit des "Neuen (deutschen) Designs"der 80er zu überwinden und eine Theorie für die Anforderungender "Informationsgesellschaft" der 90er Jahre zu schaffen.Zutreffend und wichtig erscheint die Feststellung, die zu-nehmend erforderliche interdisziplinäre Arbeitsweise sei nurdann möglich, wenn das Design dazu eigenständige disziplinäreTheorien beitrage. Die Frage ist nur: Welche Arten von Theoriensollten dies sein? Auffallend ("Alles Gesagte wird von jemandemgesagt"!) sind die großen, aber in ihrem Gehalt meist vagenWorte, die häufige Rede vom "neuen Paradigma", wobei der KUHN-sche Paradigmenbegriff wissenschaftlicher Theoriebildung einwenig überstrapaziert wird, die - neutral ausgedrückt - scharfeAbgrenzung vom "Funktionalismus" ("Ulm") insbesondere bei der"Offenbacher Schule" und die Betonung der Eigenständigkeit und

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besonderen Bedeutung der Disziplin für das menschlicheWohlergehen.

Aber hat der selbstdefinierte "Funktionalismus", von dem mansich hier distanziert, noch mehr als den Namen mit demFunktionalismus des Bauhauses oder der HfG Ulm gemein? Ist esheute noch so einfach möglich, diesen Begriff in einer demdamals Gemeinten angemessenen Weise zu verwenden? Meint man dieIdee in ihrem ganzen Umfang oder meint man bestimmte trostloseErscheinungen in der technokratisch geplanten und industriellgebauten Nachkriegs-Umwelt, die man mit der Idee in Verbindungbringt? Und welcher Begriff von "Rationalität" wird eigentlichkritisiert? Es ging einmal um die aufklärerische Utopie der um-fassenden Bildung der menschlichen Persönlichkeit, heuteassoziiert man eher ökonomisch dominiertes Effizienzdenkendamit. Vermutlich ist nicht einmal dieser heutige, aufWirtschaftlichkeitskriterien eingeengte und pervertierteBegriff in seinem ganzen Umfang gemeint, denn so gesehen sindheutige Designer vermutlich "rationaler" als die "Funktionali-sten". Es scheint eher die aus heutiger Sicht so bezeichneteRigidität und vermeintliche "Lustfeindlichkeit" (positiver:Moralität bzw. neutraler: soziale Wertorientierung) einerTheorieposition zu sein, die noch nicht lange zurückliegt, vonder man auch selbst noch beeinflußt wurde, die aber heute nichtmehr paßt.

Zementiert man durch die nun proklamierte einseitige Bindungan die Geisteswissenschaften nicht genau die unfruchtbareTrennung Natur / Geist, die unter Stichworten wie Naturalisie-rung der Erkenntnistheorie (QUINE), 2nd order cybernetics (VONFOERSTER), Konstruktivismus (VON GLASERSFELD), etc. allmählichan Bedeutung verliert ? Verewigt man damit nicht auch, wieROPOHL (1991b) betont, das einseitige "szientifische"Verständnis von Technik als angewandter Naturwissenschaft, dasmit dazu beigetragen hat, daß die Technikentwicklung heute sostark ökonomisch dominiert und von anderen Bereichen inGesellschaft und Kultur separiert ist? Trägt nicht Design und -schlimmer noch - Designtheorie mit dem überzogenen Anspruch,Anwalt der Braucher gegenüber der sogenannten Technik-Vorherrschaft zu sein (VAN DEN BOOM 1984), zur PolarisierungKultur vs. Technik bei? Wäre es stattdessen nicht fruchtbarer,anstelle der zwanghaften Abgrenzung von der Technik, zusammen

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mit der Technik, mit Naturwissenschaftlern und Ingenieuren (undselbstverständlich auch mit Geistes und Humanwissen-schaftlern!), ein umfassenderes Verständnis von Technik alsKultur zu entwickeln?

Auf diese Fragen und Zweifel muß noch intensiver eingegangenwerden, zunächst bleibt die Rede von der "Produktsemantik" bzw.der "Theorie der Produktsprache" im Mittelpunkt des Interesses.Dabei ist nicht zu bestreiten (W. JONAS 1992b), daß Produkte(gestaltet oder nicht gestaltet / "funktional" oder "produkt-sprachlich" gestaltet) in zunehmendem Maße und vielfach schonüberwiegend kommunikative Funktionen besitzen. Die Rede von der"Produktsprache" taucht spätestens mit derFunktionalismuskritik Anfang der 70er Jahre auf. Designobjektewerden nun nicht mehr als bloße Funktionsträger, sonderndarüber hinaus als Informationsträger gesehen. Neben Aussagenüber die Funktion sollen nun weitere (absatzfördernde undsinnstiftende) Informationen geliefert werden. Insbesonderewerden die Dinge zu Sprach- und Verständigungsmitteln in dersozialen Umwelt. Sie vermitteln Aussagen über die Benutzer,ihren Status, ihr Rollenverständnis. SELLE (1973: 9): "Sowirken die Objekte in der Benutzer- und Verbrauchersphäre als´Zeichen´, als wortlose Elemente einer Art von Sprache, derenGesetzmäßigkeiten und Wirkung nicht jederzeit offen erkennbarwerden." Insbesondere auch die kritische Theorie bedient sichdieser Begrifflichkeit zur Erklärung der totalenManipulierbarkeit der Konsumenten im Interesse derHerrschenden, zur Herstellung und Perpetuierung des "falschenBewußtseins", das notwendig ist zur Erhaltung des kapitalisti-schen Systems. Dieses auf dem Informationsübertragungsmodellder Kommunikation basierende Verständnis führt zu einer starkenÜberschätzung der Steuerbarkeit von Sozialverhalten über dieProduktsprache gerade bei denjenigen, die sie so vehement alsHerrschaftsinstrument verurteilen.

GROS u.a. (1983, 1987) entwickeln diese Auffassung weiter.Die kommunikativen Funktionen werden - nach MUHAROVSKY -analytisch unterteilt in formalästhetische, anzeichenhafte undsymbolische Funktionen. Zur Ermittlung des Gegenstandes ihrerTheorie dient die Beantwortung der Frage (1987: 5): "Was istdas Spezielle an Design?" Die Antwort ist schnell gefunden: "So

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wurde die Produktsprache als das Spezielle am Design zum Er-kenntnisgegenstand von disziplinärer Designtheorie. Dieinterdisziplinäre Verflechtung der Produktgestaltung soll da-durch weder geleugnet noch mißachtet werden. Wir beschränkenund konzentrieren uns zunächst einfach nur auf unsereberufsspezifischen Probleme.

Mit dieser Entscheidung hängt es auch zusammen, daß wir dieTheorieentwicklung auf einen konkreten Praxisbezug hin angelegthaben. Sicher kann und muß selbst disziplinäre Designtheorienicht immer und unmittelbare Praxisbezüge belegen. Trotzdemhaben wir uns damit auf einen schwierigen Mittelwegeingelassen, bei dem die theoretische Reflektion nur so weitgetrieben wird, wie sie für die Designpraxis von Interesse istund überschaubar bleibt. Das mag theoretisch für Philosophenoder Soziologen zu oberflächlich erscheinen. Diese Kritikmüssen wir aber aushalten, wenn wir als Designer Theoriefragenselbst in die Hand nehmen und sie nicht weiter fachfremdenWissenschaftlern überlassen wollen."

Dies ist ein merkwürdig selbstgenügsamer und pragmatischerAnspruch, dennoch nicht ganz frei von disziplinärerBorniertheit. Die Frage sei erlaubt: Ist man nicht ein wenigvoreilig, macht man sich vielleicht selber etwas vor, wenn mannun diese interessanten Überlegungen als die neue Theorieproklamiert und sich - wie es scheint - damit zufriedengibt?Man meint die Furcht zu spüren, beim Blick über die selbst-gesteckten Grenzen der disziplinären Idylle in Abgründe vonKomplexität, Unsicherheit und Zweifel zu blicken. Auch vonaußen soll sich niemand einmischen, schon gar nicht "fachfremdeWissenschaftler". Der Ansatz erscheint (auch mir als Nicht-Philosophen und Nicht-Soziologen, sondern als schlichtemIngenieur) zu oberflächlich. Hier ist VAN DEN BOOM (1984: 45)einmal uneingeschränkt zuzustimmen: "Eine Designtheorie, die obihrer etwaigen wissenschaftlichen Bedeutungslosigkeit vontiefer angelegten Disziplinen wie Soziologie, Psychologie,Erkenntnistheorie usw. nicht diskutiert zu werden braucht, kannauch für den Designer keinerlei Bedeutung haben." Und ananderer Stelle (1990: §1 S.4): "Was an Designtheorie vonprofessionell im Designbereich selber Tätigen stammt, ist,trocken nach wissenschaftlichen Kriterien begutachtet, sehrhäufig Makulatur. ... zumeist viel zu ausbildungsnah formuliert

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..." Aber dessen ungeachtet liegt auch er ganz im aktuellenTrend und erklärt die Besetzung der "Sinn-Dimension" durch dieBestimmung der Form zum zentralen Thema. (1990: §26 S. 22).KRIPPENDORFF (1989a) macht deutlich, welch eine enorme Verant-wortung den Dingen und den Designern damit aufgebürdet wird:"Sich des Sinnes der Gegenstände, deren Bedeutungen, derensemantischer Zusammenhänge nicht nur bewußt zu werden, sonderndiesen Sinn in Produktformen auszudrücken, für anderesymbolisch erfahrbar zu machen und damit eben jene höherenZusammenhänge im Gebrauch zu realisieren, die einer geistigenund ökologisch gesunden Gesellschaft dienen, ist einwesentlicher Beitrag, den heutige Designer mit Hilfe dieserneuen Designtheorie leisten können." Hier ist wieder das Designals "universeller Glücksbringer" und nun sogar als Beitrag zur"Volksgesundheit". In einer neueren Arbeit (KRIPPENDORFF 1991)ist jedoch eine Präzisierung zu verzeichnen: Die Designer habenden Sinn nun nicht mehr "mitzuliefern", sondern sie haben denBrauchern die Möglichkeit zu bieten, sich ihren jeweilspassenden Sinn selbst zu machen. Das ist immer noch schwer ge-nug, entlastet aber von der Aufgabe, den Sinn schon vorhergenau kennen zu müssen. Tabelle 1.2 zeigt in konzentrierterForm die amerikanische Ausprägung von "Produktsemantik".

"Altes Paradigma" (Funktionalismus) "Neues Paradigma" (Produktsemantik)

1.2 Theoriendynamik - exemplarisch 89___________________________________________________________________________

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1 Design is making forms to followrequired functions

2 Emphasis is on efficiency andsimplicity of operation - improvesof material conditions for users

3 (End) products are designed toembody specific functions

4 Training and instruction isseparate from product use andtypically precedes it

5 Users are rewarded by conformingto objectively measurableperformance criteria

6 Errors are human and a problemusers must learn to avoid

7 Machines are seen as constrainingusers to apply them as intended

8 Designers are authorities on howthings should look and be used

Design is enabling users to makesense of things

Emphasis is on self-evidence inidentification and understandabilityof use - enables users to centerthemselves in a symbolicallymeaningful world

(Unfolding) interfaces are designedto afford the cognitive models usershave or are desirous to develop andpractice

Interfaces are self-instructing anduser competence is expected toemerge in practical use

Interaction is self-motivating, anengaging play in which users judgethemselves by their own criteria

Errors reflect incomprehensibilityand discouraging designs. Machinesshould be configurable or adapt toavailable cognitions

Machines are seen as enabling usersto create possibly unintended butmeaningful practices

Designers cooperate with users inintervening into individualpractices of living

Tabelle 1.2: "Philosophy underlying product semantics" nachKRIPPENDORFF (1989b).

Auffallend ist auch hier wieder die hohe Einschätzung deseigenen Einflusses auf Glück und psychische Lebensqualität derBraucher sowohl im negativen (altes Paradigma) als auch im po-sitiven Sinne (neues Paradigma): Punkt 1 ist nicht mehr als dieGegenüberstellung zweier programmatischer Wunschvorstellungen.Die Punkte 2 und 3 zeigen unübersehbar den Anspruch auf so

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etwas wie eine psychosoziale "Therapiefunktion" von Design:Selbst-Zentrierung durch psychologisch (pädagogisch?) wert-volles Design (Spielzeug?). In den Punkten 4 und 6 stecktnichts Unvereinbares, beides kann richtig und sinnvoll sein undschließt sich auch nicht gegenseitig aus. Bei den Punkten 5 und7 handelt es sich offenbar, zur überzeugenderen Illustrationdes Paradigmenwechsels, um zwei unterschiedliche Arten vonMaschinen . Die Gegenüberstellung ist nur dann plausibel, wennman meint, die Bedingungen der Bedienung einer Werkzeugmaschinemit denen eines Homecomputers vergleichen zu können. Bei Punkt8 ist das neue Paradigma sicher besser, bezeichnet aber leiderauch nicht mehr als eine Wunschvorstellung.

Einige abschließende Anmerkungen zur Produktsemantik: Was istüberhaupt "Sinn"? Ein Rohstoff, eine Quantität (je mehr Sinn,desto glücklicher)? Auch Design - "Funktionalismus" hatBedeutungen und erzeugt Sinn! Wie kommt man zu der ganzabwegigen Annahme, dies sei nicht so? Und wer bestimmt denn,welchen "Sinn" etwas haben und transportieren soll? Individuen?Gesellschaft? Kommunikation? Oder etwa "das Design"?

Das Informationsübertragungsmodell der Kommunikation lebt,semiotisch geschönt, zumindest in der deutschen Theorie-ausprägung, weiter: Ein Medium (Objekt) transportiert eineBotschaft (BÜRDEK 1991a: 135). Es wird so getan, als ließensich Gegenstand und Bedeutung trennen. Aber Gegenstände sindihre Bedeutung für den Nutzer. VAN DEN BOOM (1984: 55): "DieBotschaften der Medien sind gleichgültig; das Medium ist dieBotschaft. Designtheorie faßt Designobjekte als Medien auf undenträtselt die Botschaften, die sie sind." Im Vordergrund stehtauch hier - trotz der Aufhebung der Trennung von Medium undBotschaft - weiterhin Sprache als statisches Symbol - und Zeichensystem zurBedeutungsübertragung, nicht so sehr Kommunikation als dynamischersozialer Handlungs-Prozeß.

Die hier vertretene Auffassung von Produktsprache beruht aufdiesem letzteren Verständnis: Nicht die Dinge stellenWirklichkeit her, sondern die soziale Dynamik manifestiert sichin den Dingen. Zeitgeistverhalten (Stil, Mode) wird nicht überdie Produktgestalt erzeugt, sondern über bestimmte sozialeParameter und deren Wandel (vgl. Beispiele im Anhang). DieProduktgestalt dient in der Folge als Mittel zur Perpetuierung

1.2 Theoriendynamik - exemplarisch 91___________________________________________________________________________

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der sozialen Kommunikation. Das Produkt enthält undtransportiert keine Botschaft im Sinne formal codierter In-formation. Es löst aber bestimmte Reaktionen (emotionaler,kognitiver, sinnstiftender Art) im Rezipienten aus. Daß diesfunktioniert, ist die Folge bereits eingeübter Kommunikationunter Gebrauch genau dieser Zeichen. Z.B.: Ein Mercedes "sagt"nicht: Ich bin (bzw. mein Besitzer ist) seriös, gediegen, zu-verlässig, konservativ, etc., sondern die bereits bestehendeProduktkommunikation über Automobile wird über Objekte des TypsMercedes perpetuiert und stabilisiert. Ein unvorbereiteterTeilnehmer dieser Kommunikation "liest" die obigen Attributekeinesfalls aus der Objektgestalt. Anders wäre auch kaumerklärbar, warum in anderen Gruppen für ein und dasselbeZeichen ganz andere Konnotationen (protzig, fett, reaktionär,etc.) gelten. Genauer wäre es also, von Produktjargon zusprechen. Jargon meint eine Ausdrucksweise für Eingeweihte: DieVerwendung bestimmter, in der vergangenen Kommunikationvereinbarter Zeichen löst etwas aus: Gefühl von Geborgenheit,Glück, Zugehörigkeit, etc. Meist ist dies sehr vage undemotional und vergänglich; solange die Wirkung jedoch anhält,ist sie mit hohem Sinngehalt verbunden. Der semantische Inhalt desGesagten ist weitgehend trivial und irrelevant, relevant istdie Verwendung vertrauter Sprachelemente. Analoges gilt für dieProduktsprache. Differenziertere Bedeutungen sind über Produkt-gestalt nicht vermittelbar, denn- der Code ist nicht in dem hohen Maße universell wie bei derSprache,- der Code ist nicht festgelegt (im Rahmen menschlicherZeitdimensionen),- der Code ist nicht frei (kostenlos),- der Code ist nicht neutral, abstrakt, wertfrei, immateriell.Produktsemantik gibt vor, einen über den Gebrauchswerthinausgehenden Zusatznutzen zu vermitteln: naiv durch Transporteiner fixierten Botschaft, im erweiterten Verständnis durch An-regung bestimmter Sinnbildungsprozesse. Beide Auffassungen ver-wechseln Ursache und Wirkung: Die Produktgestalt ist nichtUrsache der Sinnproduktion, sondern Folge vorher kommunikativvereinbarter und an das Objekt gekoppelter vager Sinngehalte.Sie hat die Funktion eines Jargons zur Stabilisierung dieserSinngehalte. Auch Funktionalismus ist Produktsemantik!

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Sinn durch Dinge?

Als Aufhänger zum Einstieg muß erneut VAN DEN BOOM (1990: §32S. 26) herhalten, der wieder souverän den Rahmen absteckt. Ererklärt, das Thema der Industriegesellschaft, nämlich Glück,sei nun abgelöst worden durch das Thema der postindustriellenGesellschaft, den Sinn: "Sinn ist die Herstellung der Gegeben-heitsweise (=Darstellung). Gegebenheitsweise: die Form, in deretwas gegeben ist. Die Transzendenz des Inhalts ist die Form.Sinn ist Form." Und noch jemand ist beteiligt: "Der Computergewinnt über KI Anschluß an die Sinnfrage." Die unvermeidlicheFrage: Warum eigentlich Sinn und nicht mehr Glück? Ist Glückmodern und Sinn postmodern? Haben wir genug Glück? Ist Glückmateriell und deshalb "out", Sinn immateriell und "in"? Das istkaum nachvollziehbar.

Wesentlich handfester geschieht die Annäherung an dieSinnfrage in der Abgrenzung von der Öde und Sinnleere des"Funktionalismus" bei GROS (1987: 20): "Es sind aber nicht nurDiktaturen, die ihre Kultur besonders gerne uniformieren. Diemoderne Industriekultur hat sogar mit ungewöhnlich breiterZustimmung eine Massenkultur hervorgebracht, mit ebenfallshochstandardisierten Produkten und Gefühlsmustern. Zur Modernegehören nicht nur die Weizenfelder bis zum Horizont. Zu ihrgehört allgemein das Prinzip hochgradiger Monokultur, das sie -mit dem Fließband im Hinterkopf - ja auch in der Architekturund im Design nach Kräften verbreitet hat. Die Designphiloso-phie der Moderne steht damit grundsätzlich gegen gestalterischebzw. symbolische Vielfalt. Auch in Ulm gab es ja bekanntlichnur die Wahl zwischen hellgrau und dunkelgrau." Was hierauffällt, ist das merkwürdig statische Verständnis von Kultur:Da ist "die Industriekultur", die eine öde "Massenkultur"hervorgebracht hat. Und die armen Menschen haben unter derMonokultur der Grautöne gelitten. Aber wieso gab es dennandererseits eine so "ungewöhnlich breite Zustimmung"? Wegendes "Fließbandes im Hinterkopf"? Das überzeugt nicht besonders.Derartige Angriffe auf den Funktionalismus - man würde siegerne als Ironie verstehen, aber sie machen tatsächlich den

1.2 Theoriendynamik - exemplarisch 93___________________________________________________________________________

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Eindruck, als seien sie ernstgemeint -, eingekleidet in diegebetsmühlenartig wiederholte Verabschiedung der industriellenModerne, sagen wenig über das Angegriffene, sondern deuten eherauf die Sichtbehinderungen in der Selbstreferenz des eigenendisziplinären Tuns der Sprecher hin. Hier liegt ein wichtigerAnsatzpunkt für die Vermutung, daß es eher um ein"Sinndefizit" innerhalb der Profession Industrial Design gehtals um das Bedienen eines Bedarfs nach Sinn in der Gesell-schaft.

Vorgegeben wird als axiomatische Basis also erstmal, daß dieBraucher neuerdings "Sinn" wollen; Funktionen haben sieoffenbar genügend, jedenfall machen die sie nicht mehrglücklich. Weiter wird behauptet, daß Objekte infolgebestimmter formaler Qualitäten bei den Brauchern "sinnstiftend"wirken können. Die Sache läuft dann so: der Designer, der weißbzw. dem gesagt wird, welcher "Sinn" momentan gefragt ist,prägt dem Objekt aufgrund seiner Kenntnis der "Produktsprache"die entsprechende symbolische Botschaft auf. Der Braucherempfängt diese Botschaft und transformiert sie möglichstunverändert in Sinn (nochmal: warum eigentlich nicht mehr inGlück?). Die semantische Verbindung von Objekt und "Sinn" läßtsich, vor allem nachträglich am fertigen Objekt, hermeneutisch-interpretierend, problemlos nachweisen. Der einfache Grund da-für liegt in der hohen Flexibilität der Verbalsprache, ihrerMöglichkeit, im geeigneten kommunikativen Kontext , etwa in derWerbung, so gut wie jede Beziehung herstellen zu können. Ausgeringfügig veränderter Perspektive stellt sich die Praxis zudieser kleinen Theorie wie folgt dar: Es geht darum, dasPotential der technischen Neuentwicklungen in marktfähige Pro-dukte umzusetzen, "Probleme" für "Lösungen" zu schaffen, imExtremfall ganz neue Produkte zu erfinden. Diesen neuen Produk-ten muß, gemeinsam mit dem Marketing, etwas hinzugefügt werden,das sie "wünschenswert" macht; die Sprachregelung dafür ist"Sinn". Und warum der ganze Aufwand? Die These: Um den für denSystemerhalt (dieser Ausdruck ist hier nicht ideologisch,sondern systemtheoretisch gemeint!) notwendigen Prozeß vonKonsum und Produktion unter den harten Bedingungen permanentsteigender Produktivität in Gang zu halten.

Aber zurück zum Sinn: Als Grundbegriff der Semantik undPragmatik nimmt er einen zentralen Stellenwert in der Klärung

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der Frage des Verhältnisses von Sprache, Wirklichkeit undBewußtsein ein (HÜGLI, LÜBCKE 1991). Sinn vermittelt, in ersterLinie mittels Sprache, zwischen "Welt" und "Bewußtsein". Über-zeugender als alle logisch-sprachanalytischen Versuche in derBeantwortung dieser Frage erscheint weiterhin WITTGENSTEINssehr einfach klingende These, daß der Sinn sprachlicherAusdrücke ihr Gebrauch ist. Hier verschwimmt auch die FREGEscheUnterscheidung von Bedeutung (Referenz) und Sinn (was einAusdruck meint). War im früheren Verständnis die Bedeutung ei-nes Wortes meist aus der Abbildungsfunktion heraus erklärtworden, so heißt es jetzt: "Man kann für eine große Klasse vonFällen der Benützung des Worts ´Bedeutung´ ... dieses Wort soerklären: Die Bedeutung eines Worts ist sein Gebrauch in derSprache." (Philosophische Untersuchungen §43). Gebrauch istProzeß. ROPOHL sagt (1991b: 156): "Sinn ist ... die subjektiveRekonstruktion der Wirklichkeit durch die Intentionalität desBewußtseins. Sinn baut sich aus Information auf, dochInformation allein vermittelt in sich selber keinen Sinn." Diefolgende Aussage von LUHMANN (1984: 100) führt hin zu einemvollständig prozeßhaften Verständnis von Sinn: " ... Sinn habenheißt eben: daß eine der anschließbaren Möglichkeiten alsNachfolgeaktualität gewählt werden kann und gewählt werden muß,wenn das jeweils Aktuelle verblaßt, ausdünnt, seine Aktualitätaus eigener Instabilität selbst aufgibt." Sinn erweist sichalso als Emergenzphänomen in kommunikativen Prozessen. Oder an-ders: Sinn fungiert als eine Art von Katalysator für dasAufrechterhalten rekursiver Prozesse kommunikativen Handelnsund für das Bestehen des einzelnen Bewußtseins in diesen Pro-zessen. Noch anders: Sinn ist Anschlußfähigkeit in derKommunikation. Kommunikation geschieht mittels Sprache,Handlung und Dingen. Sprache setzt Kommunikation bereitsvoraus, primär ist also die Kommunikation, nicht das Zei-chensystem und nicht die Objekte. Sinnproduktion durch Design-Objekte wird so beschreibbar als Aspekt der Sinnerzeugung durchkommunikatives Handeln mit Dingen. Objekte sind temporäreMaterialisierungen in einem dynamischen Kommunikationsprozeß.Sie lassen in einem parallelen Kreislauf Geld zirkulieren, des-halb ist es so ungemein wichtig, diese Art von Kommunikationauf gar keinen Fall ins Stocken geraten zu lassen. Der Fluß derDinge in der Zirkulation von Produktion und Konsum muß sich

1.2 Theoriendynamik - exemplarisch 95___________________________________________________________________________

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aufgrund der zur Zeit systemimmanenten Kopplung von Wachstumund Produktivitätssteigerung beschleunigen; dies sicherzustel-len ist die Aufgabe von Werbung und Marketing. Ihr wichtigstesHilfsmittel dabei ist derzeit offenbar die verstärkte Aus-stattung der Dinge mit Sinn. Mit den Dingen in ihrer mate-riellen Ausprägung hat Design zu tun. Die Kopplung von Sinn anDinge ist die wesentliche praktische Aufgabe von Design heute.Dieser Sinn, um dies noch einmal zu betonen, entsteht nichtdurch die Dinge, er ist bereits vorher kommunikativ erzeugt.Die Dinge fungieren als eine Art von Erinnerungsmarken zurAktualisierung dieses Sinns.

Eine Denkalternative hierzu: VON FOERSTER (1985d), PIAGETfolgend, bezeichnet sprachliche Aussagen und ebenso Objekte als"Eigenwerte" kommunikativen Handelns. Bezogen auf das oben Ge-sagte bedeutet dies: Nicht die Dinge kommunizieren, sondern dieKommunikation "dingt". Zum Beispiel: "das Pferd galoppiert"wird zu "der Galopp pferdet". Einige "primitive" indianischeund afrikanische Sprachen beziehen sich auf diese Weise aufRealität. Ist dies vielleicht eine Ursache für die"Unterlegenheit" dieser Kulturen verglichen mit unserer?

Festzuhalten bleibt: Die Materialisierung der Kommunikationin immer mehr "nutzlosen" Objekten wäre überflüssig, wenn derKommunikationswert (Sinn) und die Geldzirkulation erhaltenbliebe (Ökonomie). Als Denkmöglichkeit deutet sich hier an:Produktvermeidung als praxisorientiertes Fernziel vonDesigntheorie. Vgl. auch das PAPANEK-Konzept (1972).

Sinn ist Ursache und Wirkung des Funktionierens sozialerKommunikationsprozesse (Funktionieren = Sinn). Objekte können dabei eineFunktion als Auslöser zur Aktualisierung sozial bedeutsamerSinngehalte übernehmen. Die enge Kopplung dieser Zusatzfunktionan die Gebrauchsfunktion ist ökonomisch bedingt; sie ist aberweder zwangsläufig noch unveränderlich.

Zum Zweck von Design

96 1 Designtheorien__________________________________________________________________________________________

Es folgt nun der Versuch, die angesprochene Thematiktheoretisch weiter zu fassen. Beim Streit der Theoretiker um"Sinn" oder "Funktion" geht es - wenn der Streit grundsätzlichgemeint ist - eigentlich um die Ziele oder den Zweck von Designund, daraus folgend, um die dafür geeigneten Mittel. Ist dieseSicht dem Problem angemessen?

Zunächst: Design ist ein komplexes, diffuses, dynamisches,permanent sich wandelndes Handlungsgeschehen ohne Anfang undohne Ende. Zwecke im umgangssprachlichen und auch im traditio-nellen wissenschaftlichen Verständnis sind eher statisch, siegeben den finalen Anstoß zur Transformation einesAusgangszustands in einen Endzustand. Auch Design und Design-theorie verwenden den Begriff im einfachen Denkschema vonUrsache und Wirkung, das zugeschnitten ist auf isolierteEinzelhandlungen: ein Mittel (Ursache) bewirkt den Zweck(Wirkung); damit ist die Aktion beendet. Es beschreibt dieUmwandlung eines Einzelproblems in eine Einzellösung; diesentspricht dem vorherrschenden Verständnis von Design-Handeln.Diese Begrifflichkeit bietet kaum Reflexionsmöglichkeit inbezug auf die evidenten Tatbestände, - daß ein Problem ohne existierende Lösungen nicht denkbar ist,- daß ein Problem ohne Lösungsidee nicht denkbar ist,- daß es endgültige Lösungen allenfalls für logisch-formaleProbleme gibt,- daß Lösungen neue Probleme bewirken, etc.

LUHMANN bezeichnet die hier kritisiertehandlungstheoretische Herangehensweise als ein "Nachwirken derontologischen Tradition des Denkens", die immer noch von derMöglichkeit wahrer, richtiger Zwecke ausgeht (1973: 10): "ImZwecke scheint das Wesen der Handlung seinsbeständig undwahrheitsfähig zu werden, heute durch den Wert seiner Wirkunggerechtfertigt zu werden." Die Rede von "wahren" Zwecken aufder Ebene der Produktentwicklung ist im ökonomischen System derWarenproduktion offensichtlich unsinnig. Hier geht es (ob esdem Design gefällt oder nicht) um die Intensität von Waren- undKapital-Flüssen. Design leistet dazu einen (zumindest für dieÖkonomie) wichtiger werdenden Beitrag. Sehr deutlich formuliertdies ZEC (1992a) im Vorwort zum Europäischen Design-KongreßEssen 1992. Deshalb ist die Frage nach den Zwecken und ihremGrad an Wahrheit oder Falschheit, wie sie sich in der Debatte

1.2 Theoriendynamik - exemplarisch 97___________________________________________________________________________

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um "Funktion oder Sinn" äußert, unfruchtbar. Es geht vielmehrum die Frage nach der Funktion von Zwecken innerhalb des komplexenHandlungssystems. Einige Funktionen sind:- Zwecke dienen zur Reduktion von Komplexität im Innern desHandlungssystems, zur Verbesserung der Funktionsfähigkeit,- Zwecke dienen zur Wertneutralisierung, zur Abdunklungirrelevanter Nebenwirkungen,- Zwecke dienen der Operationalisierung, der Formulierungkonkreter Handlungsanweisungen,- Zwecke sollen "die Mittel heiligen", etc.

Zwecke bezeichnen also nicht das "Wesen" der Handlung,sondern sie haben eine wichtige Hilfsfunktion innerhalb desHandlungsgefüges. Die Zwecksetzung, dann wenn sie aus dem In-nern des Handlungszusammenhangs heraus geschieht, ist darüberhinaus auch ein Mittel der Abgrenzung und Grenzziehung, derIdentitätsstiftung bzw. der Systembildung. Es scheint deshalberforderlich, den Zweckbegriff aus der Handlungswissenschaft indie Systemtheorie zu verlegen. Die soziologische Systemtheoriegeht, im Gegensatz zu den Handlungswissenschaften, nicht vonEinzelhandlungen aus, sondern vom Dauerproblem desSystembestandes. Dieses ist nicht mehr im Schema einfacher Zweck-Mittel-Ketten anzugehen, dies wäre zu komplex und gleichzeitigzu vage. Die Grundlage bilden nicht Einzelzwecke("opportunistische Zweckorientierung"), sondern Zweckprogramme("generalisierte Zweckorientierung"). Sie dienen der Reduktionvon Komplexität, der Transformation von permanenten, unlösbarenProblemen in lösbare, zeitlich aufeinander folgende Einzel-probleme. Am untersten Ende dieser oft mehrstufigen Reduktionstehen die konkreten Design-Probleme, die in Design-Lösungenresultieren. Zweckprogramme, so LUHMANN (1973: 284),"formulieren und formalisieren die Bedingungen, unter denen eseinem Untersystem gestattet werden kann, Mittel (des Obersy-stems, W.J.) wie eigene Zwecke zu behandeln und dabei eineIndifferenz gegen Folgen zu entwickeln, die im Gesamtsystemdoch belangvoll sein können."

Design ist Untersystem der Wirtschaft. Das Bestandsproblemder Obersysteme Wirtschaft und Gesellschaft hatte - in derPerspektive der westlichen Industrienationen - lange Zeit mitBedarfsdeckung zu tun, es hat heute mit Bedarfsweckung bzw.Bedarfserzeugung zu tun. Im oben entwickelten Sinne kann man

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hier von einem Wechsel des Zweckprogramms des Obersystemssprechen. Dies hat gravierende Folgen für die Untersysteme,vgl. LUHMANN (1973 272): "Untersysteme benötigen in ihrer immernoch komplexen, systeminternen Umwelt als Kompaß eineKonzeption ihrer eigenen Identität. Sie können diese natürlichnicht im allgemeinen Systemzweck (Gewinnmaximierung bzw.Bestandserhaltung, W.J.) finden, sondern - wenn überhaupt ineinem Zweck - nur in ihrem Unterzweck, den sie deshalbfesthalten, idealisieren und gegen Zurücksetzungen auf Grundbestimmter Auslegungen des Gesamtzwecks verteidigen müssen."Diese Passage wirft ein ganz neues Licht auf die Diskussion umFunktionalismus oder Produktsemantik, die meist so geführtwird, als ginge es um die wahren, ein für allemal gültigenBestimmungen von Design. Noch einmal LUHMANN (1973: 281) miteiner Aussage, die ganz exakt auf Design zugeschnittenscheint : "Systeminterne Konflikte sind im Grunde ein Symptomdafür, daß der Systemzweck die externen Bestandsproblemeunzureichend abgefangen hat. Diese brechen im Innern desSystems in veränderter, kaum wiedererkennbarer Form als Streitum die Auswahl der besten Mittel wieder ans Licht." Es handeltsich bei dem Streit im Design also offenbar um die nichtausreichend verarbeiteten Folgen eines notwendigen Wechsels desZweckprogramms im Obersystem. Design mußte nichtnotwendigerweise zur Produktsemantik wechseln, es wären auchanders etikettierte neue Zweckprogramme denkbar gewesen. Dieswurde jedoch nicht in dieser Deutlichkeit erkannt, sondern - jenach Standpunkt - entweder als Durchbruch, Fortschritt,Befreiung, etc. oder als Aufstand, Verrat, Krise, etc.interpretiert wurde. Im Ganzen handelt es sich um ein diffusesGemenge von außen- (den theoretischen Überbau betreffende) undinnenbestimmten (den Stil betreffende) Umwälzungen.

Was ergibt sich daraus? Anstelle der Kultivierung derjeweiligen Positionen, die im Effekt nicht viel mehr alsstilistische Auffassungen sind (weil sie innerhalb ein unddesselben Wirtschaftsmechanismus gedeihen müssen), solltenÜberlegungen angestellt werden, wie für die Disziplin mehrEinfluß auf die Formulierung des design-spezifischenZweckprogramms zu gewinnen ist. Es geht um mehr disziplinäreAutonomie, um die Entwicklung vom Untersystem zum Partner-System der Ökonomie.

1.2 Theoriendynamik - exemplarisch 99___________________________________________________________________________

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GesellschaftWirtschaft

DesignDesignWirtschaft

Gesellschaft

Abb. 1.7: Eine Design - Perspektive: vom Untersystem zumPartner-System der Ökonomie.

Design ist Subsystem der Wirtschaft. Seine selbstdefinierten Zwecke("Lebensqualität", etc.) sind für das Supersystem kontingenteMittel zum eigenen Zweck der Bestandserhaltung. VeränderteBedingungen dort (Bedarfsdeckung -> Bedarfsweckung) brechen imDesign als krisenhafte Neuformulierungen der Design-Zwecke durch. DieseKonflikte sind umso unproduktiver, je weniger autonom dasSubsystem ist.

Theorieentwicklung als Sinnproduktion für die Disziplin?

Die Eingebundenheit in die eigene aktuelle Konvention vonSprach-, Zeichen-, Objektgebrauch und Wahrnehmung macht esschwierig, über den Rand des damit gesetzten Horizonts zuschauen. Dort taucht wieder die Frage auf: Brauchen nur dieBraucher den Sinn, den die Designer vorgeben zu erzeugen? Oderbrauchen ihn nicht auch die Designer selbst? Was ist dertiefere Sinn der Rede von der Sinnproduktion?

Die Überlegungen des vorangegangenen Abschnitts helfen einStück weiter. Design kann keine "wirkliche Lebensqualität"liefern. Es kann keine "wahren Bedürfnisse" befriedigen, allen-falls Bedarf oder Nachfrage decken. Es kann keinen "echtenSinn" produzieren. Design konnte dies nie, denn es gibt dieseDinge nicht als fixe Entitäten. Gesellschaftliche Kommunikationproduziert die Bedingungen, unter denen diese BegriffeBedeutung erlangen. Und Design ist selbst eine Komponente indiesem Zirkel. Es steht nicht am Anfang und ist deshalb nichtUrheber dieser Qualitäten. Im Design und in der Designtheorieist man z.Zt. blind dafür, daß die Setzung von "Sinnproduktion"

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als zentraler Designaufgabe nichts weiter ist als eine weitge-hend beliebige Unterscheidung zur Fundierung einerkonsensfähigen und identitätsstiftenden Theorieausprägung. D.h.es wären auch andere Ausgangsdifferenzierungen denkbar gewesen,solange sie in den Rahmen passen, in den Design eingebettetist. Weiter unten wird es möglich, dies als den "blinden Fleck"auf der Ebene der Beobachtung 2. Ordnung zu bezeichnen. Das"Sinndefizit" der Design-Disziplin liegt in der zunehmendenSchwierigkeit, andere und vor allem sich selber vor dieserErkenntnis (der externen Bedingtheit und gleichzeitigen Belie-bigkeit der speziellen Ausprägung jeder Theorie) zu bewahren.Man möchte an der Illusion festhalten, als gäbe es Dinge wieSinn als ontologische Entitäten und als könnte man sie imPrinzip auch gezielt herstellen. Die manchmal aufblitzendenZweifel sind kurze klare Momente in der allgemeinen Unschärfeder nichtreflektierten Selbstreferenz des disziplinären Tuns.Dann werden Marktzwänge, technische Restriktionen, etc.genannt, die verhindern, diese Ziele im Interesse der Braucherso vollständig zu erreichen, wie es eigentlich wünschenswertwäre.

Nun genauer zu den Theoriebildungsprozessen: Die HfG Ulm ist nurauf dem Hintergrund der historischen Situation nach dem Endedes Nazi-Regimes zu verstehen, vgl. etwa SELLE (1978),LINDINGER (1987) oder ROERICHT (1986). Der (positive) Funktionalismusvon "Ulm" meinte: Rationalität, Aufklärung, Vernunft, Hu-manität, Freiheit, Glück, selbstbestimmte Bedürfnisbefriedigungdurch funktionsgerechte Dinge. Die (negativen)Differenzbegriffe fazu waren: Faschismus, Unterdrückung,Ideologie, Lüge, falsche Gefühle, materieller Mangel, etc.Anfang der 50er Jahre ging es in Deutschland um Bedarfsdeckung.Der Ulmer Funktionalismus war eine Theorie, die im Sinne dermateriellen Interessen der Bevölkerung, aber noch weitgehendunabhängig von den ökonomischen Interessen der Wirtschaftformuliert wurde. Dies war so möglich, weil Design zu dieserZeit noch eine ganz andere Funktion hatte als heute: aus derInnenperspektive der Disziplin eine primär aufklärerisch-emanzipatorisch-dienende und aus der Außenperspektive derWirtschaft eine jedenfalls wesentlich unbedeutendere als heute.Design war noch kein besonders ernstzunehmender Wirt-

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schaftsfaktor. Aber "Ulm" wurde, noch zu Zeiten seinerExistenz, vom "Wirtschaftswunder" (im zweifachen Sinne desWortes) überholt. Ende der 60er Jahre wurde zum ersten Mal dasKrisenphänomen der Überproduktion sichtbar, es ging nun aufeinmal um Bedarfsweckung bzw. Bedarfserzeugung. Die Wirtschaft warunter Mithilfe der Design-Praxis (Theorie war dazu nichterforderlich) in der Lage, sich der veränderten Situationerfolgreich anzupassen. Es dauerte einige Jahre, bis sich eineneue Designtheorie dazu abzuzeichnen begann:

Der neue (negative) Funktionalismus meinte: Zweckrationalität,Primat der Ökonomie, "form follows function", Gefühllosigkeit,Lustfeindlichkeit, Rigidität, Sinnleere, etc. Die neuen(positiven) Differenzbegriffe: Lustprinzip, Verspieltheit,Emotionalität, Pluralismus, Toleranz, Selbstverwirklichung,Lebenssinn und Lebensqualität durch Produkte, etc. Die neueTheorie, die die veränderte gesamtgesellschaftliche Situationspiegelt und die (gewollt oder ungewollt / bewußt oder nichtbewußt) voll die Interessen der Wirtschaft stützt, bekam dasEtikett Produktsemantik. Infolge seiner im Vergleich zu den 50erJahren ungemein wichtigen Position im Wirtschaftssystem(vergleichbar mit Werbung / Marketing) kann Design aus sichselbst heraus nur derartige Konsenstheorien liefern.Andernfalls läuft es Gefahr, sein mühsam erarbeitetes Selbst-verständnis als ernstgenommene disziplinäre Einheit aufs Spielzu setzen. Design hat keine andere Wahl. Die Vehemenz, mit derdas alte funktionalistische Paradigma des "form follows func-tion" verdammt wird, legt die Vermutung nahe, daß hier,verbunden mit starken, auch schmerzhaften,Verdrängungsleistungen, Anpassungen an das gesellschaftlicheKlima ("Zeitgeist") stattfinden. Die Übereinstimmung mit diesemKlima ist die wichtigste Voraussetzung für die praktischeFunktionstüchtigkeit der Disziplin. Konkret: Für die Formulie-rung neuer, gut lösbarer und vor allem im weiteren Zyklus derProduktkommunikation anschlußfähiger (und damit sinnstiftender)Probleme aus dem aktuellen gesellschaftlichen Lösungsraum. Dazuspäter mehr. Und was ist Gegenstand der Verdrängungsarbeit?Vermutlich Reste von emanzipatorischen Utopien, Reste voneigenem (positivem) Funktionalismus, Reste von "Ulm".

Allgemeiner formuliert: Theoriearbeit dient hier derIdentitätsbildung und Abgrenzung ("Selbstorganisation") eines

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Kommunikations-Systems unter den durch seine Umwelt und seineNachbarsysteme gesetzten Bedingungen. Dies ist eine Seite derAutonomie, die andere ist die aktive, Einfluß nehmendeTeilnahme an der Interaktionsdynamik der gesellschaftlichenTeilsysteme. Theoriemangel ist schädlich für das Bild einerernstzunehmenden Disziplin nach außen und vor allem für dieStabilität und Integrität des Selbstverständnisses nach innen.Berufsverbände haben traditionell die Aufgabe, derartige"Weltbilder" zu liefern. Praxisnahe und plausibleDesigntheorien in der Art der Produktsemantik sind dazuhervorragend geeignet. Vor allem ist diese Stärkung durchIdentitätsbildung auch ein Weg, mit der Fremdbestimmung durchtechnische und ökonomische Zwänge umzugehen bzw. diese zurelativieren: Beispielsweise liefert Produktsemantik wesentlichplausibler als der alte Funktionalismus die Begründung dafür,warum man die Bedürfnisse der Braucher besser kennt als andereBerufsgruppen. Speziell braucht man eine Abgrenzung von denirgendwie verwandten Ingenieuren, die angeblich mitschuldigsind an den Problemen der Technisierung. Man selbst hat dieAufgabe, die Technik-Vorherrschaft einzugrenzen oder gar zubrechen.

W.F. HAUGs "Kritik der Warenästhetik" (1971 und früher)markiert wie ein Meilenstein die Wende vom Funktionalismus zurProduktsemantik. Seine Rede vom "Warenfetischismus", von derbunten "Scheinwelt" der Produkte, welche zur Ablenkung von den"wahren" Bedürfnissen der Menschen inszeniert wird, ist eineharte Kritik an der Praxis der Disziplin. Das Design ist fürHAUG eine der Agenturen der "ästhetischen Innovation". Diese,(1971: 54) "als Funktionsträger der Regeneration von Nachfrage,wird so zu einer Instanz von geradezu anthropologischer Machtund Auswirkung, d.h. sie verändert fortwährend dasGattungswesen Mensch in seiner sinnlichen Organisation: inseiner dinglichen Einrichtung und materiellen Lebensweiseebenso wie in Wahrnehmung, Bedürfnisbefriedigung undBedürfnisstruktur." Und die Kritik wird von der Disziplin - dasgesellschaftliche Klima ist gerade danach - sehr ernst ge-nommen. SELLE (1973: 18) nimmt die Argumentation auf und führtden Begriff der "gesellschaftlichen Theorie des Entwerfens"ein: "Eine solche Theorie stellt sich als ein Bündel vonVorstellungen über den jeweiligen Sinn und Zweck der

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Produktgestaltung in bezug auf die Gesellschaft dar." Erkonstatiert, daß die jeweils geltende Theorie eine"Übereinkunft der Herrschenden" sei, ein Legitimationsgebäudezur Stabilisierung des ökonomischen Systems. Diese unzulässigeHypostasierung ist dem Zeitgeist zuzurechnen. Die Theorien sindeher die designinterne Verarbeitung der herrschendenVerhältnisse. Diese wiederum sind jedoch kaum einerabgrenzbaren Gruppe zuzuordnen. Die dauerhaftegesellschaftliche Theorie des Entwerfens kann es kaum geben. Eskann allenfalls einen mehr oder weniger zeitgeistresistentenRahmen geben, innerhalb dessen die Theoriendynamikmodellierbar ist.

Auch BÜRDEK (1991: 176), mit anderer Intention, geht aufHAUG ein: "Mit Positionen, wie sie in den Arbeiten von Haug ...vertreten wurden, erlag das Design endgültig einer Paralyse.Der insbesondere an den Hochschulen einsetzendeEntwurfsnihilismus begründete bis heute im Bewußtsein vielerden tiefen Riß zwischen Theorie und Praxis im Design." Der"Entwurfsnihilismus", falls es ihn außerhalb der Hochschulenjemals gegeben hat, wurde schnell überwunden. Erwähnenswerterist die Klage über den Riß zwischen Theorie und Praxis, dennsie beruht offenbar auf einem Mißverständnis der Funktion vonTheorie. HAUGs Thesen waren eine Theoriefacette. Sie kam vonaußerhalb des Design und hatte u.a. Design als Gegenstand.Viele Designer meinten dann aber, es sei die neue Gesamttheorieund waren zutiefst enttäuscht von den Grenzen ihrer praktischenUmsetzbarkeit. Statt sich aber mit den zutagetretenden Wi-dersprüchen (den "Rissen") auseinanderzusetzen, wendete mansich ganz von dieser und allen weiteren Theorien, die imAngebot waren, ab. Die darauf folgende Gegenreaktion der"Funktionalismuskritik" mit anschließender jahrelangerTheorieabstinenz hatte vermutlich weitaus negativere Folgen fürdie weitere Theoriebildung als die "Risse" der oben genanntenArt. Der Kern des Mißverständnisses besteht darin, daß manstets nur geschlossene, praktisch anwendbare und vor allemunkomplizierte Theorien will. Und so gesehen enthält der HAUG-sche Ansatz eine Vielzahl von Aspekten, die ihre Bedeutung bisheute nicht verloren haben. Seine Beschreibung der Produktions-Konsumptions-Dynamik ist heute nicht mehr unter dem Aspekt derVerschleierung der "wahren Bedürfnisse" (was soll das sein?),

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sondern vielmehr im Hinblick auf die damit verbundeneBeschleunigung der Materie- und Energieflüsse bedeutsam. Manmuß sich nur die Mühe machen, von der ideologischenÜberfrachtung und den damit verbundenen Heilsversprechenabzusehen und die zahlreichen Skurillitäten (etwa seine sehrmoralische Verurteilung der knappen Männerunterhosen "ohneEingriff" als gebrauchsuntaugliche Ausgeburten des Waren-fetischismus) als zeitgeistbedingte Sichtbehinderungen zu se-hen. Aber Design macht sich meist nicht diese Mühe, Design willschnelle Komplettlösungen ("fast theories" / "turnkey-theories"/ "junk-theories").

Folgende Sicht der Dinge erscheint plausibel: KommunikativeProzesse im Design führen in Abhängigkeit von den äußerenRandbedingungen zu grundsätzlich verschiedenen Theorie-ausprägungen. Funktionalismus und Produktsemantik könnten sichso als zwei im System Design kommunikativ erzeugte Eigenwerteder Theoriendynamik in recht enger Nachbarschaft wiederfinden.Ein operatives Schema der Theoriebildung dieser Art könnte wiefolgt aussehen:1) Ausgehend von einem gesamtgesellschaftlich deutlichenKlima / "Zeitgeist" (Wertepluralismus, "Postmoderne", etc.) denLeitbegriff der alten (noch existierenden, aber nicht mehr pas-senden) "Theorie" ("Paradigma") demontieren.2) Dazu den alten Leitbegriff (Funktionalismus) mitwesentlichen Teilen der nicht zu übersehenden aktuellenMißstände konnotieren.3) Die (negativen) Differenzbegriffe des (ehemals positiven)Leitbegriffs ignorieren. 4) Neue (positive) Differenzbegriffe zum alten (nun negativen)Leitbegriff formulieren.5) Einen neuen Leitbegriff ("Paradigma") erfinden.6) Unter Ignorierung des grundlegend gewandelten Kontexts(sozial, ökonomisch, kognitiv, etc.) so tun, als sei das neueParadigma eine Widerlegung des alten, zumindest ein"Fortschritt" gegenüber dem alten.7) Bei Bedarf (wenn die "Theorie" nicht mehr zum "Zeitgeist"paßt, den Gesamtzyklus erneut durchlaufen, d.h. "GO TO 1".

Dabei ist nicht nur das Gesamtschema, sondern insbesondereauch jeder Schritt als andauernder zyklischer Prozeß der

1.2 Theoriendynamik - exemplarisch 105___________________________________________________________________________

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Sinnproduktion zu verstehen. MÜLLER (1991) bezeichnet diese Artder Darstellung als allgemeine Analyse- und Beschreibungsform,auch und gerade für Handlungs- und Lebensformen. Er spricht vomÜbergang von der intentionalen zur rekursiven Handlungstheorie.Sie betrifft Objektklassen, Begriffe und auch Theorien. HierzuVON FOERSTER (zitiert bei MÜLLER 1991: 226): "Theory, initself, is an Eigen-Function and is to be understood throughitself." Die Parallelen dieses "rekursivischen Feldbegriffs desSozialen" zu LUHMANNs systemtheoretisch formulierten"Zweckprogrammen" (1973) sind deutlich.

Die Hauptunterschiede zwischen designbezogenen undwissenschaftlichen Theoriebildungsprozessen sind die folgenden.Erstens: der Ausgangspunkt (Anstoß) liegt überwiegend beisystemexternen Umständen, hier primär in der Ökonomie.Zweitens: die wesentliche Motivation der Theoriebildung istnicht nur die Erklärung (deskriptiv), sondern die Verbesserungder Praxis (normativ), wiederum nach weitgehend extern determi-nierten Kriterien. Ganz wichtig zur problemlosen Durchführungsolcher Vorhaben sind Vorkehrungen zur Verdrängung eventuellsich einschleichender Zweifel an der Überzeugungskraft dereigenen Konstrukte, zum Nicht-Sehen der eigenen Eingebundenheitin den Gegenstandsbereich der Theoriebildung, das "so-tun-als-stände-man-außerhalb". Indizien für solche Mechanismen sind die"Blindheit" beim Nicht-Sehen der starken Symbolik im Funktiona-lismus, die pauschale Ablehnung der Naturwissenschaften, diebequeme Nicht-Thematisierung der eigenen Einbindung in dieTechnikentwicklung, die flotte Rede von der endlich überwun-denen Moderne, u.v.a.m. Nicht erst der Radikale Konstruk-tivismus, sondern auch z.B. QUINE (1985) betonen die prinzi-pielle Beliebigkeit von Theoriebildungsprozessen. Die Fragenach der Wahrheit von Theorien ist deshalb sinnlos; man kannnur innerhalb von Theorien danach fragen. MöglicheTheoriealternativen ergäben sich, wenn man - alsGedankenexperiment - versuchte, anstelle der Auswechselung desalten Leitbegriffs durch einen neuen, aktualisierte Differenzbegriffe zufinden. Funktionalismus wäre also weiterhin positiv besetzt undman erfindet aktualisierte negative Differenzbegriffe,beispielsweise:

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- Funktionalismus vs. Primat der Ökonomie ("Sachzwänge" wieetwa die der beschleunigten Produktzyklen aus rein ökonomischenGründen),- Funktionalismus vs. Überproduktion von "Konsummüll" infolgeökonomisch notwendiger Bedürfniserzeugung,- Funktionalismus vs. Ungleichgewicht der Staaten und Regionenmit der Folge der Ausbeutung von Menschen und Natur,- Funktionalismus vs. Irrationalismen ("Konsumkult", "Sinndurch Dinge", etc.),

Die Liste ist erweiterbar; es ergäben sich interessante neueTheorien, die aber alle heute (noch) nicht ins ökonomischdominierte System passen. Zu Zeiten von "Ulm" waren kritische,avantgardistische, skeptische, wissenschaftlich dominierteTheorien noch möglich, denn Theorieunterstützung für den Marktwar nicht erforderlich. Theoriebildungsprozesse allein voninnen heraus, in zu großer Nähe zum ökonomisch bestimmtenPraxiskern der Disziplin, können nicht viel mehr liefern alskurzlebige "-ismen", die parallel zu den Zyklen desSupersystems Ökonomie ausgewechselt werden müssen. Abweichendeshat heute wegen der nur in Ansätzen vorhandenen Autonomie(anders als in der Wissenschaft) in der Praxis keineÜberlebenschance. Vollständige Autonomie ist für die Disziplinnicht erreichbar, dann handelte es sich nicht mehr um Design.Die weiterführenden, erkenntnisversprechenden Theorien sindnotwendigerweise erstmal sehr abstrakt und praxisfern. Sie sindnicht präskriptiv, sondern deskriptiv.

Fruchtbare Ansatzpunkte zum Weiterdenken liegen offenbarbereit, sie müssen nur noch aufgegriffen werden. Wesentlich istzunächst ein neues Wissenschaftsverständnis, insbesondere diemutige Überwindung der Trennung von Geist und Natur (Kultur undTechnik). Zweitens ist ein systemtheoretischer Ansatz nötig,der in der Lage ist, die Handlungs- und Theoriendynamik zumodellieren. Auf dieser Grundlage wird es möglich, ein be-griffliches Rahmenwerk zu konstruieren, in das die bestehendenTheorien, Theoriefragmente und praxisorientierten Methoden, zu-sammen mit neu zu entwickelnden Teiltheorien eingeordnet werdenkönnen. Damit läßt sich möglicherweise die Theoriendynamik imDesign aus der Entwicklungsphase der "Brandrodungs-Mentalität"herausführen. Angestrebt wird also ein Systemmodell nicht mit

1.2 Theoriendynamik - exemplarisch 107___________________________________________________________________________

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dem Anspruch der unmittelbaren Abbildung der disziplinärenRealität, sondern als Werkzeug zur Organisation der Erkenntnis,zur Erschließung des Problemraums. Oder mit POPPER (1934): "DieTheorie ist das Netz, das wir auswerfen, um die ´Welt´einzufangen."

Designtheorien dienen der Stabilisierung der disziplinären Identität undleisten die Anpassung des Selbstbildes an die externenBedingungen. Dabei kommt es zu Krisensituationen. Dies alskonstitutives Element einer neuen Theorie zu nehmen, kann dieGesamtentwicklung transparenter und fruchtbarer gestalten.Theoriebildung kann beitragen zur Integration scheinbarinkompatibler Ansätze und damit zur Autonomisierung derDisziplin.

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Fazit 1.2: Theoriendynamik im Design ist interpretierbar alsAnpassungsmechanismus an externe, schnell wechselnde(wirtschaftlich dominierte) Randbedingungen. Fortschritt istkaum zu verzeichnen, weil die disziplinären Systemgrenzen dieAußeneinflüsse nicht genügend abschirmen, um intern dauerhafteTheoriegrundlagen schaffen zu können. ---> Wie läßt sich dies theoretisch fassen? Es ist einezweifache Klärung erforderlich:1) Den Systembegriff betreffend: Die Einbindung von Design ingesellschaftliche Prozesse muß thematisiert werden. 2) Den Erkenntnisbegriff betreffend: Der Anspruch, optimaleLösungen liefern zu können, muß relativiert werden. Daraus ergeben sich Folgerungen für ein zukünftigesSelbstverständnis von Entwerfen.

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2 EIN NEUER ANSATZ

"Ich sage es nur zögernd und furchtsam, aber es ist nicht ausgeschlossen, daß wir hier einer Art Ausschließungsprinzip gegenüberstehen: unsere Unfähigkeit, das Leben in seiner Wirklichkeit zu erfassen, mag der Tatsache zuzuschreiben sein, daß wir selbst am Leben sind. Wäre dies so, dann könnten nur die Toten das Leben verstehen; aber sie publizieren in anderen Zeitschriften."

Erwin Chargaff

110 Design - System - Theorie__________________________________________________________________________________________

2 TheoriealsPerspektiveQuelle:Sim Earth

Während die Wissenschaftstheorie ihre Aussagen über dieMöglichkeit der Erkenntnis objektiver Wahrheit immer mehrrelativiert und die Wissenschaft sich der Paradigmenabhängig-keit ihrer Praxis zunehmend bewußt wird (z.B. KUHN 1976, QUINE1985), arbeiten Entwerfer immer noch mit der Vorstellung,Lösungen für Probleme liefern und damit Beiträge zur Verbesse-rung der menschlichen Lebensqualität leisten zu können(ROERICHT 1987).

Es wurde oft festgestellt, aber nie ganz akzeptiert: es gibtkeine umfassende Designtheorie und erst recht keine Designwissen-schaft (im Sinne eines disziplinären Systems, das den institu-tionellen Rahmen für Forschungshandeln bereitstellt). DieseSituation macht es andererseits leicht, zu behaupten, man be-finde sich auf dem Wege zur Wissenschaft (VAN DEN BOOM).Offensichtlich ist auch: Designprozeß und Designprodukte warenund sind Gegenstand der unterschiedlichsten wissenschaftlichen Un-tersuchungen (philosophisch, historisch, soziologisch, äs-thetisch, technisch / technologisch, psychologisch, semiotisch,etc.). Die Frage, was Entwerfen sei, wird dabei jeweilsspezifisch zweckorientiert im Hinblick auf die Intentionen derdurchzuführenden Forschungen mehr oder weniger ad hoc beant-wortet. Eine Verständigung, ein Austausch, eine Zusammenarbeitüber die Disziplingrenzen hinweg ist schwierig, aber notwendig.

Es geht also um den Versuch einer vorsichtigen Annäherung andie Frage: Wie kann Designtheorie heute aussehen, oderkonkreter: ist ein konsistenter, den Dialog fördernder Theorie-rahmen zur wissenschaftlichen Behandlung von Entwerfen in allseinen Aspekten denkbar? Von zentralem Interesse ist auch dieFrage nach dem möglichen Beitrag von Design als Disziplin, d.h. alsdisziplinärer Gruppe, als sozialer Einheit, zur Lebensqualitätaller Menschen. Dazu sind erforderlich: - die Entwicklung eines disziplinübergreifenden begrifflichenRahmenwerks,

2 Ein neuer Ansatz 111___________________________________________________________________________

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- die Entwicklung von Ansätzen zur Modellierung der Struktur undder Dynamik des Prozesses,- der Versuch der Einbeziehung der nichtdeterministischen und"irrationalen" Aspekte.

Daraus können Überlegungen zur gezielten Veränderung derFunktion von Design entwickelt werden. Der Ansatz basiert auf zweispezifischen Denkweisen, die in den beiden folgenden Hauptab-schnitten dieses Kapitels entwickelt werden: Der Systemtheorieund der Operativen Erkenntnistheorie. Daneben stehen zwei wesentlicheGrundannahmen, die aber nicht auf Theorien basieren, sondernüber eine Reihe von Argumenten gestützt werden. Man könnte alsoauch von Axiomen sprechen, welche der Integration des Ansatzesdienen: Er geht aus von Technik als Kultur und von Design undKonstruktion als Teile der Disziplin Entwerfen.

Annahme 1: Technik als Kultur KLEMS (1988) gibt einen Überblick über die Kontinuität derArgumentationsmuster der Technikkritik seit der Zeit vonROUSSEAUs "Zurück zur Natur" in der Mitte des 18. Jahrhundertsbis in die Gegenwart. Als immer wiederkehrende Argumentati-onsstränge tauchen dort auf:- Technik bewirkt Entfremdung der Arbeit (Arbeitsteilung,Rationalisierung, Mechanisierung),- Technik führt zur psychischen und sozial-kulturellenDepravation (Entartung, Verschlechterung sittlicher / sozialerBindungen) des Menschen,- Technik mißachtet die Naturverhältnisse,- Technik, als eine dem Menschen fremde Macht, errichtet denZwang eigengesetzlicher Rationalität, schafft "Sachzwänge",etc. - Technik ist kontraproduktiv und beeinträchtigt dieLebensqualität. Technik befördert die Krise der Kultur. Technikführt an die Grenzen des Wachstums.

Die "Nebenwirkungen" der industriellen Entwicklung und dasmit ihr entstandene Menschenbild des homo oeconomicus bietendieser Kritik durchaus griffige Ansatzpunkte.und führten zu denbekannten Polarisierungen (vgl. etwa C.P. SNOW). Ein aktuellesBeispiel für die immer noch verbreitete, aber äußerstunfruchtbare kulturpessimistische Polarisierung von Technik undKultur liefert Neil POSTMAN (1992). Er hypostasiert "die

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Technik" zu einer dem Menschen gegenüberstehenden feindlichenMacht, gegen welche "die Kultur" sich immer schwerer behauptenkann.Der Ansatz von KLEMS stellt dagegen eine positiveVerbindung zwischen Kultur und Technik her. Seine Argumenta-tionsschritte sind die folgenden:- Kultur besteht aus Verhaltensmustern,- Verhaltensmuster werden über Artefakte und Symbole erlernt undvermittelt,- Verhaltensmuster sind in Artefakten und Symbolen als Teil derKultur verkörpert,- Kultursysteme sind menschliche Handlungsprodukte und zugleichkonditionierende Faktoren des menschlichen Verhaltens.

Deutlich wird hier schon die Zyklizität dieses Prozesses derMusterbildung. ROPOHL (1991: 196f) nennt die Dichotomie vonZivilisation und Kultur eine der "Lieblingsfiguren des deut-schen Denkens", die von TÖNNIES, SCHELER, SPENGLER und anderenkultiviert worden sind. Die offensive Reklamierung von"Kulturwert" für die Technik geschieht zum ersten Mal beiFriedrich DESSAUER (1908, 1956). Wichtige neuere Ansätze zurÜberwindung der Dichotomie von Kultur und Technik sind diekulturgeschichtlichen Entwürfe von RIBEIRO (1971) und MUMFORD(1977), welche Kulturentwicklung unmittelbar mit Technik-entwicklung in Beziehung setzen bzw. der Technikentwicklungbestimmenden Einfluß auf die Kultur einräumen. Für ROPOHL istes nun an der Zeit, endlich auch im deutschsprachigen Raum"einen Paradigmenwechsel einzuläuten, den Wechsel vomanalytisch-dichotomischen zum synthetisch-integrativen Denken."Seine These hierzu lautet: "Technik und die sogenannte "Kultur"sind aufeinander bezogene und miteinander verflochtene Momenteeines übergreifenden soziokulturellen Ganzen: Technik istKultur!" Sein weitergehender Schritt ist die Sicht von Kultur alsMenge der Artefakte! Artefakte sind "die künstlich gemachten, d.h.von Menschen hervorgebrachten, extrapersonalen, relativdauerhaften, materiellen, sozialen und ideellen Gebilde." Sieumfassen:- technische Artefakte (Sachsysteme),- ästhetische Artefakte (sensuell orientierte Sach- undZeichensysteme: "Kunst"),- symbolische Artefakte (Zeichensysteme: "Sprache"),

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- kognitive Artefakte (Wissens-, Deutungs- und Wertsysteme:"Religion, Philosophie, Wissenschaft"), sowie- institutionelle Artefakte (Handlungsmuster und -systeme).

Insbesondere gelte es, so ROPOHL, die Wirkungen der Dinge zuanalysieren: "Technische Artefakte haben immer auchästhetische, symbolische, kognitive und institutionelleImplikate. Technische Artefakte erweisen sich als Kultur in je-dem Sinne des Begriffs." Die ästhetische Implikate seien amleichtesten zu begreifen, sie verweisen in den Bereich desIndustrial Design (eine etwas verkürzte Sicht auf das Problemfeld).Die symbolischen Implikate betreffen die Organisation von Sicht-weisen und Weltbildern. Die kognitiven Implikate seien am deut-lichsten sichtbar in Verbindung mit den Entwicklungen derInformationstechnik, so etwa in der Wandlung von Denkstilen imUmgang mit neuen Techniken. Schließlich wirke die Technisierungals soziotechnischer Institutionalisierungs- undSozialisationsprozeß, d.h. sie bildet Kristallisationskernegesellschaftlicher Organisationen und sie konstituiertentsprechende gesellschaftliche Handlungsmuster. ROPOHL pro-pagiert dann folgerichtig Technologie (in einem allerdings er-weiterten Verständnis) als Kulturwissenschaft: "AllgemeineTechnologie ist ein Wissenschaftsprogramm, das die Technik alsKultur zu beschreiben und zu verstehen sucht und dadurch zumBindeglied zwischen den "zwei Kulturen" werden kann, indem siezugleich eine Grundlagenwissenschaft der Technikwissenschaftenund eine Angewandte Kulturwissenschaft darstellt."

Es scheint nun sinnvoll, Kultur einschließlich Technik alsMedium gesellschaftlicher Kommunikation zu sehen. Schon MARXbezeichnet Technik (Prozeß und Produkt) als das Medium, in demsich der Mensch arbeitend mit der Natur auseinandersetzt. EineErweiterung der Gedanken mit stärkerer Betonung der pro-zessualen Dynamik und der immateriellen Aspekte von Kultur,findet sich bei SCHMIDT (1992c), der den Entwurf einer"prozessual konzipierten Medienkulturtheorie" präsentiert (Kap.3.2).

Annahme 2: Design und Konstruktion als Teile der Disziplin EntwerfenAuch wenn dies, besonders im deutschsprachigen Raum, vonDesign-Seite immer wieder abgelehnt wird (vgl. GROS 1983 oderVAN DEN BOOM 1990): Hier wird - wie in der englischsprachigen

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Tradition weit verbreitet - das gestalterische (IndustrialDesign) und das ingenieurwissenschaftliche (Engineering Design)Entwerfen gemeinsam behandelt. Die Trennung ist kaum hundertJahre alt und sie ist in ihrer - oft auch ideologischen -Schärfe überholt. Beide Disziplinen stehen in engerWechselbeziehung: kognitiv handelt es sich um vergleichbare Pro-zesse der Lösungsfindung bzw. Problemlösung, sozial sind beideals wesentliche Teilbereiche im System der industriellenWarenproduktion nachbarschaftlich verbunden. Beide Disziplinenarbeiten auf unterschiedlichen Ebenen letztlich für denBraucher, der das Produkt als Ganzes benutzt. Obwohl traditio-nell eng mit der Konstruktion verbunden, geht das Design heuteoft lieber die Verbindung mit dem im Denken verwandterenMarketing ein; eine Liaison, die von einigen Designern manchmalauch beklagt wird, denn man bekommt sehr schnell Probleme mitdem Berufsethos (vgl. SUDROW 1989). Manchmal scheint esallerdings - trotz derartiger Klagen - daß sich die Designerbeim stets zeitgeistorientierten Marketing wohler fühlen als inder "rigiden", "verstaubten", "unkreativen" Konstruktion. Diemanchmal verkündete Funktion von Design als integrativem Ortzwischen Marketing, Konstruktion, Fertigung, etc. ("MADEKO")ist eher eine Wunschvorstellung, die wenig mit der Realität zutun hat.

Die beiden wesentlichen Wurzeln der Disziplin Design liegenim Ingenieurwesen und im Kunsthandwerk. Man betont zwar immerwieder, daß man nicht Kunsthandwerker ist, sondern technisch-sozial-gestalterisch kompetenter Universalist, faktisch - inArbeitsweise und Attitude - erscheint es aber gerade heute oftso, als dominierte immer noch die kunst-handwerkliche Entwick-lungslinie. Wenn Designer den selbstgestellten Anspruch, als"Bedürfnis - Erforscher" aufzutreten und damit Lebensqualitätzu schaffen, ernst nehmen, dann sind sie zu dieser Zusammenar-beit mit der Technik gezwungen und müssen weg von der bequemenPosition derer, die meinen, von außen die Fehler der Technikerkorrigieren zu können.

Die Argumente aus der Sicht der Produktentwicklung sindebenso überzeugend: Die "nachindustrielle" Phase istgekennzeichnet durch zunehmende Integration der bishergetrennten Bereiche Produktion und Konstruktion (CIM), auf derProduktionsseite durch NC- und Robotertechniken, auf der

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Konstruktionsseite durch den - auch von der Automatisierung imProduktionsbereich bedingten - verstärkten Einsatz von CAD-Techniken. Die Einbeziehung des Design bietet sich an, dieVermeidung von Reibungsverlusten spart Kosten. Darüber hinausgibt es eine zunehmende Integration von Mechanik - Elektronik -Gestalt auf der Ebene der Produkte selbst ("Mechatronik"). Esgibt nur noch wenige Objekte, die nicht "gestaltet" werden. Einweiterer Aspekt der Verflechtung, der insbesondere von der Kon-struktion nicht übersehen werden sollte: Ein großer Teil dervon Konstrukteuren entwickelten Maschinen und Anlagen(Betriebsmittel, Formenbau, Werkzeugmaschinen, etc.), auch wennan ihnen selbst keinerlei "Design" zu finden ist, dientausschließlich der Produktion der von den Designern entworfenenKonsumgüter.

Diese Überlegungen bedeuten nicht, daß etwa ein gemeinsamesBerufsbild propagiert werden soll, sondern daß dieNachbarschaft im Produktentwicklungsprozeß und der gemeinsameHandlungskern Entwerfen eine engere Bezugnahme wünschenswertmacht. Gegenstände von Entwerfen sind: materielle Artefakte /Systeme, immaterielle Artefakte (Organisationen, Abläufe,Dynamiken, Software) und Kombinationen (Interface-Design, Pro-zeß-Design). Die Probleme mit den Objekten der industriellenProduktion liegen heute oftmals nicht mehr primär im Mangel anfunktioneller Brauchbarkeit (Konstruktion) einerseits oderästhetischer Qualität (Design) andererseits, sondern eher imunkoordinierten Zuviel an Menge, an Funktion und an Gestaltung. DerCharakter der Projekte wird sich ändern: Es geht nicht mehr nurum Einzelobjekte, sondern vielmehr um Prozesse, in denen Objektematerieller und immaterieller Art zeitlich begrenzte Funktionenerfüllen. Probleme stellen sich dar als Unzulänglichkeiten,Störungen, vage Chancen auf Verbesserung in bestimmtenzeitlichen und situativen Handlungszusammenhängen. Handhabbare,"lösbare" Probleme werden daraus erst durch weitgehend kon-tingente Aufbereitung hergestellt.

Diese neue Sicht erfordert wesentliche Veränderungen in derAusbildung, es erfordert vor allem Lernprozesse: EinTechnikerverständnis als Gestalter soziotechnischerHandlungssysteme statt Sachsysteme, ein Designerverständnis alsGestalter soziotechnischer Handlungssysteme statt Wert- undSinnsysteme. Ziel sollte eine Annäherung der Disziplinen sein,

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so daß anstelle der heutigen starren "Demarkationslinie" einefunktionsfähige, kommunikationsfreundliche, flexible Schnittstellezur Kommunikation entsteht. Nicht zuletzt im Interesse derBraucher, die sie auch selber sind.

Zusammenfassend lautet die These, die in den folgenden Kapitelnweiter entwickelt wird: Konstruktion und Design sindbeschreibbar als zwei Subsysteme (von vielen) eines SystemsEntwerfen, welches in dynamischer Wechselbeziehung mitbenachbarten Systemen im Gesamtsystem Gesellschaft steht. DieWunschvorstellung ist, daß Entwerfen mehr und mehr zur Fach-disziplin für gesellschaftliche Planungsprozesse wird.

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen 117___________________________________________________________________________

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2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen

Der Begriff des Systems ist in den vorangehenden Abschnittenbereits mehrfach ohne nähere Definition verwendet worden. Esgeht nun um die Präzisierung des Begriffs und um die Klassi-fizierung von Systemtypen im Hinblick auf ihre Verwendbarkeitfür die Erfindung, das Design, die Konstruktion einer Ent-wurfstheorie. Erforderlich erscheint insbesondere einekritische Auseinandersetzung mit der Unterscheidung zwischen"kybernetischen" (oder "klassischen") und "evolutionären" (oder"selbstorganisierenden") Systemen sowie die Klärung desWirklichkeitsstatus von Systemen..

Systembegriff und Systemtheorien

Das Denken in systemhaften Zusammenhängen, ganz unabhängig vonder Kenntnis des Begriffs, scheint im Wesen der menschlichenNatur zu liegen. Abgegrenzte Ganzheiten aus aufeinanderbezogenen Einzelteilen, Systeme, erleichtern die Wahrnehmung.Sie sind hilfreich beim Ordnen der verwirrenden Vielfalt derPhänomene der Welt, bei der Bildung von wiedererkennbarenMustern und bei der Schaffung von überschaubaren,nachvollziehbaren Ursache-Wirkungs-Ketten. Systeme vereinfachendie Wirklichkeit.

Verbreitete Definitionen, die vielfach aus der Technikstammen, beschreiben ein System als eine Vielzahl vonKomponenten, die untereinander in Beziehung stehen. NeuereAuffassungen betonen dagegen zunehmend das dynamischeBeziehungsgefüge unter Prozessen. Sie entsprechen damit in vielenAspekten dem Prozeßdenken der östlichen Philosophien, etwa desTaoismus oder des Buddhismus. Westliche Naturwissenschaft, auchwenn sie den Systembegriff dabei verwendet hat, neigte seit derAntike eher zur Erforschung räumlicher, dinghafter Strukturenund suchte dabei meist die Rückführung auf eine letzte Ebenevon Komponenten (Reduktionismus, Atomismus). Es vollzieht sichnun ein allmählicher Wandel vom räumlichen Strukturdenken zueinem modernen (und gleichzeitig uralten) Prozeßdenken, "vom

118 2 Ein neuer Ansatz__________________________________________________________________________________________

Sein zum Werden" (PRIGOGINE). Erich JANTSCH (in SEIFFERT /RADNITZKY 1989: 327) vertritt gar die Ansicht, dieNaturwissenschaften seien im Begriff, "die Materiewelt vollendsin Prozeßstrukturen aufzulösen. ... Dem materiellen Universumist gewissermaßen der Boden ausgeschlagen worden." BeideAuffassungen beschreiben ein System als Komplex von wechselsei-tig wirkenden Elementen. Systeme haben mindestens zweiWirkungs- und Beschreibungsebenen, die nicht aufeinander re-duzierbar sind: es gibt eine makroskopische Ordnung, die nichtdurch die mikroskopischen Elemente erklärbar ist. DieBeziehungen zwischen den Teilen sind von ebensolcher Bedeutungwie die Teile selbst. Systemhaftigkeit schafft Synergieeffekte.Die eingängige Parole lautet: "Das Ganze ist mehr als die Summeseiner Teile."

Der antike Systembegriff umfaßt noch alle Aspekte: dieGanzheitlichkeit der Denksysteme (ARISTOTELES) und derkosmologischen Weltsysteme (PTOLEMÄUS), den atomistischenReduktionismus (LEUKIPP, DEMOKRIT) und auch den Prozeßgedanken:"Alles fließt und nichts bleibt." (HERAKLIT). Die theologischenSysteme des Mittelalters gehen wesentlich auf ARISTOTELESzurück. Die philosophischen Systeme von DESCARTES bis zum HE-GELschen Idealismus oder die Sicht von Wissenschaft als Systembei KANT sind immer noch gekennzeichnet durch den umfassendenAnspruch der Ganzheitlichkeit der Erklärung. Im 17. und 18.Jahrhundert werden Organismen und Staatswesen als mechanischeSysteme beschrieben.

Eine noch heute brauchbare Einteilung der Systemtypen stammtvon dem Philosophen und Mathematiker Johann Heinrich LAMBERT(1728-1777): Die erste Kategorie, die gegenständlichen Systemebeziehen sich auf etwas in der Welt Vorfindliches. Sie sind zuunterscheiden in natürliche Systeme oder "Systeme durch me-chanische Kräfte" (Planetensystem, etc.) sowie vom Menschengeschaffene, künstliche Systeme oder "Systeme durch die Kräftedes Willens" (Regierungssystem, Maschinensystem, etc.). Diezweite Kategorie, die gedanklichen Systeme oder "Systeme durch dieKräfte des Verstandes", bezeichnen Komplexe von Begriffen,Sätzen, Wissen über die Gegenstände (Tiersystem als Ordnungs-,Klassifikationssystem, etc.). Daneben, so ist zu ergänzen, gibtes gedankliche Systeme, die sich nicht auf Gegenständebeziehen, wie etwa die rein formalen Denkgebäude der Logik und

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen 119___________________________________________________________________________

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der Mathematik. Ein Beispiel zur Illustration derUnterscheidung gegenständliches / gedankliches System (bzw.auch Ganzheitssystem / Oberbegriffssystem): Eine Schraube imMotors ist Element eines gegenständlichen Systems, eineSchraube im (etwa nach DIN-Normen geordneten) Ersatzteilregalist Element eines gedanklichen Systems.

Hierher gehört schon der Hinweis, daß auch zahlreiche dersogenannten gegenständlichen Systeme (z.B. Planetensystem,Systeme der Elementarteilchen) nur im begrifflichen Rahmen ei-ner wissenschaftlichen Theorie als solche erkennbar sind. Diesändert nichts an der obigen Unterscheidung der beidenSystemtypen, bedeutet aber, daß man im Fall der gedanklichenSysteme (über diese gegenständlichen Systeme) genaugenommen voneiner doppelten "Brechung" durch die menschliche Erkenntnissprechen müßte.

Systeme

natürliche Systemez.B.: Planetensystem, Organismus

vom Menschengeschaffene Systemez.B.: Maschinen, aber auch: Rechtssystem

gegenständliche Systeme gedankliche Systeme

Systeme des Wissens über Gegenständez.B.: physikalische Theorie

formale Systemez.B.: Logik

Abb. 2.1: Systemklassifizierung 1.

Im 19. Jahrhundert liefert MARX das System einerwissenschaftlichen Gesellschaftstheorie, das die teleologischeEntwicklung hin zu einem Idealzustand enthält. Auch die moderneSoziologie (Auguste COMTE) geht bis zur Analyse derGesellschaft als ganzer. Seit der 2. Hälfte des 18. Jahrhun-derts, mit dem Aufblühen der Naturwissenschaften, werdendisziplinäre, additive Systeme mit enzyklopädischem Charakterentwickelt, etwa die Systematik der Arten von LINNÉ. Ein Systemwar bis ins 20. Jahrhundert hinein im wesentlichen einphilosophisches Lehrgebäude oder die Ordnung des Wissens inTeilgebiete und deren weitere Unterteilungen ("Systematik" oder"Klassifikation"). Die experimentell arbeitende Wissenschaft(Chemie, Physik, Biologie, etc.) beschränkte sich langeweitgehend auf Systeme, die entweder insgesamt einfach sind

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oder die sich in einfache Bestandteile zerlegen lassen. Hierbestand der Vorrang der Analyse vor der versuchten Synthese.Der alte und erfolgreiche Lehrsatz der experimentellen Methodeder Naturwissenschaften: "Man verändere jeweils nur einenFaktor und beobachte, was passiert" ist Ausdruck diesesVerständnisses. Systeme, bei denen dies nicht machbar war, wur-den deshalb vielfach ignoriert bzw. als der wissenschaftlichenBehandlung unzugänglich (dis-) qualifiziert. Erst über diemodellhafte theoretische Aufbereitung der Systeme, den Einbaueiner formalen Ebene, wurde hier ein Zugang eröffnet (vgl. etwaSTACHOWIAKs Modelltheorie).

Im 20. Jahrhundert gibt es linguistische (DE SAUSSURE,JAKOBSON), psychologische (KÖHLER, PIAGET), anthropologische(LÉVI-STRAUSS), soziologische Systeme (PARSONS, LUHMANN). Esdominiert zunächst eine mehr statische Sicht; entsprechend derDenkweise des linguistischen Strukturalismus wird die Anpassungan eine vorgegebene Struktur betont. In der Soziologie ist seitmindestens 20 Jahren eine Wende in Richtung auf eine dynamischeAuffassung zu verzeichnen, vgl. etwa Niklas LUHMANNs Theorieder sozialen Systeme (1984). Dieser Ansatz ist auch insofernneu, als die Definition des Systems primär über die Dynamik derSystem-Umwelt-Differenz geschieht und erst sekundär über dentraditionellen Dualismus des Ganzen und seiner Elemente. Dazuspäter mehr.

Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts wird diewissenschaftliche Entwicklung der Systemtheorie verstärktvorangetrieben; der gegenständliche Systembegriff erlebt dabeieine Renaissance. Erich JANTSCH (1979, 1992) gibt eineÜbersicht über die Ursprünge der neueren Systemtheorie nach1945. Ihre wesentlichen Wurzeln sind:

1) Die allgemeine Systemtheorie (Ludwig VON BERTALANFFY 1968).VON BERTALANFFY war theoretischer Biologe. Er begründete dieAuffassung des Organismus als eines offenen Systems, in dem einFließgleichgewicht herrscht. Der Ansatz überwindet erstmals denalten Gegensatz von Mechanismus und Vitalismus in der Erklärungdes Lebendigen. Er baute ihn zur Allgemeinen Systemtheorie aus,welche die Gemeinsamkeiten physikalischer, biologischer undgesellschaftlicher Systeme betont. Ähnlich wie die Kybernetik

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen 121___________________________________________________________________________

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hat sie starken Einfluß auf Untersuchungen u.a. in Psychologie,Psychiatrie und Soziologie ausgeübt.

2) Die Kybernetik (Norbert WIENER, William Ross ASHBY u.a.).Ihre Ursprünge liegen in der Nachrichten- und der Steuerungs-und Regelungstechnik sowie, durch die Person von WIENERsPartner Arturo ROSENBLUETH, der Neurophysiologie. Hierherkommen das Prinzip der negativen Rückkopplung, d.h. automatischeEinregelung auf von außen vorgegebene (bzw. auch inhärente)Sollwerte und das Prinzip der Bewahrung vorgegebenerStrukturen. ASHBY entwickelte daraus die kybernetischorientierte Systemtheorie. Wesentliches Motiv war und ist diepraktische Notwendigkeit, Komplexität, insbesondere komplexetechnische und ökonomische Systeme, handhabbar zu machen.Technische Systeme steuern heute auf allen Gebieten derKommunikation, des Verkehrs, der Produktion und des Konsums dieGrundfunktionen der menschlichen Daseinsvorsorge und sind ohneSystematisierung, also ohne unterlegte gedankliche Systeme,nicht mehr sinnvoll realisierbar. Es wurde in der Vergangenheitgerne übersehen, daß die Anwendbarkeit der Kybernetik primärauf mechanisch gedachte (bzw. denkbare) Systeme beschränkt ist.Die kybernetischen Verfahren der Systemtechnik sind, so betontJANTSCH, in Biologie, Ökonomie, Soziologie, Psychologieungeeignet; sie führten dort eher zu Begriffsverwirrung als zuErkenntnisgewinn. Das komplementäre Wirken von statischer Strukturbe-wahrung und dynamischer Strukturevolution ist mit ihnen nicht ange-messen erfaßbar, denn zur negativen Rückkopplung tritt hier dieausgreifende, Unterschiede verstärkende, in ihren Ergebnissennicht streng vorherbestimmte positive Rückkopplung.

Regler(Soll-/Ist-Vergleich)

Regelgröße

Regelstrecke(zu regelnde Anlage)

Stellglied(Sollw ert-Einstellung)

M eßglied(Istw ert-Aufnahm e)

Regelbefehl

Sollw ert

122 2 Ein neuer Ansatz__________________________________________________________________________________________

Abb. 2.2: Kybernetischer Regelkreis: geschlossenerWirkungskreis, bestehend aus der Regelstrecke und einem Regler. EinMeßglied mißt die einzuhaltende Regelgröße. Eine Abweichung vomSollwert wird in einen Regelbefehl übersetzt, der über den Reglerein Stellglied so steuert, daß die Abweichung aufgehoben wird.

3) Die vervollständigte (evolutionäre) SystemtheorieEin anderer Strang, auf dem die Systemforschung ebenfallsvorangetrieben wird, umfaßt (neben vielen anderen) die GebieteBiochemie, Molekularbiologie, Thermodynamik und Evolutionsfor-schung. Die empirischen Ursprünge der erweiterten Theorie sind,neben den o.g. Arbeiten von WIENER und VON BERTALANFFY: a) Die Nichtgleichgewichtsthermodynamik dissipativer Prozesse vonPRIGOGINE. Einführung des Begriffs der offenen Nichtgleichgewichtssystemezur Erklärung von lokaler Ordnungsbildung / Entropieabnahme,damit Relativierung des 2. Hauptsatzes der Thermodynamik. b) Die biochemische Theorie der Hyperzyklen von EIGEN und SCHUSTER.Ein Erklärungsmuster für evolutionäre Prozesse, experimentellverifiziert auf der molekularen Ebene, siehe Abb. 2.3c) Die Theorie autopoietischer Systeme von MATURANA / VARELA.Das Prinzip der kognitiven Selbstorganisation infolgeinformationeller Geschlossenheit bei materieller und energeti-scher Offenheit der Systeme, besonders erkenntnistheoretischbedeutsam.

Die Liste ist fast beliebig erweiterbar; so ließe sich etwaauch das von Hermann HAKEN begründete Forschungsprogramm derSynergetik (der Lehre vom Zusammenwirken) anführen, daswesentliche Impulse aus seiner Arbeit zum Laser erhalten hat..

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen 123___________________________________________________________________________

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Abb. 2.3: Hyperzyklus nach EIGEN / SCHUSTER (1979) als Modellevolutionärer Prozesse: Autokatalytische (sich selbstverstärkende) Systeme schließen sich zu größeren stabilenEinheiten zusammen; sie bilden wiederum zyklisch organisierteStrukturen, in denen jedes autokatalytische Subsystem alsKatalysator für die Produktion eines der übrigen Teilnehmerfungiert.Es geht in der erweiterten Theorie generell um die Erklärung,Simulation und Beeinflussung von natürlichen Entwicklungs- undOrdnungsbildungsprozessen. Ein Aspekt davon ist, ganz populärund sehr allgemein ausgedrückt, die Erforschung des Phänomens"Leben". Die Mathematik ist in diesem Bereich komplizierter alsim Fall der kybernetischen Theorie, dennoch versucht man einebegriffliche Vereinheitlichung sowohl innerhalb der sehr unter-schiedlichen Gebiete der evolutionären Theorie als auchzwischen kybernetischer und evolutionärer Theorie. Das ehrgei-zige Ziel ist eine übergreifende Theorie der gemeinsamenSystemprinzipien in den verschiedenen Wissenschaften. Das, washeute populär als Chaostheorie bezeichnet wird, ist ein derarti-ges Bindeglied, das sich in schneller Entwicklung befindet(GLEICK 1988). Zahlreiche nicht unmittelbar an der Grundlagen-Entwicklung beteiligte Disziplinen (Psychologie, Soziologie,Ökonomie, etc.) sind bestrebt, die jeweils neuestenErkenntnisse aller Bereiche der Systemforschung zu nutzen.

SystemdefinitionenDiese Übersicht über Systemkonzepte läßt vermuten, daßeinheitliche Systemdefinitionen kaum zu haben sind. Eine sehralltagsnahe und allgemeinverständliche stammt von FUCHS (inGROCHLA 1969: 1620): "Ein System besteht aus Elementen (Dingen,Objekten, Sachen, Komponenten, Teilen, Bausteinen, Gliedern)mit Eigenschaften (Attributen), wobei die Elemente durch Bezie-hungen (Zusammenhänge, Relationen, Kopplungen, Bindungen)verknüpft sind. ... Trotz der Vielzahl der Systemdefinitionenlassen sich die für die Begriffsbildung wesentlichen Merkmaleauf die Begriffe ´Elemente´, ´Beziehungen´ und ´Eigenschaften´zurückführen." Diese mengentheoretisch orientierte Definitionist zutreffend für gedankliche und für gegenständliche Systeme.

Eine sehr formale Definition findet sich bei MASER (1992:33): Ein System S(O,M) ist eine abgegrenzte Menge M von

124 2 Ein neuer Ansatz__________________________________________________________________________________________

Elementen ai (i=1, 2, ..., n), die durch eine Menge O von m-stelligen Prädikaten Pj (j=1,2, ..., m) geordnet wird. Dabeisind P1 die Eigenschaften der Elemente; P2, P3, ... die Relationenzwischen den Elementen.

PATZAK (1982: 19) definiert ein System als bestehend auseiner Menge von Elementen, einer Menge von Eigenschaften,definiert auf den Elementen, sowie einer Menge von Beziehungen,definiert zwischen den Elementen (Struktur), zur Verfolgunggesetzter Ziele.

Gemeinsam ist diesen Definitionen die strukturale Konzeption.Eine breitere Übersicht über Systemkonzepte, verbunden mit derBemühung um begriffliche Klärung und Vereinheitlichung, findetsich bei ROPOHL (1979). Ebenfalls ausgehend von denGrundbegriffen Element, Relation und Struktur stellt er einformales Modell vor, welches die vorher vielfach getrenntbehandelten Ansätze des funktionalen, des strukturalen und deshierarchischen Konzepts vereint. Das funktionale Konzept ("black-box") entspreche dem Reiz-Reaktions-Modell des Behaviorismus,es läßt sich lediglich nach Verhaltensweisen, dargestellt alsInputs, Systemzustände und Outputs, fragen. Das strukturaleKonzept beschreibe das System als Ganzheit über Relationenmiteinander verknüpfter Elemente (s.o.). Das hierarchische Konzeptschließlich ermögliche die Systembetrachtung auf verschiedenenStufen miteinander verschachtelter struktureller Systeme(Supersystem, System, Subsystem). (Bezüglich der Bemerkung zumbehavioristischen Charakter ist zu fragen, ob nicht jedesgemachte gegenständliche System, bei dem von der menschlichenZwecksetzung abgesehen wird, grundsätzlich nur als Reiz-Reaktions-Mechanismus beschreibbar ist?) Probleme sieht ROPOHLu.a. in der Identifikation der Elemente und Relationen, in derBestimmung der Systemgrenzen, in der Frage derUmweltbeziehungen (offen / geschlossen), des Zeitverhaltens(statisch / dynamisch) und der Entwicklungscharakteristik(konservativ / evolvierend).

Seine formale Definition lautet (1979: 57): Ein SystemS() ist das Quadrupel der Menge von Attributen A, derMenge von Funktionen F, der Menge von Subsystemen S´ sowieder Menge von Relationen. P. Attribute sind materielle,energetische, informationelle, räumliche und zeitliche Merkmale

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen 125___________________________________________________________________________

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von Systemen. Es gibt Input-, Output- und Zustandsattribute.Funktionen bezeichnen Beziehungen zwischen den Attributen einesSystems. Subsysteme sind in analoger Weise definiert wie dasGesamtsystem (Hierarchie), sie können auch als Elemente bezeichnetwerden. Relationen bezeichnen Beziehungen zwischen Attributenverschiedener Subsysteme. Die Menge der Relationen zwischen denSubsystemen eines Systems wird als Struktur bezeichnet. Einderartiges System ist "eine Ganzheit, die (a) Beziehungen zwi-schen bestimmten Attributen aufweist, die (b) aus miteinanderverknüpften Teilen bzw. Subsystemen besteht und die (c) aufeinem bestimmten Rang von ihrer Umgebung abgegrenzt bzw. auseinem Supersystem ausgegrenzt wird." Ein Vorteil diesesSystembegriffs scheint in der Entkopplung der Attribute von derStruktur zu bestehen. Darauf aufbauend entwickelt ROPOHL.dasModell des "abstrakten Handlungssystems", das als ein "Subjektdes Handelns" agiert. Es besteht aus "Zielsetzungssystem","Informationssystem" und "Ausführungssystem". In einem weiterenSchritt konkretisiert er den Ansatz zum Modell des"menschlichen Handlungssystems". Dies ist beschreibbar auf der"Mikroebene" (als personales System), auf der "Mesoebene" (alsUnternehmen, Organisation, etc.) und auf der "Makroebene" (alsnationale- oder Weltgesellschaft). Elemente dieses Ansatzeswerden in Kap. 4 weiterverfolgt und erweitert. Insgesamt bewegtsich der Autor, auch wenn er von soziotechnischen Systemenspricht, weitgehend in der Begrifflichkeit der kybernetischenRegelsysteme. Dies engt die deskriptiven Möglichkeiten seinesAnsatzes ein und birgt die Gefahr vonVerständigungsschwierigkeiten mit Nicht-Technikern.

Die Systemtheorie der in den obenstehenden Definitionenverkörperten Tradition geht von mehr oder weniger dauerhaftenTeilen (Komponenten, Elementen) aus, welche zu einer Strukturzusammengefaßt werden und untersucht die Eigenschaften derTeile und die Relationen zwischen ihnen in ihrem zeitlichenVerlauf. SCHWEGLER (1992) versucht, diesen "Substantialismus",die implizite Körperhaftigkeit der Systemkomponenten, zuüberwinden und definiert ein System als Netz von Relatoren. Diesesind von einem bestimmten Typ E, besitzen Eigenschaften e undsind untereinander verbunden durch "Hapsen". Systeme sind dannGebilde, die in der Mathematik als "Graphen mitKnotenbewertung" bezeichnet werden; die Verbindungen oder

126 2 Ein neuer Ansatz__________________________________________________________________________________________

Hapsen heißen in der mathematischen Graphentheorie "Kanten"(edges), sie verbinden "Knoten" oder "Ecken" (vertices), unddiese haben "Bewertungen" (values)." Jedem Relator ist einZeitpunkt oder Zeitintervall zugeordnet. In der visuellenDarstellung kann dem Graphen eine vertikale Zeitachse mitdiskreten Intervallen zugeordnet werden. Horizontale Hapsensind dann Zusammenhänge, nichthorizontale Aktionen. DieGesamtheit der Relatoren zu einem Zeitpunkt beschreibt diemomentane Struktur des Systems. Als Beispiele für Relatorenwerden genannt: Handlungen, Zahlungen, Transaktionen,Mitgliedschaft, Aufträge, Transformationen, Sprechakte,Mitteilungen, Erwartungen, Absichten usf. Elemente vonzumindest beschränkter Dauerhaftigkeit, als "ein letztesZugeständnis an den Substantialismus" werden dargestellt alsRelatoren, die mehrere Einzelrelatoren über mehrereZeitintervalle zusammenfassen. Damit ist jedoch nicht zwingendso etwas wie Körperhaftigkeit verbunden.

Diese Liste der kybernetisch orientierten Definitionen ließesich fast beliebig erweitern. Noch schwieriger wird dieVerständigung, wenn es um die evolutionär orientierten Systemegeht. Konsensfähig erscheinen allenfalls Klassifikationsschemata,wobei es dann um die Auswahl der geeigneten Kategorien geht.Die morphologische Systematik in Tabelle 2.1 (nach DUBACH1969), von ROPOHL (1979) als "umfassende Systematik allerdenkbaren Systeme" bezeichnet, zeigt eine der möglichenEinteilungen.

Merkmal / Kategorie Merkmalsausprägungen

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen 127___________________________________________________________________________

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Seinsbereich

Entstehungsart

Verhältnis zur Umgebung

Zeitabhängigkeit (Funktion)

Zeitverteilung der Attributwerte

Funktionstyp

Grad der Bestimmtheit

Zeitabhängigkeit (Struktur)

Anzahl der Subsysteme

Anzahl der Relationen

Verhaltensform

Strukturform

konkret / abstrakt

natürlich / künstlich

abgeschlossen / relativ isoliert / offen(Alle Systeme bis auf das Weltall sind offen. Isolierungen sind Modellvereinfachungen.)

statisch / dynamisch

kontinuierlich / diskret

linear / nichtlinear

deterministisch / stochastisch

starr / flexibel (strukturdynamisch)

einfach / kompliziert (Varietät)

einfach / komplex / äußerst komplex (Komplexität)

instabil / stabil / ultrastabil (neues Gleichgewicht)

nicht rückgekoppelt / rückgekoppelt (positiv/negativ)

Tabelle 2.1: Systemklassifizierung 2: Morphologische Systematiknach DUBACH (1969).

Auch JANTSCH (in SEIFFERT / RADNITZKY: 333-335) schlägt eineumfassende Systemkennzeichnung vor. Die 5 Aspekte sind alshierarchisch aufsteigend zu verstehen, d.h. der jeweilsfolgende umfaßt alle vorangehenden:

1) UmweltbeziehungenGemeint ist der Austausch von Materie, Energie und Informationmit der Umgebung. Die Unterscheidung von System und Umgebungist grundsätzlich abhängig von Problemstellung und Zweck derSystembeobachtung. Dennoch erscheint es sinnvoll, eine

128 2 Ein neuer Ansatz__________________________________________________________________________________________

Differenzierung vorzunehmen zwischen dem völlig willkürlichsetzbaren Rand und der Grenze eines Systems. Die Grenze spielteine Rolle bei der Systemkonstitution und kann, wenn man sichetwa in der Theorie der lebenden Systeme bewegt, nicht beliebiggesetzt werden. Tabelle 2.2 gibt eine Klassifizierung inAbhängigkeit von den Umweltbeziehungen. Der Informationsbegriffist kybernetisch, er meint Zeichenübertragung, nichtBedeutungsübertragung bzw. Sinnkonstitution.

2) OrganisationOrganisation bezeichnet das dynamische Verknüpfungsmuster der imSystem in der Interaktion seiner Komponenten ablaufendenProzesse. Von besonderer Bedeutung ist die zyklische Organisation.Um einen Zyklus in Gang zu halten, ist der Austausch vonEnergie und Materie mit der Umgebung erforderlich. Abgesehenvon seiner Selbsterneuerung wirkt der Zyklus dann als

Materie / Energie Information Systemcharakter Zeitverhalten

offen

offen

offen

geschlossen

Maschine als Regelsystem

Selbstregelnde Maschine bzw.Lebendes System

Dissipatives Fließgleichgewicht über einen endlichen Zeitraum (Funktion, Arbeitbzw. Leben)

geschlossen

geschlossen

offen

geschlossen

Maschine als Regelsystem

Selbstregelnde Maschine bzw.Lebendes System

System strebt entsprechend dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik demGleichgewichtszustand maximaler Entropie zu (Stillstand bzw. Tod)

Tabelle 2.2: Systemklassifizierung 3: Einteilung entsprechend den Umweltbeziehungen.

Katalysator eines irreversiblen Prozesses, in demtypischerweise energiereiche Anfangsprodukte in energiearme

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen 129___________________________________________________________________________

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Endprodukte umgewandelt werden. Ausgenommen von dieser Tendenzder Entwertung ist die Kategorie der Information (wieder nichtals Bedeutung bzw. Sinn gemeint); sie kann praktisch unbegrenztund unabhängig von der materiell-energetischen Basishergestellt werden. Dieser Zyklus des Verbrauchs von Materieund Energie in Verbindung mit der Herstellung von Information,bildet die Basis von Design. Man sollte an die Entkopplungdenken.

Eine Sonderform ist die oben skizzierte hyperzyklischeOrganisation, die einen geschlossenen Kreis von katalytischenUmwandlungsprozessen beschreibt, in dem die Teilnehmer zusätz-lich autokatalytisch (selbstvermehrend) wirken. JANTSCH betont,daß der Hyperzyklus möglicherweise die einzige grundlegendeOrganisationsform dissipativer Selbstorganisation darstellt.

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Organisation ist dieGliederung in Funktionsebenen. Diese kann hierarchisch sein, sodaß alle niedrigeren Ebenen in der jeweils höheren einge-schlossen sind. Kontrollhierarchien erhalten Informationen vonunten und geben Instruktionen zurück. In autonomenSchichtensystemen kann jede Ebene "Initiative" entfalten oderZiele setzen, die dann aber jeweils von der nächsthöheren Ebenekontrolliert werden. Netzwerkartige Organisationsformenbeschreiben die nicht mehr zentral gesteuerte Interaktion"gleichberechtigter" autonomer Teilsysteme. ModerneGesellschaften als ganze sind zunehmend derart zu charakte-risieren.

3) FunktionDer Begriff bezeichnet die Gesamtcharakteristik allerablaufenden Prozesse; er schließt sowohl die Umweltbeziehungenals auch die Organisation ein. Von besonderer Bedeutung ist dieAutopoiese ( griech.: Selbstmachen, vgl. MATURANA). Ein Systemist autopoietisch, wenn seine Funktion darin besteht, sichselbst zu erhalten. Damit verbunden ist die Selbstreferenz der Sy-stemoperationen (operationale Geschlossenheit). Im Gegensatzdazu erfüllt ein allopoietisches System eine fremddefinierteFunktion. Alle biologischen und viele gedankliche und gesell-schaftliche Systeme sind autopoietisch, während Maschinen heuteallopoietisch sind. Autopoietische Maschinen wären sich selbsterhaltende, nicht mehr von Menschen steuerbare Maschinen.

130 2 Ein neuer Ansatz__________________________________________________________________________________________

4) StrukturUrsprünglich bezeichnete Struktur mehr die räumliche Anordnung,heute eher die raum-zeitliche Dynamik. Eine zu einem bestimmtenZeitpunkt "eingefrorene" Struktur meint sowohl die räumlicheAnordnung, als auch die in jedem Punkt wirkende Kinetik. DerBegriff umfaßt also die Funktion und damit auch Organisationund Umweltbeziehungen. Wichtig ist die Unterscheidung zwischenGleichgewichtsstrukturen (strukturbewahrend) und dissipativen Strukturen(evolutionär). Dauerhaft sind nur Gleichgewichtsstrukturen,wenn im Gleichgewichtszustand alle irreversiblen Prozesse zumStillstand gekommen sind. Dissipative Strukturen, die sich imAustausch mit der Umgebung ständig erneuern, unterliegenpermanentem Strukturwandel, der sich jedoch innerhalb der durchdie Organisation gesetzten Grenzen bewegen muß. Andernfalls"stirbt" das System. (Die These scheint vertretbar, daßGleichgewichtsstrukturen lediglich einen idealisiertenGrenzfall dissipativer Strukturen darstellen, der mit derbegrenzten Weite des menschlichen Erfahrungshorizontes zurechtfertigen ist.

5) Gesamtsystem-DynamikEin System - von außen betrachtet - kann statisch erscheinen bzw.fremdorganisiert (allopoietische Maschine) oder selbstorganisierend.Die konservative Selbstorganisation beruht auf dem Wirken sogenannterkonservativer Kräfte (nukleare Wechselwirkungen, elektromagne-tische Kräfte, Gravitation). Die Dynamik zielt dabei auf einenGleichgewichtszustand, der statisch oder auch dynamisch (z.B.Planetensystem) sein kann und in dem vom System weder Energieaufgenommen noch abgegeben wird. Bei der dissipativenSelbstorganisation wird - von außen gesehen - ständig freie Energiein Entropie (nicht mehr nutzbare Energie) umgewandelt. Dadurchkönnen im Innern des Systems Zustände niedrigerer Entropie(höherer Ordnung) hergestellt werden. Lokal ist hier also der2. Hauptsatz der Thermodynamik scheinbar (aufgrund derRandbildung bei der gedanklichen Systembildung) ausgeschaltet.

Es gibt keine allgemeingültige Definition des Systembegriffs,sondern es gibt zahlreiche disziplinäre Spezialsemantiken, selbst

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen 131___________________________________________________________________________

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für ein und denselben Phänomenbereich. Die wichtigste Vor-aussetzung zur Verständigung scheint - neben der präziseneigenen Sprache - die Verstehensbereitschaft des Anderen zu sein.

"Klassische" und "evolutionäre" Theorien: ein Gegensatz?

Auffallend, wenn man sich dem Thema Systemtheorie von dersoziologischen Seite her nähert, die derzeit in weitenBereichen vom Selbstorganisations-Denken dominiert wird, istdie strikte Trennung des Feldes in "klassisch" und "selbst-organisierend" bzw. in "kybernetisch" und "evolutionär". Eswird dabei häufig der irreführende Eindruck vermittelt, alsseien diese Ansätze unvereinbar und grundverschieden. Im Laufeder Beschäftigung stellt sich die Sache jedoch differenzierterdar. Man sollte:- das historische-kulturelle Umfeld der Theorienentstehung und-anwendung im Auge behalten,- die Typen von Gegenständen betrachten, auf die sich dieTheorien bezogen und beziehen,- den Anspruch bezüglich "Wirklichkeitsbezug" in denAnwendungen reflektieren, und v.a.- die Intentionen (Zweckbeziehungen) beachten, diedahinterstehen.

Die klassische Theorie basiert auf der Kybernetik, die vonNorbert WIENER (1948, 1968) und anderen seit dem Beginn der40er Jahre entwickelt wurde. Er bezeichnet sie als die"Wissenschaft von Steuerung und Kommunikation in Lebewesen undMaschine". Die praktischen Anwendungsgebiete waren dieEntwicklung von Rechenmaschinen, die Nachrichten- undRegelungstechnik, sowie während des 2. Weltkriegs dieEntwicklung von Steuerungen für Flugabwehrsysteme. Wesentlichesübergeordnetes Ziel der Theorieanstrengungen war die Heraus-arbeitung des grundlegenden Zusammenhanges von Steuerung undRegelung von Systemen auf der einen und Informationsaufnahmeund -verwertung auf der anderen Seite zum Zwecke derAnalogkonstruktion auf verschiedenen Wissenschafts- undAnwendungsgebieten. Durch die Zusammenarbeit WIENERs mit ArturoROSENBLUETH ergab sich eine enge Verbindung zur Neu-

132 2 Ein neuer Ansatz__________________________________________________________________________________________

rophysiologie und damit zu den "Lebewesen". Es ist zu vermuten,daß dies ein entscheidender Grund ist für die ausuferndeAnalogisierung von Maschinen und Organismen, bis hin zuSozialsystemen, die in der Folge der WIENERschen Arbeiten zuverzeichnen war. WIENER selbst jedenfalls war darauf bedacht,die modellhafte Analogie ganz klar auf die Ebene der neuronalenVorgänge zu beschränken. Die teilweise sehr anthropomorpheBegrifflichkeit in seiner Sprache, etwa wenn er die Überhitzungvon Elektronenrechnern mit dem Fieber beim Menschen vergleicht(1968: 166), war sicher nicht besonders glücklich, aber ver-ständlich, denn er sagt selbst (1968: 62): "Das Denken jedesZeitalters spiegelt sich in seiner Technik wider". Das Umge-kehrte gilt ebenso! Vor der unreflektierten Ausdehnung inRichtung Psychologie, Anthropologie oder Soziologie hat erausdrücklich gewarnt. Er spricht (1968: 200, 201) unmiß-verständlich von den "falschen Hoffnungen, die sich einigemeiner Freunde über die soziale Wirkungskraft der neuen Wegedes Denkens gebildet haben ... . Sie meinen ..., daß es dieHauptaufgabe der unmittelbaren Zukunft sei, die Methoden derNaturwissenschaften auf die Gebiete der Anthropologie, So-ziologie und Volkswirtschaft auszudehnen, in der Hoffnung,einen ähnlichen Erfolg auf sozialem Gebiet zu erreichen. VomGlauben, daß dies notwendig ist, kommen sie zum Glauben, daß esmöglich ist." Ausdrücklich erwähnt er in diesem ZusammenhangMargaret MEAD und Gregory BATESON. Er begründet seine Skepsiseinmal methodisch, etwa mit der fehlenden Eignung derexistierenden statistischen Verfahren zur Erfassunggesellschaftlicher Phänomene und dann, was wichtiger scheint,mit dem erkenntnistheoretischen Problem der Beobachtung. Er-folgsaussichten der exakten Wissenschaften sieht er dort, wo es"einen gewissen hohen Grad der Isolation zwischen Phänomen undBeobachter gibt. ... In den Sozialwissenschaften ist es amschwierigsten, die Kopplung zwischen dem beobachteten Phänomenund dem Beobachter zu bagatellisieren. Auf der einen Seite istder Beobachter in der Lage, einen beträchtlichen Einfluß aufdie Phänomene auszuüben, die seine Aufmerksamkeit erregen. ...Auf der anderen Seite hat der Sozialwissenschaftler nicht denVorteil, auf seine Gegenstände von den kalten Höhen derEwigkeit und Allgegenwart herunterzuschauen." Also: Dermenschliche Beobachtungsvorgang beeinflußt das Phänomen und

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen 133___________________________________________________________________________

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wird vom Phänomen beeinflußt. Dies ist nicht zu ändern, dieskann aber reflektiert werden. Diese sehr klaren Bemerkungensind bereits ein impliziter Hinweis auf Heinz VON FOERSTERs"Kybernetik 2. Ordnung". Der Begriff rührt daher, daß dieserspäter WIENERs Denken als "Kybernetik 1. Ordnung" bezeichnethat.

Ein weiterer zukunftsweisender Hinweis bei WIENER: Erbemerkt, daß lebende Systeme bisher meist unter dem Aspekt desStoffwechselgleichgewichts betrachtet wurden (1968: 66f): "DieTechnik des Körpers ist ein Zweig der Energietechnik." Er siehtdagegen sehr deutlich den dissipativen Charakter der Energieflüsseund er stellt den Begriff der Information und das Problem derSteuerung und Regelung ins Zentrum des Interesses. Seine Sichtdieses Steuerungs- und Regelungssystems ist dabei durchaus nochwidersprüchlich. Einmal sieht er das Nervensystem als Prozes-sor, der einen Satz von Eingaben so umformt, daß ein"gewünschtes" Ergebnis herauskommt. Das "gewünscht" zeigt dieungelöste Beobachterproblematik beim Umgang mit lebenden Sy-stemen: Wer wünscht hier? Ein anderes Mal, in der Einführungseiner Arbeit, sieht er im Nervensystem nicht so sehr einOrgan, welches Eingaben von Sinnesorganen erhält und Ausgabenan Muskeln abführt: "Im Gegenteil, einige seinercharakteristischen Handlungen sind nur als Kreisprozesseerklärbar, die vom Nervensystem in die Muskeln übergehen unddurch die Sinnesorgane ins Nervensystem zurückkehren...". DieseAuffassung weist schon sehr stark in Richtung dessen, was beiVON FOERSTER und MATURANA später als "operationale Ge-schlossenheit" des kognitiven Systems bezeichnet werden wird.

An WIENERs sehr sorgfältiger Darstellung der Kybernetikliegt es also offenbar nicht, wenn Soziologen oder Psychologenspäterer Generationen damit nicht dauerhaft glücklich gewordensind. Er hat die Begrenzungen deutlich gesehen und formuliert.Leider waren spätere Systemtheoretiker nicht mehr so vorsichtigin ihrer Einschätzung des Potentials der neuen Methoden.William Ross ASHBY (1956: Ab. 1/7) etwa sieht in der Ky-bernetik das universelle Heilmittel gegen die "Krankheiten"moderner Gesellschaften: "Auf diese Weise erhoffen wir von derKybernetik die Entwicklung der dringend benötigten Methoden,die es uns ermöglichen sollen, den Kampf gegen Krankheitaufzunehmen gegen psychische, soziale, ökonomische

134 2 Ein neuer Ansatz__________________________________________________________________________________________

Krankheiten, denen wir aufgrund der ihnen anhaftendenKomplexität heute noch nicht gewachsen sind."

Die folgende, aus dem Bereich der soziologischenWissenschaftstheorie (Wissenschaftssoziologie) stammendeGegenüberstellung (Tabelle 4, vgl. KROHN / KÜPPERS / PASLACK1987) der kybernetischen mit der neueren Systemtheorievermittelt ein wenig von der Enttäuschung, so lange mit demungeeigneten Werkzeug (der kybernetischen Theorie) gearbeitetzu haben. Nun endlich hat man das geeignete Hilfsmittelgefunden. Bisherige "Störgrößen" wie Dissipation,Nichtlinearität, Instabilität, etc. avancieren nun, so dieAutoren, zu Systemgrößen, bisherige Anomalien werden zuerwartbaren Phänomenen des Gegenstandsbereichs. KROHN / KÜPPERS(1990a) sprechen von der Entstehung einer "Wissenschaft vomKomplexen", die sich in drei wesentlichen Momenten von denklassischen Konzepten unterscheide:1) Die Irregularität der Natur wird nicht mehr als Anomaliebehandelt. Es wird vielmehr nach der Regularität in derIrregularität gesucht (nach der "Ordnung des Chaos").Nichtgleichgewichtsprozesse werden als Quelle der Ordnungerkannt. Die Fragestellungen zielen auf die Prozeßdynamik stattauf das Gleichgewicht als Endzustand.2) Komplexität wird als genuines Phänomen, das sich nicht aufEinfaches reduzieren läßt, erkannt und zugelassen. 3) Das klassische System-Umwelt-Modell (Anpassung an die Umweltüber externe Ziel- / Sollvorgaben) wird ersetzt durch einModell systemischer Selbststeuerung (Selbstorganisation) undinterner Selbstbeobachtung: Komplexe Systeme konstruieren ihreneigenen Rand (besser: Grenze, s.o.) und sichern so ihreSelbsterhaltung und Identität. Rand und Systemdynamik sind aufsEngste miteinander verknüpft. Das System entscheidet selbst,wie und ob Umweltstörungen in die Systemoperationen zuintegrieren sind. Alle Informationen eines Systems über seineUmwelt sind aufgrund seiner operationalen Geschlossenheitsysteminterne Konstruktionen. "Fremdreferenz" ist so lediglichein Spezialfall von "Selbstreferenz" (siehe Kap. 2.2).

Es werden bisweilen recht dogmatisch anmutende Versuchegemacht, die Selbstorganisationstheorien unverändert aufsoziale und kulturelle Prozesse anzuwenden. Da gibt es etwa die

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen 135___________________________________________________________________________

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Aspekt "Klassische" Systeme "Evolutionäre" Systeme

1 Systembegriff

2 Umweltbegriff

3 Randbedingungen

4 Dynamik

5 Kausalität

6 Zeitbegriff

7 Gesetzesbegriff

Analytisch definierte,zentralistisch organisierte, geschlossene Systeme mit vorgegebener Hierarchie im statistischen und thermodynamischen (statischen) Gleich-gewicht mit einfachen Elementen. In Gleichgewichtsnähe lineares Verhalten.

Umwelt strukturiert Systeme, Regelung extern. Anpassung des Systems an die Umwelt,instruktive Wirkung auf das System.

Randbedingungen sind beliebig, gehören zur Umwelt. Klare Trennungzwischen den Grundgleichungen (Systemverhalten) und den Randbedingungen.

Trajektorie; thermodynamisches Gleichgewicht, Reversibilität.

Linearität. EindeutigeUrsache-Wirkung-Kettenauch für komplexe Prozesse.

Skalare, universelle Zeit (absolute Zeit).

Ordnung als

Realistisch definierte, polyzen-trisch organisierte, offene Systeme mit selbsterzeugter Hierarchie im dynamischen (stationären) Gleichgewicht, fern vom thermodynamischen Gleichgewicht. Komplexe Elemente. Nichtlineares Verhalten.

Systeme strukturieren Umwelt, Regelung intern. Unspezifische Wirkung der Umwelt aufdas System.

Randbedingungen sind wichtig, sie gehören zum System. Die Ver-fügung über die Ränderreguliert die Systemidentität und trägt zur Selbsterhaltung bei.

Prozeß; thermodynamisches Nicht-Gleichgewicht; Irreversibilität.

Kreiskausale Verknüpfungen, Ur-sachen und Wirkungen sind zirkulär vernetzt.

Zeitoperator, Systemzeit

136 2 Ein neuer Ansatz__________________________________________________________________________________________

determinierte Struk-tur.

(systemischer Zeitrelativismus).

Ordnung durch Strukturierung. Emergente Selbstkonstitution vonOrdnung durch synergetische Prozesseaus Fluktuationen.

Tabelle 2.3: Systemklassifizierung 4: "Klassische" und"evolutionäre" Systemtheorie, Gegenüberstellung nach KROHN /KÜPPERS / PASLACK (1987).

Vereinfachung von MATURANA (1990), der versucht, Wissenschaftund Gesellschaft generell im Rahmen seines biologischen Modellsder Autopoiese zu erklären oder auch das LUHMANNsche (1984)"entweder / oder" (entweder ein System ist geschlossen undautopoietisch oder nicht, Zwischenstufen gibt es nicht), dasebenfalls sehr starr erscheint. TEUBNER (1989) konstatiert zuRecht "heillose Begriffsverwirrung", auch bei diesen beiden"Großmeistern der Autopoiese". Die spezifische Herkunft derTheorien muß zweifellos im Auge behalten werden, man darf abernicht an ihrer vorbesetzten Begrifflichkeit kleben. Andernfallssind mangelnde Anschlußfähigkeit, Denkblockaden oder auch unnö-tige Konfrontationen die Folge. Man sollte so souverän sein,die verschiedenen Angebote je nach Bedarf zu nutzen undanzupassen, denn traditionelle wissenschaftstheoretischeKriterien sind nach LENK (1978) ohnehin nicht mehr anwendbar:"Die Konstruktionen systemtheoretischer Ansätze sind in denmeisten Fällen nicht nur nicht nomologisch, sie umfassen keineGesetze im naturwissenschaftlichen oder sozialwis-senschaftlichen Sinne, sondern sie genügen auch sehr oft nichtden strikten Bestätigungs- und Prüfungskriterien, die an exakteempirische Geisteswissenschaften zu stellen sind. ... System-analytisches Arbeiten wird zunehmend von den praktischenAnforderungen der Systemplanung und der Systemtechnik hergefordert und motiviert. ... Eine Abkehr von puristisch stren-

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen 137___________________________________________________________________________

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gen, aber nur eingeengt anwendbaren exakten Methoden erweistsich angesichts der komplexen Praxis als unerläßlich. "

Zuweilen wird von Seiten der Soziologie der Eindruckvermittelt, als sei die Theorie der selbstorganisierenden Sy-steme generell die "bessere", "richtigere" Theorie, die nun dieklassisch-kybernetische ablösen kann. Man muß aber ganz klarsehen, daß es bei der Entscheidung für diese oder jeneAusprägung auf die Art der zu beschreibenden Systeme und dendabei verfolgten Zweck ankommt. Für die in der Designtheorie zuuntersuchenden Phänomene technischer und sozialer Art sindsowohl klassische als auch selbstorganisierende Modelleerforderlich. Vor allem aufgrund des einschränkenden Prinzipsder negativen Rückkopplung (Einregelung auf externe Sollwerte,Bewahrung vorgegebener Strukturen) erscheint die klassischeTheorie allein nicht ausreichend. Die dynamische Komple-mentarität von Strukturbewahrung und Strukturevolution, bewirktdurch die nicht streng vorherbestimmte positive Rückkopplung, istmit ihr nicht erfaßbar. Insbesondere reflektiert die klassischeTheorie - dies sah schon WIENER - nicht die unterschiedlichenBeobachtungsebenen, sie bleibt eine Kybernetik der Regelsysteme1. Ordnung. Wenn aber Systemtheorie die "Grundlage für einenheuristischen Algorithmus der Theoriebildungsprozesse" liefernsoll (ROPOHL 1978), dann ist diese Differenzierung nötig.

Die Polarität zwischen den beiden Konzepten ist also einekonstruierte. Es ist möglich, sie von einer übergeordnetenEbene als verschiedene Ausprägungen eines Konzepts zubeschreiben. Die "klassische" Theorie scheint als Untermenge inder sich ausbildenden "erweiterten" Theorie enthalten zu sein.Die Theorien der Evolution immer komplexerer Systeme auseinfachen Bausteinen werden von den Vertretern der integrativenDenkrichtung (LASZLO 1991) von der Ebene der Atome und Moleküleextrapoliert über Zellen, Organismen, Lebensgemeinschaften,Sozialsysteme bis hin zu kosmischen Prozessen. Das "Machen-kön-nen", also die Möglichkeit der experimentellen Verifikation,als wesentliche traditionelle Grundlage für naturwissenschaft-liche Erkenntnis und Theoriebildung reicht allerdings bishernur bis zur molekularen Ebene. Alles weitere ist nochweitgehend Hypothese oder Metapher. Die parallel zu denempirischen Forschungen in Entwicklung befindliche ma-

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thematischeRichtung der Systemtheorie versucht,allgemeingültige Beschreibungen dieser Prozesse zu entwickeln.Sie ordnet die Systeme auf einer kontinuierlichen Skalahinsichtlich ihrer Nähe oder Ferne zum thermodynamischenGleichgewichtszustand an: Systeme nahe dem (thermodynamischen) Gleichgewicht streben, unabhängigvon den Anfangsbedingungen, einen Zustand an, der durch diegeringstmögliche mit den Randbedingungen vereinbare freie, d.h.in Arbeit umsetzbare, Energie und die höchstmögliche Entropie(Nicht-Ordnung) gekennzeichnet ist. Die Regelsysteme derKybernetik befinden sich nahe dem Gleichgewicht, sie haben dasBestreben, durch Maximierung der Entropie den Gleichgewichts-zustand (wieder-) herzustellen. Ihre Struktur ist statisch, ihrVerhalten ist linear, d.h. Wirkungen verhalten sichproportional zu den sie auslösenden Ursachen. Die meisten Sy-steme der klassischen Newtonschen Mechanik sind so beschreib-bar, man spricht auch von "konservativen" (energieerhaltenden)Systemen.Systeme fern vom (thermodynamischen) Gleichgewicht sind gekennzeichnetdurch einen andauernden Fluß von Materie, Energie (und evtl.Information im Sinne von durch das System zu interpretierendenSignalen) in das System hinein und aus dem System heraus. Siezeigen die Tendenz zur Konstanthaltung bzw. (im Falle lebenderSysteme) Verringerung von Entropie, d.h. Vergrößerung vonOrdnung und Komplexität im Innern des Systems. Dieswiderspricht scheinbar dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik, derbesagt, daß in jedem geschlossenen System mit der Zeit Organi-sation und Struktur verschwinden und durch Gleichförmigkeit undZufälligkeit ersetzt werden. Ursache dieses Verhaltens sind dieAustauschprozesse, mit denen freie, in Arbeit umsetzbareEnergie (negative Entropie / "Ektropie") aus der Umgebungimportiert wird. Es herrscht dynamisches, stationäres (im Ge-gensatz zum statischen) Fließgleichgewicht, das System kannunterschiedliche "metastabile" Zustände einnehmen. Systemedieser Art müssen als offene Systeme beschrieben werden. LebendeSysteme und soziale Systeme gehören dazu, aber auch vieleProblemfelder der klassischen Mechanik, wie z.B.Wärmekraftmaschinen oder Strömungsgrenzschichten. Man sprichtauch von "nichtkonservativen" (dissipativen, d.h. Energiezerstreuenden) Systemen. Strukturerhaltende und

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen 139___________________________________________________________________________

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strukturdynamische Systeme sind hierbei noch nichtunterschieden.

Ein wichtiger Unterschied zwischen den gleichgewichtsnahen undden gleichgewichtsfernen Ansätzen liegt in der Bedeutung derZeit. Ihr Einfluß nimmt zu, je weiter das System vom Gleich-gewicht entfernt ist. Prozesse in konservativen Systemen sindprinzipiell umkehrbar, solche in nichtkonservativen Systemensind irreversibel, d.h. die Zeit ist gerichtet. Sie kann nicht mehr als"4. Dimension" wie ein mathematischer Parameter betrachtetwerden, denn diese Sicht reduziert Zeit auf die reversibleBewegung im Raum.

Für strukturdynamische und insbesondere lebende Systemegilt: Je komplexer das System, desto höher ist die möglicheDichte des freien Energieflusses; je höher die Dichte des Ener-gieflusses, desto höher ist die erreichbare Komplexität desSystems (LASZLO 1991). Dies begründet, so die Tendenz derneueren Aussagen, eine Richtung der Evolution hin zu höhererKomplexität. Sie läuft notwendig so ab, wenn gewisse Erforder-nisse erfüllt sind:- Offenheit des Systems ("rein -> raus", Energiefluß),- hinreichende Komplexität der Struktur, um in mehr als einemdynamischen Zustand stabil zu sein (Metastabilität),- Rückkopplung und katalytische, einander gegenseitigstabilisierende und verstärkende Zyklen zwischen denSystemelementen ("Hyperzyklen" bei EIGEN / SCHUSTER).

Daraus folgt das Phänomen der Emergenz als einercharakteristischen Operationsweise der Evolution:unstrukturierte Komplexität ist nicht endlos steigerbar. Ausdiesem Grunde entstehen neue und hierarchisch höhere Systeme,welche selektiv verschiedene Einzelheiten der Dynamik der Sub-systeme mißachten und einen Zwang ausüben, der die Subsystemeveranlaßt, in kollektiver Weise zu arbeiten, neue Muster zubilden. Emergenz bewirkt die Ausbildung der nächsthöherenevolutionären Stufe mit zunächst wieder geringerer Komplexität.Es ist, so die Aussage von LASZLO, "evident", daß dieserMechanismus für die Reihe Elementarteilchen -> Atome ->Moleküle -> organische Makromoleküle -> Zellen -> Vielzeller ->Ökologien gilt, dies sei die langfristige evolutionäre Tendenz

140 2 Ein neuer Ansatz__________________________________________________________________________________________

dynamischer Systeme. Die Emergenzvorgänge sind eingebettet inlängere Phasen relativ stabilen Verhaltens, in denen das Systemexterne Störungen weitgehend ausregelt. Man bezeichnet dieseZustände auch als Attraktoren oder Eigenwerte. Erst in den kurzenEmergenzphasen (mathematisch verbunden mit dem Begriff derBifurkation, s.u.) reagiert das System extrem sensibel aufVeränderungen der für das Funktionieren seiner katalytischenZyklen erforderlichen Parameter: Es ergeben sich instabileÜbergangssituationen mit plötzlicher Entropiezunahme(Unordnung, Chaos, anthropomorph ausgedrückt: "Krisen"). DieFolge besteht entweder im Zerfall in Subsysteme oder im Einneh-men neuer stationärer Zustände. Hierzu LASZLO (1991: 162):"Gemäß der heutigen wissenschaftlichen Vorstellung ist dieAuswahl aus dem zur Verfügung stehenden Satz dynamischerstationärer Zustände nicht vorherbestimmt. Sie hängt weder vonden Anfangsbedingungen des Systems noch von der Einwirkung aufdie kritischen Parameterwerte ab. An den kritischen Punkten, andenen sie auf kritische Weise destabilisiert werden, reagierenkomplexe Systeme unvorherbestimmbar: Eine unter den zahlreichenmöglichen internen Fluktuationen verstärkt sich und die ver-stärkte Fluktuation breitet sich mit großer Schnelligkeit überdas ganze System aus. Die verstärkte Fluktuation beherrscht dasdynamische Regime des neuen Systems und bestimmt seinen neuenstationären Zustand." Die Nicht-Determiniertheit dieserProzesse auf der Ebene von Gesellschaft ist Chance und Risiko,denn sie bedeutet die Freiheit der Gestaltung, die Möglichkeitder Wahl.

Mathematisch ausgedrückt wird das Verhalten dynamischer Systemedurch Attraktoren (statischer, periodischer oder "chaotischer"Art , vgl. Abb. 2.4, daher stammt der populäre Begriff Chaos-Theorie) und durch Bifurkationen bestimmt.

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen 141___________________________________________________________________________

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Abb. 2.4: Punktförmiger, zyklischer und chaotischer Attraktor(KUNICK / STEEB 1986). Aufgetragen sind charakteristischeZustandsgrößen in der Phasenebene bzw. im Phasenraum.

Anhand eines mathematischen Beispiels soll illustriert werden,daß der Übergang von der Kybernetik zur Selbstorganisationkeinen Bruch im systemtheoretischen Denken, sondern vielmehreine kontinuierliche Erweiterung bedeutet. Eine einfachenichtlineare Beziehung f (Xn) muß nicht notwendigerweise einenglatten Verlauf haben, sondern kann durchaus zu "Sprüngen" undzu "chaotischem" Verhalten führen. Es dient auch zur Stützungder These, daß wissenschaftlichePräzision und kreativegestalterische Intuition keine unüberbrückbaren Gegensätzesind. Ausgangspunkt ist das Rekursionsschema der sogenanntenVERHULST-Dynamik. Die auch als "logistische Gleichung"bezeichnete Beziehung wird seit langem zur Untersuchung derPopulations-Dynamik verwendet: Xn+1 = 4 Xn (1 - Xn). Hierbeisind: n = Generationenzahl, X = Populationsgröße, =Wachstumsparameter. Die Gleichung sieht aus wie ein Regelkreis.Der Term (1-Xn) sorgt für eine negative Rückkopplung, d.h. eineBegrenzung des Wachstums von X. Man vermutet auf den erstenBlick keinerlei Überraschungen, sondern erwartet deterministi-sches Verhalten. Der Kontrollparameter beschreibt die Entfer-nung des Systems vom Gleichgewichtszustand und spielt offenbareine zentrale Rolle. Betrachtet wird nun den Verlauf derFunktion Xn ().

Abb. 2.5a zeigt den Bereich 0.7 < < 1. Aufgetragen sindjeweils die Funktionswerte für n > 100. Sichtbar sind dieBifurkations-Kaskaden und der Übergang zum Chaos. Für < 1 =0.75 gibt es nur einen Attraktor, der monoton kleiner wird undbei kleinen - Werten zu Null wird. Die Bifurkation bei 1erzeugt zwei Attraktoren, die sich bei 2 = 0.8625 wiederaufspalten, usf. Der Übergang zum chaotischen Bereich liegt beic = 0.89248641... . Dort findet sich kein stabiler Attraktormehr, die Funktionswerte "irren" zwischen 0 und 1 hin und her.Eng beieinander liegende Startwerte führen nach wenigen

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Iterationen zu ganz unterschiedlichen Funktionswerten. DieBedingung der "starken Kausalität": "ähnliche Anfangsbe-dingungen führen zu

a)

b)

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen 143___________________________________________________________________________

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Abb. 2.5a: Rekursionsschema Xn+1 = 4 Xn (1 - Xn), Verlauf von Xn ()für 0.7 < < 1.b: Das chaotische Regime der Funktion Xn () für 0.88 < < 1. ähnlichen Ergebnissen" gilt nicht mehr. Lediglich der(mathematische) Idealfall der exakt identischenStartbedingungen führt auch zu identischen Ergebnissen. Diesist die sogenannte "schwache Kausalität". Wegen der damitgegebenen Reproduzierbarkeit spricht man auch vom"deterministischen Chaos". Die generelle Folgerung ist: DieZukunft des Systems bleibt bei noch so genauer Vorgabe derStartbedingungen praktisch unvorhersehbar.

Abb. 2.5b zeigt das chaotische Regime der Funktion. Es istvon sogenannten "weißen Streifen" und von chaotischen Bänderndurchzogen. Dazu kommen Iterationswerte, die häufig auftretenund sich als dunkle Linien hervorheben. Deutlich wird, daß esanscheinend kein geschlossenes chaotisches Regime gibt, sonderndaß es immer wieder durch "Ordnungszonen" unterbrochen wird.Der Formalismus illustriert den Weg vom stabilen Zustand insdeterministische Chaos. An den Verzweigungspunkten hat dasSystem die Möglichkeit der "Wahl". Die Verzweigungen sindextrem empfindlich für äußere Bedingungen. Selbstorga-nisationsprozesse treten auf, wenn bestimmte Schwellen über-schritten werden. Der "geschichtliche" Weg, auf dem das System sichentwickelt, wenn der Kontrollparameter zunimmt, istcharakterisiert durch eine Aufeinanderfolge von stabilenBereichen, in denen deterministische Gesetze herrschen, und in-stabilen Bereichen in der Nähe der Verzweigungspunkte, wo dasSystem zwischen mehr als einer möglichen Zukunft "wählen" kann.Die Geschichte des Systems wird bestimmt durch diese Mischungaus Notwendigkeit und Zufall.

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Bekannter als die VERHULST-Dynamik ist der von MANDELBROT(1991) beschriebene Übergang zum Chaos. Das Neue ist dieVerwendung komplexer statt reeller Zahlen im Rückkopplungs-schema. Anstelle von Zahlen werden nun Punkte in einer Ebeneiteriert. Die Nahtstelle von Ordnung und Chaos wird alsBegrenzung zwischen verschiedenen Gebieten der Ebene gedeutet.Das Rückkopplungsschema lautet: Zn+1 = Zn2 + C. Z und C sindkomplexe Zahlen. Für C = 0 ergibt sich, abhängig vomAnfangswert Zo, ein unterschiedliches Verhalten:|Zo| < 1 : Konvergenz gegen Null.|Zo| > 1 : Divergenz gegen Unendlich.|Zo| = 1 : Die Folgewerte bleiben bei 1, d.h. die Punkte liegenauf dem Kreis mit Radius 1 um den Nullpunkt der Z - Ebene. DerKreis bildet die Grenze zwischen den beiden Attraktorfeldern.

Für C = 0 ergibt also die Darstellung derjenigen Startwertevon Z, für welche die Folge nicht divergiert, einen Kreis inder komplexen Z - Ebene. Für von Null verschiedene C - Wertezeigt sich statt der glatten Kreiskurve eine unendliche Viel-zahl unterschiedlicher Kurven, die sogenannten JULIA - Mengen(nach Gaston JULIA und Pierre FATOU). Abb. 2.6a zeigt den At-traktor für C = - 0.12375 + 0.56508i.

Die MANDELBROT - Menge ergibt sich aus demselben Rekursions-schema, wenn Zo fixiert und stattdessen C variiert wird. DieAbb. 2.6b entsteht also durch die Darstellung derjenigen C -Werte, für welche die Folge nicht divergiert. Die Bilder derMandelbrot-Menge ("Apfelmännchen") wurden zu Ikonen der 80erJahre, und sie waren so etwas wie universelle metaphorischeErklärungsmuster der postmodernen "Unübersichtlichkeit".

Der Ausflug in die Mathematik diente zur exemplarischenIllustration der Begriffe Attraktor (stabile Zuständeunterschiedlicher Charakteristik) und Bifurkation (instabileRegionen mit Verzweigungsmöglichkeit, Auslöser fürEmergenzphänomene). Größere und plötzliche Veränderungen imSystemverhalten werden als "feine" Bifurkationen bezeichnet.Ihre Ursache liegt in der Veränderung kritischer Kontrollpa-rameter. Sie erscheinen im Modell bzw. im Phasenraum alsWechsel von der einen Sorte von Attraktoren zur anderen, z.B.

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von einem statischen zu einem periodischen Attraktor. Danebengibt es "katastrophische" Bifurkationen, diese bezeichnen dasplötzliche Auftauchen oder Verschwinden von statischen,periodischen oder chaotischen Attraktoren. LASZLO (1991: 164):"Katastrophische Bifurkationen sind jene Art von Veränderungen,die der Evolution aller Spielarten von Nicht-gleichgewichtssystemen zugrunde liegen, von den Atomen derElemente über natürliche und menschliche Ökologien undGesellschaften."

Die mathematischen Beispiele dienten daneben zurIllustration des kontinuierlichen Übergangs von der Kybernetikder Regelsysteme zur Selbstorganisationsdynamik der lebendenSysteme und schließlich zum deterministischen Chaos. PRIGOGINE(1981) nennt das Leben eine Art "Sandwich-Schicht ... zwischendem thermischen Chaos des Gleichgewichts und dem turbulentenChaos des Nichtgleichgewichts. ... Im thermischen Chaos, wie esin Gleichgewichts

a)

b)

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Abb. 2.6a: Julia - Menge, Attraktor der Rekursion Zn+1 = Zn2 + C in derkomplexen Z - Ebene, C = - 0.12375 + 0.56508ib: Mandelbrot-Menge ("Apfelmännchen"), Attraktor der RekursionZn+1 = Zn2 + C in der komplexen C - Ebene.systemen besteht, liegen alle charakteristischen Raum- undZeitgrößen im molekularen Bereich, während im Chaos derTurbulenz zusätzlich makroskopische Raum- und Zeitgrößenauftreten. Unter diesem Gesichtspunkt scheint das Leben mitseiner charakteristischen Köhärenz einem Zwischenbereichanzugehören. Die Entfernung vom Gleichgewicht muß groß genug,darf aber nicht zu groß sein, wenn die Zerstörung derempfindlichen Struktur vermieden werden soll, die zurAufrechterhaltung der normalen Funktionen des Lebens notwendigist."

Die Entfernung vom Gleichgewicht bringt den weitgehendenVerlust der Regelbarkeit und die Veränderung desKausalitätsbegriffs. Schon der Umgang mit einfachen deter-ministischen Systemen erfordert offenbar ein neues Verständnisvon Rationalität und Kausalität. PRIGOGINE betont : "Oberhalbder Schwelle der Instabilität ist das System nicht mehr demZwang unterworfen, sondern, von ihm angestoßen, organisiert essich selbst, und seine Aktivität gewinnt einen selbstbestimmtenCharakter. Man kann daher nicht mehr davon sprechen, daß derZwang, der die Entfernung vom Gleichgewicht bestimmt, die

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Aktivität einer dissipativen Struktur ´verursacht´. Der Zwangruft hier einen singulären Effekt hervor, zu dem er aber nichtin einem einfachen Verhältnis steht. ... Man kann sagen, daßdie Materie fern vom Gleichgewicht empfindlich wird für Ein-flüsse, gegen die sie im Gleichgewicht taub war. ... Fern vomGleichgewicht entscheidet sich aufgrund des kollektivenVerhaltens und zwar nicht apriori und ein für allemal, wasbedeutungslos ist und was berücksichtigt werden muß. Wir wissennicht apriori, ... was wir berücksichtigen müssen und was wirvernachlässigen dürfen. Diese Entdeckung gibt dem Begriff derKomplexität einen neuen Sinn. Problematisch ist nicht mehr nurdie Vorhersage, sondern auch die Definition des Systems undseines Verhältnisses zu seiner Umgebung. ... "

Die erweiterte Systemtheorie erscheint geeignet als einzunächst anwendungsneutrales Hilfsmittel zur interdisziplinärenBehandlung komplexer dynamischer Systeme aller Art. Die hierbevorzugte Sicht betont nicht die Polarisierung, sondern sieentspricht etwa der Darstellung der Grundklassen von Systemenin Tabelle 2.4 nach Erich JANTSCH (1979: 67). Die kennzeich-nenden Systemaspekte wurden im voranstehenden Abschnitterläutert.

Kennzeichnender Systemaspekt

strukturbewahrend <---------->

evolvierend

148 2 Ein neuer Ansatz__________________________________________________________________________________________

Gesamtsystem-dynamik

Struktur

Funktion

Organisation

Umwelt-beziehungen

statisch (keine Dynamik)

Gleichgewicht

keine oder Allopoiese

statistische Schwankungen in reversiblen Prozessen

abgeschlossen (Wachstum

konservative Selbstorga-nisation

nahe Gleichgewicht

Bezug auf Gleich-gewichtszustand

irreversible Prozesse auf den Gleichgewichtszu-stand hin

oder offenmöglich)

dissipative Selbstorgani-sation

dissipativ (fern vom Gleichgewicht)

Autopoiese (Selbstbezug)

zyklisch (Hyperzyklus), irreversible Drehrichtung

offen (ständiger,ausgewogener Austausch)

Tabelle 2.4: Systemklassifizierung 5: Strukturbewahrende undevolvierende Systeme, nicht als Gegensatz, sondern als zweiExtreme eines Kontinuums (JANTSCH 1979).Die strukturbewahrenden Systeme, das eine Extrem, sind statisch(z.B. Kristall) bzw. fremdorganisiert wie eine außengesteuerteMaschine. Daneben gibt es die konservative, einem Gleich-gewichtszustand zustrebende Selbstorganisation, anwendbar aufmechanistische (strukturell unveränderliche) und ganz bestimmteFälle adaptiver (anpassungsfähiger) Systeme. Negative Rückkopp-lung ist das dominierende Merkmal. Evolvierende Systeme sinddas andere Extrem. Gregory BATESON (1987) bezeichnet dieSelbstorganisation als den "Geist" (mind) eines Systems. Jedesdazu fähige System besitzt einen Geist dieser Art. Nach KUHNentspricht sogar die Evolution der Wissenschaftssysteme(Paradigmen, Theorien) der Dynamik dissipativerSelbstorganisation. Sie zeigt kein Verharren in einer einzigenStruktur, sondern die Abfolge von autopoietischen Strukturen:"Ordnung durch Fluktuation" (PRIGOGINE) bzw. "structural drift"(MATURANA). Es gibt eine makroskopische (von außen so

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen 149___________________________________________________________________________

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scheinende) Unbestimmtheit ("Wahlfreiheit") beim Übergang zwi-schen Strukturen / Attraktorzuständen an den Bifurkations-punkten. Prozesse in komplexen Systemen sind im Prinzip nichtmehr steuerbar; man kann nur anstreben, von außen die internenRegeln zu erfassen. Die Charakterisierung der Vorgänge alsteleologisch oder auch teleonomisch ist nicht mehr angemessen.

"Klassische" und "evolutionäre" Theorie sind zwei Extreme einesbreiten Spektrums von Modellvorstellungen mit fließendenÜbergängen. Beide sind für Designtheorie unverzichtbar, dennDesign hat mit technischen und sozialen Systemen in ihrerWechselwirkung zu tun. Bedeutsam sind die Begriffe des Attraktorsund der Emergenz. Der Übergang vom Determinismus zum(makroskopischen) Indeterminismus ist kontinuierlich. Kausalitätist nur noch ein Idealfall im Verhalten von Systemen.

Systemtechnik und System Dynamics

Systems Engineering (SE) oder Systemtechnik bezeichnet diemethodisch-operationale Aufbereitung systemtheoretischenDenkens im Hinblick auf die Planung und Realisierung umfangrei-cher Vorhaben technischer oder ökonomischer Art. Die Arbeitenvon DAENZER (1976/77) und PATZAK (1982) bieten einen fundiertenÜberblick. Der erstere führt das Gebiet anhand eines Schemasein, das an einen menschlichen Körper mit Kopf, Rumpf undGliedern erinnern soll: Im Zentrum steht derProblemlösungsprozeß, der die Differenz zwischen dem IST-Zustandund einer Vorstellung vom antizipierten SOLL-Zustand (dasProblem) auf möglichst effiziente Art und Weise überbrückensoll. Bemerkenswert ist, daß der Autor einleitend daraufhinweist, daß das Verhalten sozialer Systeme hinsichtlichmöglicher Reaktionen und Eingriffe - im Gegensatz zutechnischen Systemen - nur sehr bedingt prognostizierbar ist.Er empfiehlt aus diesem Grunde die Beschränkung auf Vorhabenmit "absehbarem Planungshorizont". Ist dies ein zwarlobenswerter aber trotzdem realitätsferner Wunsch oder nur eine(selbst-) beschwichtigende technokratische Worthülse?

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Die Praxis des Problemlösens wird geleitet von der SE-Philosophie, dem "Kopf" seines Schemas, bestehend aus"Systemdenken" und "Vorgehensmodell". Systemdenken sieht er alsspezifische Denkweise zum Verständnis und zur Gestaltungkomplexer Sachverhalte. Ausgegangen wird von derModellvorstellung des offenen, dynamischen Systems, welchesdurch Flüsse von Materie, Energie und Information mit seinerUmgebung verbunden ist. Die einfache

SE- PhilosophieSystem denken Vorgehensm odell

Problem lösungsprozeßSystem -G estaltung

Projekt-M anagem ent

TechnikenderSystem -G estaltung

Technikendes Projekt-M anagem ent

PRO BLEM LÖSUNG

Abb. 2.7: Systems Engineering (Systemtechnik) nach DAENZER(1976/77).

Rede von der Offenheit für Informationsflüsse ist im Fallelebender Organismen und sozialer Systeme nicht mehr angemessen,wie weiter unten noch ausführlich zu zeigen sein wird. Die be-sondere Bedeutung des Systemdenkens für die Planung siehtDAENZER in der Erweiterung des Betrachtungshorizontes, d.h. inder Möglichkeit, Folge- und Nebenwirkungen beim Bau vonSystemen oder beim Eingriff in Systeme mit beliebigem, nurdurch den Aufwand begrenzten, Detaillierungsgrad zu erfassen.Vorgehensmodelle, als zweite Komponente der "SE-Philosophie",bezeichnen bestimmte methodische Annahmen beim Umgang mitSystemen: generell die hierarchisch gegliederte Vorgehensweise"vom Groben zum Detail", die Annahme von "Lebensphasen" vonSystemen (von der Vorstudie über die Realisierung bis zurAußerdienststellung) sowie die Annahme von"Problemlösungszyklen" als allgemeingültige kognitive Modellefür die Teilproblem-Bearbeitung in allen Lebensphasen des Sy-

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen 151___________________________________________________________________________

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stems. Soviel zur "Philosophie". Der eigentlicheProblemlösungsprozeß besteht nun aus methodischen Hilfsmittelnzur Systemgestaltung (Ist-Analyse, Zielformulierung, Soll-Konzept, Lösungsvarianten, Bewertungsverfahren, Entscheidung,etc., bezogen auf das Objektsystem; oft wird dies zusammenfas-send als Systemanalyse bezeichnet) und zur Systemrealisierung (Zeit-,Personal- und Ressourcenplanung, etc., bezogen auf denErstellungsprozeß). Die "Füße", auf denen Systems Engineeringruht, bestehen aus einer Vielzahl von meist formalisiertenMethoden und Verfahren zur Problemlösung in den unterschied-lichsten Phasen des Gesamtprozesses. Die Kap. 7 und 8 beiDAENZER bieten hier einen sehr guten, umfassenden Überblick.Ein Problem, das auch deutlich wird, ist die Auswahl desjeweils geeigneten Verfahrens für das spezielle Problem. DiePraxis (dies entspricht auch eigener Erfahrung) sieht deshalbmeist so aus, daß man eher die Problemstellungen an die bereitsaufbereiteten und routinemäßig beherrschten Verfahren anzu-passen sucht, als jeweils erneut nach eventuell bessergeigneten Verfahren zu suchen.

Auch PATZAK (1982) stellt zunächst heraus, wie derSystemansatz geeignet ist, "reduktionistische" und"mechanistische" Ansätze zu ersetzen und damit die Behandlungkomplexer Systeme, die häufig ein kontra-intuitives Verhaltenzeigen, ermöglicht. Die Berücksichtigung des Menschen erfordereneben den harten quantitativen Fakten gleichwertigen Raum für"Soft Methods, Soft Data (nicht begründete Werte, Präferenzen,Bedürfnisse, etc.), für gefühlsmäßige Einflüsse sowie letztlichFreiheitsspielraum für Irrationalität ...". Es fällt auf, daßdiese wohlklingenden Vorsätze und Ansprüche immer sehr weitvorne, in den einleitenden Kapiteln der Arbeiten stehen, späterdann aber im Schematismus der doch wieder sehr"mechanistischen" Methoden recht sang- und klanglos untergehen.Als geeignetes Mittel zur Planung des Verhaltens komplexerSysteme nennt PATZAK die Methodologie des zweckrationalen Handelns.Kennzeichen dieses Begriffs ist die Konzentration auf dieRationalität der Mittel bei völliger Ausblendung allerinhaltlichen, werthaften Aspekte des Zwecks. Die Basis desKonzepts, dies zeigt seine historische Entwicklung, liegt imindividuellen Handeln; der soziale Aspekt von Zweckrationalitätist kaum untersucht worden. Insbesondere der Zusammenhang

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zwischen Bedürfnisbefriedigung und zielorientiertem bzw.zweckrationalem Handeln verdient eine genauere Betrachtung. ImKapitel über soziotechnische Systeme dazu mehr.

Systemtechnik wurde entwickelt zur Planung von Handeln, imBlick auf Ergebnisse von gestaltendem Eingreifen in bestehendeStrukturen und weniger zum beschreibenden Verstehen der Pro-zesse. Dies bedeutet: Ziele und Zwecke müssenoperationalisierbar sein. Sie müssen in eindeutigen Begriffenund meßbaren Größen ausgedrückt sein, um präskriptive,handlungsbestimmende Wirkung zu besitzen, d.h. um praktischesHandeln zu ermöglichen. Die Anwendbarkeit von Systemtechnikberuht darauf, daß zunächst vage Bedürfnisse in operationaleZiele und quantifizierbaren Bedarf transformiert werden. Umhandlungsbegründende und handlungsrechtfertigende, schließlichhandlungsleitende Funktion zu haben, müssen diese Ziele instatischen Zielsystemen fixiert sein, d.h. sie dürfen keinezeitliche Dynamik mehr aufweisen. Die meisten Verfahren dertraditionellen Systemtechnik arbeiten ganz ohne dieZeitdimension (Zielplanung, Nutzwertanalyse, Entschei-dungsmodelle, etc.); dort wo sie eingeht (Projektplanung,Netzplantechnik, etc.), hat sie vorwiegend ordnenden Charakter,d.h. sie bringt die zeitliche Abfolge von ansonsten statischenEreignissen in eine optimale Reihenfolge. Die Annahme vonDynamik in der Werthierarchie von Zielsystemen würde diePlanung und Realisierung von Großprojekten, die sich überZeiträume von Jahrzehnten erstreckt, von vornherein verbieten.Die Annahme dieser Statik der Wertsysteme widersprichtessentieller menschlicher Erfahrung, dennoch wird es getan undes wird als rational bezeichnet. Das Dilemma ist rechtdeutlich: Je größer die Zeithorizonte und je umfassender dievollzogenen Eingriffe in natürliche und soziale Systeme, destowichtiger ist einerseits Planung, desto unhaltbarer istandererseits die Annahme statischer Wertsysteme, auf denenzweckrationale Planung beruht und aus denen sie ihre Legitima-tion gewinnt.

Ein weiteres ernstes Handicap ist die Vernachlässigung derkomplexen Beziehungen zwischen dem Problemfeld und deninteragierenden Umweltsystemen. Ein Hauptproblem dabei ist diemehr oder weniger ungeprüfte Übernahme der Problemstellung desAuftraggebers. Durch Ausgrenzen von Teilaspekten schon während

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen 153___________________________________________________________________________

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der IST-Analyse können verborgene einseitige Interessen, diehinter der SOLL-Definition stehen, leicht durch das spätereErgebnis gerechtfertigt werden. Das übliche Vorgehen derSystemanalyse, bei dem der Analytiker als externer Beobachteraußerhalb des Problemfeldes steht, fördert derartigeDeformationen. Als Alternative wurde am Center for the Study ofDemocratic Institutions in Sta. Barbara, Cal. die sogenannte"Maieutische" Systemanalyse entwickelt. Der Begriff lehnt sichan die "Hebammenkunst" des SOKRATES an. Es geht dabei um dieBeschäftigung mit allen Aspekten des Problemfeldes, statt umdie schnelle Anpassung der Lösung an ein vorher weitgehendfestgelegtes SOLL-Konzept. Ziel ist die Aktivierung verborgenerKritik im Problemfeld. Zu diesem Zweck wird das Untersuchungs-team in den Problembereich integriert. In Zusammenarbeit mitden Partnern werden Modelle und Simulationen zukünftigerWirklichkeiten entwickelt, die experimentell getestet werden.Die Methode ist zweifellos sinnvoll zur Annäherung derInteressen von Planenden und Beplanten, zur Erzielung vonkonsensfähigen Lösungen. Sie verspricht darüber hinaus einenlängeren, wenn auch nicht dauerhaften, Bestand der gefundenenLösung. Aber, und dies ist das Problem: die Methode istaufwendig, teuer und die Qualität der Lösungsalternativen istnicht quantifizierbar; dies bringt sie in Konflikt mit dengeheiligten Grundprinzipien der Zweckrationalität.

System DynamicsDiese grundsätzliche Problematik gesellschaftlicher Planungwird von den meisten Systemtechnikern, zumindest dentheoretisch orientierten, vage erkannt. Oben wurde auf diemeist in den Einleitungskapiteln auftauchenden einschlägigenAnmerkungen hingewiesen. Hierzu eine Bemerkung von ErichJANTSCH (in SEIFFERT / RADNITZKY 1989: 337): "Die Modellierungvon realistischen Systemen gibt sich oft mit dem aus einem gutbeherrschten Ansatz heraus Möglichen zufrieden. Dieses Möglichewar bis vor kurzer Zeit auf Gleichgewichtssysteme und dort vorallem auf mechanistische Systeme beschränkt, wodurch denSystemen biologischen, gesellschaftlichen und kulturellenLebens oft grobe Gewalt angetan wurde."

Es kristallisiert sich immer deutlicher heraus: Systemdenkenmanifestiert sich gerade nicht in allgemein und ein für allemal

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gültig sich gebenden Diagrammen und Ablaufplänen mit einemgroßen, monumentalen, festen Ziel - dies ist statische Struktur-, sondern in flexiblen, temporären, dynamischen, vorläufigenProzeßmodellen mit vielen kleinen, revidierbaren Teil-Zielen.Es stellt sich deshalb die Frage: Gibt es überhauptformalisierbare systemtechnische Verfahren, die dieModellierung und prozeßhafte Simulation sozialer Dynamik auchnur ansatzweise erlauben? Es geht nicht mehr primär um die Op-timierung einer weitgehend determinierten Lösung, sondern esgeht um die Formulierung komplexer Zusammenhänge undDenkmuster, bestehend aus materiellen und immateriellen Größenund die Simulation ihres Verhaltens im Hinblick auf dieFormulierung von Problemen. Effektive Verfahren, die das Findenbrauchbarer oder guter oder sogar optimaler Lösungen ausvorgegebenen Problemen unterstützen, gibt es mehr als genug.Das Problem besteht vielmehr darin, erst einmal die richtigenProbleme zu formulieren, ohne dabei unmittelbar ihre Dynamikeinzufrieren.

Vielversprechende formale Ansätze liefern die Verfahren, dieinzwischen unter dem Begriff "System Dynamics" zusammengefaßtwerden. PATZAK (1982) nennt sie "rechnergestützte Verfahren derexperimentellen Systemanalyse" und ist recht schnell bei derHand, sie als "Prognose- und Entscheidungsmodelle für komplexesoziotechnische Systeme" zu bezeichnen. Die Verfahren wurdenentwickelt zur Überwindung der Beschränkungen der analytischenMethoden des Operation Research und der Automatentheorie. DasZiel besteht, so PATZAK (Kap. 8) in der Entwicklung einerallgemeingültigen Verhaltenstheorie soziotechnischer Systeme.Prominent sind die sogenannten "Weltmodelle" von FORRESTER(1971), MEADOWS (1972, 1992) und anderen, die auf derSimulationssprache DYNAMO beruhen. Hieraus wurde inzwischen diesehr einfach zu handhabende problemneutrale SimulationssoftwareSTELLA entwickelt. Näheres hierzu im Anhang bzw. zu den Welt-modellen von MEADOWS in Kap. 4. Eine weit ausgearbeitete SystemDynamics-Anwendung, eingebettet in eine umfassende"biokybernetische" Planungsmethodik, stellt das"Sensitivitätsmodell" nach VESTER (1985, 1993) dar.

Systemmodelle bestehen aus Komponenten (Elementen) undRelationen, d.h. den Wirkungsbeziehungen zwischen denKomponenten. Die Zustände von Elementen hängen von anderen Ele-

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen 155___________________________________________________________________________

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menten (oder sich selbst) ab und beeinflussen die Zuständeanderer Elemente (oder sich selbst). Systeme haben einen Zweck,bzw. es ist möglich, ihnen einen Zweck zuzuschreiben. Systemehaben eine Grenze. Eindeutig ist diese nur, wenn keinerleiAustausch (Materie, Energie, Information) stattfindet. Meistwird die Grenze vom Modellbauer gesetzt mit pragmatischem Blickauf die Zielsetzung der Untersuchung, den Modellzweck.Komponenten von Systemmodellen im Sinne von System Dynamicssind:- Zustandsgrößen incl. Anfangswerte. Die Werte der Zustandsgrößenbeschreiben den Systemzustand in jedem Moment vollständig.Zustandsgrößen können materieller, energetischer und in-formatorischer Art sein. Ausdrücklich zugelassen sindZustandsgrößen informatorischer Art, die nicht meßbar, aberquantifizierbar sind.- Flußgrößen, d.h. die Veränderungsraten der Zustandsgrößen.- Umwelteinwirkungen, d.h. Größen, die das System von außenbeeinflussen, selbst aber nicht durch das System beeinflußbarsind.- Parameter, d.h. Größen, die über den Beobachtungszeitraumkonstant bleiben (Naturkonstanten, etc.).- Zwischengrößen, ermittelbar aus Parametern,Umwelteinwirkungen, Zustandsgrößen.

Relationen konstituieren Ursache-Wirkungs-Ketten zwischen denSystemgrößen in Form von algebraischen Beziehungen odergraphischen bzw. tabellarischen Funktionsverläufen.

Erich JANTSCH (1979: 80) gibt einen Überblick über mathe-matische Verfahren der Systemsimulation. Er unterscheidet dabeinach Kontinuität / Diskontinuität in den mikroskopischen Pro-zessen ("Ursachen") und den makroskopischen Prozessen("Wirkungen"). In der gesellschaftlichen Planung, etwa denWeltmodellen, beschränkt man sich bisher weitgehend aufstrukturbewahrende Konzepte. Erste Anwendungen derSelbstorganisationsdynamik gibt es seit Mitte der

Mikroskopische Ursachen Makroskopische Wirkungen

Verfügbare Ansätze

156 2 Ein neuer Ansatz__________________________________________________________________________________________

kontinuierlich(Gesetz der großen Zahlgilt)

diskontinuierlich(Gesetz der großen Zahlist aufgehoben)

kontinuierlich(gleiches dynamisches Regime)

diskontinuierlich(Evolution durch eine Sequenz dynamischer Regimes)

kontinuierlich

diskontinuierlich

Differentialgleichungen:a) linear: Ökonometrieb) nichtlinear: Simulation von Rückkopplungssystemen (FORRESTERs "System Dynamics")

a) Ultrastabilität (ASHBY)b) Katastrophentheorie (ein seit Ende der 60erJahre von den Math. René THOM und E. Christopher ZEEMAN entwickelter topologi-scher Ansatz, mit dem das "Umschnappen" in eine neue Struktur, nicht aber die Selbstorganisation des Systems beschrieben werden kann)

a) Theorie metastabilerdissipativer Strukturen(PRIGOGINE, NICOLIS)b) Statistische Kugelspiele - Auto-poiese (MATURANA, VARELA)

a) Ordnung durch Fluktuation (PRIGOGINE)b) Statistische Kugelspiele - Evolution(EIGEN, WINKLER)

Tabelle 2.5: Verfahren zur Simulation dynamischer Systeme(JANTSCH 1979).70er Jahre; für realitätsnahe Anwendungen im Bereich dersoziotechnischen Systeme erscheinen sie jedoch bisher kaum ge-eignet. Für die Anwendung in der Praxis sind derzeit nur die

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen 157___________________________________________________________________________

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Verfahren der ersten Art soweit aufbereitet, daß sie auch vonNichtmathematikern sinnvoll handhabbar sind. BOSSEL (1989)zeigt, daß auch diskontinuierliche Verläufe machbar sind unddaß auch struktureller Wandel in Grenzen modellierbar ist.Entscheidend für den Einsatz ist die realistische Einschätzungdessen, was machbar ist und was nicht. Insbesondere sind dieVerfahren mehr zur Problemsimulation als zur Lösungsfindunggeeignet. Näheres hierzu im folgenden Abschnitt. Dennoch: Umein besseres Verständnis und eine bessere Einschätzung deszeitlichen Verhaltens komplexer Systeme zu erhalten, gibt esmomentan keine Alternative zu reflektiert eingesetztenComputersimulationen.

Es gibt in der Systemtechnik zum einen die lösungsorientiertenMethoden zur Optimierung der Mittel zum Erreichen einesbeliebig gesetzten Ziels. Sie unterstützen die Lösungsfindungbei gegebenem Problem. Es gibt zum anderen die problemorientiertenMethoden zur Simulation von Prozessverhalten in komplexenSystemen. Sie unterstützen die Problemanalyse und Zieldefinition.Ihre Bedeutung für Design nimmt zu.

Systemdenken: Systembildung, Modellbildung, Theoriebildung

In den voranstehenden Abschnitten wurde der Systembegriffeingeführt und die hier zugrundeliegende Auffassung vonSystemtheorie vorgestellt. Systemtheorie wird konkretisiert undoperationalisiert in der Systemtechnik und es ist zu fragen,inwieweit systemtheoretische Denkweisen und Methoden im Designund in der Designtheorie geeignete Mittel sind. Es gehtinsbesondere um die Frage: Warum der Weg über einformalisiertes Modell, welche Vorteile sind davon zu erwarten?Im vorliegenden Zusammenhang sind zwei Arten dynamischerProzesse von Interesse, Theoriebildung und Praxisunterstützung.Beides steht in enger Wechselbeziehung:- Theoriebildung schafft kommunizierbare Modelle des disziplinärenHandelns,- Theoriebildung fördert disziplinäre Systembildung,

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- Disziplinäre Systembildung schafft "bessere" (siehe Kap. 4)Praxis,- Bessere Praxis fördert Theoriebildung.

SystemdenkenModelle und Simulationen, im Kopf und im Computerprogramm,sollen eingesetzt werden zur Entwicklung eines besserenVerständnisses für dynamische Phänomene: zur Thematisierung vonInterdependenzen, zur Sichtbarmachung von Parametereinflüssen,zur Illustration von kontraintuitivem Verhalten, fürStabilitätstests, Szenarios, etc. Am Beginn von Kap. 2 wurdegesagt, das Denken in systemischen Zusammenhängen liege imWesen der menschlichen Natur. Dies ist hier zu präzisieren undzu relativieren, denn die noch vielfach archaischen Muster wer-den der Komplexität der von uns geschaffenen Phänomene offenbarnicht mehr gerecht. Menschen unseres Kulturkreises neigen zufolgendem Schema, das sich im Alltagsdenken und in der Wis-senschaft bisher durchaus bewährt hat: Eine oder mehrereUrsachen, deren Bedeutungen meist zusätzlich in einergewichteten Rangfolge stehen, bewirken einen ganz bestimmtenEffekt. Verbunden damit ist eine Reihe impliziter Annahmendarüber, wie die Welt funktioniert:Gerichtete lineare Kausalität: Die klare Unterscheidung von Ursache undWirkung impliziert eine statische Sicht der Dinge. Es entstehenkausal verknüpfte Sequenzen von Sachverhalten und Ereignissen;Zeit hat lediglich die Funktion der Ordnung der Abfolge dieserSachverhalte. Verstärkt wird dies dadurch, daß den einzelnenUrsachen Gewichtungen zugeordnet werden. Meist stehen Ursachenund Wirkungen tatsächlich jedoch eher in einem zirkulärenVerhältnis: die Wirkungen wirken zuweilen zurück auf dieUrsachen. Diese Art von Zirkularität macht das Verhalten zueinem zeitabhängigen Prozeß. Die Annahme linearer Kausalitätverstärkt die Neigung zum "Gefangensein in Ereignissen" und er-schwert die Sicht des Ereignisses als künstlich isoliertemSchritt in einem fortlaufenden (und notwendigerweisefortlaufenden) Prozeß. Die Prozeßsicht braucht eine gewisseintellektuelle Distanz, um einen Überblick über die Regelmäßigkeitender dynamischen Verhaltensmuster (patterns) zu ermöglichen.Diese Distanz fehlt uns meist. Die Überlegung verweist auf dieGedanken zum Beobachterstandpunkt.

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen 159___________________________________________________________________________

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Externe Ereignisse als Ursachen: Die klassisch-mechanistische Sichtnimmt an, daß das Verhalten eines Systems von außen instruktivdeterminiert wird; dies ist das Verständnis der "trivialenMaschine" (Heinz VON FOERSTER). Soziale Systeme oder Kommuni-kationssysteme, um die es hier primär geht, sind gekennzeichnetdurch die in der neueren Systemtheorie formulierten Begriffevon Selbstreferenz, Selbstorganisation, Autopoiese. Diesbedeutet: Externe Ereignisse fungieren nur noch als Auslöser fürsysteminhärentes dynamisches Verhalten. Dessen Charakter istlatent in der Struktur des Systems enthalten(Strukturdeterminiertheit). Das System selbst ist damit Ursacheseines eigenen Verhaltens, der Schwerpunkt der Beobachtung undModellbildung sollte deshalb auf der internen Struktur liegen,unter genauer Beachtung der Systemgrenzen und der externen Ein-flüsse.Unabhängigkeit der wirkenden Einflußgrößen: Meist wird dies ausgedrücktin einer fixierten Rangfolge der Einflußfaktoren. Stattdessenist es aber sinnvoller, vielfältige Beziehungen zwischen denUrsachen und Wirkungen in Betracht zu ziehen. Ein "wichtigster"Faktor ist in den meisten Fällen nicht isolierbar, denn nichtdie Faktoren allein sind entscheidend, sondern die Beziehungenzwischen Faktoren. Die Stärke dieser Beziehungen ist zeitlichnicht konstant, d.h. es wirken dynamische Beziehungen zwischen denBeziehungen.

Hinzu kommt eine Denkweise, die SCHWEGLER (1992) unseremsogenannten substantialistischen Erbe zurechnet. Wir neigen dazu, dieWelt als aus dauerhaften Dingen bestehend anzusehen. AlleVeränderung kommt über die sogenannten Modi oder Akzidentien,d.h. die veränderlichen Eigenschaften dieser Dingeeinschließlich ihrer veränderlichen Relationen. Auf der EbeneAlltagshandelns ist dies zutreffend, vieleWissenschaftsbereiche sind jedoch dabei, diese Sichtweise zuverlassen und von Prozeßstrukturen auszugehen.

SystembildungDer Begriff bezieht sich 1) auf das Machen künstlichergegenständlicher Systeme, 2) auf die Entstehung lebender Systemeund 3) auf die kognitive Erzeugung gedanklicher Systeme (die sichauch auf Gegenständliches beziehen kann).

160 2 Ein neuer Ansatz__________________________________________________________________________________________

Der Fall 1) ist unproblematisch, hier besteht eineunmittelbare Beziehung zwischen Herstellen / Handeln undErkennen. Die Bestimmung von Systemen / Subsystemen / Elementenorientiert sich am Handeln des Herstellers bzw. an derbeobachtbaren Funktion des Hergestellten.

Der Fall 2) ist (bisher) ausschließlich beobachtbar. LebendeSysteme entstehen aus Prozessen mit geschlossenen Schleifen(Selbstreferenzen) und Außenbeziehungen (Austausch). Diesebeiden Aspekte, Geschlossenheit einerseits und Austauschandererseits, bedingen sich gegenseitig; sie sind konstitutivfür jede Art lebender Systeme. Francisco VARELA (1984) gründetden Begriff der Systembildung und der Autonomie lebenderSysteme auf diesen zirkulären Prozeß von Grenzbildung undinterner Dynamik. Autonomie ist nur möglich im Austausch mitUmgebungssystemen. Austausch ist nur möglich, wenn eineselbstkonstituierte Grenze vorhanden ist. Die Grenze istProdukt der permanenten internen Prozeßdynamik. DieAufrechterhaltung benötigt den Austausch usf.

interneProzeß-dynamik

Grenzbildung

Austausch Autonomie

Abb. 2.8: Dualität von Abgrenzung und Durchlässigkeit,Austausch und Autonomie. Kreisprozesse von interner Dynamik undGrenzbildung als Basis für Systembildung (VARELA 1984).

Es handelt sich dabei um eine Kombination positiver undnegativer Rückkopplungsvorgänge: negative Rückkopplung strebtzur Erhaltung des status quo, des statischen Gleichgewichts,externe Störungen werden vom System ausgeregelt. PositiveRückkopplung dagegen verstärkt externe Störungen. Isoliertepositive Schleifen erzeugen charakteristischerweise expo-nentielles Wachstum bzw. in der Folge Kollaps ("virtuous /vicious cycles"). Beispiele für exponentielles Wachstum auf derBasis positiver Rückkopplungsmechanismen sind die Zunahme derBevölkerung oder der Wirtschaft beim Fehlen von begrenzendenRandbedingungen: Eine feste prozentuale Änderungsrate, etwa das

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen 161___________________________________________________________________________

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jährliche Wirtschaftswachstum, führt zum exponentiellen Anstiegdes Bestands, d.h. zur Verdopplung in konstanten Zeitabständen.

Geschlossene Schleifen sind geeignet, das wesentliche Ziellebender bzw. sozialer und psychischer Systeme, nämlichÜberleben (Viabilität), zu modellieren. Es besteht in einerDualität, einem Wechselspiel von Konservierung undStabilisierung einerseits und evolutionärem Wandelandererseits. Stabilisierung bedeutet, die lebenswichtigeninternen Parameter in einem bestimmten Bereich, bei z.T. starkvariierenden äußeren Bedingungen, stabil zu halten. Dies erfor-dert, in der Beschreibung eines externen Beobachters, dieKenntnis des Ziels (des zulässigen Bereichs) und die Kenntnisdes momentanen Zustands, d.h. Vergleichsmöglichkeit oder Diffe-renzwahrnehmung durch Beobachtung, sowie Handlungsmöglichkeitzur Beseitigung der Differenz. ROPOHL (1979) spricht hier ganzmechanistisch von Informationssystem (mit den FunktionenBeobachtung und Vergleich), Zielsetzungssystem undHandlungssystem. Stabilitätserhaltung ist im wesentlichen einnegativer Rückkopplungsprozeß. Wandel ist erforderlich bei zustarken Änderungen in den äußeren Bedingungen: Wandel bedeutetVerlassen des status quo, Veränderung der Zielwerte, etc. Eshandelt sich um die dynamische Charakteristik einer positivenRückkopplung. Die internen Systemziele verändern sich "in dergleichen Richtung" wie die äußeren Bedingungen. Zielsuche isthier zu verstehen als Prozeß der andauernden Erzeugung vonAktionen, die darauf gerichtet sind, bestimmte Bedingungen inÜbereinstimmung mit den entsprechenden Sollgrößen zu halten.Das dynamische Verhalten komplexer Systeme, auch wenn dieZielfindung erfolgreich ist, muß nicht notwendigerweisegeregelt erscheinen, geschweige denn vernünftig.

Der Fall 3) kann in seiner Dynamik von Austausch(Wahrnehmung, Handlung) und interner Stabilisierung (Erfahrung,Erkenntnis) analog zum Fall 2) beschrieben werden, ist aber er-heblich komplizierter. Im Wahrnehmen und Denken bauen wirgedankliche Modelle (mental models, Konstellationen, stabileBeziehungsgeflechte von Informationen und Begriffen von etwas)und benutzen sie, um unseren Erfahrungen Sinn zu geben. Die Artund Weise der Konstruktion unserer "Wirklichkeiten", der Ent-wicklung unserer Problemstellungen hängt ab von unsererPerspektive, unserer Sicht der Dinge, unseren Lebensumständen.

162 2 Ein neuer Ansatz__________________________________________________________________________________________

Wir gehen mit einem weitreichenden, zum großen Teil nichtbewußten, Vorverständnis an die Dinge heran: Siegfried GIEDION(1982: 20) formuliert dies so: "Jedem Problem, jedem Bild,jeder Erfindung liegt eine bestimmte Einstellung zur Welt zu-grunde, ohne die sie niemals entstanden wären. Der Handelndefolgt äußeren Antrieben - Gelderwerb, Ruhm, Macht -, dahinterjedoch steht unbewußt die Einstellung seiner Zeit, sich geradediesem Problem und dieser Form zuzuwenden."

Neben dem genannten Problem der Subjektivität gibt es das Problemder Abstraktion (die Notwendigkeit der Vereinfachung) und dasProblem der Aggregation (die Notwendigkeit der Zusammenfassung vonElementen zu neuen Einheiten, die im Original so nicht mehrerkennbar sind): Systembildung wird zur Modellbildung.

ModellbildungSTACHOWIAK (1965, 1973, 1978, 1983) liefert eine umfassendeFundierung der wissenschaftlichen und praktischen Arbeit mitdem systemtheoretischen Modellbegriff. Vgl. auch SEIFFERT /RADNITZKY (1989: 219-222). Der Begriff umfaßt dort die gesamteSpanne von der elementarsten Wahrnehmungsgegebenheit bis zurkompliziertesten (wissenschaftlichen, politischen,philosophischen, ideologischen) Theorie.

Umgangssprachlich bezeichnet er etwas, das für etwas anderessteht, dieses in gewisser Weise ersetzt, entweder als Abbild vonetwas (Urbild, Prototyp, Original, Bezugssystem), das evtl. nurin der Vorstellung existiert, z.B. erst herzustellen ist, oderals Zeichen für etwas, aufgrund einer verabredeten Zuordnung desZeichens zu seinem Bezeichneten.

Der wissenschaftliche Gebrauch präziert den Begriff undinsbesondere die Zuordnung von Original und Modell. Modellerepräsentieren ihre Originale in der Regel nur - für bestimmte (erkennende / handelnde) Subjekte(Modellbenutzer),- innerhalb bestimmter Zeitspannen (derOriginalrepräsentation), sowie- unter Einschränkung auf bestimmte (gedankliche odertatsächliche) Operationen.

Die Modellerstellung unterliegt also dem Frageschema: wovon?von wem, für wen? wann und wozu? Ein Modell ist eine im Sinneder Semiotik pragmatische Entität, nämlich eines mindestens

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen 163___________________________________________________________________________

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fünfstelligen Prädikats: P2 ist Modell des Originals P1 für denVerwender k in der Zeitspanne t bezüglich der Intention Z (Ziel).Die Modelldefinition umfaßt 3 Merkmale:1) Abbildungsmerkmal: "Modelle sind stets Modelle von etwas,nämlich Abbildungen und damit Repräsentationen gewissernatürlicher und künstlicher Originale (die selbst wieder Mo-delle sein können)."2) Verkürzungsmerkmal: "Modelle erfassen nicht alle Eigenschaftendes Originals, welches sie repräsentieren, sondern nur solche,die den jeweiligen Modellproduzenten und -benutzern relevanterscheinen."3) Subjektivierungsmerkmal: "Modelle sind ihren Originalen nicht perse eindeutig zugeordnet. Sie erfüllen ihre Repräsentations- undErsetzungsfunktion immer nur für bestimmte Subjekte, fürbestimmte Absichten und innerhalb bestimmter Zeitspannen."

STACHOWIAKs Allgemeine Modelltheorie (AMT, 1973) unterscheidetgrafische, technische und semantische Modelle:Grafische Modelle1) Bildmodelle (mehr oder weniger ikonisch, kodierungsfrei),2) Darstellungsmodelle (Originalbezug erfordert expliziteZeichenerklärung).Technische Modelle1) Physikotechnische Modelle (von statisch-mechanisch überelektronisch (dazu gehören etwa Computermodelle) bis zuelektrochemisch),2) Bio-, psycho- und soziotechnische Modelle.Semantische ModelleZeichenmodelle erfordern Übereinkünfte darüber, wofür dieverwendeten Zeichen stehen. Sie dienen der Erfassung von"Realität" in der besonderen Weise von Sprache. Die Einteilungdieser semantischen Modelle erfolgt entsprechend seinem"Metamodell der semantischen Stufen":Interne Modelle (1. semantische Stufe)Innere Modellbildung im Bereich des individuellen Wahrnehmens,Vorstellens und Denkens.Unterscheidung zwischen perzeptiven und kogitativen Modellen. Externe Modelle (2. bis 5. semantische Stufe) Modelle der 2. semantischen Stufe sind z.B. sprachlicheGebilde, die die Modelle der 1. Stufe zu Originalen haben.Modelle der 3. Stufe sind z.B. schriftsprachliche Gebilde, die

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der Wiedergabe der Modelle der 2. Stufe dienen. Modelle der 4.Stufe modellieren z.B. in einer künstlichen Sprache Modelle der3. Stufe. Modelle der 5. Stufe sind etwa binär codierteComputermodelle.

Die Definition lautet nun: Seien P1 und P2 zwei prädikativeBeschreibungen von Attributklassen, dann nennen wir P2 einikomorphes Bild von P1, wenn es eine Unterklasse U1 von P1 undeine Unterklasse U2 von P2 gibt, so daß jedem Element von U1umkehrbar eindeutig ein Element von U2 zugeordnet werden kann.P2 heißt Modell von P1, wenn es ein operatives Subjekt k gibt,das im Zeitintervall t bezüglich der Intention Z dreierleiausführt:1) Die Ersetzung von P1 durch P2.2) Eine Folge von Z-orientierten Operationen an P2.3) Die Rückübertragung der Ergebnisse dieser Operationen aufP1.

k kann ein individueller Operator, ein Team oder ein Automatsein. Die Z-Orientierung der P2-Operationen ist z.B. über eineZielfunktion (Entscheidungsvariable, Nebenbedingungen) präzi-sierbar (lösungsorientiert) oder auch über eine Nutzung vonErkenntnissen der Modelldynamik zum Verständnis der Dynamik desOriginals (problemorientiert). Die Rückübertragung der Ergebnisseerfolgt durch eine sogenannte Reverse der Abbildung, diebestimmten Transferierungskriterien unterliegt. Bei technischenModellen sind dies z.B. Modellgesetze (Hooke, Reynolds, Cauchy,...), für die semantischen Modelle der Erfahrungswissenschaftenstehen andere Kriterien, z.B. solche der Falsifikation fürHypothesen und Theorien, zur Verfügung.

P1 P2U1 U2

O riginal

Abbildungsvorbereich

M odell

Abbildungsnachbereich

Abbildung

Abb. 2.9: Modellbildung (STACHOWIAK). P1 und P2 sindAttributklassen.

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen 165___________________________________________________________________________

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Die Modelltheorie ermöglicht u.a. den Umgang mit dem Problemder Abstraktion. Die Modellmethode (vgl. Georg KLAUS) beschreibtdie Modellerstellung durch iterative Angleichung von Modell undOriginal, wobei die Übereinstimmung mehr strukturell oder auchmehr qualitativ bestimmt sein kann. Abstraktionsart undAbstraktionsgrad müssen möglichst frei setzbar sein, um dasModell optimal nutzen zu können. Diese Flexibilität wirderreicht, indem Modelle und Originale als endliche Klassen vonAttributen (attributive Systeme) aufgefaßt werden. Die Not-wendigkeit der Strukturübereinstimmung im substantialistischenSinne erübrigt sich so.

O riginal M odellAbbildung

Theorie der M odellbildung

Abb. 2.10: Theorie der Modellbildung.

Die Modelltheorie ist Teil der ebenfalls von STACHOWIAKformulierten neopragmatische Erkenntnistheorie (SEIFFERT / RADNITZKY1989: 64-68). Die wichtigsten Aspekte sind:- Es gibt keine "objektive Erkenntnis an sich",- Subjektanteil, Erkenntnis und Ethik gehören zusammen,- Reflexion der Voraussetzungen von Forschung in Bezug auf dieGesellschaft.

Das Modellkonzept der Erkenntnis relativiert denAbbildgedanken der klassischen Erkenntnistheorie.Dementsprechend (STACHOWIAK 1978: 56) "ist alle ErkenntnisErkenntnis in Modellen oder durch Modelle, und jeglichemenschliche Weltbegegnung überhaupt bedarf des Mediums"Modell": indem sie auf das - passive oder aktive - Erfassenvon etwas aus ist, vollzieht sie sich relativ zu bestimmtenSubjekten, ferner selektiv - intentional selektierend undzentrierend - und in je zeitlicher Begrenzung ihres Original-Bezuges." Erkenntnis "... ist stets konstruktive, bewußt oderunbewußt: operationale, d.h. dem Antrieb von Motivenunterliegende, mehr oder weniger von zielorientierten

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Entscheidungen abhängige Erkenntnis." Erkennen und Handelnbilden eine Systemeinheit: "Erkenntnis- und Aktionssubjektesind ins Gesellschaftlich-Geschichtliche eingebunden, die Er-kenntnissysteme sind zu ihren Objektsystemen auf komplizierteWeise rückgekoppelt, beide sind zusammengefügt zu Megasystemeninnerhalb dynamischer Hierarchien." STACHOWIAKsErkenntnistheorie erweist sich als Konglomerat der ver-schiedensten Entwicklungsstränge. Die vier wichtigsten seienkurz genannt:Erste Entwicklungslinie: Der Empirismus mit der Betonung und Reflexiondes Subjektanteils am Erkenntnisprozeß und der Wechselbeziehungvon Experiment und mathematischem Modell. Ernst MACH etwabezeichnet naturwissenschaftliche Theorien als nachdenkökonomischen Prinzipien und letztlich zur Befriedigungmenschlicher Lebensbedürfnisse konstruierte Modelle "oberhalb"jener "Realität", die uns unsere Sinne vermitteln.Zweite Entwicklungslinie: Der Konventionalismus (in der Mathematikbezeichnet dies den Verlust der "Seinsverankerung" der Axiome)und Falsifikationismus (POPPERs "Methodologischer Falsifi-kationismus" / "Kritischer Rationalismus").Erfahrungswissenschaft wird dabei gesehen als letztlichhistorisch kontingentes Forschungsprogramm, innerhalb dessenbestimmte theoretische Kernstrukturen so lange wie möglichdurchgehalten werden, durch "negative Heuristik" gegenübereifrige "Falsifikation" geschützt. Progression geschiehtdurch "positive Heuristik", d.h. Modifikation derAusgangstheorien möglichst ohne Zerstörung ihrer stabilisieren-den Schutzfunktion. Man beachte die Parallelen zur Metaphorikder negativ und positiv rückgekoppelten Regelkreise. Offenbleibt das Wohin und Wozu der Theorieentwicklung.Dritte Entwicklungslinie: Der Pragmatismus (PEIRCE: Denken alsmögliches Handeln, DEWEY: Denken als Instrument humanerDaseinsbewältigung) und Neopragmatismus (DUHEM, QUINE). Außerdembeteiligt ist FEYERABENDs anarchische Erkenntnistheorie und KUHNsParadigmatischer Rekonstruktivismus, d.h. die Sicht vonWissenschaftsevolution als Abfolge von "normalen" und"revolutionären" Phasen.Vierte Entwicklungslinie: Die operationalen Wissenschaften derKybernetikbewegung: Spieltheorie, Entscheidungstheorie,Handlungstheorien, Planungswissenschaften, etc.

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen 167___________________________________________________________________________

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Theoriebildung als ModellbildungIm vorliegenden Zusammenhang ist wichtig: Die neopragmatischeErkenntnistheorie sieht Theorien als Modelle. (STACHOWIAK 1978: 62,63): "Systemtheorie tritt in dieser Konzeption sowohl als Werk-zeug erkenntnistheoretischer Modellierung wie auch alsspezielle Ausprägung der Modelltheorie auf." Die Abbildungen2.11 und 2.12 versuchen, dies zu illustrieren.

Praxis(existiert)

Theoriebildung Theorie(beschreibt / erklärt / verändert Wirklichkeit)

Abbildung

Systemmodellder Praxis

(vereinfacht Wirklichkeit)

unterstütztTheoriebildung

Abb. 2.11: Theoriebildung.

Ausgangspunkt ist die Dreierbeziehung Praxis - Theorie - System. DieFunktion der Theorie besteht in der Beschreibung, Erklärung,Begründung, Kritik und evtl. der Veränderung der Praxis. Diesystemtheoretische Abbild-Beziehung besteht zwischen der Praxisund dem System-Modell der Praxis.

Theoriebildung

Systemmodellder Wirklichkeit

Theorie

Wirklichkeit

Theorieder Modellbildung

Modell-bildung

Abb. 2.12: Theoriebildung als Modellbildung.

168 2 Ein neuer Ansatz__________________________________________________________________________________________

Die Praxis liefert das empirische Rohmaterial für dieKonstitution der Elemente der Theorie, die Theorie schafft eineWahrnehmungsperspektive für die Praxis. Angestrebt istBeschreibbarkeit der Praxis durch die Theorie. Die Beziehung Praxis<---> System steht hier im Zentrum des Interesses: Die Systemtheorieunterstützt die Theoriebildung. Erkenntnisse sind zu erwarten in demMaße, wie es gelingt, die Komplexität der Empirie in einemhandhabbaren System-Modell darstellbar zu machen. Ganzwesentlich ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob und inwie-weit auch qualitative Parameter sinnvoll quantifizierbar sind.Abb. 2.12 verdeutlicht, daß Theoriebildung auf diese Weise alsModellbildung verstanden werden kann. Das Verständnis vonTheoriebildung als immer genauerer Wirklichkeitsbeschreibungist unangemessen.

Die Zyklizität von Systembildung (VARELA, s.o.), Modellbildung(KLAUS, s.o.) und Theoriebildung (VON FOERSTER: Theorien alskommunikative Eigenwerte im Wissenschaftshandeln) lassen -metaphorisch - eine Darstellung als Hyperzyklus zu (Abb. 2.13).

Theorie

System(Wirklichkeit)

Modelltheorie

Systemmodell

Abb. 2.13: Systembildung, Modellbildung und Theoriebildung,modellhaft als Hyperzyklus.

Systembildung tritt auf, wenn ein zyklisch verknüpfter Prozeßselbstreferentieller Operationen sich schließt und gegen eineUmwelt abgrenzt. Ein Beobachter kann das Resultat mittels derUnterscheidung System / Umwelt beschreiben. Auch das Systemselbst kann ein solcher Beobachter sein. Systembildung,

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen 169___________________________________________________________________________

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Modellbildung und Theoriebildung sind vergleichbare Vorgänge. Sie sinddarüber hinaus zyklisch verknüpft.

System und Wirklichkeit

Die Auseinandersetzung mit systemtechnischen Ansätzen und vorallem die von vielen Praktikern und einigen Theoretikerngeweckten Erwartungen bezüglich ihrer potentiellen steuerndenund prognostischen Möglichkeiten zeigen, daß es erforderlichist, den Status des System-Ansatzes noch einmal genauer zubeleuchten. Dies geschieht zunächst durch exemplarische Stel-lungnahmen von Theoretikern und Praktikern zumWirklichkeitsbezug und zur Interpretation der von ihnenverwendeten System-Modelle. Im Kapitel 2.2 wird die Frage dannabschließend durch Bezug auf den konstruktivistischenErkenntnisbegriff behandelt. Dort wird der Zusammenhangzwischen Beobachterstandpunkt / Beobachterkompetenz / Beob-achterinteresse und den Systemklassen hergestellt. Die expliziteDarlegung dieser Beziehung zwischen Realität und Systemtheorieauf der Folie des konstruktivistischen Wirklichkeitsbegriffsist entscheidend zur Entwicklung eines nicht-realistischen (im Sinnevon Übereinstimmung) und "nicht-kybernetischen" (im Sinne des An-spruchs von Prognose- und Steuerungsfähigkeit) Systembegriffs.Insbesondere im Zusammenhang der Rede über Design (-Theorie)als System (-Theorie) ist es unerläßlich, das Verhältnis derBegriffe Realität und Wirklichkeit in ihrer Beziehung zumSystem-Begriff zu reflektieren.

Zunächst unabhängig von ontologischen Fragen zur Existenzund epistemologischen Überlegungen zur Erkennbarkeit einerobjektiven Realität ist die Frage: Gibt es in unserer UmweltSysteme, oder gehört grundsätzlich ein (mehr oder wenigerkontingenter) kognitiver, willensgesteuerter Akt der Beob-achtung (Unterscheidung und Bezeichnung) dazu, der Objekte un-serer Umgebung zu Systemen deklariert, sie damit auch bereitsbewertet? Diese Frage bezieht sich auf gegenständliche Systeme,solche aus unbelebten und belebten Dingen; ihre Beantwortungist jedoch nicht gleichbedeutend mit der obigen Unterscheidungzwischen gegenständlichen und gedanklichen Systemen. Die

170 2 Ein neuer Ansatz__________________________________________________________________________________________

Übergänge scheinen fließend zu sein: Am eindeutigsten erscheintdie Situation bei von Menschen gemachten materiellen,unbelebten Artefakten (Sachsystemen: Geräten und Maschinen). AlleElemente und Relationen sind hier explizit geplant, gemacht,kausal miteinander verknüpft. Bei den Dingen der unbelebten Naturist die Systemhaftigkeit in vielen Fällen ein kontingentes ge-dankliches Konstrukt, dessen Ausprägung vom wissenschaftlichenErkenntnisstand abhängt; die Systeme der atomaren und suba-tomaren Teilchen belegen dies exemplarisch. Im Falle vonOrganismen ist die Situation am eindeutigsten bei Tieren undMenschen, die sich in einer Umgebung relativ unabhängig bewegenkönnen. Bei Pflanzen erscheint es zwar immer noch einfach, aberschon nicht mehr ganz so trivial, als Beobachter die Grenze desSelbstorganisationssystems zu ziehen. Bei Ansammlungen vonOrganismen einer Art oder unterschiedlicher Arten erscheint eswieder zwingend, die Systemhaftigkeit nicht als Eigenschaft desObjekts, sondern als Zuschreibung durch Beobachteraufzufassen. Das "Ökosystem" Teich etwa ist eine Bezeichnungdes Beobachters "Ökologe" und es unterscheidet sich von derSicht des Jägers, des Wanderers oder des Botanikers; von derSicht des Frosches oder der Sicht des Straßenplaners ganz zuschweigen. Ein Extremfall sind menschliche Sozialsysteme, bei denendie Systemeigenschaft eindeutig vom Beobachter im Hinblick aufeinen Zweck gesetzt ist. Ein Individuum kann nacheinander odergleichzeitig mehreren unterschiedlichen Sozialsystemen angehö-ren. Es kommt hinzu, daß die Operation des Beobachtens das be-obachtete System zwangsläufig beeinflußt. Generell handelt essich um Beziehungen zwischen mehr oder weniger systemartigenGebilden der Wirklichkeit und eindeutig systemhaft konstru-ierten gedanklichen Gebilden. Lediglich die Systeme vonMathematik und Logik, so sagen die Formalisten und Logizisten,sind ganz ohne Gegenstandsbezug denkbar.

Es erscheint nach diesen Überlegungen also alltagssprachlichvertretbar, von "realen" Systemen zu sprechen, ihnen damit alsoauch so etwas wie "Systemhaftigkeit-an-sich" zuzusprechen.Allerdings bedeutet dies genaugenommen den (evtl. gar nichtmöglichen und damit nicht sehr sinnvollen) Grenzfall derinteresselosen Bezeichnung eines Dings der Umgebung ("Computer-system", "Flußsystem", ...). Jede zweck- oder erkennt-nisorientierte Befassung mit dem Gegenstand erfordert bereits

2.1 Systemtheorie als prozessualer Rahmen 171___________________________________________________________________________

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Abstraktion, Interpretation und Perspektivität, d.h.Modellbildung. Pragmatischer Zweck dieser Modellbildung(Systembildung) ist es, ein im Blick auf das Ziel derUntersuchung möglichst brauchbares Abbild der Realität zuentwickeln.

Hier geht es um Überlegungen zu einem System-Modell einer Design-Theorie. Die sorgfältige Klärung des Modellstatus ist Vor-aussetzung einer tragfähigen Theoriebildung. Es folgen einigeBeispiele, die diese Schwierigkeit illustrieren und die auchdie mehr oder weniger reflektierte Subjektivität jederModellbildung und Modellinterpretation verdeutlichen:

SEIFRITZ (1987), ein Systemtheoretiker aus dem Bereich derAtomenergie-Planung und Ökonomie, liefert eine gute Einführungin die mathematische Theorie nichtlinearer Systemdynamik. DieArbeit ist eingerahmt von Vor- und Nachworten, die denempfindlichen Status der Systemmodelle als allererste,vorsichtige Theorie-Versuche bzw. Wirklichkeitserklärungen kaumthematisieren, sondern ohne jedes erkennbare Zögern dieVerbindung von der Mathematik der Systemdynamik zurgesellschaftlichen Dynamik, etwa im Bereich Atomenergie-Ak-zeptanz, herstellen. Man beklagt die postmoderne"Entrationalisierung der Welt" im Kontext zunehmenderKomplexitäten und konstatiert die Diskrepanz zwischen"gesellschaftlicher Irrationalität" und dem Potential"wissenschaftlich stringenter Analyse": "Nach einerZeitepoche , die von der Aufklärung beeinflußt war und inwelcher das Denken als Vorzug und das Rationale als Aktivumtaxiert wurde, ist heute zur Kenntnis zu nehmen, daß in dieserneuen Welt das Irrationale seinen Platz hat und dem Emotionaleneine reale Funktion zuzubilligen ist." Man befürchtet dabei die"Gefahr, daß sich affektive Komplexitätsreduktionen, wie sie imverkürzten Problembewußtsein der Öffentlichkeit, z.B. in denMedien, reflektiert werden, in ihrem Selbstverständnis zur´Rationalität höherer Ordnung´ hochstilisieren, ..." Der Autorverkündet sodann das ehrgeizige Ziel, "die physikalischen undmathematischen Elemente zusammenzutragen, mit denen der Zugangzum Verständnis unserer immer komplexer werdenden Welt möglichwird." Ein sehr offener Satz dazu, der zum Gesamttenor nichtrecht paßt: "Der Hauptschrecken, den uns die Chaostheorie

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einjagt, wenn man dies einmal so salopp formulieren darf, istwohl der, daß wir Zweifel über die prinzipielle Berechenbarkeitvon bisher als deterministisch betrachteten Systemverhaltenhegen müssen; ja, daß wir in einer nichtlinearen Welt vonOrdnung und Chaos leben, deren Struktur wir noch nicht richtigkennen und in der Ordnung und Chaos möglicherweiseineinandergeschachtelte Gebilde sind. Ist dann beispielsweisedie Rationalität noch ein Leitfaden für planendes Handeln?"Abgesehen von diesem menschlich und wissenschaftlichsympathischen Anflug von Zweifel ist da jedoch durchgängig deranmaßende Anspruch der Wissenschaft, es wieder einmal besser zuwissen als die verwirrte, von den Medien verdummte"Öffentlichkeit", zu der man sich selbst natürlich nichthinzurechnet.

Unbestritten ist: Es gibt erste kleine Einsichten in dasfaszinierende Gebiet des deterministischen Chaos. AberChaostheorie, nichtlineare Systemdynamik sind erstmal nichtviel mehr als formale Kalküle. Dessen ungeachtet wird aberhier, dem Stil der populärwissenschaftlichen Darstellungen desThemas nicht ganz unähnlich, unmittelbar der Anspruch erhoben,damit Realität beschreiben und in Grenzen auch prognostizierenzu können. Man hat keine Probleme damit, von der Position derIngenieur- und Naturwissenschaften aus, die komplexe Dynamiksozialen Verhaltens als Irrationalität zu bezeichnen und den imSinne des Kalküls zunächst neutralen Begriff des Chaos damit zuverbinden. In der Folge ist es dann ganz einfach, durch gewagteInterpretation einer einfachen mathematischen Formel Rezeptezur Beseitigung des angeblichen gesellschaftlichen Chaosanzugeben.

Es fehlt hier offenbar die Einsicht, daß schon dieWeltwahrnehmung vielfältig vermittelt ist und es wird kaumreflektiert, daß auch die wissenschaftliche Modellbildunghochgradig perspektivische Interpretation und Wertung ist. DieArbeit ist ein Beispiel dafür, wie eine neue Denkweiseschlagartig ihren Reiz und ihre potentielle Kraft verliert,wenn man weiterhin meint, damit "Welt" objektiv abbilden, pro-gnostizieren und sogar steuern zu können. Hier trifft dieMahnung von LENK zu, der 10 Jahre früher zur kybernetischenSystemtechnik schon bemerkte (1978: 244): Es gilt "der nichtgrundlosen Befürchtung entgegenzuwirken, daß eine Systemideo-

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logie oder gar Ideologie der ´Systemtechnokratie´ propagiertoder mehr oder minder unbewußt verbreitet wird." Wenn man sieals Denkweise akzeptiert, die den aktuellen Stand unserer kogni-tiven und sozialen Weltkonstruktion widerspiegelt, dann könnteihr innovatives Potential genutzt werden. Etwa in dem Sinne,das soziale Chaos (das mit dem mathematischen vermutlich nichtszu tun hat) zu akzeptieren, die Grenzen der Steuerbarkeitderartiger Systeme zu akzeptieren und auf der Basis dieserEinsicht Handlungspläne zu gestalten, welcheAnschlußmöglichkeiten erweitern, Risiken vermindern, etc. Diesführt hin zum Verantwortungsbegriff des Radikalen Konstrukti-vismus.

BOSSEL (1989), ein Theoretiker aus dem Bereich der ökologischenSystemforschung, vertritt eine differenziertere Position alsder vorher erwähnte Autor. Er liefert zunächst eine System-definition , die sich weitgehend an das oben skizzierte SystemDynamics-Verständnis anlehnt. Er betont: Systeme werden im Zugeder Systemanalyse, beschrieben durch ein Modell. Ziel ist dieEntwicklung eines modellhaften Abbilds des realen Systems,dessen Verhalten dem des realen Systems möglichst nahe kommt.Jede Modellentwicklung ist notwendig selektiv und teilweisesubjektiv, wesentlich bestimmt durch den Modellzweck undgekennzeichnet von der Perspektivität der verwendeten Theorien.Ziel ist die Verwendung des Modells als ein gültiges Abbild desrealen Systems, innerhalb der durch den Modellzweck gezogenenGrenzen. Die Verhaltensweisen dynamischer Systeme sinddeterminiert durch die Systemstruktur, insbesondere sind diesRückkopplungsmechanismen. Dies bedeutet, daß die Strukturgültigkeitdes Modells eine wesentliche Voraussetzung der Brauchbarkeitist. Meist sind die genauen numerischen Werte von Parameternhierbei nicht entscheidend. Ausnahmen bilden allerdings Be-reiche, wo sie das Gleichgewicht interagierender Rückkopp-lungsschleifen verändern. D.h. die Betonung liegt - imGegensatz zu den verbreiteten zielorientiertensystemtechnischen Ansätzen - bei der Systemanalyse auf der Sy-stemstruktur und dem prozeßorientierten Systemverständnis undweniger auf der Datensammlung.

BOSSELs Ausführungen zur Verwendung von Systemmodellenrelativieren sehr stark die Ansprüche an die Modellierbarkeit

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der realen Systeme: der Modellzweck begrenzt den Anwen-dungsbereich! Ein dynamisches Systemmodell kann keine Prognosenfür die Zukunft liefern, sondern lediglich die Beschreibung desmöglichen Verhaltens in einem gegebenen Bereich von Bedingungen(Szenarios). Ein Systemmodell läßt sich als Labor verwenden (z.B.für Ökosysteme), die experimentelle Arbeit mit ihm kann zueinem besseren Systemverständnis führen. Der Modellbildungsprozeßist, so BOSSEL, für das Verständnis der Zusammenhänge oft wich-tiger als die Entwicklung eines quantifizierten Systemmodells.Er liefert damit wertvolle Hilfe für die Theorieentwicklung.

ROPOHL (1979: 90f), aus der Sicht der Techniktheorie undTechnikphilosophie, thematisiert die erkenntnistheoretischenSchwierigkeiten im praktischen Umgang mit der Systemtheorie. Erunterscheidet hier zwischen dem "objektsprachlichen" und dem"metasprachlichen" Systembegriff: in der objektsprachlichenVerwendung könne der Eindruck entstehen, es werde die wirklicheExistenz nicht nur der Objekte, sondern auch ihrerSystemhaftigkeit unterstellt. Er weist darauf hin, daß diematerialistische Erkenntnistheorie den Begriff in diesem Sinneverwendet. In der metasprachlichen Verwendung, die ROPOHLfavorisiert, bezeichnet System das theoretische Modell. Systemesind dann also keine Gegenstände der Erfahrungswelt, sonderntheoretische Konstruktionen, zu denen es jedoch "realeKorrelate" gibt. Er bezeichnet, im Sinne des kritischenRealismus, Systeme als "die theoretischen Werkzeuge ..., die esuns ermöglichen, die Erkenntnis der Wirklichkeit zuorganisieren." In diesem Sinne seien Systeme notwendigerweisealle abstrakt (im Sinne von Zeichen), die Rede von konkretenSystemen könne dann als "façon de parler" gesehen werden, dieeigentlich die jeweilige inhaltliche Interpretation des Sy-stemmodells meine. Er betont weiter, daß den Systemmodellenneben ihrer "theoretisch-virtuellen Existenz" auch ein "psycho-soziales ´Dasein´" zukomme, d.h. Theoriekonstruktion sei in so-ziale Praxis verwickelt und die kollektive "Definition derSituation" wirke als reale Bestimmungsgröße sozialer Prozesse.

LENK (1978) weist darauf hin, daß die traditionellenWissenschaftstheorien bisher dazu neigen, systemtheoretischeAnsätze für wissenschaftlich unbeachtlich zu erklären. Dieanalytische Wissenschaftstheorie beschränkt den Theoriebegriffauf Aussagenkomplexe mit Erklärungskraft, systemtheoretische

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Aussagen sind jedoch lediglich deskriptiv. Der kritischeRationalismus etwa spricht den systemtheoretischen Modellen dieErklärungsfähigkeit aufgrund ihrer Nicht-Falsifizierbarkeit ab.Systemtheorie ist, so LENK, - entsprechend ihren meisten,bisher vorgelegten Ansätzen - tatsächlich keine Theorie, d.h.keine substantive, nomologische Hypothesen umfassende,erfahrungswissenschaftlich erklärende Theorie. Vielmehr stelltsie zumeist operative Modelle, Formalisierungs- undKalkülisierungsinstrumente bereit, die instrumentellen Cha-rakter aufweisen zur Darstellung der erst zu lieferndeninhaltlichen Modellaussagensysteme oder der empirisch-wissenschaftlichen Theorien und die somit der diesbezüglichenErgänzung bedürfen. Systemtheoretische Ansätze haben es aus-schließlich mit Modellen und den Beziehungen zwischenverschiedenartigen Modellen zu tun. Jeglicher Isomorphismuszwischen Systemmodellen und unterstellten "konkreten Systemen"sollte, so LENK, vermieden werden. Es gilt höchstens die(metaphysische) Aussage, daß offenbar die Welt die Eigenschafthat, daß Systemmodelle, wissenschaftliche Verallgemeinerungen,Theorien usw. praktisch vielfach erfolgreich verwendbar sind.

Modellerstellung und Modellverifizierung (empirischeÜberprüfung) sind in der Systemtheorie bisher tatsächlich kaumvoneinander getrennt. Wissenschaftstheoretisch ist dies ein"teuflischer Regelkreis". Es ist falsch, Modell-Läufe undplausible Resultate als Test für das Modell und die system-theoretische Analyse zu bezeichnen, denn die in der klassischenWissenschaftstheorie geforderte (aber in dieser Strenge wohlkaum jemals durchgehaltene) Unabhängigkeit von Theorieentwurf,Theorieanwendung und Theorieüberprüfung ist dabei nicht gewähr-leistet. Diese heuristische Ausrichtung ist nach LENK diewesentliche methodologische Schwäche, aber auch Grund fürFruchtbarkeit und Vielfalt der Anwendungsmöglichkeiten in der"Interaktion" und im "Dialog" zwischen Systemanalytiker undModell. Die Antizipation zukünftiger Bedürfnisse und möglicherEreignisse bestimmt wesentlich den Modellbau. Dies führt zurSubjektivität jeder Zielplanung. Gerade die unorthodoxe(manchmal auch "unseriöse") Vermengung rechtfertigender Ar-gumentation mit der Modellentwicklung in interaktiven Simula-tionsverfahren sollte die Wissenschaftstheorie anregen, eine

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Methodologie solcher praktisch unerläßlicher Verfahren zu ent-wickeln.

Auf die "Begegnungschance" von Systemanalyse undWissenschaftstheorie wurde, so LENK, bisher nur von VONBERTALANFFY, BUCKLEY, LASZLO und VON FOERSTER hingewiesen.Einen weiteren wichtigen Ansatz zum Ausbau der BeziehungSystemtheorie - Wissenschaftstheorie stellt LUHMANNs"Wissenschaft der Gesellschaft" (1990) dar. Auch in dertraditionellen Wissenschaftstheorie verbreitet sich zunehmenddie Erkenntnis, daß selbst scheinbar rein formale Instrumente(Logik, Mathematik) nicht völlig unabhängig von systemhaftenBeziehungen zwischen dem handelnden Menschen, der zu"behandelnden" Umwelt und der organismischen (nervlichen) Ei-genausstattung gesehen werden können. Vgl. etwa die Positiondes "Intuitionismus" im "Grundlagenstreit" der Mathematik. Fürdie Grundlagendebatte über die Erkenntnis ist die nur sy-stemtheoretisch zu erfassende Wechselwirkung zwischen derEntwicklung der menschlichen Erkenntnisapparatur (Biologie) undder jeweiligen Umgebung (Erkenntnistheorie) heranzuziehen.Erforderlich ist eine neue pragmatische Wissenschaftsorien-tierung der Philosophie. LENK verweist in diesem Zusammenhangausdrücklich auf STACHOWIAKs Neopragmatische Erkenntnistheorie. MitHinweis auf LASZLO (1978), der die Systemsynthese als "dasBauen von Modellmodellen" kennzeichnet, bezeichnet LENK System-konzepte als "Prototypen von Modellkonzepten". Modellkonzeptesind hier auch als Theoriekonzepte zu verstehen. LENKsAusführungen entsprechen damit dem, was in Abb. 2.11 vermitteltwird.

Soweit einige Facetten zur Beziehung Realität - Theorie -System. Ob es reale Systeme gibt, ist offenbar nichtentscheidbar. Realität existiert, mehr ist dazu nicht zu sagen.Die Unterscheidung und Bezeichnung der Dinge der Welt istkognitive und soziale Konstruktion. Die Zuschreibung vonSystemhaftigkeit zu Elementen dieser so konstituiertenWirklichkeit ist ein weiterer intellektueller Schritt, der überdie einfache Beobachtung hinausgeht. Alle Systeme, sowohl"reale" als auch Systemmodelle sind also gedanklicheKonstrukte. Trotz dieser epistemologischen Übereinstimmung istes erforderlich, zu unterscheiden:

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Reale Systeme (wenn man denn an diesem unpräzisen undontologisch gefärbten Begriff festhalten will; genauer wäre:wirkliche Systeme) sind empirisch beobachtbar. Sie sind zum Teilauch herstellbar, etwa im Falle technischer Sachsysteme. Sie sindkontrollierbar und steuerbar, abhängig vom Grad ihrerSelbstorganisation. Vgl. hierzu ZIEMKE / STÖBER (1992), diedrei Typen von Systemen unterscheiden: kybernetische(regelbare) Systeme, selbstorganisierende Systeme(Randbedingungen sind setzbar), lebende Systeme. Sie betonen:"Der Preis für die Erfassung des Aspektes der Autonomie deslebenden Individuums ist der Verlust jeder unmittelbarenKontrolle." Sie konstatieren als praktisch-empirisches Problem,daß damit auf der Stufe der lebenden Systeme die Grenze desexperimentell-kontrollwissenschaftlichen Ansatzes erreicht sei.Dies bedeutet: Mit lebenden Systemen kann man kommunizieren,aber man kann sie nicht kontrollieren.

Systemmodelle von gegenständlichen oder nichtgegenständlichenObjekten sind stets gemacht (modelliert). Schon der Akt, sie zudenken, ist Modellierung. Oswald WIENER (1984) sagt: "Denkenist Simulieren." Die explizite Umsetzung von gedachtenSystemmodellen in Formalismen (mathematische Modelle) bedeutetin diesem Sinne, daß jedes Systemmodell dieser Art letztlichdeterministisch ist; zumindest gilt die sogenannte "schwacheKausalität" (gleiche Ursachen haben gleiche Wirkungen). Wenndies nicht so ist, dann war man nicht klar (logisch) in seinenGedanken oder hat Fehler bei der Abbildung gemacht. ZIEMKE /STÖBER: "Der Akt der theoretischen Modellierung scheint jedesautopoietische System als Objekt des Erkenntnisprozesses einesautopoietischen Systems (Erkenntnissubjekt) in ein allopoieti-sches (außengesteuertes, W.J.) System zu verwandeln." Dies läßtsich so interpretieren, daß der Unterschied zwischen"klassischen" / "kybernetischen" und "evolutionären" Systemenkein grundsätzlicher ist, sondern daß er in der Modellierungbegründet ist, daß es um das Ausmaß der Verfügbarkeit über Pa-rameter und Parameterbereiche geht. Der Unterschied im Sy-stemverständnis scheint eine Frage der Beobachtungsposition zusein, d.h. wie weit reicht die Steuerung / Kontrolle /Zielvorgabe durch den Beobachter?

Das kybernetische Systemverständnis zielt auf Kontrolle undSteuerung. Die Einflußnahme kann bis weit in den selbstorga-

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nisierenden Bereich hineinreichen (z.B. betriebliche Organisa-tion). Der Zweck ist Effizienz in einem klar definiertenquantitativen Sinn; er wird erkauft mit der Deformation desSystems, wie es "eigentlich" ist. Voraussetzung ist dieVerfügungsgewalt über die Elemente (im Fall einer Un-ternehmensorganisation etwa Individuen bzw. Aspekte von Indi-viduen), die das System konstituieren. Es wird, sobald Menscheninvolviert sind, immer ein Wechselspiel zwischen kybernetischenund selbstorganisierenden Prozessen stattfinden.

Das selbstorganisierende Systemverständnis zielt auf Beschreibung /Verstehen / Erklären, möglichst ohne das System dabei zu de-formieren. Die Grenzen sind oben deutlich geworden. Sie sindbeschreibbar über den Begriff des Beobachtungsstandpunktes, derim folgenden Kapitel, im Rahmen der erkenntnistheoretischenPositionsbestimmung, eingeführt wird.

Alle Systeme sind gedankliche Konstrukte, bezogen auf eineihrerseits in der Wahrnehmung konstruierte Wirklichkeit. IhreModellierung als kybernetisch oder evolutionär hat mit unseremErkenntnis- bzw. Zweckinteresse zu tun. Dies erfordert dieKlärung unserer Erkenntnisfähigkeit als Systembeobachter.

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Fazit 2.1: Die erweiterte Systemtheorie ist geeignet zurModellierung komplexer sozialer und technischer Systeme unddarauf bezogener Theorien. Die Trennung in "klassische" und"evolutionäre" Systeme ist hinderlich und überflüssig. ---> Wie ist mit der paradoxen Tatsache umzugehen, daß wirselbst (als lebende Systeme) mit dem Anspruch objektiverErkenntnis andere lebende Systeme beobachten (die wir selbstsein können bzw. von denen wir Teil sind)? Nötig ist eineErkenntnistheorie, die ihr eigenes Zustandekommen erklärt. Dieoperative Erkenntnistheorie ist ein derartiger Ansatz aus demForschungsfeld "lebende Systeme".

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2.2 Operative Erkenntnistheorie als Denkweise

Im deutschsprachigen Raum hat sich der von Ernst vonGLASERSFELD geprägte Begriff des "Radikalen Konstruktivismus"eingebürgert. Er bezeichnet den Theoriekomplex, der als"Operative Erkenntnistheorie" oder auch "second ordercybernetics" seit den 70er Jahren insbesondere am von Heinz VONFOERSTER geleiteten Biological Computer Laboratory der Uni-versity of Illinois / Urbana entstanden ist. Es gibt keinemonolithische Theorie, es handelt sich eher um ein noch rechtlockeres Theoriegemenge. Den wichtigste Komponente bildet MA-TURANAs und VARELAs biologische Theorie der Kognition. Einegute Übersicht über die Entwicklungslinien, eng angelehnt andie MATURANAsche Sicht, ist bei RUSCH (1987) zu finden.Generelle Grundannahme ist die operative und informationelleGeschlossenheit kognitiver und sozialer Systeme, d.h. dieZyklizität ihres Operierens und die Undurchlässigkeit für in-struktive Information von außen. Der System / Umwelt -Differenz und den System / Umwelt - Beziehungen kommt einezentrale Bedeutung zu. Eine notwendige Konsequenz der Geschlos-senheit ist die Modellierung von Kommunikation als interaktiverInformationsproduktion statt als Informationsübertragung. Diewesentliche Implikation dieser Annahmen besteht, so SCHMIDT(1992b), darin, "daß wir die Welt, in der wir leben, durchunser Zusammen - Leben konstruieren ... daß Beobachter undBeobachten allererst durch strikte Selbstreferentialität die-jenigen Konstellationen produzieren, die uns als ´Welt´ bewußtund kommunizierbar werden ...". Eine weitere Grundannahme istdie Ablehnung jeder Art metaphysisch oder transzendental be-gründeter Erkenntnistheorie, das Bestreiten der erkenntnis-theoretischen Relevanz einer ontologischen Darstellung derRealität. Eine Konsequenz angesichts der Abhängigkeit jeder Sy-stemoperation von voraufgegangenen Operationen besteht in derHinwendung zu einer "genetischen Theorie der Sinnkonstitution".Wahrheit wird in dieser Darstellungsweise zum "Eigenwert" so-zialer Handlungsprozesse, die mehr sind als bloße Zei-chenprozesse.

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Grundbegriffe

Die Darstellung der elementaren Grundlagen lehnt sich eng andie Begrifflichkeit von MATURANA (1985b) an, ohne dies jeweilsim einzelnen durch Zitate auszuweisen. Es ist zu beachten, daßsich sämtliche Ausführungen zunächst nur auf Organismen(lebende Systeme) beziehen und nicht auf andere Arten vonSystemen (etwa soziale Systeme). Der Ausgangspunkt seinerArbeit ist die Frage nach einer biologischen Erklärung des Phänomensder Kognition. Wirksames Handeln und erfolgreiches Verhaltengelten gemeinhin als Kriterien für funktionierende Kognition.Im Vordergrund stehen nicht Fragen nach Bedeutung, Information,Wahrheit, Sinn, sondern Fragen nach Mechanismen und Prozessen.Parallel dazu steht die erkenntnistheoretische Frage: Worinbesteht Erkennen und Wissen und wie erkennen und wissen wir?Dabei wird von Kognition bereits Gebrauch gemacht, d.h.Kognition ist Mittel und Gegenstand der Analyse. Die Zir-kularität im Vorgehen ist unvermeidbar: wir benutzen Spracheals Instrument, wir agieren als Beobachter, wir treffenUnterscheidungen und verwenden darauf basierende Be-schreibungen. Die elementaren Grundlagen biologischer Art inMATURANAs Theorie sind weitgehend akzeptiert. Die neuartige undnoch kaum anderweitig vorbesetzte Begrifflichkeit bietet sichan und wird ausgiebig genutzt zur Verallgemeinerung über dieGrenzen der (Neuro-) Biologie hinaus. Jenseits dieser engenGrenzen bestehen jedoch große Unterschiede und auchMeinungsverschiedenheiten zwischen MATURANA und seinen Anhän-gern und anderen Forschern. Dies zu berücksichtigen ist wichtigzum Verständnis der Aussagen über die "selbstorganisierenden"Systeme im vorangegangenen Systemtheorie-Kapitel 2.1.

Eine Einheit wird definiert durch ihre Unterscheidung von einemHintergrund. Einheiten sind einfach oder aus - vom Beobachterbestimmten - Komponenten zusammengesetzt. Diese Dualität vonGanzem und Teilen steht in Übereinstimmung mit demtraditionellen Systembegriff. Der Hintergrund - vergleichbardem Umweltbegriff - ist wie die Einheit ausgestattet mit denEigenschaften, die von den sie trennenden Un-terscheidungsoperationen durch einen Beobachter spezifiziert

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werden. Der Beziehung Einheit - Umwelt wird, im Gegensatz zumtraditionellen Systembegriff, hier ein wesentlich höheresGewicht eingeräumt. Sie ist kein störender Randeffekt mehr,sondern sie ist konstitutiv für die Existenz des Systems. DerBegriff Organisation bezeichnet die Beziehungen zwischenKomponenten, die eine zusammengesetzte Einheit als Einheiteiner bestimmten Klasse definieren. Struktur kennzeichnet dietatsächlichen Bestandteile und Beziehungen, die eine bestimmtezusammengesetzte Einheit zu einem konkreten Fall einerbestimmten Klasse von Einheiten machen. Dies bedeutet, daß dieKlassenidentität unverändert bleibt, solange die Organisationunverändert bleibt. Eine zusammengesetzte Einheit kann struk-turelle Veränderungen ohne Verlust der Klassenidentitätdurchmachen; dies wird als strukturelle Plastizität bezeichnet. Raumschließlich wird durch die Eigenschaften einer Einheit alsderjenige Bereich festgelegt, in dem die Einheit ausgegrenztbzw. unterschieden werden kann.

Dies führt zum Begriff der strukturdeterminierten Systeme: AlleVeränderungen, die ein lebendes System durchmacht, sind durchseine reale Struktur, die als Verkörperung seiner Organisationaufzufassen ist, determiniert. Interaktionen mit anderenSystemen sind auf diese Weise lediglich Auslöser fürStrukturveränderungen des Systems, "instruktive" Interaktionenfinden nicht statt. Strukturveränderungen, die die Organisationdes Systems derart verändern, daß sich die Klassenidentitätwandelt, zerstören das System. Der darauf aufbauende Schritt:Lebende Systeme sind autopoietische Systeme im physikalischen Raum.MATURANA definiert den Begriff wie folgt (1985c: 245): "Es gibteine Klasse dynamischer Systeme, die - als Einheiten -verwirklicht werden als Netzwerke der Produktion (undAuflösung) von Bestandteilen, welchea) durch ihre Interaktionen in rekursiver Weise an derVerwirklichung des Netzwerks der Produktion (und Auflösung) derBestandteile mitwirken, das sie selbst erzeugt, und welcheb) durch die Festlegung seiner Grenzen eben dieses Netzwerk derProduktion (und Auflösung) von Bestandteilen als eine Einheitin dem Raum konstituieren, den sie bestimmen und in dem sieexistieren." Autopoietische Systeme- sind strukturdeterminierte Systeme,- sie produzieren, erhalten und reproduzieren sich selbst,

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- sie konstituieren ihre Systemgrenzen,- sie konstituieren sich im Raum,- ihre Tätigkeiten stehen im Dienste der Autopoiese,- als dynamische Systeme unterliegen sie ständigemstrukturellem Wandel,- sie operieren als geschlossene Systeme, die nur Zustände derAutopoiese erzeugen.

In dem rekursiven permanenten Prozeß der Selbst-Produktionder eigenen Bestandteile stabilisiert ein autopoietischesSystem die eigene Organisationsform und in der Konstitution alsunterscheidbare Einheit im Raum bestimmt es seine Grenzen nachaußen.

Das Nervensystem wird analog eingeführt als ein Netzwerk voninteragierenden Neuronen, in dem jeder Zustand relativerneuronaler Aktivität zu einem anderen, neuen Zustand relativerneuronaler Aktivität führt. Das Nervensystem erweitert denkognitiven Bereich des lebenden Systems, indem es Interaktionenmit "reinen Relationen" ermöglicht. Dies bedeutet: es entstehenkognitive Bereiche innerhalb kognitiver Bereiche innerhalbkognitiver Bereiche usf. Das Nervensystem arbeitetnotwendigerweise so, daß es Beziehungen zwischen neuronalenAktivitäten erzeugt, die der Autopoiese des lebenden Systemsdienen; andernfalls würde das lebende System zerfallen (geradedieser Punkt der MATURANAschen Theorie ist vielfach kritisiertworden, denn zumindest das Gehirn des Menschen ist in der Lage,bis zur Konsequenz der Selbstvernichtung gegen seinen eigenenbiologischen Körper, von dem es organisch abhängt, zu operie-ren. Vgl. etwa ROTH (1987a,b) weiter unten.). Das Nervensystemoperiert wie der Gesamt-Organismus als geschlossenes System. Eserzeugt nur Zustände ein und derselben Art, nämlich Zuständerelativer Aktivität zwischen seinen neuronalen Bestandteilen(Nervenzellen, Sensoren, Effektoren). Eine für die gesamteTheorie und die erkenntnistheoretischen Folgen entscheidendeFeststellung: Es besitzt keine Input-Output-Oberflächen imSinne der Informationstheorie; diese werden erst vom Beobachterbestimmt, der das Nervensystem "öffnet", indem er Perspektivenfür seine Beschreibung der Operation des Systems in einemMedium spezifiziert. Die von den Sinnesorganen an das Gehirnweitergeleiteten Signale als solche sind unspezifisch.Sensorium und Motorium sind überdies verkoppelt, d.h. jeder

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Aktivitätswandel an einer Effektoroberfläche führt zu einemAktivitätswandel an einer Sensoroberfläche und umgekehrt. Fürden Beobachter wird die Verbindung zwischen Effektor- undSensoroberflächen hergestellt durch das, was dieser alsUmgebung der Einheit sieht.

Das Medium einer Einheit (auch als Nische bezeichnet) wirddurch die Einheit selbst als der Bereich definiert, in dem sieals Einheit operiert und interagiert. Die Nische einer Einheitwird definiert durch die Klassen von Interaktionen, in die derOrganismus eintreten kann. Ein Beobachter kennzeichnet, wiebereits erwähnt, eine Einheit durch eine Unterschei-dungsoperation. Er hat dabei nicht notwendig Zugang zu demMedium, in dem die Einheit operiert. Der Bereich, in dem einBeobachter eine Einheit bestimmt, wird deshalb nicht alsMedium, sondern als Umgebung bezeichnet. Sie ist definiertdurch die Klassen von Interaktionen, in die der Beobachtereintreten kann. Medium und Umgebung überlappen sich, ohne daßdie Umgebung im Medium notwendigerweise enthalten ist. DasAusmaß der Überlappung ist abhängig davon, wie weit Beobachterund Organismus vergleichbare Organisationen besitzen. Konkretbedeutet dies: Ich kann zwar die Umgebung einer Ameisevollständig beschreiben, nicht aber ihr Medium.

MATURANA setzt Kognition = Leben und meint damit: ErfolgreichesVerhalten ist die Realisierung der Autopoiese des lebendenSystems in einem Medium. Diese sehr pauschale Aussage trifftwieder auf die oben bereits erwähnten Einwände hinsichtlich derunzureichenden Trennung organischer und neuronaler Vorgänge.Eine der den Menschen betreffenden Konsequenzen der Theorie be-steht darin, daß wir Wahrnehmungen nicht unmittelbar selbstwahrnehmen können, weil wir Wahrnehmungen sind.

Die Frage nach dem wie und warum erfolgreichen Verhaltensführt zum Begriff der strukturellen Kopplung. Die strukturellePlastizität einer Einheit erlaubt Zustandsveränderungen, derenzulässiger Bereich durch die Struktur selbst festgelegt ist,nicht durch das Medium, in dem sie operiert. Das Medium kannein strukturell plastisches System nur stören, im Sinne einerPerturbation. Es kann eine Zustandsänderung auslösen, diese abernicht spezifizieren. Daraus folgt eine begrenzte strukturelleÜbereinstimmung zwischen Einheit und Medium, die vom Beobachterals strukturelle Kopplung oder Anpassung an die Umgebung be-

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zeichnet wird. Die Ursachen des Anpassungsphänomens liegen inder Phylogenese und der Ontogenese des lebenden Systems. Derphylogenetische Aspekt: Die Fortpflanzung erzeugt Möglichkeitenzur unterschiedlichen Realisierung der Nachkommenschaft, sieläßt Spielräume für strukturellen Wandel (über längereZeitspannen: "structural drift"); ein Beobachter nennt diesEvolution. Vorgänge dieser Art führen zur Entstehung von "In-stinkt". Der ontogenetische Aspekt bezieht sich auf dieindividuelle Geschichte der strukturellen Veränderungen.Stattfindende Störungen sind determiniert durch die Strukturdes Mediums, sie selegieren den Verlauf der folgenden struktu-rellen Veränderungen, ohne den strukturellen Wandel jedoch zuspezifizieren. Was ein Beobachter sieht, ist entwedererfolgreiches Operieren oder Zerfall. Ein in der Beobachtungals zunehmend erfolgreich erscheinendes Operieren wirdgemeinhin als "Lernen" bezeichnet.

Der Terminus der operationalen Rekursivität dient zur Erklärungder Veränderungen, die stattfinden, wenn in einem Organismusein Nervensystem vorhanden ist. Das Nervensystem als ge-schlossenes neuronales Netzwerk erlaubt, daß die Konfigurationder inneren Zustände einer Einheit auch wie ein Teil desMediums operieren kann, in dem die Einheit existiert, d.h. dieEinheit kann mit ihr interagieren. Es findet dann strukturelleKopplung mit den eigenen Zuständen statt. Aus der operationalenRekursivität ergeben sich wichtige Folgerungen: Wahrnehmung: Die Dynamik der Zustände eines Nervensystemsbesteht in einem kontinuierlichen Fluß wechselnder Beziehungenneuronaler Aktivitäten, der moduliert wird durch Störungen ausdem Medium. Aus der Beobachterperspektive konstituiert dieAbgrenzung des Bereichs der Störungen des Nervensystems, deroperational gesehen durch die Interaktionen des Organismus mitseiner Umgebung stattfindet, den Wahrnehmungsbereich desOrganismus. Wahrnehmung gehört als Phänomen damit zum Bereichder Beschreibungen, die ein Beobachter festlegt.Wiederholung: Schreiben, essen, philosophieren, etc. sind für dasNervensystem nur verschiedene Wege der Veränderungen vonBeziehungen zwischen neuronalen Aktivitäten im Dienste derAutopoiese. Es handelt sich immer um den gleichen Vorgang:Unterscheidungen zwischen Relationen relativer neuronalerAktivitäten durch Beziehungen zwischen relativen neuronalen

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Aktivitäten usw. usw. in potentiell unendlich rekursiver Weise.Ein Beobachter kann Wiederholungen im Bereich der Interaktionendes Organismus feststellen. Dies führt zur Bezeichnung lebenderSysteme als lernender oder folgernder Systeme ("inferentialsystems").Repräsentation: Die operationale Wiederholung von Unterscheidungenim Interaktionsbereich des Organismus kann einem Beobachter alseine Wiederholung in einem dem Organismus eigenenRepräsentationsbereich erscheinen. Er registriert eine"Kausalität" von Aktionen und Reaktionen, so als ob dasNervensystem wiederverwendbare Repräsentationen (vonRepräsentationen) von einer unabhängigen Umwelt anfertigte. DerOrganismus selbst verhält sich jedoch stets in der Gegenwart;"Zeit", "Erinnerung", "Gedächtnis" konstruiert der Beobachter.Wahrheit und Falschheit: Die Begriffe haben nur Sinn imReferenzbereich, der von einem Beobachter festgelegt wird.Falschheit läßt lediglich auf Unterschiede in der strukturellenKopplung zwischen Beobachter und beobachtetem Organismusschließen.

Als Geltungsbereich der Theorie reklamiert MATURANA (1990)zunehmend das gesamte Spektrum lebender Systeme vom Einzellerbis zum Wissenschaftler. Die Implikationen reichen bis weit inden ethischen und philosophischen Bereich hinein, etwahinsichtlich Kreativität und Freiheit: Wir sind determinierte Systeme,also sind Kreativität und Neuheit keine Merkmale unsererOperationen, sondern wir stellen sie als Beobachter fest. Neu-heit und Kreativität sind daher in lebenden Systemen immer dasErgebnis ihrer Interaktionen außerhalb ihrer Bereiche struktu-reller Kopplung und ereignen sich als solche nur für den Beob-achter, falls er andere Voraussagen gemacht hat. Daraus folgt,daß strukturelle Kopplung notwendigerweise eine Reduktion vonKreativität zur Folge hat. Als menschliche Beobachter habenwir, so MATURANA, jedoch einen Ausweg: Genau die Bedingung, dieuns zu Beobachtern macht, nämlich unser Operieren in einemsprachlichen Bereich, der uns die Erzeugung vielstufigerMetabereiche von Beschreibungen erlaubt (Autopoiese ->Interaktion -> Kommunikation -> Sprache -> Kreativität).

Noch weitergehend sind seine Anmerkungen zum Thema Ethik undLiebe: Als lebende Systeme existieren wir in vollständiger

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Einsamkeit innerhalb der Grenzen unserer individuellen Auto-poiese. Durch konsensuelle Bereiche (siehe unten) ist es jedochmöglich, gemeinsame Welten zu schaffen. Dies ermöglicht Selbst-Beschreibung und Selbst-Erkenntnis in einem metadeskriptivenBereich, in dem wir Objekte unserer Beschreibungen sind. Dazubrauchen wir den anderen, denn wir können uns selbst nur in denSpiegelungen eines konsensuellen Bereiches sehen. Spätestens andieser Stelle setzt dann auch zu Recht massive Kritik an: KÖCK(1990) betont, daß Aussagen dieser Art, die in den Bereich vonKultur und Ethik reichen, sich nicht aus der biologischenTheorie ergeben, sondern daß es sich dabei um persönlicheInterpretationen, um "Leerformeln" handelt. Die folgendenAusführungen sind daher zwar noch an MATURANA angelehnt,beziehen jedoch auch das theoretische Umfeld wieder ein.

Die operative Erkenntnistheorie basiert auf MATURANAsbiologischer Theorie der Kognition (Konzept der Autopoiese).Diese bezieht sich auf lebende Systeme, bestehend ausOrganismus und Nervensystem. Organismen sind operationellgeschlossen, ihr Verhalten ist strukturdeterminiert.Nervensysteme sind informationell geschlossen, sie sind von außennicht instruktiv beeinflußbar, sondern lediglich perturbierbar.

Sprache und Kommunikation

Es folgt eine kurze Darstellung des konstruktivistischenKommunikationsbegriffs und seiner Interpretation, Kritik undErweiterung. Basis ist wieder die rekursive Geschlossenheitaller Prozesse. Das folgende Zitat stammt aus dem "Baum der Er-kenntnis" (MATURANA / VARELA 1987: 212), einer populärenDarstellung der Biologie der Kognition: "Jede Person sagt, wassie sagt, und hört, was sie hört, gemäß ihrer eigenenStrukturdeterminiertheit; daß etwas gesagt wird, garantiertnicht, daß es auch gehört wird. Aus der Perspektive einesBeobachters gibt es in einer kommunikativen Interaktion immerMehrdeutigkeit. Das Phänomen der Kommunikation hängt nicht vondem ab, was übermittelt wird, sondern von dem, was im Empfänger

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geschieht. Und dies hat wenig zu tun mit ´übertragener Infor-mation´."

Zunächst weiter mit MATURANA (1985b): Konsensuelle Bereiche sindBereiche koordinierten Verhaltens, die zwischen Organismen alsErgebnis ihrer ontogenetischen, reziproken strukturellenKopplung entstehen. Es sind verschiedene Stufen der Verhaltens-koordination unterscheidbar: Zunächst einfache Interaktionen, etwaKampf oder Paarungsverhalten von Tieren. Orientierungsinteraktionensind Interaktionen mit Repräsentationen von Verhalten, z.B.Gestik oder Mimik, die etwas be-deuten. Sie begründen bereitseinen sprachlichen Bereich und bilden die Voraussetzung fürKommunikation. Für einen Beobachter scheinen die kommu-nizierenden Organismen mit konsensuellen (gemeinsamen)Repräsentationen zu arbeiten. Ein Bereich, der rekursiveBeschreibungen von Beschreibungen erlaubt (Repräsentationen vonRepräsentationen von Verhalten), wird als Sprache bezeichnet.Sprache wird hier verstanden als System kommunikativerBeschreibungen, um einander auf Klassen von Interaktionen hinzu orientieren, die für beide relevant sind. Eine Beschreibungin diesem Sinne ist nicht eine Beschreibung von Etwas, sondernein Verhalten in einem konsensuellen Bereich, in dem dieBeschreibungen lediglich Operationen innerhalb des konsen-suellen Bereichs konnotieren. Auch Selbst-Beschreibung alsOperation der Erzeugung von Ich-Bewußtsein ist von dieser Art.Denken schließlich ist Interaktion mit internen Zuständen, alsob diese unabhängige Größen wären. Damit ist Denken im Prinzipunabhängig von Sprache, beim Menschen jedoch kaum von ihrtrennbar.

Beobachter sein bedeutet, in einem metasprachlichen Bereichoperieren und Unterscheidungen von Unterscheidungen machenkönnen. Ein menschlicher Beobachter kann im Prinzip immer einenmetadeskriptiven Bereich im Bezug auf seine gegenwärtigenUmstände definieren und so operieren, als wenn er im Verhältnisdazu extern wäre (1985b: 54): "Wenn ein Organismus einekommunikative Beschreibung erzeugen und dann mit seinem eigenenAktivitätszustand interagieren kann, der diese repräsentiert,und somit eine andere derartige Beschreibung erzeugt, welche aufdiese Repräsentation hin orientiert ... usw., so kann dieserProzeß im Prinzip in einer potentiell unendlich rekursivenWeise weitergeführt werden ... Wenn sich ein solcher Beobachter

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weiterhin durch Orientierungsverhalten auf sich selbstorientieren und dann kommunikative Beschreibungen erzeugen kann,die ihn selbst auf seine Beschreibung dieser Selbstorientierunghin orientieren, so kann er, indem er dies rekursiv fortsetzt,sich selbst als sich selbst beschreibend beschreiben usw. ohneEnde. Damit erzeugt sprachliche Äußerung durch kommunikativeBeschreibung das scheinbare Paradox der Selbstbeschreibung:(Ich-)Bewußtsein, d.h. einen neuen Interaktionsbereich."

MATURANA unterscheidet Beschreibung 1. Ordnung("BESCHREIBUNG") und 2. Ordnung ("Beschreibung"). (Dietypografische Unterscheidung taucht in neueren Arbeiten nichtmehr auf.) Beschreibung 1. Ordnung meint das Verhalten desOrganismus als Aktualisierung seiner Nische. Für einenBeobachter ist das Verhalten eine Beschreibung 2. Ordnung, diedas repräsentiert, was sie seiner Auffassung nach denotiert.Die LUHMANNsche Begrifflichkeit scheint, um eine Ebeneangehoben, hieran angelehnt. Er unterscheidet die "Beobachtung1. Ordnung" ("Beobachtung einer Operation", z.B. Beobachtungder Veränderung von Symbolen oder Zeichen physikalischer Art ,etwa in einem formalen System der KI) von der "Beobachtung 2.Ordnung" ("Beobachtung einer Operation als Beobachtung").

Beobachter und Sprache sind generiert durch die sprachlicheBeschreibung lebender Systeme und ihrer Operationen. Imunmittelbaren sprachlichen Prozeß ist Sprache, so MATURANA, in-haltsloses konsensuelles Verhalten, dessen Gültigkeit undBedeutung sich allein seiner Konsistenz innerhalb eineskonsensuellen Bereichs verdankt. Objektivität und objektivesWissen als Beschreibung von Etwas gelten nach wie vor alszentraler Anspruch von Wissenschaft. Objektivität (in bezug aufden Inhalt von Sprache) existiert jedoch nur als Relation, diein einem metasprachlichen Bereich bestimmt wird. Diese Aussagegilt für jede Stufe von Sprache / Metasprache. Die Logik derBeschreibung ist die Logik des beschreibenden (lebenden)Systems (und seines kognitiven Systems). Mit Spracheinteragieren wir demnach in einem Bereich von Beschreibungen,in dem wir notwendigerweise auch dann verbleiben, wenn wir überdie Welt oder über unser Wissen darüber Behauptungenaufstellen. Wir operieren als Beobachter in vielenverschiedenen kognitiven Beschreibungsbereichen. Jederkognitive Bereich konstituiert einen geschlossenen Bereich von

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Beziehungen oder Interaktionen, der durch Merkmale innerer Kon-sistenz definiert wird. Bei allen diesen Bereichen(Wissenschaft, politische Doktrinen, Religionen, Kunst, etc.)neigen Beobachter dazu, sie als "Wissen" zu bezeichnen. Als Be-obachter können wir immer einen metakognitiven Bereichfestlegen, von dessen Standpunkt aus wir dazu extern sind, weilin unserem Nervensystem alles in demselben Phänomenbereichgeschlossener Relationen der relativen neuronalen Aktivitätengeschieht.

Ein weiterer Aspekt des Radikalen Konstruktivismus: Beobachteragieren in zwei überschneidungsfreien Phänomenbereichen. Als lebendeSysteme (intern) im Bereich der Autopoiese, als Beobachter(extern) in einem konsensuellen Bereich, der nur als einkollektiver Bereich existiert, der durch die Interaktionenmehrerer Organismen bestimmt wird. SCHMIDT (1987b) unter-scheidet den internen Beobachter: dieser hat unzweifelhafteGewißheit, daß er existiert und Subjekt von Wahrnehmungs- undDenkakten ist, er stellt fest, daß es außerhalb von ihm eineWelt gibt (zu der auch sein Körper gehört), die er mit seinenSinnesorganen erfaßt, und den externen Beobachter: dieserbeobachtet Organismen und deren Umwelt (dazu kann er auchselbst gehören) und bezeichnet deren Interaktionen als"Verhalten", in dem er Gesetzmäßigkeiten festzustellenversucht. Er kann über "innere Zustände" nichts Verläßlichessagen, denn beide Beobachtungsbereiche sindüberschneidungsfrei. Es wäre demnach z.B. prinzipiell nichtmöglich, festzustellen, wie aus physiologischen Vorgängen"Empfindungen" werden.

Die von MATURANA, trotz seiner klaren Unterscheidung dieserbeiden Phänomenbereiche, vorgenommene weitgehendeGleichbehandlung der Bereiche Autopoiese (Leben) und Kognitionwird von ROTH (1987b) kritisiert: Kognition, so betont er,insbesondere die Selbst-Beschreibung ist mehr bzw. istqualitativ anders als Autopoiese. Das kognitive System desGehirns setzt einen autopoietischen Organismus als "Wirt"voraus. Dieser Organismus ist materiell und energetisch von derUmwelt abhängig und deshalb nur relativ autonom. Er ist ange-wiesen auf hochspezifische, invariante biochemische Prozesse.Der größte Teil des menschlichen Gehirns dagegen ist nicht

2.2 Operative Erkenntnistheorie als Denkweise 191___________________________________________________________________________

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unmittelbar mit der Lebenserhaltung befaßt, sondern ist "frei"für Wahrnehmungs- und Denkprozesse, die auch lebensbedrohendsein können. Diese Unspezifizität und Variabilität des Nerven-systems ermöglicht erst die kognitive Leistungsfähigkeit.Selbst-Beschreibung ist, so ROTH, nur möglich, weil daskognitive System gerade nicht autopoietisch ist, das KonstruktBeobachter (Selbst-Beobachter) ist Folge der Transzendierung derautopoietischen Organisation des Organismus. Für das Bewußtseinist der Körper Umwelt. Die Einheit Mensch wird, als nicht sy-stematische Einheit, Einheit erst für einen Beobachter. Ebensoerscheint ROTH die enge Verbindung von biologisch-organischerAutopoiese (Selbstherstellung, Selbsterhaltung) mit äußererNicht-Steuerbarkeit problematisch. Rein lebenserhaltendeFunktionen, so sein Einwand, seien häufig sehr wohl steuerbar.Wenn autopoietische Systeme dies praktisch vielfach nicht sind,dann weil sie sehr komplex sind. Hochentwickelte kognitiveStrukturen (Gehirne) sind dagegen in der Tat (mit großerWahrscheinlichkeit gilt dies grundsätzlich) nicht steuerbar.Das folgende Zitat macht seine Position sehr deutlich (1987b:275): "Das materielle, reale Gehirn, als Teil des autopoieti-schen Organismus, schafft sich durch Selbstbeschreibung undSelbstexplikation eine eigene Welt, nämlich die Wirklichkeit,in der wir leben und deren Teil wir -als Zustand der Selbstbe-schreibung unseres kognitiven Systems- selbst sind. Wir habenes hier also durchaus mit einem ontologischen Sprung zu tun,nämlich dem Sprung von der materiellen Realität, die unskognitiv unzugänglich ist, zur kognitiven Wirklichkeit, die füruns die einzig existierende Welt ist. ... Kognition ...konstituiert einen grundsätzlich neuen Seinsbereich ... . Diesist der Grund dafür, daß für Wahrnehmung und Denken nicht dasgilt, was wir "Naturgesetze" nennen. Niemand wird ernsthaftbehaupten wollen, die Erhaltungssätze und das Kausalprinziphätten für meine Wahrnehmung oder für mein Denken und meine Ge-fühle Geltung, obwohl sie allem Anschein nach durchaus für dasGehirn als ein materiell-energetisches System Geltung haben."Er unterscheidet sehr klar (1987b: 284) die drei BereicheAutopoiese (biologisches System, "außen"), Kognition (psychischesSystem, Konstitution von Wirklichkeit, "innen") undKommunikation (soziales System). Für kognitive Systeme (imGegensatz zu MATURANA) und soziale Systeme (im Gegensatz zu

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LUHMANN) schlägt ROTH den Oberbegriff der Selbstreferenz an Stellevon Autopoiese vor. Selbstreferenz sei notwendig, aber nichthinreichend für Autopoiese.

Weiterführende Theorieansätze finden sich z.B. bei SCHMIDTin Richtung Literatur- und Medientheorie, bei MÜLLER inRichtung Handlungstheorie, bei LUHMANN in Richtung Soziologieund Wissenschaftstheorie. Der letztere präzisiert den von ihmals unzureichend bezeichneten Kommunikationsbegriff desRadikalen Konstruktivismus, vgl. Kap. 3.1.

Sprachliche Kommunikation ist zunächst inhaltsloses Operierenstrukturell gekoppelter Organismen in einem konsensuellenBereich. Die Operation der Beobachtung von Operationen er-möglicht die Konstruktion metadeskriptiver Bereiche in bezug aufdieses aktuelle Operieren. Ein Beobachter kann damit so tun, als ober dazu extern wäre. In der Folge ist es möglich, demkommunikativen Verhalten Bedeutungen zuzuschreiben.

Beobachtung, Erkenntnis und "blinder Fleck"

Es folgt nun die weitere Präzisierung des Begriffs der Beobach-tung. Die besonderen Phänomene, die sich beim Beobachten vonBeobachtungen ergeben, sollen behandelt und einige erkenntnis-und wissenschaftstheoretische Aspekte und Folgerungenbeleuchtet werden. Bedeutsam ist die Verbindung zur so-ziologischen Systemtheorie, die abschließend hergestellt wird.

Die Erkenntnis, daß selbst in den Naturwissenschaften"objektive" Weltbeschreibungen nicht möglich sind, sondern jedeBeobachtung perspektivisch ist und überdies das Beobachtetebeeinflußt, ist zwar verbreitet, wird in ihren Implikationenaber selten zur Kenntnis genommen. Fragen nach dem Verhältnisvon Erkenntnis und Gegenstand, dem Bezug des Ausdrucks Wahrheit(was sie bezeichnet und was ihr Maßstab ist), dem Verhältnisvon Alltagswissen und wissenschaftlichem Wissen gelten meistals unerlaubte Zirkelschlüsse: Begriffe und Theorien dürfen inihrem eigenen Objektbereich nicht wieder vorkommen. Heinz VONFOERSTER (1985a, 1981) bezeichnet die Anwendung einer Funktion,

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einer Beobachtung oder einer Theorie auf sich selbst - ohnenegative Wertung - als "autologischen Schluß". Eine Theorie dermenschlichen Kognition sollte, so VON FOERSTER, in der Lagesein, ihr eigenes Zustandekommen zu erklären. Für Disziplinenwie Soziologie, Psychoanalyse, politische Ökonomie und auchDesign ist der reflektierte und produktive Umgang mit diesenSituationen zur Vermeidung von Dogmatismus und Ideologie vongroßer Bedeutung.

Entwerfen als das handelnde und denkende Gestalten von Weltbestimmt den Rahmen, in dem weiteres Handeln und Denkenstattfindet usf. im endlosen Zirkel. Wir brauchen alsoDenkweisen, die den Umgang mit Selbstreferenz zulassen. Aus-gangspunkt ist ein sehr formaler Begriff des Beobachtens alsOperation des Unterscheidens und Bezeichnens.

Zunächst wieder MATURANA (1985c: 240) zum Begriff desBeobachtens: "Ein Beobachter ist ein Mensch, ein lebendesSystem, das Beschreibungen anfertigen und bestimmen kann, waser als von ihm verschiedene Einheit abgrenzt ... und er istimstande, so zu operieren, als ob er sich außerhalb derUmstände bewegte (also verschieden von ihnen wäre), in denen ersich befindet. Alles was gesagt wird, wird von einem Beobachterzu einem anderen Beobachter gesagt, der er selbst sein kann."Er beschreibt die prinzipiell unendliche Rekursivität des Beob-achtens (von Beobachtungen (von Beobachtungen ( von B...))).Dies muß präzisiert werden.

VON GLASERSFELD (1987b) betont das aktive, pragmatischhandelnde, die Welt, das Selbst und die Anderen erzeugendeElement dabei und unterscheidet zwischen Fremdbeobachtung undSelbstbeobachtung. Mit deutlicher Bezugnahme auf PIAGETsgenetische Theorie der Kognition bemerkt er, es gebe keinentriftigen Grund anzunehmen, daß unsere Erfahrung mitvorgefertigten Gegenständen, Lebewesen und Menschen beginnt.Erst ein Akt des Herausschneidens, der Isolation und Individu-ierung von Elementen der perzeptuellen und begrifflichenErfahrung, erzeugen das Objekt, seine Umwelt und dieRegelmäßigkeiten seines Verhaltens. Er illustriert dies am Ele-ment "Frosch", von dem wir sagen können, daß es Dingewahrnimmt. Wenn wir "Erklärungen" für das Verhalten desFrosches und seine Interaktionen mit seiner Umwelt geben, dann

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stellen wir Relationen zwischen Elementen unserer eigenen Er-fahrung her und es macht auf diese Weise Sinn, Aussagen überdie Wahrnehmungen des Frosches zu machen. Grundsätzlich andersist es jedoch bei Aussagen über die eigenen Wahrnehmungen. Wirhaben keine Möglichkeit, uns selbst und unsere Umwelt von einemStandpunkt außerhalb der eigenen Erfahrung zu beobachten. Esgibt keinen unabhängigen Zugang zu irgendetwas, das wir (inAnalogie zum Frosch) als Ursache für unsere Wahrnehmungverantwortlich machen. Dennoch habe es sich als "nützlich"erwiesen, einer vorgegebenen Welt die Ursachen für unsereWahrnehmungserfahrung zuzuschreiben: "Der erste Schnitt, dieelementarste Unterscheidung, die ein erfahrendes Subjekt machenkann, ist der intuitiv befriedigende Schnitt zwischen sichselbst als erfahrendem Subjekt auf der einen und seinerErfahrung auf der anderen Seite." Es bestehe dabei jedoch immerdie Gefahr, zu irgendeiner Art Realismus zurückzukehren und zuvergessen, daß das, worüber wir nachdenken oder sprechen, unterallen Umständen unsere Erfahrung ist, und daß das "Wissen", daswir erwerben, Wissen von Invarianten und Regularitäten ist, daswir aus unserer eigenen Erfahrung ableiten und das daher zudieser Erfahrung gehört. Schließlich führt uns das ständigeBemühen, in unserer Erfahrung stabile Invarianzen aufzubauen,zur Attributierung kognitiver Fähigkeiten, d.h. Fähigkeiten,eine Welt zu konstruieren, an jene Organismen, die wir als"Mitmenschen" bezeichnen. Abschließend VON GLASERSFELD (1987b):"Wenn ´Erkennen´ heißt, in der Erfahrung Unterscheidungenvorzunehmen und sodann zwischen den Teilen der Erfahrung, dieunterschieden worden sind, Beziehungen herzustellen, dann folgtunweigerlich erstens, daß wir uns selbst nur in dem Maße er-kennen können, in dem wir uns selbst erfahren, und zweitens,daß das Ich, das wir erfahren, und das wir in unsere kognitivenStrukturen einbauen, durch eben diesen Akt der Konstruktionnotwendig aufhört, dasjenige Ich zu sein, das diese Erfahrungenmacht." In einer jüngeren Arbeit, in der er sich mit derMATURANAschen Beobachterkonstruktion auseinandersetzt, faßt VONGLASERSFELD (1990) zusammen: Indem ich unterscheide, bringe ichmich als Beobachter hervor. Der Beobachter schafft seine eigeneReflexionsfähigkeit dadurch, daß er sich selbst als handelndes,beobachtendes und schließlich reflektierendes Subjekt vomjeweiligen Erlebensbereich unterscheidet. Das Phänomen der

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Beobachtung konstituiert also die Beobachtung des Phänomens.Die Referenz der Beobachtung ist allein der Beobachter(Selbstreferenz). Die Logik der Beobachtung ist die Logik desbeobachtenden Systems und seiner kognitiven Struktur (1990:291): "Die Frage nach der Herkunft des Beobachters in MaturanasTheorie beantwortet sich für mich also einfach dadurch, daß mansich dauernd vergegenwärtigt, daß nicht nur die gesamte Erle-benswelt das Produkt der Unterscheidungen ist, die man macht,sondern daß auch der Fluß des Erlebens nur dadurch her-vorgebracht werden kann, daß man sich als Beobachter davonabsetzt."

G.S. BROWN liefert in seinen "Laws of Form" (1969)wesentliche Elemente zur Formalisierung der Theorie derBeobachtung der Beobachtung. VARELA (1975) und von FOERSTER(1985c, d) beziehen sich in ihren Ansätzen explizit darauf. Erinterpretiert die Beobachtung als Operation der Handhabungeiner Unterscheidung. Sein kontingenter Ausgangspunkt zurStrukturierung des Unbeobachteten, des "unmarked state" ist derImperativ an das erkennen-wollende Subjekt: "draw adistinction". Die Trennung der beiden Seiten hat den Sinn, dasBeobachten zu zwingen, von der einen (also nicht von deranderen) Seite der Unterscheidung auszugehen. Es muß dannsprachlich bezeichnen (indicate), was beobachtet wird. DieseBezeichnung weist aber zugleich auf die im Moment nicht gemeinteandere Seite hin. Dies kann im einfachsten Fall der Rest derWelt sein, das was vom "unmarked state" übrigbleibt. Meist wirdaber das jeweils nicht gemeinte schon durch die Art derUnterscheidung eingeschränkt. Also: Beobachten = Unterscheiden +Bezeichnen (identifizieren + sprachlich markieren) BATESON(1972) bezeichnete die Beobachtung wesentlich diffuser als "anydifference which makes a difference in some later event." DieUnterscheidungsoperation selbst bleibt im Moment ihrer An-wendung unbeobachtbar, denn sie kann weder als die eine nochals die andere Seite der Unterscheidung bezeichnet werden. DieUnterscheidung ist der blinde Fleck, der in jeder Beobachtung alsBedingung ihrer Möglichkeit vorausgesetzt ist.

Die systemtheoretische Soziologie (WILLKE 1987) bezeichnet dieBeobachtung als "Basisoperation" eines psychischen und sozialenSystems. Beschreiben läßt sich nur das, was beobachtet und

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darüber hinaus in die Form einer semantischen Figur gebrachtwerden kann. In der sozialen Kommunikation produzierenIndividuen Beschreibungen ihrer Beobachtungen im Mediumgemeinsamer Sprache (1987: 122): "Beobachtung als Operationeines selbstreferentiellen Systems ist selbst Teil des Systems,welches sie (in der Selbstbeobachtung) beobachtet; und sie -die Operation der Beobachtung - kann in der Umwelt desbeobachtenden Systems (also als Fremdbeobachtung) nur etwaserkennen, was im Bezugsrahmen des beobachtenden Systems Sinnmacht."

Die weiteren Überlegungen folgen LUHMANN (1990: Kap. 2), dersich u.a. auf MATURANA (1985), VON FOERSTER (1981) und speziellauf BROWN (1969) bezieht. Die Beobachtung selbst ist die erste(formgebende) Unterscheidung, die bereits mit Festlegungenverbunden ist. Im Moment ihrer Benutzung wird sie naivpraktiziert, sie kann nur durch eine andere Beobachtung (einesanderen Beobachters oder desselben Beobachters zu einemspäteren Zeitpunkt) unterschieden werden. Die Bedingungen derBeobachtung (physischer, organischer, psychischer, sozialerArt) werden von der Welt bereitgestellt; das Beobachtenverändert damit notwendigerweise die Welt, in der es geschieht.Beobachten ist also nicht der passive Zugang zu einer externenRealität, sondern die empirische Operation von Unterscheidenund Bezeichnen. Die Suche nach unbedingt gewissen Grundlagenempirischer Erkenntnis wird damit abgelöst durch dieBeobachtung des Beobachtens. LUHMANN präzisiert dies: DieBeobachtung einer Operation, auch der des Beobachtens, ist zunächsteinfaches Registrieren der Veränderung von Symbolen oderZeichen physikalischer Art (Kybernetik 1. Ordnung). DieBeobachtung einer Beobachtung, d.h. einer Operation als Beobachtung,erfordert eine Ebene 2. Ordnung zur Auflösung der fundamentalenParadoxie (Kybernetik 2. Ordnung). Andernfalls entstehe allen-falls "Unschärfe", aber keine beobachtbaren Unterschiede. Diebegriffliche Trennung von Operation und Beobachtung ermöglichtdie Unterscheidung zwischen Realität und Objektivität des Beob-achtens. Die Realität ist mit dem Vollzug der Operation gege-ben; daraus läßt sich jedoch noch nicht auf Objektivitätschließen. Die Konvergenz von Beobachtungen mehrererBeobachter, das was gemeinhin "Objektivität" heißt, erlaubtandererseits keinen Rückschluß auf die Realität ihres

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Gegenstandes, allenfalls einen Rückschluß darauf, daß Kommuni-kation stattgefunden hat. Die Unterscheidung objektiv /subjektiv wird damit gehaltlos und kann ersetzt werden durchdie Unterscheidung Fremdreferenz / Selbstreferenz, die wiederumnur ein Strukturmoment des Beobachtens selber ist. Die Struktur(Wissen) leitet die Operation (Erkennen), welche wiederum dieStruktur bestätigt oder modifiziert. Zur Auflösung des Zirkelsdient, so LUHMANN, im wesentlichen das Nacheinander in der Zeitund nicht ein metaphysisch gesetzter Wesensunterschiedsubjektiv / objektiv. Die Beobachtung kann in ihrem Vollzug desUnterscheidens und Bezeichnens wahr und unwahr nichtunterscheiden. Sie enthält die eigene biologisch, historischund sozial bedingte Unterscheidung als ihren blinden Fleck, d.h.alles Beobachten (auch das Beobachten von Beobachtungen (vonBeobachtungen) ... ) verfährt auf der Handlungsebene unkritischin bezug auf die eigene Referenz. Aus diesem Grunde gibt eskeine Reflexivitätshierarchien zunehmender "Objektivität",keine externen Positionen und keine Beobachtungen, die nichtsüber den Beobachter erkennen lassen. Die Welt ist - was immersie als "unmarked state" im BROWNschen Sinne vor aller Be-obachtung sein mag - für den Beobachter, so LUHMANN, "ein tem-poralisierbares Paradox"; er spricht auch von der "beobacht-baren Unbeobachtbarkeit". Das schließt definitive Darstellungenaus und läßt nur die Möglichkeit zu, daß im rekursiven Prozeßdes Beobachtens von Beobachtungen stabile "Eigenwerte" oder"Sinnmarken" entstehen, die Anhaltspunkte für weiteres Beob-achten und weitere Kommunikation fixieren. Sprache ist einBeispiel dafür, aber auch (Design-) Objekte, vgl. VON FOERSTER(1985d).

Prozesse dieser Art konstituieren Systemgrenzen. Die zunächstnur operativ im Vollzug des Beobachtens entstandene DifferenzSystem / Umwelt kann sprachlich thematisiert und in das Systemwiedereingeführt werden ("re-entry" bei BROWN). Damit wird dasSystem in die Lage versetzt, sich selbst als Einheit imUnterschied zur Umwelt zu bezeichnen. Es wird fähig zur Selbstbe-obachtung und damit zum produktiven Umgang auch mit dem Problemdes "blinden Flecks". LUHMANN (1991) greift dies unter demStichwort der "Beobachtung latenter Strukturen" auf. Er gehtaus von VON FOERSTERs Satz: "Man kann nicht sehen, daß mannicht sieht, was man nicht sieht", der den "blinden Fleck" als

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Bedingung der Möglichkeit des Sehens voraussetzt. Im Falleeines erkennenden Subjekts sei dies noch recht unproblematisch,schwieriger werde es bei mehreren Subjekten. Es gehe um dieAufdeckung von Irrtümern durch Beobachtung von Latenzen, alsoum das, was auch PLATONs Frage aus dem "Theaitetos" meint: "Wiekann man wahre Feststellungen darüber treffen, daß andere Be-obachter unwahre Feststellungen treffen, die sie für wahrhalten?" Neben BROWNs Ansätzen erwähnt LUHMANN ausdrücklichGotthard GÜNTHERs Übergang zu einer mehrwertigen Logik alsBasis einer dazu erforderlichen "polykontexturalen"Weltbeschreibung. Es sei zu klären, "wie eigentlich die em-pirische Operation des Beobachtens beschaffen ist - imUnterschied zu einfachen Operationen, die nicht weiter tun, alsden Weltzustand in der einen oder anderen Hinsicht zu ändern."Beobachten umfaßt nicht nur Wahrnehmen und Denken, sondern auchHandeln. Auch handlungsbestimmende Zwecke und Werte sindUnterscheidungen (blinde Flecke). Man kann sich um Begründungenbemühen, nur um zu merken, daß es sich wieder nur um Un-terscheidungen handelt. Beobachtung eines Beobachters bedeutet,ihn nicht nur als unterscheidbares Objekt zu nehmen, sondernauch die auf der Ebene der Beobachtung 1. Ordnung von ihmbenutzte Unterscheidung mitzuerfassen. Die Frage lautet: Wiekann ein Beobachter 2. Ordnung sich darauf konzentrieren, zubeobachten, was der Beobachter 1. Ordnung nicht beobachten kann(die Unterscheidungen, die er seinem Beobachten zugrunde legt)?Dabei ist zu beachten, daß auch der Beobachter 2. Ordnung seineUnterscheidungen blind einsetzt. In einer subjektbasierten Er-kenntnistheorie bleibt die Frage aus dem "Theaitetos"unerklärbar. Arbeitet man dagegen mit einer Erkenntnistheoriedes "operativen Konstruktivismus", dann läßt sich, so LUHMANN,die Notwendigkeit von Latenz darauf zurückführen, daß dasBeobachten, als Operation gesehen, eine Unterscheidungverwenden muß, die es im Moment der Operation nicht bezeichnen,weil nicht unterscheiden kann. Bei allen Bezeichnungen kommt esauf die Unterscheidung an, in deren Kontext sie die eine (undnicht die andere) Seite als Ausgangspunkt für weitereOperationen wählen (nur durch die kontingente UnterscheidungPlanwirtschaft / Marktwirtschaft kann es erscheinen, als seider Zusammenbruch des Sozialismus ein Triumph der Markt-wirtschaft): "Offensichtlich koloriert der Gegenbegriff die

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Seite der Unterscheidung, die im Zentrum der Aufmerksamkeitsteht; aber für den Beobachter 1. Ordnung ... bleibt dieslatent, weil er nicht sieht, daß er die Unterscheidung nichtsieht, die dies bewirkt." Dies bedeutet, so LUHMANNsvorläufiges Fazit: Beim Beobachten eines Beobachters ist die Frage zustellen, "durch welche Unterscheidungen er eigentlich beobachtet. Nur diese Fragezielt präzise auf die Beobachtung dessen, was für ihn im Beobachten latent bleibenmuß. Und nur durch Vermittlung dieser Frage wird man herausfinden können,welche systemkulturellen Gründe es gibt, bestimmte Unterscheidungen zu benutzenund damit der Thematisierung zu entziehen."

Damit verbunden ist die epistemologische Aufwertung derLatenz. Es geht nicht mehr um die Anfertigung einer für alleBeobachter zugänglichen Weltbeschreibung: "Das, was als Weltvorausgesetzt war, zieht sich ins Unbeobachtbare eines unmarkedstate (G.S. Brown) zurück."

Abschließend eine sehr anschauliche praxisorientierteIllustration des Begriffs des "blinden Flecks" von WEHOWSKY(1990: 161): "Je feiner sich die Gesellschaft also durchSelbstorganisation differenziert, je stärker sie sich in Sub-systeme aufspaltet, desto flexibler und effektiver kann sie aufviele Probleme reagieren. Aber gleichzeitig wird sie - so Luh-mann - auch immer schwerer lenkbar.

Ein aktuelles Beispiel: In unserer Gesellschaft sind vieleMenschen dafür, die Umwelt besser zu schützen. Doch der guteWille ist sehr schwer in die Tat umzusetzen: Ein Jurist darf inseiner täglichen Arbeit nichts anderes tun, als Umweltschädennach der gesetzlich definierten "Zurechenbarkeit" zu bewerten;ein Wirtschaftler ignoriert sie, solange sie seine Bilanzennicht beeinflussen; ein Arzt erkennt Umweltschäden an demGesundheitszustand seiner Patienten; ein Chemiker sieht erst daProbleme, wo bestimmte Grenzwerte überschritten werden.

Jeder hat also, selbst wenn ihm der Schutz der Natur privatam Herzen liegt, im öffentlichen Handeln seinen "blindenFleck", jeder trifft andere Unterscheidungen, jeder muß andereRücksichten nehmen. Jeder Mensch ist auch selbst ein"psychisches System", das auf seine eigene Weise die Weltdeutet. Niemand hat den totalen Überblick. Und selbst wenn: Esgibt keine Möglichkeit, der Gesellschaft als Ganzer Vernunft,

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Moral oder auch nur ökologisches Bewußtsein beizubringen. Esgibt, mit anderen Worten, keine Erlösung durch Ethik."

Diese oft vagen und redundanten, intuitiv dennoch ein-leuchtenden Überlegungen zum Problem "Beobachtung" deuten aufdie im Grunde unlösbare, in unserem Menschsein begründete Ein-bindung in das Beobachtete hin. Die Naturwissenschaften habendas Problem bisher meist durch Ignorieren gelöst. Die erstegrundlegende Auseinandersetzung mit dem Problemfeld findet sichin der "Kopenhagener Deutung" der Quantenmechanik des Jahres1928 (BOHR und HEISENBERG). Die Notwendigkeit des Konzepts Beob-achtung wird von JANICH, einem Vertreter des dem RadikalenKonstruktivismus nur sehr entfernt verwandten und diesenkritisch beobachtenden (!) Erlanger Konstruktivismus (1992: 32)betont: "Wenn also z.B. die naive Standardsituation der Er-kenntnistheorien, nämlich das Gegenüber von Subjekt und objek-tiver Welt, diskutiert werden soll, und dies etwa als Beobach-tung der ´objektiven´ Welt durch einen Beobachter zu verstehenversucht wird, so ist anzugeben, welcher Beobachter Nummer 2den Beobachter Nummer 1 bei der Beobachtung seiner Umweltbeobachtet; und dies, um zu klären, ob die vom Beobachter 1beobachtete Welt vielleicht nur ein Gegenstand der Welt von Be-obachter 2 sei. Objektivistische Erkenntnistheorien, in denen´die Welt´ als eigener, Beobachter - unabhängiger Gegenstandgefaßt wird, werden konsequent von den RadikalenKonstruktivisten mit dem Vorwurf der Fiktion eines unsinnigen´Superbeobachters´ zurückgewiesen."

Beobachten = Unterscheiden + Bezeichnen. In der Operation derUnterscheidung bringt sich der Beobachter hervor. Welt entstehtdurch Beobachtung. Erfolgreiches Handeln führt zur Bildung vonRegelmäßigkeiten und Invarianten; so entstehen Erfahrung, Wissen undErkenntnis, so entsteht z.B. auch Kausalität. Die kontingenteAusgangsoperation der Unterscheidung ist der blinde Fleck, der in jederBeobachtung als Bedingung ihrer Möglichkeit vorausgesetzt wird.

Sprachliche Ebenen und Beobachtungsebenen

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"Beobachtung 1.Ordnung: Dies ist die Basis, die operative Ebene.Am Anfang steht der Zirkel des "ich mache, was ich mache" oder"ich weiß, was ich weiß" ( ... ---> Gemachtes ---> Machen --->Gemachtes ---> ... ). Das Reflexionsniveau ist das vonRoutinearbeit oder auch von "Fließbandproduktion". Auch das,was ROPOHL (1979: 289f) als "technisches Können" im Sinne einerpsychophysischen Geschicklichkeit bezeichnet, gehört hierher:"Kenntnisse sowohl des Arbeitsverfahrens wie des daraushervorgehenden Produkts blieben oft unterhalb der Reflexi-onsschwelle, die eine Objektivation solcher Kenntnisse hätteeinleiten können ...". Es ist auch die vorherrschendeArbeitsweise, wenn es allein um den Gebrauchswert der Dingegeht, etwa in der frühen handwerklichen Produktion."Gebrauchsgegenstände" sind hier gemeint als Gegenstände, fürdie Bedarf unmittelbar durch die Braucher artikuliert wird. Diebegriffliche Auftrennung des Prozesses in Problem / Lösung istnoch nicht geschehen; es geht um die Bearbeitung einer Aufgabenach festem Schema. Allenfalls gibt es Handlungsstörungen imansonsten unreflektierten Prozeß, die zu beseitigen sind. EinProblem zu erkennen hat zu tun mit dem Bestreben nachVeränderung. Veränderung setzt die (sprachlich begründete)Negationsmöglichkeit in der Selbstreferenz voraus und führt zuFällen von (sprachlicher) Paradoxie: Sie liegt, so LUHMANN(1990: 421, zitiert nach PLATON) "in der Meinung, daß manhinreichend genau wisse, was man nicht weiß." Die entsprechendeHandlungssituation ("ich mache, was ich nicht mache") bleibt ,da es sich um empirisch-zeitliche Operationen handelt,handhabbar. Die Veränderung wird von der Umwelt akzeptiert odernicht; wenn nicht, ist eine erneute Änderung notwendig oder derProzeß ist damit beendet. Der "blinde Fleck" derAusgangsunterscheidung ("draw a distinction", G.S. BROWN) liegtauf der Ebene des Machens, der Produktgestalt. Die überzeugteAntwort eines Schiffbaumeisters auf die Frage, wie er denn denSchwerpunkt seines Schiffes (dessen Kenntnis wichtig ist fürdie Prognose des Seeverhaltens) berechnet: "Meine Schiffe habenkeinen Schwerpunkt!" ist Ausdruck dieser Arbeitsweise. Siedrückt darüber hinaus einen leisen Spott aus in die Richtungderjenigen, die in ihrem professionellen Tun auf theoretischeFundierungen angewiesen zu sein scheinen.

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Beobachtung 2. Ordnung: Wird der Kontext des reinen Machens, desGebrauchswertes verlassen und kommen Gesichtspunkte wieVerbesserung ("Fortschritt", "Ziele"), Markt ("Angebot","Nachfrage", "Konkurrenz"), Massenproduktion ("Technologie"),etc. und im weiteren die Produktion von "Sinn" ("Bedürfnisse","Lebensqualität", "Ästhetik") hinzu, dann sind Kriterien zurSteuerung der Veränderung (zur Auflösung der sprachlichen undoperativen Paradoxie des "ich mache, was ich nicht mache")erforderlich. ROPOHL (1979: 289f) spricht im Zusammenhang destechnischen Handelns von funktionalem Regelwissen, strukturalemRegelwissen und technologischem Gesetzeswissen. Diese Kriteriensind weitgehend von außen determiniert, d.h. nicht durch dieEntwerfer selbst, auch wenn speziell die Designer das so nichtwahrhaben wollen. Die "community" der Entwerfer ist - imUnterschied zur "scientific community", die ihre Maßstäbe weit-gehend selbst setzt - kein autonomes System, es gibt allenfallseinige Elemente von Selbstorganisation ("Selbstbild",Ausbildungskontexte, Standesorganisationen, etc.), die jedochdurch die Servicefunktion, welche die Disziplin heuteüberwiegend hat, prinzipiell begrenzt sind. Auf dieser Ebeneist es in Theorie und Praxis üblich und zweckmäßig, denEntwurfsprozeß im Schema von Problem und Lösung zu beschreiben.Der Einbau von Zeit zwischen Problem und Lösung ermöglicht dieÜberbrückung des "blinden Flecks" und gleichzeitig die Bildunghandhabbarer "Projekte" mit Anfang und Ende, eingeteilt inPhasen. Zum Problembegriff beim Entwerfen vgl. auch W. JONAS(1992b).

Beobachtung 3. Ordnung (THEORIE)

Beobachtung 2. Ordnung (THEORIEN, METHODEN)

Beob. 1, Ordnung (OPERATION)

Theorie

DESIGNPraxis

Abb. 2.14: Ebenen der Beobachtung,"Selbstreferenzentfaltungen".

2.2 Operative Erkenntnistheorie als Denkweise 203___________________________________________________________________________

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Die wissenschaftlichen Disziplinen, die sich Entwerfen zumGegenstand wählen, arbeiten meist auf dieser Ebene. DieDenkweise der "2nd order cybernetics" (VON FOERSTER 1985a) be-schreibt sowohl Natur- als auch Geisteswissenschaften generellals das selbstreferentielle "Beobachten von Beobachtungen".Theoriebildung und -entwicklung sind Produkte dieses Prozesses.(Entwurfs-) Theorien auf dieser Ebene sind mit dem Code und derBegrifflichkeit ihres Gegenstandes untrennbar verknüpft:- deskriptive Theorien über den kognitiven Prozeß desEntwerfens,- präskrptive Theorien über die Schritte des Prozesses undMöglichkeiten ihrer Verbesserung, - Theorien über Kriterien zur Interpretation und Bewertung derErgebnisse (Artefakte),- u.v.a.m.

Als vielleicht unerreichbares aber dennoch erstrebenswertes(weil den Erkenntnisprozeß vereinfachendes) Ziel bleibt, daßeine Theorie im Stadium ihrer Ausarbeitung von ihrem Gegenstandmöglichst unabhängig sein sollte. Für die Richtung Praxis ->Theorie ist dies unmittelbar einleuchtend, da der Praxiseinflußdie erforderliche begriffliche Distanz verhindert. Die umge-kehrte Richtung Theorie -> Praxis ist problematischer, weil derBezug oft implizit existiert, aber nicht reflektiert wird.POPPER (zitiert bei BROADBENT 1984) behauptet, daß hier dieexplizite Absicht der Praxisbeeinflussung zur Folge hat, daßbestenfalls "Pseudo-Theorien" oder Ideologien oder Methodikenentstehen. Man hat also die Wahl zwischen einer Methode, dieder Praxis "hilft" oder einer Theorie, die dies, zumindestunmittelbar, nicht tut. Dies schließt selbstverständlich nichtaus, daß echte Theorien von theorieorientierten Praktikern fürdie Praxis aufbereitet werden; dies ist aber nicht mehr Sachevon Wissenschaft. Ebensowenig ist ausgeschlossen, daßTheoretiker und Praktiker ein und dieselbe Person sind;wesentlich ist nur die sorgfältige gedankliche Trennung."Design-Theorien" der konventionellen Art haben genau hier ihreSchwierigkeiten. Die Folge sind eingeschränkte Sichtweisen undbegriffliche Inkonsistenzen. Diese Überlegung erklärt dieUrsache des diffusen Unbehagens bei den in Kap. 1 referiertenVAN DEN BOOMschen Ausführungen: Es ist die Vermengung der

204 2 Ein neuer Ansatz__________________________________________________________________________________________

deskriptiven mit den normativen Aspekten. Der Autor aktivierteinen immensen Theorieapparat, wie es scheint, nicht so sehr umdie Praxis zu verstehen, sondern um sie an die veränderte ge-sellschaftliche und technologische Umgebung anzupassen. Diesist unbestritten eine wichtige Aufgabe, aber keine Theorie. Einmögliches extremes Fazit: Praktiker sollten keine Theorienentwerfen! Wenigstens sollten sie die Selbstreferenzen, die imGegenstandsfeld und in der eigenen Person begründet sind, mitmehr Sorgfalt reflektieren.

"Beobachtung 3.Ordnung": Es wird sichtbar, daß eine weitereReflexionsebene nötig ist. Die Beobachtung 3. Ordnung beob-achtet Prozesse der sprachlichen Welterzeugung. Sie dient nachLUHMANN (1990: 499f) insbesondere der Beantwortung der Frage,"wie sich aufgrund der Beobachtung von Beobachtungen Systemebilden. ... selbst heute noch fällt es nicht leicht zu ak-zeptieren, daß die Unterscheidung von Sein und Nichtsein nichtsweiter ist als die Unterscheidung (und damit: der blinde Fleck)eines Beobachters. Wissenschaftstheorien bekannten Zuschnittssind deshalb weithin nur Methodologien hochgeneralisierterForm, also Programme für das Beobachten 2. Ordnung. Erst wennman dies formuliert und erst wenn man die eigentümlichselbstreferentiellen (´autologischen´) Verhältnisse dieserEbene studiert, faßt man auf einer dritten und wohl letztenBeobachtungsebene Fuß. ... Hier dekonstruiert man dann, aufihren blinden Fleck hinweisend, die Ontologie und mit ihr jedeHierarchisierung des Besserwissens."

Der "blinde Fleck" auf der Ebene 2. Ordnung liegt im Designim Umgang mit den jeweils maßgebenden Bewertungskriterien fürdas Machen bzw. Nicht-Machen der Entwurfslösungen. Deshalb dieFrage: Wie geht der normale Designer mit dem Problem desautologischen Schlusses in der Selbstreferenz um? Eine Theoriedieser "3. Art" kann also bestenfalls (aber das wäre ja schonsehr viel!) das Entstehen, Bestehen, Vergehen vonEinzeltheorien und -methoden beschreiben, erklären, evtl.prognostizieren, aber nicht ihre Inhalte und Gegenstände bewer-ten, d.h. Hilfsmittel für das Machen sein!

Einige Fragen nach der Plausibilität einer solchen 3. Ebeneliegen nahe:

2.2 Operative Erkenntnistheorie als Denkweise 205___________________________________________________________________________

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Die Frage nach der Überlegenheit: Prinzipiell ist alles Beobachtenauf der operativen Ebene "blind", dies wurde mehrfach betont.Insofern sind Beobachtungshierarchien, die gleichsam au-tomatisch objektivere, weil weiter vom Gegenstand entfernteMeta-Ebenen kreieren, nicht möglich, es bleiben in jedem Fall"als-ob-Standpunkte". Dennoch bietet sich nur so die Chance zumEntwurf komplexerer, allgemeiner verwendbarer begrifflicherArchitekturen. Die Überlegenheit von Meta-Ebenen ist alleineine Frage der Sorgfalt ihrer Konstruktion.Die Frage nach dem Standpunkt: Von wo ist die Disziplin Entwerfenmit Aussicht auf Erkenntnisgewinn zu beobachten? Von "innen",aus der Disziplin heraus? Auf welcher theoretischen Basis?Entwerfen hat allenfalls eine methodische oder technologischeBasis. Für praktisch tätige Designer ist wissenschaftlichesArbeiten etwas Fremdes. Von "außen", aus der Sicht welcher Wis-senschaftsdisziplin? Gibt es eine prädestinierte? Sie muß einenhohen Grad von Allgemeinheit besitzen.Die Frage nach der "Auflösung": Ist es auf diesem Abstraktionsniveausinnvoll, wie üblich von "Entwerfer" und "Braucher" zusprechen, die in einer Interaktion stehen? Sind Kommunikati-onstheorien, die von "unversehrter Intersubjektivität" (LUHMANN1987, in Anspielung auf HABERMAS) ausgehen, noch angemessen zurErfassung der Dynamik, der Komplexität, der oftmals soscheinenden "Anarchie" des disziplinären Prozesses, oder zeigensie nicht bloß noch das Sozialdefizit bisheriger Ansätze?

Die Unterscheidung innen / außen und die Frage nach der"Auflösung" bestätigen die weiter oben hypothetischvorgenommene Einführung eines abgrenzbaren Bereiches, der nichtals Ansammlung von Einzelsubjekten, sondern als eine neuartigeEinheit beobachtbar und beschreibbar ist: ein zunächst inseiner internen Dynamik unbekanntes System Entwerfen und weitereSysteme in seiner Umwelt. Abgrenzbare Systeme lassen sich - soscheint es auf den ersten Blick - am besten aus anderenSystemen beobachten. Dabei stellt sich die Frage nach derBeobachtungskompetenz (s.o.). Die Selbstbeobachtung eines Systemsist möglich durch die Unterscheidung von System und Umwelt unddie Wiedereinführung dieser Unterscheidung in das System. DieFrage "von innen oder von außen?" bleibt für das Entwerfenvorerst offen. Abb. 2.15 faßt das bisher Gesagte zusammen. Vgl.auch im Kapitel 4.1 die Beobachtungsebenen in Beziehung zur

206 2 Ein neuer Ansatz__________________________________________________________________________________________

Möglichkeit der Zielsetzung und Einflußnahme (ZIEMKE / STÖBER1992).

B H

HB

Systemsicht 1. Ordnung (agierend)

Systemsicht 2. Ordnung (normativ)

Systemsicht 3. Ordnung (deskriptiv)

B : Beobachtendes System H: Handlungssystem

B H

Abb. 2.15: Systemsichten.

Systemsicht 1. Ordnung:- sehen, daß jemand etwas tut (was),- Ebene des Machens,- Beobachter ist aktives Element des Handlungssystems.

Systemsicht 2. Ordnung:- sehen, wie jemand etwas tut,- Beobachter ist dem Handlungssystem äquivalent / benachbart,befindet sich passiv auf derselben Systemebene,- Ebene der Theorien- und Methodenanwendung, KUHNs "normaleWissenschaft",- Ebene der Kybernetik 1. Ordnung als allgemeingültigerWissenschaft.

Systemsicht 3. Ordnung:- sehen, wie jemand dazu kommt, wie er etwas tut (warum),- Beobachter steht doppelt außerhalb des Systems, beobachtetdas System, seine Umgebung und die Beziehungen von außen,- Ebene der Theoriebildung / Wissenschaftstheorie, der Kontextvon KUHNs "wissenschaftlichen Revolutionen",- Ebene der Kybernetik 2. Ordnung als allgemeingültigerWissenschaftstheorie.

2.2 Operative Erkenntnistheorie als Denkweise 207___________________________________________________________________________

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M

I = M´

I´= M´´

I´´

O

O´´M

"Erstheit"

Arg

Qua

Sin Leg Sym

In Ic Rhe

Dic Arg

M

O

I

O"Zweitheit"

I"Drittheit"

SymIn

Ic RheDic

Leg

Sin

Qua

PragmatikSemantikSyntaktik

Abb 2.16: "Dreiheiten" bei BENSE: Die Begriffe der"zeichenexternen" (oben) und der "zeicheninternen" (unten)"Superisation".

Es gibt eine Vielzahl weiterer Ansätze im Zusammenhang mit demThema Beobachtungsebenen und sprachliche Ebenen. Exemplarischsei etwa BENSEs (1971, 1975) semiotischer Begriff der"Superisation" genannt. Die "zeichenexterne Superisation"(1975: 54) "... setzt jeweils elementare Zeichen desRepertoires zu einem komplexen Zeichen derart zusammen, daß wiedie elementaren Zeichen auch das komplexe Zeichen alstriadische Relation (von Mittel, Objekt und Interpretant, W.J.)aufzufassen ist." Die "zeicheninterne Superisation" (1975: 55)"... geht von der Vorstellung aus, daß die superierende Semiosenicht nur jedes Subzeichen zu einem ganzen Zeichen ...vervollständigt, sondern stets auch von Konnexen niederer zuKonnexen höherer Semiotizität gelangt."

KRIPPENDORFF (1991), in der Absicht, die "dogmatische" Semiotikmit ihrem Anspruch der Verfügung über objektive Wahrheiten zu

208 2 Ein neuer Ansatz__________________________________________________________________________________________

"transzendieren", unterscheidet ebenfalls drei Stufen vonaktiver Weltsicht:"becomers ... realize their own semiosis and are involved in acontinuous process of self-realization, are aware of makingthemselves at home in their own understanding","observers ... are aware of their ability to construct andreconstruct signs, symbols and artifacts outside themselves butnot that this could apply to their own position and tothemselves (designer´s position)","subjects ... see themselves as having to adapt and thereforewillingly subject themselves to realities constructed asresiding outside their participation and control, for example,to fixed meanings, unquestionable linguistic conventions andsuper-individual powers, allow themselves to be oppressed byhow they choose to see".

Auffallend ist die Bezeichnung des "becomers", als sei diePhase grundsätzlich nur ein Durchgangsstadium. Auffallend istauch die leicht negativ gefärbte Beschreibung der "subject"-Position. Zu betonen ist aber das emanzipatorische Potentialder Subjekt-Position als Voraussetzung für den Versuch, sichselbst von außen als Element eines Systems zu sehen.

Soviel zu den "dreistufigen" Theorien, zu denen auch die hierentwickelte zählt. Die Vermutung ist, daß die auffallendeHäufigkeit der "3 Ebenen" kaum damit zu tun hat, daß es sie"gibt", sondern eher damit, daß die "3" eine besondereBedeutung im menschlichen Handeln, Denken und Fühlen besitzt.Die "Dreiheit" / "Dreifaltigkeit" ist, wie es scheint, die demmenschlichen Denken angemessene, passende Strukturtiefe, diesinnvoll noch denkbare Hierarchiekomplexität: Handeln -Beobachten - Reflektieren oder auch: Wahrnehmen - Erfahren -Erkennen. Wir können gerade einmal "bis drei zählen". Und esreicht offenbar aus!

Durch Beobachtung von Beobachtungen von Beobachtungen von ...lassen sich sprachliche Metaebenen der Weltbeschreibung konstruieren.Allein auf der kommunikativ hergestellten Stabilität dieserEbenen, nicht auf externen, objektiven Referenzpunkten,basieren Wissen, Erkenntnis und Wissenschaft. Jede Ebene ist

2.2 Operative Erkenntnistheorie als Denkweise 209___________________________________________________________________________

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mit dem blinden Fleck der von ihr benutzten Unterscheidungenbehaftet.

Fazit und Fragen zum Konstruktivismus

Die operative Erkenntnistheorie, dies sollte deutlich gewordensein, präsentiert sich heute nicht als geschlossene Theorie,sondern als Denkweise, als Forschungsprogramm, das auf ver-schiedenen Ebenen - der physikalisch-chemischen, der biologi-schen, der psychologischen, sozialen und kulturellen - dieEntstehung und Entwicklung von Phänomenen durch plausible Kon-struktionen ihrer "Mechanik" zu erklären versucht. Dabei wirdexplizit berücksichtigt, daß diese Beschreibungen undErklärungen durch kognitive Systeme im Rahmen und unter denBedingungen sozialer Interaktion und Kommunikation erfolgen.Die Beziehungen zur erweiterten Systemtheorie sind eng. SCHMIDT(1992b) faßt die wichtigsten derzeitigen Unklarheiten bzw.umstrittenen Aspekte zusammen:- Zur Systemreferenz von Erkenntnis und Wissen: Erfolgt dieZurechnung zum psychischen (traditionell) oder zum sozialenSystem (LUHMANN)? Siehe auch die einführenden Bemerkungen:Denktraditionen - Denkinnovationen.- Zur Konstruktion des alter ego: Erfolgt sie durchAnalogiebildung zum Selbst (VON GLASERSFELD) oder durch Kommu-nikation, in der Trennung von Information und Mitteilung(LUHMANN)? Siehe Kap. 3.1: Soziale Systeme.- Ist LUHMANNs großzügige bis undifferenzierte Verwendung desKonzepts Autopoiese sinnvoll? Siehe Kap. 3.1.- Sind Systeme als analytische Konzepte oder real existierendeEntitäten zu behandeln? Siehe hierzu Kap. 2.1: System undWirklichkeit.

Das folgende längere Zitat aus dem "Inneren" des RadikalenKonstruktivismus dient zur Illustration der angestrengtenBemühungen zur Klärung des Wissenschaftsverständnisses. HEJL(1991: 105-107): "Das Wissenschaftsverständnis kann man als"neomechanistisch" bezeichnen bzw. als das eines"nichtreduktionistischen Physikalismus", um eine Bezeichnung

210 2 Ein neuer Ansatz__________________________________________________________________________________________

von H. Schwegler aufzunehmen, das Folgeproblem ist das derSelbstorganisation und Selbstregelung.

... Das angesprochene Wissenschaftsverständnis steht etwafunktionalistischen Theorieprogrammen oder teleologischenErklärungen skeptisch bis ablehnend gegenüber. Statt dessen be-tont es die Notwendigkeit, komplexe Kausalzusammenhänge alsInteraktionen von Systemkomponenten explizit zu modellieren.Dem liegt die für die große Mehrheit wissenschaftlicher Arbei-ten typische Auffassung zugrunde, daß wissenschaftlich zuuntersuchende und untersuchbare Phänomene als bewirktaufzufassen sind. Die Erklärung besteht dann in der (Re-)Konstruktion des idealiter deterministisch ablaufendenWirkungszusammenhangs. Er wird als eine ausgrenzbarezusammengesetzte Einheit verstanden, die aufgrund desEigenverhaltens ihrer Komponenten und der zwischen ihnenbestehenden Organisation ein spezifisches Verhalten erzeugt.Derartige Einheiten können zwar auf vielfältige Weisenbeschrieben werden, auf der Ebene ihres Prozessierens erfüllensie aber die Bedingungen geschlossener Ursache- /Wirkungsketten (in diesem Sinne: Mechanismus). Da einBeobachter jedoch über ein umfassenderes oder ein anderes"Wissen" als eine beobachtete Einheit verfügen kann, bestehtdie Gefahr, daß er Relationen zwischen der beobachteten Einheitund seiner Umwelt in seine Erklärungen des Verhaltens derbetreffenden Einheit einfließen läßt. Dann erklärt er ihrVerhalten etwa durch die Unterstellung von Zielen oderFunktionen, die der beobachteten Einheit unbekannt oder garunzugänglich sind.

Vom älteren Mechanismus unterscheidet sich derKonstruktivismus als Neomechanismus nicht zuletzt auch dadurch,daß er die ja gerade von den wissenschaftlichen Gegnern desälteren Mechanismus betonten Themen des Lebens und derAutonomie aufnimmt. Er tut das aber in der seinemWissenschaftverständnis entsprechenden Form der Frage nach derSelbstorganisation und -regelung (deshalb Neo-) autonomisierterEinheiten. Daß es sich bei diesem Thema tatsächlich um einFolgeproblem des Neomechanismus handelt bzw. des hier damitgleichgesetzten nichtfunktionalistischen Systemdenkens, wirddeutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Betonung vonwissenschaftlichen Erklärungen als Beschreibungen von

2.2 Operative Erkenntnistheorie als Denkweise 211___________________________________________________________________________

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Mechanismen, die das jeweilige Phänomen erzeugen können sollen,eine strenge Unterscheidung zwischen System und Systemumweltverlangt. Damit sind aber Mechanismen anzugeben für Verhalten,die man als Ausdruck der Autonomie von Systemen verstehen kann.Die Differenzierung dieser Diskussion wiederum führt direkt zurUnterscheidung und Präzisierung von Konzepten wieSelbstorganisation, Selbstregelung, Selbsterzeugung,Selbstreferenz, Synreferenz, etc.

Indem schließlich zwischen der Bedeutungskonstruktion durchein einzelnes Individuum und der wahrgenommenen Bedeutung beieinem Kommunikationspartner unterschieden wird, wird einerseitsdie Konsistenz des Modells aus konstruktivistischer Sichtverdeutlicht, gleichzeitig aber auch auf eine wichtige Mechanikverwiesen, die beim Fehlen gemeinsamer WirklichkeitskonstrukteKommunikation oft mißlingen läßt. Schließlich wird mit derUnterscheidung auch auf das soziale Verfahren zur Auszeichnungvon Wahrnehmungen als Wirklichkeiten aufmerksam gemacht."

Das Schema der Abb. 2.17 versucht zusammenfassend, dieBeziehung von Systemtheorie traditioneller und erweiterter Artund Konstruktivismus aus der hier zugrundeliegenden Perspektivezu illustrieren. Die konventionelle Systemtechnik mit ihremmethodischen Repertoire ignoriert die Elemente unterhalb derStrichlinie weitgehend.

212 2 Ein neuer Ansatz__________________________________________________________________________________________

ganzheitliche System e(Kosm ologie, Theologie, Philosophie)

enzyklopädische System e

System e der W issenschaften

Kybernetik(W iener)

Inform ationstheorie(Shannon / W eaver)

Autom atentheorie(v.N eum ann, Turing)

Allgem . System theorie(v. Bertalanffy)

Planungstheorien / System technik

Lebende System e:Therm odynam ik,M olekularbiologie,Neurophysiologie(Prigogine,Eigen / SchusterM aturana / Varela)

Kybernetik 1. O rdnung

soziologische System theorien(Luhm ann, u.a.)

Erkenntnistheoret. Behandlung des Problem s:"Lebende System e beobachten lebende System e"(H.v.Foerster)

Kybernetik 2. O rdnung

System theorie(A shby),

Theorie der evolutionärenNichtgleichgew ichtssystem e,vereinheitlichende A nsätze("C haostheorie")

Abb. 2.17: Zur Einordnung von Systemtheorie und RadikalemKonstruktivismus.Das MATURANAsche Konzept der Autopoiese im neurobiologischenSinne scheint innerhalb der engeren "Schule" des RadikalenKonstruktivismus weitgehend unumstritten zu sein. Einbemerkenswerter kritischer Hinweis hierzu aus der Sicht desErlanger Konstruktivismus findet sich bei JANICH (1992): Ermerkt an, daß die Konstruktion der naturwissenschaftlichenBasis des Autopoiesekonzepts offenbar einen qualitativ anderenStatus besitzt (einen "wirklicheren") als die daraus folgendenKonstruktionen. Wenn man also konstruktivistisches Denkenernstnehme, so JANICH, dann müsse man konsequenterweise auchdie neurophysiologischen Grundlagen als Konstruktioneninnerhalb des Zirkels der Selbstreferenz sehen und nicht alsobjektiven Ausgangspunkt für erkenntnistheoretische

2.2 Operative Erkenntnistheorie als Denkweise 213___________________________________________________________________________

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Implikationen. Diese Kritik trifft insbesondere auf dieneueren, sehr allgemein gehaltenen Aussagen von MATURANA zu, woer seiner Theorie bizarrerweise so etwas wie einen"ontologischen" Status zuspricht (1990).

Der Konstruktivismus ist ein wertvoller Beitrag zur Entwicklungeiner naturalisierten Erkenntnistheorie, einer Theorie, die ihr eigenesZustandekommen erklären kann.Die neurobiologische Grundlage sollte nicht überbetont werden.Ihr als Ausgangspunkt einen "wirklicheren" Status zu geben,bringt den Anspruch des Gesamtgebäudes in Mißkredit. DerSchwerpunkt sollte auf den Kommunikations- und Handlungsaspektenliegen. Allein diese konstituieren Wirklichkeit (auch diejenigeder biologischen Theorie!).

Fazit 2.2: Eine Erkenntnistheorie mit universellem Ansprucherkennt sich selbst als Teil ihres Gegenstandes an und gründetsich so auf einen Zirkel. Die operative Erkenntnistheorie löstnicht das Problem der Konstruktion aller Erkenntnis, ist aberin der Lage, genau dies zu thematisieren. Unser Weltzugang ist

214 2 Ein neuer Ansatz__________________________________________________________________________________________

- je höher der Erkenntnisanspruch - ein zunehmend vermittelter.Objektivität ist soziale Vereinbarung. Auch wissenschaftlicheObjektivität ist allein das Resultat von begrifflicherPräzision und kommunikativem Konsens.---> Design ist soziales System und agiert in sozialenSystemen. Dies erfordert weitere Konkretisierung. Diesoziologische Systemtheorie, basierend auf 2.1 und 2.2 scheinthierfür geeignet.

3 Soziotechnische Systeme 215___________________________________________________________________________

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3 SOZIOTECHNISCHE SYSTEME

"... die neu sich bildenden Werte, Systeme und Ideale des Volkes sind die Schmetterlinge, die ihre Flügel schlagen und darüber entscheiden, in welche Richtung die Gesellschaft sich verändern soll."

Ervin Laszlo (1988)

216 Design - System - Theorie__________________________________________________________________________________________

3 Zivi-lisations-ModelleQuelle:Sim Earth

3.1 Soziale Systeme 217___________________________________________________________________________

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3.1 Soziale Systeme

Auch wenn einige orthodoxe Vertreter der kybernetischen, strengformalistisch orientierten Schule dies garnicht goutieren:Wenn es um Entwerfen im gesellschaftlichen Zusammenhang untersystemtheoretischen Aspekten geht, dann ist dieBerücksichtigung der soziologischen Ansätze unerläßlich. ROPOHL(in LENK / ROPOHL 1978) etwa faßt die soziologischen System-theorien nur mit ausgesprochen "spitzen Fingern" an bzw. setztsie vorsichtshalber meist zusätzlich noch in distanzierende An-führungszeichen. Talcott PARSONS´ (1963) strukturell-funktio-nale Theorie kritisiert er als inkonsistent bezüglich derElemente (Individuen bzw. Handlungen) und als unklar hin-sichtlich der Subsysteme. Seinen Funktionsbegriff bezeichnet erals teleologisch und wertend (wegen der Ziele "Stabilität" und"Integration"), insgesamt nennt er den Ansatz harmonistisch,statisch und konservative Gesellschaftsvorstellungenpropagierend. Ein wenig entsteht der Eindruck, als trete ROPOHLhier als Verteidiger der "reinen Lehre" der kybernetischenSystemtheorie auf. LUHMANN, als Schüler von PARSONS, habe dasGanze schließlich in Richtung auf ein "sozialphilosophischesKonzept" modifiziert. Dabei geschah nicht nur die "Usurpation"des Begriffs Systemtheorie, sondern dies habe ihn überdies"jeglicher Präzision beraubt." ASHBYs kybernetischeSystemtheorie, so bescheinigt er LUHMANN, habe dieser"gründlich mißverstanden." Auch HABERMAS wird kritisiert:Dieser habe, so scheine es, "seine Kenntnis der kybernetischenSystemtheorie den eigenwilligen Umdeutungen Luhmanns zuverdanken."

Soweit ROPOHL. Man sollte sich aus diesenAuseinandersetzungen um Verstehen, Mißverstehen, Usurpieren,Umdeuten, etc. möglichst heraushalten. Es mag sein, daß esMißverständnisse infolge zu enger Anlehnung einerseits oderauch zu offener Auslegung andererseits gab. Ähnliches, speziellin Richtung auf zu enge Anlehnung, ist auch heute wiederfestzustellen, wenn es um die Rezeption der neuerenSystemtheorie, etwa der EIGENschen Hyperzyklen oder desMATURANAschen Autopoiesekonzepts in der Soziologie geht. Hiersind aber nicht nur die Rezeptoren, sondern mindestens ebenso

218 3 Soziotechnische Systeme__________________________________________________________________________________________

die Lieferanten der Ursprungstheorien zu kritisieren. WennASHBY sein "Gesetz der erforderlichen Vielfalt", das sich aufdie Anforderungen der homöostatischen Regelung kybernetischerMaschinen bezieht, vollmundig für die Verwendung inPsychologie, Soziologie, Ökonomie, etc. empfiehlt, dann müßtedieser Anspruch ebenso zurückgewiesen werden wie eventuelleUmdeutungen von der anderen Seite. In den genannten Feldernhandelt es sich bei ASHBYs Gesetz um eine anschauliche Metapherund nicht mehr. Soviel dürfte inzwischen klar sein: Präzisionin Form geschlossener kybernetischer Kalküle ist außerhalb desengen technischen Anwendungsbereichs, für den sie tatsächlichentwickelt wurden, nicht zu erwarten. Die Grenzen hat WIENERklar genannt. Seine hellsichtigen und realistischenZukunftsvisionen für potentielle Kybernetik-Anwendungen warendie Entwicklung künstlicher Glieder (als bisher ungelöstesneurophysiologisches Problem) und die Automatisierung derFabrik (als bisher ungelöstes technisches Problem, bei dem erdie Möglichkeiten zum Guten wie zum Bösen betonte).

Begriffliche Präzision ist ungemein wichtig, aber sie istnicht notwendig gleichbedeutend mit der formalenGeschlossenheit der Gesamttheorie. Präzision ist vielmehr dieForderung an den sorgfältigen Umgang mit denTheoriebruchstücken, bei dem es - im starren Blick auf diegewünschte Eleganz des Formalismus - keinesfalls zum Zudeckenvon Brüchen und Widersprüchen kommen darf. Dies ist also einPlädoyer für die kritische Durchsicht der vorhandenen Theorien,die Verwendung der für Designtheorie brauchbaren Teile und denskrupellosen Verzicht auf die unbrauchbaren Teile. Die von COY(1988) in bezug auf WINOGRAD / FLORES (1986, 1989) sobezeichnete "Steinbruch-Mentalität" der Theorienauswahl scheintmir hier wesentlich sinnvoller als ehrfurchtsvoll-dogmatischesKleben an unzulässig auf andere Gebiete übertragenenSpezialtheorien. Wichtig zur Vermeidung von terminologisch -ideologischen Reibungen ist allerdings die Entwicklungtransdisziplinärer Kommunikations- und Interaktionsformen undBegrifflichkeiten.

Soziologische Systemtheorie

3.1 Soziale Systeme 219___________________________________________________________________________

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Die folgende Darstellung der Grundlagen orientiert sich primäran WILLKE (1982, 1987). Bei LUHMANN (1984) wird seine"Systemtheorie" (1982) als gute Einführung in die soziologischeSystemtheorie bezeichnet. WILLKE konstatiert, die moderneSystemtheorie habe sich "zum expansivsten Paradigma in allenSozialwissenschaften entwickelt, weil in unserer hochkomplexenund zugleich hochorganisierten Umwelt nur solche analytischenKonzepte erfolgversprechend sein können, die ihrerseits eineentsprechende Eigenkomplexität besitzen." Die Aufgabe bestehein der Entwicklung einer allgemeinen Theorie sozialer Systeme.Als markante Entwicklungsschritte auf dem Weg dorthin nennt erdie "strukturell-funktionale" Systemtheorie (PARSONS), den"system-funktionalen" Ansatz (BUCKLEY / MILLER) und schließlichden "funktional-strukturellen" Ansatz von LUHMANN. Dieserversucht, die aktuelle Entwicklung der (ehemals) "westlichen"Gesellschaften in der technologischen Phase soziologisch zuerklären. Er beschreibt sie als ein ausdifferenziertes Systemvon Teilsystemen wie Politik, Recht, Wirtschaft, Wissenschaft,Erziehung, etc., die sich in ihrer gesellschaftlichen Funktionunterscheiden. Damit wird ein Abstraktionsgrad auf mittleremNiveau hergestellt; weder die allgemeinen Ursachen ge-sellschaftlicher Entwicklung noch die individuellen Beweggründeder einzelnen Menschen oder Gruppen werden thematisiert,sondern das wechselseitige Verhältnis von gesellschaftlichunterscheidbaren Teilgruppen oder Systemen.

Unter einem sozialen System ist nach LUHMANN einSinnzusammenhang von sozialen Handlungen zu verstehen, dieaufeinander verweisen und sich von einer Umwelt nicht dazuge-höriger Handlungen abgrenzen lassen. Die Betonung der Umweltals konstitutiver Faktor der Systembildung ist von besondererBedeutung in LUHMANNs Theorie. Wenn eine solche Abgrenzunggelingt und relativ invariant gehalten werden kann, dann nimmtein System eine spezifische Funktion wahr. Die aus der Sichtder Gesellschaft als Gesamtsystem unterschiedlichen Funktionender einzelnen Teilsysteme bestimmen ihre jeweils aktuellenAbgrenzungen. Durch diese funktionale Differenzierung gewinnen dieTeilsysteme an Stabilität. Systemische Strukturen und Prozessekönnen sich auf diese Grenzen einstellen. Die so erreichterelative Autonomie (d.h. Autonomie hinsichtlich der Art, wie in

220 3 Soziotechnische Systeme__________________________________________________________________________________________

einem System Informationen verarbeitet werden) innerhalb derGrenzen kann zur Institutionalisierung eigener Regeln derErfassung und Reduktion von externer Komplexität genutzt werden. DieSystemstruktur, die durch diese Institutionalisierung gebildetwird, legt fest, welche Aufgaben ein System bearbeiten bzw.welche gesellschaftliche Funktion es wahrnehmen kann. Durch dieSystemstruktur wird geregelt, welcher Teil derGesamtkomplexität der Welt insgesamt erfaßt und wie er insystemintern verarbeitbare Information übersetzt wird. DieResultate der Verarbeitung werden durch systemspezifischeMedien der Übertragung von Sinn, sogenannte Kommunikationscodes,an andere Systeme übermittelt.

Das Grundproblem, das durch die funktionale Differenzierung,d.h. durch eine Art Arbeitsteilung zwischen verschiedenengesellschaftlichen Bereichen, gelöst wird, kann mit dem schonerwähnten Begriff der systemspezifischen Erfassung, Reduktionund Verarbeitung von Komplexität umschrieben werden. Dahintersteht die These, daß es angesichts der immer komplexerwerdenden Vielfalt der Zusammenhänge verschiedenerInformationen und Handlungsanforderungen einem Individuum odereiner Gruppe nicht mehr möglich ist, auch nur die (scheinbar)einfachsten Aufgaben (Ernährung, Wohnen, Transport ...) underst recht nicht alle anfallenden Probleme selbst zu lösen.Gesellschaftliche Arbeitsteilung, deren Funktionieren diesoziologische Systemtheorie sehr anschaulich beschreibt, istdeshalb heute eine notwendige Voraussetzung für das Überlebenvon Individuen und Gruppen.

Eine einmal entstandene Systemstruktur ist nicht statisch.Um auf die stetigen Veränderungen in ihrer Umwelt, d.h. derGesellschaft bzw. den anderen Systemen, reagieren zu können,müssen die Strukturen der einzelnen Systeme ebenso wie dieGesamtstruktur aller Systeme flexibel sein. Bis zu einemgewissen Grade kann Flexibilität durch Wachstum und interneKomplexitätssteigerung erreicht werden. Eine andere typischeAnpassungsreaktion ist die weitere funktionale Differenzierung:Ein System teilt sich in mehrere Teilsysteme, welche die zuunterschiedlich gewordenen Aufgaben unter sich aufteilen.

Neben der Systemkategorie "Funktion", mit der Systeme ausder Sicht des Ganzen unterschieden werden, gibt es noch zweiandere Kategorien, nämlich "Leistung" und "Reflexion". Ein un-

3.1 Soziale Systeme 221___________________________________________________________________________

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flexibles System kann aufgelöst werden, wenn seine "Funktion"oder seine "Leistungen" nicht mehr gefragt sind. Über denBegriff der Leistungen werden die Beziehungen zwischen denTeilsystemen analysiert; ein System leistet etwas, wenn esInformationen so verarbeitet bzw. aufbereitet, daß das Resultatin einem anderen System genutzt werden kann. Zum Beispiel: DasWissenschaftssystem hat eine Leistung im Sinne derSystemtheorie erbracht, wenn es etwa eine physikalische odersoziologische Forschung so weit ausarbeitet, daß imWirtschaftssystem damit eine gewinnbringende Maschine gebautoder eine effizientere Arbeitsorganisation erreicht werden kann- "Wahrheit" wird in "Geld" konvertiert. Eine solcheUmwandelbarkeit, wie die oben angedeutete von "Wahrheit", einemResultat wissenschaftlicher Forschung, in "Geld", denKommunikationscode des Wirtschaftssystems, ist eine zentraleVoraussetzung dafür, daß eine Arbeitsteilung zwischenverschiedenen Systemen überhaupt möglich ist. Die Informations-verarbeitung in den einzelnen Systemen kann kein Selbstzwecksein. Von Bedeutung für andere Systeme und die Gesellschaft alsganzes ist nur, was an Resultaten erfolgreich vermittelt werdenkann. Zur Übermittlung solcher Resultate sind starkeVereinfachungen der tatsächlichen Ergebnisse notwendig. Eineigener Kommunikationscode dient diesem Zweck. Im erwähntenBeispiel wäre das etwa ein Konstruktionsplan oder einOrganisationsmodell. Die aus der Sicht der beteiligten Physikervielleicht hochinteressanten Beziehungen ihrer neuenErkenntnisse zur Allgemeinen Relativitätstheorie oder ähnlichemsind dagegen nur innerwissenschaftlich interessant.

Die dritte Systemkategorie "Reflexion" betrifft dieBeziehung eines Systems zu sich selbst: Das Nachdenken über dasSystem innerhalb des Systems. Sie sichert die Identität undKontinuität des Systems durch (Selbst-) Analyse und (Selbst-)Steuerung. Wenn diese Reflexion nicht in der Struktur verankertist, droht Außensteuerung oder gar Auflösung. Dies betrifft dasDesign! Zusammenfassend läßt sich sagen: Funktion ist eine externeSystemreferenz, Leistung eine intersystemische und Reflexion eineinterne.

Der Schlüssel zur Analyse komplexer sozialer Systeme liegtalso primär in ihrer Umweltbedingtheit. Zwei Fragen sind zustellen: (1) Wie ist das, was ist, überhaupt möglich? (2) Wozu

222 3 Soziotechnische Systeme__________________________________________________________________________________________

ist das, was ist, überhaupt notwendig? Die Antwort erfordertein iteratives Hin-und-Her zwischen induktivem und deduktivemVorgehen. Die Ziele bestehen, so WILLKE, darin, die jeweils sy-stemspezifisch neuen Merkmale (emergenten Eigenschaften) fürdie unterschiedlichen Ebenen zu bestimmen sowie die Elementeund Funktionen dieses Systems zu analysieren. Wohltuend inseiner Darstellung ist das weitgehende Fehlen von Phantasiender Steuerbarkeit und Planbarkeit von Gesellschaft mit Hilfesoziologischer Erkenntnisse, wie sie zu Anfang der 70er Jahrenoch weit verbreitet waren. Die Kritik von TENBRUCK (1972)zielt genau darauf.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Frage zum Verhältnisvon Systemtheorie und Handlungstheorie: Wie weit muß dieSoziologie als Wissenschaft sozialer Einheiten über eineHandlungstheorie individueller Akteure hinausgehen, um nichtnur die soziale Bedingtheit individuellen Handelns zuberücksichtigen, sondern auch den viel weitergehenden Aspektder systemischen Bedingungen der Möglichkeit von Handeln? DasSystem besitzt Eigenschaften, die die Elemente nicht haben -die Elemente besitzen Eigenschaften, die im Systemzusammenhangverschwinden. Das Verhältnis von Handlung und System istvielfach gebrochen - und zwar gebrochen durch die Grenzen vonHandlungssystemen, die auf unterschiedlicher Ebene der Gene-ralisierung und der Komplexität unterschiedliche Ra-tionalitäten, Eigenschaften und Probleme hervorbringen. DieEbene der Einzelhandlungen ist soziologisch irrelevant. Diezunehmende Einsicht in diese Zusammenhänge spiegelt sich in derAblösung des Begriffs der Aggregation durch den Begriff derEmergenz, parallel zur Weiterentwicklung der PARSONSschenAnsätze durch LUHMANN. Bereits 1973 macht er in einerausführlichen Analyse deutlich, daß der Zweckbegriff, alszentraler Begriff menschlichen Handelns, nur im Rahmen einerSystemtheorie und nicht mit den Mitteln der traditionellenHandlungstheorie angemessen zu erfassen ist. Einen Beleghierfür bietet die Arbeit von JELDEN.

WILLKEs "funktional-genetischer" Ansatz betont sehr stark dieevolutionäre Perspektive, die Wandelbarkeit sozialer Systeme mitder Zeit. Im Unterschied zu LUHMANN, der Sozialsysteme aufgrundihrer Geschlossenheit für grundsätzlich nicht steuerbar hält,

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sind bei WILLKE der Aspekt der Beeinflußbarkeit und dieMöglichkeiten der Steuerung sozialer Systeme zentraleFragestellungen. Grundlage beider Ansätze ist die Theorieselbstreferentieller Systeme, insbesondere dasAutopoiesekonzept von MATURANA / VAREALA. Autopoietische(selbstbildende), autokatalytische (selbstverstärkende) undschließlich selbstreflexive (sich selbst thematisierende) Pro-zesse gründen nicht auf das Wahrscheinliche, sondern auf dieStabilisierung des Unwahrscheinlichen, auf die Schaffung vonOrdnung in einer Umgebung der Unordnung, thermodynamisch oderauch informationstheoretisch ausgedrückt: auf die lokaleVerminderung der Entropie. Die setzt Umweltinteraktion voraus.WILLKE (1987: 133-138) faßt die Vorteile des Systemansatzes wiefolgt zusammen:- Das Denken in Zusammenhängen statt in Kriterien der Effizienzvon Teilen.- Den Zwang zur Untersuchung der Frage nach der Art und Weise,dem Wie der Zusammenhänge, insbesondere zwischen den emergentenSystemebenen (nichtlinear, konterintuitiv, irreversibel,negativ / positiv rückgekoppelt, etc.). Es gibt fast nie klareund isolierbare Ursache-Wirkungs-Relationen.- Die Reduktion von Komplexität nicht im Sinne dertraditionellen Naturwissenschaften, d.h. der Isolierung der gutmeßbaren Variablen, sondern im Sinne einer Analyse der"kritischen", repräsentativen Variablen, die Aussagen über dasSystem als Ganzes erlauben.- Die Ablehnung von Reduktionismus aller Art (etwa des SystemsMensch-in-Umwelt auf biochemische Prozesse).- Den Bruch mit dem wissenschaftstheoretischen Ideal einfacherKausalitäten und Gesetzmäßigkeiten.- Die Universalität des Phänomens der "organisiertenKomplexität" (WEAVER 1948), von den Biopolymeren über Zellen,Organismen, Gruppen, etc. bis hin zu Gesellschaften. Sieerfordert neue Formen der transdisziplinären Zusammenarbeit.Was besonders wichtig erscheint: Er betont ausdrücklich, daßGeduld erforderlich ist, daß man keine schnellen Ergebnisseoder Patentrezepte von der Soziologie erwarten darf. Das warnicht immer so.

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Zunächst weiter mit der Erläuterung von Einzelkonzepten (WILLKE1982: 16-37). Der Begriff der Komplexität, dies wurde schondeutlich, ist einer der Angelpunkte der neueren Systemtheorie,nicht nur in der Soziologie. Komplexität entsteht als Folgefortgesetzter gesellschaftlicher Arbeitsteilung (funktionaleDifferenzierung im Gegensatz zur früheren segmentären Differen-zierung). Sie führt zu einer Zunahme wechselseitigerAbhängigkeiten zwischen den Teilen. Komplexität wird recht vageals "Grad der Vielschichtigkeit, Vernetzung und Folgelastigkeiteines Entscheidungsfeldes" definiert. Frühere Definitionen(etwa G. KLAUS, 1969), die unter Komplexität nur Art und Anzahlder Beziehungen zwischen den Systemelementen verstanden,erscheinen als zu einfach, da sie die Bezüge zu den System-umwelten nicht angemessen erfassen.

Kontingenz meint generell die Möglichkeit, daß etwas ist oderauch nicht ist. Speziell bezieht sich der Begriff auf dieprinzipielle Unsicherheit im Handeln. Menschen haben aus diesemGrunde eine Fülle von Einrichtungen ("Institutionen")entwickelt, die die Kontingenz von Handlungsalternativen aufein handhabbares Maß beschränken sollen: religiöse Deutungssy-steme, moralische Wertordnungen, Normen, Rollen und andereFormen von Konventionen bis hin zur Sprache und informellensozialen Regeln. Kontingenzspielräume existieren nicht nur inindividueller Interaktion, sondern zunehmend auch in sozialenSystemen. Wählbare Handlungsalternativen nehmen mit derSystemdifferenzierung zu. In der Interaktion zweier Systemespricht man von "doppelter Kontingenz". Im Entwerfen zeigt sichdie doppelte Kontingenz in der potentiellen Offenheit derProblemdefinition und der gleichzeitigen potentiellen Offenheitder Lösungsdefinition. Eine Folge ist die Frage nach derMachbarkeit: Was wird gemacht und was nicht? Dassystemtheoretische Dauerproblem der Schaffung von "An-schlußfähigkeit" verschärft sich hiermit. Die Folge ist einimmer größer werdender Bedarf an Planung, Steuerung, rationalerEntscheidung. Max WEBER nennt diese Entwicklung die"Entzauberung der Welt".

Komplexität und Kontingenz stehen in enger Wechselbeziehung:Komplexität führt zu Selektionszwang aufgrund der Vielzahlexterner Möglichkeiten, die gleichzeitige Kontingenz mit derNotwendigkeit des Eingehens von Risiken aufgrund interner

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Freiheitsgrade birgt Enttäuschungsgefahr. In diesemZusammenhang steht dann auch der Hinweis auf ASHBYs "law ofrequisite variety" (Gesetz der erforderlichen Vielfalt),welches sagt, daß die Einstellung auf Umweltkomplexität ent-sprechende Eigenkomplexität des Systems erfordert. Weiter untenhierzu mehr. Zunehmende Kontingenz bei hoher Komplexität erhöhtdas Konfliktpotential. Komplexität führt zu Konflikten auf derSeite der Wahrnehmung (Input-Seite, "Problem") des Systems: Wasist relevant und was nicht? Kontingenz hat Konflikte auf derSeite der Aktion, der Strategie (Output-Seite, "Lösung") zurFolge: Welche Handlungsmöglichkeit ist vorzuziehen? Die beidenKonflikttypen sind natürlich praktisch nicht trennbar. DieAktion wirkt unvermeidlich und unmittelbar zurück auf dieWahrnehmung. Die Lösung beeinflußt das Problem.

Sinn ist ein weiterer zentraler Begriff der Systemtheorie.WILLKE spricht vom Sinn als "Ordnungsform" der menschlichenWelt und unterscheidet drei systemische Stufen: (1) Maschinen,die bestimmt sind durch einen äußeren Zweck, (2) Tiere(Organismen), die im Sinne eines Reiz-Reaktions-Mechanismus aufder Basis von Überleben organisiert sind und (3) psychische undsoziale Systeme, die auf der Basis von Sinn organisiert sind.Hier erst mache der Begriff der Identität "Sinn", hier seienReflexion und Selbst-Thematisierung möglich und hier sei dieProduktion externer Komplexität im Handeln ein kennzeichnendesMerkmal. Zur Erinnerung: WIENER hatte wenigstens noch denpsychischen und sozialen Systemen einen Sonderstatuszugebilligt, während ASHBY prinzipiell gar keinen Unterschiedzwischen den drei genannten Arten von Systemen sah. Eininteressanter Aspekt im Hinblick auf technische und biologischeRegelsysteme findet sich bei SCHAEFER (1967). Er bezeichnet dietechnische Regelanlage als sinnlos ohne den Menschen, der siezu einem Zweck gebaut hat. Dies bedeutet, daß jedes Artefaktzwangsläufig nur als bestimmter Teil einer klar definiertenSinnwelt denkbar ist. Das Zuschreiben des Sinns "Überleben" anbiologische Systeme, gleichbedeutend damit, bestimmtelebenswichtige Parameter in einem Normalbereich zu halten, seidagegen wesentlich kontingenter, denn hier "über ´objektive´Zwecke etwas aussagen zu wollen, hieße behaupten, daß man etwasüber Absichten einer Intelligenz weiß, welche die Naturerschaffen hat." Sein bedenkenswerter Schluß: "Wenn wir

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Systeme, deren Funktion ohne Eingriff von Intelligenz erklärbarist, mechanistische Systeme nennen, so ist die Regelanlage desTechnikers nicht mechanistisch, die biologische Regelanlagewohl."

Sinn ist für psychische und soziale Systeme, wie es scheint,ausschlaggebender als biologisches Überleben, denn erst diesymbolischen Systeme der Sinnwelten, zu denen auch Artefaktegehören, schaffen Ordnung: "Vaterland", "Freiheit","Kommunismus", etc. oder, viel niedriger aufgehängt, etwa dieSicherheit der eigenen Identität durch Zugehörigkeit zubestimmten Gruppen. Derart intersubjektiv geteilter Sinn grenztsystemspezifisch ab, was als sinnvoll und was als sinnlos zugelten hat.

Wie LUHMANN betont auch WILLKE: Soziale Systeme bestehennicht aus konkreten Menschen, sondern aus Kommunikationen.Diese zunächst irritierende und zu heftigen Reaktionen reizendeAnnahme (vgl. HEJL 1990) wird plausibel, wenn man bedenkt, wievielen sozialen Systemen, Teilsystemen und Gruppen derunterschiedlichsten Art ein einzelner Mensch gleichzeitig odernacheinander angehört. Ein Individuum ist niemals vollständigGlied eines Sozialsystems, sondern immer nur in bestimmtenAspekten seiner Person. Zu fragen ist dennoch, ob es fürbestimmte Problemstellungen nicht sinnvoll sein kann,Bewußtsein und Organismus gemeinsam als Individuum zubezeichnen. Zumindest würden Mißverständnisse vermieden.

Das normative System eines Sozialsystems wird auch alsPräferenzsystem bezeichnet. Seine Funktion ist bezogen auf dasProblem der Ausbildung und Erhaltung einer bestimmten Syste-midentität angesichts bestehender Zwänge und Zufälle derrelevanten Umwelt. Die Selektion von Umweltdaten durch einenach Sinnkriterien gebildete Präferenzordnung ist Bedingung derMöglichkeit der Systembildung. Dies führt zum Problem derGrenzbildung bei gleichzeitiger Offenheit. Ein offenes Systembesitzt eine Grenze, welche die Aufrechterhaltung eines be-stimmten Grades von innerer Integrität und Eindeutigkeitermöglicht, die aber gleichzeitig ausreichend flexibel unddurchlässig ist, um die Umgebung zur Sicherung und zumFortbestand der eigenen Existenz zu nutzen. Vgl. den Dualismusvon Abgrenzung und Austausch bei VARELA, Abb. 2.8, Kap. 2.1.Daraus ergeben sich die besonderen Problemstellungen der

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systemtheoretischen Soziologie: Die Entwicklung von Mitteln undVerfahren zur Definition von Systemgrenzen, Umweltbeziehungenund Elementen, die Beschreibung der grundlegenden Kommunika-tions- und Interaktionsmuster System - Umwelt und, intern, dieUntersuchung der Identität, des Zusammenhangs und derFunktionen der Elemente, die Analyse der Interaktionsformen,die zu Stabilität / Wachstum bzw. Konflikt / Instabilität /Zusammenbruch führen u.v.a.m. In diesem Zusammenhang ist dieBedeutung der empirischen Erhebung von Sinngehalten undqualitativen ("weichen") Daten (z.B. interne Außenweltmodelleoder interne Selbst-Modelle) zu betonen.

Soziale Systeme sind in der Lage, eine partielle Autonomiegegenüber der einseitigen Bestimmung durch die Umweltaufzubauen, subjektive Weltentwürfe, eigene Identitäten undHandlungsfähigkeit zu entwickeln. Damit ergibt sich die Identitätals emergente Eigenschaft eines sozialen Systems, vergleichbar mit derIdentität von psychischen Systemen. Erst die Existenz einersystemeigenen Identität ermöglicht die Rekonstruktion derWirklichkeit nach systemeigenen, überindividuellenGesichtspunkten. Damit verbunden ist die Ausbildungverbindlicher Symbolsysteme, d.h. generalisierterInterpretations- und Zurechnungsregeln (Normen, Rollen, Idiome,Fachsprachen, Wertsysteme, Ideologien, etc.). Systeme sind alsozugleich sinnkonstituierende und sinnkonstituierte Gebilde.Sinn tritt auf in abgrenzbaren Zusammenhängen. Er begrenzt Sinnauf das systemrelativ Sinnvolle und weist zugleich über denZusammenhang, dem er angehört, hinaus, indem er andereMöglichkeiten vorstellbar macht.

Die neuere Systemtheorie will die analytische Isolierung vonEinzelsystemen überwinden und Systeme stets im Zusammenhang mitihrer jeweiligen Umwelt erfassen. In Anlehnung an LUHMANNbezeichnet WILLKE Systeme als "Identitäten ..., die sich ineiner komplexen und veränderlichen Umwelt durch Stabilisierungeiner Innen / Außen-Differenz erhalten." Der Gegenstand"System" ist weder von innen heraus (im direkten Zugriff derblinden Selbstbezüglichkeit) noch von außen (als black-box,kybernetisch) bestimmbar. Er ist relational konzipiert als An-knüpfungspunkt der Differenz von Innen / Außen, welcher je nachSystemreferenz und Blickrichtung variabel gesetzt werden kann.

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Dies macht es erforderlich, nicht mehr pauschal von der Umwelteines Systems, sondern von seinen "relevanten Umwelten" zusprechen. Was aus der Umwelt relevant ist, hängt vom Einzelfallab und muß im Zusammenhang des jeweiligen Problems bestimmtwerden. Es empfiehlt sich deshalb, parallel zu verschiedenenSystemebenen auch verschiedene Umwelten zu unterscheiden (Teil-Umwelten). Systemtheoretisch gehören die Mitglieder einessozialen Systems als materielle Personen zur Umwelt diesesSystems, denn sie gehören nie "mit Haut und Haaren", sondernnur in bestimmten Hinsichten, mit bestimmten Rollen, Motivenund Aufmerksamkeiten dem System zu. Die von den Mitgliederneines Sozialsystems gebildete systeminterne Umwelt wird auchals Innenwelt bezeichnet.

Der Begriffskomplex der Systembildung ist noch näher zu erläutern(WILLKE 1982: 42-96). Der Sinn von Grenzen liegt ganz generellin der lokalen Steigerung stabilisierbarer Unwahrscheinlichkeit(Ordnung, Information) in Gebieten tendenziell zunehmenderEntropie (Unordnung, Wahrscheinlichkeit). Dies verweist auf dasKonzept der operationalen Geschlossenheit und der Autopoiese(MATURANA / VARELA): Ein System definiert für sich selbstdiejenige Grenze, die es ihm erlaubt, die eigene Identität nachintern produzierten und prozessierten Regeln zu erzeugen undgegenüber einer externen Realität durchzuhalten. Dies bedeutet:Außensteuerung autopoietischer Systeme ist nicht möglich, essei denn um den Preis der Zerstörung der autopoietischenQualität und der Identität des Systems. Die Art möglicher Um-weltbeziehungen hängt ausschließlich von der innengeleitetenOperationsweise des autopoietischen Systems ab. Die Sicht vonPersonen (psychischen Systemen) als autopoietische Systememeint: Das Nervensystem prozessiert Gedanken und Vorstellungenund erzeugt ein Bewußtsein, dessen Konstitution (nicht seinInhalt!) ausschließlich aus der Organisationsweise und Strukturdes neuronalen Systems folgt. Daraus ergibt sich die Konse-quenz, daß es keinen unmittelbaren Kontakt zwischenverschiedenen Bewußtseinssystemen gibt (LUHMANN 1985). Dieserist erst auf der Ebene der sozialen Systeme möglich, dieebenfalls als autopoietische Systeme angenommen werden. SozialeSysteme bestehen nicht aus einer Ansammlung von Menschen, son-dern aus dem Prozessieren von Kommunikationen. "Nur eine ra-

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dikale Soziologisierung - und damit: Entpersönlichung -sozialer Systeme ist geeignet, deren Besonderheit und Ei-gengesetzlichkeit so zu fassen, daß das Soziale nicht zurbloßen Aggregation biologischer und psychischer Momente gerät.´Intersubjektivität´ ist keine Lösung dieses Problems, weil dieneurobiologisch fundierte Annahme der autopoietischen Qualitätpsychischer Prozesse zu der Folgerung zwingt, daß jedes Subjektseine eigene Intersubjektivität hat." Soziale Systeme und dieihnen eigenen Kommunikationen besitzen also eine emergenteOrdnung, die nicht auf biologische oder psychische Elementereduzierbar ist. Psychische und soziale Systeme sind sinnhaftkonstituiert, psychische Systeme prozessieren Sinn in Form vonGedanken und Vorstellungen, soziale Systeme in Form vonsprachlich-symbolisch vermittelter Kommunikation. SozialeSysteme bilden sich auf der Grundlage von Kommunikation, fürihre Kontinuität ist fortlaufende Kommunikation unerläßlich.Reine Selbstreferenz führt zu einer Welt "fensterloserMonaden". Die operative Geschlossenheit ist deshalb alsBedingung der Möglichkeit für Offenheit zu sehen. Selbstrefe-renz ist nur sinnvoll zu denken in Kombination mit internerzeugter Fremdreferenz, andernfalls ergäbe sich nichts weiterals Selbstlähmung. Gesellschaft ist also zu verstehen alsGesamtzusammenhang aneinander anschließbarer Kommunikationen.Ihre Teilsysteme erfordern Spezialsemantiken (Ökonomie:Spezialsemantik Geld, Wissenschaft: Spezialsemantik Wahrheit,etc.). Es besteht offenbar ein enger Zusammenhang zwischensozialer Differenzierung und semantischer Differenzierung. Diefolgende Abbildung illustriert die Einführung der LUHMANNschen(1990: 56) Begrifflichkeit von Organismus, Bewußtsein undGesellschaft / Kommunikation als geschlossene, strukturell gekoppelte, selbstor-ganisierende Systeme. Die Skizze macht deutlich: "Kommunikationund Bewußtsein sind wechselseitig füreinander Umwelt." Eslassen sich viele Fragen dazu stellen, z.B. ob das Ganze alsHierarchie zu verstehen ist: Bewußtsein als Subsystem von Kom-munikation, Organismus als Subsystem von Bewußtsein? Auf jedenFall ist das Bewußtsein zentral, beeinflußt sowohl von derKommunikation als auch vom Organismus, vermittelt durchEmergenzphänomene:

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- Bewußtsein entwickelt sich phylogenetisch / ontogenetisch inder Kommunikation und Bewußtseine erzeugen aktuellKommunikation.- Bewußtsein entwickelt sich phylogenetisch / ontogenetisch ausdem Organismus und Bewußtsein erzeugt aktuell unsereWahrnehmung von Organismus.

Kommunikation setzt immer eine Mehrheit psychischer Systemevoraus. Dies wird zum Problem, so LUHMANN (1984: 191f, 1990),wenn man von der selbstreferentiellen Geschlossenheit ausgeht.Er bezeichnet die Definition der Kommunikation, wie sie dieoperative Erkenntnistheorie und der Radikale Konstruktivismusliefern, nämlich auf der Grundlage der intersubjektivenKonstruktion des Anderen in Analogie zum Selbst, alsunzureichend (1990: 24): "Alle Begriffe, mit denenKommunikation beschrieben wird, müssen daher aus jeder psychi-schen Systemreferenz herausgelöst und lediglich auf denselbstreferentiellen Prozeß der Erzeugung von Kommunikationdurch Kommunikation bezogen werden." Kommunikation unter-scheidet und erzeugt eigene Komponenten, nämlich Information,Mitteilung und Verstehen. Bedeutsam ist die Unterscheidung vonMitteilung und Information. Sie wird dadurch hergestellt, daßdie Mitteilung als Zeichen für eine Information genommen wird.Beides, die Zeichenhaftigkeit der Mitteilung wie dieInformation selbst sind, so LUHMANN, kommunikationsinterneKonstrukte. Die Sprache (1990: 47) hat "die Eigentümlichkeit,eine Unterscheidung von Mitteilung und Information praktisch zuerzwingen, denn wenn man Sprache benutzt, kann man (anders alsbei bloß wahrnehmbarem Verhalten) eine kommunikative Absichtnicht gut leugnen; und zugleich kann es Gegenstand weitererKommunikation werden, worüber man gesprochen hat." Wenn nichtauf diese Weise zwischen Mitteilung und Informationunterschieden werde, dann finde keine Kommunikation statt,sondern die Beteiligten nähmen einander nur wahr.

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Kommunikation

Organismus

Umwelt

Bewußtsein

Irritationen,strukturelle Kopplungen

Sprache

Abb. 3.1: Organismus, Bewußtsein und Kommunikation alsselbstorganisierende Systeme, dazwischen Emergenzphänomene.

VARELA (1987) bezeichnet die hier unternommene Erweiterung desAutopoiese-Konzepts über die Ebene der biologisch - chemischenReproduktion hinaus als "Kategorienfehler" und schlägtstattdessen den Begriff der Autonomie vor. Ein autopoietischesSystem reproduziere die Elemente, aus denen es besteht, mitHilfe der Elemente, aus denen es besteht. Dies gilt natürlichfür psychische und soziale Systeme streng genommen nicht, dasie dazu stets auf ihre materiellen Träger, d.h. dieOrganismen, angewiesen sind. WILLKE hält, wie LUHMANN, jedochdaran fest, da der Begriff, im Sinne der operativenGeschlossenheit eines selbstreferentiellen Verweisungszusam-menhangs, wesentlich präziser sei als der der Autonomie:Autopoiese bezeichnet allein den Innenhorizont und Autonomie"erscheint nun besonders geeignet, die Einheit der Differenzvon Autopoiese und Umweltkontakt, von Selbstreferenz undFremdreferenz zu bezeichnen." Die für viele systemtheoretischenPuristen unannehmbare Konsequenz daraus ist: Systemelemente(Kommunikationen) und Relationen / Interaktionen (ebenfallsKommunikationen) fallen zusammen. Eine Kompromißmöglichkeit:Warum sagt man nicht "Selbstreferenz + operationaleGeschlossenheit" statt Autopoiese? Dies würde den Aspekt dermateriellen Selbstreproduktion, der aber bei WILLKE und LUHMANNohnehin nicht gemeint ist, ausklammern.

Verstehen in der Kommunikation autonomer psychischer undsozialer Systeme ist notwendigerweise an die spezifische,innengeleitete Operationsweise des verstehenden Systems gebun-den. Der Sinn der Rede von der "Unwahrscheinlichkeitgelingender Kommunikation" wird besonders augenfällig, wenn es

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- auf der Meta-Ebene - um das Verstehen oder auch das Verste-hen-wollen bzw. Nicht-verstehen-wollen der Theorieansätzeselbst geht.

LUHMANN unterscheidet nur Systeme und Nicht-Systeme. WILLKEbetont die evolutionäre Perspektive der Systembildung. Erbeschreibt den Weg vom "Quasi-System" zum System. Quasi-Systemeentstehen bereits in der elementaren Interaktion vonAnwesenden, Voraussetzung dabei ist die wechselseitigeWahrnehmbarkeit. Quasi-Systeme sind strukturschwach, d.h. siebesitzen hohe Elastizität, aber geringe Autonomie und Umwelt-kontrolle. Im Vordergrund stehen die Einzelidentitäten derBeteiligten, noch nicht eine zusätzliche (emergente) System-identität. Der Übergang zum System kann sich vollziehen, wennder Zeithorizont erweitert wird, also Interesse anlängerfristiger Fortsetzung und Erwartbarkeit der Interaktionaufkommt und wenn die Handlungsfähigkeit des Systems alsSystem, mit der Folge der Zurechnung der Handlung zum Systemanstatt zum gerade handelnden Mitglied, angestrebt wird. DieGrundfrage lautet: Welche Leistungen oder Funktionen muß ein(psychisches oder soziales) System erbringen, um schließlicheine eigene handlungsfähige und entwicklungsfähige Identität zubilden? U.a. haben sich damit PIAGET (Entwicklungspsychologie),PARSONS (Entwicklungssoziologie: interne Strukturbildung undStabilisierung / externe Anpassung, 3-Stufen-Schema) und MILLS(Gruppensoziologie) befaßt. Als gemeinsames evolutionäres Prin-zip, so WILLKE, "drängt sich die Vorstellung einerEntwicklungsspirale auf, in welchem die zunehmende Diffe-renzierung zwischen System und Umwelt und die damit zusammen-hängende zunehmende Identitätsbildung des Systems aufmehrdimensionalen, dialektischen Prozessen der Komplexi-tätsproduktion und -reduktion beruht." In Anlehnung an MILLSnennt WILLKE sechs aufeinander aufbauende Systemzwecke bzw. -funktionen zur Ausbildung eines handlungsfähigen undschließlich generativen Systems: (1) Systembildung,Grenzbildung, (2) Bedürfnisbefriedigung, (3) Aufrechterhaltungder Bedingungen der Bedürfnisbefriedigung), (4) Verfolgungeines kollektiven Ziels, (5) Selbstbestimmung der Gruppe, (6)Gruppenwachstum (die Funktionen 4-6 sind nur für psychische undsoziale Ziele möglich).

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Diese Sicht hängt zusammen mit dem, was auch in der neuerenEvolutionstheorie als Kriterium der Entwicklung angesehen wird,nämlich der Zunahme an organisierter Komplexität. Überleben undAnpassung werden dabei aufgefaßt als Randbedingungen, innerhalbderer sich interne Komplexität entwickelt, um damit gegenüberder Umwelt qualitativ neue Freiheitsgrade zu verwirklichen.Systembildung geht hier einher mit der zunehmenden Abkopplungvon den Umweltbedingungen, sie hat nicht mehr primär mit Anpassungzu tun, "survival of the fittest" wird zu "survival of thecompatible" (WHYTE 1965). Externe Evolutionsfaktoren standenbisher im Vordergrund, nun liegt der Schwerpunkt des Interessesauf den internen Stufen der Systembildung bzw.Komplexitätsbildung sozialer Systeme. WILLKE unterscheidet 5Stufen:1) Sachliche Komplexität meint die Zunahme von Anzahl und Dichtevon Menschen, Sachen und Handlungszusammenhängen:"Sozialsysteme lösen das Konkurrenzproblem sachlicher Kom-plexität durch eine Regelung der Ressourcengewinnung und -verteilung."2) Soziale Komplexität bedeutet: "Systeme lösen das Problemsozialer Komplexität mit funktionaler Binnendifferenzierung."Verbunden mit dem Entstehen von Strukturen ist die Reduktionvon Personen auf Rollen.3) Zeitliche Komplexität entsteht mit der Entwicklung sozialerÄquivalente zum psychischen Gedächtnis. Die Erzeugungkontingenter vergangener und zukünftiger Gegenwarten wirdmöglich. "Im Laufe ihrer Entwicklung lösen Systeme das Problemzeitlicher Komplexität durch die Differenzierung von Strukturund Prozeß."4) Operative Komplexität: "Der letzte Schritt zur Systemqualität(oder Subjektheit und Identität) liegt in der Erarbeitung derFähigkeit, Zwecke und Ziele eigenständig zu setzen und zuvariieren, also im Rahmen einer relativen Autonomie von derUmwelt operative Komplexität zu produzieren und zuverarbeiten." Dies erfordert u.a. adäquate interneAußenweltmodelle, um sie intern modellhaft beherrschbar zumachen. Verhalten wird so zu Handeln: Handeln ebenso wie Sy-stemhaftigkeit sind emergente Eigenschaften einerOrganisationsstufe, die durch die Fähigkeit zu bewußter Selbst-Organisation gekennzeichnet ist. Es entsteht zwangsläufig das

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Problem der Interaktion zwischen Teilsystemen dieser Art, dasProblem von Bewußtsein, Reflexion, Intersubjektivität. Selbst-Bewußtsein und Subjektivität scheinen auf der Anerkennung vonanderen Menschen als Subjekten zu beruhen. Daraus ergibt sichanalog das Konzept der Reflexion, d.h. der Fähigkeit sozialerSysteme, sich selbst zu thematisieren und sich als Umweltanderer Systeme zu sehen und dies in das eigene Verhalten ein-zubauen. Dies ist nur dann nicht weltfremder Altruismus, wennes zur Handlungsmaxime eines Gesamtsystems geworden ist. Esbesteht ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen Reflexion undHandlungsfähigkeit. Dieses Spannungsverhältnis erforderthochentwickelte kognitive Strukturen, wenn Blockaden oder Kurz-schlußhandlungen vermieden werden sollen. Die Fähigkeit zurReflexion ist eine evolutionäre Errungenschaft. Sozialsystemelösen das Problem operativer Komplexität durch Selbstthemati-sierung. Inter-System-Beziehungen und kommunikativeHandlungsstrategien folgen daraus: Gespräche, Verhandlungen,Konferenzen, Hearings, Schlichtungsverfahren, etc. KonkreteBeispiele: "Konzertierte Aktion", Wissenschaftsrat, etc. DieFähigkeit selbst-bewußter Systeme, sich selbst als möglicheUmwelt anderer Systeme zu thematisieren und daraus reflektierteInteraktionen abzuleiten, hat auf der Ebene der EinzelsystemeKosten und verspricht erst auf der weiteren Ebene desintersystemischen Zusammenhangs kombinatorische Gewinne.Integration ist Bedingung der Möglichkeit von Einflußnahme unddamit Entwicklung.5) Kognitive Komplexität wird als weitere Stufe eingeführt. Sieerhöht die Fähigkeit von Sozialsystemen, sich diskursiv mitihrer Umwelt auseinander zu setzen. Zur kognitiven Komplexitätzählen, neben dem Wissen von Experten und Eliten, dieaggregierten Wirkungen des Ausbildungsniveaus einerGesellschaft und der Stand ihres ausdifferenziertenWissenschaftssystems.

Mit der Verlagerung des Zeithorizontes von der Gegenwart in dieZukunft wird die Beeinflussung der Zukunft (genauer: möglicherzukünftiger Gegenwarten) durch gegenwärtige Entscheidungenmöglich und muß daher prospektiv mitbedacht, geplant werden.LUHMANN beschreibt die Entwicklung der Neuzeit tendenziell alsÜbergang von der Dominanz der Politik (Macht) zur die Dominanz

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der Ökonomie (Geld) und schließlich zur Dominanz derWissenschaft (Wahrheit). Die vieldiskutierte Frage: Befindenwir uns auf dem Weg zur wissenschaftlichen Gesellschaft? willer nicht in dem Sinne beantwortet wissen, daß Wissenschaft nundas neue dominierende Teilsystem sein solle, sondern daßwissenschaftlich reflektiertes Handeln in allen Bereichen derGesellschaft erforderlich sei. Dem ist nur zuzustimmen!

Die soziologische Systemtheorie basiert auf dem Autopoiese-Konzeptund der operativen Erkenntnistheorie. Sie liefert eineBegrifflichkeit zur Beschreibung von Industriegesellschaften"westlichen" Zuschnitts. Die "funktional-strukturelle" Theoriebeschreibt Gesellschaft als funktional ausdifferenziertesSystem autonomer Teilsysteme. Sie unterscheidet nur Systeme undNicht-Systeme. Der "funktional-genetische" Ansatz untersucht denProzeß der Systembildung und die Mechanismen des evolutionärenWandels. Dies ist bedeutsam für das hier zu entwickelndeVerständnis von Design und Designtheorie.

Kausalität, Determinismus und Freiheit

Für die Frage nach der Beeinflußbarkeit der Zukunft, derPlanbarkeit soziotechnischer Systeme erscheint es sinnvoll,zunächst diesen Begriffskomplex, das Spektrum zwischen denPolen von Determinismus und Freiheit, näher zu untersuchen. Inder neuzeitlichen Philosophie und Wissenschaft bezeichnetKausalität den wirkursächlichen Zusammenhang von Ereignissen. DasKausalprinzip als physikalische Interpretation des LEIBNIZschen(1646-1716) "Satzes vom zureichenden Grund" besagt: Nichtsgeschieht ohne Ursache. Das Kausalgesetz: "Gleiche Ursachen habengleiche Wirkungen" ist Voraussetzung für die Formulierung re-gelmäßiger Zusammenhänge, etwa in der Art von Naturgesetzen.Das ontologische Verständnis nimmt an, die Ursachen wirken "inden Dingen", das methodologische Verständnis sieht Kausalitätals Aufforderung, eingetretene Ereignisse auf vorausgegangene"zurückzuführen" (MITTELSTRAß 1984) . Die wirkenden Ursachenliegen in der Vergangenheit, die finalen Ursachen bewirken die

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Entwicklung hin zu einem zukünftigen Ziel. Die LEIBNIZscheDeutung betont noch die Finalität bei der Interpretation derNaturgesetze. Sie sieht physikalische Prozesse als Resultat ei-ner final bestimmten, wenn auch kausal erklärbaren, Auswahlzwischen alternativ möglichen Prozessen. Alle Eigenschaften derNatur sind damit eindeutig determiniert. Finalität und Teleologie,als Begriffe, die diesen "Mechanismus" bezeichnen, hatten inden sich entwickelnden Wissenschaften verständlicherweisekeinen guten Klang mehr, denn die Wirkung hat nun der Ursachezu folgen, nicht umgekehrt. Francis BACON (1561-1626) nennt inseinem "Novum Organon" (1620) als Aufgabe der Physik die Sucheder Wirkursachen in der Natur, nicht der Zweckursachen. Und derAnspruch besteht zunehmend darin, diese Ursachen frei zu setzen.Interessant ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung, daß diemoderne Planungstheorie den Finalitätsbegriff in einerpragmatisch-zweckrationalen Variante durch die Hintertür wiederins Spiel bringt.

Zurück zm Kausalgesetz: Erkenntnistheoretisch stellt sichunmittelbar die Frage: Welchem Erkenntnisvermögen verdankt esseine Gültigkeit, der Erfahrung oder der Vernunft (bzw. demVerstand)? Besteht die Gültigkeit aposteriori, wie es derEmpirismus vertritt oder apriori, wie der Rationalismus meint?Neben vielen anderen haben sich KANT und HUME mit der Frageauseinandergesetzt.

KANTs (1724-1804) Vernunftkritik (1781) behauptet, das Kau-salgesetz sei gültig nur für die Natur als "Erscheinung" undsein Ursprung liege im Subjekt, allerdings nicht in der durchGewohnheit geschulten Einbildungskraft, sondern im Denken. DerVerstand schreibt also der Natur seine Gesetze vor. Für KANTist das Kausalgesetz notwendige Voraussetzung ("Bedingung derMöglichkeit") der Erfahrung, es besitzt damit apriorische Gül-tigkeit. Es ist jedoch eingeschränkt auf den Bereich möglicherErfahrung, den Bereich der sogenannten "Naturnotwendigkeit".Deshalb sei es kein Widerspruch, für den Bereich der "Dinge ansich" mit einer "Kausalität der Freiheit" den freien Willen alsmöglich anzunehmen. Aber wie erfährt man die "Dinge an sich"?

HUMEs (1711-1776) skeptizistische Erfahrungskritik - obwohlfrüher formuliert - erscheint "moderner". Sie sagt,Tatsachenwissen beruhe wesentlich auf der Anerkennung desKausalgesetzes, das einzig aus der Erfahrung bekannt sei.

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Voraussetzung aller tragfähigen Erfahrungssschlüsse ist dieGleichförmigkeit von Vergangenheit und Zukunft. Diese Vorausset-zung kann aber ihrerseits, wegen Zirkularität dieses Schlusses,nicht durch Erfahrung begründet werden. Daraus folgt, daß dieVerläßlichkeit der Erfahrung theoretisch nicht fundiert werdenkann. An die Stelle der Erfahrungsschlüsse tritt instinktmäßigeGewohnheit. Es gibt kein Wissen über eine "notwendige"Verknüpfung "in den Dingen". Das Verständnis der notwendigenVerknüpfung als Verknüpfung nicht in den Dingen, sondern in derEinbildungskraft des Erklärenden erlaubt es, die Ereignisse inder (phänomenalen) Natur und die Handlungen der Menschenderselben Notwendigkeit unterworfen sein zu lassen. Freiheitdes Willens gibt es deshalb für HUME nur als Gegensatz zumZwang, nicht aber als Gegensatz zur Notwendigkeit. Ist es das,was Heinz VON FOERSTER (zitiert bei KRIEG 1991) meint, wenn erKausalität in den knappen Worten beschreibt: "Die Ursache istdie Wirkung ihrer eigenen Wirkung"?

Abb. 3.2: Formen der Kausalität (nach DEKER / THOMAS 1983).

Der Begriff der Kausalität ist weiterhin Gegenstand derUntersuchung durch Sprachanalyse, Logik,Wahrscheinlichkeitstheorie, Spieltheorie, Handlungstheorie usf.Eine Erläuterung aus naturwissenschaftlicher Sicht findet sichbei DEKER / THOMAS (1983): Das sog. "schwache" oder strengdeterministische Kausalitätsprinzip lautet: "Gleiche Ursachenhaben gleiche Wirkungen". Die Zukunft eines Systems (ebensoseine Vergangenheit) ist vorhersagbar, wenn dieAnfangsbedingungen und das mathematische Modell der Dynamikbekannt sind. Das Prinzip sagt jedoch nichts darüber aus,welche Auswirkungen kleine Unterschiede in den Anfangsbe-

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dingungen haben. Das "starke" Kausalitätsprinzip sagt:"Ähnliche Ursachen haben ähnliche Wirkungen". Dies ist diewichtigste Basis experimenteller Wissenschaft; man geht aus vonder Reproduzierbarkeit von Phänomenen trotz unvermeidlicherUngenauigkeiten in der Versuchsanordnung und der Messung. Engverbunden damit ist die Theorie der linearen Systeme mit ihrerAnnahme der Proportionalität von Ursachen und Wirkungen. In derNaturwissenschaft wurden die Grenzen des Prinzips spätestensmit der Quantenmechanik unübersehbar. Neuerdings beeinflußt dieChaostheorie unser Verhältnis zum Kausalitätsprinzip. Siebeschreibt das immer mehr ins Auge fallende Phänomen der Verlet-zung der starken Kausalität: "Ähnliche Ursachen haben unterschiedlicheWirkungen". Das Verhalten derartiger Systeme wird durch"chaotische" Attraktoren bestimmt.

Der Begriff des Determinismus (vgl. HÜGLI / LÜBCKE 1991,MITTELSTRAß 1980) meint die Auffassung, jedes Ereignis seidurch Ursachen bestimmt, so daß es als Ergebnis der vorhandenenBedingungen zwangsläufig eintritt. Am weitesten geht dermetaphysische Determinismus, der behauptet, die Wirklichkeitsei durch einen umfassenden Ursachenzusammenhang (Kausalitätbzw. Finalität) gekennzeichnet. Der wissenschaftliche Determinismusbehauptet: Vorausgesetzt, die Gesetzmäßigkeit einer bestimmtenArt von Ereignissen ist bekannt und ebenso der Zustand des ent-sprechenden Ausschnitts der Wirklichkeit (des Systems) zu einerbestimmten Zeit, so ist es prinzipiell möglich, Ereignisse zueiner beliebigen anderen Zeit vorherzusagen bzw. retrospektivzu bestimmen. Die Auffassung stützt sich darauf, daß die klas-sischen und modernen Theorien der Physik - mit Ausnahme derQuantenphysik - ihrer logischen Struktur nach deterministisch(und reversibel) sind. Die Definition lautet explizit: Allge-mein heiße ein abgeschlossenes physikalisches System Sdeterministisch bezüglich einer Klasse K von Zustandsgrößen,wenn (a) jeder frühere oder spätere Systemzustand bezüglich Kdurch einen Anfangszustand bezüglich K und die Gesetze von Seindeutig berechenbar ist und (b) S eine beliebige Meß-genauigkeit für alle Zustandsgrößen aus K zuläßt.

Die extremste Ausprägung dieses Denkens findet sich beiLAPLACE (1749-1827). Danach könnte ein "Dämon" ("Weltgeist")mit Kenntnis sämtlicher physikalischen Gesetze alles über dieVergangenheit und Zukunft wissen, wenn er über eine

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vollständige Beschreibung sämtlicher Zustandsweisen materiellerPartikel zu einem bestimmten (beliebigen) Zeitpunkt verfügenwürde. Die Welt wird hier verstanden als ein großesmechanisches, kausaldeterminiertes System. Schon in derQuantenmechanik sind die maßgeblichen Zustandsgrößen derklassischen Mechanik, Ort und Impuls eines Massenpunktes, nichtmehr gleichzeitig bestimmbar, d.h. es handelt sich nicht um de-terministische, sondern um stochastische, nur noch statistischbeschreibbare Systeme. Die Wahrscheinlichkeitstheorie verstehtdeterministische Prozesse heute als Spezialfälle von stochasti-schen Prozessen.

Die im Zuge des naturwissenschaftlichen Fortschreitensentwickelten staatsphilosophischen und anthropologischen Mo-delle der "Weltmaschine" (HOBBES 1588-1679) oder der "Menschma-schine" (LA METTRIE 1709-1751) führen unmittelbar zu Fragen derWillensfreiheit des Menschen, sowohl im metaphysischen Sinne (gibtes sie?) als auch im normativen Sinne (wie ist sie zuverwirklichen?). Der freie Wille wird häufig als Vermögenverstanden, eine im Voraus unentschiedene Wahl zwischenverschiedenen Handlungsmöglichkeiten zu treffen. Generell im-pliziert der Determinismus die Verneinung eines freien Willensbeim Menschen. Der logische Determinismus (Fatalismus) siehteine grundsätzliche Schicksalsbestimmtheit: Weil Aussagen überdie Zukunft schon heute wahr oder falsch seien, müsse auslogischen Gründen auch schon heute feststehen, wie die Zukunftaussehen wird. In solchen offensichtlich der Erfahrung wider-sprechenden Aussagen zeigen sich die Grenzen der formalenLogik. Der sogenannte harte Determinismus lehnt zwar dieSchicksalsbestimmung ab, aber die Rede von der freien Wahl dermenschlichen Handlungen sei dennoch Illusion. Eineschwerwiegende Folge dieser Auffassung ist: Der Mensch istnicht verantwortlich für seine Handlungen bzw., selbst wenn erdies wollte, er ist nicht in der Lage, verantwortlich zuhandeln, weil er keine Auswahl-Alternativen hat. Der weicheDeterminismus sieht keinen Gegensatz zwischen freier und ur-sachenbestimmter Handlung. Eine Handlung ist frei, derenUrsachen im Menschen selber liegen, seinen Wünschen, Haltungen,Meinungen, etc., welche durchaus auch deterministisch gedachtwerden können. Die englischen Empiristen HOBBES, LOCKE, HUME,

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MILL und auch die heutige analytische Philosophie vertretendiese Position. Auch die Biologie der Kognition, als Grundlagedes Radikalen Konstruktivismus, geht auf der Ebene derneuronalen Prozesse von deterministischem Verhalten aus.Freiheit meint dort die Möglichkeit, seinem eigenen (auf deralleruntersten biologischen Ebene deterministischen) "Programm"zu folgen.

Die Auffassung des Indeterminismus bestreitet, daß Handlungenselber oder ihre Folgen die notwendige Wirkung vorausgegangenerUrsachen sein müssen. JASPERS (auch KIERKEGAARD, HEIDEGGER,SARTRE) sagen etwa sinngemäß: Der Mensch ist nicht ein Gegen-stand (Objekt) unter anderen, sondern ein existierendes freiesSubjekt, das alle Gegenständlichkeit transzendiert. Darausentstehen philosophische Probleme wie etwa das Verhältniszwischen dem Menschen als Teil der deterministisch gedachtenNatur und dem Menschen als freiem indeterminierten Wesen. Die"nominalistische" Lösung sagt: Der freie Mensch ist in derLage, die deterministische Ursachenkette abzubrechen. Die"dualistische Lösung" sagt: Der Mensch ist Bürger zweierWelten, des Reiches der Freiheit und des Reiches derNotwendigkeit; beide sind selbständige Sphären. Oder es stelltsich die Frage nach dem Unterschied zwischen der freienindeterminierten Wahl und der bloßen Abwesenheit von Ursachenund Gesetzmäßigkeiten, dem blinden Zufall.

Freiheit im normativen Sinne schließlich meint: Der Menschist frei, wenn er sich verwirklicht. Aber was ist der "wirkliche"Zweck des Menschen? Teil eines überindividuellen Ganzen werdenoder die individuelle Entwicklung auf ein bestimmtes Ideal hin?Wer bestimmt die Ideale und die letzten Zwecke? Sind sievielleicht schon objektiv gegeben? Welche Rolle spielt dasmenschliche (Selbst-) Bewußtsein in der freien Selbst-Realisation?

Der kurze philosophisch-wissenschaftstheoretische Rückblick hatdeutlich gemacht, daß das Kausalitätsproblem und die Frage nachDeterminismus / Indeterminismus eng mit dem experimentellenCharakter unserer neuzeitlicher Wissenschaft und der Ideetechnischer Naturbeherrschung verknüpft sind. Heinz VONFOERSTER nennt die Idee der Kausalität eine "triviale Ma-schine", die dem menschlichen Bedarf nach Verstehen entspringe

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(KRIEG 1991). KORNWACHS (1991) bezeichnet Naturgesetze als dieRegeln der Welt, so wie wir sie bauen können. Begriffsbildunggeschehe primär durch Handlungen. Diese wiederum fungieren alsVoraussetzungen für Erfahrungen und Anschauungen auf der Basisvorhandener Begriffe. Es bestehen ohne Zweifel enge Wechsel-beziehungen zwischen Handlung (Praxis) und Begriffsbildung(Theorie). Dies bestätigt die Thesen von KRIEG (1990), daßTechnik eine wichtige Grundlage zum Verständnis und zur Er-klärung der (menschlichen) Natur ist. Es bestehen Beziehungennicht nur zwischen Praxis und Theorie, sondern auch zwischenmateriellen und immateriellen Artefakten. ImmaterielleArtefakte benötigen geeignete Apparate und Strukturen, umwirksam werden zu können; isolierte immaterielle Artefakte kannes nicht geben. Die Beziehung materiell - immateriellentspricht, so KORNWACHS, der Beziehung System (Struktur) -Information. Geschichte kann in dieser Sichtweise auch gedeutetwerden als Ablauf der Anwendungen von Artefakten. In derTheoriegeladenheit der Handlungen im technisch-wissenschaftlichen Bereich zeigen sich Analogien zurStrukturdeterminiertheit der Kognition im "Alltagsverhalten".Die verfügbaren "Tools" (Strukturen, Werkzeuge, Theorien ...)bestimmen die Gestaltung sozialer Realität durch die Definitiondes Problems und einen selektiven Problemlösungsstil.

R.A. WILSON (1992: 285) sagt: "Eine vage Ahnung vonKausalität gab es wahrscheinlich seit Beginn der menschlichenIntelligenz; die klassische westliche Metapher von Ursache aberkam erst auf, als die späte Renaissance daran ging,aristotelische Logik mit experimentellen Methoden zukombinieren. Die ersten Zweifel an der Kausalität regten sichin den zwanziger Jahren unter den Quantenphysikern. Nun, danicht-lokale Wechselwirkungen das Modell der Kausalität inFrage stellen, gewöhnen sich Physiker daran, von zweiverschiedenen Prinzipien zu sprechen -dem kausalen (lokalen)und dem nicht-kausalen (nicht-lokalen)."

Peter KRIEG (1990: Kap. 8) spricht vom "Ur-MythosKausalität" und behauptet, die Vernunft der Aufklärung seinichts anderes als die Vernunft der Maschine: "Die Maschinensind immer nur so komplex, wie wir sie aushalten." Das Primatvon Logik und Vernunft in der Aufklärung, so meint er, war einKampf gegen die Furcht, gegen die nicht-linearen Fähigkeiten

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oder Zustände des Gehirns, die wir "Gefühle" nennen, ein Kampfgegen das "Irrationale". Nur das Rationale wurde als Realitätanerkannt. Heute drängt das Verdrängte, als irrationalAbgelehnte umso heftiger an die Oberfläche und die Individuenscheinen bereit zu sein, es wieder zuzulassen und esauszuhalten. In eben diesem Moment entdeckt (erfindet?) auchdie Wissenschaft das Chaotische, das Unberechenbare, dasIrrationale. Und sie läßt es nicht nur zu, sondern feiert esgeradezu als neue "Offenbarung".

Schließlich LASZLOs Auseinandersetzung mit dem Thema (1991:91f): Er bringt die Problematik in den konkreten historischenund sozialen Zusammenhang, der auch im Hinblick auf das Problemdes Entwerfens alternativer (besserer) Zukünfte von Interesseist. Er fragt, wie das kommende Zeitalter aussehen werde und obVorausschau zur Beantwortung dieser Frage möglich sei.Vorhersehbarkeit erfordert die Kenntnis der menschlichen undsozialen Faktoren, die einen Prozeß bestimmen. Sind dieseFaktoren deterministisch? Der von der umstrittenen Disziplinder "Soziobiologie" vertretene genetische Determinismus sagt,menschliches und damit auch soziales Verhalten sei genetischcodiert und das Grundprinzip bestehe in der Maximierung derTauglichkeit der Individuen durch Egoismus, Aggression,Machthunger. Dies würde bedeuten, daß eine Verbesserung derGesellschaft nur durch genetisch neue Menschen möglich wäre.Die Folge: das neue Zeitalter des "homo supersapiens", deraltruistisch, sanft und gut ist. Das wichtigste, weilsystemtheoretische, Argument gegen diese Vorstellungen derSoziobiologie besteht darin, daß der Charakter einerGesellschaft sich nicht als Summe der Einzelcharaktere seinerMitglieder ergibt. Außerdem gab es schon viele ganzunterschiedliche menschheitsgeschichtliche Zeitalter, obwohlsich die menschlichen Gene während dieser Zeit nie geändert ha-ben. Die Faktoren, die die Entwicklung bestimmen, sind alsooffenbar mindestens ebenso stark soziokultureller wiegenetischer Art. Nochmal die Frage: Wie sind die Gesetz-mäßigkeiten?- Vollständig determiniert (teleologisch auf ein Ziel hin, durchewige Naturgesetze wie ein Uhrwerk, etc.)? Dies ist diePosition des Fatalismus: die Zukunft ist nicht zu beeinflussen,nur zu entdecken. Die Auffassung ist in dieser extremen

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Ausprägung selten. Irgend eine Form der Beeinflußbarkeit durchwillentliches Tun wird fast immer angenommen.- Nicht determiniert? Die Gesellschaft ist vollständig das Produktdes menschlichen Willens. Die Anzeichen sprechen, so LASZLO,nicht dafür. Man muß ihm zustimmen.- Reiner Zufall? Viele Ereignisse in der Geschichte deuten daraufhin.

LASZLO entwickelt nun eine eigene Variante desDeterminismus, eine Mischform von Fatalismus und Zufall, den erals "Makro-Determinismus" (die Geschichte in ihrerlangfristigen Grundtendenz ist deterministisch) in Kombinationmit "Mikro-Indeterminismus" (Einzelereignisse sind nichtprognostizierbar) bezeichnet. Er äußert die Vermutung, daß dengeschichtlichen Ereignissen Gesetze und Regelmäßigkeitenzugrundeliegen, die auf Wahrscheinlichkeit beruhen. Eserscheine deshalb vernünftig, nach Mustern in der Geschichte zusuchen. Das zyklische Muster als sehr alte Vorstellung im Sinnevon Naturgesetzmäßigkeiten zeigt sich etwa in GiambattistaVICOs "Corso". Wiederaufgenommen ist es bei FriedrichNIETZSCHEs "ewiger Wiederkehr des Immergleichen", bei OswaldSPENGLERs "Lebenszyklen" von Kulturen oder bei Arnold TOYNBEEs"Tragischem Muster". Das Spiralmuster führt Fortschritt bzw.Rückschritt ein: Alle Dinge kehren wieder, aber nicht auf diegleiche Art (Herbert SPENCER). Die Stabilität des Zyklus istkombiniert mit der Wandlungskraft des Linearen. Die meta-physische Kraft dieses gerade wieder sehr aktuellen Bildes istimmens. WALTER (1992) kombiniert, vermittelt durch die formalenParallelen zwischen dem chinesischen I Ging ("Buch derWandlungen") und dem genetischen Code (DNS-Doppelhelix)"östliches" ("zyklisches") und "westliches" ("lineares") Denkenzu einer neuen Heilslehre. Die schwierige Frage ist dabeiimmer: Wohin zielt die lineare Komponente der Spirale? Derhistorische Materialismus als einflußreichste "Spiraltheorie"deutet Geschichte als Folge von Klassenkämpfen mit dem Ziel deridealen Gesellschaft. Das lineare Muster schließlich ist die bisvor kurzem absolut dominante Vorstellung der Moderne. DerMarquis de CONDORCET (1743-1794) äußerte erstmals dieÜberzeugung von der ständigen Verbesserung, DARWIN lieferte fürviele die wissenschaftliche "Bestätigung" dieser These.Kennzeichnend für das lineare Muster ist die starke Kopplung

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des geistig-sozial-kulturellen Fortschritts an den technischenFortschritt.

LASZLO verwirft die vorgestellten Ansätze und führt alsneue, optimal in das Denken der Zeit passende Variante dasnichtlineare Muster ein. Es wurde vorgedacht in der Bahai-Religionim 19. Jahrhundert. Demnach wird die Einheit der Menschheit inevolutionären Etappen, die mit Streit, Chaos und Verwirrungbelastet sind, verwirklicht werden. Alfred North WHITEHEAD(1933) wird zitiert: "Es ist die Aufgabe der Zukunft,gefährlich zu sein. ... Die wesentlichen Fortschritte in derZivilisation sind Prozesse, welche die Gesellschaft, in der siesich manifestieren, fast zugrunde richten." Bestätigt wird dieAuffassung für LASZLO durch die neue evolutionäre Theorie kom-plexer Systeme, welche auch menschliche Gesellschaften als eineVariante evolutionärer Systeme sieht: "Als unabhängige komplexeSysteme entfalten sich menschliche Gesellschaften im Laufeihrer Geschichte durch vielfältige Bifurkationen. Diese findensich eingestreut zwischen langen Perioden der Stabilität ... AmGrunde dieser Vorgänge gibt es eine allgemeine Gerichtetheit,eine langfristige Tendenz, die sich von der frühesten Vor-geschichte bis zum heutigen Tage entfaltet hat und dies sehrwahrscheinlich auch weiterhin tun wird." Als Tendenzenquantitativer Art sieht LASZLO wachsende Größe, Komplexität undwachsenden Energiedurchsatz und damit zunächst Entfernung vomthermodynamischen Gleichgewicht. Chaos kann aber nicht alsDauerzustand gesehen werden, denn auf lange Sicht entsprechenur das ausgewogene Zusammenspiel von Ordnung und Chaos in derGeschichte der grundlegenden Evolutionstendenz. Seine Prognose:Im günstigen Fall geschieht die allmähliche Ausbildung viel-stufiger Organisationsformen, durchsetzt mit Umwegen undRückschlägen, eine Gleichzeitigkeit von Differenzierung undIntegration.

Soweit LASZLO. Zumindest paßt seine neue Variante in dieheutige Denklandschaft. Sie ist selbst ein markantes Elementder Musterbildung im Denken der jüngsten Zeit. Ob sie der Wirk-lichkeit näherkommt als die vorangegangenen, in ihrem Kontextebenfalls passenden Varianten, ist eine ganz andere Frage.

Abschließend der Versuch eines Fazits: Es ist offensichtlich,daß es ein starkes Spannungsfeld zwischen den Begriffen

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Determinismus und Indeterminismus gibt, in dem sich nicht nurunsere psychologischen, sondern auch unsere sozialen undhistorischen Begriffe von Freiheit, Beeinflußbarkeit derZukunft und Fortschritt bilden. Das Bild eines dynamischenWirbelgebietes mit wechselnden Mustern und Attraktoren scheintals Beschreibung angemessen. Die Dominanz nicht-deterministischer Auffassungen der Aufklärung (Freiheit) unddie Überzeugung der Beherrschbarkeit der Natur in der Moderne(Technik und Wissenschaft) führt zur Auffassung der Machbarkeitder Zukunft. In den beiden extremen Gegenpositionen zu diesemnicht-deterministischen Geschichts- und Fortschrittsverständnis(Hans JONAS bezeichnet sie so), den politisch-utopischenGeschichtseschatologien einerseits und dem unpolitisch-unendlichen Fortschrittsglauben andererseits, zeigt sichmöglicherweise nicht so sehr ein neuer Determinismus, sondernvielmehr die enge Verbindung des tiefen menschlichen Wunschsnach Vorbestimmung in Richtung auf das Gute mit dem starkenAnspruch der Machbarkeit in seiner Realisierung.

MATURANA spricht von "Mikro-Determinismus" und "Makro-Indeterminismus", LASZLO dagegen von "Mikro-Indeterminismus"und "Makro-Determinismus". Dies paßt nur auf den ersten Blicknicht zusammen. MATURANAs "Mikro" meint die neurophysiologischeEbene, sein "Makro" die psychische Ebene des Individuums.LASZLOs "Mikro" meint die kurzfristige sozial-historischeDimension, sein "Makro" die längerfristige historisch-evolutio-näre. In dieser Betrachtungsweise entsteht ein Zwischenbereich(MATURANAs "Makro"-, LASZLOs "Mikro"-Indeterminismus), dergekennzeichnet ist durch seinen unmittelbaren Bezug zur men-schlichen Körperlichkeit in ihren Wahrnehmungs- und Ak-tionsmöglichkeiten und ihrer zeitlichen Dimension. Hier istzielgerichtete Einflußnahme möglich, hier bildete sich das Kon-strukt Kausalität, das bestenfalls die Grundlage für die Freiheitder Entscheidung liefert. LUHMANN (1973: 196): "SeineUniversalität, seine Unbegrenzbarkeit und seine Inhaltsleere,die alle Möglichkeit offen läßt, rüsten das Kausalschema ausfür seine Funktion, die Komplexität der Welt abzubilden." Die"mittlere Schicht der Freiheit", wie man sie nennen könnte,scheint sehr anfällig zu sein. Sie wird von beiden Seitenschwer "bedrängt", sowohl von der biologischen wie von derevolutionären.

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Am gefährlichsten scheint jedoch weiterhin die Bedrohung voninnen, aus dem Psychisch-Sozialen. Eine Schlußbemerkung dazu imZusammenhang von Systemtheorie und Konstruktivismus.Systemhaftigkeit bedeutet: Man hat ein Modell konstruiert, daseinen bestimmten Bezug zu einem Ausschnitt der Wirklichkeitbeansprucht. Modelle können beliebig deterministisch gebautwerden, je nachdem, was für ein Zweck mit ihnen verfolgt wird.Davon unabhängig ist die Frage, was sie mit der systemunab-hängigen (nicht-gemachten) Wirklichkeit zu tun haben undwelchen Erkenntnisgewinn sie erlauben. Aus konstruktivistischerSicht: Die "vernünftige" Wirklichkeit des Rationalismus hatebenso viel oder wenig mit den theoretischen Erklärungen(klassische Mechanik, Mathematik) zu tun wie die "chaotische"Wirklichkeit der "Postmoderne" mit ihren heutigen theoretischenErklärungsmustern ("Chaostheorie, etc.). Die Gefahren wissen-schaftstheoretischer und philosophischer Theorien (Materie-Geist-Dualismus, Mechanizismus, Determinismus, Reduktionismus,etc.) bestehen weniger in ihrem Inhalt, als in dem mit ihnenverknüpften Wahrheitsanspruch. Man sagt nicht, dies oder jenessei ein mögliches (vernünftig erscheinendes) Modell, mit derWirklichkeit umzugehen, sondern man sagt, das ist die Realität.Problematisch ist also allein der erkenntnistheoretischeAnspruch, der Inhalt der Theorien kann je nach dem Zweck derFragestellung durchaus angemessen sein. Der Welle-Teilchen-Dua-lismus in der Quantenphysik verdeutlicht: Es sind"offensichtlich" weder Wellen noch Teilchen, d.h. die Modelle sindMetaphern, das non-verbale Ereignis, die Wirklichkeit, der"unmarked state" bleibt unaussprechlich. Bei KRIEG (1990) wirddiese Gefangenschaft in der Metaphorik der Sprache deutlich,wenn er sagt, Freiheit konstruktivistisch bedeute die Möglich-keit, sich für das "eigene Programm" entscheiden zu können. DieSprache erlaubt es hier, das indeterminierte Bewußtsein und dendeterminierten Organismus in Beziehung zu setzen. Es ist nichtzu prüfen, wie es "wirklich" ist. Auf jeden Fall verwirklichter die Freiheit, zu sagen, was er sagen will.

Kausalität ist ein Erfahrungsbegriff, konstruiert aus derStabilität von Wahrnehmungen. Sie ist sowohl Werkzeug als auchProdukt menschlicher Weltdeutung und Weltgestaltung. Determi-

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nismus ist in der Wissenschaft, spätestens seit derQuantentheorie, nur noch ein idealer Sonderfall derSystembeschreibung.Handlungen sind frei, die aus menschlichen Wünschen, Haltungen,Meinungen, Emotionen entspringen. Diese können (etwa in derbiologischen Theorie) deterministisch gedacht werden. Menschenhaben gestalterische Wahl- und Entscheidungsfreiheit in dem Maße, wieder soziokulturelle Kontext sie erlaubt.

Zur Beeinflußbarkeit sozialer Systeme

Die besondere Problematik bei der Modellierung von Dynamik imSystemmodell besteht in der verwirrenden Mischung vonzielorientiertem Handeln, bestimmt durch Begriffe wieKausalität, Rationalität, Zweckrationalität mit Phänomenen wieSelbstorganisation, Chaos, Emotionalität, Irrationalität, etc.Die scheinbare Diskrepanz von "Wollen" und "Handeln" derIndividuen in heutigen Gesellschaften, die von SEIFRITZ (1987:129f) beklagt wird, ist jedoch weniger ein Zeichen derIrrationalität der Gesellschaft, sondern deutet eher daraufhin, daß es angemessen ist, angesichts zunehmender Komplexität,Bewußtsein und Kommunikation nicht mehr als triviale Maschinen,sondern im Sinne von LUHMANN als separate und nur losegekoppelte selbstorganisierende Systeme zu behandeln.Dazwischen gibt es in ihrer Mechanik weitgehend intransparenteEmergenzvorgänge. Emergenz, die Ausbildung qualitativ neuerMerkmale beim Aufstieg in den Modellebenen des Systems, istmehr als bloß Aggregation. Unterschiedliche Zeitmaßstäbe in denEbenen verkomplizieren den Prozeß. Stile, Kommunikationsweisen,"Zeitgeist" sind emergente, temporäre, dynamischeAttraktormuster. Theoriebildungsprozesse, verbunden mit "Para-digmenwechseln", im System Entwerfen unterliegen ähnlichenGesetzmäßigkeiten. Der Begriff der "Irrationalität"verschleiert nur die Komplexität der Phänomene. Zur Problematikbei der Modellierung von Selbstorganisationsphänomenen. vgl.etwa KROHN / KÜPPERS (1990 a, b) u.a.

Häufig wird der deterministische Aspektes des Chaosbegriffsbetont, das allein in der Mathematik deterministische Chaos

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wird in die beobachtbare "Realität" (Wirklichkeit) transpo-niert. Damit wird dann mehr (SEIFRITZ 1987) oder weniger(BOSSEL 1989) auch die Möglichkeit der Planung und Steuerungder realen Prozesse impliziert. Dies sollte als Wunschvorstellungverstanden werden. Die Annahme der prinzipiellen Steuerbarkeitdient überdies als wesentliche Legitimation für das eigene, inextremem Maße verändernde, Planen und Handeln. Das deter-ministische mathematische Modellkalkül legitimiert das nur mehrstochastisch handhabbare Risiko der Großtechnik. Dieses sichzuspitzende Dilemma darf nicht deutlich werden, denn es würdedie Brüchigkeit der Handlungsbasis offenbaren.

MATURANAs Aussagen (1985) zur Steuerbarkeit vonselbstorganisierenden Systemen sind, wie meist bei ihm, sehrallgemein, zum Einstieg aber geeignet: Lebende Systeme alsstrukturdeterminierte Einheiten sind deterministisch. Diesirritiert zunächst, bedeutet aber noch nicht viel, denn erfährt fort: Eine Voraussage ist eine Berechnung in einem Systemin einem Bereich (Modell), von der behauptet wird, sie seiisomorph mit einem System in einem anderen Bereich, wo dieBeobachtung des vorausgesagten Ereignisses stattfinden soll.Das Eintreten oder Ausbleiben einer Vorhersage ist immer eineFunktion der Beziehungen, die der Beobachter zwischen beidenBereichen herstellt und liegt nicht an einem der beteiligtenSysteme. Prinzipiell gibt es also deterministisches Verhalten,damit gibt es prinzipiell auch Vorhersagbarkeit desVerhaltens. Aber die konstruktivistische Reflexion der Begriffezeigt, daß es sich um ein Problem der Beobachtung handelt. Esist fraglich, ob der Determinismus die Beobachtungsbeziehung"überlebt". Die Abhängigkeit der Beobachtungsbeziehung von derSysteminterpretation (kybernetisch / selbstorganisierend), vonBeobachtungsstandpunkt (innen / außen) und Beobachtungsebenewird in Kap. 4.1 ausführlicher beschrieben. Die erforderlicheSystemsicht hängt wesentlich ab von der ZweckbeziehungErkenntnissubjekt - System, vgl. hierzu ZIEMKE / STÖBER (1992):"Der Preis für die Erfassung der Autonomie ist der Verlustjeder unmittelbaren Kontrolle."

Wenn vom Problem der Steuerbarkeit komplexer Systeme die Redeist, kommt unvermeidlich ASHBYs (1974: Kap. 10-13) "Gesetz dererforderlichen Vielfalt" ins Spiel. Ausgangspunkt ist sein

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kybernetisches Modell des homoöstatischen Reglers. Erbehauptet, es sei ausreichend allgemeingültig, um nicht nurMaschinen (Artefakte), sondern auch neuronale Netze, ganzeOrganismen und sogar Gesellschaften angemessen zu beschreiben.Seine Annahme ist, daß nicht nur die vegetativen, sondern auch"alle die äußerlich gesteuerten Aktivitäten der Organismen -ihre ´höheren´ Aktivitäten - gleichermaßen regelnd, d.h.homöostatisch sind". Als Kriterium für Erfolg oder Mißerfolgder Regelung gilt ihm - dies erscheint durchaus sinnvoll - das"Überleben" des Systems in seiner Umwelt. Sein Modell bestehtaus den Komponenten D -> R -> E. R ist der regelnde Organismusbzw. der regelnde Teil des Systems, D ist die Menge derEingangsgrößen bzw. Eingangsinformationen, die als Störung oderGefahr für das System bezeichnet wird, E ist die Menge derAusgangsgrößen oder wesentlichen Variablen. Entscheidend fürdas Überleben des Systems ist nun, so ASHBY, daß der Regler diewesentlichen Variablen innerhalb des für das Überlebennotwendigen Bereichs hält. Das "Gesetz der erforderlichenVielfalt" besagt, daß nur die Vielfalt derRegelungsmöglichkeiten in R die Vielfalt in den Ergebnissen Esenken kann, "nur Vielfalt kann Vielfalt zerstören". Vielfalt(Information oder Störung) gelangt auf zwei Arten in dasSystem: Einmal in der Form, die durch unmittelbaren Einfluß aufE das Überleben bedroht. Dieser Teil muß unter allen Umständenblockiert werden. Zum anderen in der Form, die durch den ReglerR transformiert (umcodiert) wird und zur Blockierung des ande-ren, schädlichen Teils verwendet werden kann. Diese Informationist nützlich und muß, wenn ein Regler vorhanden ist, soumfangreich wie möglich gemacht werden, denn nach dem Gesetzder erforderlichen Vielfalt kann das Maß der Störung nur um dasMaß der so übertragenen Information verringert werden. Deshalbist die Zufuhr von Vielfalt, durch leistungsfähige Sinnesorganeund komplexe Nervensysteme, zur Regelung günstig. Das Ganzesetzt voraus, daß lebende Systeme und soziale Systemehomöostatische Regler (informationsverarbeitende Maschinen) inseinem Sinne sind. ASHBY setzt voraus, daß ein Beobachter dassieht, was ist. Aber dieser sieht nicht, daß er nicht sieht, waser nicht sieht (was aber das beobachtete System sieht). Die er-kenntnistheoretische Problematik der "Beobachtung derBeobachtung" (lebender Systeme durch lebende Systeme), das ge-

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samte Feld der Selbstorganisation, derStrukturdeterminiertheit, der operativen Geschlossenheit sindbei ASHBY nicht existent. Er kann noch unbeschwert sagen (Kap.12/1): "In diesem Buch wird durchgängig vorausgesetzt, daß vonaußerhalb kommende Erwägungen bereits festgelegt haben, was dasZiel sein soll ... ." Allenfalls gesteht er zu, daß einigeVariablen nicht beobachtbar sind (Kap. 6/20): "Möglicherweiseerscheinen uns einige der ´wunderbaren´ Eigenschaften desGehirns - ´Ahnungen´, ´Intelligenz´ etc. - nur deshalb wun-derbar, weil wir bisher nicht in der Lage waren, allesignifikanten Variablen dieser Vorgänge zu beobachten." SoweitASHBY. Er präsentiert hier das "kybernetische Paradigma" miteinem Universalitätsanspruch wie er bei WIENER niemals zufinden war. Seine Ausführungen zur Regelung und Steuerung sindin unserem Zusammenhang eine zwar intuitiv durchaus ein-leuchtende Metapher (interne Komplexität erhöht tendenziell dieFähigkeit zum Umgang mit Weltkomplexität), aber praktisch den-noch in dieser allgemeinen Form nicht brauchbar.

ROPOHL scheint von ASHBY stark beeinflußt zu sein. Man mußdie relevanten Strukturen nur erst "freilegen", dann sind sieauch steuerbar, so seine Argumentation. In bezug auf die Be-einflußbarkeit der Ebene der Unternehmen ("Mesoebene") imGesamtsystem der soziotechnischen Gesellschaft sagt er (1979:319): " ... kommt die im wahrsten Sinne entscheidende Rolle denZielsetzungs- und Informationssystemen der Mesoebene zu, indenen sich in aller Regel partikuläre Interessen geltendmachen. So ist die technische Entwicklung weit davon entfernt,eine eigengesetzliche Dynamik zu entfalten; sie ist vielmehrdas Resultat ganz bestimmter Zielsetzungs- undEntscheidungsprozesse, die, wenn man sie transparent gemachthat, auch durch demokratische Kontrolle zu beeinflussen sind."Nicht "die technische Entwicklung", das ist klar, wohl aber diesie vorantreibenden soziotechnischen Mesosysteme entwickelneine Eigengesetzlichkeit. Diese ist eventuell beschreibbar,aber es ist zu bezweifeln, daß sie steuerbar ist.

Hier ist die Soziologie differenzierter, wenn auch nichtimmer klarer. HEJL (1990) bezeichnet "... das Problem derRegelung eines anderen Systems in letzter Analyse (als) einProblem des Wissens und der Handlungsmöglichkeiten des Reglers.... Das gilt nicht für das Problem der Selbstregelung." Etwas

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später (HEJL 1992) bezeichnet er konkreter die interne Dif-ferenzierung und Autonomisierung (Begrenzung der Regelbarkeit)als zwei Seiten einer Medaille. Die interne (Selbst-)Organisation des Systems ist das funktionale Äquivalent fürseine Regelung. Beeinflussungsversuche, die dies nichtberücksichtigen, zerstören das System. Beeinflussung geschiehtheute, so HEJL, oft derart, daß Inputs in die Systeme und derenOutputs in die Umwelt von Art und Größenordnung her dort mehrProbleme lösen als erzeugen. Als Typen von Ressourcen sozialerSysteme, die als Bedingungen ihres Funktionierens wirken, nennter physische Gewalt (Energie), materielle Güter (Materie) undReputation (Information) und betont: Nur Randbedingungenselbstorganisierender Systeme sind von außen änderbar, mehrnicht. Dies steht ausdrücklich im Gegensatz zu ASHBYs Gesetzder "requisite variety", welches besagt, daß das regelndeSystem ein Modell des zu regelnden Systems besitzen und übermehr Verhaltensalternativen als das zu regelnde System verfügenmuß. Das ist, so HEJL, Kybernetik 1. Ordnung und mitSelbstregelung unvereinbar. Trotz dieser klaren Aussageerscheint es in der Soziologie nur schwer möglich, dieverlockende Hoffnung auf Steuerbarkeit erstmal ganz fallen-zulassen: Die herrschende Eigengesetzlichkeit erschwere zwardie Regelung, erlaube und sichere sie aber auch, wenn dieSystemdynamik bekannt sei und die geeignetenEingriffsmöglichkeiten nutzbar seien. Nur welche sind dies? DieHandlungsmöglichkeiten scheinen das Entscheidende zu sein; siehaben mit Macht zu tun.

Die zentralen Begriffe des Problemfeldes der Steuerunghochkomplexer Sozialsysteme sind offenbar Autonomie einerseitsund interne Differenzierung / Komplexitätssteigerung andererseits. WILLKE(1987: 129-172) führt dies weiter aus: Westliche Industrie-nationen sind gekennzeichnet durch einen relativ hohen Grad vonAutonomie der Teilsysteme Politik, Wissenschaft, Bildung,Kunst, Religion, etc. Diese entwickeln komplexe Teilrationa-litäten. Gleichzeitig bilden sich wachsende Interdependenzen, sodaß die Frage der geregelten (Re-) Integration hochdifferen-zierter Gesellschaftssysteme immer mehr in den Mittelpunktrückt. Die ehemaligen "sozialistischen" Länder dagegen sahensich konfrontiert mit dem komplementären Problem der

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funktionalen Differenzierung hochintegrierter Gesellschaftssy-steme. Konstatiert wird ein Bedarf an gesellschaftlicherSteuerungskapazität und ein Mangel an Instrumenten. WILLKE(1987: 133) erwähnt als positive Beiträge in diesemZusammenhang die - nach soziologischen Maßstäben sicherlichunzureichend differenzierten - Weltmodelle des "Club of Rome":"Wichtiger als die Frage, ob Modell oder Kritik im Detail´richtig´ sind, scheint mir allerdings der Anstoß- undAktivierungseffekt dieser Studien zu sein. Sie machtendeutlich, daß es unumgänglich ist, die Dynamik und das häufig´konterintuitive Verhalten´ hochkomplexer Systeme eingehenderzu untersuchen ... . Nicht die Voraussage zukünftigenVerhaltens im Detail ist das Ziel, sondern die Voraussage vonVerhaltensmustern (pattern prediction),Funktionszusammenhängen, Problemfigurationen und Ent-wicklungslinien, deren Kenntnis nur die Wahrscheinlichkeiterhöht, bestimmte Ereignisse und Ergebnisse herbeiführen oderverhindern zu können."

Es wird dann der Begriff des Steuerungsmediums eingeführt:Menschliche Sprache ist das Grundmodell aller höheren"generalisierten Steuerungsmedien". In jedem Medium gibt es dieTrennnung zwischen Objektebene und Symbolebene. Sie ermöglichtdie Erzeugung von Zeitlichkeit, d.h. der begrifflichen Differenzvon Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie ist darüberhinaus Voraussetzung für teleologische Vorstellungen bzw., ganzpragmatisch, für zukünftige Sollzustände: "Ohne die Inter-vention von Sinn gibt es keine Differenz von Sein und Sollen".Die Sprache steuert das Denken, und das Denken steuert(meistens) das Handeln. Dies ist zwar die Basis, aber bereitsauf relativ einfachen Stufen der Gesellschaftsentwicklungreicht die menschliche Alltagssprache allein nicht mehr aus fürdie Steuerung der Vielfalt sozialer Interaktionen. Es sindZusatzeinrichtungen zur Sprache erforderlich. Die Einführungdes auf PARSONS und LUHMANN zurückgehenden Konzepts der"symbolisch generalisierten Steuerungsmedien" erklärt dieEntstehung von Macht, Geld, Wahrheit, Glaube, etc. als Medien.Medien dieser Art sind systemtheoretisch besondersbedeutungsvoll, weil sich, entgegen naiven und intuitivenVorstellungen von der Vorherrschaft personaler Interaktion, inden symbolischen Medien die eigentliche Rationalität und

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Realität bestimmter Teilsysteme der Gesellschaft zeigt unddurchsetzt. Symbolisch generalisierte Medien sind nach PARSONS("AGIL"-Schema):In der Wirtschaft: Geld ---> (A:adaption),in der Politik: Macht ---> (G:goal-attainment),in der Gesellschaft: Einfluß ---> (I:integration),in der Kultur: Wertbeziehung ---> (L: latency,pattern-maintenance)

Für LUHMANN besteht die Funktion generalisierterKommunikationsmedien darin, reduzierte Komplexität zwischenTeilsystemen übertragbar zu machen und für Anschlußfähigkeitauch in hochkontingenten Situationen zu sorgen. WILLKE (1987:143): "Der entscheidungs-, zeit- und kostensparende Automa-tismus von Medien liegt genau darin, daß ich mich dann, wennich mich seiner bediene, auf ein hochspezialisiertes, aber auchhochselektives Sprachspiel einlasse, dessen Regelstruktur vomjeweils verwendeten Medium definiert wird." LUHMANN sieht dasProblem der Differenzierung im Vordergrund, während WILLKE, wiePARSONS, angesichts der Situation der modernen Gesellschaft,die integrative Funktion betont (1987: 149, 156): " ... in hoch-entwickelten modernen Gesellschaften gibt es kein Teilsystem,das nicht nach seinen beschränkten Rationalitätskriterienwildwüchsig drauflos produzierte; Waren, Entscheidungen,Wissen, Ideologien, Höchstleistungen, Absolventen, etc. Mit ei-nem unglaublichen Aufwand an Personal und Ressourcen werdennoch mehr Elementarteilchen entdeckt, Genstrukturen verändert,Menschen auf den Mond geschossen, Neutronenbomben gebaut, Ver-ordnungen erlassen, Weltrekorde im Gewichtheben aufgestellt,Sozialarbeiter ausgebildet - und im Grunde weiß kein Mensch,warum. Die hochgezüchteten Technologien, Fertigkeiten, Spezia-lisierungen und Wissensbestände der Teilsysteme summieren sichzu einer beispiellosen kollektiven Ignoranz; die ungesteuertenRationalitäten der Teile zementieren die Irrationalität desGanzen. ... So wie Claude LÉVI-STRAUSS (1970) sagt, daß dieStufe der undifferenzierten Gesellschaft vom "Wilden Denken"charakterisiert ist, so könnte man sagen, daß die entwickeltendifferenzierten Gesellschaften vom "Wilden Handeln" bestimmt

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werden." Das praktische Fernziel soziologischer Forschung siehtWILLKE in der Re-Integration der Gesellschaft bei Erhaltung hoherKomplexität und Differenzierung. Integration erhöht dieFähigkeit eines Systems, Identität und Handlungsfähigkeit ineiner komplexen und risikoreichen Umwelt zu erhalten. Diepermanente Erhöhung der internen Eigenkomplexität, die zur Er-haltung der eigenen evolutionären Chancen im Gesamtsystem nötigist, kann durchaus verbunden sein mit der Reduktion vonHandlungsspielräumen. Deshalb bestehe zunehmendes Interesse derTeilsysteme an der Integration.

Die bisherige Entwicklung verlief von der undifferenziertenGesellschaft hin zur extremen gesellschaftlichenDifferenzierung der modernen westliche Industrienationen. DieProzesse, die dazu geführt haben, daß der Steuerungsbedarfzunimmt, aber die Steuerungskapazitäten, insbesondere in Marktund Staat, nicht wesentlich gesteigert werden können, lassensich zusammenfassen als (1) Steigerung der Eigenkomplexität,internen Differenziertheit, Autonomie und operativenGeschlossenheit der Teilsysteme, (2) Steigerung derWeltkomplexität, Zunahme der wechselseitigen Abhängigkeiten unddes Potentials sowohl an Konflikt wie an kombinatorischemGewinn zwischen Gesellschaften, sowie (3) Verlagerung desZeithorizontes und der operativen Perspektive in die Zukunft.(WILLKE 1987: 163): "Es ist daher nicht überraschend, daßmoderne Gesellschaften ihre Probleme nicht lösen, sondern siein die Zukunft abschieben."

Die nun anzustrebende gesellschaftliche Re-Integrationerfordert neue kognitive Strukturen. Langbewährte Identi-tätsformeln stehen auf dem Spiel, in ähnlichem Maße wie bei derfrüheren Differenzierung. Erforderlich im Hinblick auf diesePerspektive ist es, neue Optionen zu finden, Handlungsalterna-tiven zu erfinden, Veränderungen vorauszudenken, Problem-Designzu betreiben. Ein Beitrag dazu besteht in der Erhöhung derReflexionsleistung der gesellschaftlichen Subsysteme: Selbst-begrenzung unter dem Aspekt wechselseitiger Abstimmung. Betontwird die Bedeutung der von LUHMANN eingeführten Möglichkeit derSelbstreflexion auch für die Sozialsysteme, denn auch diese sindsinnkonstituierend. Reflexion heißt Selbstbeschränkung mit demZiel, für andere Systeme eine mögliche Umwelt darzustellen.

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Herkömmliche Steuerungsformen sind auf relativ einfache,meist bipolare, Probleme zugeschnitten, den Problemtyp"trivialer Maschinen", wie VON FOERSTER (1985) ihn nennt.FORRESTER, MEADOWS u.a. bestehen darauf (WILLKE 1987: 165),"die aggregierten und kombinierten Wirkungen von dynamischenProzessen zu untersuchen, welche als statisch betrachteteUrsache - Wirkungs - Mechanismen durchaus harmlos erscheinenkönnen. ... FORRESTER führt aus, daß die konventionellenMaßnahmen zur Behebung von Krisen in Teilbereichen sich oft alsElemente eines Zusammenhangs erweisen, der die Schwierigkeitenselbst erst produziert." Erforderlich sei angesichts deszunehmend kontraintuitiven Verhaltens der Systeme der Pro-blemtyp "organisierter sozialer Komplexität". Das folgendeSchema der Abb. 3.3 zeigt eine Darstellung dieser Entwicklung.WILLKE (1987: 169) betont, das zentrale Steuerungsproblembestehe darin, die hochentwickelten Fähigkeiten der Teilsy-steme, die sich in deren symbolisch generalisiertenKommunikationsmedien manifestieren, zu aktivieren, sie aberzugänglich und kompatibel zu halten für kontextuierendeRestriktionen und Prüfverfahren der Gesell-schaftsverträglichkeit im Hinblick auf die Außenwirkungensubsystemischer Prozesse. Die daraus entwickelten Folgerungenhinsichtlich Art und Qualität der Interaktion zwischen hand-lungsfähigen gesellschaftlichen Teilsystemen bleiben notgedrun-gen sehr allgemein: (1) Wechselseitige Respektierung deroperativen Geschlossenheit und Autonomie der Teilsysteme, (2)Berücksichtigung der operativen Restriktionen und (3) Berück-sichtigung der operativen Kontexte. Als neue Möglichkeit derInteraktion werden "Verhandlungssysteme" zwischen den Teil-bereichen vorgestellt: Nicht ein Teilsystem formuliert dieKontextregelungen, sondern sie entwickeln sich aus derinterdependenzgesteuerten Interaktion aller betroffenen Ak-teure. Auch sehr einsichtig (1987: 171): "Das Emergenzniveauder post-liberalen Gesellschaft verlangt von den Teilen, daßsie ihre je isolierten Optionen und Kontingenzen nicht freiausspielen, sondern sie gemäß den spezifischen Interde-pendenzbedingungen einer Eigenkontrolle unterwerfen." DieseVerschränkung von Kontext und Autonomie sei ein Schritt auf demWege zur "Institutionalisierung von Heterogenität". Die Re-duktion auf Einzelmedien wie etwa Macht oder Staat müsse

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verhindert werden. Jeglicher Primat nur eines"Verknüpfungsmechanismus" reduziere die Potentialität desGesamtsystems. Unter der Voraussetzung, daß sich ein einzelnerleitender Gesichtspunkt, der Primat einer einzelnen Teilsystem-rationalität - sei dies Religion, Politik, Ökonomie oder auchWissenschaft - nicht begründen und legitimieren läßt, bedeuteeine solche Reduktion nichts anderes als die Irrationalität deskomplexen Ganzen. WILLKEs Fazit (1987: 172): "Der Zusammenhangvon Zwecksetzung und Systemrationalität muß neu durchdacht werden, weil die her-kömmlichen Zwecke auf die Stabilisierung der begrenzten Rationalität derTeilsysteme ausgerichtet sind, nicht aber auf die Bedingungen der Möglichkeit einerreflektierten Steuerung des Ganzen." Patentrezepte sind also auch beider Soziologie nicht zu finden.

Steuerungskomplexität ("extern")niedrig hoch

Teilsystem-komplexität ("intern")

niedrig

hoch

prä-modern(repressive Steuerung)

sozialistisch(zentrale Steuerung)

liberalistisch(Selbststeuerung)

post-modern(reflexive Steuerung)

Abb. 3.3: Systemkomplexität und Steuerung (WILLKE 1987: 168).

Formale Modelle (selbst "chaotische") verhalten sich deterministisch.Aber der Determinismus "überlebt" die Modellbeziehung (dieBeobachtungsrelation) nicht. Selbst Maschinen können (ohne"menschliches Versagen") versagen. Dies gilt umso mehr fürsoziotechnische Systeme. Sie können zwar als Maschinenbeschrieben werden, dies ändert jedoch nichts an ihrer Nicht-Steuerbarkeit. Es gibt "Unfälle", es gibt Zufälle und es gibtevolutionären Wandel.Das Problem der Zukunftsgestaltung liegt in der Re-Integrationhochdifferenzierter Gesellschaftssysteme bei Erhaltung ihrerLeistungsfähigkeit. "Verhandlungssysteme" zur Gestaltung von"institutionalisierter Heterogenität" sind auch ein Design-Problem!

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Zweckrationalität und Planung

Das Stichwort von der begrenzten Rationalität der Teilsystemeführt hin zum Thema Planung und Planbarkeit, als einem derzentralen Denk-, Praxis- und Problemfelder der Moderne. Ist diebehauptete Polarität von Rationalität / Irrationalität ein wirklicherGegensatz oder nur eine Frage der Beobachtung? Rationalität imtraditionellen Verständnis ist beschränkt auf isolierteTeilbereiche und damit für heutige gesellschaftliche Aufgabenkaum noch brauchbar. Ist deshalb aber die sogenannterationalistische Wende des 17. Jahrhunderts, sind DESCARTES,NEWTON, LEIBNIZ haftbar zu machen für die Gebrechen unsererheutigen Zivilisation, wie es TOULMIN (1991) sehr pauschal tut?Oder geht es um die Wiederherstellung von Rationalität durch"technologische Aufklärung", (ROPOHL 1991b)? Viele Fragen.Erfolgversprechend scheint die Bemühung um eine Neubestimmungdes Rationalitätsbegriffs. Herbert SCHNÄDELBACH (in einem TV-Beitrag1992) plädiert für die "Vernunft als offenes Konzept": Je engerman den Begriff der Rationalität definiere, desto größer seidas Feld der Irrationalität. Es ist zu ergänzen und zupräzisieren: Rationalität (Verstand und Vernunft) als offenes unddynamisches Konzept. KANT nannte Irrationalität etwas in ersterLinie dem Verstand, nicht jedoch notwendigerweise der VernunftInkommensurables. Irrationalität wird damit mehr zum ergän-zenden Korrektiv als zur Kehrseite rationaler Orientierungen.

Dennoch ist ein negativ besetztes alltags- und bildungs-sprachliches Verständnis bis heute verbreitet. Irrationalitätwird oft synonym gebraucht mit emotional, "unberechenbar","unvernünftig". Orientierungen gelten als irrational, wenn sieden insbesondere vom Rationalismus ausgearbeiteten und immodernen Empirismus mit wissenschaftlichen Verfahren identifi-zierten Rationalitätsstandards, (intersubjektive Verbind-lichkeit und Überprüfbarkeit, begriffliche Klarheit, Wieder-holbarkeit von Experimenten) nicht entsprechen. MARCUSE (1967)betont die Diskrepanz zwischen dem Rationalen in der Funktionder Industriegesellschaft und ihrem Irrationalen, das darinbestehe, daß sie nicht mehr der freien Entfaltung des Menschendient. Das Denken verewige eindimensional das Bestehende und

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verschleiere dessen Irrationalität. Aus ganz anderer Per-spektive, aber mit ähnlichem Tenor, betont LASZLO (1991: 85f)die Irrationalität der vermeintlich zutiefst rationalenGrundannahmen des "Modernismus": - Das "Gesetz des Dschungels": Leben als Kampf ums Überleben. - Die "Theorie des Durchsickerns": Je größer der Reichtum ander Spitze einer Gesellschaft, desto mehr wird davon bis zurBasis durchsickern. - Die "unsichtbare Hand" (Adam SMITH): Automatischer Ausgleichzwischen den individuellen und sozialen Interessen, d.h. wasdem Einzelnen nützt, ist auch für die Gesellschaft von Vorteil.- Die sich "selbst regulierende Wirtschaft": Wettbewerb undfreier Markt sorgen dafür, daß sich die Vorteile von selbstgerecht verteilen.- Der "Kult der Effizienz": Wir müssen aus jedem Menschen,jeder Maschine und jeder Organisation das Maximum herausholen,egal was produziert wird und ob es benötigt wird.- Der "technologische Imperativ": Das Machbare machen. Wennetwas hergestellt werden kann, dann kann es auch verkauftwerden. Und wenn es verkauft werden kann, dann ist es gut fürden Käufer und gut für die Wirtschaft. Der Bedarf ist zuwecken.- "Je neuer desto besser".- "Die Zukunft geht mich nichts an": Man liebt allenfalls seineKinder, alles weitere ist egal.- "Wirtschaftlicher Rationalismus": Der Wert aller Dinge undMenschen kann in Geld berechnet werden. Jeder möchte reichwerden, alles übrige ist Geschwätz oder Heuchelei.- "Mein Land über alles".

Die Menschen am Ende des 20. Jahrhunderts, so LASZLO, seienzwar nicht mehr die gleichen wie die zur Mitte desJahrhunderts, aber ihre Ideen und Ideale hinken ihrer Zeitimmer noch hinterher. Der "Geist der Moderne" sei leider nochlange nicht tot. Spätestens hier sollte man sorgfältigerdifferenzieren: Den "Geist der Moderne" pauschal zu verdammen,ist zu voreilig (das wäre "Brandrodungs-Mentalität"), denn wirhaben keinen anderen. Schließlich hat er uns auch geradediejenigen Denkweisen geliefert, mit denen wir ihn heute sowortreich kritisieren und neue Perspektiven zu entwickelnsuchen. Abzulehnen ist zweifellos die Ideologie des

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"Modernismus" im oben beschriebenen Sinne. Aber auch diese ha-ben wir selbst gemacht, nicht irgendein ominöser "Geist der Mo-derne".

Zweckrationalität ist einer der zentralen Begriffe dieserIdeologie. Man vergleiche einmal zwei Beispiele: Zum einen dieexakte (rationale) Planung und Durchführung einer Militäraktionzur "Wiederherstellung von Gerechtigkeit" ("Golfkrieg" 1991),zum anderen die (gänzlich intuitive?) Herstellung einesKunstwerks (z.B. PICASSOs "Guernica") als Anklage gegen denKrieg. Welcher der beiden Zwecke ist rationaler? Welches derbeiden Mittel ist rationaler? Welche der beiden Gesamtaktionenerscheint zweckrationaler? Welche hat ihr Ziel besser erreicht?Wie wird über die Erreichung der Ziele entschieden? Wie werdenZiele gesetzt? Gibt es rationale und irrationale Ziele? Kaumeine der Fragen ist mit Aussicht auf Konsens zu beantworten. Esscheint tatsächlich, als ginge es mehr um die Rationalität derMittel, als um die der Zwecke. Ziele und Zwecke sind zwar we-sentlich als Antrieb in der Dynamik des Prozesses deskommunikativen Handelns, ihre Inhalte sind dabei aberzweitrangig.

Trotz erheblicher Differenzen sehen sowohl die"konservativen" Vertreter der sogenannten "Technokratiethese",als auch die "progressiven" der "kritischen Theorie" in derDominanz der Denkweise technischer Zweckrationalität eineGefahr für die menschliche Selbstverwirklichung. Die"Technokratiethese" (FREYER, GEHLEN, SCHELSKY u.a.) betont dieSchicksalhaftigkeit der technischen Entwicklung, die Unbe-einflußbarkeit ihrer Sachzwänge. GEHLEN und SCHELSKYbeschreiben die Technikentwicklung als zyklischen Prozeß: Das,was existiert, bestimmt das, was in Zukunft möglich und erfor-derlich ist. Die "Kritische Theorie" (MARCUSE, HABERMAS u.a.)sieht die Gefahren dagegen in den bestehenden Herrschaftsverhältnis-sen. HABERMAS (1969) unterscheidet den Bereich zweckrationalenHandelns (Technik) und den Bereich kommunikativen Handelns(Praxis). Die eine Art des Handelns, "Arbeit" bzw.zweckrationales Handeln, dominiert mehr und mehr gegenüber deranderen Art, die er "symbolisch vermittelte Interaktion" bzw.kommunikatives Handeln nennt. Technokratisches Bewußtsein löst,so HABERMAS, die Sphäre der Interaktion zunehmend auf und

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bewirkt, daß der Unterschied zwischen zweckrationalem Handelnund "herrschaftsfreier Interaktion" immer weniger gesehen wird.Die ideologische Kraft des technokratischen Bewußtseins bewähresich an der Verschleierung dieser Differenz. Im Zusammenhangder Entstehung technischer Artefakte (Produktion) scheint diestendenziell zu stimmen, im Zusammenhang der Verwendung(Konsumption) ist die Beschreibung zu stark vereinfacht.Bedenkenswert ist auch der MARCUSEsche Hinweis, daß die oftfaszinierende Rationalität technischer oder technisch-ökonomi-scher Einzelvollzüge weithin als Zeichen oder sogar als Beweisder Rationalität unseres gesamten Umgangs mit der Technik ange-sehen wird.

Unser unreflektierter Begriff von Rationalität ist diemechanische Rationalität des Gemachten, des Funktionierenden,der technischen Artefakte. Das Rationalitätsprinzip sagt, daß einrational handelndes Individuum stets versucht, seine gegebenenMittel so zu verwenden, daß ein Maximum an Zweckerfolg erreichtwird. In der Tat scheint der Begriff gegenüber der Lesart derAufklärung deutlich verengt. Zweckrationalität ist seinespeziellste Variante. Sie bedeutet:- Primär Handeln auf ein greifbares materielles Ergebnis hin.Herstellung von funktionierenden Ursache-Wirkungs-Ketten,zielgerichtete Transformation von Materie und Energie zur Um-wandlung eines Anfangszustands in einen Endzustand.- Ökonomische Eindimensionalität des Zwecks. Vernachlässigung allernichtquantifizierbaren Aspekte der Zwecke. Die Produktion vonDingen zur Steigerung des Umsatzes, selbst die Planung undHerstellung von Massenvernichtungssystemen gelten alszweckrational.- Isolierte Sichtweise. Extrem enge Setzung der Systemgrenzen einesProblembereichs, damit Möglichkeit der weitgehenden Ausblendungder Nebenwirkungen und Folgen der Zwecke.

Bis vor kurzem war es in der Politik und in der Wirtschaftproblemlos möglich und deshalb üblich, der ÖffentlichkeitZweckrationalität als Synonym für Rationalität zu vermitteln.Das was heute u.a. als "Sinnkrise" in Erscheinung tritt, istoffenbar die zunehmende Diskrepanz zwischen der Öde derZweckrationalität und dem was man vage als "wirklicheBedürfnisse" bezeichnen könnte. Zweckrationalität ist die ameinfachsten zu vermittelnde und die am einfachsten zu be-

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greifende Spielart von Rationalität: Sie benennt Ursachen,Wirkungen und v.a. Schuldige, sie markiert Anfang und Ende,Problem und Lösung, sie läßt keine Fragen offen und sie beruhigtfür eine Weile. Sie ist statisch. Was aber deutlich wird:Zweckrationalität reicht für die Situation der modernen Weltnicht mehr aus. Es geht darum, die Alternativen aufzuzeigen:- Die prinzipiellen Grenzen rationaler Zwecksetzung thematisieren. ImZweifelsfall ist Verzicht auf zweckorientiertes Handelnrationaler als ein greifbares, meßbares, unbrauchbaresErgebnis.- Rationalität als Beobachterkategorie thematisieren. UnterschiedlicheBeobachtungsebenen erfordern unterschiedlicheRationalitätsbegriffe.- Irrationalität als rational (d.h. im KANTschen Sinne vernünftig undhuman) anerkennen bzw. die ohnehin nur konstruierte Grenzliniezwischen beiden Denkweisen verschieben und durchlässigermachen. Der "Bauch" ist derjenige Teil des Kopfes, der einwenig schwieriger zu durchdringen ist als der Rest.

Zweckrationalität bezeichnet das Wesen von Planung. Der Wandelvon der frühmodernen Finalität (Zweck als Ursache der Mittel:Determinismus) zur Kausalität der Ursache - Wirkungs - Ketten(Mittel als Ursache einer bezweckten Wirkung: Freiheit)erfordert Planung. LUHMANN (1973: 20): "Die Zukunft ist nichtmehr durch vorgegebene wahre Zwecke verstopft; sie ist un-endlich offen, enthält mehr Möglichkeiten, als aktualisiertwerden können, und muß daher durch Pläne festgelegt werden."Und was hat Planung mit Entwerfen zu tun? Ist das nicht ein vielzu globaler Begriff? Vielleicht dann, wenn man weiterhin meint,Entwerfen erschöpfe sich in der Gestaltung eines neuen Auto-modells oder einer neuen Kaffeemaschine. Entwerfen ist aber we-sentlich mehr: Entwerfen ist Planung. Insbesondere Design vertrittimmer noch den Anspruch, für Lebensqualität zu sorgen, alsoletztlich für das Glück der Menschen. Auf welcher Grundlage ei-gentlich? TENBRUCK (1972) spricht aus der inzwischenhistorischen Perspektive der frühen 70er Jahre und konstatiertdie Allgegenwart von Planung und den zuweilen euphorischen Rufnach mehr und besserer Planung. Ausmaß und Tempo vervielfachensich, immer größere zukünftige Zeiträume werden erfaßt, manhält selbst das gesellschaftliche Glück für planbar. Die

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Soziologie, so TENBRUCK, stütze in oft unverantwortlicherWeise diese Erwartungshaltung durch überzogene Versprechungenbezüglich der Prognosefähigkeiten ihrer Theorien. Das immernoch lebendige Postulat der Aufklärung, naturwissenschaftlicherFortschritt führe gleichsam selbsttätig zu individuellem undgesellschaftlichem Glück, ist die Grundlage dieses Glaubens.Hinzu kommt die Annahme, subjektive Einzelzwecke könnten vonaufgeklärten Menschen harmonisch in Einklang gebracht werdenund ihre Verwirklichung diene schließlich der Gesamtheit. Heutedrängen die komplexen Abhängigkeiten und Wechselwirkungen derverschiedenen Planungen in den Vordergrund, die Notwendigkeitund gleichzeitig die Grenzen gesellschaftlicher Planung werdensichtbar. Nur für einfache Handlungssituationen bestehenrationale Lösungen, und nur in wenigen Fällen führt das ratio-nale Kalkül zum besseren Ertrag. Das rationale Handeln ist ersteinmal nicht mehr als ein Modell, dessen praktische Gültigkeitüberschätzt werden kann (1972: 15): "Daß die Verwirklichungeines Zwecks bei überlegter Veranschlagung der möglichen Mittelund Wege die beste Aussicht auf Erfolg bietet, besagt weder,daß der Mensch alle seine Zwecke auf diese Weise erfüllen kann,noch daß er glücklicher wird, wenn er fortlaufend nach diesemGrundsatz handelt. Das Verständnis für diese Beschränkungen desrationalen Handelns und seines Ertrages ist im Rationa-lisierungsprozeß der Neuzeit aufgerieben worden."

Die verbreitete Klage über die Differenz zwischentatsächlichem und rationalem Handeln geht aus von zwei Annahmenrationaler Handlungskonzepte, dem Rationalisierungsaxiom: es gibtzu jeder Situation eine rationale Entscheidung, und demOptimierungsaxiom: die rationale Entscheidung erzielt die bestenErgebnisse. Das Konzept praktischer Rationalität tendiert hi-storisch zur Formalisierung und zur Verdrängung inhaltlicherHandlungsziele. In der Antike waren die Inhalte noch bestimmend,etwa im Ziel der Glückseligkeit. Auch in der Aufklärung wurdenvernünftige Ziele implizit vorausgesetzt. Erst mit derKonzeption des homo oeconomicus (Adam SMITH, Jeremy BENTHAM,John Stuart MILL) verengt sich der Inhalt auf die Verfolgungindividueller ökonomischer Ziele, die aber - so wird bis heutebehauptet - immer noch der Gesellschaft als ganzer dienensollen. Max WEBER vollzieht die explizite Trennung des rationa-len Handelns von inhaltlichen Zielen. Rationalität besteht für

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ihn nur noch in der Instrumentalität von Mittel-Zweck-Verhältnissen, die explizit in eine dreifache Aufgabe umgesetztwerden können: (1) zu einem gegebenen Zweck die tauglichenMittel zu finden, unter Beachtung der Kosten und Nebenfolgen;(2) für gegebene Mittel mögliche Zwecke zu entdecken; und (3)die Widerspruchslosigkeit der Zwecke herzustellen. Explizitgehören dazu die folgenden Schritte (TENBRUCK 1972: 23): (1) dieChancen bestimmen, mit gegebenen Mitteln den gewollten Zweck zuerreichen, (2) die ungewollten Nebenfolgen kennen, welche beiEinsatz der Mittel und Realisierung des Zwecks eintretenaufgrund des Zusammenhangs der Dinge in der Wirklichkeit, (3)den Wert des Zwecks gegen die ungewollten Nebenfolgen in einerpersönlichen Entscheidung abwägen und insbesondere dabei auch(4) die Kosten der Realisierung des Zwecks bedenken insofern,als die dafür aufzuwendenden Mittel (Energie, Zeit, Kapital)für die Realisierung anderer Zwecke verlorengehen, also (5) denWert des gewollten Zwecks gegen alle anderen Zwecke abwägen,das heißt sich über die Dringlichkeit des gewollten Zweckes imSystem der eigenen Zwecke klarwerden.

Planendes Handeln dieser Art ist festgemacht an derVerwirklichung eines einzelnen herausgehobenen Ziels. So entstandder Begriff des rationalen Handelns als des überlegenen undoptimalen Handlungsmodus, der naiv an einer Vielzahl einzelnersich positiv addierender Zwecke festgemacht ist. Dies sagt sogut wie nichts über die Beziehung verschiedener Zwecke oderüber die Art der Befriedigung bei Realisierung des Zwecks.

In der formalen Präzisierung der Konzepte des rationalenHandelns im Verlauf der Moderne, deren vorläufigen Endpunktihre Formulierung als Spiel- und Entscheidungstheorienmarkiert, spiegeln sich die Anforderungen zunehmendergesellschaftlicher und ökonomischer Arbeitsteilung. AllgemeineZweckordnungen religiöser, philosophischer oder ethischer Artreichen für die Entscheidungsfindung in komplexenGesellschaften nicht mehr aus. Über diesen pragmatischen Aspekthinausgehend wird dem rationalen Handeln vielfach ein Selbstwertzuerkannt, dem jede nachvollziehbare Rechtfertigung fehlt. Esgibt die Überzeugung, rationales Handeln sei das einzig adäquatbegreifbare, weil aus dem "Ich" stammende Handeln.Traditionales, gewohnheitsmäßiges, emotionales, affektivesHandeln dagegen sei dem Willen und der Verfügung des Menschen

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entzogen. Max WEBER analysiert das Entstehen dieses Denkenssehr eindrucksvoll in seiner Schrift über "Die protestantischeEthik und den ´Geist´ des Kapitalismus" (1904/5). TENBRUCK ver-sucht eine begriffliche Präzisierung (1972: 107) und sagt,praktische Rationalität könne nur instrumentaler bzw. formalerNatur sein, denn intersubjektiv gültige Ziele - abgesehen vonLeerformeln wie Glück - ließen sich nicht mehr angeben. Die"Frankfurter Schule" kritisierte dies als "Dezisionismus".

Die Modelle rationalen Handelns sind meist Ideal-vorstellungen, denn tatsächliches Handeln entspricht ihnen nurgrad- und streckenweise, u.a. deshalb, weil Rationalität hohenAufwand erfordert. Die Modelle sagen über die Antriebe, Ursa-chen, Mechanismen und Steuerungen des Handelns, seinekognitiven Aspekte, wenig aus. Er konstatiert die Spaltungzwischen den Handlungswissenschaften und den empirischen Disziplinen und dasFehlen eines übergreifenden Modells. Die grundsätzliche Grenze jedesrationalen Kalküls besteht, so TENBRUCK, im Absehen von derenergetisch-affektiven Basis, auf der unser Handeln ruht. Esgibt keine rationalen Mittel, welche die energetisch-affektivenDispositionen mit den rationalen Überlegungen in Einklang zubringen (1972: 137): "Die Dinge hinzunehmen anstatt sie durchrationale Entscheidung zu lenken, das kann durchaus einerationale Strategie sein, weil der rationale Entscheidungsmodusmannigfache innere Belastungen und Selbstzweifel bringen kann."

Ein besonderes Problem besteht heute in der meist wenigkoordinierten Pluralität der Planungen (1972: 44f) an denunterschiedlichsten Stellen, auf den unterschiedlichstenEbenen, für die unterschiedlichsten Bereiche (Bau, Verkehr,Bildung, etc.), in den unterschiedlichsten Zeitdimensionen:"Planung hat sich in dem Maße entwickeln können, wie die ge-sellschaftliche Organisation Macht und Befugnisse imstaatlichen Apparat, in wirtschaftlichen Unternehmen, in or-ganisierten Verbindungen von Menschen konzentrierte undtechnische Mittel für ihren Einsatz schuf. ... Die Verstärkungder gesellschaftlichen Organisation (soziologisch gesprochen:ihre stärkere Differenzierung, welche im Ganzen höhererOrganisation entspricht) bedeutet gleichzeitig eine Ausweitungder planenden Regelung wie damit auch eine Ausweitung derMöglichkeiten weiterer Planung. ... Es geht darum, daß mitwachsender Organisation immer weitere Zukunftsziele mit immer

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wuchtigeren Mitteln in immer genaueren Schritten in immergenauerer Zeit verwirklicht werden sollen, die durchschnittlichimmer mehr Bedürfnisbefriedigungen (und Verhaltensabstimmungen,W.J.) in immer stärkerem Tempo zu verdrängen drohen, so daß sieAnlaß zu neuen Planungen werden." Die Problematik ist durch diezweckspezifische Organisation der modernen Gesellschaft bedingt, die eineVielzahl von Stellen mit den Mitteln und Befugnissen zugesellschaftsverändernden Planungen ausstattet und ausstattenmuß: "Wenn heute überall nach mehr und besserer Planung gerufenwird, so wird man auf diese Weise unsere Verlegenheiten kaumabstellen können, die ja geradezu darauf beruhen, daß zuvielund zu gut, mit zu effektiven Mitteln und von zu vielen Stellengeplant wird und grundsätzlich eben auch geplant werden muß."Diese Eigendynamik der zweckspezifischen Organisation ist auchder Rahmen für die von mir weiter unten thematisierteEigendynamik des Produktions-Konsumptions-Zyklus und des darineingebetteten Problem-Lösungs-Schemas.

TENBRUCK betont, daß den meßbaren Leistungssteigerung in deninstrumentalen Bereichen Arbeit, Wirtschaft, Technik, etc. einezunehmende Unübersichtlichkeit und Instabilität in denBereichen Jugend, Freizeit, Erholung, Familie, Bildung, etc.gegenübersteht. Die Abstimmung der Planungen kann nur in demMaße gelingen, wie wir die Zusammenhänge durchschauen und ihreFolgen abschätzen können. Dies verweist auf die Soziologie. IhreGeschichte steckt voller Forderungen, die gesellschaftlichenVerhältnisse mittels soziologischer Erkenntnisse zu steuern undvoller Programme, die Soziologie für diese Aufgabe tauglich zumachen. Heute (1972) kommt von der Gesellschaft die Forderungan die Soziologie, die Planung zu stützen. Die Instrumentarienzur Umsetzung sind effektiv wie nie zuvor, aber was sind dieZiele? Ist die Soziologie tatsächlich kompetent, sie zu setzen?(1972: 60, 61): "Im Hintergrund des modernen Bewußtseinsschlummert ein Glaube an die Macht unseres Wissens und an dieMachbarkeit der Dinge, der sich nirgendwo im Grundsatz mehrausweisen muß. ... Es scheint höchste Zeit, die unbestimmten,aber weitreichenden Versprechungen, die die Soziologie gemachtoder geduldet hat, zu korrigieren und ihren Status alsInstrument der gesellschaftlichen Kontrolle und Planung neu zudefinieren." Es ist zunächst zu fragen, ob die Gesellschaft eingenügend determiniertes System ist, um Vorhersage und Kontrolle zu

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ermöglichen? Vermutlich nur sehr punktuell und begrenzt; esgibt v.a. keine Kontrolle über Ausgangsbedingungen. Das Feldder Werte und Ideen ist am wenigsten prognostizierbar. Abergerade normative Planung verlangt das Unmögliche, daß nämlich diePläne den Werten und Ideen zukünftiger Generationen angepaßtwerden. TENBRUCK kommt zu dem Schluß (S. 72), "daß derFortschritt des Wissens keine Gewähr für befriedigendePrognosen leistet und daß ein soziales System nicht genügenddeterminiert ist, um befriedigende Prognosen zu ermöglichen.Statt zu unterstellen, daß unser Wissen eines Tages denProblemen der gesellschaftlichen Kontrolle und Steuerung völligangemessen sein wird, sollten wir besser davon ausgehen, daßaus verschiedenen Gründen unser Wissen und unsere Probleme sichallemalen in einem höchst prekären Gleichgewicht befindenwerden."

Die Analyse der Grenzen rationaler Zwecksetzung in der Planung isteine auch heute noch weitgehend zutreffende Beschreibung desZustands "westlicher" Industriegesellschaften. Wichtigerscheint zum einen die Bemerkung zur Spaltung zwischen denHandlungswissenschaften und den empirischen Disziplinen und zumFehlen eines übergreifenden Modells. Hinzu kommt die Kritik ander Rolle und dem Selbstverständnis der Soziologie mit ihrenallzu weitgehenden Vorstellungen zur Planbarkeit des Glücks mo-derner Gesellschaften. Beides verweist unmittelbar auf LUHMANNs"Zweckbegriff und Systemrationalität" (1973), das kurz nachTENBRUCKs Arbeit erschien. Es enthält elementare Ansätze zurvertieften Analyse des Zweckbegriffs im Systemzusammenhang. Undwichtiger: Neue Ansätze für "Lösungen" sind - wie bei LUHMANNüblich - nicht zu befürchten. Sein Ausgangspunkt ist das"Dilemma von Substanz und Bewegung" der ontologischen Tradi-tion, das "Problem der Beständigkeit des Seienden". Der Zweck-begriff, so sagt er , hatte den Sinn, dieses Scheitern derOntologie zu verdecken (1973: 8), "indem er dem Vergänglicheneiner Handlung, die ist und doch nicht ist, das Bleibende desZweckes als ihr eigentliches Wesen aufprägte". Im Zweck war esmöglich, die Handlung und die Bewegung als Substanz und damitals rational vorzustellen. Daß das Handeln seinen Sinn in derErfüllung eines Zwecks findet, versteht sich heute nicht mehrvon selbst, dennoch ist das Zweck / Mittel-Schema dominant inallen Disziplinen, die mit dem Machen von Artefakten befaßt

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sind (1973: 19): "Die Zwecke werden ... zu willkürlichen,allenfalls sozial vereinbarten Durchgangsstationen einesunendlichen Kausalprozesses." Die Teleologie hat keine Funktionmehr.

Es scheint erforderlich, so LUHMANN, den Zweckbegriff ausder Handlungslehre in die Systemtheorie zu verlegen. Erverliere damit seine metaphysische Funktion der Vermittlung vonBewegung und Substanz, seine Verankerung im ´Wesen´ derHandlung und seine Stellung als nicht weiter begründbarerGrundbegriff der Handlungstheorie. Es gehe vielmehr um dieFrage nach der Funktion von Zwecken in Systemen. Nach abendländischerLehrtradition konnte die rationale Wahl nur die Wahl vonMitteln zu einem Zweck sein, nicht die Wahl des Zweckes selbst.Zunächst galt dies wegen der Offenkundigkeit desErstrebenswerten, der Wahrheit von Zwecken (Teleologie). Spätergalt es umgekehrt wegen der Wahrheitsunfähigkeit der Zwecke(Kausalität).

Verbunden mit der Auslegung des Handelns als Bewirken vonWirkungen ist also die Trennung von Kausalschema und Wertordnung.Diese ist sinnvoll, so LUHMANN, wegen der damit verbundenenMöglichkeit der Trennung von schematischer und regulativerInterpretation der Komplexität der Welt (1973: 29): "Der Sinnder Schematisierung möglicher Erfahrung durch die Kau-salkategorie besteht also lediglich darin, die im natürlichenErleben sich zeigenden Erfahrungs- und Verhaltenspo-tentialitäten zu systematisieren und so zu interpretieren, daßsie für Vergleichszwecke verfügbar, also rationalisierbarwerden. Die Begriffe Ursache und Wirkung bezeichnen demnachnicht bestimmte Eigenschaften des Geschehens, etwa das "Vermö-gen" zu wirken oder Ursachen anzuziehen. Sie sind nichts weiterals Variable, als Leerplätze für den Austausch funktionaläquivalenter Möglichkeiten." Die einfache Struktur desKausalschemas steht offensichtlich im Zusammenhang zumbegrenzten Komplexitätspotential höherer menschlicher Denkpro-zesse. Man verliert sehr rasch den Überblick, wenn man mehrerehintereinandergeschaltete Kausalfaktoren zugleich als Variablebehandeln muß. Der einfachste Ausweg besteht in der Anwendungdes Ursache / Wirkungs-Schemas auf jeweils nur zwei Faktoren.

Die instrumentelle Zuordnung Mittel-Zweck bedeutet also eineVerengung des Werthorizontes, eine partielle Neutralisierung

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der Wertimplikationen, damit eine Legitimation zu nur be-grenzter Rücksichtnahme. Der Zweck soll zur Inkaufnahme der"Kosten" des Handelns legitimieren ("die Mittel heiligen"). DieFunktion der Zwecksetzung (1973: 48, 49) besteht in der"temporären Abdunklung" von Werten. Es sei deshalbwidersprüchlich, die Neutralisierung der Mittel durch den Zweckzu kritisieren und gleichzeitig das Zweck / Mittel-Schemabeizubehalten. Ein besonderes Merkmal des Zweckbegriffs seiseine "vermittelnde Doppelstellung im Kausalkontext und imWertkontext. Der Zweck bildet den Übergang."

Die verbreitete Gleichsetzung der klassischenOrganisationslehre von Teil / Ganzem (statisch, Struktur, Auf-bau) und Mittel / Zweck (dynamisch, Prozeß, Ablauf) wirdkritisiert (1973: 59): "Mittel sind nicht ´Teile´ eines Zwecks,sondern allenfalls Teile eines Handlungssystems ... in dem auchZwecke eine Teilfunktion erfüllen." LUHMANN spricht dann (1973:126, 127) von der "Entthronung" des Zweckbegriffs als nichtweiter definierbarem Grundbegriff. Er wird zur Variablen, dieerst durch eine spezifische Funktion definiert ist. Zwecke sindnicht nur Prämissen, sondern ebenso Produkte von Ent-scheidungsprozessen. Die Relativität der Charakterisierung ei-nes Kausalfaktors als Zweck bzw. als Mittel besagt, daß es vomBetrachtungsstandpunkt abhängt, ob etwas als Zweck oder alsMittel behandelt wird. Schon die Tatsache der Aufteilung vonSystemen in Untersysteme bedeutet, daß Mittel und Zweckevertauschbar sind. LUHMANN erwähnt die verbreitetegefühlsmäßige Mißbilligung derartiger Positionen und erklärtsie (1973: 267) mit dem "Nachwirken der ontologischen Traditiondes Denkens ...".

Zwecksetzung wirkt auch als Verfahren der Grenzziehung unddamit der Systembildung. Dennoch gibt es meist keine für dasganze System repräsentative, optimierungsfähige Zweckformel.LUHMANN bezeichnet Optimieren als besondereEntscheidungstechnik, die man nur in engen Grenzen und nur aufder Basis eines komplex abgesicherten Systembestandes anwendenkönne. Ein Ausweg bestehe darin, das Bestandsprinzip alslimitierende Grundbedingung der Brauchbarkeit allenEntscheidens im System zu verwenden. Bestand im Zusammenhangmit einer Systemtheorie meint dann nicht bewirkte oder zubewirkende Wirkung, sondern (1973: 157) einen "Komplex von

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Problemen, die gelöst werden müssen, wenn ein System in einerveränderlichen Umwelt invariant gehalten werden soll ...". DieZwecksetzung gibt dem Bestandsproblem auf diese Weise eineentscheidbare Fassung, transformiert es in eine Arbeitsgrund-lage, indem sie zu erstrebende Wirkungen definiert, in bezugauf welche Mittel in rationalen Entscheidungsverfahrenausgewählt werden können. Dies bedeutet auch, nun wieder in derhier entwickelten Terminologie, den Wechsel von der Beobachtung3.Ordnung zur Beobachtung 2. Ordnung.

LUHMANN fährt fort (1973: 191, 192), die Orientierung anZwecken verlagere auf diese Weise die Folgeprobleme der Syste-merhaltung in einen angstfreien Bereich, der rationaler Kal-kulation zugänglich sei und verdecke damit andere Aspekte desursprünglichen Problems. Zwecke sind "keine systemexternen, al-lein durch ihren Wertgehalt gültigen Entscheidungsmaßstäbe; siewerden vielmehr durch Entscheidungsprozesse im System selbstgeschaffen, als vorläufig akzeptierte Präferenzen konstant ge-setzt und gegebenenfalls geändert." Diese Funktion kann auchdazu führen, daß Widersprüchlichkeit der Zwecksetzung alsMittel zur Systemstrukturierung verwendet werden muß. Dies istin der traditionellen Handlungstheorie undenkbar (1973: 234,235): Dies kann "den Sinn haben, das umweltinstitutionelleFundament des Systems zu verbreitern; sei es, um wertkomplexenUmwelterwartungen Rechnung tragen zu können, sei es, um ineiner sehr differenzierten Umwelt verschiedenartige Interessenzugleich befriedigen zu können. ... Das System tauschtgleichsam interne Konflikte gegen externe Konflikte ein - eintypisches Beispiel einer Problemverlagerung von außen nachinnen mit entsprechender wachsender Systemautonomie."

Die Mediatisierung der Normen und Zwecke kennzeichnetLUHMANN mit dem Begriff der Zweckprogrammierung (1973: 257). Siegeht von der Vorstellung aus, daß Zwecke und Mittelprogrammatische Festlegungen von Entscheidungsprämissen sind,über die im System entschieden wird und die dann, wenn undsolange sie gelten, Entscheidungsprozesse strukturieren. Einerwarteter Output des Systems wird als Zweck, der dazu nötigeInput als Mittel programmiert. Demnach bezieht der Begriff desZweckprogramms sich auf einen durch Systemgrenzen kanalisiertenFluß von Informationen, der unter Reduktion von Komplexitätnach bestimmten Gesichtspunkten der Selektion (dem Programm)

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verändert wird. Zweckprogramme sind formulierte Probleme. DieLösung des Problems entspricht der Erreichung des Zwecks.Darüber steht der Systembestand als Dauerproblem, welches primär einProblem der Beziehung System-Umwelt bzw. System-Umweltsystemeist (1973: 262-264): "Ein System muß sich über seine Zwecke mitder Umwelt einigen ... . Das kann ... nicht auf Grund einerallgemein akzeptierten, konsistenten Wertordnung geschehen,denn dazu ist die Welt zu komplex. ... Eine Grundlage und eineallgemeine Form der Lösung dieses Problems ist die Stabili-sierung von Systemgrenzen."

Besonders wichtig im Hinblick auf die weiteren Überlegungenim Kap. 4.1 sind die Ausführungen zum Thema Probleme undProblemlösungen (1973: 311-313): "Die Problemverkleinerung, diedurch Zweckprogrammierung gesteuert wird, hat den Sinn, in zweioder mehr Stufen permanente Probleme in lösbare Problemeumzuarbeiten. Die permanente Problematik des Systembestandeswird dadurch zwar nicht aufgehoben; ihr wird aber doch durchlaufende Lösung stellvertretender Probleme weitgehend Rechnunggetragen. ... nur der Lauf der Zeit kann Systemproblemedefinitiv beseitigen, indem er sie durch Überweisung in dieVergangenheit jeder Behandlung entzieht."

Es geht also um die Systemfunktion der Transformation unlösbarer inlösbare Probleme durch Operationalisierung (basierend auf Empirie) undAlgorithmisierung (basierend auf Logik). LUHMANNs Beitragerscheint wertvoll zur Entemotionalisierung und Entideologisie-rung des Begriffs der Zweckrationalität bzw. - dies istwichtiger - des in der Folge dieser Negativbesetzung inMitleidenschaft gezogenen Begriffs der Rationalität.Zweckrationalität ist erforderlich im Kontext der Systemsichtvon Gesellschaft als Ansammlung selbstorganisierender Hand-lungssysteme, welche sich in zyklischen Interaktionsprozessenselbst und gegenseitig stabilisieren und entwickeln.Erforderlich als eingebettetes, flexibles Funktionselement und nicht alsaxiomatischer Basisbegriff im verengten ökonomischen Sinne.

Die Rationalität der Aufklärung hat sich verengt zur ökonomischenZweckrationalität: Effizienz der Mittel und Wertneutralität der Zwecke.Sie ist die Grundlage technokratischer Planung. Das Instrumentarium

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ist äußerst effizient, kann aber die Komplexität heutigerProblemlagen nicht mehr angemessen erfassen. Insbesonderekonsensfähige normative Zielplanung wird zum Problem. Hier sindganz neue Konzepte nötig. Hier ist auch Design gefordert.Neben einem erweiterten Rationalitätsbegriff ist ein entideologisiertesKonzept von Zweckrationalität erforderlich. Es bezeichnet dievernünftige und humane Handlungsplanung im Rahmen gesellschaftlichausgehandelter und transdisziplinär gestützter Gesamtzielplanungen.

Planung und Bedürfnisbefriedigung

Noch schwieriger - unter dem Eindruck des bisher Gesagten - istdie Frage nach dem Zusammenhang von Zielen und Zielerfüllung mitBedürfnissen und Glück (TENBRUCK 1972: 72f). Sind wir überhaupt inder Lage, uns die richtigen Ziele zu machen? Je weniger dieZiele auf äußere Umstände und Einrichtungen, je mehr sie aufderen Lebenswert für Menschen abheben (Glück, Selbstverwirkli-chung, etc.), desto abstrakter werden sie, desto unsicherer diedaraus abzuleitenden Handlungsanweisungen. Was sind tragfähigeKriterien für menschliches Glück? Auf welche Weise bildet derMensch sich Ziele, und inwieweit können solche Ziele seinen Be-dürfnissen entsprechen? Das Hauptproblem besteht darin, daß derMensch offenbar keine fixen ("wahren", "wirklichen", "echten","natürlichen") Bedürfnisse hat, die sich von selbst verstehenoder sonstwie ergründen ließen, aber dennoch nicht umhin kommt,sich die Vorstellung solcher Bedürfnisse zu bilden. Ohne dieseBezugspunkte würde er sich in widersprüchliche ad-hoc-Entschei-dungen verlieren, über deren Wert er weder individuell nochsozial Rechenschaft geben könnte.

Die Systemtechnik ist auf handhabbare Begriffe angewiesen,also werden sie pragmatisch definiert (PATZAK 1982: 137, 140):"Der Anstoß als Auslösung des gesamten Problemlösungsprozesses,mit dem Abschluß der Bereitstellung eines Systems zur Be-darfsbefriedigung, basiert auf dem Erkennen oder zumindestVermuten von nicht abgedeckten subjektiven Bedürfnissen." Erunterscheidet dann, entsprechend der geläufigen Subjekt-Objekt-Sicht der Welt, "subjektive", "objektive", "innere" und"äußere" Bedürfnisse. Als "wertvolle Orientierungshilfe" fürdas Erkennen menschlicher Bedürfnisse bezeichnet er diehierarchisch konzipierten Bedürfnisklassen nach MASLOW (1981):

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1) Selbstverwirklichungsbedürfnisse: Bedürfnis nach Entfaltung derPersönlichkeit.2) Geltungsbedürfnisse (ichbezogene Bedürfnisse):- Anerkennung durch Andere: Bedürfnis nach Status,Aufmerksamkeit, Anerkennung.- Selbsteinschätzung: Bedürfnis nach Leistung, Können, Wissen,Selbständigkeit, Unabhängigkeit, Freiheit, Selbstvertrauen. 3) Soziale Bedürfnisse: Bedürfnis nach Gesellschaft, Kontakt, nachAufnahme bei seinesgleichen, Bedürfnis nach Liebe,Freundschaft, Kameradschaft.4) Sicherheitsbedürfnisse: Schutz vor Krankheit und Schmerz,Sicherheit im Alter und bezüglich Arbeitslosigkeit, Bedürfnisnach Wohnung, Heim, Schutz vor Bedrohung, Beraubung, Diskri-minierung, Beschimpfung und Wutausbrüchen anderer.5) Physiologische Bedürfnisse: Stillen von Hunger und Durst, Sex, Ruhe,Bewegung, Schutz vor den Elementen, Obdach.

Je weiter man aufsteigt in der Hierarchie, desto mehr sindsowohl die Bedürfnisse, als auch die ihnen entsprechendenMittel der Befriedigung nicht mehr gegeben, sondern gemacht,Produkt und gleichzeitig Bedingung der sozialen undökonomischen Verhältnisse. Die Begriffe verschwimmen, werdeninterpretationsfähig, interpretationsbedürftig und formbar. Esist der Zweck und liegt im Wesen der Systemtechnik, unbe-friedigte Bedürfnisse als Anstoß zur Entwicklung neuer Systemezu betrachten, ein eindeutiges Problem in eine eindeutigeLösung zu überführen. Im sogenannten Konsumbereich bedeutetdies: Vage beschreibbare psychosoziale Prozesse("Lebensformen") materialisieren sich in käuflichen Produkten,sie verdinglichen sich und bleiben auch dann noch Ding, wenn sieschon längst keine Lösung mehr sind (d.h. als Müll).

TENBRUCK (1972: 22f) betont, daß wir die Gesamtheit derlatenten Funktionen, welche unsere Lebensumstände für unserfüllen, nicht kennen. Zum erkennbaren Zweck wird nur das, wasnicht bereits erfüllt ist. Ein Präferenzsystem explizitgemachter Zwecke kann deshalb niemals ein angemessener Ausdruckunserer Bedürfnisse sein. Jede Verwirklichung eines Zwecksverändert die gegebenen Umstände und es ist nichtauszuschließen, daß dadurch Bedürfnisbefriedigungen, die in derAusgangssituation noch enthalten waren, im Effekt verdrängtwerden. Daraus können neue explizite Zwecke entstehen, es kann

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aber auch zu einer allgemeinen Unruhe, zur Minderung derStabilität des sozialen Systems kommen. Dies ist am Anfangeiner Planung nicht vorhersehbar. Wenn latenteBedürfnisbefriedigungen aufgelöst werden, so bedarf ein Teilder nun ungesättigten Bedürfnisse einer gewissen Zeit, um neueBefriedigungsformen zu finden. Sie werden schließlich entwederin neu entstehenden Lebensformen eine wiederum latenteBefriedigung finden oder schließlich so weit kristallisieren,daß sie als umrissene Bedürfnisse zu operationalisierbarenZwecken werden und damit prinzipiell durch Handeln befriedigtwerden können. Folgen solche Verdrängungen zu schnellaufeinander, so müssen ungesättigte Bedürfnisse akkumulierenund bei gegebener kritischer Schwelle die Gratifikationswerteder gegebenen Zustände verändern, d.h. zu einer Unruhe undUnsicherheit im sozialen System führen, die auf derNichtbefriedigung unkristallisierter, vielleicht sogarunfaßbarer Bedürfnisse beruht und deshalb durch absichtsvolleVeranstaltung auch nicht mehr behoben werden kann. DieseArgumentation beschränkt die Bedeutung der Zwecke, indem sieeinmal der Übersetzung von Bedürfnissen in Zwecke eineprinzipielle Grenze setzt und zum anderen die Realisierung vonZwecken in der Freisetzung von neuen Bedürfnissen resultierenläßt. Die Nebenfolgen planenden Handelns sind in ihrenAuswirkungen auf die psychosoziale Gratifikationsbilanz alsoprinzipiell nicht abschätzbar. Dies gilt umso mehr, jeumfassender und funktionsspezifischer die Planungen sind. Damitwird, so TENBRUCK, der Begriff des zweckrationalen Handelns,sofern darunter auch die Aussicht auf eine bessereBedürfnisbefriedigung verstanden wird, fraglich.

Die Entwicklung formalisierter Planungsmodelle in derSystemtechnik hat beigetragen zur verbreitetenPlanungseuphorie. Die bloß formale Betrachtung des Planensunterschätzt die Probleme und überschätzt die Möglichkeiten desPlanens. Insbesondere die Beziehung individuell - kollektiv ist vonBedeutung (1972: 38f): "Wer gar nicht plant, wird für sichnichts erreichen. Ob aber Menschen insgesamt nichts erreichen,wenn nicht für sie geplant wird, läßt sich nicht grundsätzlichbeantworten." Der Grund: Handeln ist unvermeidlich in sozialeInstitutionen, d.h. gesellschaftlich gültige Verhaltens- undHandlungsmuster (Gewohnheiten, Normen, Einrichtungen),

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eingebettet. Durch ihre Institutionen stellt jede Gesellschafteinen impliziten Handlungsplan dar, der das Zusammenleben heuteund zukünftig regelt. Damit wird die soziale Umwelt be-rechenbar. Nicht die subjektiv durchsichtige Zweckhaftigkeitdieses Handelns sichert den Erfolg, sondern die Angemessenheitder Regeln an die durchschnittlich zu erwartenden Schwankungendes Systems und der Umwelt. Die mit dem Planen verbundenesubjektive Zweckrationalität verkürzt somit die Mächtigkeit derin den Institutionen gegebenen Verhaltensabstimmungen undBedürfnisbefriedigungen. Es wird nicht veranschlagt, daßPlanung, als Veränderung gegebener Institutionen, auch gegebeneAbstimmungen und Gratifikationen auflöst, also Unsicherheit undGratifikationsverlust verursacht.

Individuelle Präferenzstrukturen sind also stark von sozio-kulturellvermittelten Bedürfnisdefinitionen beeinflußt. Den Erwartungen,die aus den kulturell definierten Bedürfnissen entspringen,entsprechen typische soziale Situationen, in denen siedurchschnittlich befriedigt werden können. Sozialer Wandelerfordert die dauernde individuelle Re-Interpretation derPräferenzstruktur. Eine ganz wichtige Erkenntnis in diesemZusammenhang (1972: 82): " ... offenkundig kann die Chance, dieBedürfnisse auf der sozialen Ebene so zu definieren, daß sieZieldefinitionen für die Verwirklichung menschlichen Glücksergeben, nie größer sein als die Chance, dies auf der indi-viduellen Ebene zu erreichen." Und schon dort ist es schwieriggenug, denn Bedürfnisse sind hochgradig situationsabhängig undinterdependent. (1972: 85f): "Aus allen diesen Gründen darf mandie Möglichkeit, anhand von Bedürfnisdefinitionen Situationenzu schaffen, die die menschlichen Bedürfnisse definitivbefriedigen, einfach ausschließen."

Zur subjektiven Logik des Glücks: Als zwei wichtige Momente derherrschenden Glücksphilosophie nennt TENBRUCK die Annahmekumulativer quantitativer Vermehrbarkeit und die Annahmeäußerer (physischer, sozialer) Ursachen für seine Herstellung.Das Glück wird damit zu einem Gut, das wesentlich durch dieVeränderung äußerer Bedingungen für den Menschen herstellbarist und nicht etwa von ihm selbst geleistet werden muß. Glückwird damit auch zum Anspruch, zur einklagbaren Forderung an dieGesellschaft. Aber (1972: 93): "Das Glück wird dem Menschennicht durch Umstände geliefert; es erwächst ihm aus der Art

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seiner Auseinandersetzung mit den Bedingungen, die ihm gesetztsind." Diese für die Lebensbewältigung und die Lebensqualitätentscheidenden Fähigkeiten liegen jenseits der Grenzen desrationalen Handelns. Ein Beispiel für die Grenzen rationalerHandlungslogik: Wenn der Mensch mit der Befriedigungirgendeines Bedürfnisses rechnen kann, so wird dieses nichtmehr als dringlich empfunden. Dieser mit der Sicherung einerBedürfnisbefriedigung eintretende Gratifikationsverlustbesagt , daß der Mensch prospektiv den Ertrag seiner Zieleüberschätzt.

Trotz all dieser Einwände und Zweifel wird von TENBRUCKeingeräumt (1972: 141), daß die arbeitsteilige Organisation dermodernen Gesellschaften Planung ermöglicht und erzwingt. Planen= rationales Handeln erfordert Kenntnisse über Mittel-Zweck-Verhältnisse und erfordert Entscheidungen als Wahl zwischenAlternativen zur Optimierung des Ertrags. Der Unterschiedzwischen planendem und nichtplanendem Handeln ist fließend. DieProbleme dabei sind offensichtlich: Mechanismen der Entwicklungsozialer Präferenzstrukturen sind weitgehend unbekannt, Regelnder Konsensbildung zwischen sozialen Gruppen sind nichtentwickelt, zukünftige Präferenzstrukturen sind äußerst schwerprognostizierbar, es gibt Abstimmungsprobleme zwischenPlanungs- und Entscheidungsträgern. Zusammenfassend läßt sichsagen, daß zum einen die Entwicklung gesellschaftlicher Werteund Ideen und menschlicher Bedürfnis- und Präferenzstrukturenprinzipiell unvorhersehbar und zum anderen der ZusammenhangBedürfnis - Ziel nicht fixierbar ist. Die durch die üblichenTheorien des rationalen Handelns und besonders durch die neuenEntscheidungstheorien entwickelten Maximen sind typisch auf dieOptimierung von Einzelentscheidungen in sehr strukturiertenEntscheidungssituationen zugeschnitten und erweisen sich alsunrealistisch gegenüber der allgemeinen menschlichenHandlungssituation.

TENBRUCKs Ausführungen haben in den 20 Jahren seither anAktualität eher gewonnen. Der Glaube an die Machbarkeit istsicherlich geschwunden, geblieben ist die Tatsache von Planungin immer größerem Umfang. Geblieben ist auch die Notwendigkeitsozialer Planung. Sie umfaßt die experimentell-exploratorischeErkundung alternativer Möglichkeiten und die daraus folgende

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normative Planung möglicher und wünschbarer Zukünfte; heuteweniger im Hinblick auf die Erreichung des vollkommenen Glücksals vielmehr zur Vermeidung des Schlimmsten. (LASZLO 1991: 81):"Die Menschheit wächst weiter, ihre Technologien werden immerleistungsfähiger und ihre Ansprüche immer größer unddrängender. Mit den neuen Technologien können wir - für eineWeile - zwar immer mehr aus immer weniger machen und unsereaufkeimenden Widersprüche unter immer neuen Formen derRationalisierung verstecken. Aber auf mittlere und lange Sicht,das heißt bis zum Ende unseres Jahrhunderts und darüber hinaus,werden selbst die wunderbarsten technischen Errungenschaftenunsere Probleme nicht mehr bewältigen. ... Es ist an der Zeit,uns bewußt zu werden, daß wir den Endpunkt eines Zeitalterserreicht haben. Dies war das Zeitalter, das uns dieindustrielle Revolution, den Nationalstaat und das Fernsehenbeschert hat und das die menschliche Lebenserwartung, die imMittelalter etwa 40 Jahre betrug, auf über 70 Jahre ausgedehnthat. Es war aber auch das Zeitalter, das materiellenFortschritt und materiellen Besitz zum höchsten Gut erhob unduns schließlich die Waffen zur endgültigen Massenvernichtungzur Verfügung stellte."

Als frühere Umbrüche dieser Größenordnung nennt er denÜbergang von der Nomaden- zur Ackerbaukultur vor 10.000 Jahren,das Entstehen der Stadtkulturen vor 5.000 Jahren und ihrenZusammenbruch, den Übergang vom Mittelalter zur Renaissancesowie Aufklärung, Moderne und Industrialisierung. Wir lebennoch weitgehend in den sozialen und politischen Strukturen, dieim Verlauf der industriellen Revolution in Europa geschaffenwurden. Sie wurden zum Leitbild der ganzen Welt, ihre Vorteilesind jedoch begrenzt auf relativ kleine Regionen bzw. Gruppen.Die Effizienz von Planung ist im globalen Maßstab rapidegesunken. LASZLO (1991: 86) fährt fort: "Im großen und ganzensind die Bemühungen des privaten Sektors, die menschlichenLebensbedingungen durch neue Technologien zu verbessern, nichtmehr allzu erfolgreich. Abgesehen von deutlichen Fortschrittenbeim sparsameren Energieverbrauch, ist die große Masse derVerbesserungen bei Konsumgütern überhaupt keine wirklicheVerbesserung. ... Manchmal scheint es so, daß echte soziale undgesundheitliche Fortschritte verlorengehen zugunsten desWettbewerbs zwischen künstlich erzeugten Wünschen und

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Modetorheiten." Er stellt die Frage, wer oder was dafürverantwortlich sei, daß wir heute vor dieser Situation stehen?Die Technik? "Sie tat nur, was wir sie zu tun hießen." Daß sieunerwünschte Nebeneffekte produziert, liegt an unserem Mangelan Wissen und Voraussicht. Die Wissenschaft? Wissenschaft istzwar eine wesentliche Grundlage der Technik, aber die Ursachenliegen in der gesamtgesellschaftlichen Dynamik, bei den "ehr-geizigen Produzenten" und den "eifrigen Konsumenten". DieKultur? Kultur als Summe aller Werte, Ideale, Glaubensvorstel-lungen, Verhaltensweisen etc. hinkt der Zeit hinterher. AberKultur ist in Entwicklung und kann geformt und gelenkt werden.D.h. wir alle sind verantwortlich.

Seine Aussagen zur Planung sind sehr allgemein gehalten,aber vielleicht sollte man derzeit nicht konkreter werden, weiles schon zu viele schnell umsetzbaren Handlungsanweisungen deraltbekannten Art gibt. LASZLO empfiehlt, "Einfluß zu nehmen aufdas Spiel der Fluktuationen", das Ergebnis der bevorstehendenBifurkationen dürfe nicht dem Zufall überlassen werden. Da dieGesellschaft aus menschlichen Wesen besteht, können dieBifurkationen "von innen her" gesteuert werden, indem auf dasZusammenspiel der "Fluktuationen" Einfluß genommen wird.Fluktuationen sind in diesem Zusammenhang: Neue Lebensstile,alternative Verhaltensmuster, ökologische Bewegungen, etc. inihrem dauernden raschen Wandel.

Es gibt, so seine eingängige (zuweilen zu eingängige)Darstellung, zwei altbekannte Strategien hierzu: das eigeneWohl in den Vordergrund stellen (individuelle Freiheit, lais-ser-faire, "Kapitalismus") oder das Wohl des Ganzenvoranstellen (entwickeltere, komplexere, gesteuerteSozialsysteme, "Sozialismus"). Beide Strategien / Ideologien,die der Frühphase der industriellen Revolution entstammen,haben mehr oder weniger abgewirtschaftet. Beide enthaltendennoch gute, geradezu utopische Grundgedanken. Kurzfristigscheinen sie unvereinbar, aber langfristig, so LASZLO, funk-tioniert nur die Kombination beider. Die dritte Strategiebesteht darin, sie in ein kreatives Gleichgewicht zu bringen,das sowohl die Interessen des Individuums fördert, als auch dieEvolution der Gesellschaft sichert. Vergleichbares meinteweiter oben das soziologische Fazit von WILLKE (Abb. 3.3).LASZLOs Ziele (1991: 59f) zum Schutz des Individuums bestehen

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in der Einschränkung der Macht der Nationalstaaten, der Politikund der Wirtschaft. Insgesamt sollten damit kleinere Einheitenerreicht werden. Zur Entwicklung der Gesellschaft fordert erHarmonisierungsmodelle der wirtschaftlichen Zusammenarbeit,Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Verteidigung undHarmonisierung des Umweltschutzes.

Die Steuerung erfordert zunächst die Identifikation vonHandlungsbereichen. Er nennt die folgenden besonders wichtigenGebiete, die auch in der Vergangenheit maßgebend an der Her-ausbildung der Zivilisation der Moderne beteiligt waren:Wissenschaft, Kunst, Religion und Erziehung. Hier würdigt eralso, trotz allem, die Traditionen der Moderne: Wissenschaft: " ... daß er (der Mensch der Moderne, W.J.) lineardenkt, nämlich in Begriffen von Ursache und Wirkung, liegt zumgroßen Teil am Einfluß des wissenschaftlichen Denkens, welcheszwar für die Forscher an der Frontlinie der gegenwärtigenWissenschaft überholt ist, aber doch tief in das moderneBewußtsein eindringen konnte."

Die Folge ist ein Pragmatismus, der die Menschen hindert,zeitlich und örtlich weiter entfernte Wirkungen ihres Handelnswahrzunehmen. Damit entsteht der Kontrast zwischen lokalerEffizienz und globalen Krisen. Die Wurzeln der Trennung derWissenschaft vom Leben der Gesellschaft liegen in ihrerEntstehung und hatten in diesem Zusammenhang eine wichtigeFunktion. Ein Beispiel ist die strenge Wert-Neutralitätgegenüber den Angelegenheiten der Kirche. Dies ist überholt:"Der Gedanke der wissenschaftlichen Neutralität und der Unpar-teilichkeit muß in der Versenkung verschwinden. Das bedeutetnicht, daß wir die wissenschaftliche Objektivität aufgebenmüssen. Wir müssen nur ihre richtigen Grenzen erkennen. SolangeWissenschaftler sich mit Dingen beschäftigen, diegesellschaftlich von Belang sind und Folgen haben, und solangesie von der Gesellschaft abhängig sind, wenn es darum geht,Forschungsmittel zu bekommen, werden die Wissenschaftler auchfür den sozialen Wandel verantwortlich sein."

Erforderlich ist die Überwindung der Aufspaltung derWissenschaften. LASZLOs optimistische Sicht: "DieWissenschaftler sind dabei, eine mathematisch strenge, aberallumfassende Theorie eines sich entwickelnden Universumsaufzustellen, in dem das Leben, die Gesellschaft, der Mensch

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und seine Zivilisation nicht länger wesensfremdeZufallsprodukte, sondern integrale Teile des Wandels und derEntwicklung sind. Die Theorien der evolutionären Transformationfungieren als das Rahmenwerk, das die Dynamik derTransformation erklärt und die verschiedenenWahrscheinlichkeiten der sich abzeichnenden Ergebnissevoraussagt."Kunst: Kunst übt seit jeher einen großen Einfluß aufWahrnehmen, Fühlen, auf die Qualität der Beziehungen zu anderenMenschen aus. Heute ganz besonders in Architektur, Design,Musik, Literatur, Film, etc. LASZLOs Wunsch: Die Kunst solltesich wieder den pragmatischen Anliegen der Gesellschaft nähern,statt sich immer weiter auf sich selbst zu beziehen: "Wenn sieihre gesellschaftliche Relevanz wiedergewinnen, dann könnten Kunst und Wissen-schaft, die Zwillingsausdrücke einer ´Hoch´-Kultur unserer heutigen Zivilisation, zubedeutenden Elementen einer fortschreitenden Evolution werden."Religion: Die Religionen haben immer noch großen Einfluß aufWerte und Weltsichten. Es gibt eine geistige Dimension, denletzten Sinn und die letzten Wahrheiten betreffend, die wederdie Kunst noch die Wissenschaft erreichen und befriedigenkönnen. LASZLOs Vorstellung besteht darin, den Humanismus dergroßen Weltreligionen zu einem Ökumenismus zu entwickeln. Erziehung: Er bezeichnet sie als Übermittlerin von Wahrnehmung,Werten, Wissen, Verhaltensformen in Schulen, Universitäten,Medien, etc. Die Bildungseinrichtungen "müssen zu Foren undTreffpunkten werden, nicht für Superspezialisten, sondern für´spezialisierte Generalisten´, also für im besten SinneGebildete. Ihre Hauptaufgabe wäre, die neuen Erkenntnisse derWissenschaft, der Kunst und der Glaubenssysteme desheraufziehenden Zeitalters zu sichten und zu einem Ganzenzusammenzufügen."

LASZLOs Fazit: Diese vier Bereiche müssen bereit sein,gemeinsam die Verantwortung dafür zu übernehmen, daß siebedeutende Wirkkräfte in der Entwicklung sind. Er nennt diesdie "holistische Allianz". Sie ist zu ergänzen um eine neu zudefinierende Disziplin Entwerfen! Die Entwicklung sollte jedochnicht von oben gesteuert, sondern "von innen" beeinflußtwerden. Dies kann deshalb erfolgreich sein, weil in einer Zeitanstehender Bifurkationen alle Gesellschaftsstrukturen äußerstsensibel reagieren.

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Es gibt keine "wahren" Bedürfnisse. Sie sind psychosozial-kulturell-ökonomisch gemacht. Die Wechselwirkungen sind kaum erfaßbar,der Gesamtkomplex ist im dauernden Wandel. Speziell dieBeziehung von individuellen und sozialen Bedürfnislagen istungeklärt. Der Erfolg der Transformation von Bedürfnissen inZwecke ist damit prinzipiell begrenzt.Wichtiger als explizite Handlungsplanung ist das Erfassenimpliziter sozialer Regeln und Handlungsmuster. Damit könnenAlternativen experimentell erkundet und wünschenswerte Zukünftenormativ geplant werden. Als "konkrete" Handlungsanweisung nenntdie evolutionäre Systemtheorie die "Einflußnahme auf das Spiel dergesellschaftlichen Fluktuationen".

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Fazit 3.1: Die soziologische Systemtheorie bietet ein komplexesBegriffssystem zur Beschreibung sozialer Dynamik. Das Problemder (Nicht-) Steuerbarkeit ist zentral. Strategien zur Ziel-planung und Steuerung jenseits der technokratischen Modellewerden angedacht, sind aber noch sehr vage. Hier sindtransdisziplinäre Ansätze erforderlich.---> Wie läßt sich die soziologische Systemtheorie aufgesellschaftliche Teilsysteme und speziell auf Entwerfenanwenden? Es folgen zunächst exemplarische Ansätze.

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3.2 Modelle sozialer Systeme

Heute dominiert in vielen Bereichen der Forschung derSystembegriff, dem man offenbar hoheKonzeptualisierungsleistungen in Richtung auf komplexeTheoriebildung zutraut. Einige existierende Ansätzesystemtheoretischer Konzepte von außerhalb und innerhalb desDesigns sollen vorgestellt und kritisch diskutiert werden. VonInteresse sind insbesondere die Unterschiede in der Ausprägungder Modelle und im damit verbundenen Erkenntnis-Anspruch.Deutlich wird, wie mühsam der Weg von der Kybernetik derRegelsysteme zur "2nd order cybernetics" ist, ein Weg, auf demdie Anstrengungen der weiteren Formalisierung eventuell auchgänzlich scheitern werden. Dies muß kein Nachteil sein.

Ein Beispiel aus dem weiten Spektrum der Anwendungen istder Ansatz von MAAß (1988), der das wissenschaftlicheTeilsystem Mathematik als soziales System beschreibt. Erzeichnet den Weg zur eigenständigen Disziplin und die damiteinhergehenden internen Ausdifferenzierungen anhand vonUmbruchsprozessen wie etwa der vielzitierten "Grundlagenkrise".Die Ausbildung der Fachsprachen, die interne Gliederung, dieInstitutionalisierung interner und externer Beziehungen undihre Bedeutung für die Autonomisierung der Disziplin werden inmathematiksoziologisch fundierter Weise dargelegt. Grundlageist die funktional-strukturelle Systemtheorie. MAAß behauptetschließlich, den LUHMANNschen Anspruch damit wohlüberstrapazierend und mißverstehend, die Möglichkeit, mit Hilfeder Theorie die historischen und aktuellen Entwicklungen derMathematik zu erklären und sogar Prognosen für die Zukunfterstellen zu können. Seine Analyse bleibt ganz in der diszi-plinären soziologischen Betrachtung verhaftet; es wird keinVersuch gemacht, die damit vorgegebenen begrifflichen undformalen Beschränkungen zu übersteigen und es gibt auch keinenVersuch, eine "Modellebene" systemtheoretischer Arteinzuziehen.

Die nachfolgenden Überlegungen konzentrieren sich auf Ansätze,in denen dieser transdisziplinäre Aspekt enthalten ist, d.h. indenen versucht wird, aus Einsicht in die Begrenztheit des ei-

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genen disziplinären Denkens, andere, noch nicht integriertebzw. vereinnahmte Überlegungen, speziell systemtheoretischerArt, einzubeziehen. Insbesondere gilt das Interesse dem Aspektder Formalisierung; dies weniger aufgrund der Überzeugung, daßdieser Weg erfolgreich zu Ende zu gehen wäre, sondern vielmehrum Hinweise auf die Grenzen zu finden, an denen die weiterenFormalisierungsbemühungen ihren Sinn verlieren.

Design-externe Ansätze

Zunächst eine kultursoziologische Arbeit, denn Kultur ist wohlunbestritten der dehnbare Oberbegriff, der auch Entwerfenumfaßt. BÜHL (1987) stellt in seiner Arbeit Überlegungen zurKonstitution eines dynamischen, systemtheoretischenKulturbegriffs vor. Er hält dazu zunächst eine Klärung desBegriffs "kulturelles System" für erforderlich, denn häufigwürden in der Soziologie veraltete oder sonstwie unbrauchbareSystembegriffe verwendet, die den Strukturbedingungen und derspezifischen Wandlungsdynamik nicht angepaßt seien. Hiererwähnt er insbesondere Talcott PARSONS (1961), der Kultur inseinem "AGIL"-Schema als monostabiles, hierarchisch geordnetesSystem beschreibt (vgl. auch Kap. 3.1:Adaptive subsystem (Wirtschaft): kognitives System,Goal attainment system (Politik): expressives System,Integrative subsystem (Gesellschaft): evaluatives System,Latency subsystem (Kultur): System der existentiellenGlaubensüberzeugungen.

In BÜHLs Urteil ist dies "leider ... nur ein scholastischesKategorienschema, das nicht mit der Beschreibung empirischerKultursysteme gleichgesetzt werden darf." Er nennt es eineWunschvorstellung darüber, wie eine Kultur sein sollte, nämlichsich kumulativ entwickelnd in der Fortschreibung und Anhäufungein für allemal gültiger Werte von "Freiheit" und "Gleichheit"auf der Grundlage von "Leistung". Mit diesem Schematismus aberwerde alles ausgeblendet, was den kulturellen Wandelproblematisch und schwierig mache und es sei nun endlich ander Zeit, die neueren Entwicklungen der Systemtheorie zurezipieren. Ohne auf LUHMANN einzugehen, führt er eine eigene

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Klassifizierung von "Kybernetiken" ein: die Kybernetik I dermechanischen Kontrollsysteme, die Kybernetik II derbioevolutionären Systeme und die Kybernetik III der nichtli-nearen, fluktuierenden Systeme. Nur die Kybernetiken II und IIIseien geeignet für die Soziologie. Die Unterscheidung zwischenI und II/III ist nachvollziehbar, die Unterscheidung zwischenII und III scheint eher zur Trennung der sozialen von denbiologischen Systemen zu dienen, denn nichtlinear undfluktuierend sind beide.

Es handele sich, so BÜHL, im Falle der Kultur nicht umHierarchien, wie sie PARSONS´ Schema beschreibt, sondern meistum "lose gekoppelte Mehrschleifen- und Mehrebenen- Systeme". DieUnterscheidung der Ebenen erfolgt nicht durch den Grad derGeneralisierung, etwa von Information und Kontrolle, sonderndurch unterschiedliche Organisationsmuster und Arbeitsweisen.Die Ebenen sind in dieser Sichtweise zum großen Teilselbstregulativ und es herrscht das Subsidiaritätsprinzip, d.h. diejeweils nächsthöhere Ebene wird erst dann eingeschaltet, wenndie untere Ebene zu keiner funktionssicherndenInformationsverarbeitung und Problemlösung gekommen ist. Dabeikönnen sich temporäre Hierarchien ausbilden, die jedoch vonProblem zu Problem wechselnd sind und unterschiedliche Schwer-punktbildung aufweisen. Ungeachtet seiner Relativierung derBedeutung hierarchischer Strukturen führt er - dies verwundertein wenig, denn es geht um Soziologie - als eine dennochgrundlegende Hierarchie diejenige des menschlichen Gehirns einund unterscheidet drei evolutionsgeschichtlich aufeinanderfol-gende Ebenen:1) Das Retikularsystem, der "Reptilienkomplex". Er umfaßt z.B.vegetative Funktionen, Sensorik und Motorik. Alles genetischvorprogrammierte Verhalten ist hier fixiert. Dies assoziiert ermit der "Tiefenschicht der Kultur", fundamentaleKulturleistungen seien hier zu lokalisieren.2) Das limbische System der Säugetiere als Steuerorgan dersozialen Bindungen und Beziehungen. "Funktionales Lernen",Verhaltenskonditionierung in Verbindung mit sozialerInteraktion sind seine Aufgaben. Ziel ist das Überleben in derGemeinschaft. Die Ebene sieht er als Träger eines primitiven,noch nicht diskursiven, Symbolismus. Diesen bezeichnet er alsGrundmaterial von Mythos und Ritus, die als Tiefenstruktur

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jeder Kultur zu betrachten seien, als Basis der metaphysischenund epistemologischen Grundannahmen einer Kultur. 3) Die Neokortex als Ort diskursiver, symbolischer Leistungen,ist der Sitz von Bewußtsein und Selbstbewußtsein. Er betont:Stimuli und Umweltparameter werden stets perspektivisch wahrge-nommen und interpretiert, d.h. die kognitive Matrix derNeokortex muß jeweils kulturspezifisch programmiert werden,wenn der Mensch lebens- und überlebensfähig sein soll. Hinzukomme die Rückkopplung zu den darunterliegenden seelischenTiefenschichten. In Kunst und Wissenschaft bestehe heute, soder Autor, die Gefahr der Ablösung und Isolierung der Reflexionund des diskursiven Denkens von der limbischen Tiefenstrukturund der retikularen Antriebsgrundlage. Dies klingt ein wenig"biologistisch".

Das Persönlichkeitssystem sei sehr viel weniger hierarchischorganisiert als das biologische Gehirn, sondern vielmehr durchden Modus der Integration dieser Ebenen der funktionalenGrundprozesse, des adaptiven Lernens und der Selbstorganisationdefiniert. Dies sei - welche Einsicht der Soziologie! - vonPerson zu Person sehr stark verschieden. Wichtig ist:Persönlichkeitssysteme sind nicht isolierbar, da siegrundsätzlich interaktionsabhängig sind. Empirisch-wissenschaftlich ist Kultur deshalb, so BÜHL, nur alsVerhaltenskultur erfaßbar. Es gebe eine lose Kopplung der Ebenenund Mechanismen des Mehrebenensystems, mehr in Form von"Heterarchie" als von Hierachie. Zwischen den Subsystemen gebees eine Art "ökologische Kontrolle" durch gemeinsame Res-sourcenbasis und funktionale Verflechtung (Konkurrenz,Symbiose, Parasitismus). Inhalte und Grenzen der Systeme seienvage und undeutlich. Um dies zu illustrieren, benutzt er hierden informationstechnischen Modebegriff der "fuzzy systems".Kontrollprozesse kultureller Art funktionieren nicht überAnweisungen / Direktiven, sondern über Mythen, Interaktionsri-tuale, vage Wertvorstellungen, Attituden, Prestigevermutungen,etc. Gerade dies sei Ursache für ihre immense Plastizität undAdaptionsfähigkeit. Soweit seine nicht minder verschwommene Be-schreibung der "Verschwommenheit" kultureller Systeme.

Systemtheoretisch sei dies nicht mehr als Verhalten vonOrganismen beschreibbar, sondern in der Begrifflichkeit"fluktuierender Systeme ". Insbesondere gelte dies auch für die

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kulturellen Elemente einer Gesellschaft, insoweit siesymbolisch repräsentiert sind. Er bezieht sich dabei explizitauf PRIGOGINE. Symbole sind als Zeichen zu verstehen, die durchden Kontextwandel der Handlungen laufend umdefiniert werden(BÜHL 1987: 71): "... in einem Kultursystem, das schließlichvon Symbolen und Sinndeutungen über symbolisch definierteGegenstände und freie soziale Interaktionen bis zu einemkonditionierten (institutionalisierten) und genetisch program-mierten Verhalten reicht, (sind) Momente unterschiedlicher"Flüssigkeit" bzw. Starrheit oder unterschiedliche Grade derKopplung vom lose gekoppelten bis zum nahezu geschlossenen Sy-stem miteinander verbunden." Er beschreibt nun eine Skalamöglicher Systemdynamiken im Sinne analytisch unterscheidbarerIdealzustände. Die Spanne reicht vom fluktuierenden Symbolismus(Fluktuation) über die zyklische Gleichgewichtsdynamik desheterarchischen Systems (kybernetisch beschreibbar:Katastrophe, Oszillation, Zyklus) bis zum genetisch fixiertenVerhaltensprogramm (Evolution). Dieser Ansatz erscheint mir alsein kleiner, aber wesentlicher Beitrag der Arbeit in Richtungauf das Ziel einer disziplinübergreifenden begrifflichenKlärung. Seine Definitionen sind wie folgt:Fluktuation: Weitgehend entkoppelte Systemeinheiten, weit entferntvon Gleichgewichtszuständen. Beispiel: Symbolbereiche beifreier Interaktion / Diffusion.Katastrophe: Teils fest, teils locker gekoppelte Systemeinheitenbei Bifurkation jenseits des optimalen Gleichgewichtszustandes.Katastrophe / Anastrophe. Beispiel: Übersteuerte sakralisierteKulturen und Kulturbereiche. Bei MEADOWS (1992), der dies nichtauf "sakrale" Kulturen beschränkt, wird hier von "Überziehen"gesprochen. Aber vermutlich ist unser Umgang mit den Dingen"sakralisierter" als wir wahrhaben möchten.Oszillation: Feste Kopplung der Systemeinheiten.Gleichgewichtssysteme mit festen Grenzwerten und Dominanz dernegativen Rückkopplungen. PARSONSsche hierarchische Gleich-gewichtssysteme gehören dazu. Beispiele: Ahistorische Kulturen,primäre Institutionen.Zyklus: Balance von positiven und negativen Rückkopplungen beiguter Intra- und schwacher Inter-System-Kopplung. Beispiele:Lebenszyklen von Organismen, ökologische Zyklen vonZivilisationen.

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Evolution: Adaptives Fließgleichgewicht bei dominant positivenRückkopplungen und zirkulär gekoppelten Systemeinheiten.Geschlossene Systeme (-> Autopoiese). Beispiele: BiogenetischerBereich oder flexible Institutionen, die Gesamtheit derKulturentwicklung der Erde.

Die Definition des Kulturwandels hängt ab vomzugrundegelegten Zeithorizont und damit auch von derBeobachterposition intern / extern. Insbesondere dieMechanismen im Bereich zwischen Katastrophendynamik undZyklenbildung bieten, so BÜHL (1987: 85f), eine Chance, relativrasch einen grundlegenden und dennoch realisierbaren Wandelherbeiführen zu können. Ob er dies deskriptiv oder im Sinneeines steuernden Eingriffs meint, wird nicht deutlich. SeineAusführungen werden im Folgenden dann wieder undeutlicher. Soberuhe Erneuerungsfähigkeit einer Kultur auf der "Verfügbarkeitverschiedener Strukturmuster, die dynamisch verknüpft sind".Ihre besonderen Charakteristika seien geringe statischeKomplexität, hohe dynamische Komplexität, hohe Design-Komplexität (was meint er damit?) und sehr geringe Kontroll-Komplexität, d.h. Steuerbarkeit.

Eine systemtheoretische Beschreibung des Kulturwandels müsse zwischeneiner "kurzatmigen kulturkritischen Diagnose" einerseits undeiner "die Zeiten überspannenden Kulturtheorie" andererseitsliegen, denn beide Ansätze leiden daran, daß sie die realeKopplung von Kulturwandel, technologischer und ökologischerEntwicklung, Politik und überregionaler oder globalerWirtschaftsordnung ignorieren oder trivialisieren. Er plädiertfür eine "mittlere Zyklentheorie", die zwar der langfristigenkulturellen Entwicklung Raum gibt, andererseits aber auch einempirisch faßbares Trägermilieu aus technologischen,wirtschaftlichen und politischen Faktoren aufweisen kann. Derzeitliche Horizont einer solchen Zyklentheorie bestimme sichwesentlich aus der Länge des menschlichen Lebens, d.h. aus derin unserer Kultur durchschnittlich zur Verfügung stehendenaktiven Lebenszeit, (1987: 90) "in der ein bestimmtes Wissengelernt, eine entsprechende Arbeitshaltung angeeignet und eine(begrenzte) Lernbereitschaft und -fähigkeit grundgelegt wird."Aus diesem Grunde hält er eine Orientierung an der in den 20erJahren in der Ökonomie entwickelten Theorie der "langen Wellender Konjunktur" (KONDRATIEFF-Zyklen) für sinnvoll. Die dort

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konstruierten Zyklen werden an den technologischen Basisinno-vationen seit der Industriellen Revolution festgemacht (BÜHL1984: 98f):1) 1793 - 1848: Eisen / Kohle, Dampfmaschine, Textilindustrie,2) 1848 - 1896: Stahlindustrie, Eisenbahn, Dampfschiff,Mechanisierung der Landwirtschaft,3) 1896 - 1933 (48): Elektrizität, Verbrennungsmotoren,Massenproduktion,4) 1933 (48) - 1972: Chemie, Elektronik, Luft- und Raumfahrt,5) 1972 - .... : Mikroelektronik, Biotechnologie, Solartechnik,etc.

Wir müßten uns derzeit also mitten im Aufstieg zum Höhepunktbzw. bereits auf dem Höhepunkt der 5. Welle befinden. Man merktwenig davon. Alle Zyklen folgen gemeinsamen Trends.Feststellbar sind: die Zunahme der Bedeutung der geistigenRessourcen, die Zunahme des erforderlichen Kapitals und derInfrastruktur, die Zunahme der erforderlichen Planung und Tech-nologie zur Erschließung sowie der Fortschritt an Zeit- oderArbeitsersparnis.

Soweit BÜHL. Sein heterogenes Modell erscheint starkökonomisch dominiert, gleichzeitig wird so etwas wie eineEigendynamik der Technik suggeriert. Die biologischenParallelen sind sehr weit getrieben. Insgesamt nimmt er einenlinearen Fortschritt an, d.h. irgendwann werden die 6. und die7. und weitere Kondratieffsche Wellen mit immer mehr Zeit- undArbeitsersparnis folgen. Wo bleibt das Ersparte? Dieser deter-ministische Zug führt dazu, daß er die gegenwärtige Krise damitbegründet, daß die Menschen (aber nur die uneinsichtigen!) nochzu stark an den veralteten Strukturen der auslaufenden 4. Wellefesthalten. Dies erschwere den Übergang zur 5. Welle. DieMenschen können den irgendwie vorprogrammierten Fortschrittalso allenfalls aufhalten und sich damit selber schaden,verhindern können sie ihn nicht. In dieser Sichtweise tritt diemenschliche Freiheit der Wahl zwischen Alternativen ganz in denHintergrund.

TEUBNER (1990) stellt die Frage nach den Bedingungen der Mög-lichkeit von Autonomie gesellschaftlicher Subsysteme. Seinprofessioneller Hintergrund ist das Rechtssystem, die Überle-gungen sind aber durchaus verallgemeinerbar und anwendbar auch

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auf das hypothetische gesellschaftliche Subsystem Entwerfen.Nach LUHMANN sind Subsysteme autopoietisch geschlossen, wennsie eigenständig die sie konstituierenden Elemente erzeugen. Erfolgt hier in der Anwendung auf Kommunikationssysteme striktder MATURANAschen Terminologie, die dieser allerdings fürbiologische und neuronale Systeme reserviert hatte und aufsoziale Systeme nicht anwendet. Es gibt für LUHMANN in derFrage der Geschlossenheit nur ein kategorisches entweder /oder, so etwas wie partielle Autonomie ist ausgeschlossen.TEUBNERs Bemerkung zur "heillosen Begriffsverwirrung" auch beiden "Altmeistern der Autopoiese" erscheint hier angebracht.Demgegenüber führt er selbst Autonomie als graduellen Begriff ein:Autonomiegewinn werde erzielt durch die Konstitution einerwachsenden Zahl von Systemkomponenten in selbstreferentiellenZyklen. Volle autopoietische Autonomie ist dann erreicht, wenndie ihrerseits zyklisch aufgebauten Zyklen zu einem Hyperzyklusverkettet sind; er benutzt dabei die molekularbiologischeTerminologie von EIGEN / SCHUSTER (1979). "Emergenzverdacht",Aussicht auf Systembildung, bestehe immer dort, wo selbstre-ferentielle Zirkel auftauchen, wo also Kommunikation überKommunikation, Beobachtung von Beobachtung oder ähnlichesstattfindet. Charakteristisch dafür sei die Arbeit mit kom-pakten Vereinfachungen, die sich als "emergente Einheiten"verwenden lassen. Sie dienen der Vereinfachung von komplexenSachverhalten durch Symbolisierung und erleichtern so die ope-rative Verwendbarkeit. PARSONS und LUHMANN sprachen hier vonsymbolisch generalisierten Medien, siehe Kap. 3.1. Auf dieseWeise entstehen Einheiten, die von den Systemen niedererOrdnung verschieden sind: Aus Rechtshandlungen entsteht dasRechtssystem, aus Zahlungsakten das Wirtschaftssystem, aus demimmer mehr formalisierten Umgang mit dem Code wahr / unwahr dasSystem Wissenschaft, etc. Und möglicherweise - so die Hypothese- entsteht aus einem zu entwickelnden Umgang mit dem CodeMachen / Nicht-machen das System Design. Ist Entwerfenbeschreibbar als symbolisch generalisiertes Mediumgesellschaftlicher Kommunikation?

TEUBNER kritisiert zu Recht, daß die Begrifflichkeiten derSelbstorganisation noch zu nah an ihren jeweiligenHerkunftsgebieten meist naturwissenschaftlicher Art und zu engam konkreten Anschauungsmaterial angelehnt und aus diesem

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Grunde für eine allgemeine Systemtheorie noch nicht geeignetseien. Dies gilt jedoch ähnlich auch für seinen eigenen Ansatz.Sein weiterführender Vorschlag besteht darin, Selbstreferenz alsallgemeinsten Begriff zu verwenden und dann verschiedeneDimensionen der Selbstreferenz zu unterscheiden: (1) VerschiedeneArten des "Selbst" ("Auto"), (2) verschiedene Arten des"Referierens" und (3) verschiedene Arten der "Referent-Referat"- Beziehungen. Diese Dimensionen konstituieren einen Raum, indem sich die Begriffe verorten lassen. Seine These ist nun, daßder Grad subsystemischer Autonomie sich danach bestimme, welcheund wieviele der Systemkomponenten eines Subsystems, Elemente,Strukturen, Prozesse, etc., bereits selbstreferentiell konsti-tuiert sind.1. Dimension, Arten des "Selbst". Sie bezeichnet dieSystemkomponenten: Elemente, Strukturen, Prozesse, Grenzen,Umwelten, Leistungen, Funktionen und das System als Ganzes.2. Dimension, Arten des "Referierens". Hier werden "harte" und"weiche" Systemoperationen unterschieden. Die harten sindProduktion und Reproduktion, also das, was MATURANA Autopoiesenennt. Alles andere ist Beobachter-Perspektive. Die weichenSystemoperationen sind Beobachtung, Information, Kontrolle,etc., das, was VON FOERSTER unter "2nd order cybernetics" faßt.Das Verhältnis der harten und weichen Operationen bzw. derSelbstreproduktion zur Kognition ist bisher nicht ausreichendgeklärt. So sagt ROTH (1987b), nur die Reproduktionsprozessedes Organismus konstituierten ein autopoietisches System,während Zustandsinteraktionen (Kognition) lediglich einselbstreferentielles System bildeten. LUHMANN dagegen erklärt,nur im Zusammenfallen von Selbstbeschreibung und Selbstrepro-duktion könne Autopoiese entstehen. Selbstbeschreibungenführen, so LUHMANN, die Unterscheidung System / Umwelt in dasSystem ein und dienen so der Steuerung der Selbstreproduktion.TEUBNER bezeichnet vermittelnd Beobachtung, Konstitution undProduktion als unterschiedliche Formen des "Referierens". Erversucht eine mit Korrekturen versehene Kombination der Ansätzevon MATURANA und VON FOERSTER: Die sachliche und zeitlicheTrennung von Selbstbeobachtung -> Selbstkonstitution -> Auto-poiese erfasse den Vorgang allmählicher Autonomisierunggesellschaftlicher Teilsysteme. Sie entstehe, wenn (1) dieSubsystemkomponenten selbstreferentiell definiert sind

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(Selbstbeobachtung), (2) diese Selbstbeobachtungen als Selbst-beschreibungen im System operativ verwendet werden(Selbstkonstitution) und (3) die selbstkonstituiertenSystemkomponenten als einander wechselseitig produzierendhyperzyklisch miteinander verkettet werden (Autopoiese). 3. Dimension der Selbstreferenz. Sie meint die Beziehung"Referent-Referat". Selbstreferenz löse die Einheit einerEinheit auf und ersetze sie durch die Dreiheit von Referent -Referat - Beziehung. Es gibt wieder drei formaleMöglichkeiten: Im Falle der Identität (Referat = Referent)folgen, so TEUBNER, logische Paradoxien. Der Fall, daß dasReferat umfassender ist als der Referent (Referat > Referent),bedeutet den Einschluß von Fremdbeziehungen, d.h. es gibt Of-fenheit gegenüber anderem. Dies ist Voraussetzung für"Anschlußfähigkeit" in der zirkulären Kommunikation:(Ausgangs-) Handlung ---> Anschlußhandlung ---> etc. Imselbstreferentiellen Fortschreiten geschieht so die"Konstruktion" von Umweltinformationen. Damit gibt es"Umweltöffnung" trotz operationaler Geschlossenheit. DieÜberschneidung gesellschaftlicher Teilsysteme führt zu eineranderen Art von Umweltöffnung. TEUBNER nennt sie "Interferenz"im Gegensatz zu reiner systeminterner Konstruktion. (Z.B.:Entwerfer sind nicht nur Entwerfer, sondern auch Golfspieleroder "Grüne" oder Autofans). Der dritte Fall, daß der Referentumfassender ist als das Referat (Referat < Referent), wird alspartielle Selbstreferenz bezeichnet.

Die Arbeit von TEUBNER illustriert die grundsätzlicheSchwierigkeit der systemtheoretisch orientierten Soziologie,mit disziplinär besetzten Begrifflichkeiten zu arbeiten unddiese an die eigene Disziplin anzupassen. Am Beispiel"Selbstreproduktion / Selbstreferenz" wird dies deutlich: ROTH,als Physiologe die Unterschiede zwischen produzierendenbiologischen und prozessierenden neuronalen Vorgängen betonend,sagt: Beides sind grundsätzlich verschiedene Phänomene.LUHMANN, als Soziologe in Extremposition, sagt: Nur beideszusammen macht Sinn. TEUBNER, als Soziologe mit Integra-tionsabsicht, vermittelt: Es handelt sich um zwei Extreme einesSpektrums. Die Frage, ob dies der Klärung dient, bleibt offen.Bedeutsam im Blick auf Entwerfen sind seine Überlegungen zurallmählichen Autonomisierung sozialer Systeme infolge einer

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wachsenden Zahl selbstreferentiell operierender System-komponenten.

Bei KROHN / KÜPPERS (1990b), einer Arbeit aus dem BereichWissenschaftssoziologie, geht es um die Formulierung dercharakteristischen Merkmale des Wissenschaftssystems in der Ter-minologie der Selbstorganisation. Dies ist für das immer imAuge zu behaltende System Entwerfen nicht nur generell im Blickauf Systembildung bedeutsam, sondern auch speziell bezogen aufdie häufiger geäußerte Meinung, Entwerfen sei mit Wissenschaftvergleichbar, auf dem Weg zu einer Wissenschaft bzw. einebesondere Art von Wissenschaft.

Systemtheoretische Analysen erfordern die Benennung vonElement und Wechselwirkung. MATURANA / VARELA nehmen Individuenals Basiselemente, das Sozialsystem ist damit zwar operationalgeschlossen und selbstorganisierend, aber nicht autopoietisch,d.h. die konstituierenden Elemente werden nicht von ihm selbsterhalten und erzeugt. Bei LUHMANN sind es Handlungen /Kommunikationen; sein Sozialsystem ist damit per definitionemautopoietisch. Die eigenartige Konsequenz ist, daß die basaleWechselwirkung (Kommunikation) und die Elemente (Kommunikation)auf diese Weise zusammenfallen; KROHN / KÜPPERS bezeichnen diesin allem Respekt vor LUHMANN als "sehr metaphorisch". Sieselbst postulieren Individuen als Basiselemente und arbeitenmit den Begriffen Selbstorganisation und operationale Geschlos-senheit. Interne Strukturbildung beschreiben sie in Anlehnungan die VON FOERSTERschen Eigenwerte. Als Charakteristikasozialer Systeme nennen sie (1990b: 305f):a) Informationale Offenheit. Dies steht im Gegensatz zu MATURANA /VARELA und LUHMANN. Anders als die rein strukturdeterminierten"natürlichen Systeme", die ihre Information grundsätzlichintern erzeugen, haben soziale Systeme, die Möglichkeit,fremdes Wissen (Information) aus der Umwelt zu importieren.Daraus erzeugen sie durch Neucodierung systemspezifische Infor-mation. Die Ursache dafür liege in der Tatsache, daß dieElemente des Systems stets gleichzeitig anderen Systemenangehören. Weiter oben wird allerdings explizit von "operatio-naler Geschlossenheit" gesprochen. Zur Vermeidung vonBegriffsverwirrung könnte man hier ebenso von "Geschlossenheit"sprechen. Daß sie selbst nicht sehr klar sind, sieht man daran,

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daß sie einerseits vom Import von Information sprechen,andererseits von der Erzeugung systemspezifischer Informationdurch Neucodierung.b) Kontingenz der Rekursion. Die Übergangsbedingungen rekursiverInteraktionen sind nicht in dem Ausmaß determiniert wie beinatürlichen Systemen. Es gebe "Erwartungserwartungen" anstellefester Naturgesetze, jeder Output einer Handlung könne zumInput einer neuen werden.c) Umweltstrukturierung. Die Handlungen sozialer Systeme sindwesentlich gekennzeichnet durch den dauernden Versuch, dieUmwelt als ein für die Existenz des Systems günstiges Milieu zugestalten. Nach KROHN / KÜPPERS versucht jedes soziale System,das für die Umwelt Leistungen erbringt, diese Leistungen(Problemstellung und -lösung) nach dem Muster der eigenenRationalität zu definieren. Die Formulierung, "Leistungen fürdie Umwelt erbringen", bezieht sich nur auf bestimmte Systeme,hier insbesondere auf die Wissenschaft, sie scheint mir aberdurchaus auch auf Entwerfen anwendbar.d) Existenzbedingungen. Soziale Systeme sind weniger verletzlichals natürliche Systeme. Das Selbstbild wird konstituiert durch"Einheiten im Bereich der Sprache" (MATURANA / VARELA). Eswirke identitätssichernd vor allem deshalb, weil es unabhängigvon aktuellen Systemoperationen entsteht.

Die Autoren wenden diese Überlegungen nun auf die Selbst-organisation von Wissenschaft und Forschung an (1990b: 307f):Forschung (-> Forschungshandeln) ist Produktion von Erkenntnis,Wissenschaft (-> Wissenschaftshandeln) organisiert dieFortsetzung von Forschung und ihre Unabhängigkeit von derUmwelt.

Forschungshandeln (der system-interne Aspekt)1) Elemente und Wechselwirkung. Basiselemente sind Personen, dieforschen (Wissenschaftler). Die Wechselwirkung entspricht danndem Forschungshandeln, das sich rekursiv auf Forschungshandelnbezieht. Interaktionen zwischen Forschern bilden sozialeNetzwerke. Rekursive Interaktionen bilden eine sozialeOrganisation (Forschergruppe). In ihr findet die Selbstorgani-sation der Forschung statt.2) Die Vernetzung des Forschungshandelns. Die Funktionsweise derrekursiven Interaktionen besteht in der Ausbildung von

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Eigenwerten (Normen, Überzeugungen, Einstellungen, Absichten).Diese manifestieren sich in der Ausbildung einer sogenannten"Gruppenmatrix" mit den folgenden Merkmalen:- Kognitiv: Ausbildung eines kollektiven Denkstils. Der Gegensatz zwischender prinzipiellen Offenheit der Entscheidung und dem ebensowichtigen Beharren auf Konzepten erfordert stabileSelektionskriterien.- Sozial: Stabilisierung des Gruppenverhaltens. Dies zeigt sich durchToleranz, Verständnis, Kompromißbereitschaft nach innen undgleichzeitige Kompromißlosigkeit nach außen.- Emotional: Engagement und Verpflichtung der Mitglieder einerForschungsgruppe.- Reflexiv: Ausbildung der Gruppenidentität. Es entstehen internkonstruierte Selbstbilder und Fremdbilder. Dadurch wirdKontinuität auch bei wechselnden Mitgliedern und Aufgaben ge-währleistet. Eine Aufspaltung des Handelns in reflexives unddirektes ist zu beobachten.Die Autoren bezeichnen die Gruppenmatrix, in Anlehnung an VONFOERSTER, als "Eigenlösung der sozialen Interaktion" undbemerken, sie unterstütze generell die Tendenz zur Ausbildungkonservativer (kognitiver und emotionaler) Strukturen. 3) Zur Konstruktion des Randes. Selbstbild und Fremdbild definieren,dort wo sie zusammenfallen, eine scharfe Grenze zwischen Systemund Umwelt. Nicht-Koinzidenz der beiden Konstruktionen schafftRandzonen, in denen die Divergenzen zwischen Selbst- und Fremd-bild verhandelt werden, in denen Randbedingungen entstehen bzw.gesetzt werden. Die Nicht-Überbrückbarkeit der Differenz vonSelbst- und Fremdbild führt zum Zusammenbruch des Systems.

Wissenschaftshandeln (der System-Umwelt-Aspekt)Die Autoren sehen in der Wechselwirkung System / Umwelt, dies lehntsich wieder stark an LUHMANN an, offenbar einen derbedeutsamsten Bereiche. Die Gestaltung der Umwelt durch dasSystem und die Steuerung der systeminternen Forschung durch dieUmwelt geschehen in enger Wechselwirkung. Forschungsprogramme,als Mittel der Forschungspolitik und -planung , sehen sie alsgeeignet an, dem strukturellen Konservatismus der Gruppenentgegenzuwirken. Sie unterscheiden innerwissenschaftlich undaußerwissenschaftlich formulierte Programme. Als Beispiel fürsehr weitgehende Außensteuerung (Heteronomie statt Autonomie)

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nennen sie das SDI-Programm. Von außen zielgerichtet geplanteProgramme bringen "Störungen der Forschungsstrukturen". Dieskönne infolge der Auflockerung von Strukturen echteInnovationen zur Folge haben, es könne aber auch einfach nur"Etikettenschwindel" herauskommen. Im günstigen Fall ergebensich durch derartige Außeneinflüsse positive Rückkopplungen fürAußenseitermeinungen, die anders kaum überlebensfähig gewesenwären. Insgesamt erweist sich das intern und an den Randzonendes Wissenschaftssystems angesiedelte Institutionensystem alsInstrument, die Umwelt für die Forschung günstig zu gestalten.Die Vernetzung der Forschung, die Vernetzung vonForschungsgruppen und Institutionensystem ergibt die Stabilitätdes Systems Wissenschaft. Die Autonomie der Wissenschaftbesteht in der kontinuierlichen sozialen Konstruktion von fürdie Forschung günstigen Randbedingungen. Entscheidend dafür istdie vom System selbst vorgenommene Trennung von System und Umwelt.

Selbst alle nichtwissenschaftlichen sozialen Interaktionender Wissenschaftler haben Rückwirkungen auf ihre Art, sichwissenschaftlich mit einer Sache zu befassen. WissenschaftlicheRationalität sehen die Autoren nicht als Gegensatz zumSozialsystem Wissenschaft, sondern ebenfalls als sozialeKonstruktion, deren Mechanismen auf die Formierung dieserRationalität zurückwirken. Wesentlich dafür ist derRückkopplungsmechanismus des Institutionensystems.

KROHN / KÜPPERS nehmen zur Differenzierung des Problemfeldeseine Typisierung von Wissenschaftshandeln vor, bei der -formuliert als Thesen - zahlreiche Parallelen zur Selbstor-ganisation von Entwerfen sichtbar werden: Entwurfspraxisentspricht dem Forschungshandeln. Hier geschieht die Produktionvon Problemlösungen. Eine kooperative Formulierung von Ar-beitszielen ist derzeit allerdings nur in sehr eingeschränktemRahmen möglich.

Handlungstypen Funktionales Handlungsziel

Kognitive Rückkopplung

Institutionen

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1 Kooperation

2 Informelle (mündliche) Kommunikation

3 Formelle (schriftliche) Kommunikation

4 Wissenschaftspolitik und Forschungsplanung

5 Lehre

6 Praxis

7 Öffentlicher Diskurs

Forschung

Information

Reputation

Verfügung über finanzielle Ressourcen

Rekrutierung von qualifiziertem Nachwuchs

Verwissenschaftlichung der Gesellschaft

Legitimation

kooperative Formulierung von Arbeitszielen

Reflexion der For-schungsaktivitäten in Selbst- und Fremdbildern

Dezentrierung desWissens; Modellierung des Forschungsfeldes;Konstruktion der Vergangenheit

Bildung neuer Forschungsfelder;Integration fremden Wissens, Konstruktion der Zukunft

Vereinfachung undAxiomatisierung des Wissens

Integration sozialer Präfe-renzen, Normen, Relevanzkriterien

Integration von Werten

Forschungsgruppen

WorkshopsKonferenzenLaboratorien

ReportsZeitschriften

Hybridgemeinschaften, Stiftungen, Fördergesell-schaften

Universitäten,Fachschulenu.a.

Wissenschaftsgestützte Industrie, Gesundheits- und Erziehungswesen

öffentliche Medien

Tabelle 3.1: Typen von Wissenschaftshandeln nach KROHN /KÜPPERS (1990b: 317, 318). Man beachte potentielle Parallelenzum Entwurfshandeln!

Das (potentielle) System Entwerfen entspricht dem SystemWissenschaft: Es organisiert die Bedingungen desEntwurfshandelns und die Beziehungen zu seinen relevanten

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Umwelten. Die Aussagen zur Kommunikation lassen sich auf Ent-werfen übertragen. Die Formen der Kommunikation sind allerdingssehr verschieden von denen in der Wissenschaft. Die BegriffeDesignpolitik und Designplanung machen außerhalb von Unterneh-menszusammenhängen derzeit nur wenig Sinn. Forschungsprogrammegibt es im Design kaum. Die Aussagen zu Lehre und Praxis sind aufEntwerfen übertragbar. Die Design-Lehre ist allerdings äußerstheterogen bezüglich Inhalt und Form. Der öffentliche Diskurs findetstatt, ist aber in seinem Reflexionsniveau unterentwickelt.

Die Liste ließe sich fortsetzen und könnte u.a.Ausgangspunkt einer designsoziologischen Untersuchung sein. Vonbesonderer Bedeutung scheint das Problem des Randes zu sein:Entscheidend ist die Ausbildung eines konsistenten Selbstbildesin möglichst weitgehender Übereinstimmung mit dem Fremdbild.Design / Entwerfen kann zwar nie den Grad von Autonomieentwickeln wie Wissenschaft sie aus ihrer Tradition herausbesitzt und weiter erfolgreich verteidigt. Entwerfen muß aberzur Ausbildung einer stabilen Identität und zur Entwicklung vonHandlungsspielräumen, die über das fremdbestimmte Problemlösenhinausgehen, seine Umweltbeziehungen wesentlich stärkerthematisieren. Zum Ausbau der eigenen Autonomie gehörengezielte designinterne Theorieanstrengungen und die Entwicklungeiner Entwurfsethik anstelle der Produktion ständig neuerStile.

Abschließend einige Gedanken aus dem Bereich Medientheorie mitdem Ansatz einer Medienkultur - Theorie, der besonders im Blickauf das hier formulierte Verständnis von Entwerfen als Mediumgesellschaftlicher Kommunikation interessant erscheint. FürSCHMIDT (1992c) umfaßt Kultur von Menschen für MenschenGemachtes, nämlich Sinn, der in Kommunikationen, Handlungenund Objekten materialisierbar ist. Einem äußeren Beobachter magdie Kultur einer Gesellschaft oder einzelner Sozialsysteme alsinkohärent oder gar kontradiktorisch erscheinen. Gegenüberdiesem Beobachtereindruck müsse aber die generelle Hypotheseaufrechterhalten werden, daß jede Gesellschaft aus Gründen derIdentitätserhaltung nur solche "Programmanwendungen" tolerierenkann, die aus der Sicht von Teilnehmern mit den "Eckwerten(=basale Dichotomien)" des Wirklichkeitsmodells kompatibelsind. Er bezeichnet Kultur als Programm, dessen Anwendung unter

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jeweils konkreten sozio-historischen Bedingungen dashervorbringe, was Beobachter dann als "kulturelle Phänomene"einschätzen und präsentiert den noch undeutlichen Entwurf einer"prozessual konzipierten Medienkulturtheorie". Seine These dazulautet (1992c: 434): "Kultur kann konzeptualisiert werden alsdas - in sich vielfältig differenzierte bzw. differenzierbare -Gesamtprogramm (i.S. von Computersoftware) kommunikativerThematisierung des Wirklichkeitsmodells einer Gesellschaft."Ein solches Konzept erlaube die Typologisierung von Kulturenohne gleichzeitige Wertung.

Auf diesem Hintergrund führt er Massenmedien als gesell-schaftliche Teilsysteme ein. Er folgt hier LUHMANN:Kommunikation, produziert Kommunikation und trägt so zurAutonomisierung von Sozialsystemen gegenüber ihrer Umwelt bei.Kommunikationsprozesse werden heute ganz wesentlich durchMedienangebote in Gang gesetzt und gehalten. Kognition undKommunikation laufen in jeweils autonomisierten Systemen ab undMedienangebote koppeln kognitive mit kognitiven, kognitive mitsozialen und soziale mit sozialen Systemen. Massenmedien sind,so SCHMIDTs neue These, beschreibbar als eigenständigeSozialsysteme; er nennt sie Medienteilsysteme. Kultur erfordertKommunikation, Kommunikation erfolgt durch Medien, in diesemSinne führt er den Begriff der "Medienkultur" ein. Derinteressante Aspekt dieses "Gesprächsangebotes" ist diemögliche Sicht von Entwerfen als eigenständigem Medienteilsy-stem wie Presse, TV, etc. Design als Massenmedium? Warum nicht?Der prozessuale Aspekt seines Modells erscheint allerdings nochsehr skizzenhaft und unausgearbeitet. Die Programm-Metapherwirkt eigentümlich antiquiert (oder doch futuristisch?).

Bis hierher handelte es sich um verbale Modelle. Das Problem derFormalisierung systemtheoretischer Modelle komplexerpsychosozialer Prozesse soll an 2 Beispielen demonstriertwerden. Beide benutzen einen sehr einfachen Algorithmus, diesogenannte "Verhulst-Dynamik", eine Formel, die im Zusammenhangmit Modellen der Populationsdynamik aufgestellt wurde. Ab einembestimmten Wert des charakteristischen Kontrollparameters zeigt sie chaotisches Verhalten. Vgl. hierzu Abb. 6 a) und b)in Kap. 2.1.

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Beispiel 1: Gesamtsystem Gesellschaft. SEIFRITZ (1987), einAtomenergieplaner, bildet den Formalismus ab auf dasBegriffspaar Rationalität / Irrationalität. Er sagt, dasgegenwärtig zu beobachtende "chaotische" Verhalten in der Ge-sellschaft, die Diskrepanz zwischen rationalem "Wollen" undirrationalem Handeln" (etwa im Bereich Energieverbrauch, woangeblich alle "rational" weniger verbrauchen wollen, aberdennoch "irrational" so weitermachen wie bisher), habe seineUrsache in dem Überschreiten des besagten Kontrollparametersder Verhulst-Dynamik. Seine Vorschläge zur Wiederherstellungder alten Form von Rationalität, in der Wollen und Handelnübereinstimmen:a) das Zurückgehen in den stabilen Zustand durch Abschwächungdes Wachstums. Dies sei das Rezept der Wachstumskritiker, daser für ungeeignet halte. b) die Abschwächung der positiven Rückkopplung durch Abzweigungeines Teils der Wachstumsgewinne für technologischeVorsorgemaßnahmen. Dies bevorzuge er und dies paßt ja auchtatsächlich besser in das ideologische Umfeld derAtomenergieplanung. Beispiel 2: Entwurfsprozeß. KIEWERT (1991), einKonstruktionstheoretiker, bringt dieselbe Gleichung inBeziehung zu der schematischen Darstellung einer empirischenUntersuchung eines Konstruktionsprozesses, welche das"chaotische" hin und her zwischen unterschiedlichenAbstraktionsstufen während der Bearbeitung einerKonstruktionsaufgabe durch einen Konstrukteur zeigt. Der Ansatzzielt auf eine Durchdringung der kognitiven Prozeßdynamik desKonstruierens, formuliert diesen Anspruch aber wesentlichbescheidener als im Beispiel 1.

Beide Beispiele sind im Hinblick auf ihren konkretenGegenstand deskriptiv ohne große Aussagekraft. Sie sagen jedochviel aus über die Weltsicht der Modellautoren. Die Modellbil-dung, die Herstellung der Relation Modell - Wirklichkeit, istwillkürlich. Beide Beispiele bleiben allzusehr an der Ober-fläche der Phänomene und bilden diese ohne wissenschaftlicheSkrupel auf einen mathematischen Formalismus ab, der mit demPhänomen zunächst (vor dieser mit dem Ansatz hergestelltenVerbindung) nicht das geringste zu tun hat. Man nimmt diemathematische Gleichung, weil sie "ähnliches" Verhalten zeigt

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wie die eigenen Interpretationen des Phänomens. Schwerer wiegtder Einwand, daß die Phänomene selbst darüber hinaus schonvorher vielfältig interpretiert und bewertet sind. Insbesonderedas erste Beispiel beachtet nicht, daß es sich bei sozialenProzessen, im Gegensatz zu einer mathematischen Formel, mitgroßer Wahrscheinlichkeit um irreversible zeitlich - historischeProzesse handelt, d.h. daß nämlich das Chaos vorwärtsdurchschritten werden muß, damit sich auf einer höheren systemi-schen Ebene eine neue Form von Ordnung, von Rationalität,entfalten kann. Dies ist nicht "Systemdenken", sondern das istregelungstechnisches Subjekt-Objekt-Denken mit systemtheo-retischen Versatzstücken. Dennoch können derartige Ansätzezweifellos Einfluß auf Denk- und Handlungsweisen zeigen, wennsie nur häufig und massiv genug vorgetragen werden.

Deutlich wird die intensive Suche nach einer Begrifflichkeit. DieKonstatierung der "heillosen Begriffsverwirrung", der Vorwurfallzugroßer Metaphorik, etc. zeigen die Schwierigkeiten. An-gesichts der heterogenen Herkunftsgebiete der Begriffe(Thermodynamik, Biochemie, Neurophysiologie, Mathematik, etc.)ist es fast unvermeidlich, beim Versuch der Anwendung aufkomplexe gesellschaftliche Phänomene bewußt ins Metaphorischeabzuschwenken. Der von TEUBNER für die soziale Systembildungverwendete Begriff des Hyperzyklus, von EIGEN / SCHUSTERerfunden zur Beschreibung der Entstehung primitivster Formenvon "Leben", ist ein derartiger Fall. Die Grenzen zwischenMetaphern und Modellen sind fließend und zudem reinbegrifflicher Art. Jede Art von Dogmatismus erscheint deshalbunangebracht und schädlich. R.A WILSON (1992: 215): "Natürlichsind manche Metaphern augenscheinlich nützlicher als andere.´Geist´ und ´Materie´ scheinen recht lange nützliche Metapherngewesen zu sein; viele sehen sie noch heute als nützlich an.Trotzdem spricht viel dafür, daß so, wie die alten Metaphernvon ´Raum´ und ´Zeit´ nach Einstein immer weniger ergiebigschienen und der modernen Metapher von ´Raum-Zeit´ weichenmußten, auch ´Geist´ und ´Materie´ etwas Neuem Platz machenmüssen." Besonders deutlich werde dieser notwendige Wandel amquantenphysikalischen Dualismus Welle-Teilchen (1992: 234): "Essind weder Wellen noch Teilchen, d.h. die Modelle sindMetaphern; das ... non-verbale Ereignis bleibt

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unaussprechlich." Hier ist auch wieder G.S. BROWNs "unmarkedstate", das Unaussprechliche, weil nicht Unterscheidbare.

Es ist plausibel und erscheint sinnvoll, die Dynamik sozialerProzesse der unterschiedlichsten Ebenen systemtheoretisch zubeschreiben. Ein Problem ist die Ausbildung einer gemeinsamenBegrifflichkeit, die sich von den Ursprungsdisziplinen(Thermodynamik, Biochemie, Neurophysiologie) emanzipiert. Auchdie Polarisierung "LUHMANN oder Nicht-LUHMANN" sollteüberwunden werden.Für die Beschreibung von Entwerfen als System scheinen die Ansätzeaus der Wissenschaftssoziologie fruchtbare Anknüpfungspunkte zuenthalten.

Design-interne Ansätze

Die älteren systemtheoretischen Ansätze der klassisch-kybernetischen Ausrichtung sind bereits in Kap. 1 erwähntworden, ihre Unzulänglichkeiten wurden dargestellt. Es folgennun einige neuere Ansätze bzw. Gedanken aus dem Entwurfs-Bereich, die in die hier intendierte Richtung weisen bzw. diesich so interpretieren lassen.

Horst OEHLKE (1982, 1990) faßt eine Reihe von bedeutsamenAspekten in einem kurzen Absatz zusammen: Zur eingeschränktenSicht der Produkte als Träger kommunikativer Funktionen müssedie Einsicht und das theoretische Wissen über Design als sozio-kulturellen Prozeß hinzukommen. Die Designtheorie müsse übereine Theorie der Gegenstände hinausgehen, diese allein seinicht tragfähig. Es gelte also, eine "Theorie desgegenständlichen Verhaltens der Subjekte" zu entwickeln. Derletzte Aspekt, formuliert in der Terminologie dieser Arbeit,bedeutet: Design wirkt als Medium gesellschaftlicherKommunikation. Die Beschränkung auf Subjekte und ihren Umgangmit den Objekten wird der Sache nicht gerecht, es muß eineAusdehnung in Richtung sozialer Kommunikation. Diese produzierttemporäre Eigenwerte (Attraktoren, Muster) in Form von

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sprachlichen Formen, Stilen, Dingen, etc. Man kann diesweiterdenken in dem Sinne, den Eigenwerten ihre Gegenständ-lichkeit, dort wo sie nicht essentiell ist, zu nehmen. DerGedanke verweist auch - dies liegt bei der Beachtung vonOEHLKEs gesellschaftlichem Hintergrund in der ehemaligen DDRnahe - auf die MARXsche Theorie der Verdinglichung der ge-sellschaftlichen Verhältnisse in der Warenform. Dazu mehr imKap. 4. In einem neueren Beitrag (1987: 154, 155) sprichtOEHLKE explizit von "Systemebenen ... um die informationellen,bedeutungshaften und ausdrucksmäßigen Aspekte in ihrer steigen-den Komplexität und abhängig vom Systembezug (oder -ausschnitt)zu ordnen." Er unterscheidet :1) Struktur und Funktion des allgemeinen gesellschaftlichenReproduktionsprozesses (ökonomische, ökologische Funktionen),2) Strukturen und Funktionen der sozio-kulturellen Umgebung(ästhetische, kommunikative Funktionen), 3) Strukturen und Funktionen von "Mensch-Maschine-Systemen"(operationale Funktionen), 4) Struktur und Funktion des Gegenstandes (utilitäre, faktibilitäreFunktionen).

Was auffällt: Die Schichtung in Systemebenen, die hiervorgenommen wird, ist in erster Linie ein disziplinärorientierte Schichtung. Es beginnt mit Ökonomie / Ökologie alsoberster Ebene, dann folgt Ästhetik / Kommunikation, dannHandlungsinteraktion, schließlich Technik und Produktion. Esist fraglich, ob diese Art von Ebenenbildung sinnvoll ist, dennhier werden nicht nur Disziplinen festgelegt, sondern es wirdauch bereits eine Hierarchie der Disziplinen und damit derinterdisziplinären Kooperationsformen impliziert. Außerdemwerden Phänomenbereiche künstlich, ohne Notwendigkeit,getrennt. Die Überlegungen sollten eher dahingehen, eineallgemeinere Ebenenbildung anhand des Komplexitätsgrades deszugrundeliegenden Sozialsystems zu versuchen, um dann aufdiesen Ebenen jeweils disziplinär / interdisziplinär / trans-disziplinär zu arbeiten, ohne dabei bereits im vorausirgendeine Art von Rangfolge festzulegen.

Holger VAN DEN BOOM (1990: § 43) spricht unter der Überschrift"Lebenswelt und Systemgestaltung" sehr vage und neutral überdie "Systemtheorie der Gesellschaft". Er erwähnt den verbreite-

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ten Vorwurf der "Sozialtechnologie" und erläutert, daß diesekritische Position sich an der Kategorie der Lebensweltorientiere. Ihr gehe es darum, Sinn-Systeme aus lebensweltli-chen Vollzügen zu begreifen, d.h. letztlich aus Praxis. Dieleitenden Kategorien der Systemtheorie, insofern diesepraktisch werde, seien indessen Information, Planung undEntscheidung. Es müsse versucht werden, "dasKorrelationsverhältnis von Lebenswelt und System aus der Sichtsystemgestaltender gesellschaftlicher Praxis zu beleuchten."Darum genau geht es! Was er im folgenden § 44 unter dem Titel"Soziale Tatsachen" stichwortartig reflektiert: (1) Die Ordnungder Dinge, (2) Der Besitz der Dinge, (3) Die Arbeit mit und anden Dingen, (4) Wert, Zauber und Magie der Dinge, (5) DieVerdinglichung sozialer Beziehungen, (6) Die Dinge werdengesellschaftlich konstituiert, (7) Das Ding als Mittel zumZweck, kann man sicherlich als ersten Beitrag zur "Beleuchtung"des "Korrelationsverhältnisses" verstehen.

Klaus KRIPPENDORFF (1989b) liefert ebenfalls einensystemtheoretisch orientierten Beitrag. Er präsentiert seineAussagen zwar noch unter dem mißverständlichen Etikett"Produktsemantik", sie weisen aber über die verengteEinzeltheorie bereits deutlich hinaus und zeigen Ansätze einesTheorie-Frameworks auf. Er spricht zunächst sehr allgemein voneinem "paradigm-shift" in der "underlying philosophy". Von derOntologie verschiebe sich das Interesse immer mehr in Richtungauf Erkenntnistheorie und Hermeneutik, der Behaviorismus werdeverdrängt vom "cognitivism" ("thinking and behaving and itsrelation to communication and society") und schließlich werdedie Kybernetik mehr und mehr ersetzt durch Denkweisen der "2ndorder cybernetics". Aufbauend darauf beschreibt er ein Konzeptvon "4 Design-Theorien" bzw. Arbeitsgebieten, die mit Inhalt zufüllen sind. Die Hierarchie ist bei ihm so zu verstehen, daßdas jeweils folgende Gebiet in dem vorangehenden enthalten ist:1) Ecology (interaction among species of artifacts), "... thedynamic system of symbolic entities." Hier gehe es um dieBedeutung der symbolischen Qualitäten, die wir den Objekten zu-schreiben, für das Verständnis der Ökologie unsererselbstkonstruierten kognitiven Welt.

304 3 Soziotechnische Systeme__________________________________________________________________________________________

2) Genesis (techno-economic). "Within such a production-consumption network artifacts may be seen as temporaryly frozenpatterns, gestalts, forms or messages ..." 3) Language (socio-linguistic). Die konstitutive Funktion vonSprache steht hier im Mittelpunkt. Er weist hin auf "anemerging cybernetic epistemology".4) Use (psychological). Der Gebrauch der Dinge.

Ecology

GenesisLanguage

Use

Abb. 3.4: KRIPPENDORFFs "4 Theories" (1989b).

KRIPPENDORFF betont die Prozeßhaftigkeit seines Ansatzes und dieBedeutung der Aufrechterhaltung der Kommunikation für dieSinnproduktion: "Thus the four theories for product semanticsbasically specify four essential contexts in which artifactsshould not break down and need to survive existing practices."Einige Aspekte sind zu hinterfragen: Die hierarchische Ver-schachtelung der 4 Theorien erscheint willkürlich, diedisziplinäre Festlegung, ähnlich wie bei OEHLKE, in diesemStadium der Ausarbeitung des Theorie-Designs eher hinderlich.Auch die hier noch deutliche Betonung des Zeichencharakters imsemiotischen Sinne und das Festhalten an eineminformationstheoretisch begründeten Kommunikationsbegriff sindhinderlich. In einem späteren Beitrag macht er allerdingsunmißverständlich deutlich, daß das Designobjekt nicht alsTräger von Information zu verstehen ist (KRIPPENDORFF 1991):Diese immer noch verbreitete Sicht sei "an act of disrespectfor the cognitive autonomy of other individuals", sie sei gar"intellectual imperialism". Semantik entstehe aus sozialerPraxis, deshalb müsse die Konzentration auf die kognitiven Pro-zesse der Zeichengenerierung statt auf die Zeichen "als solche"

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im Vordergrund stehen. Stark an MATURANA angelehnt, betont er,Verstehen und Sinnproduktion sei die kreative Perpetuierungsozial lebensfähiger Konstruktionen; dies verweist unmittelbarauf das LUHMANNsche Konzept der "Anschlußfähigkeit".

Wie bei allen "Produktsemantikern" wird auch hier nichtthematisiert, warum denn heute auf einmal soviel Sinn benötigtwird, wie dieser Sinn beschaffen ist und wie die Designer esschaffen (oder auch nicht?), ihn immer wieder so schön zuproduzieren. Wenn man es mit der erkenntnistheoretischenPosition "2nd order cybernetics" ernst meint, ist es nötig, denSinn der Sinnproduktion sorgfältiger zu reflektieren. Konkreteralso: Was bedeutet die Rede von der Sinnproduktion für dieDisziplin selbst? Was bedeutet sie auch für Theoretiker wieKRIPPENDORFF, der zumindest im Hinblick auf seinen eigenenUmgang damit so gut wie keine Selbst-Reflexion betreibt. Vondieser Kritik abgesehen erscheint dies als ein Ansatz in RichtungSystemtheorie. Deutlich werden auch Parallelen zum LENKschenVorschlags eines handlungstheoretischen Schichtenmodells (1980:13f), dessen Basis, als strukturelles Gerüst, die sozial- und sy-stemwissenschaftliche Schicht bildet.

Ein sehr konkretes systemtheoretisches Modell einesTeilbereichs des Entwurfsprozesses liefern HOLT / RADCLIFFE(1991). Ihre Problemstellung ist die folgende: Lernprozesse imDesign haben organisatorische (O), persönliche (P) undtechnische (T) Aspekte. Sie stellen die organisatorischen(bezogen auf ein Design-Team) und persönlichen in denVordergrund und verwenden Ansätze aus der Theorie offener undgeschlossener Systeme, um ein nichtlineares Modell desi-gnspezifischer Lernprozesse zu entwickeln.

Sie beklagen, daß bis heute die technisch-mechanistischeSicht der Dinge, etwa in der "Theorie technischer Systeme" vonHUBKA und EDER (1988) oder in der VDI-Richtlinie 2221, domi-niert. Die Prozeßdynamik dieses "problem solving model ofdesign can be represented by a block diagram, with proceduralsteps linked by forward moving arrows and feedback learningloops." Es vernachlässige den sozialen Prozeß des Entwerfensund verhindere den Blick über den Horizont der Dinge und destechnischen Regelwissens der Disziplinen. Die Charakteristikades sozialen Prozesses umfassen, so HOLT / RADCLIFFE: "the

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creation of experiences", "ambiguous communication" (infolgeder getrennten autopoietischen Systeme Bewußtsein undKommunikation), "negotiation as the modus operandi" sowie"enrolment (Anwerbung, W.J.) of participants". Ziel der Autorenist eine Perspektive des Entwerfens, die alle drei Aspekte, denorganisatorischen, den persönlichen und den technischen umfasstund zu einem konsistenten "mental framework" zusammenfaßt. AlsoEntwerfen :- "as systematic problem solving (T)",- "as social interaction throughout a shared task (O)",- "as deriving from individual feelings, goals, values (P)".

Ihr Ausgangspunkt ist die erweiterte Systemtheorie. Derzentrale Punkt: Sie unterscheiden hier explizit dieHauptrichtungen der geschlossenen, selbstregulierendenGleichgewichtssysteme (Dampfmaschine, Regler, etc.) einerseits undder offenen Systeme andererseits. Unter den letzteren verstehensie Ungleichgewichtssysteme, z.B. biologische Systeme, beidenen Information, Materie, Energie über die Systemgrenzenfließen. Als Charakteristikum dieser Systeme nennen sieEmergenzphänomene, also die Entstehung neuer Formen vonOrganisation und Interaktion.

In der Begrifflichkeit der Theorie der offenen Systemeentwickeln sie nun ein Systemmodell für die Bereiche "O" und"P", welches ein Individuum, eine Gruppe oder eine Institutionumfassen kann. Das System ist konstituiert durch einen Kanongemeinsamer Werte und Standards, das sogenannte "appreciativesystem" (vergleichbar mit der "Gruppenmatrix" bei KROHN / KÜP-PERS 1990b), es unterliegt zeitlichem evolutionären Wandel. Dieim System vorherrschende Kultur bestimmt, welche (neuen) Ideenlebensfähig sind.

Sie beschreiben nun Input, Output und Verhalten diesesModells: Input sind die Informationsflüsse über dieSystemgrenzen. "O"- und "P"- Informationsflüsse verursachenVeränderungen auf allen Ebenen des Systems, "T"-Informationsflüsse (Wissen über Produkte, Materialien,Theorien, etc.) können ebenfalls Einfluß ausüben. Output istbei ihnen die "richness and variety of ideas." Das Modellverhaltenwird nun in Abhängigkeit von der Stärke der Informationsflüssedifferenziert: Bei geringem bis mittlerem Informationsflußgeschieht die Aufnahme und interne Anpassung bei

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gleichbleibender interner Struktur; es ist nur ein geringerAnstieg der "Ideeninnovationsrate" zu verzeichnen. Der Prozeßist evolutionär, die Autoren sprechen in dieser Phase von einem"geschlossenen" System. Bei hohem Informationsfluß wird dieStruktur instabil, es tritt Verunsicherung ein. Die Folge istEmergenzverhalten, das sich in plötzlichem Strukturwandel mani-festieren kann. Damit verbunden ist ein sprunghafter Anstiegder Innovationsrate bzw. auch ein Kollaps der Innovationsrate,ein Rückfall in den statischen Zustand. Anschließend erfolgt injedem Fall wieder eine Stabilisierung der Struktur und esbeginnt eine neue Phase mit geringem Informationsfluß. HOLT /RADCLIFFE bezeichnen dieses Verhalten als revolutionär undsprechen von einem "offenen" System mitSelbstorganisationsphänomenen.

Das einfache Modell erscheint angesichts der Vagheit desGegenstandsbereichs in einigen Aspekten ein wenig vorschnellformuliert und mit zu großem Anspruch auf konkrete Anwend-barkeit belastet. Es wäre interessant, zu klären, ob es eintheoretisch-formales Modell ist, das nun mit der Praxis zukonfrontieren ist oder ob es sich um Empirie handelt (etwa dieAnalyse eines Falles), die in systemtheoretischerBegrifflichkeit präsentiert wurde. Der Ansatz ist eher Metapherals Modell, aber er enthält wertvolle Ansätze zur Erweiterungdes Blicks. Das Bemerkenswerte ist die Differenzierung des sy-stemtheoretischen Ansatzes in kybernetische und selbstor-ganisierende Systeme mit der klaren Feststellung, daß alleindie technischen Aspekte ("systematic problem solving") mit denkybernetischen Methoden anzugehen sind. Im engeren Bereich derEntwurfstheorie ist dies außerdem der erste mir bekannteHinweis auf "die Chilenen".

Auffallend sind aber dennoch die sehr positivistisch-rationalistischen Prämissen: Das Verständnis von Design als"entdecken" (Ontologie), die Betonung der Bedeutung desEngineering Design für den Prozeß des wirtschaftlichenWachstums, die Annahme von Wohlstand und Lebensqualität alszwangsläufiger Folge technisch-wissenschaftlicher Innovation,etc. Insgesamt ist man überzeugt von der praktisch unbegrenztenqualitativen Steigerungsmöglichkeit der Design-Ideen und damitder Lebensqualität durch Dinge. Abschließend einige kritischeAnmerkungen zum System-Konzept:

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- Die Bezeichnung "Informationsfluß" ist zumindest im Falle "O"(organizational) und "P" (personal) ungünstig. Hier sollte maneher - in "chilenischer" Terminologie - von Perturbationensprechen; Information wird daraus erst systemintern erzeugt.- Die Benutzung des Begriffs "offenes System" ist nicht ganzkonsistent. Einmal meint es fluktuierende Nichtgleichgewichts-im Gegensatz zu kybernetischen Gleichgewichtssystemen, einanderes Mal strukturveränderliche im Gegensatz zustrukturbewahrenden Systemen. - Die beschriebene "Emergenz" führt zu keinem grundlegend neuenSystem, sondern es bleibt ein in seiner Organisation undStruktur gleichartig beschreibbares (Individuum / Gruppe /Institution). Da es wieder Ausgangspunkt für einen analogenProzeß ist, sollte man die Zyklizität (evtl.Attraktorverhalten) betonen. Emergenz in der Folge zunehmenderAutonomie selbstreferentieller Systeme führt dagegen zu quali-tativ neuen Strukturen, die nicht mehr in der Begrifflichkeitdes Ausgangssystems beschreibbar sind (z.B. Bewußtsein ausNervenaktivitäten, Firmen - Neugründungen durch ehemaligeMitarbeiter eines bestehenden Unternehmens, oder ähnliches).Der dargestellte Prozeß hat mehr Ähnlichkeit mit dem bei LUH-MANN (1990, Kap. 8) beschriebenen Mechanismus der Evolutionwissenschaftlichen Wissens (Variation - Selektion -Stabilisierung - Variation - ...). Dort wird jedoch keinqualitatives Wachstum des Wissens angenommen, sondernquantitatives Wachstum der internen Komplexität, derPerturbierbarkeit und des Tempos des internen Strukturwandels.

Auch Entwurfshandeln auf den verschiedenen sozialen unddisziplinären Ebenen wird zunehmend in systemtheoretischerBegrifflichkeit beschrieben. Koordinationsanstrengungen sind er-forderlich, aber bisher nicht zu beobachten.Dies offensiv zu tun, im Sinne des Aufbaus und der Festigungeines disziplinären Selbstbildes, scheint geeignet, die Autonomisierungals ernstzunehmende Disziplin mit zu entwickelndem Wissen-schaftshintergrund voranzutreiben.

Ropohls "Systemtheorie der Technik"

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Sehr ausgearbeitet, aber Industrial Design nur ganz am Randethematisierend, ist ROPOHLs "Systemtheorie der Technik" (1979),auf die hier ausführlicher eingegangen werden soll. Alsfaktische soziokulturelle Wirklichkeit konstatiert er die "Sym-biose von Mensch und Technik". In der Technikforschung fehleallerdings bisher "der umfassende Orientierungsrahmen, dersowohl der Multidimensionalität wie der zugrundeliegenden in-neren Einheitlichkeit der Technik gerecht würde." Seinen neuenVersuch bezeichnet er als generalistisch, interdisziplinär, dieSpaltung zwischen den "2 Kulturen" (C.P. SNOW 1967) überwindendsowie gleichermaßen geistes- und sozialwissenschaftlichen wietechnisch-naturwissenschaftlichen Denkweisen verpflichtet. Inseinem "Beschreibungsmodell der Technik" sieht er primär den"Versuch, ein heuristisches Suchschema für die Menge allermöglichen erklärenden Hypothesen zu konstruieren". VorrangigerZweck sei es, die richtigen Probleme zu identifizieren." (->Problem-Design). Ein im Zusammenhang dieser Arbeit wichtigesZiel ist die Erarbeitung von Grundlagen für Simulationsmodelle,die Hilfe bei individueller und kollektiverHandlungsorientierung bieten sollen.

Als Dimensionen der Technik nennt ROPOHL die naturale, die humaneund die soziale. Die lange dominierende Sicht der Technik alsangewandte Naturwissenschaft betone einseitig die naturaleDimension der Technik. Die Multidimensionalität dagegen führtzu einer Vielzahl potentieller Erkenntnisperspektiven, dieeinen interdisziplinären Ansatz erfordert. Das theoretischeIntegrationspotential eines derartigen Ansatzes liefert, soROPOHL, die Allgemeine Systemtheorie. Als exakte Modelltheoriesei sie geeignet als formales und terminologisches Gerüst einerallgemeinen Techniktheorie.

Zielsetzungssystem

Informationssystem

Ausführungssystem

MaterieEnergieInformation

Abb. 3.5: "Abstraktes Handlungssystem" nach ROPOHL (1979).

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Ausgehend vom allgemeinen Systemmodell entwickelt er einabstraktes Handlungssystem, bestehend aus Zielsetzungs-,Informations- und Ausführungssystem (Abb. 3.5). Handeln wirdbeschrieben als Funktion eines Handlungssystems, die daraufgerichtet ist, eine Ausgangssituation entsprechend einem Zielin eine Endsituation zu verwandeln. Das abstrakte Handlungssy-stem läßt sich realempirisch interpretieren als menschlichesHandlungssystem oder als artifizielles Sachsystem. Die letzterenenthalten, so ROPOHL, keine eigenen Zielsetzungskomponenten,Ziele sind hier generell fremdbestimmt. Bei den menschlichenHandlungssystemen nimmt der Autor eine Unterteilung inpersonale Mikrosysteme (menschliche Individuen), sozialeMesosysteme (z.B. Unternehmen) und soziale Makrosysteme(Gesamtgesellschaft) vor, vgl. Tabelle 3.2. Technik alsmenschlichen Umgang mit Artefakten (Sachsystemen) imZusammenhang der Verwendung und der Herstellung beschreibt erals soziotechnisches System, wieder auf Mikro-, Meso- bzw.Makroebene. Systemhandeln ist gekennzeichnet und wird gesteuertdurch Ziele, die das System "hat" bzw. die man ihm alsBeobachter zuschreibt. Die Entwicklung der Technik wird, soROPOHL, ganz maßgeblich durch die Zielsetzungen auf der Ebeneder soziotechnischen Mesosysteme (der Unternehmen) bestimmt.

Personales Mikrosystem (Mensch)

Soziales Mesosystem(z.B. Unternehmen)

Soziales Makrosystem(z.B. Gesellschaft)

Zielsetzungssystem

Motivationale Teilfunktionen

Direktion, Geschäftsleitung

Regierung, Parlament, Parteien, etc.

Informationssystem

sensorisch - kognitive Teilfunktionen

Mittleres Management

Wissenschaft, Kunst, Medien, etc.

Ausführungssystem motorisch - operationale Teilfunktionen

Produktion Wirtschaft, staatliche Exekutive, etc.

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Tabelle 3.2: "Menschliche Handlungssysteme" nach ROPOHL (1979).

Die Arbeit liefert einen weit ausgearbeiteten begrifflichenIntegrationsrahmen formaler Art zur Beschreibung sozialenmenschlichen Handelns mit Artefakten (Technik). Als besondersfruchtbar erscheint seine durchgängige Sicht der zyklischenVerknüpfung von Entstehung (Produktion) und Verwendung (Konsum)der technischen Systeme. Die Akzeptanz des Ansatzes im Hinblickauf seine Verwendung im Rahmen einer Designtheorie wird auf denersten Blick erschwert und behindert durch seine sehr techno-morphe Begrifflichkeit. Ein großer Teil der Terminologie stammtoffenbar aus einer früheren Arbeit über flexibleFertigungssysteme (ROPOHL 1971). Dieser Einwand bezieht sichjedoch primär auf die Form der Präsentation, weniger auf denGehalt seines Modells. Vor allem bedeutet der Einwand nicht,daß das Interpretationspotential seines strukturellen Rahmensdadurch in irgendeiner Weise eingeschränkt wäre.

Schwerer wiegt jedoch eine andere Einseitigkeit: Im Zentrumseiner Analyse und seiner realempirischen Interpretation desallgemeinen Systemmodells steht das Konzept des zweckrationalenHandelns (1979: 225f). ROPOHL betont die Wichtigkeit,Handlungserklärungen angeben zu können. Dies erfordere, dieZiele der Sachsystemverwendung jederzeit explizit undverbindlich angeben zu können. Die sogenannten Primärzielebestehen grundsätzlich darin, die Systemumgebung in bestimmterWeise zu verändern, also Bedürfnisse zu befriedigen, Güter zuproduzieren, Grundwerte zu etablieren, etc., die Sekundärzielebestimmen das ob und vor allem das wie der Sachsystemverwendungzur Erreichung der Primärziele. Als hervorstechendstes und be-deutsamstes Sekundärziel bezeichnet ROPOHL das sogenannteRationalprinzip. Ein rational handelndes Individuum versuchtdementsprechend, seine gegebenen Mittel so zu verwenden, daßein Maximum an Zweckerfolg erreicht wird. Er räumt zwar ein,daß es durchaus zu "Prioritätsverkehrungen" zwischen Primär-und Sekundärzielen kommen könne, individuell etwa durch dieDominanz des Spielprinzips, auf der Mesoebene durch dieDominanz des Sekundärziels "wirtschaftlicher Erfolg".Bedarfsdeckung sei heute oft nur noch ein Nebenaspektwirtschaftlicher Betätigung eines Unternehmens, derartigePrioritätsverkehrungen seien jedoch nicht den Sachsystemen

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selbst anzulasten, sondern ihrer Verwendung durch menschlicheIndividuen bzw. Gruppen. In der Beschreibung deszweckrationalen Idealsystems mit prizipieller Freiheit derZieldefinition wird immer wieder sein aufklärerisches Anliegendeutlich, die pauschale Rede von den technischen "Sachzwängen"und den Gefahren der angeblichen "Eigengesetzlichkeit" derTechnikentwicklung und die generelle Verurteilung "der Technik"als Feindin der Kultur argumentierend zu widerlegen.

Nicht einleuchtend und unbefriedigend ist der Satz: "Auchwenn wir also von vornherein einzuräumen haben, daß die Annahmedes Rationalprinzips eine idealisierende Abstraktion darstellt,glauben wir dennoch, daß es unentbehrlich ist, um dieSachsystemverwendung ihrer Grundtendenz nach erklären zukönnen." Nachdem er es oben als Sekundärziel eingeführt hatte,welches die Wahl der Mittel zur Erreichung des Primärzielsbestimmt, erhält das Rationalprinzip hier einen positiven Wertan sich, unabhängig vom zugehörigen Primärziel. Die qualita-tiven Wertaspekte der Zwecke verschwinden hinter derquantitativen Rationalität der Mittel. Dies erscheint wie eineidealisierende Überhöhung des (unbefriedigenden) status quo.Das Nicht-Zweckrationale wird so zum unerwünschten Nebeneffekterklärt, fast zur Störgröße im System. Verstanden im Sinneeines rein ökonomischen Effizienzdenkens scheint dieseSichtweise sowohl auf der individuellen als auch auf dergesamtgesellschaftlichen Ebene allzu eingeschränkt, allenfallsauf der Ebene der Wirtschaftsunternehmen ist sienachvollziehbar. ROPOHL scheint es aber auch auf derindividuellen Ebene so zu meinen, denn sonst brauchte er nichtauf die konkurrierenden, das Rationalprinzip gefährdendenSekundärziele Lustprinzip oder Spielprinzip hinzuweisen.

Unbefriedigend sind auch ROPOHLs Bemerkungen zum Problem derAggregation, d.h. zur Frage, auf welche Art und Weise sich ausrangniederen Handlungssystemen höherrangige Handlungssystemeund deren Funktionen bilden. Er sieht einerseits, daß diesnicht reduktionistisch geschehen kann, will aber andererseitsdie Einführung grundsätzlich neuer sozialer Phänomenbereiche,die weder aus Dingen noch aus Menschen bestehen (so wie es diesoziologische Systemtheorie mit den Kommunikationssystementut), vermeiden. Er "löst" das Problem mit der Aussage (1979:161, 162), "... daß technische Artefakte überhaupt die einzigen

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außerpersonalen Entitäten sind, auf denen dasAggregationsproblem beruht. ... Gesellschaft - nicht alsfaktische Menge von Menschen, sondern im theoretischen Sinnedes Aggregationsproblems - gibt es also nur in den Köpfen derIndividuen und in den Artefakten - nirgendwo sonst!" Dem ist zuwidersprechen: Gesellschaft ist die kommunikative autopoietischeDynamik des Flusses von Materie, Energie und Information. Ohnedaß sein formales Modell dies erfordern würde, beseitigt erhier jegliche Selbstorganisationsdynamik und damit dieMöglichkeit der Modellierung von evolutionärem Strukturwandel.

Die im Design-Zusammenhang zu beschreibende Dynamik ist eineschwer zu beschreibende Mischung aus zweckrationalem Handeln(Arbeit, der engere Kontext der Erzeugung) und kommunikativem,selbstorganisierendem Handeln mit Dingen (der umfassende Kontextder Verwendung). Der kommunikative Aspekt darf auf keinen Fallauf Informationstransport reduziert werden. Eine Trennung indie "eigentlichen" Ziele und die Sekundärziele ist hier offen-sichtlich ganz unbrauchbar und verschleiert die Dynamik desVorgangs. Was ist beim Erwerb eines Autos zum Preis von 80.000DM das Primärziel, was das Sekundärziel? Man sollte aus diesemGrunde eine Erweiterung des Rationalitätsbegriffs in Richtungauf "irrationale" Größen ins Auge fassen. Auch Lust, Glück,Selbstwertgefühl, Angst, Frustration, etc. sind bis zu einemgewissen Maße als Einflußgrößen quantifizierbar. Innerhalbeines sorgfältig spezifizierten und abgegrenzten sozialenSystems sind diese Größen auch durchaus im Rahmen rationalerArgumentationen handhabbar. In der Wechselwirkung zwischendiesen beiden Kategorien von Größen (exakt meßbare einerseitsbzw. sozial quantifizierbare andererseits) entstehenvermeintlich irrationale Effekte. Offenbar um dies zu vermeidenhat man den Begriff der Rationalität bisher allzusehreingeschränkt. In Gestalt von Selbstorganisationsdynamiken,chaotischen Phänomenen, Musterbildungen, etc. wird Irra-tionalität in der Wissenschaft jedoch allmählich wieder "salon-fähig", wenn auch nicht unbedingt im Sinne einer steuerbarenGröße.Dieser sicherlich subjektive, weil im Blick auf das angestrebteZiel notwendig perspektivische Überblick über System-Ansätzeinnerhalb und außerhalb des Designs zeigt die Schwierigkeitenmit einem derart komplexen und zudem kaum klar unterscheidbaren

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Gegenstand: das Fehlen eines Begriffsrahmens. Dies bedingt diepermanente Gefahr der Vermischung der strukturell-theoretischenund der methodisch-praktischen Aspekte und der internen undexternen Einflußgrößen in der Reflexion.

Es scheint, als seien wir über den programmatischen Ansatzvon Janet DALEY (1982) noch nicht weit hinausgekommen. Sieleitet her, daß menschliche Welterfahrung und Sinnproduktionzum großen Teil auf intellektuell und verbal unzugänglichen,teilweise angeborenen ("innate") Schemata und Strukturenberuhen und fordert für eine zu entwerfende Designtheorie: "...man´s social nature ... must be integrated into any theoreticalmodel for a designer´s activities ... because I believe thatthese levels of experience lie at the very basis of theactivity itself." Und weiter: "But this is the true province ofdesign, which is not a meta-language nor a set of deductions,but a systematization of our experience of the physical world. The ways inwhich we symbolize and represent that kind of systematizationmay be the most important clues to how we make sense of theworld."

ROPOHLs "Systemtheorie der Technik" bietet einen begrifflichenRahmen zur Beschreibung menschlichen Umgangs mit Dingen. SeineInterpretation betont jedoch einseitig die zweckrationalen Aspektedes Phänomens. Die Anarchie der sozialen Kommunikation, ver-mittelt u.a. über Designobjekte, ist mit der Auslegung alsRegelkreismodell nicht zu fassen. Die Formalismen erlauben jedoch auch die Interpretation imSinne von Selbstorganisationsdynamik. Einige Aspekt werden deshalbübernommen: Dynamik der Flüsse (Materie, Energie, Information),Attribute als Systemelemente, Ebenengliederung, etc.

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316 3 Soziotechnische Systeme__________________________________________________________________________________________

Fazit 3.2: Die systemtheoretisch-konstruktivistisch orientierteSoziologie stellt Hilfsmittel zur Beschreibung und Analysesozialer Handlungs- und Kommunikationssysteme bereit. Bisher"irrationale" Aspekte werden der Modellierung und Simulationzugänglich. Der Rationalitätsbegriff wird so anwendbar für allekonsensfähigen (kommunikativ nachvollziehbaren) Größen,Aussagen, Werte, nicht nur für meßbare Größen bzw. "objektive"Information wie bisher.---> Die Ausdehnung auf das System Entwerfen erscheint möglich.Wie könnte ein flexibles Schema für das System Entwerfenaussehen? Es geht um den Entwurf eines Begriffsrahmens und umseine exemplarische inhaltliche Interpretation.

4 Systemtheorie und Design 317___________________________________________________________________________

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4 SYSTEMTHEORIE UND DESIGN

"der designer ist eine art moralist. ... die tätigkeit des designers besteht darin, ordnung in einem konfliktfeld heterogener faktoren zu schaffen, zu werten."

otl aicher

318 Design - System - Theorie__________________________________________________________________________________________

4Modellhafte

OrdnungenQuelle:Sim Earth

Nun also - mit erweitertem Instrumentarium - zurück zum ThemaSystemtheorie und Design: Der (von mir) gesetzte Zweck, überDesigntheorie zu reflektieren und die (von mir) gesetztenmethodischen Präferenzen sind die wesentliche Begründung dafür,Design als System zu behandeln. Diese Annahme erlaubt es, dieselbstorganisierende rekursive Dynamik des Handlungs- undErkenntnisprozesses in sozialen Systemen zu modellieren. Die(von mir) gewählte erkenntnistheoretische Basis desKonstruktivismus impliziert, daß nicht der Anspruch besteht, mitdem Modell eine objektive Realität abzubilden. Vielmehr geht esum das Modell einer Theorie. Ebenso geschieht die Abgrenzung vonpostmoderner "Dekonstruktion". Es geht also nicht um die gene-relle Aufgabe von erkenntnistheoretischen Fixpunkten, sondernum das Ersetzen von statischen, externen durch temporäre,wandelbare, systeminterne Fixpunkte / Attraktoren (DUPUY / VA-RELA 1991).

Als traditioneller Gegenstand entwerferischer Aktivitätenwerden technische Sachsysteme angesehen. Sie sind nur sinnvollzu behandeln als Komponenten soziotechnischer Systeme. Erst dieEinbindung in soziale Handlungssysteme überführt dieSachsysteme von der Potentialität zur Wirklichkeit. Im Hinblickauf Entwerfen / Design erscheint es zweckmäßig, dieBegrifflichkeit zu präzisieren und von Systemen kommunikativenHandelns mit Dingen zu sprechen. Der konstruktivistischinterpretierte Kommunikationsbegriff liefert dabei die Basisfür die Beschreibung der Selbstorganisationsaspekte. Diese sinderforderlich zur Ergänzung der Zweckrationalität des Handelns,die etwa bei ROPOHL (1979) im Vordergrund steht, aber nichtausreicht, Design umfassend zu beschreiben.

Technische Systeme (Sachsysteme) Soziotechnische Systeme

4 Systemtheorie und Design 319___________________________________________________________________________

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Systemhaftigkeit ergibt sich aus demGemachtsein, aus der materiellenKonstruktion.

Der funktionale Zweck ist eindeutigbestimmbar aus der Kausalität derRelationen zwischen den Elementen.

Das Verhalten ist deterministisch,außer im Fall von "Störungen" /"Unfällen".

Reine Sachsysteme sind lediglichIdee, Potentialität, Möglichkeit.

Reine Sachsysteme sind Sinn-los.

Systemhaftigkeit ist gesetzt, istgedanklich kontingent konstruiert.

Der Zweck ist gesetzt und hängt abvom Standpunkt der Beobachtung.

Determinismus / Indeterminismus wirdin der Beobachtungsrelationkonstruiert.

Soziotechnische Systeme sind sozialeWirklichkeit.

Hier wird Sinn konstituiert.

Tabelle 4.1: Technische Systeme (Sachsysteme) - SoziotechnischeSysteme. Die Begriffe "soziotechnisch" und "soziokulturell"werden hier synonym verwendet; dies ergibt sich aus der Sichtvon Technik als Kultur und nicht als Gegensatz von Kultur.

In der industriellen Praxis hat sich die kybernetischeSystemtheorie in ihrer als Systemtechnik instrumentalisiertenForm als Zielfindungs-, Planungs- und Management-Hilfsmittelfür komplexe technologische und ökonomische Projekte allgemeindurchgesetzt. Genau dafür war sie entwickelt worden und dortleistet sie, reflektiert eingesetzt, ihren wertvollen Beitrag.Dies gilt auch für Design-Projekte (MASER 1992). Die seit dersogenannten Funktionalismuskritik populäre Ansicht, daß dieAnwendung der klassischen Systemtechnik auf Systeme, derenDynamik wesentlich durch menschliche Interaktion bestimmt ist,generell nicht angemessen sei, ist zu differenzieren bezüglichder Beobachtungsebene, welche auch die Zweckbeziehung des Beobach-ters zum System bestimmt. Die Arten der Zweckbeziehung wurdenin Kap. 2.2 beschrieben. Dort wird unterschieden zwischen:agierend (1. Ebene), normativ, handlungsleitend (2. Ebene) unddeskriptiv, beschreibend (3. Ebene). Die agierende Ebene ist hiernicht von Bedeutung.

Wenn die Beschäftigung mit dem System zielorientiert ist (diePlanung eines Projekts oder einer Betriebsorganisation), dann

320 Design - System - Theorie__________________________________________________________________________________________

kann es sehr wohl sinnvoll sein, auch im Zugriff auf sozialeSysteme die mechanistischen Verfahren der kybernetischenSystemtheorie anzuwenden, d.h. das soziotechnische System alsSachsystem, als Maschine, zu behandeln. Der Zweck ist eindeutigformulierbar, die Schritte dahin operationalisierbar. DerMensch ist als homo oeconomicus im Sinne von Adam SMITH hierangemessen beschrieben, sein Tun ist zweckrational. Das we-sentliche Kriterium der Brauchbarkeit dieser Betrachtungsweiseist das Maß an Macht über die Systemelemente, d.h. die Menschenin bezug auf dieses System. Im Falle eines Wirtschaftsun-ternehmens ist diese Macht zweifellos gegeben und es gehört zuden mehr oder weniger demokratisch legitimierten Spielregeln,daß dies (von den "Systemelementen") auch so akzeptiert wird.Auf der anderen Seite ist es unzweifelhaft, daß derartigeEingriffe das System deformieren. Solange dies keine überwiegendnegativen Auswirkungen auf die Effizienz im Hinblick auf dasgesetzte Systemziel hat, ist es irrelevant. Im Falle reinerSachsysteme ist der Begriff der Deformation ohnehin nichtangemessen. Es ist anzumerken, daß diese Überlegung im Falleder Konstruktionsmethodik (vgl. VDI 2221 und die Diskussionendazu) nicht zu funktionieren scheint. Offensichtlich agiert dieSteuerungsabsicht hier mit ungeeigneten Mitteln zu weit in denkognitiven Bereich des Individuums bzw. den sozialen desKonstruktionsteams hinein. Daß es nicht funktioniert, stört -solange der gewünschte Output dennoch geliefert wird - imwesentlichen die kybernetisch orientierten Konstruktionstheore-tiker.

Im Fall der deskriptiven Beziehung ist die kybernetischeBeschreibung von Entwurfshandeln als Regelsystem außerhalb desengen Rahmens klar abgesteckter Problemlösungen tatsächlichnicht mehr angemessen. Es entsteht die Situation, daß dasErfassen und Respektieren der autonomenSelbstorganisationsdynamik offenbar jede Art der unmittelbarenKontrolle ausschließt. Es geht nun darum, die in Entwicklungbefindliche Theorie evolutionärer Nichtgleichgewichtssystemeauf soziale Prozesse des Entwerfens anzuwenden.

Kap. 4.1 entwirft eine deskriptive Theorie, die geeignet ist zurModellierung von Theoriendynamik auf der normativen Ebene. Siebleibt bis zu einem gewissen Grad formal, denn sie erlaubt

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unterschiedliche inhaltliche Ausprägungen. Kap. 4.2 ergänzt denTheorierahmen zu einer möglichen, heute offensichtlichpassenden, normativen Theorie des Entwerfens. Diese weist bereitsElemente einer Methodik auf.

Das von AICHER (1987) oben so benannte "Konfliktfeldheterogener Faktoren", von dem die Disziplin selbst einkonstitutiver Bestandteil ist, soll thematisiert und mit derSystemtheorie ein Werkzeug zu seiner Handhabung untersuchtwerden. Der Anspruch, es darüber hinaus nicht nur modellhaft,sondern auch in der Wirklichkeit endgültig ordnen zu können,scheint eins der nur schwer zu beseitigenden kybernetischenMißverständnisse zu sein.

322 4 Systemtheorie und Design__________________________________________________________________________________________

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System

Neben dem symbolisch generalisierten Code wahr / unwahr, der imMedium Wahrheit operiert (LUHMANN 1990), benötigt WissenschaftRegeln theoretischer und methodischer Art, die bestimmen, welche Er-kenntnisse welchem der beiden Wahrheitswerte richtig zugeordnetwerden. Theorien unterscheiden noch nicht wahr / unwahr, dazusind Methoden erforderlich. Methoden sind mehr oder wenigerflexible Programme oder Strategien für operative Schritte mitdem Ziel der Bezeichnung von Kommunikation als wahr bzw.unwahr. Theorien und Methoden, dies sollte plausibel gewordensein, können weitgehend beliebig angesetzt werden, erforderlichist nur, daß in jeder Situation eine konsistente Verknüpfungzwischen beiden hergestellt wird. Theorien können ausgewechseltwerden, je nachdem was ihre methodische Überprüfung ergibt;Methoden werden ausgewählt, korrigiert und weiterentwickelt, jenachdem, was zur Überprüfung von Theorien benötigt wird.

Methoden haben den Charakter von Werkzeugen zur Handhabungder Gegenstände. Sie dienen dem Erkennen (in der Theorie) unddem Machen (in der Praxis). Gerade im systemtheoretischenVorgehen sind Theorien und Methoden nicht exakt trennbar.Systemtheoretische Formalismen, die einerseits Theoriebausteinesind, dienen im nächsten Schritt methodisch zur empirischenVerifizierung der Theorie; Werkzeuge und Gegenständevertauschen ihre Rollen, beeinflussen einander wechselseitig.Man "dreht" so lange an den Parametern des Methodikelements,bis es empirisch plausibel (passend) und damit zum Theorie-element wird. LENK (1978) bezeichnet dieswissenschaftstheoretisch als "teuflischen Regelkreis", betontjedoch gleichzeitig, daß gerade darin ein Grund für dieFruchtbarkeit und Vielfalt der Anwendungsmöglichkeiten zu sehensei.

Wenn ein komplexes System wie Entwerfen zum Gegenstand der(Selbst-) Beobachtung wird, dann kann dies nicht mit desseneigenen Begriffen geschehen, wenn ein Erkenntnisgewinn heraus-springen soll. Weder das Entwerfen, noch irgendeine Einzelwis-senschaft bieten eine angemessene Basis. Entwurfstheorie mußdeshalb idealerweise auf dem Abstraktionsniveau einer

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System 323___________________________________________________________________________

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Wissenschaftstheorie operieren, um die Befangenheit in derBegrifflichkeit eines Fachgebietes zu vermeiden. Ansonstenbleibt sie Methodik, einseitige theoretische Beschreibung (vonaußen), oder theorielose Reflexion (von innen). Interdis-ziplinäre Ansätze beziehen sich auf zeitlich begrenzte Projekteund sind meist nicht fähig, die spezifischen Sichtbehinderungenzu thematisieren oder gar zu überwinden. Ausgangspunkt ist ausdiesen Gründen auf der Beobachtungsebene 3. Ordnung einetransdisziplinäre Theorie- und Methodenbasis. Beispiele derartigerAnsätze sind etwa die Kybernetik, die Systemtheorie und auchdas sich entwickelnde Projekt "Selbstorganisation", welche hierihrerseits als Theorie- und Methodenbausteine verwendet werden.Der zu entwickelnde Theorierahmen muß also zugleich abstrakterund umfassender angelegt sein als die Konkurrenztheorien. SeinePlausibilität hängt wesentlich davon ab, wieweit es gelingt,für diese konkurrierenden Ansätze einen angemessenen Platzdarin zu finden.

1) Systemtheorie als struktureller und prozessualer Rahmen: Bis hierher istplausibel geworden, daß Systemtheorie in ihren vielfältigen undsich weiter differenzierenden Ausprägungen als Musterbeispieleines sich entwickelnden transdisziplinären Projekts angesehenwerden kann. Es geht im Weiteren um die Präzisierung derBegrifflichkeit in bezug auf Entwerfen (Komponenten, Arten vonBeziehungen, Emergenzphänomene, etc.).2) Operative Erkenntnistheorie (Radikaler Konstruktivismus) als "Denkstil": DieFrage nach dem Gegenstand der Erkenntnis ist beim Entwerfenproblematisch. Die wesentlichen Gegenstände traditionellerdeskriptiver Entwurfstheorien sind entweder trivial(Einzelobjekte: Gegenstand von Ingenieurwissenschaft,Ergonomie, Kulturtheorie, Produktsemantik, etc.) oder nicht er-faßbar (gedankliche Prozesse: brauchbare deskriptive Ansätzesind nicht in Sicht). Es geht hier deshalb um das Wie desErkennens in sozialen Kontexten, um die Bedingungen desKonstruierens von Wirklichkeiten in der Disziplin Entwerfen.

3) Hinzu kommen die hier nicht näher erläutertenKognitionswissenschaften als "Partner"-Wissenschaften: Gegenstände derCognitive Sciences sind Wissen, Information, Kommunikation. DieTeilbereiche dieses nach Ansatz und Anspruch transdisziplinären

324 4 Systemtheorie und Design__________________________________________________________________________________________

Mischgebildes aus Neurowissenschaften, Kognitiver Psychologie,Erkenntnistheorie, Linguistik, Künstlicher Intelligenz,Anthropologie, etc. decken große Teile des zurWeiterentwicklung der Theorie erforderlichen Theorie- undMethodenspektrums ab. Die Kognitionswissenschaften sind ge-eignet zur begrifflichen Vermittlung und liefern so einenBeitrag zur Vermeidung des Zerfallens in nicht kom-munikationsfähige Einzeldisziplinen. Die KI-Forschung hat heuteeinen großen Einfluß auf das Bild, welches die Kognitionswis-senschaften von sich präsentieren. Das hier zugrundeliegendeVerständnis weicht davon ab und ist eher angelehnt an VARELA(1990). Er kritisiert die bisher vorherrschende Sichtweise,insbesondere das symbolische (kognitivistische) und sub-symbolische (konnektionistische) Paradigma der KI-Forschung.Den dadurch implizierten Begriff der prinzipiell trägerunabhän-gigen Repräsentation und Verarbeitung außerhalb des kognitivenSystems liegender unabhängiger Merkmale der Umwelt hält er fürunangemessen. Im Gegensatz zu WINOGRAD / FLORES (1989), die ausdiesem Grunde die Cognitive Sciences als Basis generell fürungeeignet halten, plädiert er stattdessen für einehandlungsorientierte Definition: Intelligenz ist nicht mehr ab-strakte Problemlösefähigkeit, sondern die Fähigkeit, in einemit anderen geteilte Welt einzutreten. An die Stelle derZweckorientierung tritt der evolutionäre Prozeß. Elementar istauch die Einbeziehung der Zeitlichkeit des Lebensprozesses alsSpezies (Evolution), als Individuum (Ontogenese) und alsgesellschaftliches Muster (Kultur). Ungeachtet dieserKontroversen ist die Disziplin Cognitive Sciences ein Beispielfür den Prozeß der Entwicklung einer Wissenschaft bzw. einesForschungsprogramms und die dabei auftauchenden Probleme mitden etablierten Strukturen. Vielleicht ist sie gerade aus die-sem Grunde eine passende Partnerdisziplin für Entwurfstheorie.Ihre Bevorzugung bedeutet nicht, daß die traditionellenDisziplinen ausgeschlossen sein sollen, sondern daß eshilfreich wäre, in den Fällen, wo transdisziplinäre Relationeninvolviert sind, auf einer konsistenten, system(at)ischen Be-griffsbasis zu arbeiten. Dies ist innerhalb der Disziplin derCognitive Sciences eher gegeben als etwa zwischentraditioneller Philosophie und traditioneller Soziologie.

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System 325___________________________________________________________________________

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Entwerfen als Problemlösung?

Wie paßt das sich abzeichnende dynamische Bild zur verbreitetenStandardauffassung von Entwerfen als Problemlösung? Diese meintdas lineare Schema Problem -> Lösung (Abb. 4.1), verbunden mitder Tendenz, den fraglichen Problemen eine Art objektiverExistenz zuzugestehen. Bezogen auf den individuellen kognitivenProzess oder ein klar abgegrenztes Projekt erscheint sie nochangemessen, im gesellschaftlichen Kontext - und darum geht eshier primär - jedoch eher irreführend. Idealerweise, etwa inder Mathematik, bringt eine Lösung ein Problem zum Verschwindenund die Einheit von Problem und Lösung wird als anerkannter Be-stand in den Fundus gesicherten Wissens aufgenommen. Ein Blickauf die Marktdynamik mit ihren immer neuen Lösungen für alteProbleme, mit ihrem Erfinden von Problemen für neue möglicheLösungen, läßt Zweifel an diesem Verständnis aufkommen.Hinweise, auch von Designern, auf die Konkurrenzsituation, aufdie technologische Innovation, auf Verbraucherwünsche etc. sindUmschreibungen dieses Sachverhalts im Kontext der immanentenBegrifflichkeit und tragen zum Verständnis und zu Überlegungenzu seiner Modifikation kaum bei.

Produktion

DESIGNProblem Lösung

Abb. 4.1: Problem - Lösung 1: Das lineare Schema von Mittel -Zweck / Ursache - Wirkung.

Die aus "Ulm" stammende und neuerdings wieder vernehmbare, aberkaum tiefer bedachte Rede vom Designer als "general problemsolver" (ROERICHT 1987) ist inspiriert von den meist stark aufÖffentlichkeitswirksamkeit bedachten Äußerungen der KI-Gemeinde, hier insbesondere Herbert A. SIMON (1981, 1990) mitseinen "Sciences of the Artificial". VARELA (1990) stellt indiesem Zusammenhang fest, daß die vom KI-Denken beeinflußtenKognitionswissenschaften, deren wesentliche Aufgabe die Er-

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forschung menschlichen Problemlösungsverhaltens ist und derensehnlicher Wunsch dessen Übertragung auf nichtmenschlicheSysteme ist, noch überwiegend mit der Vorstellung einerunabhängigen Außenwelt, die abzubilden ist, arbeiten. Wissenerscheint hier naiv realistisch als Spiegel der Welt.Stattdessen wurde festgestellt, daß die philosophische Kritik,der Zweifel an einer unabhängig vom erkennenden Subjekt zugäng-lichen Welt, inzwischen auch neurophysiologisch bestätigt wird.WINOGRAD / FLORES (1989: 134) beziehen sich konkret auf dieGestaltung von Artefakten, Werkzeugen, Organisationsstrukturen,Computersystemen, etc. Sie betonen, daß in der heutigen Ent-wurfs-, Planungs- und Problemlösungs-Praxis das Wesenmenschlicher Erkenntnis und Sprache falsch gedeutet werde. DerComputereinsatz zur Problembearbeitung geschehe praktischausschließlich auf der Basis dieses Mißverständnisses.Computerformalismen ihrerseits sind wiederum willkommenesModell für Aufgaben in anderen Bereichen bis hin zur Erklärungmenschlicher Kognition. Operatives Modell der optimalentechnischen Problemlösung ist das schon beschriebeneAlltagsverständnis der biologischen Evolution (RECHENBERG1973). Wir stehen hier vor einer innigen Verquickung menschli-cher, natürlicher und künstlicher Prozesse, wobei kaum noch zurekonstruieren ist, was am Anfang stand, was als Er-klärungsmodell für das andere fungierte. Die sichtbehinderndeund gleichzeitig stabilisierende Potenz dieses Zirkels läßtsich ausgezeichnet bei VAN DEN BOOM studieren. Voraussetzungenfür die erfolgreiche Anwendbarkeit der Verfahren sind einProblem (objektiv -> Sein), ein Lösungskriterium (optimal ->Wahrheit) sowie ein formaler Lösungsalgorithmus (effizient ->Rationalität). Diese Herangehensweise liegt ganz in derrationalistischen Tradition und ist auch für das Entwerfen, mitAusnahme des dort meist fehlenden geschlossenenLösungsalgorithmus, charakteristisch. Die Schwächen und Unzu-länglichkeiten dieser Theoriebasis im Umgang mit nicht reinformalen Systemen sind ausführlich beschrieben worden. Eine der Folgen ist der Kampf um die Definition des Problems. Esgibt wichtige und unwichtige Probleme, Scheinprobleme,Grundprobleme, Menschheitsprobleme, etc. (vgl. auch RUPPERT1990). Wessen Problem ist das schönste und das wahrste? Abersind wir denn frei in der Definition der Probleme? Sind es

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System 327___________________________________________________________________________

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überhaupt autonome Einzelbewußtseine, die dies tun? Es gibt soviele davon (von den Bewußtseinen), wie LUHMANN bemerkt hat.Und dann sind da "die Industrie", "der Markt", "der Verbrau-cher", etc. Ist die Frage nach der Definitionsmacht zu beant-worten? Es sieht nach einer Sackgasse aus. Ist es nicht eherso, daß die gesellschaftlich vorhandenen oder individuell ge-wünschten Lösungen das determinieren, was anschließend alsProblem gesellschaftlich oder individuell lebensfähig ist? Eine"Problematisierung" und Neubestimmung des Problem-Begriffsscheint erforderlich. Ziel ist die Beschreibung in einerBegrifflichkeit, welche die Linearität des Schemas von Problem-> Lösung überwindet und hinführt zu einer Sicht alszirkulärer, weitgehend selbstorganisierender Einheit vonProblem / Lösung. Die traditionelle Begrifflichkeit ist einbrauchbares Schema zum Beschreiben der Struktur eines fixiertenEntwurfsvorhabens im kognitiven Kontext eines Einzelnen, einerGruppe oder (schon mit erheblichen Einschränkungen) einesUnternehmens. Sie erklärt jedoch nicht die gesellschaftlicheDynamik, die manchmal von außen so wirkende "Anarchie" desProzesses der Erzeugung von Problemen und Lösungen.Problemlösungsverhalten muß anders modelliert werden. Deshalbwird hier ein system- und handlungsbezogener Ansatz verfolgt:Eigenschaften der Welt und Probleme werden handelnd erzeugt.Verstehen ist die zirkuläre Tätigkeit von Handeln und Erkennen.Wissen ist untrennbar damit verbunden, daß wir in einer Weltleben, die verbunden ist mit unserem Körper, unserer Spracheund unserer gesellschaftlichen Geschichte (WINOGRAD / FLORES1989). Wissen läßt sich nicht als Menge von Annahmen und Regelndarstellen.

Die Operative Erkenntnistheorie und die hermeneutisch-handlungstheoretisch orientierten Erklärungsmuster liefernwichtige Beiträge zur Klärung des Problembegriffs. Sie sindalle unmittelbar einleuchtend, wirken aber dennoch eigenartigweltfremd. Dies liegt zum großen Teil an der erstaunlichenTatsache, daß niemand von diesen neuen Denkern ein deutlichesWort über die Ökonomie, konkret über die marxistische Werttheoriemit ihrer Begrifflichkeit von Wertform, Tauschabstraktion,Warenfetischismus, etc. verliert. Dort steht die bisher klarsteund einleuchtendste Beschreibung der Dynamik des Produktions-

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Konsumptions-Prozesses; und dies seit mehr als 100 Jahren. DieTheorie soll deshalb hier kurz erläutert werden. Grundlage sinddie "Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie" (MARX1974):

Alle Dinge haben Warenform angenommen. Die Ware wird zuruniversellen Elementarform, deren gemeinsames Kennzeichen inihrer Käuflichkeit besteht. Wird die Warenform der Ar-beitsprodukte als natürliche Form der gesellschaftlichenProduktion genommen, dann muß das Spezifische der darausentwickelten Wert-, Geld-, Kapitalform usw. übersehen werden.Denn die Ware ist ursprünglich ein Ding, das wegen seinerNützlichkeit Gebrauchswert hat. Den Wert einer Ware erhält mandurch die Abstraktion von ihrem Gebrauchswert, denn Gebrauchs-werte unterschiedlicher Waren sind zunächst nicht vergleichbar.Es verbleibt der Ware nach dieser Abstraktion die Eigenschaft,Arbeitsprodukt zu sein. Ihre sinnliche Beschaffenheit istausgelöscht, was übrigbleibt sind Werte - Warenwerte. Die Warehat einen Wert, weil menschliche Arbeit in ihrvergegenständlicht ist. Die Substanz des Werts ist die Arbeit,sein Maß die im Durchschnitt gesellschaftlich notwendigeArbeitszeit zur Herstellung. Durch diese Abstraktion von derkonkreten sinnlichen Arbeit entsteht der Begriff der abstrakt-gleichen Arbeit. Unterschiedliche Waren vergleichbar zu machen,ihren Tausch zu regeln, erfordert ein Drittes, die Wertform derWare. Die einfache Wertform bezeichnet lediglich den Tausch einerWare gegen eine andere. Dies ist unzulänglich für komplexereTransaktionen; es entwickelte sich die Geldform.

Gebrauchswert und Tauschwert sind gedanklich getrennt zuhalten, kommen aber in der Warenwelt nicht als getrennte vor.So entsteht der Doppelcharakter der Arbeitsprodukte, Ge-brauchsding und Wertding in einem zu sein. Als Wertdinge könnensie nur fungieren, wenn von der konkreten Nützlichkeit und be-stimmten sinnlichen Beschaffenheit abstrahiert wird. Durchdiese Verwechslung werden die Arbeitsprodukte sinnlich-übersinnlich zugleich: ein gesellschaftlicher Zusammenhang, derWarenwert (Tauschwert), erscheint in dinglicher Gestalt und so,als ob er den Waren aufgrund natürlicher Eigenschaften zukomme.Dies bezeichnet das Wertgesetz. MARX (1867: 771): "Denn dasWesen der modernen Gesellschaft - das Wertgesetz - bestehtgerade darin, als Negation seiner selbst zu erscheinen, so daß

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der Erscheinung der Schein von Selbständigkeit zukommt.Innerhalb des Wertverhältnisses ... gilt das abstrakt All-gemeine nicht als Eigenschaft des Konkreten, Sinnlich-Wirklichen, sondern umgekehrt das Sinnlich-Konkrete als bloßeErscheinungs- oder bestimmte Verwirklichungsform des Abstrakt-Allgemeinen ... . Diese Verkehrung, wodurch das Sinnlich-Konkrete nur als Erscheinungsform des Abstrakt-Allgemeinen,nicht das Abstrakt-Allgemeine umgekehrt als Eigenschaft desKonkreten gilt, charakterisiert den Wertausdruck." Man beachte:Das Objekt erscheint als Materialisierung in einemkommunikativen Prozeß.

ADORNO (1970 Bd. 5: 272) führt hier konsequenterweise denSystembegriff ein: "Soweit die Welt ein System bildet, wird siedazu eben durch die geschlossene Universalität von gesell-schaftlicher Arbeit." Der Primat der Produktion äußert sichalso auf paradoxe Weise, nämlich als Abstraktion der Produktionvon sich selbst. Konstitutiv für den gesellschaftlichen Zusam-menhang ist nicht die lebendige Arbeit, auch nicht das konkreteBedürfnis, sondern der Tausch, in dem die konkretenEinzelarbeiten auf ihren gemeinsamen Nenner reduziert werden,auf die abstrakte Arbeit als Substanz des Wertes. Der Tauschbegriffsteht so für eine Gesamtverfassung, in der der konkret-materielle Inhalt des gesellschaftlichen Lebens, derStoffwechselprozeß mit der Natur auf der einen Seite, und dersoziale Zusammenhang auf der anderen Seite auseinandergetretensind und sich zum Gegensatz verselbständigt haben. Ihre Einheitgewinnt die derart fragmentierte Gesellschaft nur mehr auf demUmweg über den Austausch. Da aber nur Gleiches, Vergleichbares,Äquivalentes getauscht werden kann, wechseln in der Zirkulationnicht Gebrauchswerte den Besitzer, sondern Tauschwerte. Hierzunoch einmal ADORNO (1970 Bd. 8: 209): "Der Tauschwert,gegenüber dem Gebrauchswert ein bloß Gedachtes, herrscht überdas menschliche Bedürfnis und an seiner Stelle; der Schein überdie Wirklichkeit."

In der sogenannten einfachen Warenzirkulation fungiert dasGeld lediglich als Vermittler zwischen Waren: Ware -> Geld ->Ware. Die besondere Dynamik des beschleunigten Prozesses erklärtsich aber erst aus dem Gebrauch von Geld als Kapital und derdamit verbundenen Erzeugung von Mehrwert. Hier wird die Warezur Vermittlerin: Geld -> Ware -> Geld+dGeld (dGeld =

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Mehrwert). Was ist der Ursprung des Mehrwerts? Geld geht erstdann in Kapital über, wenn es eine Ware regulär kaufen kann,deren Gebrauchswert darin besteht, mehr Wert zu schaffen alssie selber besitzt. Eine solche Ware, deren Verbrauch Wertschöpft, indem Arbeit vergegenständlicht wird, ist dasmenschliche Arbeitsvermögen, die Arbeitskraft. Die nicht be-zahlte Arbeit, die den Mehrwert schafft, geistert unter demBegriff des Profits herum, den das Kapital auf geheimnisvolleWeise anscheinend aus sich selber schöpft. Vgl. MARX (MEW 23:169f): "Wenn in der einfachen Zirkulation der Wert der Warenihrem Gebrauchswert gegenüber höchstens die selbständige Formdes Geldes erhält, so stellt er sich hier plötzlich dar alseine prozessierende, sich selbst bewegende Substanz, für welcheWare und Geld beide bloße Formen. Aber noch mehr. StattWarenverhältnisse darzustellen, tritt er jetzt sozusagen in einPrivatverhältnis zu sich selbst. Er unterscheidet sich alsursprünglicher Wert von sich selbst als Mehrwert, als GottVater von sich selbst als Gott Sohn ... " Die so beschriebeneBewegung ist endlos, macht sich selbst zum Ziel, Anfang undEnde fallen zusammen.

Diese Dynamik begründet den Fetischismus der Warenwelt. AlsFetisch bezeichnet MARX (1842, zitiert bei SIGUSCH 1984: 51-82)"ein Ding, um das ein Kultus gemacht wird, weil es mitbesonderer Macht begabt ist". Die gesellschaftlichenBeziehungen der Produzenten stellen sich als Beziehungen ihrereigenen Produkte her, die sie nicht kontrollieren können, dieGewalt über sie haben. Die Warenform verschleiert die Substanzdes Warenwerts. Was den Wert der Ware ausmacht, die in siehineingesteckte menschliche Arbeitskraft, ist im alltäglichenBewußtsein getilgt. Die gesellschaftlichen Verhältnisse derMenschen nehmen deshalb "die phantasmagorische Form einesVerhältnisses von Dingen" an. Dies nennt MARX den"Fetischismus, der den Arbeitsprodukten anklebt, sobald sie alsWaren produziert werden, und der daher von der Warenproduktionnicht zu trennen ist." Der Kategorie des Warenfetischismusentspricht, so SIGUSCH, die des verschleierten, verkehrten,verdinglichten Bewußtseins. Eine einheitliche Wirtschaftsstrukturfür die ganze Gesellschaft und eine daraus folgende ange-glichene Bewußtseinsstruktur hat es vor dem Kapitalismus nichtgegeben. So entsteht ein gesellschaftlicher Zusammenhang, durch

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System 331___________________________________________________________________________

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den sein eigener wesentlicher Kern verschleiert wird und ver-kehrt erscheint.

Die "objektiven Gedankenformen" (das Alltagsdenken) drückensoziale Gegebenheiten aus, sind praktisch richtig und vonlebenserhaltendem Nutzen. Mit ihnen täuschen sich die Menschennicht über die Realität, sondern die Realität täuscht sie. DieGrundlagen der objektiven Gedankenformen existieren außerhalbdes Bewußtseins, in den kommunikativen Strukturen der Gesellschaft.Sie sind in marxistischer Sicht notwendig falsch, irrational,aber nicht irreal, weil das, was real ist, falsch undirrational ist. Wie ist es möglich, diesen Schleier zudurchdringen? Das Bewußtsein spiegelt das Sein, jedoch nichteinfach passiv, sondern es ist ein aktives Moment der Totalitätdes Seins. Beide Pole der Theorie, Bewußtsein und Sein, müssenalso zusammengedacht werden, weil sonst das Denken der Menschennur Widerspiegelung wäre und nicht Antrieb und Entwurf. Die be-kannten Antinomien des bürgerlichen Denkens: Sein - Bewußtsein,Basis - Überbau, Gesellschaft - Individuum, etc. ignorieren, soSIGUSCH, die Essenz der MARXschen Warenanalyse, die dieseGrößen in ihrer Vermittlung, d.h. ihrer untrennbaren ge-genseitigen Bedingtheit, sieht. Vgl. hierzu ADORNO (in einemBrief an Walter BENJAMIN 1966: 672): "Der Fetischcharakter derWare ist keine Tatsache des Bewußtseins, sondern dialektisch indem eminenten Sinne, daß er Bewußtsein produziert." Die Machtder Machwerke über die Machenden, der Warenfetischismus, istalso beides: bloßer Schein und als notwendiger gleichzeitigRealität. Denn der Schein verschleiert nicht nur das Wesen, esgeht aus diesem selber hervor. Warenfetischismus undVerdinglichung des Bewußtseins ergeben zusammen die "basaleVerblendung" als Wesen der Gesellschaft. DieseGedankenkonstruktion zeigt starke Parallelen zur LUHMANNschenBegrifflichkeit vom "blinden Fleck" der Unterscheidungen,welche bedingt ist durch die Strukturen sozialer Kommunikati-onsprozesse. Sie ermöglicht die Vermeidung der unglücklichenRede vom "wahren" und "falschen" Bewußtsein, wie es sich etwabei HAUG (1971) noch findet.

BREUER (1984: 127-130) stellt überraschende Parallelen festzwischen der konservativen Technikkritik von Friedrich GeorgJÜNGER (1968), einem Bruder von Ernst JÜNGER, und dermarxistischen Sicht. Er kritisiert zwar JÜNGERs Thesen zum

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"Wesen der Technik", aber stimmt seiner Sicht von derSelbstbezüglichkeit der Produktion zu: "Was die Technik ansich, unabhängig von der sie tragenden gesellschaftlichenKonfiguration ist, wissen wir nicht. Ein der Technik als sol-cher innewohnender Wille zur Macht und Ausbeutung, wie Jüngerihn unterstellt, bleibt reine Spekulation. Weitaus besserabgestützt ist dagegen die Einsicht von Marx, daß dieSelbstbezüglichkeit der Produktion, ihr Gleichgültigwerdengegenüber allen Umweltbezügen, für die kapitalistischeProduktionsweise typisch ist. Die von Jünger so eindrucksvollbeschriebene radikale Mobilmachung, der rücksichtslosverzehrende Umgang mit den subjektiven und objektiven Be-dingungen der Produktion, hat sehr wenig mit den Eigenschaftendes Homo faber, sehr viel dagegen mit den Gesetzmäßigkeiteneiner Produktionsweise zu tun, die ihrer Bestimmung nach ´aufdas Maßlose gerichtet sein muß´. Als allgemeine Form desReichtums, als Wert, der als Wert gilt, ist das Geld / Kapital´der beständige Trieb über seine quantitative Schranke fortzu-gehn: endloser Prozeß. Seine eigne Lebendigkeit bestehtausschließlich darin: es erhält sich nur als vom Gebrauchswertunterschiedner, für sich geltender Tauschwert, indem es sichbeständig vervielfältigt.´ (Marx, Grundrisse der Kritik derpolitischen Ökonomie, Berlin (DDR) 1974 S. 181f.) In dieserVervielfältigung läßt es den Gebrauchswert nicht bloß alsgleichgültige Voraussetzung liegen, sondern greift ihn auf,zieht ihn in seine schrankenlose Selbstverwertung hinein,solange und soweit es die Naturgrundlagen zulassen.

Über immanente Stoppregeln, eingebaute Warnmechanismen, dieeinen rechtzeitigen Abbruch der maßlosen Selbstverwertungermöglichen, verfügt das System nicht. Daß es nicht allumfas-send, sondern, bei aller Tendenz zur Totalität, begrenzt,System in einer Umwelt ist, erfährt es nur, wenn es bereits zuspät ist: im Crash, in der Krise, im Zusammenbruch. JüngersDiktum, die Technik als Ganzes befolge kein ökonomisches Gesetz(246), muß deshalb spezifiziert werden. Es trifft zu, wenn manÖkonomie im aristotelischen Sinne vom Gebrauchswert herdefiniert. Faßt man sie indes vom Tauschwert her, so gilt esnicht. Die Technik ist Moment der auf unbegrenzteSelbstvermehrung zielenden Bewegung des Tauschwerts und erhältvon dieser ihr Gesetz ... "

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System 333___________________________________________________________________________

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Was bringen nun diese Erörterungen für unsere Fragestellung?Zunächst: Der Begriff der Problemlösung ist nur in dereinfachen Warenproduktion der geeignete, dort wo es um Ge-brauchswerte geht. Im Tauschwertzusammenhang ist dies anders:Die oben beschriebene Gesamtdynamik und die darin verfügbarenMittel bestimmen die Art der möglichen Lösungen / Zwecke und damitdie Art der zulässigen Probleme. Probleme dieser Art habenwenig mit latenten Bedürfnissen zu tun, sondern sie entstehenim operationalisierten Mittel-Zweck-Handeln. Die Fragwürdigkeitder Lösungen ergibt sich so als Folge der Fragwürdigkeit derProbleme. Und weiter: Statt von der optimierenden Problemlösungsollte man von einem "Herumstochern" in einem Möglichkeitsraumausgehen. Mögliche Lösungen sind lebensfähig in ihrer aktuellenUmgebung, sie sagen aber nichts aus über eine davon unabhängigeRealität bzw. ihre Annäherung an diese Realität. Ein nichtweiter erläuterungsbedürftiges Beispiel für diese These ist das"Arzneimittel-Design". Allenfalls in einem formalen System mitendlicher Anzahl von Einflußgrößen und quantitativ bestimmbaremZielkriterium ist der Begriff der optimalen Lösung un-problematisch.

Unsere Probleme sind ohnehin meist sprachlich-symbolischerArt (der Rückgang einer Umsatzsumme, die Reduzierung einerVersagenswahrscheinlichkeit, etc.) und damit weitgehenddisponibel. Die eigentlichen Probleme (Handlungs-Störungen,"Zusammenbrüche" im Sinne von HEIDEGGER) werden nicht abge-wartet. Die reale Welt offenbart sich am weitestgehenden dort,wo unsere Konstruktionen scheitern. "Zusammenbrüche" nehmen inunserer Hochtechnologie-Zivilisation den Charakter von Kata-strophen an. Der Umgang mit ihnen ist notwendig unproduktiv,denn wir können sie (die zu Katastrophen ausgeartetenZusammenbrüche) wegen ihrer Gefährdungsdimension nicht kreativzur Problemdefinition nutzen. Diese im Ursprung philosophischeErkenntnis wird heute zunehmend in der Fehlerforschung dis-kutiert. Es ist die Rede vom Unfall als aussagekräftigstem Falleines Systems (WEHNER 1991). Leider ist aber Aussagekraft vomAusmaß "Tschernobyl" nur in sehr geringen Dosierungen zuverkraften.

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Die Rede über Design, Designtheorie und die Praxis des Design(vom Bauhaus über "Ulm" und die Methodiken der 50er-70er Jahrebis hin zu den sehr pragmatisch klingenden Ansätzen, in denenes um das Erkennen und Befriedigen von Bedürfnissen und dasSchaffen von Glück geht) sind befangen in dem beschriebenen na-turwissenschaftlich begründeten Problem-Lösungs-Denken:Isolation in Einzeltatbestände, Bearbeitung im Kausalschema,Optimierung, etc. Der wissenschaftliche Marxismus, ansonstendiesem Denken gleichermaßen verhaftet, bietet im Hinblick aufeine Erweiterung des Problembegriffs eine bedenkenswertePerspektive.

Entwerfen als Problemlösung ist im System der industriellenWarenproduktion ein unangemessener Begriff, der allenfallsisolierte, aus der zeitlichen Dynamik herausgenommene Aktionen(z.B. den kognitiven Prozeß des Einzelentwurfs) bezeichnet. Eserscheint angemessener, Problemfindung / Problemlösung als zyklischenProzeß zu beschreiben. Das eigentliche Problem ist die Schaf-fung von Anschlußmöglichkeiten zur Fortsetzung des Zyklus (LUHMANNs"Zweckprogramm der Bestandserhaltung").

Der Zyklus der Produktkommunikation

Deshalb nun die Weiterentwicklung des Problem-Lösungs-Schemaszum zyklischen Modell des kommunikativen Handelns mit Dingen: Kom-munikation wird, neben Organismus und Bewußtsein, als einweiteres separates autopoietisches System angenommen. Es ist vonBewußtseinen zwar abhängig, jedoch von diesen nicht steuerbar,sondern lediglich perturbierbar. Der Verlauf von Kommunikationgeschieht entsprechend der ihr immanenten Struktur. Derwesentliche Schritt besteht nun darin, daß auch Objekte,speziell Design-Objekte als temporär auftauchende Elemente indiesem Prozeß betrachtet werden. Die Festlegung von Problemenund Bewertung zugehöriger Problemlösungen sindHandlungsschritte innerhalb dieses Kommunikationssystems. Kom-munikation ist hier nicht im Sinne der Informationstheorie alsgerichtete Übertragung von etwas (hier einer Botschaft zwischen

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Produzent und Konsument) durch etwas (Medium: hier das Produkt)zu verstehen. Die Werbung und naive Ausprägungen der Pro-duktsemantik verwenden den Begriff so. Medium und Botschaftsind im Design nicht trennbar ("the medium is the message").Man könnte auch sagen: der Begriff des Mediums ist falsch ange-setzt. Er müßte genereller, als Entwicklungs-, Produktions- undDistributionstechnologie der Gesellschaft, definiert werden, umvon seinem Inhalt (Bedeutung, Botschaft), also hier dem kon-kreten Produkt, unterscheidbar zu sein.

Der Entwurfszyklus (Problemdefinition / Problemlösung /Problemdefinition / u.s.w.) bildet also einen Strang imgesellschaftlichen Kommunikations- und Reproduktionsprozeß.Produkte und Produktlinien enstehen darin als materialisierteZeichen. LUHMANN (1990:259f) charakterisiert "Technik alsexternalisierte Kommunikation", VON FOERSTER (1985d) bezeichnet"Objekte als Zeichen für Eigenverhalten". Damit wird dieBeschreibung auch im Sinne eines sprachlichen Phänomensmöglich: Die Objekte sind Elemente einer rudimentären Art vonSprache. Sprache bezeichnet ja in erster Linie nichtGegenstände der Welt bzw. fixe Bedeutungsinhalte, sondern sorgtwesentlich für die Dynamik und Lebensfähigkeit von sozialerKommunikation. Erst in der Folge entsteht Bedeutung / Sinn.Wichtigstes Ziel von Sprachgebrauch / Objektgebrauch ist dieSicherung von Anschlußfähigkeit in diesem Prozeß, die Auf-rechterhaltung der Autopoiese der gesellschaftlichen Kommunikation.Die existierenden Lösungen sind die wichtigsten Anknüp-fungspunkte. Die Problemdefinition erfolgt so, daß das Resultatwiederum optimale Anschlußfähigkeit für die folgendeProblemdefinition liefert. Eine wirkliche Lösung, wie bei einemmathematischen Problem, würde den Prozeß beenden. Abbruch derKommunikation und erhebliche negative Auswirkungen auf anderestrukturell gekoppelte gesellschaftliche Systeme (hier in er-ster Linie die Wirtschaft) wären die Folge.

Die Betonung des Produktions-Konsumptions-Zyklus und auchder Prozeß-Dynamik des Entwerfens ist weit verbreitet, vgl.etwa KRIPPENDORFF (1989b) oder HYBS / GERO (1992). Wiedererstaunlich ist allerdings, daß auch hier so gut wie kein Bezugauf entsprechende marxistische Ansätze genommen wird. AlleinROPOHL (1979) bezieht sich auf MARX, allerdings in seinemeinfachen zweckrationalen Schema von Problemen und Lösungen,

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das oben als unzulänglich erkannt wurde. Er hält die Illusionhoch, als gehe es in Entwurf und Produktion tatsächlich noch umGebrauchswerte und als lasse sich die Rationalität derTechnikentwicklung im Sinne der Verbesserung von Zuständen überdie vernünftige Rede von Bedürfnissen und Problemlösungen(wieder) herstellen. Die offensichtlich im Wesen derkapitalistischen Produktionsweise liegenden Charakteristika desProzesses sieht er als systemintern zu behebende Auswüchse an.ROPOHLs Zirkulationsschema (1979: 183-187) illustriert diegesellschaftliche Trennung von Produktion und Konsumption. Diesbedeute die Trennung von Bedürfnis und Arbeit bzw. Be-dürfnisgenese und -befriedigung einerseits und Hervorbringungder Bedürfnisbefriedigungsmittel andererseits. Dennoch besteheein prinzipieller Zusammenhang, den er folgendermaßen her-stellt: Konsumption (=Reproduktion von Arbeitskraft undProduktion von Eigenbedarfsgütern) setzt den Zweck derProduktion und vollendet die Produktion durch die Nutzung.Produktion (= Konsumption von Material, Arbeitskraft undProduktionsmitteln) liefert den Gegenstand der Konsumption,prägt die Art und Weise der Konsumption und weckt neueBedürfnisse für die Konsumption. Produktion und Konsumptionsind, so ROPOHL, im Grunde perspektivische und korrelativeBegriffe, die nur in einer bestimmten sozioökonomischenBetrachtungsweise und nur unter Bezug auf ein bestimmtesProdukt eindeutig voneinander zu unterscheidende Bereichemarkieren. Andererseits schaffe gerade das Produkt die engeVerknüpfung. Diese idealisierende, im besten Sinne rationaleZweck-Mittel-Sicht beschreibt zwar einen zyklischen Prozeß,wird der anarchischen Dynamik der kapitalistischenWarenproduktion aber in keiner Weise gerecht. Sie dient, wie esscheint, der Aufrechterhaltung der Annahme der Steuerbarkeitsozioökonomischer Systeme.

Auf dem Hintergrund der marxistischen Gedankengänge ist aucheine erstaunliche Neubewertung der LUHMANNschen Sicht möglich.Dies geschieht bei BREUER in einer pointiertenGegenüberstellung mit ADORNO: LUHMANNs Vorschlag, dieGesellschaft getrennt von allen empirisch-materiellen bzw.anthropologisch-ontologischen (Gesellschaft als Aggregat vonnatürlichen Bedürfnissen und Befriedigungsmöglichkeiten, aufdas die Teilsysteme sich beziehen) Elementen zu definieren,

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System 337___________________________________________________________________________

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könne man, so BREUER (1992: 73, 74) "wohl kaum als die koperni-kanische Revolution begreifen, als die er ihn präsentiert. Weitdavon entfernt, die dialektische Theorie durch einen radikalenParadigmenwechsel zu überholen, wiederholt er lediglich (ohneallerdings die Begründung mitzuvollziehen) deren Einsicht, daßder gesellschaftliche Lebensprozeß unter bürgerlichenProduktionsbedingungen in doppelter Gestalt erscheint: als ge-genständlich-materielle, aber private Produktion einerseits,als gesellschaftlicher, aber immaterieller Zusammenhangandererseits. Konkret und privat im Sinne vonungesellschaftlich, das sind nach Luhmann die Individuen, dieals autonome, ´autopoietische´ Systeme ´außerhalb aller so-zialen Systeme´ operieren und dabei, obwohl wesentlichBewußtsein, doch einen engen Bezug zum organisch-materiellenLeben haben. Die Gesellschaft hingegen ist Kommunikation undnichts als Kommunikation." Mit LUHMANNs Worten (1981: 309):"Ganz grob kann man das System der Gesellschaftcharakterisieren als Gesamtheit der füreinander zugänglichen,kommunikativ erreichbaren Erlebnisse und Handlungen.Kommunikation verwebt die Gesellschaft zur Einheit." Ersetztman bei LUHMANN Kommunikation durch Zirkulation, so hat man nachBREUER exakt die MARXsche These, nach der die bürgerlicheGesellschaft ihre Einheit und ihre Identität allein mittels derAusdifferenzierung einer eigenständigen Sphäre der abstraktenAllgemeinheit neben und außer der empirisch-materiellen Dimen-sion der Produktion und des Konsums herzustellen vermag.

Der bei LUHMANN zentrale Begriff der Selbstreferenz verweiseauf eine weitere Parallele von Systemtheorie und Dialektik, aufdie vor allem HABERMAS (1985: 429) aufmerksam gemacht habe.BREUER (1992: 79) fährt fort: "Tatsächlich ist Selbstreferenzder Schlüsselbegriff in Marx´ Theorie des kapitalistischenSystems. Kapital ist mehrwertheckender, sich selbst ver-wertender Wert, der beständig zwischen unterschiedlichenDaseinsformen - Ware und Geld, Produktion und Zirkulation - hinund her wechselt, ohne sich in diesem Wandel zu verlieren. ...Die Tendenz seiner rastlosen Selbstbewegung geht auf Schaffungeines autonomen, allein auf sich selbst gegründeten Systemsreiner Vergesellschaftung, das alle vorgefundenen, vorsystemi-schen Elemente in Resultate seines Daseins verwandelt und im

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Prozeß seiner Reproduktion seine eigenen Bedingungen neuerzeugt.

Genau diese Bewegung zeichnet Luhmanns Theorie derAutopoiesis nach. Zwar existiert auch für ihn, nicht anders alsfür den historischen Materialismus, die Gesellschaft nicht imVoraussetzungslosen. Sie entwickelt sich auf nichtsozialen,insbesondere physischen, organischen, psychischen Grundlagen,die gleichsam die nichtkommunikativen Bedingungen der Kommuni-kation bilden und darüber hinaus als Bedingung der Möglichkeitfür die Identität des Systems fungieren: Identität setztDifferenz voraus, Systembildung impliziert Abgrenzung. Insofernist die Gesellschaft immer System in einer Umwelt, mehr noch:sie ist, soweit sie sich darauf einstellt, ein offenes System,das über seine Umwelt kommuniziert. Andererseits sind es jedochnicht die in dieser Umwelt gegebenen Elemente, aus denen sichdas System als System konstituiert. In partiellerÜbereinstimmung mit der dialektischen Theorie, die seit Hegeldas System als Entfaltung eines ´Absoluten´,´Sichselbstgleichbleibenden´ versteht, definiert Luhmann dasSystem als selbstreferentielle autopoietische Ordnung, als einNetzwerk, das alles, was es als Einheit verwendet, selbst alsEinheit herstellt, wobei es sich der im System bereitskonstituierten Einheiten bedient. Auf den Begriff derGesellschaft bezogen heißt dies, daß wir es nicht mit einerAgglomeration konkreter Personen oder einer Summe individuellerHandlungen zu tun haben, sondern mit einem Beziehungsgefüge vonKommunikationen, das sich durch Kommunikation von dernichtkommunikativen Umwelt abgrenzt und durch Kommunikationreproduziert. Außerhalb der Gesellschaft gibt es keineKommunikation - insofern ist die Gesellschaft, wiewohlgegenüber der Umwelt offen, auch ´ein vollständig undausnahmslos geschlossenes System´, eine ´rekursive Totalität´(Soziale Systeme 1984: 556f)."

Was für die Gesellschaft gilt, trifft auch auf ihre Teil-systeme zu. Diese können sich zwar nicht durch Kommunikationschließen, weil sie in einer ebenfalls durch Kommunikationbestimmten innergesellschaftlichen Umwelt operieren. Dennocherreichen sie eine selbstreferentielle Geschlossenheit u.a.dadurch, daß sie einen eigenen Typus von Elementen verwenden,die nur im jeweiligen Teilsystem vorkommen und nur dort ihre

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Einheit gewinnen: symbolisch generalisierte Medien, die diesystemspezifischen Operationen durch ihnen entsprechende Codessteuern - Geld in der Wirtschaft, Macht in der Politik,Wahrheit in der Wissenschaft, Liebe in der intimenKommunikation etc.

Das System in dieser Betrachtungsweise ist kein System vonMenschen, die sich ihrer konstitutiven Bedeutung nicht bewußtsind; es ist vielmehr ein prinzipiell "unmenschliches" Gefüge,das seiner eigenen selbstreferentiellen Gesetzlichkeit gehorchtund jede Suche nach den "unter den Produktionsverhältnissenvergrabenen Beziehungen zwischen Menschen" (ADORNO 1970 Bd. 8:370) zu einer vergeblichen Veranstaltung macht.

BREUER (1992: 96) weist hin auf wechselseitig möglicheLernprozesse zwischen Kritischer Theorie und Systemtheorie.Durch die Systemtheorie werde insbesondere jener Argumentati-onsstrang in der Kritischen Theorie bestätigt, der dieEigengesetzlichkeit und Eigendynamik des Gesellschaftssystemsakzentuiert. Beide Ansätze stellen den Begriff derZweckrationalität in Frage (1992: 145): "Marx zufolge ist dieExistenz von empirischen, zweckrational handelnden Individuennur die eine, unwesentliche Seite dieser Gesellschaft. Dieandere, wesentliche Seite ist der Markt, die Zirkulation, inder sich allererst zeigt, was gesellschaftlich akzeptabel undgültig ist. Gesellschaftliche Geltung aber wird nur erreicht umden Preis der Abstraktion. Um sich auf dem Markt zu bewähren,müssen die Waren wie ihre Besitzer von ihren konkret-empirischen Eigenschaften absehen und sich als Träger vonTauschwert zeigen, der bekanntlich nichts anderes ist alsabstrakte Arbeit, Arbeit in rein gesellschaftlicher Form."

Die hier skizzierte Argumentationslinie, die Verbindung dersoziologischen Theorie mit der marxistischen Theorie derWarenzirkulation, kann als plausible Begründung für die späterzu entwickelnde Zielvorstellung der Entmaterialisierung genommenwerden. Die Materialisierung ist vielfach nicht mehr als einzunehmend schädlicher Nebensapekt des Phänomens. Eine weiterenun sehr deutliche Folge des Ansatzes: Die aktuelleDesigntheorie-Variante "Produktsemantik" fällt in ihrem Gehaltsowohl hinter den wissenschaftlichen Marxismus, als auch hinterdie soziologische Systemtheorie zurück. Für den hier

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unternommenen Versuch der Einordnung von Entwerfen soll diemarxistische Begrifflichkeit, die vermutlich noch eine ganzeWeile Gegenstand der Diffamierung sein wird, entschärft werden:Es wird also weitestgehend neutral von Produkt-Kommunikation,nicht von "Verblendungszusammenhang, "Warenfetischismus", etc.die Rede sein. Auch die Rede vom "falschen", "verdinglichten"Bewußtsein ist irreführend, denn wir haben kein anderesBewußtsein als das, was wir haben und mit dem wir immerhinschon in der Lage waren, die Kategorie des verdinglichtenBewußtseins zu erfassen. Es mag sein, daß die Rationalität derkapitalistischen Welt auf ihrer Irrationalität beruht, aberSIGUSCH (1984: 83) betont zu Recht: "Gerade die Verrücktheitdes Objektiven ist die objektive Einfallspforte für dasErkennen." Dennoch: Auch der Erkenntnisfortschritt ist sozialein Geschöpf der Verhältnisse. Es bleibt fraglich, ob er trotzsorgfältigen begrifflichen Fassens der Wirklichkeit diese soweit überwinden kann, daß er von Verdinglichung nicht mehrgezeichnet ist.

Die Abb. 4.2 ersetzt das lineare Schema Problem -> Lösung derAbb. 4.1:- Das zentrale Element der Theorie ist der Produktions-Konsumptions-Zyklus (vgl. das "production-consumption-network" undden "context of genesis" bei KRIPPENDORFF 1989b). Er besitztkeinen Anfang und kein Ende, insbesondere liegt der Anfangnicht beim Design.- Im gesellschaftlichen Kommunikations-System sind Probleme undLösungen nicht getrennt. Sie bedingen sich, wie Bedürfnisse undBedürfnisbefriedigungen, in dynamischer Interaktion.- Die Beschreibung von Problemlösen als Verbesserung vonZuständen ist unzutreffend. Problemlösen ist zunächst nichtmehr als der notwendige Beitrag zur Systemerhaltung.- Die Ökonomie benötigt rationale Handlungssysteme. Siebenötigt und schafft sich operable Zwecke zur Perpetuierung undVerstärkung der zyklischen Dynamik.- Design ist Teil dieses Zyklus. Es agiert heute passiv wegenmangelnder Systemhaftigkeit. Design agiert unmittelbarinnerhalb der Gesamtumwelt, es gibt keine eigene.- Entwerfen ist beschreibbar als eine Art Produktion vonSprache, deren Elemente (Zeichen) materielle Objekte sind.

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Gesellschaftliche Kommunikation operiert zunehmend mit dieserSprache. - Der Gebrauchswert verliert im Vergleich zumKommunikationswert an Bedeutung. Das Funktionieren wesentlichergesellschaftlicher Subsysteme ist entscheidend vomreibungslosen Ablauf dieser Kommunikation abhängig.- Soziale Kommunikation erzeugt Räume lebensfähiger Lösungenund Probleme. Es gibt keine einfachen Kausalbeziehungenzwischen bestehenden Lösungen und daraus entstehenden (emer-gierenden) Problemen. Der Problemraum ist das Potential für dieProblemdefinition.- Die Problemdefinition (Fixierung lösbarer Probleme) wirdnicht von Entwerfern sondern von Planungs- undMarketingexperten unter ökonomischen Erwägungen vorgenommen.- Die Problemdefinition ist eine Schlüsselstelle (die einzige,an der ein determinierender Eingriff passiert) und derHauptantrieb für den Zyklus. Andere beteiligte Disziplinen,neben dem Marketing, beeinflussen den Prozeß, aber siedeterminieren ihn nicht.- Der Problemraum als Reservoir potentieller neuer Lösungenkann nicht determiniert werden, da es sich um einenSelbstorganisationsprozeß handelt. Aber er kann mit materiellenund immateriellen Mitteln perturbiert werden.- Entwerfen hat beträchtlichen Einfluß auf den Lösungsraum,indem es dessen materielle Komponenten liefert. Es hat geringenEinfluß auf den Problemraum, i.w. nur dadurch, daß Entwerfer inAlltagskommunikation eingebunden sind.- Der Zyklus ist ein konvergenter Prozeß, der die Vielfaltmöglicher Lösungen einschränkt und alternative Lösungenbehindert.

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ÖkonomischePlanung

Konsumption

Produktion

DESIGNRessourcen

Abfall

Lösungsraum /Problemraum

immaterielle Flüsse materielle Flüsse

"Probleme" "Lösungen"

Abb. 4.2: Problem - Lösung 2: Die Einbettung des Designs in daszyklische Modell der Produkt-Kommunikation.SCHMIDT (1992c) schlägt vor, Massenmedien als eigenständigeSozialsysteme, die er dann Medienteilsysteme nennt, zubeschreiben. Dies legt nahe, die Sicht von Design als Sozialsy-stem zu ergänzen durch die Sicht von Design als Massenmedium.Dieser Gedanke taucht - mit leicht kulturpessimistischemUnterton - bereits bei SELLE (1973) auf. SCHMIDT beschreibt imFolgenden (1992c: 443, 444) die Funktion von Werbung im Kontextmedialer Massenkommunikation. Das Gesagte läßt sich praktischunverändert auf Design übertragen, insbesondere auch imHinblick auf das Problem der nicht ausreichend ausgebildetenAutonomie: "Ein Werbespot, der seine Rezipienten sprachlosmacht (die Kommunikation unterbricht), wäre kein Werbespotmehr, weil er aus dem verpflichtenden Raster von Zahlungsereig-nissen als Grundlage des Wirtschaftssystems ausscheren würde.Das Werbesystem operiert paräsitär in dem Sinne, daß eskreative Leistungen in anderen Systemen im Werbesystem aufwirtschaftsspezifische Ziele hin funktionalisiert. Unter demDruck rascher Erfolgserwartung agiert das Werbesystem unruhig,sozusagen endogen hektisch, und darum ist es gezwungen, sichmöglichst eng kulturellem Wandel zu synchronisieren. DasWerbesystem muß tagesaktuell sein. Die Systemzeit ist, andersals die des Wissenschafts- oder Kunstsystems, an die desWirtschaftssystems gekoppelt. Alle sozialen Systeme, die das

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Werbesystem für relevant hält, müssen auf verwertbare Themenund Formen sozusagen abgehorcht werden, wobei das Werbesystemnicht nur von der Beobachtung anderer Systeme profitiert,sondern auch von der Tatsache, daß die im Werbesystem Agie-renden immer auch in sozialen Rollen in anderen Systemenhandeln und den dortigen Stand der Kommunikation gleichsam als´Rohstoff´ in das Werbesystem einspeisen können."

Zum Zyklus der Produktkommunikation und den damit verbundenenSchwierigkeiten nun ein Beispiel aus dem Design: In derAutomobilindustrie werden keine Lösungen produziert, sondernArtefakte, die jeweils gerade die Wettbewerbsfähigkeit mit denMitanbietern sichern (in unserer Terminologie: den Kommuni-kationsprozeß stimulieren, statt ihn durch zu starke Irritationzu gefährden). Darüber hinausgehende Entwicklungsschritte (derBegriff "Fortschritte" soll vermieden werden) werden fürfolgende Problemdefinitions- / Problemlösungszyklen aufgespart.Automobile haben zu tun mit (a) funktionalen Zielen: schneller,bequemer, wirtschaftlicher, sicherer Transport von Menschen undGütern von A nach B und (b) kommunikativen (sinnbezogenen)Zielen: Ansehen, Selbstbewußtsein und Lustgewinn für denBesitzer. Die durchschnittliche Lösungsqualität bezüglich a)sinkt, speziell im Vergleich zu anderen Transportsystemen. DieSituation bei b) ist komplexer, aber man muß die Frage stellen,ob das steigende Kosten/Nutzen-Verhältnis auf die Dauer tragbarist. Der schwierigste Punkt scheint "Selbstbewußtsein /Selbstwertgefühl" zu sein. Dies muß massiv unterstützt werden,um zu einem "shift of solutions" zu gelangen, einerFlexibilisierung und Erweiterung des Potentials viablerLösungen. Ein Mercedes-Benz TV-Werbespot gehterstaunlicherweise einen Schritt in diese Richtung, dieprobeweise als Virtualisierung von Design (Kap. 4.2) bezeichnetwerden soll: Ein Mann öffnet seine Garage, darin steht eingroßer Daimler. Die Kamera umrundet den Wagen und zeigt seineganze strahlende Pracht in Nahaufnahme. Die Stimme desSprechers erzählt über die Umweltfreundlichkeit des Produkts,sowohl in der Herstellung, als auch im Betrieb. Schließlichverläßt der Mann die Garage ... auf einem alten quietschendenFahrrad.

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Um diese Idee weiterzuentwickeln: Es ist wünschenswert, dieElemente der Sprache Design gezielt und selektiv zu entmaterialisieren,ohne dabei ihre unbestrittenen Beiträge zur Lebensqualität undzur Stabilisierung von Sinn zu beeinträchtigen. Das Zielbesteht in ökonomisch lebensfähigen Strategien zur Reduktionder Nebenwirkungen (aus Herstellung, Gebrauch, Entsorgung)unter Beibehaltung von Gebrauchswert und Kommunikationswert.Ein erster Schritt könnte sein: Man hat zwar noch ein Auto vorseinem Haus stehen, aber sein Gebrauch ist mehr und mehreingeschränkt durch verlockende Alternativen und finanzielleLenkungsmaßnahmen. Lustgewinn kann man in speziellen Autoparkserzielen, Selbstbewußtsein und Ansehen werden dadurch gestärkt,daß man öffentlich macht (durch das Tragen eines Ordens?), zwarein großes Auto zu besitzen, es aber kaum noch zu nutzen. Dernächste Schritt: Man kauft kein Auto mehr, sondern zahlt dasGeld für andere Projekte, die die Lebensfähigkeit der Ökonomieebenfalls garantieren (öffentlicher Verkehr, Ökologie, "3.Welt", etc.). Zu den Sinnaspekten siehe oben. Ein Fernzielkönnte sein, Qualitäten wie Lustgewinn und Selbstwertgefühlmehr und mehr von Dingen abzulösen und zunehmend ankommunikative und weitgehend immaterielle Prozesse zu koppeln.Das klingt utopisch? Vielleicht, aber dann zeigt es auf jedenFall unsere Befangenheit, unser Vorverständnis der Problematik,unsere unreflektierte Eingebundenheit in Denktraditionen. Damitsoll keinesfalls behauptet werden, daß diese Befangenheit alsUrsache etwa der Umweltkrise auszumachen ist. Man kann genau-sogut sagen, daß die Umweltkrise (oder die Krise der Moderne)die Entwicklung und Verbreitung von Denkinnovationen anregt.Die Frage dabei ist, ob die Dynamik dieses Wirbels von Handelnund Denken uns gerade noch an der großen Katastrophe vorbei-führt oder nicht.

Wenn also Entwerfen weiterhin den Anspruch erhebt, fürLebensqualität verantwortlich und zuständig zu sein, dann muß dieDisziplin ausgeweitet werden in Richtung auf die Analyse desProblemraums, z.B. der Mechanismen wie Probleme aus dem Lösungs-/ Problemraum emergieren. Dies kann als Problemdefinitions-Kompetenz bezeichnet werden, welche zum Problem-Design führt.Hilfsmittel in Theorie und Praxis ist die Betonung desrekursiven Charakters des Problembegriffs und das Aufzeigen des

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System 345___________________________________________________________________________

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sehr temporären, flüchtigen Ereignischarakters der Probleme,die die Design-Praxis üblicherweise bearbeitet. Zumerfolgreichen aktiven Handeln dieser Art, zur Schaffung vonEinflußmöglichkeiten von Design, von Teilhabe an der Defi-nitionsmacht, muß Systemhaftigkeit / Autonomie hergestelltwerden. Dies erfordert neben der theoretischen Basis auch einRepertoire methodischer Hilfsmittel. Der Verwendung von Compu-ter-Simulationstechniken sollte dabei besondere Beachtunggeschenkt werden. Sie zielen auf die Modellierung und das Ver-ständnis komplexer raum-zeitlicher Interaktionsmustermaterieller und immaterieller Flüsse im Design und fördernSystemdenken. Bazon BROCK, in einem Beitrag über "Computer undKreativität" (1987), charakterisiert Kreativität als dieFähigkeit zu problematisieren, also Probleme zu schaffen undbewußt zu machen, allerdings immer diesseits des Ernstfalls("dauernde Simulation"). In diesem Sinne als Problemsimulatorstatt als Problemlöser eingesetzt, könnte der Computer durchauseine wichtige innovative Rolle in der Gestaltung übernehmen.Eine auf dieser theoretischen Basis erweiterte Design-Methodologie zielt auf eine Veränderung des Problemdefiniti-onsprozesses in eine flexiblere, divergentere Richtung. Dieswiederum beeinflußt den Lösungsraum und könnte eine Art vonpositiver Rückkopplung erzeugen, welche die sogenanntenSachzwänge lockert.

Der Zyklus der Produktkommunikation besteht aus Materie, Energie undInformation. Produkte als sogenannte Problemlösungen sindtemporäre Materialisierungen in diesem Fluß. Ihre wichtigsteFunktion besteht im Herstellen des Anschlusses zur folgendenProblemformulierung.Es gibt wenig Reflexion über das Entstehen der Probleme. Wiekann Entwerfen Einfluß nehmen auf Problemdefinitionen (Problem-Design)? Welche Wertbasis ist geeignet?

Wert, Verantwortung und "transklassische Wissenschaft"

WertbegriffWerte können ästhetischer, moralischer, juristischer oderethischer Art sein, etwas kann wertvoll oder wertlos sein. Man

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kann nach dem Gegenstand von Werturteilen fragen: was wirdbewertet, nach den Zielen und Absichten: wozu und warum wirdbewertet, nach Wertenden und Bewerteten: wer bewertet, wer wirdbewertet und nach Methoden und Maßstäben: wie und womit wirdbewertet?

Zunächst eine knappe Einführung in den Wertbegriff (MASER1992a: 51-74). Die philosophische Position des Wertabsolutismusbehauptet, daß Werte absolut und ewig sind (PLATON) bzw. daßWerte absolut und ewig gelten (RICKERT). Sie operiert mit sub-jektunabhängigen (transzendentalen, metaphysischen, göttli-chen), dem Menschen durch Offenbarung passiv vermitteltenWerten. Diese Auffassung erscheint unangemessen, da sie demMenschen die Wahl- und Einflußmöglichkeit abspricht, die erpraktisch besitzt. Stattdessen wird hier die Position desWertrelativismus / Wertempirismus vertreten: Werte und Werturteileberuhen auf Werterlebnissen subjektiver und intersubjektiver Art.HOFFMEISTER (1955) definiert den Begriff als Relation: Ein WertW ist die zwischen einem bewerteten Gegenstand O und einemMaßstab durch den wertenden Menschen S hergestellte BeziehungR, d.h. W = R(O, S). Es lassen sich subjektivistische undnicht-subjektivistische Werturteile unterscheiden. Die ersterensind Meinungen ("ich finde ..."), die letzteren sind entwederallgemeingültig / objektivistisch ("2+2=4") oder regulativ /intersubjektiv für eine Gruppe gültig. Die Begründung nicht-subjektivistischer Urteile erfolgt entweder autoritär oder sieberuht auf Konsens oder es handelt sich um allgemeingültigeWerturteile. Diese können wissenschaftlich begründete oder auchgesamtgesellschaftliche Normen sein. Qualität, als allgemeinerBegriff für positive Werte schlechthin, führt zum Begriff derLebensqualität.

Subjektive und intersubjektive Werterlebnisse sind immer re-lativ. Sie sind veränderlich (Wertewandel) und veränderbar. Siesind (als Ist-Werte) empirisch ermittelbar durch Wert-Psy-chologie und Wert-Soziologie. MASER (1992a: 57): "Ist-Wertesind (bedingt!) gezielt veränderbar in Richtung auf gewünschteSollwerte", er nennt dies eine "optimistische These". Daß sieveränderbar sind, steht außer Frage, problematisch erscheintdas "gezielt". Werterlebnisse sind stets etwas Ganzheitliches.Werturteile, die in Form von Wertbegriffen abgegeben werden, sindjedoch zumeist in unterschiedliche Wertbereiche gegliedert:

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Ethik, Ästhetik, Logik, Pragmatik, Soziologie, Psychologie,Medizin, Jura, Religion, Phänomenologie, etc. Es gibt vollstän-dige Wert-Systeme. In einigen Wertbereichen werden durch dieGesellschaft bzw. ihre funktionalen Institutionen Soll-Wertefestgesetzt, z.B. Technische Normen (DIN) oder Rechts-Normensozialer, ethischer oder ökonomischer Art. Es gibt expliziteund implizite Normen (geschriebenes Recht / Gewohnheitsrecht).Und es gibt das Legitimationsproblem: Wer darf Normen und Werte fürwen festlegen und warum? Dahinter steht die Frage nach Machtund Verantwortung.Eine wichtige These (MASER 1992a: 57) lautet: "Alle Erlebnissesind Werterlebnisse. Werterlebnisse sind solche, in denen wirMenschen Beziehungen ... aufbauen zu Objekten, zu Situationen,zu anderen Menschen, zu uns selbst. Damit sind alle unsereErlebnisse wert-voll." Also: Wahrnehmung ist Werten,Unterscheiden ist Werten. Dies verweist auf die Gedanken vonPIRSIG weiter unten. "Werterlebnisse sind iterativ. Erlebnissewerten ist selbst ein Werterlebnis. Das führt zum Werten vonWerten von ..." Diese Sicht verweist auf die Beobachtungsebenen(Kap. 2.2) und auf die Unmöglichkeit objektiver Wahrnehmungbzw. letztgültiger Werte. MASER (1992a: 68) bezeichnet das"Reich der Werte" als ein "unendliches, offenes, dynamisches,formales, interdisziplinäres, probabilistisches, äußerstkomplexes System."

PIRSIG (1992) formuliert eine ganze "Metaphysik der Qualität"(M. d. Q.) und sagt: "Gut ist ein Substantiv." Qualität oderWert bezeichnet für ihn die elementare Wirklichkeit, aus derSubjekte und Objekte entstehen. Wert, so betont er in Anlehnungan William JAMES, ist reine Erfahrung. Er kritisiert die vonihm so genannte "Subjekt-Objekt-Metaphysik" (S.-O.-M.) (1992:113f): "Die Kultur, in der wir leben, hat uns mit einergeistigen Brille ausgestattet, durch die wir die Welt in-terpretieren, und die Vorstellung des Primats von Subjekten undObjekten ist in diese Brille eingebaut." Die S.-O.-M.behauptet: Ein Objekt, das nicht als Subjekt oder Objektklassifiziert werden kann, existiert nicht. Die M. d. Q.dagegen behauptet: Ein Ding, das keinen Wert besitzt, existiertnicht, weil es sich nicht von anderen Dingen unterscheidenläßt. Der Wert wird hier zum auslösenden Moment der Erfahrung.

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Die M. d. Q. ist damit, so PIRSIG, ein umfassenderes Er-klärungsmuster als die S.-O.-M. Sie kann Subjekt-Objekt-Beziehungen ohne weiteres erklären, umgekehrt kann die S.-O.-M.jedoch keine Werte erklären. Auf dieser Basis liefert er nuneinige Umdeutungen grundlegender Begriffe:Substanz : Während die traditionelle substanzorientierte S.-O.-M. sagt, die Welt bestehe aus Substanz, und Leben sei alleinaus den Eigenschaften der Atome bestimmt, sagt PIRSIG (1992:121), die von ARISTOTELES eingeführte ´Substanz´ sei einabgeleiteter Begriff, nichts unmittelbar Erfahrenes. Die Faktender Quantenphysik etwa weisen darauf hin, daß die sogenannten´subatomaren Elementarteilchen´ der Definition einer Substanzkeineswegs entsprechen, z.B. haben sie keine zeitlicheKontinuität. Seine Definition lautet deshalb (S. 117):"Substanz ist eine ´stabile Grundstruktur anorganischer Werte´".Wissenschaftliche Wirklichkeit (1992: 120, 121): Sie wird bezeichnetals das "Studium stabiler begrifflicher Strukturen, welche dieWirklichkeit beschreiben". Damit sei die Integration von Natur-und Geisteswissenschaften möglich. Es sei ein Mythos zubehaupten, Wissenschaft und Vernunft kämen aus der objektiven,nicht aus der sozialen Welt. (1992: 163): "Die Wirklichkeit,welche die Wissenschaft erklärt, ist jene ´Realität´, dieMechanismen und Programmen folgt. ... Ein Ding existiert nicht,weil wir es nie beobachtet haben. Der Grund dafür, daß wir esnie beobachtet haben, liegt darin, daß wir nie nach ihm gesuchthaben. Und der Grund dafür, daß wir nie nach ihm gesucht haben,ist der, daß es unwichtig ist, daß es keinen Wert hat und wirBesseres zu tun haben."Evolution (1992: 170): PIRSIG nennt 4 unabhängige Stufenstatischer Qualitätsstrukturen bzw. Wertstrukturen:Anorganisches (MATERIE) -> Biologisches -> Soziales ->Geistiges (GEIST).Zwischen den Stufen bestehen Emergenzbeziehungen, d.h. höhereEbenen stützen sich auf niedrigere, sind aber nicht aus diesenherleitbar. Die Beziehungen sind nicht reduktionistisch, eherparasitär, feindlich, ausbeutend. Leben bezeichnet er (1992:166, 167) als "Entwicklung statischer Strukturen zu einerdynamischen Qualität." Evolution wird damit zum dauernden Wech-sel zwischen dynamischem Vorwärts (Geistigem: dynamischen

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System 349___________________________________________________________________________

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Wertstrukturen, Poiesis) und statischer Absicherung (Sozialem:statischen Wertstrukturen, Mimesis).Geist - Materie - Dualismus (1992: 174): Traditionell bezeichne Geist´ sozial-geistige Strukturen (Nicht-Substanz / Subjektivität),´Materie´ dagegen anorganisch-biologische Strukturen(Substanz / Objektivität). Die Frage zum Verhältnis Geist-Materie führt zum Menschen: Man sagt, er hat einen Körper under hat Geist. Aber was ist der Mensch? (1992: 176): "Die Geist-Materie-Paradoxe gibt es nur, weil die Verbindungsgliederzwischen diesen beiden Stufen der Wertstrukturen nicht beachtetwerden. Zwei Begriffe fehlen: Das Biologische und die Gesell-schaft ..."Kausalität (1992: 121): Der Begriff sei ersetzbar durch ´Wert´:"Der einzige Unterschied zwischen Kausalität und Wert ist der,daß das Wort ´Ursache´ völlige Sicherheit impliziert, wohin-gegen der Begriff ´Wert´ eine gewisse Vorliebe ausdrückt. Dieklassische Wissenschaft ging von der Voraussetzung aus, daß dieWelt von unumstößlichen Gesetzen bestimmt wird und daß ´Ursache´ das passende Wort ist, diese Gesetze zu beschreiben. Aber inder modernen Quantenphysik hat sich alles das geändert.Elementarteilchen ´ziehen vor´, das zu tun, was sie tun. Eineinzelnes Elementarteilchen muß sich nicht unbedingt nach einemvorhersagbaren Muster verhalten. Was als absolute Ursacheerscheint, ist nur ein sehr konsistentes Muster von Präferen-zen". Damit ist der Antagonismus von freiem Willen undDeterminismus sehr elegant zurückzuführen auf den Dualismusdynamische Wertstrukturen (Geistiges) vs. statischeWertstrukturen (Soziales).

Soviel zu diesem reizvollen Gedankenexperiment, welches denWertbegriff ins Zentrum stellt. Es enthält implizit oderexplizit zahlreiche Gedankengänge des Konstruktivismus sowieder soziologischen und der evolutionären Systemtheorie.

VerantwortungHans JONAS (1984) entwirft eine Ethik für die technologischeZivilisation. Diese erfordert zeitlich und räumlich neue Dimensionen derVerantwortung, nämlich sowohl zukünftige Generationen als auchdie ganze Erde einbeziehend. Verantwortung stand bisher nichtim Zentrum ethischer Theoriebildung, weil Dauerhaftigkeit dasZiel war (1984: 222): "Voraussetzung für dies Rechnen mit dem

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wesentlich Selben, das nur von der Unberechenbarkeit desSchicksals bedroht wird, ist natürlich die Abwesenheit jenerDynamik, die alles moderne Sein und Bewußtsein beherrscht." Diebisherige Ethik betraf also lediglich den Anderen im Hier undJetzt, war individuell zurechenbar und hat ausgereicht. Nunentsteht eine Diskrepanz zwischen der begrenzten Kraft desVorherwissens und der fast grenzenlosen Macht des in dieZukunft wirkenden Handelns. Das "utopische" Potential modernerTechnologie führt dazu, daß der beruhigende Abstand zwischenalltäglichen und letzten Anliegen, zwischen Anlässen fürgewöhnliche Klugheit und Anlässen für erleuchtete Weisheitkleiner wird. Bisher kaum reflektierte Fragen tauchen auf: Wemist Verantwortung dieser Art zurechenbar? Was ist das Interessedes Einzelnen am Fortbestehen der Menschheit und der Natur?Gibt es so etwas wie ein "sittliches Eigenrecht der Natur"?KANTs kategorischer Imperativ war: "Handle so, daß du auchwollen kannst, daß deine Maxime allgemeines Gesetz werde."Heute erscheint die Forderung angemessener: "Handle so, daß dieWirkungen deiner Handlung nicht zerstörerisch sind für diezukünftige Möglichkeit menschlichen Lebens auf Erden." DieserImperativ ist mehr an öffentliche Politik als an privatesVerhalten gerichtet. Die gewohnte Gegenseitigkeit von Rechtenund Pflichten hat in der Zukunftsethik kaum noch Bedeutung,denn was noch nicht existiert, kann auch noch keine unmit-telbaren Ansprüche stellen. Die zentrale Frage ist deshalb:Welche Einsicht, welches Wertwissen soll die Interessen der Zu-kunft in der Gegenwart vertreten?

Ganz praktisch klingt seine Forderung (1984: 62), es müsseeine Wissenschaft hypothetischer Vorhersagen, eine"vergleichende Futurologie", ausgebildet werden, es müsse auchdie Frage nach den "Toleranzgrenzen der Natur" gestellt werden.Antwort darauf sei nur in einer interdisziplinären, globalenUmweltwissenschaft zu finden, denn die Nahprognosen, als Teiljeder technischen Entwicklung, seien zwar recht zuverlässig,Fernprognosen dagegen seien ungleich unsicherer (1984: 329):" ... genannt seien nur die jeder (auch elektronischen) Rechen-kunst spottende Komplexität gesellschaftlicher undbiosphärischer Wirkungsganzheit ...". Eine derartigeUnsicherheit sei für die Prinzipienlehre noch tragbar, nichtaber für die praktische Politik. Diese Überlegungen führen zur

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System 351___________________________________________________________________________

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pragmatischen Empfehlung, daß der Unheilsprophezeiung mehrGehör zu geben ist als der Heilsprophezeiung: "Man kann ohnedas höchste Gut, aber nicht mit dem höchsten Übel leben." JONASnennt dies die "Heuristik der Furcht, eine Furcht geistigerArt, da sie uns nicht unmittelbar trifft."

Er entwickelt nun die These von der Zusprechbarkeit von Wertan die Natur: Die Wirksamkeit von Zwecken sei nicht anRationalität, Überlegung und freie Wahl, also an den Menschen,gebunden, sondern Zwecke existierten schon in der Natur (1984144): "´Zweck´ ist damit über alles Bewußtsein hinaus,menschliches wie tierisches, in die physische Welt als ein ihrursprünglich eigenes Prinzip ausgedehnt worden; und wie weitsein Walten unter das Lebendige hinunter in die Elementarformendes Seins hinab reicht, kann offen bleiben." Der konsequenteSchritt (1984: 148, 155): "Daß die Welt Werte hat, folgt ...direkt daraus, daß sie Zwecke hat. ... In der Zielstrebigkeitals solcher ... können wir eine grundsätzliche Selbstbejahungdes Seins sehen, die es absolut als das Bessere gegenüber demNichtsein setzt. ... Das heißt, die bloße Tatsache, daß dasSein nicht indifferent gegen sich selbst ist, macht seineDifferenz vom Nichtsein zum Grundwert aller Werte, zum erstenJa überhaupt." Natur ist also nicht wertfrei! Auf dieserGrundlage entwickelt er nun, als Alternative zur BLOCHschenUtopie des "Prinzips Hoffnung" seine "Theorie derVerantwortung" bzw. die "Ethik der Verantwortung". Sie enthältdie "Pflicht zur Zukunft" und verneint das Recht der Menschheitzum Selbstmord (1984: 96): "Denn Wert oder das ´Gute´, wenn esdergleichen gibt, ist ja das Einzige, das von sich her aus derbloßen Möglichkeit auf Existenz dringt ... - also einen An-spruch auf Sein, ein Sein sollen begründet und, wo das Sein vonwahlfreiem Handeln abhängt, es diesem zur Pflicht macht."Daraus folgt der "Vorrang des Seins über das Nichts". Behutsam-keit wird zum Kern moralischen Tuns.

Eine ethische Theorie der Verantwortung (1984:163-174) mußzum einen den rationalen Grund der Verpflichtung umfassen(Vernunft, objektiv), zum anderen den psychologischen Grundder Handlung (Gefühl, subjektiv). Verantwortung ist die kausaleZurechnung begangener Taten und - dies ist wichtiger - sie istZukunftsverantwortung: Verantwortung für Zu-Tuendes. Er nenntdies auch die "Pflicht der Macht": "Das Abhängige in seinem

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Eigenrecht wird zum Gebietenden, das Mächtige in seinerUrsächlichkeit zum Verpflichteten."

Zur Wertbasis einer DesigntheorieTheorien sind, so MASER (1972), Redeweisen, in bezug auf Designsolche, die der Praxis entweder begründend vorausgehen oder ihrrechtfertigend oder kritisierend folgen. Er stellt hier dennormativen Aspekt in den Vordergrund. Eine dem entsprechendeDesigntheorie muß es also ermöglichen, handlungsorientierendeAussagen zu entwickeln. Überlegungen zu einem Wertbegriff imDesign liefern damit gleichzeitig einen Beitrag zur Stärkungder Autonomie von Design. Aber: müssen Theorien nicht"wertfrei" sein? Das Voranstehende hat gezeigt, daß jedeTheorie, sowohl die deskriptive, als auch die normative, aufeiner Wertung basiert. Schon das hier vorgestellte deskriptiveEntwurfstheorie-Modell auf der Basis der Systemtheorie ist eineWertung, weil es genau diese Theoriebausteine und keine anderenverwendet. Es ist kontingent und in der Folge gleichzeitig not-wendig, denn es legt bestimmte Spielregeln und Kommunika-tionsweisen fest und ermöglicht damit Verständigung über dis-ziplinäre Grenzen hinweg.

Was könnte nun die normative Basis sein? Gibt es so etwas wieintersubjektiv vernünftige Werte, Inhalte unterhalb der Ebene,auf der die Theorieform fixiert wurde, Inhalte, die noch nichtins Methodische weisen, die aber auch der Form nichtwidersprechen? Der sehr allgemein gehaltene Ansatz schließtsich an die Verantwortungsethik von Hans JONAS an und geht ausvom Sein als Wert an sich. Sein ist bedroht, damit impliziert SeinSollen. Bereits dieser umfassende Wertbegriff impliziert allge-meine praktische Handlungsziele, die aber noch nicht opera-tionalisiert sind. Der Versuch, innerhalb eines WertrahmensErkenntnisarbeit zu leisten, ist eine schwierige Gratwanderung,immer bedroht vom Abgleiten in ideologische Blindheit undvermutlich gerade aus diesem Grunde in den klassischenNaturwissenschaften als "unwissenschaftlich" diskreditiert.Dies ist durchaus nachvollziehbar, weil die Entstehungsge-schichte der Wissenschaft untrennbar ist von dem Kampf gegenvon außen diktierte Wertsysteme aus dem Bereich staatlicher undkirchlicher Macht. Dennoch: die in der Folge in denWissenschaften verinnerlichte Rede von der "Wertfreiheit" kann

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System 353___________________________________________________________________________

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heute keine gültige Maxime mehr sein. Sie ist speziell im hierinteressierenden Kontext ohne jeden Wert! Jede Aussage, auchjede wissenschaftliche Aussage, ist ein Werturteil.Entscheidungen aufgrund von wahr / falsch ("objektiv") weisenVerantwortung von sich, nur Entscheidungen aufgrund vonWerturteilen ("konstruktiv") sind verantwortlich.

Die daraus resultierende These lautet: Menschen haben dieVerpflichtung, für die Erhaltung von Sein zu arbeiten. Diesenormative Aussage ("gesellschaftlicher Attraktor") ist geeignetals Integrationskern einer Designtheorie, die ihre Aufgabedarin sieht, die Praxis zu beschreiben und in der Konzeptionzukünftiger Wirklichkeiten zu unterstützen. Wem dies zumoralisch klingt: LUHMANN (1973) bezeichnet dies als"Bestandsformel" und bezieht den Begriff auf Systeme generell.Sie soll hier als möglichst unpathetische Wertbasis, bezogenauf das globale System, übernommen werden. LUHMANN bemerkt zurOperationalisierung der Bestandsformel (1973:190): "Das Problemder Erhaltung eines umweltbedrohten Systems ist als solcheskein brauchbarer Entscheidungsmaßstab ... Sie (die Bestands-formel, W.J.) ist zu unbestimmt, weder konsensfähig, nocheinfach genug, noch als kurzfristiges Erfolgskriterium oder alsAnhaltspunkt für Kontrollen geeignet. Die Zwecksetzung gibtdiesem Problem eine entscheidbare Fassung, transformiert es ineine brauchbare Arbeitsgrundlage, indem sie zu erstrebendeWirkungen definiert, in bezug auf welche geeignete Mittel inrationalen Entscheidungsverfahren ausgewählt werden können."Konsensfähig scheint die Bestandsformel, bezogen auf dasglobale System, inzwischen zu sein. Aber sie ist tatsächlichnicht eindeutig in Handlungsziele im Sinne einer optimalenEntscheidungsfindung umsetzbar. Dazu ist das Problem zukomplex, und wir sind integraler Teil des Problems. Jedequantifizierbare Zwecksetzung verdeckt andere Aspekte,neutralisiert Nebenfolgen, etc. Deshalb kann es nur umOffenheit der Lösungsalternativen gehen, um Flexibilität, umFehlerfreundlichkeit und damit um Risikoreduktion. Dies führtwieder hin zur Forderung nach Einmischung des Designs, nachEinflußnahme auf die gesellschaftliche Gestaltung derProblemfelder (Problem-Design, vgl. Kap. 4.2). Es scheint so,als ob sich alle Kreise wieder schließen...

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Von der individuellen zur disziplinären VerantwortungWie steht es mit Design als Disziplin? Gibt es so etwas wiedisziplinäre Werte, disziplinäre Verantwortung? Kann Designtheoriedazu beitragen, diese zu schaffen? Design ist Handeln, Handelnist Praxis. Praxis erfordert das Fällen von Entscheidungen überMachen oder Nicht-Machen. Entscheidung hat mit Verantwortung zutun. Verantwortliches Handeln benötigt Wert-Maßstäbe.Entsprechend diesen Wertmaßstäben Verantwortung tragen zukönnen, erfordert Autonomie, zumindest dann, wenn es die eigenenMaßstäbe sein sollen.

Frühere Design-Theorien haben meist stillschweigend mit demLeit-Wert "Markt" operiert, ohne dies zu explizieren. DieseWertbasis, verbunden mit dem Bild des homo oeconomicus, istindividuell. Dies ist, wie ausführlich dargestellt wurde,verbunden mit dem Dogma der Wert-Neutralität der Ziele (etwas,das mindestens einem finanziell nützt und niemandem sonstpersönlich schadet, ist ein vernünftiges Ziel) und dem starrenBlick auf die Zweck-Rationalität der Mittel (wer sein Geldnicht gewinnbringend einsetzt, ist unvernünftig). Obwohl dasEinfach-Erklärungsmuster / der Attraktor "Markt" gerade inDeutschland seit dem Zusammenbruch seines Widersachers "Plan"wieder auf dem Vormarsch ist, sollte Design mit seinemAvantgarde-Anspruch nicht dabei verharren. Nachdem die externeDifferenzierung zur Planwirtschaft nun weggefallen ist und dar-über hinaus die Grenzen marktwirtschaftlicher Expansion überallsichtbar werden, ist es nötig und zukunftsweisend, den Allge-meinplatz "Markt" intern zu differenzieren, um beispielsweisedie Differenzen Wettbewerb vs. Solidarität, persönliche vs.soziale Bedürfnisse, materielle vs. immaterielle Bedürfnisse,etc. analytisch angehen zu können.

Ökonomie kann angesichts der veränderten Randbedingungenlegitimerweise keine Führungsrolle mehr beanspruchen. Design-Praxis manövriert sich mit dem widerspruchslosen Akzeptierender rein ausführenden Funktion im Dienste der Ökonomiezunehmend ins gesellschaftliche und intellektuelle Abseits. DerSatz von Hans JONAS (1984: 176): "Nur wer Verantwortungen hat,kann unverantwortlich handeln." kennzeichnet treffend dieEinflußlosigkeit der Disziplin in allem, was über Formen undFarben hinausgeht. Also: Design sollte kommunikationsfähigwerden, um verantwortungsfähig zu werden. Dazu muß es etwas

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System 355___________________________________________________________________________

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Eigenes zu sagen haben. Design braucht darüber hinaus neuePartner-Disziplinen. Dazu wiederum muß es zunächst selbst seineAutonomie als Disziplin stärken. Wie ist dies zu fördern?

Im Mittelpunkt von Entwerfen steht in Zukunft die Planungund der Entwurf der Handlungsziele oberhalb der Ebene derProduktfixierung (Systeme, Prozesse). Dies kann nicht wert-neutral geschehen. Dieses explizite Bekenntnis zurNotwendigkeit wertender Theorie erfordert ein erweitertes Wissen-schaftsverständnis. Die Ausklammerung der Wertfrage ist dort,wo die Entfernung zur Praxis einigermaßen groß ist, sicher ohneallzu folgenschwere Verdrängungsleistungen durchzuhalten. Inder Entwurfstheorie ist dies nicht der Fall, denn Entwurfstheorieist Praxistheorie.

Das "transklassische" Wissenschaftsverständnis, formuliertvon MASER (1972) in seinen "Bemerkungen zum Problem einerTheorie des Designs", liefert Baumaterial für einen Rahmen, deres ermöglicht, normative Design-Aussagen zu formulieren, ohnedabei in Ideologien (Stil, etc.) zu verfallen. Am Anfang stehtdie Frage nach den Aufgaben einer Design-Theorie, daraus istdie Form einer Design-Theorie zu entwerfen, die diese Aufgabenlösen kann. Design ist eine Tätigkeit, ist Praxis, istweitestgehend Alltagshandeln. Theorien dagegen sind Redeweisen,begriffliche Gebäude, bestehend aus definierten Begriffen undbewiesenen Sätzen. Design-Theorien sind demnach Aussagen, dieder Praxis vorausgehen (begründend) bzw. folgen (rechtferti-gend, kritisierend). Zu ergänzen wäre die Funktion der Theorieals Beschreibung der Praxis. Für Designer erscheint im Hinblickauf Theorie ein induktives Vorgehen, von der konkreten Aufgabeausgehend, naheliegend, während Wissenschaftler undinsbesondere Wissenschaftstheoretiker - auf dieser Ebenebewegen sich MASERs Überlegungen hier - ein deduktives Vorgehenbevorzugen würden. Ausgangspunkt ist also ein allgemeinesKonzept einer Theorie, dann erst kann, in einem weiterenSchritt, die Klärung von Form und Inhalt einer Designtheoriefolgen. Er stellt zunächst die Frage ob Analogien zu dentraditionellen Wissenschaftskategorien der Formalwissenschaften(Mathematik, Logik), der Realwissenschaften (Physik, Chemie,Biologie, etc.), der Geistes-/ Humanwissenschaften (Recht,Soziologie, etc.) oder der Planungswissenschaften (Kybernetik,Systemtheorie) bestehen oder ob man eine neue Art von Theorie

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braucht. Er stellt auch die Frage, ob die Anstrengungvielleicht überhaupt sinnlos ist. Im Rückblick auf die seitdemvergangenen 20 Jahren scheint sie durchaus angebracht, aberdiese Phase neigt sich dem Ende zu.

MASER rekapituliert die Merkmale der klassischenWissenschaften: Ihr Ziel ist das Aufstellen von Systemenobjektiv wahrer, allgemein gültiger Sätze (Theorie). Siearbeiten mit einem Fortschrittsbegriff, der von einer stetigzunehmenden Präzisierung und Differenzierung der Formulierungder Erkenntnisse ausgeht. Spätestens seit QUINE und KUHN sollteman diese Annahme eher als Wunschvorstellung denn als Merkmalbezeichnen. Klassische Wisssenschaften arbeiten mit dem Prinzipder grundsätzlichen eindeutigen Bestimmbarkeit vonSachverhalten, mit dem Dualismus von wahr oder falsch, "tertiumnon datur". Alles, was nicht in dieses Schema paßt, istungeeignet, als Gegenstand von Wissenschaft in betracht gezogenzu werden, ist "uninteressant". Der Weg zu diesem Ziel bestehtin der Bildung von Fach- und Präzisionssprachen. Die bekannteund unvermeidliche Folge ist die Ausbildung einer Vielzahlrelativ autonomer Teildisziplinen. Die Kritik an diesemVorgehen ist nicht neu, sie betrifft insbesondere die Kluftzwischen Theorie und Praxis und das Flickwerk disziplinärerTeillösungen, welches eine ganzheitliche Problemlösung un-möglich macht. Schließlich betont MASER, Wissenschaft dürfenicht zum Selbstzweck werden, der Anspruch der Wertfreiheit seinicht erfüllbar und nicht sinnvoll. Gut, Wertfreiheit istSelbstbetrug, aber "Selbstzweck" ist Wissenschaft allenfallsaus der Sicht der wissenschaftlichen Gemeinschaft, des SystemsWissenschaft. (Selbst-) Zweck ist hier die Erhaltung und Stär-kung der Gemeinschaft, ihre Autonomie. Individuell undgesellschaftlich hat Wissenschaft ganz klare, weitergehendeFunktionen: Individuell z.B. als "Beruf" und "Berufung",gesellschaftlich als Partner- und Zuliefersystem von Ökonomie,Politik, Kunst, etc.

MASER prüft nun die drei genannten Wissenschaftstypen aufihre Eignung und stellt die Frage, ob eine Designtheorie eineTheorie im Sinne klassischer Wissenschaft sei. Seine Antwort:Nur zum Teil, denn Formalwissenschaft, Realwissenschaft undHumanwissenschaft finden zwar im Design Verwendung, aber dasmache noch nicht das Ganze einer Designtheorie aus. Die

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System 357___________________________________________________________________________

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fehlenden Theorie-Bausteine finden sich im von ihm so genanntentransklassischen Wissenschaftsverständnis der Planungswissenschaften.Ausgangspunkt ist dort stets ein konkretes Problem, dessen LösungBeiträge aus dem Fachwissen der unterschiedlichsten klassischenDisziplinen erfordert. Das Projekt ist der Punkt, auf den sichHandeln bezieht. Die Koordination / Integration / Planungliefert, so MASER, mehr als die bloße Summe der Teillösungen,denn: "Planvolles Problemlösen ist wissenschaftlichesProblemlösen". Das Ziel klassischer Wissenschaft sind Systemeallgemeingültiger Sätze, das Ziel transklassischen Vorgehensist dagegen die gezielte Veränderung realer Zustände nach dem folgendenSchema:1) IST-Zustände erfassen: deskriptiv, realwissenschaftlich,objektiv.2 a) SOLL-Zustände festlegen: normativ, humanwissenschaftlich,subjektiv.2 b) Erstellung eines Plans zur Transformation IST -> SOLL:Zusammenfügen von Objektivem und Subjektivem im Planungsmodell,formalwissenschaftlich.3) Effektive Veränderung der Realität aufgrund des PLANs.

Realität, Wissen und Wissenschaft sind Prozeß: Problemlösungist niemals Endlösung, stets nur Übergang, stetsZwischenlösung, stets Ausgang für neue Problemstellungen. D.h.es geht um Divergenz, um die Erhöhung der Vielfalt anAnschlußmöglichkeiten schon in der Projektwahl ("increase thevariety of choices").

Fortschritt ist ein Kriterium, nach dem wissenschaftlichesProblemlösen beurteilt wird, sowohl klassisch als auchtransklassisch. Fortschritt besteht in der Verbesserung realerZustände. Wissenschaft, verstanden als "Dienst an derMenschheit", begründet nach MASER die Forderung nachProjektauswahl in den Wissenschaften, nach einerDringlichkeitsliste von Problemen. Dem ist zweifelloszuzustimmen, aber es bleibt die Frage, die auch im"Positivismusstreit" nicht entschieden werden konnte: Kann dasProblem der Normen und Werte nur politisch gelöst werden, oderist es Gegenstand von Wissenschaft? Die "Positivisten",vertreten durch POPPER (er bezeichnet sich selbst jedoch nichtals "Positivist"!), sagten, dies sei nur politisch möglich. Sieübernehmen damit für die Humanwissenschaften das Wissenschafts-

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verständnis der klassischen Realwissenschaften, in denen gilt,daß normative Aussagen sich nicht subjekt-unabhängig for-mulieren lassen. Es handele sich vielmehr stets um subjektiveWerturteile, bezogen auf Individuum, Gruppe oder Gesellschaft.Klassische Wissenschaft ist wertfrei, so die Positivisten. DieGegenposition der "Humanisten", vertreten durch HABERMAS,bestand, entsprechend dem klassischen Wissenschaftsverständnisder Humanwissenschaften, darauf, daß es eine Artintersubjektiver Gültigkeit von Werten, die rational zugänglichsind, gibt. Diese Werte seien nicht nur transzendental,metaphysisch oder durch Offenbarung, sondern auch immanent(durch Intuition, vgl. Ernst BLOCH) zu bestimmen. Der Weg liegtvermutlich irgendwo in der Mitte: Wissenschaft und Politikwerden Zielvorstellungen gemeinsam entwickeln müssen.

Transklassisches Vorgehen erfordert die Kooperation der Könner,dies sind die klassischen Fachwissenschaftler, und der Kenner,dies sind die transklassischen Planer. Diese Kombination istentscheidend, denn Vermittlung und Koordination von Wissen ausfaktischen, methodischen und normativen Bereichen bestimmenwesentlich die Qualität einer Lösung. Es stellt sich damit dieForderung nach interdisziplinärer Problemlösung im Team. Dazuseien kommunikationstheoretische Modelle erforderlich. DieDarstellung transklassischen Vorgehens erfolgt nicht im Kalkül,sondern im Planungsmodell als Systematisierung derProblemlösung.MASERs Schlußfolgerung lautet: Designtheorie ist eine Theorieim Sinne der Planungswissenschaft. Die Gründe sind:- Design-Theorie benötigt als Voraussetzung Sachwissen ausallen klassischen Disziplinen.- Thema einer Design-Theorie ist das Problem der Anwendung(Verwertung) dieses Wissens in konkreten Entwurfsprozessen. - Die eigentliche Problemlösung liegt in der Praxis.

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System 359___________________________________________________________________________

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THEORIE

PhilosophiePlanung

PRAXIS

Design-Theorie / Forschung

Design-Praxis / Gestaltung

Selbst-Reflexion

Design-Autonomie

Abb. 4.3: MASERs transklassischer Zyklus (1972: 30) inerweiterter Fassung: Die zirkuläre Verbindung von Theorie undPraxis durch Philosophie und Planung. Autonomiegewinn durchSelbstreflexion, damit Gewinn an Dialogfähigkeit unddisziplinärer Verantwortungsfähigkeit..Eine so verstandene Designtheorie schafft ein Gleichgewichtzwischen Realwissenschaften (IST), Humanwissenschaften (SOLL)und Formalwissenschaften (PLAN). Sie schafft die Voraussetzungzur Verknüpfung von Theorie und Praxis, von "Wissenschaft undHandlungsschaft", und sie erfüllt die wesentliche Aufgabe vonTheorie, nämlich Handlung zu begründen, zu rechtfertigen und zukritisieren. Die dargestellte transklassische Wissenschaftbetont das Normative gegenüber dem Deskriptiven, sie ist starkmoralisch ausgerichtet: "Die Rechtfertigung einer Theorie aberliefert einzig und allein eine durch sie bewirkte besserePraxis."

Die Frage der Verantwortung kommt hier ins Spiel. MASER siehtsie noch primär individuell (1972: 28): "Das Wagnis desProblemlösens erfordert dauernde Entscheidung des Problemlösersauf Grund meist sehr vager und unvollständiger Kenntnis dessen,worüber entschieden wird. Je risikoreicher aber die Ent-scheidung, desto schwerer trägt sich die Verantwortung, die ausihr resultiert." Dies erscheint nicht mehr ausreichend; es gehtum die Erweiterung zu einer auch disziplinären Verantwortung durchdisziplinäre Handlungsfähigkeit. Das Problem dabei: Was sinddie Normen? Wer setzt die Normen? Wie lassen sich Normenverändern? Die Bedingungen zur gezielten Veränderung der Normensind heute günstig. Die Forderung "Dienst am Menschen" istnicht mehr pauschal als moralisch und subjektiv diffamierbar,

360 4 Systemtheorie und Design__________________________________________________________________________________________

sondern sie ist heute eine ganz pragmatische, denn sie istexistentiell für das Weiterleben der Menschheit. 1972 dagegenwar es politisch noch problemlos möglich, ökonomisch bestimmteZweckrationalität als Norm zu postulieren, sozusagen als"objektive", "wertfreie" Norm, als "wertlosen Wert".

Konsumption

Produktion

DESIGN -Praxis

Ressourcen

Selbst - ReflexionDesign - IdentitätDesign - Autonomie

Soziokult.Planung

Abfall

Lösungsraum /Problemraum

Immaterielle Flüsse Materielle Flüsse

Theorie

Philo-sophiePlanung

"Probleme" "Lösungen"

"Problem Design"

Abb. 4.4: Problem - Lösung 3: Der Produktions-Konsumptions-Zyklus transklassisch, erweitert um eine geschlossene Schleifeder Problemreflexion. Praxis und Theorie sind zyklischverknüpft. Design als Disziplin gewinnt Einfluß auf dieProblemdefinition (Problem-Design).

Zusammenfassend läßt sich sagen: Theorie ist nötig und möglich!Die Überlegungen zur transklassischen Wissenschaft unterstützenden hier verfolgten Ansatz. Eine Theorie erfordert nach MASERkommunikationstheoretische und planungstheoretische Modelle.Die Denkweise des Radikalen Konstruktivismus liefert die er-kenntnis- und kommunikationstheoretische Basis, diesystemtheoretischen Überlegungen liefern den Ansatz eineserweiterten planerischen Modells. Systemtheorie entwickelt sichzu einer universellen wissenschaftlichen "Sprache" und

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System 361___________________________________________________________________________

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integriert heute bewußt nichtökonomische, humanistischeWertaussagen (LASZLO 1991). Dies sollte Design nicht längerignorieren, sondern nutzen. Abb. 4.4 illustriert diePerspektive: Design nutzt das vorgestellte transklassischeWissenschaftsverständnis zur Einflußnahme im Produktions-Konsumptions-Zyklus.

Der Wertbegriff beruht auf Wahrnehmung: Alle Welterfahrung undalles Handeln ist Werten. Der Verantwortungsbegriff muß erweitertwerden (zeitlich und räumlich). Er muß auch von individuellenauf disziplinäre Systeme ausgedehnt werden.Das transklassische Wissenschaftsverständnis fördert disziplinäreSinnkonstruktion, disziplinäre Einflußnahme (Problem-Design) unddamit disziplinäre Verantwortung. Als Wertbasis einer Designtheoriekommt in Frage: Die Bestandserhaltung (das Sein als Wert ansich).

Das Gesamtmodell

Design läßt sich heute als fremdbestimmte funktionaleKomponente im zirkulären Prozeß von Konsumption und Produktionbeschreiben. Design hat die Aufgabe, diesen Prozeß auf hohemIntensitätsniveau zu stabilisieren. Design braucht zur ef-fektiven Erfüllung dieser Funktion und - wichtiger noch - zurzukunftsorientierten Gestaltung dieser Funktion einespezifische Identität. Eine wesentliche Komponente dabei ist dieAbgrenzung der eigenen Disziplin in Verbindung mit derEntwicklung von institutionalisierten Austauschbeziehungen mitanderen Systemen. Das wichtigste Mittel dazu besteht im Versuchder Theoriebildung aus der Disziplin heraus. Das Erkennen dereigenen Systemhaftigkeit ermöglicht, so die LUHMANNscheBegrifflichkeit, die Wiedereinführung der Differenz System /Umwelt in das System und erlaubt damit, aus dem System herausso zu tun, als ob man es von außen beobachten würde. Esermöglicht, Selbstreferenzunterbrechungen auf der eigenen Hand-lungsebene zu denken und die Befangenheit der meistenbisherigen Theorien oder Selbstbilder in der eigenen

362 4 Systemtheorie und Design__________________________________________________________________________________________

Begrifflichkeit, im eigenen Sprachgebrauch / Zeichengebrauch /Objektgebrauch zum Thema zu machen und damit teilweise zuüberwinden. Ob Design diesen Stand der Selbstthematisierungerreichen kann, wird zu fragen sein. Es erscheint jedenfallsdenkbar, weiter oben wurde dies exemplarisch dargestellt, voneiner höheren Reflexionsebene diese Mechanismen zu beschreibenund damit auch beispielsweise die heute wie Naturereignisseerscheinenden "Paradigmenwechsel" bei den Designtheoriengenauer zu erfassen. Erforderlich hierzu ist eineDesigntheorie, welche diese Erkenntnisse zur Dynamik vonSystem- und Theoriebildungsprozessen in designspezifischer Formaufbereitet. Der Zusammenhang von Theoriebildung undSystembildung ist ein wichtiges Thema in der Soziologie,speziell in der Wissenschaftssoziologie.

Es folgt nun das in der Begrifflichkeit der Theoriedynamischer Systeme formulierte Modell einer Entwurfstheorie.Ausgangspunkt ist die Überlegung, daß es entweder möglich ist,praxisorientierte Methoden bzw. "Pseudo-Theorien" zuentwickeln, oder, von einer höheren Beobachtungsebene aus,nicht unmittelbar praxisrelevante Theorie-Modelle. Ziel istalso zunächst Theorie-Konsistenz und nicht Praxis-Relevanz.Erforderlich ist die genauere Ausarbeitung der Charakteristikender Systemtypen und -dynamiken sowie der Relations- undInteraktionstypen.

1) Gegenstand der Theorie"Alles", d.h. Entwerfen im gesellschaftlichen Zusammenhang.

2) Ziele der Theoriea) Beschreibung des dynamischen Verhaltens entwurfsrelevanterProzesse, insbesondere- Attraktorverhalten (Modellierung von Zeitgeistverhalten, Stilen,Strömungen, ...) und- Emergenzverhalten (Modellierung von Strukturwandel und -evolution).b) Erkenntnisse über dynamische Verhaltensmuster aufverschiedenen Ebenen des Entwurfsprozesses.c) Perspektiven zur Entwicklung der disziplinären Praxis.

3) Grundannahmen der Theorie

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System 363___________________________________________________________________________

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a) Konstruktivistischer KommunikationsbegriffHäufig wird heute der eingeschränkte Aspekt Produktsemantikhervorgehoben: Transport einer sinnvollen Botschaft vomDesigner via Objekt an den Braucher. Meist ist damit die in-formationstheoretische Fiktion verbunden, es sei möglich, einemObjekt explizit eine fixierte Bedeutung mitzugeben. Die Objekt-sprache ist in dieser Sicht das Primäre, der Kommunikati-onsaspekt ergibt sich daraus. Stattdessen wird hierKommunikation als primär gesehen, Sprache als sekundär, da siefunktionierende Kommunikation bereits voraussetzt. Selbstsprachliche bzw. kommunikative Inhalte sind sekundär, solangeKommunikation stattfindet. Nicht Sprache erzeugt Kommunikation,sondern Kommunikation als selbstorganisierendes System erzeugtund bedient sich der Sprache. Sprache funktioniert an derSchnittstelle von Kommunikation und Bewußtsein. Damit wird auchdie zentrale These der strukturalen Linguistik verlassen, daßSprache ein System von Zeichen sei, deren strukturelleBeziehungen die Bedeutung sind. Die kommunikative Funktion kanndurch unterschiedliche Sprachelemente (Sätze, Wörter, Dinge)realisiert werden. Wörter und Sätze fungieren also nicht mehrals Bilder der Wirklichkeit, als Beschreibung von Sachver-halten, sondern Wörter und Sätze dienen als vielfältig nutzbareElemente innerhalb von Kommunikationskontexten, von"Sprachspielen" (WITTGENSTEIN). Die Bedeutung, der Sinn derSprachelemente ist grundsätzlich kontextabhängig. Der Gebrauchschafft den Sinn.

b) Kultur als Medium der Kommunikation und des Entwerfens.Kultur meint die Menge der technischen, ästhetischen,symbolischen, kognitiven und institutionellen Artefakte("Objektwelt").

Diese Vorgehensweise wird durch einen Vorschlag von MAVER(1985) gestützt, in dem er versucht, das Entwerfen dem Statuseiner Wissenschaft anzunähern. Sein Ansatz: Entwerfen stehe aufeiner Stufe mit Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften undHumanwissenschaften, deren Medien die formale Sprache derMathematik, spezielle Wissenschaftssprachen und auch dieAlltagssprache sind. Entwerfen befaßt sich mit Konfiguration,Komposition, Bedeutung, Wert, Ziel in der gestalteten Umwelt.Kommunikationsmedium des Entwerfens ist nach MAVER das Modellieren

364 4 Systemtheorie und Design__________________________________________________________________________________________

mittels Zeichnungen, physischen Analogien und CAD-Software. DasMedium modelling taucht schon bei ARCHER (1979) auf.Bemerkenswert ist auch, daß Entwerfen nicht mit einerEinzelwissenschaft verglichen wird, sondern mitWissenschaftsbereichen, deren gemeinsame Inhalte sich erst aufeiner allgemeineren Ebene beschreiben lassen; der Versuch,Entwerfen oder Entwurfstheorie als Einzelwissenschaft zuetablieren, würde in die bekannten Sackgassen führen.

Modellieren ist jedoch lediglich Medium des kognitivenProzesses, daneben steht die Objektwelt als Medium des sozialenProzesses. Diese Ergänzung ist unbedingt erforderlich, um denKreislauf schließen zu können, der das Gemachte zum Ausgangs-punkt für zu Machendes werden läßt. Ein ähnlicher Gedankefindet sich bei McCOY (1989), der das gestaltete Objekt alsZeichen, das Produktionssystem (hier: Objektwelt) als Mediumund den Gestalter als Interpreten einführt.

c) Machen / Nicht-machen als symbolisch generalisierter Code des EntwerfensAn dieser Stelle wird probeweise der Begriff der "symbolischgeneralisierten Kommunikationsmedien" als Instrument zurHandhabbarmachung der Selbstreferenz auf der Ebene der Be-obachtung 2. Ordnung in entwickelten Kommunikationssystemeneingeführt (LUHMANN 1990: Kap.4). Zur Illustration:Wissenschaft arbeitet mit dem Code wahr / unwahr im MediumWahrheit, Justiz arbeitet mit dem Code recht / unrecht imMedium Recht, etc. Wenn Entwerfen ein selbstorganisierendesSystem wäre, das in der Lage ist, im Zuge seiner Ausdif-ferenzierung einen derartigen Code auszubilden: Was wäre indiesem Fall das Medium, was der Code des Entwerfens? DieHypothese: Das Medium ist die Objektwelt (Modellierung,Produktion, Distribution, Verbrauch), der Code ist Machen / Nicht-Machen. Das Objekt (als Sprachelement) entsteht in der Einheitder Differenz von Machen und Nicht-Machen. Kommunikation erzeugtForm (Aussagen / Objekte) in einem Medium (Sprache / Objektwelt). Machen istder Eintritt des Objektes in die Marktdynamik von Produktionund Konsumption. Machen entspricht in diesem Sinne derwissenschaftlichen Wahrheit, dem juristischen Recht.

Ist dieses Konstrukt plausibel? Es scheint kaum möglich, dasProdukt unabhängig von allen Prozeßkontexten zu behandeln. AmAnfang steht nicht das Problem, sondern der vorhandene

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System 365___________________________________________________________________________

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Lösungsraum, die existierenden Lösungen. Ein Problem wirddaraus erst in der zeitlichen Dynamik, wenn ein ökonomischerDruck zur Erneuerung entsteht. Die Lösung wird zum Problemumdefiniert, und Design als Servicedisziplin hat die Aufgabe,Alternativen zu produzieren (neue Relationen von Medium undForm), die in der Kommunikation als mehr oder weniger passendqualifiziert werden. Designlösungen passen, sie stimmen nicht,sind nicht wahr, sie sind nicht Lösungen im eigentlichen Sinn.Sie passen in einen temporären gesellschaftlichen Zustand, indem sie die Anschlußmöglichkeit der Produktkommunikationgewährleisten.

d) Der Zyklus der Produktkommunikation als autopoietisches SystemDas System wird konstituiert und erhalten durch den dauerhaftenFluß von Materie, Energie und Information mit der Funktion derBedürfnisbefriedigung und / oder Sinnerzeugung.Entwerfen im hier zur Debatte stehenden Sinne funktioniert nurund ist nur denkbar als Komponente und im Kontextgesellschaftlicher (Massen-) Kommunikationsprozesse. MaterielleKomponenten, Vorgänge mit Objekten, haben, wie verbaleKommunikation, wichtige Funktionen dabei. Die Aufrechterhaltungeiner konsistenten Organisation des Systems (Organismus,Gruppe, Unternehmen, Gesellschaft, etc.) in seinem jeweiligenMedium geschieht durch dynamische Stabilisierung materiellerArt (Schutz, Nahrung, ...), ökonomischer Art (Wohlstand,Lebensstandard, ...), sozialer Art (Identitäten,Wertvorstellungen, ...), emotionaler Art (Sinnproduktion,Balance von Wünschen / Ängsten, etc.). Der Abbruch des Flussesbedeutet das Ende des Systems.

e) Objekte als temporäre Eigenwerte im kommunikativen ProzeßDesign-Objekte sind kontingente Materialisierungen notwendigerkommunikativer Funktionen. Materielle Artefakte entstehen alstemporäre Information von Materie und Energie. Der Ge-brauchswert ist ein Aspekt, der Kommunikationswert ein anderer.Die Trennung ist oft unmöglich. Das Material fungiert häufigals weitgehend beliebiges Mittel zur Sinnerzeugung.

Zur Einübung der begrifflichen Distanzierung von dereingefahrenen Denkweise ist ein Gedankenexperiment hilfreich:Statt der Annahme von Dingen mit Kommunikationsfunktion die

366 4 Systemtheorie und Design__________________________________________________________________________________________

Sicht, daß Kommunikation sich verdinglicht. Dies nimmt dem Ding seinemassive Materialität und verweist es in seinen immateriellenprozeßhaft-kommunikativen Kontext. "Das handelnde Ding" wirdzur "dingenden Handlung" bzw. zur "dingenden Kommunikation"."Das Pferd galoppiert" wird zu "Der Galopp pferdet". Für uns,die wir in der indogermanischen Sprachtradition stehen, istdiese Umkehr schwer zu vollziehen, in einigen von uns als"primitiv" bezeichneten, Sprachen ist sie üblich (VON FOERSTER1985d). Das Ding hat nicht mehr die eine Funktion, sondernerfüllt unterschiedliche, wechselnde Rollen (als Mittel zumZweck, als Fetisch, als Symbol, als Partner, etc.), vgl. auchSCHOLZ (1989).

Materie Energie Information M . / E. / I.

neg. Entropie

Entropie

Austausch

kommunikative Flüsse

Emergenz

Grenze des globalen Systems

Abb. 4. 5: Grundannahme: Systemtheoretisches Schichtenmodell:Flüsse von Materie, Energie und Information ermöglichen System-bildung (Grenzbildung und Stabilisierung), dadurch Austauschzwischen Systemen (infolge struktureller Kopplung) und in derFolge Emergenzprozesse (Ordnungsbildung auf höheremKomplexitätsniveau und Wandel).

Dies führt wieder hin zur Frage: Hat der Prozeß Entwerfen einZiel? Wer definiert es? Ist der Prozeß steuerbar? Werentscheidet, welcher Sinn transportiert werden soll? Kann esein Ziel der wissenschaftlichen Behandlung von Entwerfen sein,Ziele von Entwurfstätigkeit zu postulieren? Das ist genau die

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System 367___________________________________________________________________________

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Gefahrenstelle, die unbeschadet zu passieren einigenReflexionsaufwand erfordert, um die Vermischung deskriptiverund präskriptiv-normativer Theorien zu vermeiden und an dersich die Frage nach der Wissenschaftlichkeit entscheidet.Sobald man hochgradig kontextsensitive Ziel wie Lebensqualitätoder auch Ästhetik zu differenzieren und zu konkretisierensucht, gerät man unausweichlich in Konflikt mit demtraditionellen Postulat der "Wertfreiheit" von Wissenschaft.Problemloser läßt sich fragen nach den Prozessdynamiken vonGeschichte, Technik / Technologie, Markt, Manipulation, etc.,nach Systembildungen in Mode, Stil, etc., nach Einflüssen aufandere Ebenen u.v.a.m. Es läßt sich aber kaum seriös nach derBewertung von Stilen, Ästhetiken, etc. fragen, ohne ganz"offensichtlich" mit ausgedehnten blinden Flecken operieren zumüssen.

4) Inhalt der Theoriea) SystemtypenDie Einteilung erfolgt unter Beachtung der LUHMANNschenUnterscheidung von Organismus, Bewußtsein und Kommunikation,erweitert um den Aspekt der Kommunikation mit Dingen:- Individuen als Einheit von Bewußtsein und Organismus. Eserscheint nicht zwingend erforderlich, wie LUHMANN dies tut,die beiden Konzepte weiter strikt getrennt zu halten. Es istzwar richtig, daß ein Mensch nur in den seltensten Fällen "mitHaut und Haaren" in einem Bewußtseinsprozeß bzw. einerKommunikation involviert ist, dennoch scheint mir die Funktiondes ganzen Organismus als notwendiges Trägersystem fürBewußtsein die Vereinfachung hier zu rechtfertigen. DieTrennung war zweifellos erforderlich zur Begründung vonBewußtsein als Emergenzphänomen auf der Basis eines Organismus.- Sachsysteme. Dies ist nicht weiter erläuterungsbedürftig.- Soziale Systeme unterschiedlicher Art (Gruppen, Teams,Unternehmen, etc.), definiert als Kommunikationssysteme.- Daraus konstituieren sich: Soziotechnische Systeme. In Anlehnungan ROPOHL (1979) sind diese definiert als Systeme desmenschlichen Kommunizierens und Handelns mit Artefakten bzw.,zur Angleichung der Terminologie, mit technischen Sachsystemen.

b) Ebenen soziotechnischer Systeme

368 4 Systemtheorie und Design__________________________________________________________________________________________

Jede der 5 Ebenen wird beschrieben durch spezifische Flüsse.Diese konstituieren die Subsysteme auf den jeweiligenAggregationsstufen. Es werden unterschieden:- Gesamtsystem (Gesellschaft, Sozialsystem, (Welt - ) Kultur),- Teilsysteme / Subsysteme (Wirtschaft, Wissenschaft, ... ,Entwerfen),- Makrogruppen (Unternehmen, Universitäten,Theorie-"Schulen", ... , Design, Konstruktion),- Mikrogruppen (Teams, ...),- Individuen (Bewußtsein, Kognition) und Organismen (Lebewesen).

c) Komponenten soziotechnischer SystemeDie übliche systemtheoretische Trennung zwischen relativstatischen Elementen, gekennzeichnet durch Attribute, undRelationen ist hier zu präzisieren.Elemente sind:- Speichergrößen beliebiger Art (Attribute entsprechend derAllgemeinen Modelltheorie). Sie kennzeichnen zu jedem Zeitpunktden Zustand des Systems.Relationen sind:- Flußgrößen (Beziehungen zwischen Speichergrößen): Aktivitäten,Zustandsänderungen, ...- Sonstige Beziehungsgrößen: Kausale Beziehungen, Einflüsse, etc.

5) Modellierung der TheorieEs ist möglich, Teile der Theorie in ein formales Modell der 4.und 5. semantischen Stufe (nach STACHOWIAK) umzusetzen.

ElementeDie unterschiedlichen Typen der "realen" Systeme (Individuen,Gruppen, etc.) in ihren Interaktionen mit den Dingen sind alsoin der unter 4) eingeführten Begrifflichkeit zu beschreiben.Auffallend, zunächst vielleicht irritierend, ist die Tatsache,daß keine der vorgesehenen Entitäten unmittelbar auf dieWirklichkeit zu passen scheint. Die Systeme bestehen ausgreifbaren, klar abgegrenzten Objekten, während die verfügbarenModellelemente primär die Veränderungen von Zuständen und Be-ziehungen beschreiben. Die "realen" Systeme sind also,entsprechend dem Zweck der Untersuchung, aufzulösen in einSchema sich wandelnder Zustandsgrößen und Relationen. Hilfreich

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System 369___________________________________________________________________________

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ist gerade hierbei wieder der "primitive" Blick: Nicht einstarres Objekt tut etwas oder ist etwas, verändert einenZustand A zu einem neuen Zustand B, sondern eine permanentaktive Prozeßdynamik manifestiert sich temporär in materiellenAusprägungen (Zustände zum Zeitpunkt t), die wir, entsprechendunserem Wahrnehmungsvermögen und unseren Intentionen, als Dingemit bestimmten Eigenschaften unterscheiden und benennen können.So ist etwa eine Gruppe nicht eine feste Struktur von Elementen/ Mitgliedern / Menschen, sondern eine Interaktionsdynamik,deren Zustände sich in Zeitintervallen dt ändern. Die Strukturfungiert als materielles Trägermedium. Dies gilt generell füralle Systemtypen. Die Konstitution der Systemhaftigkeit ist einKonstrukt, abhängig von der Intention des Beobachters. EinEntwurfsteam ist beschreibbar etwa über:- Mitgliederzahl,- Problemlösekapazität (Lösungen / Monat),- Problemlösekompetenz,- Autonomie bzgl. Entscheidungen,- Grad der Theoriedeterminiertheit / Marktdeterminiertheit,- etc.

Relationen Zum einen gibt es Relationen vermittelt über Flußgrößen mate-rieller, energetischer und informationeller Art. Hier ist zuunterscheiden zwischen materiellen und energetischen Größeneinerseits und informatorischen Größen andererseits. Dieersteren sind innerhalb eines Systems konservierend, d.h. siegehorchen den physikalischen Erhaltungssätzen für Materie undEnergie. Ihre Gesamtsumme bleibt zeitlich konstant. Dieletzteren, z.B. "Lebensqualität", unterliegen dieserRandbedingung nicht.

Daneben existieren Relationen rein informatorischer Art,unabhängig von Flüssen zwischen den so verbundenen Größen.Diese stellen logische und kausale Beziehungen her zwischen Zu-ständen und Flüssen unterschiedlicher Art. Beispielsweise istes auf diese Weise möglich, einen materiellen, eindeutigmeßbaren Fluß (Problemlösungen / Zeiteinheit) in Beziehung zusetzen zu einem immateriellen, allenfalls verbalquantifizierbaren Fluß (Zufriedenheit mit der Theoriesitua-tion). Näheres zur Systemmodellierung findet sich im Anhang.

370 4 Systemtheorie und Design__________________________________________________________________________________________

6) Gesamtcharakteristik des ModellsDas Original (die vom Modell abgebildete Wirklichkeit) wird alsein evolvierendes System aufgefaßt. Nach STACHOWIAK ist die Theorieein Modell der 1. bis 5. semantischen Stufe. Die Gesamttheoriereicht nur bis zur 3. Stufe, Teiltheorien sind auch auf der 4.und 5. Stufe beschreibbar (als formale bzw. Computermodelle).

7) Systemtechnische UmsetzungAnforderungen:a) Beliebige Größen als Modellelemente (quantitativ /qualitativ, gegenständlich / abstrakt).b) Möglichkeit zur Trennung von Wirklichkeitsstruktur undModellstruktur zur Überschreitung von Aggregationsstufen(Emergenz).c) Beliebige Verknüpfbarkeit der Elemente.d) Beziehungen konservierender Art (Materie / Energie /Information).e) Beziehungen nichtkonservierender Art (Information).

Daraus ergibt sich als eine Möglichkeit dersystemtechnischen Umsetzung die Verwendung von System Dynamics- Verfahren. Ein Problem besteht darin, daßSelbstorganisation / Emergenz nur aus dem Modellverhalten in-terpretierbar ist, z.B. über Bifurkationen, die auf Emergenzhindeuten.

Abb. 4.6 versucht eine schematische Gesamtdarstellung der 5Systemebenen. Die Abbildung stellt eine Parallele her zwischenden Emergenzphänomenen auf der individuellen Entwurfsebene(herkömmliche Theoriebildung) und denen auf der Ebene derAlltagskommunikationen ("Zeitgeist"). Das bedeutet zwar dieSchließung des selbstreferentiellen Zirkels des Machens; imHinblick auf die Theoriebildung ist dieser Aspekt jedochproblematisch, denn er erschwert die Selbstreflexion auf derdisziplinären Ebene. Dort ist Systembildung nur ansatzweise zubeobachten, tragfähige Theoriebildung deshalb kaum möglich.Heutige Theoriebildungsprozesse beruhen also primär auf dertrivialen Tatsache, daß das Individuum Designer gleichzeitigMitglied der Gesellschaft ist. Von dort kommen die kurzlebigen

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System 371___________________________________________________________________________

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"zeitgeistigen" Einflüsse, deren Fragwürdigkeit als Basis fürTheoriebildung durch den aktuellen Theorienverschleiß belegtwird.

Es wird recht bald deutlich, daß die Unterteilung in 5Ebenen immer noch sehr grob ist. ROPOHL (1979) arbeitetallerdings in seiner "Systemtheorie der Technik" zumeist nurmit 3 Ebenen. Das hier präsentierte Schema unterscheidet aufder Ebene 1 nicht zwischen nationalen / regionalen Gesell-schaften / Kulturen und der Weltgesellschaft. Es unterscheidetnicht zwischen Weltwirtschaft und nationalen oder regionalenWirtschaftsbereichen (Ebenen 1, 2). Es vernachlässigt die Ver-bindung von Unternehmen zu Unternehmensgruppen oder Branchensowie die Differenzierung von Wissenschaft in Disziplinen undUnterdisziplinen (Ebenen 2, 3). Auf der Ebene 3 haben wir eineMischung von materiellen ("realen") und immateriellen Systemen.Unterhalb der Ebene 5 sind weitere Ebenen (neuro-) biologischerArt denkbar.

Die Differenzierung kann jedoch nicht allgemeingültigvorgedacht werden, sondern muß für die spezifische Frage-stellung jeweils neu vorgenommen werden. Die Ebenen 1-3 sind,in der LUHMANNschen Terminologie, kommunikationsbestimmt, Ebene5 bewußtseinsbestimmt, Ebene 4 ist als eine ArtVermittlungsebene zwischen Kommunikation und Bewußtsein zu deu-ten.

Die entwurfsrelevanten Systeme / Subsysteme wirken ungewohntin der ansonsten recht anschaulich-intuitiven Gliederung.Entwerfen hat, etwa im Vergleich zu Wirtschaft oder Wissen-schaft, noch recht unklare Konturen. Wie ist es abzugrenzen?Was gehört außer Design und Konstruktion noch dazu? Es seideshalb daran erinnert: "System" bezeichnet nicht Elemente derRealität, sondern meint das formale Modell, mit dessen Hilfedie Gegenstände der Erkenntnis beschrieben (systematisiert)werden. Es besteht kein Anspruch auf Übertragbarkeit auf dieWirklichkeit etwa im Sinne eines Modells eines chemischen Pro-zesses. Es wird also kein Modell von Entwerfen präsentiert,sondern ein systemtheoretisches Modell von Entwurfstheorie. DieSystembeschreibung kann im Grunde nur metaphorisch sein. DieMetapher kann aber zumindest in Teilen so konstruiert sein, daßsie wie ein Modell funktionstüchtig ist. Das erhöht zwar nichtdie Wahrheitschance gegenüber solchen Modellen mit

372 4 Systemtheorie und Design__________________________________________________________________________________________

offensichtlichen Widersprüchen, es erhöht aber die Chance, zurKenntnis genommen und damit Ausgangspunkt weiterer Diskussionzu werden.

GESELLSCHAFT

Ebene der Subsysteme

WIRTSCHAFT (Subsystem)Organisation vonProduktion, Verteilung, Konsum

UNTERNEHMEN(Makroebene)

KUNST (Subsystem) WeitereSubsysteme

DESIGN(Makro- ebene)

Sprachräume

Lösungsräume Problemräumedynamisch, diskret

"ZEITGEIST"

materielle undnichtmaterielleProdukt-KOMMUNIKATIONEN /HANDLUNGEN

IND

INDIND

WISSENSCHAFT (Subsystem)

HOCHSCHULE(Makroebene)

IND : Individuum (Bewußtsein)EM : Emergenz (Entstehung qualitativ neuer systemischer Merkmale)

EM

EMKONSTRUKTION

Hauptzyklus der Produktkommunikation

Grenze des hypothetischen Subsystems "ENTWERFEN"

Einflüsse / Wechselwirkungen

IND

KULTURals Menge der

- technischen,- ästhetischen,- symbolischen,- kognitiven,- institutionellenArtefakte

(relativ dauerhaft und kontinuierlich)

Medium gesellschaftlicher KOMMUNIKATION IND IND

ENTWERFEN (Subsystem)

Abb. 4.6: Entwerfen im Systemzusammenhang.

Die Grenzen der systemtheoretischen Betrachtung liegen imAuflösungsvermögen. Es können Strukturen, typische Prozesse,modelliert und analysiert werden, jedoch keine zeitlich /räumlich eng begrenzten Phänomene, keine historischen

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System 373___________________________________________________________________________

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Einzelereignisse oder Objekte. Dies erfordert dieEinzelwissenschaften. Die Theorie soll im Wechselspiel mit derEmpirie präzisiert werden. Dies bedeutet: Die Empirie dient zurPräzisierung der Theorie. Die Theorie beeinflußt nicht dieEmpirie. Die Theorie ist deskriptiv. Die Schlußfolgerungen, dieunter Berufung auf die formale Theorie gezogen werden (Kap.4.2), gehören auf eine andere Ebene, denn sie sind in hohemMaße perspektivisch, interpretierend und wertend.

Der präsentierte Theorieentwurf besteht aus dem Modell einesdynamischen Mehrebenensystems des Entwerfens im sozialenKontext. Es umfaßt "Alles" und bietet damit den Rahmen fürinhaltliche Theorien. Teile des Modells sind formalisierbar unddamit im Sinne von Simulationsmodellen einsetzbar.

Systemebenen des Entwerfens

Auf der Grundlage der voranstehenden Überlegungen erscheint esgerechtfertigt, mit einem hypothetischen System Entwerfenweiterzuarbeiten.

Zur Definition der SystemebenenDie wesentliche Hierarchiedimension wird durch die notwendigenAggregationsstufen und die dort jeweils dominierendenInteraktionsmechanismen eines Systems konstituiert. ZurModellierung der umfangreichen Spanne zwischen Individuum undGesamtgesellschaft sind mindestens drei (ROPOHL 1979), besserfünf Aggregationsebenen erforderlich. Zwischen diesen Stufenfinden Emergenzphänomene statt, wie am Beispiel Bewußtsein undKommunikation (LUHMANN 1990) erläutert wurde. Das Modellimpliziert keine Reduktion von Sozialem auf Individuelles undumgekehrt. Das Schema unterscheidet 5 Ebenen, für die einekonsistente Begrifflichkeit zu entwickeln ist (Abb. 4.7):Ebene 1) Sozialsystem ((Welt - ) Kultur),Ebene 2) Teilsysteme (Wirtschaft, Wissenschaft, ... , Entwerfen),Entwerfen als gesellschaftliches Teilsystem ist dieproblematischste Ebene. Läßt sich Entwerfen überhaupt als

374 4 Systemtheorie und Design__________________________________________________________________________________________

System von seiner Umgebung abgrenzen und isolieren (wieWissenschaft, Kunst, Wirtschaft, etc.)? Wie konstituiert sichein solches System, wie funktioniert es? Wie verfügt dasSystem Entwerfen über seinen (hypothetischen) Code Machen /Nicht-Machen? Wie entstehen dabei Theorien? Wie ist dieStruktur der Verbindungen von Entwerfen und Gesellschaft? Ebene 3) Makrogruppen (Unternehmen, Universitäten,Theorie-"Schulen", ... , Design, Konstruktion) sind recht gutabgrenzbar. Ebene 4) Mikrogruppen (Teams, ...)Design-Teams sind Systeme dieser Ebene. ImProduktentwicklungsprozeß findet Kooperation mit anderenSystemen verschiedener Ebenen statt. Intersubjektivität imSinne bewußtseinsdeterminierter Kommunikation ist allenfallsvon dieser Ebene an abwärts von Bedeutung. Ein sy-stemtheoretischer Ansatz hierzu stammt von HOLT / RADCLIFFE(1991).Ebene 5) Individuen (Bewußtsein, Kognition) und Organismen(Lebewesen). Hier finden sich isolierbare, einzelne Design-Produzenten und Design-Nutzer. Der Design-Prozeß kann auf dieserEbene als kognitiver Prozeß der Problemlösung und Gestaltfin-dung beschrieben werden. Es gibt zahlreiche Theorien dazu.Ebenso wichtig sind die biologisch-neuronalen Prozesse, die De-terminiertheit des Individuums durch Phylogenese, Ontogenese,Biologie / Evolution. Mir ist unklar, ob es Sinn hat, sich aufdieser Ebene mit Entwerfen zu befassen.

Die internen zirkulären Regelmechanismen arbeiten aufverschiedenen, miteinander gekoppelten Zeitebenen (BOSSEL 1989),wobei das generelle Leitziel die Lebens- und Entfaltungsfä-higkeit des Systems ist. Dies konstituiert eine weitereHierarchiedimension. Abb. 4.8 versucht, dies zu illustrieren.Hier wird das Problem der stark unterschiedlichen zeitlichenGrößenordnungen deutlich. Der gesamte zeitliche Bereich vomProzeß bis zur Evolution scheint, wenn es etwa um lebende odersoziale Systeme geht, in einem System nicht sinnvollmodellierbar zu sein. Das "Weltmodell" Sim Earth (siehe Anhang)scheint dies auf den ersten Blick zu können; die Aggregation inden kurzzeitigen Vorgängen ist jedoch so stark, daß hier keinebrauchbaren Aussagen mehr entnommen werden können.

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System 375___________________________________________________________________________

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Elemente / Subsysteme

Individuen

Mikrogruppen

Makrogruppen

Teilsysteme

Gesamtsystem

Einzelbewußtseine: Nutzer, ..., Entwerfer

Intersubjektive operationale Zusammenhänge:Projektgruppen, ..., EntwurfsteamsZweckorientierte Funktionseinheiten: Unternehmen, Universitäten, ..., Design, Konstruktion, ...

Gesellschaftliche Subsysteme:Wirtschaft, Wissenschaft, ..., Entwerfen

Gesellschaft, Weltkultur, Kulturkreis

Sinnsystem

Bewußtsein

Bewußtsein /Kommunikation

Kommunikation

Kommunikation

Kommunikation

Abb. 4.7: Aggregationsebenen im Systemmodell.

Systemverhalten Reaktionszeit

Prozeß

Rückkopplung

Anpassung

Selbstorganisation

Evolution

Ursache - Wirkung

Rückkopplung

Parameteränderung

Strukturwandel

Zielfunktionswandel

sofort

kurz

mittel

lang

sehr lang

Abb. 4.8: Hierarchische Zeitebenen im Systemmodell (BOSSEL1989).Die beiden Hierarchiedimensionen (Zeit und Aggregation) sindnur theoretisch voneinander zu trennen, bzw. genauer: DieTennung ist künstlich und dient der Theoriebildung. Die Model-lierung sämtlicher Ebenen in einem einzigen Modell erscheintnicht realisierbar. Als sinnvoll und handhabbar innerhalb einesModellszenarios zeichnet sich (auch nach den im Anhang doku-mentierten Erfahrungen) ab:

376 4 Systemtheorie und Design__________________________________________________________________________________________

- Maximal zwei Aggregationsebenen. Das Problem besteht hierinsbesondere in der Modellierung der Emergenzphänomene.- Maximal drei Zeitebenen (Prozeß / Rückkopplung / Anpassung).Selbstorganisation und Evolution auf der Ebene sozialer Systemescheint mit den derzeit verfügbaren Kenntnissen (über dieSozialsysteme und über die Algorithmen) nichterfolgversprechend formal modellierbar. Dennoch ist dieBeschäftigung damit hilfreich im Hinblick auf Theoriebildung.

Zur ModellnutzungZentrale Ausgangspunkte sind der Produktions - Konsumptions - Zyklusals Prozeßrahmen und darin das zirkuläre Problem - Lösungs - Schemaals Mittel zur Herstellung temporärer Fixierungen / greifbarerMomente im Prozeß. Der Schlüssel zur Analyse komplexer Systemeliegt neben ihrer internen Struktur wesentlich in ihrerUmweltbedingtheit. Je nach Fragestellung sind die Parameter, dieZustandsgrößen und Flüsse sowie die internen und externenRelationen zu fixieren. Dies kann nicht allgemeingültiggeschehen. Die Arbeit mit dem Modell geschieht vorzugsweise mitjeweils einem Ebenenpaar ("Sandwich"). Dies erlaubt dieModellierung von Emergenz. Es folgt jeweils die Betrachtungeiner Ebene mit ihren Subsystemen. Die Ebene bestimmt denAggregationsgrad der Untersuchung. Die Subsysteme bestimmen dieArt der zu berücksichtigenden intern und extern determiniertenParameter, Zustandsgrößen, Flüsse, etc. Die Erläuterungen zuden einzelnen Ebenenpaaren zeigen exemplarisch mögliche Fra-gestellungen.

1) Ebene Gesellschaft - Subsystem EntwerfenSystem: Gesellschaft, bezogen auf einen Wirtschaftsraum, imExtremfall die Weltgesellschaft.Subsystem: EntwerfenEinflüsse: Wirtschaft (determinierend), Medien, Wissenschaft,Kunst, ...

Die Gesamtcharakteristik des gesellschaftlichen Klimas läßtsich beschreiben in Begriffspaaren wie schlecht - gut, Mangel -Fülle, Probleme - Funktionieren, etc. Ökonomisch ausgedrückt,in der Logik des permanenten Flusses von Produktion undKonsumption, sind die Negativbegriffe verbunden mit der Aufgabeder Bedarfsdeckung, die Positivbegriffe mit Bedarfsweckung als

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System 377___________________________________________________________________________

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Schaffung der Voraussetzung zur Aufrechterhaltung des Flusses.Das Problem Bedarf / Bedürfnisse ist ein grundsätzlichperspektivisches und nur wertend zu bearbeitendes. Eine mögli-che Einteilung ist die folgende:- Grundbedarf,- darüber hinausgehender Bedarf (Kommunikationswert),- derjenige Bedarf, der allein aus den Notwendigkeiten("Sachzwängen") der Wirtschaftsdynamik erzeugt wird. DieTrennung der beiden letzten Kategorien ist kaum möglich.Systemgrößen- Zustand der Welt: Bevölkerung, Nahrungsmittelproduktion,Industrieproduktion, Umweltverschmutzung, Ressourcen.- Verhältnis arbeitende / konsumierende Bevölkerung,Arbeitsproduktivität, Wachstum der Wirtschaft, Auslastung derWirtschaft, etc.- Materieller Lebensstandard: Nahrungsmittel pro Kopf,Dienstleistungen pro Kopf, mittlere Lebenserwartung,Verbrauchsgüter pro Kopf, etc.

378 4 Systemtheorie und Design__________________________________________________________________________________________

Gesellschaft

Entwerfen

EntwerfenWirtschaft

Design

Konstruktion

Design / Konstruktion

Teams

Teams

Ind.

Ebene der Bedarfsentstehung,Bedarfsplanung,Bedarfsformulierung,Bedarfsdeckung

hier ist neueTheoriebildungerforderlich !

Ebene der Gebrauchswertoptimierung,der Stilbildung / -differenzierung,Ebene der Dinge,Ebene der "Theorien"

Ebene der konkreten "Problemlösung",Ebene der Methoden

hier passiertüblicherweiseTheoriebildung

Ind.1

2

3

4dieseVerbindungist zulockern

diese Verbindungist zu stärken

Ebene der Planung der Bedarfsdeckung,der Transformation des Bedarfs in Dinge

Abb. 4.9: Ebenen des Entwerfens: Paare von Systemen undSubsystemen.

FragestellungenZiel von Entwerfen auf einer sehr generellen Ebene sollte essein, die Menschheit mit einem angemessenen Lebensstandard ineiniger Harmonie mit der Natur zu versorgen. Die zentrale Frageist also: Wie viele Menschen mit welchem Konsumptionsniveaukann der Planet realistischerweise aushalten? Bevölkerungszahl,Konsum und Umweltauswirkungen sind zusammenhängende Faktoren,die nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten.Umweltschutz erfordert also Bevölkerungskontrolle plusRegulierung der Überkonsumption. Als gravierenderes Problemerscheint die Regulierung der Überkonsumption. Zum Beispiel:Wie kann man einen wohlhabenden Europäer davon überzeugen, daßes zu seiner eigenen Lebensqualität beiträgt, einen Teil seines

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System 379___________________________________________________________________________

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Einkommens direkt in Investitionen für die "dritte" oder dieehemalige "zweite" Welt umzuleiten?

Das in Kap. 1 präsentierte Regelkreismodell von Design-Produktion-Konsum (SELLE 1973: 151, 152) stammt aus einer ganzanderen Zeit mit ganz anderen Problemlagen, gehört aber genauauf diese Ebene. SELLE betont die systemerhaltende Funktion derDynamik: "... das im Prozeß der Massenkommunikationhergestellte oder erhaltene verkürzte Bewußtsein wird zumbesonderen Stabilitätsfaktor." Dies ist eine (ideologischmotivierte) Vermutung, die durch tatsächliche dynamischeSimulation (siehe Beispiele im Anhang) zumindest auf derModellebene schnell widerlegt werden könnte. Was aber wichtigerist: Das spezifisch interpretierte Regelkreismodell paßtproblemlos in den hier entwickelten Theorierahmen.

Die erwähnten Beispiele bewegen sich auf der gleichen Ebene:Beispiel 1 (Emergenzverhalten, plötzlicher Wandel): Waspassiert in einer Gesellschaft beim Übergang von der Aufgabeder Bedarfsdeckung zur Aufgabe der Bedarfsweckung? Beispiel 2 (Attraktorverhalten, allmähliche Entwicklung): Wieist es möglich, in einer Gesellschaft den Übergang vonkurzlebigen zu langlebigen Konsumgütern zu fördern? DasBeispiel ist ein Beleg für die Plausibilität der Rede von Stil,Mode, Zeitgeist, etc. als temporäre Eigenwerte / Attraktoren indynamisch fluktuierenden Kommunikationssystemen.

2) Ebene Entwerfen - Subsysteme Design, KonstruktionEin System Entwerfen sollte eine Innenwelt besitzen, welche dieAußenwelt abschirmt und so die Entwicklung von Eigenidentitätermöglicht. Wenn es diese Innenwelt nicht gibt, dann reicht dieAußenwelt bis an den individuellen Designer bzw. das Teamheran, und es ist so gut wie unmöglich, disziplinäre Selbstbild- Alternativen zu denken.System: Entwerfen.Subsysteme: Design, Konstruktion u.a.Einflüsse: Unternehmen, Hochschulen, Standesorganisationen,Interessenverbände, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien,Kunst, ...Systemgrößen- Zustand von Gesellschaft ("entwickelt" / "nicht entwickelt")und Wirtschaft (Mangel / Fülle),.

380 4 Systemtheorie und Design__________________________________________________________________________________________

- Wertsystem einer Gesellschaft: Wachstum / Entwicklung,Quantität / Qualität, ...- Grad der Organisation / Autonomie der anderen Teilsysteme,etc.Fragestellungen- Wie entwickeln sich Einschätzung und Selbsteinschätzung vonDesign und Konstruktion im System Entwerfen in ihrerBeeinflussung durch das vorherrschende gesellschaftliche undökonomische Klima (z.B. Bedarfsdeckung / Bedarfsweckung)? - Welche Aufgaben werden dem System Entwerfen zugewiesen,welche stellt es sich selbst? Vgl. hierzu KOPPELMANN (1992),der Design als wichtiges Profilierungsinstrument für Unter-nehmen beschreibt. Dies bestätigt die hier vertretene These vomDesign als Antrieb im Produktions- Konsumptions-Zyklus.- Wie ist der Grad der Autonomie / Selbstorganisation derBereiche? Dazu Untersuchung der Mechanismen der Systembildungim Teilsystem Entwerfen, speziell die Vorgänge internerTheoriekonstruktionen (ein aktueller Fall: Produktsemantik),ihre Funktion für die Konstituierung als autonomes System unddie selbstreferentiellen Zirkel dabei.- Wie ist der Stand der Theoriebildung? Wie ist der Einfluß desgesellschaftlichen Klimas auf die Theoriebildung(Funktionalismus <---> Produktsemantik)?

3) Ebene Design, Konstruktion - Subsystem EntwurfsteamSystem: Design bzw. Konstruktion.Subsysteme: Entwurfsteams.Einflüsse: Unternehmen, Marketing, Design-Management, Medien, ...Systemgrößen- Zustand der Ökonomie,- kulturelles Wertsystem einer Gesellschaft,- technologischer Standard, etc.Fragestellungen- Wie geschieht die funktionale Optimierung /Methodikentwicklung in der Konstruktion?- Wie entstehen Konstruktionsideologien ("Wertfreiheit")?- Wie geschieht die Gebrauchs- undKommunikationswertoptimierung im Design?- Wie passieren Stilbildung, Theorie- und "Philosophie" -Entwicklung im Design?

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System 381___________________________________________________________________________

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- Wie autonom sind Design- / Konstruktions-Teams auf dieserEbene? Wie sind die Prozesse in Design und Konstruktionwechselseitig miteinander verbunden?- etc.

4) Ebene Entwurfsteam - Subsystem Designer / IndividuumSystem: Design- / Konstruktionsteam.Subsysteme: Individuen (Designer, die gleichzeitig Nutzer imGesamtsystem sind).Einflüsse: Individuelle kognitive Eigenarten der Problemlösung,Alltagskommunikation, Medien, Kunst, Methodiken,Unternehmensrichtlinien, etc.Systemgrößen- Kulturelles Klima einer Gesellschaft ("Zeitgeist"),- Arbeitsorganisatorische Festlegungen / Richtlinien,- Zustände von Gruppen (Organisationsformen),- Individuelle Denkstile, etc.

Hierhin gehört ein Großteil dessen, was zum ThemaEntwurfsmethodik (präskriptiv / normativ) bzw. Modelle deskognitiven Prozesses (deskriptiv) vorhanden ist. Vgl. zurÜbersicht CROSS / ROOZENBURG (1991). Dort findet sich auch einekleine, aber wichtige Feststellung zur Symmetrie von Problemund Lösung auf der kognitiven Ebene: "Die Problemdefinitionhängt oft von vorhandenen Lösungskonzepten ab".Fragestellungen- Gruppendynamische Prozesse, "Gruppenmatrix" (KROHN / KÜPPERS1990b),- Wechselwirkungen zwischen Individuen und Gruppen (HOLT /RADCLIFFE 1991),- Individuelle- und Gruppenstile,- Individuelle- und Gruppen-Theorien / "Philosophien", etc.

Zieldefinitionen und BeobachtungsebenenDie Problematik bei der Modellierung und Prognose von Dynamikim Systemmodell besteht in der unhandlichen Mischung vonzielorientiertem Handeln (Zweckrationalität) mit Selbstorga-nisation, Chaos, Emotionalität, Irrationalität, etc.Beherrschbarkeit setzt ein Verstehen der "Mechanismen" einesSystems voraus. Wenn nun gerade der Versuch, ein System zubeherrschen und zu steuern dazu führt, daß es sein Verhalten in

382 4 Systemtheorie und Design__________________________________________________________________________________________

einer nicht zu klärenden Weise ändert, dann ist dieVerstehensbasis, die sich auf den "Mechanismus" des Systems be-zieht, unbrauchbar geworden (KORNWACHS / VON LUCADOU 1984).Kybernetik allein hilft nicht mehr weiter. Die scheinbare"Diskrepanz von Wollen und Handeln" der Individuen in heutigenGesellschaften (SEIFRITZ 1987: 129f) deutet darauf hin, daß essinnvoll ist, Bewußtsein und Kommunikation im Sinne von LUHMANNals getrennte selbstorganisierende Systeme zu behandeln. DieReflexion der Begriffe aus konstruktivistischer Perspektivelegt darüber hinaus nahe, daß es sich um ein Problem der Beob-achtung handelt.

Die Überlegungen zur Abhängigkeit der Zieldefinitionen vonBeobachtungsstandpunkt (innen / außen), Beobachtungsebene (1,2, 3) und Systemsicht (kybernetisch / selbstorganisierend)sollen nun auf das Modell angewendet werden (Tab. 4.2).ZIEMKE / STÖBER (1992) sprechen von der ZweckbeziehungErkenntnissubjekt - System. Handlungsziele sind nur auf der 1. und 2.Beobachtungsebene angebbar. Die 1. Ebene funktioniertentsprechend den Zielen der 2. Ebene. Die 2. Ebene generiertZiele intern und operiert dann mit ihnen wie mit externenSollgrößen. Die dritte Ebene sieht Selbstorganisation mit demZiel des Systemerhalts. Jede weitere normative Aussage aufdieser Ebene ist Interpretation. "Der Preis für die Erfassungder Autonomie (Beobachtung 3. Ordnung) ist der Verlust jederunmittelbaren Kontrolle."

Gesellschaft

Subsystem Entwerfen

Unternehmen Gruppe Individuum

Beobachtung3.Ordnung(deskriptiv/ Theorie)Außensicht

Systemerhalt

Systemkonstitution / System-erhalt

Systemerhalt

Systemerhalt

Systemerhalt

4.1 Das Theoriemodell: Entwerfen als System 383___________________________________________________________________________

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Beobachtung2.Ordnung(normativ /Methode)Innensicht

"Fortschritt","Weltbilder", "Werte","Lösungsräume", etc.

"Technischer Fortschritt", "Lebensqualität", "Sinnproduktion", etc.

Umsatz-steigerung,Markt-vorteile,Profit,etc.

EffizientesProblemlösen, Koord. von individuel-len Bewußtsei-nen

Lebensunterhalt, Selbstverwirk-lichung, Karriere

Beobachtung1.Ordnung(Verhalten)Innensicht

Funktionierende soziale Prozesse

"Lösungen" für "Probleme" liefern

Produzieren, Wirtschaften,Umsatz machen

Funktionieren-des Gruppen-verhalten

Störungsfreies Arbei-ten, Handeln

Tabelle 4.2: Handlungsziele in Abhängigkeit vonBeobachtungsebene und Systemebene.

Die Arbeit mit dem Systemmodell geschieht zweckmäßigerweise inEbenenpaaren. Die Einbeziehung von Variablen (Attributen) aus 2Ebenen erlaubt die Modellierung von Emergenz und Strukturwandel.Qualitativ neues Systemverhalten zeigt sich durch Bifurkationenin den Parameterverläufen der höheren Ebene.

Fazit 4.1: Entwerfen ist als mehrstufiges dissipatives Systemder sozialen Kommunikation beschreibbar. Mit diesem Schema istes möglich, die wesentlichen Prozeßcharakteristika zu mo-dellieren (Flüsse, Zustände und Beziehungen quantitativer undqualitativer Größen, Attraktor- und Emergenzphänomene, etc.)Das Modell bietet einen Rahmen, der mit spezifischen Theorie-elementen zu gesellschaftlichen Theorien des Entwerfenskomplettiert werden kann.---> Sind speziell die gegenwärtig feststellbaren Veränderungenin Theorie und Praxis des Designs damit zu fassen? Lassen sichdarüber hinaus mit Hilfe des Theoriemodells Perspektiven fürdie disziplinäre Zukunft des Designs entwerfen?

384 4 Systemtheorie und Design__________________________________________________________________________________________

4.2 Die Praxis: Entwerfen auf dem Weg zum System?

Die bisherigen Überlegungen haben sich unbekümmert bezüglichdisziplinärer Grenzen in den Feldern klassischer Formal-(Systemtheorie), Real- (Neurophysiologie, Biologie, etc.) undHumanwissenschaften (Soziologie) bewegt und dabei Entwerfenhypothetisch in systemtheoretischen Begriffen beschrieben. Auchwenn dieser deskriptive Theorierahmen keinesfalls ausgearbeitet ist,will die Arbeit sich nicht an normativen Aussagen zur Praxisvorbeimogeln. Denn Design ist Handlungspraxis, und De-signtheorie ohne Praxisbezug hat kaum Aussicht auf Beachtungdurch Praktiker. Soweit, ihr deshalb im gleichen Atemzug dieDaseinsberechtigung abzusprechen, sie für "leer" zu erklären(MASER 1992a), sollte man nicht gehen, denn dies wärekurzsichtig. Es geht also um die praxisorientierte Synthese derbisher angestellten Überlegungen. Wir befinden uns damit wiedermitten im Gebiet der Wertungen.

Was sind die Rahmenbedingungen von Design-Handeln? DieDisziplin war und ist auch heute noch abhängiges Subsystem derWirtschaft. Das über Berufsverbände, Designinstitutionen undMedien verbreitete Selbstverständnis folgt weitgehend denökonomischen Leitbegriffen der Moderne: Markt / Wettbewerb /Expansion / Fortschritt. Diese Zielformulierung hat sich jahr-zehntelang an der Außendifferenz Markt / Planung bzw.Kapitalismus / Sozialismus orientiert und stabilisiert. Dieseist weggefallen, und nur sehr allmählich wird bewußt, daß auchdie bis dahin gültigen politisch-ideologischen Weltbilder einerumfassenden Revision unterzogen werden müssen, wenn die altenWertsysteme die angemessene Ortsbestimmung nicht länger erlau-ben. Es ist auch für das Design an der Zeit, die innere Strukturdes verbleibenden Systems genauer anzuschauen und durchAlternativenbildung zu differenzieren, anstatt der Versuchung zuerliegen, den Sieg des Kapitalismus als Ziel der historischenEntwicklung anzusehen, nach dem nichts wirklich Neues undBesseres mehr möglich ist (FUKUYAMA 1992).

Das Folgende konzentriert sich zunächst auf diephysikalischen Gegebenheiten und gelangt von dort zurück zu denzu verändernden Denk- und Kommunikationsmustern auf indi-vidueller und disziplinärer Ebene. Es ist eine mögliche

4.2 Die Praxis: Entwerfen auf dem Weg zum System? 385___________________________________________________________________________

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Interpretation des Theorierahmens und liefert damit, im Sinnevon SELLE (1973), eine den heutigen Bedingungen angepaßtegesellschaftliche Theorie des Entwerfens.

Veränderte Randbedingungen

Die Formulierung ist unpräzise, denn weniger die natürlichenRandbedingungen haben sich geändert, sondern vielmehr dasVerhältnis menschlicher Aktivitäten zu ihnen. Die Randbedingun-gen werden konstituiert durch das globale System Erde mitseinen (internen) Material- und (internen und externen)Energieflüssen und seiner Fähigkeit zur Selbstregulierungdieser Prozesse. Menschliche Aktivitäten erzeugen zusätzliche(künstliche) Flüsse: Materie wird aus Quellen (Rohstofflagern)unter Verwendung von Energie zu Senken (Abfalllagern)transportiert. Dazwischen gibt es - räumlich und zeitlichbegrenzt - Regionen höherer Ordnung. Diese Aktivitäten erzeugenper saldo unablässig Entropie, d.h. nicht mehr nutzbare Formenvon Energie (thermodynamisch: Abwärme, informationstheoretisch:Unordnung). Der einzige Zufluß an negativer Entropie (nutzbarerEnergie) in das System Erde hinein besteht in der Son-neneinstrahlung. BREUER (1992: 129) formuliert dies sehrdrastisch: "Der kapitalistische Wirtschaftsprozeß sucht überalldie Inseln freier Energie auf und trägt sie ab; er spürtzugleich die von der Naturgeschichte an bestimmten Stellenkonzentrierten Rohstoffe auf und verarbeitet sie. Materie undEnergie verschwinden dabei nicht einfach, wie der Begriff derVerlustwirtschaft suggeriert. Wohl aber werden sie aus einerfür den Menschen verfügbaren Form in eine zunehmend wenigerverfügbare Form verwandelt. Energie geht aus dem Zustandniedriger oder negativer Entropie in den Zustand hoher Entropieüber und endet schließlich als Niedertemperaturwärme, die keineArbeit mehr leisten kann. Materie geht aus dem Zustand derUngleichverteilung in den der gleichmäßigen Durchmischung über,der nach physikalischen Begriffen mit Unordnung oder Chaosgleichzusetzen ist. Um in dieses Chaos wieder Ordnung zubringen, sind wachsende Beträge an freier Energie erforderlich,was wiederum den entropischen Prozeß beschleunigt." BREUER

386 4 Systemtheorie und Design__________________________________________________________________________________________

verweist in diesem Zusammenhang auf das "Grundgesetz vomNiedergang" von SCHÜTZE (1989) und auf LÉVI-STRAUSS (1970:366f), der den Wechsel von der Anthropologie zu einer"Entropologie" propagiert. Darunter ist ein Prozeß derDesintegration zu verstehen, die menschliche Zerstörung einerursprünglichen strukturellen Ordnung. Das metaphorischePotential des aus der Thermodynamik stammenden Entropiebegriffswird deutlich, wenn man sieht, daß er - je nach Perspektivebzw. Grundstimmung - ganz gegensätzliche Interpretationen undFolgerungen erlaubt. KAFKA (1989) formuliert, als direkteReaktion auf SCHÜTZEs "Grundgesetz vom Niedergang" (1989), das"Grundgesetz vom Aufstieg" und beruft sich dabei gleichermaßenauf den Entropiebegriff: Der Zufluß freier Energie von derSonne ist, im menschlichen Maßstab betrachtet, so ergiebig unddauerhaft ("ewig"), daß, ungeachtet der Knappheit herkömmlicherRessourcen, nahezu unbegrenzt weitere lokale Entropieabnahme /Ordnungsbildung / Entwicklung möglich ist. Sein optimistischesSchlagwort ist die "Entwicklung zur Solargesellschaft". ImSinne der "Heuristik der Furcht" (Hans JONAS 1984) erscheintdie Betonung der pessimistischen Variante bei derInterpretation der Entropieentwicklung zunächst angemessener.Konkret bedeutet dies für die natürlichen Prozesse:- Die Bestände nicht regenerierbarer Rohstoffe nehmen ab, derEnergieaufwand zur Förderung dieser Rohstoffe steigt wegenihrer schwereren Zugänglichkeit.- Die Belastung der Böden zur Erzeugung regenerierbarerRohstoffe (z.B. Nahrung) steigt. Der Energieaufwand zurErzeugung dieser Rohstoffe steigt.- Die Ausbeutungsrate ist oft höher als die Regenerierungsrate(z.B. beim Fischfang). - Die Selbstreinigungskapazitäten der natürlichen Kreisläufereichen nicht mehr aus. - Im Extremfall werden natürliche Prozesse (zumindest fürmenschliche Zeitdimensionen) irreparabel geschädigt. MEADOWS(1992) bezeichnet dies als Erosion. Wenn dieser Punkt erreichtist, dann ist es tatsächlich angebracht, von einer Verengungder natürlichen Randbedingungen zu sprechen.

Also genauer: Die natürlichen Randbedingungen werden, alsFolge unserer Annäherung, sichtbar und spürbar. Wir stoßen mitunseren Aktivitäten an die immer schon bestehenden Be-

4.2 Die Praxis: Entwerfen auf dem Weg zum System? 387___________________________________________________________________________

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grenzungen. Die Denk- und Handlungsmuster in unseren Köpfensind den Bedingungen plötzlich nicht mehr angemessen. Unsereinternen Muster sind selbstverständlich nicht statisch, aberdie natürliche Geschwindigkeit ihrer Anpassung hält mit denexternen Erfordernissen nicht mehr Schritt. Es wirdunvermeidlich, intensiv darüber nachzudenken, welche Hand-lungsmaximen und Werte erforderlich sind, d.h. auch aktiv anzu-streben sind, um diesen Bedingungen zu genügen. GlobaleVeränderungen dieser Größenordnung sind nicht neu, neu istjedoch die Plötzlichkeit ihres Auftretens. Das stetige Wachstumder Erdbevölkerung führte zu zwei grundlegenden Umwälzungen,der landwirtschaftlichen Revolution der Jungsteinzeit vor etwa8000 Jahren, sowie der industriellen Revolution, die vor etwa200 Jahren begann. In beiden Fällen war es möglich, dieWirtschaftsweise so zu verändern, daß die entstandenenBegrenzungen in einem allmählichen Prozeß durch neue Technikenund neue Sozialstrukturen überwunden oder hinausgeschobenwerden konnten, ohne dabei bereits merklich in den Bereich derfixen globalen Randbedingungen zu geraten. Vermutlich ist esaufgrund der langen Zeiträume, in denen die Übergängestattfanden - insbesondere im ersten Fall -, auch gar nichtangemessen, von bewußten Veränderungen zu sprechen. Eher war esdie Aggregation von unkoordinierten Einzelaktivitäten, dieschließlich zur Emergenz eines grundlegend neuen Systemsführte. Für die heute anstehenden Umbrüche scheint dagegenplanvolles Handeln - im Bewußtsein der Grenzen von Planbarkeit- zwingend erforderlich zu sein.

Auch wenn Zweifel aufkommen: Wir handeln derzeit nochweitestgehend in den zweckrationalen Wertvorstellungen derIndustriellen Revolution:- Technischer Fortschritt ist gesellschaftlicher Fortschritt,- wirtschaftliches Wachstum schafft Wohlstand für Alle,- die selbstregelnde Maschine "Technologie und Markt", vonaußen (von wem?) eingestellt auf den Zielwert "MORE" (JostKRIPPENDORF 1992), wird auch diese Krise überwinden.

Seit Beginn der Industriellen Revolution vor 200 Jahren istexponentielles Wachstum eins der wichtigsten Charakteristikamenschlicher Aktivitäten; es wurde zunächst allgemein begrüßt.Exponentielles Wachstum entsteht, wenn eine wachsende Größe

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sich selbst ungestört reproduziert. Diese Möglichkeit enthaltenpotentiell die Größen Bevölkerung und Industriekapital. Voraussetzungeines derartigen Verhaltens ist der Mechanismus der positivenRückkopplung. MEADOWS sieht hier die strukturellen Ursachen derGrenzüberziehung mit folgendem Kollaps. Exponentielles Wachstumentsteht zum anderen, wenn eine Größe durch eine andere, sichselbst reproduzierende Größe, zum Wachstum angetrieben wird. Diesgilt für die Nahrungsmittelproduktion, den Rohstoffverbrauch und dieUmweltbelastung. Im Unterschied zu den beiden PrimärgrößenBevölkerung und Industriekapital besteht hier strukturell keineFähigkeit zur Selbstreproduktion.

Unser Denken scheint gespalten. Unser handlungsleitendesDenken entspricht den oben genannten Kategorien, unserreflektierendes Denken sieht mehr und mehr die Grenzen: - Wachstum hat die Probleme bisher nicht gelöst,- Wachstum ist nicht aufrecht zu erhalten,- stetiges Wachstum bewirkt exponentiellen Anstieg derentsprechenden Größe,- die Folge exponentiellen Anstiegs ist die Verdopplung derGröße in konstanten Zeitintervallen,- die Natur kennt kein stetiges Wachstum, - exponentielle Verläufe führen zum Kollaps.

Ein verbreitetes Erklärungsmuster für Krisen - auch rechtgut zur Beruhigung geeignet - ist das Schema der KONDRATIEFF-Zyklen (BÜHL 1987), wonach wir heute am Beginn eines neuenAufschwungs stehen, der gekennzeichnet ist durch die Expansionder wirtschaftlichen Nutzung einer neuen Basistechnologie.Dieses Muster ist exakt auf die oben beschriebenen Bedingungendes Industriezeitalters abgestimmt, seine Extrapolation igno-riert die spürbar werdenden Grenzen der Expansion.

Die Menschen mit ihrer Vorliebe für einfacheErklärungsmuster neigen dazu, die Geschehnisse eindeutig nach"wahr" oder "falsch", "gut" oder "schlecht" einzustufen undwünschen, daß solche Bewertungen für alle Zeiten gültigbleiben. Über Generationen waren Bevölkerungs- undWirtschaftswachstum in der Tat "gut"; auf einem nur schwachbevölkerten Planeten mit unendlich erscheinenden Rohstoffquel-len gab es überzeugende Gründe für diese Sicht. Die Reaktionkann nun allerdings nicht darin bestehen, materielles Wachstumgenerell zu verdammen. MEADOWS (1992: 66): "Aber unsere Verant-

4.2 Die Praxis: Entwerfen auf dem Weg zum System? 389___________________________________________________________________________

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wortung angesichts der ökologischen Begrenzungen erfordert einesubtilere Denkweise und viel sorgfältigere Bewertungen.Millionen Menschen in verzweifelter Lage brauchen dringlichstzu essen, Unterkünfte und ein Minimum an materiellen Gütern.Doch manche versuchen, auf ganz andere Art verzweifelt, ihrenicht-materiellen Bedürfnisse zu befriedigen: Sie ringen umAkzeptanz, Selbstachtung, Gemeinschaft und Identität und benut-zen dazu das materielle Wachstum." Es führt aber nicht weiter(ergibt keinen Sinn = keine operationale Anschlußfähigkeit),angesichts rapiden Wachstums in einer begrenzten Umwelt jetzteinfach das Wachstum rundweg abzulehnen oder aber zu verherrli-chen. Man muß es hinterfragen: Was soll wachsen, was nicht? Fürwen? Wie lange? Zu welchen Kosten? Wer kommt für sie auf? Wasbenötigen wir wirklich? Und welches ist der wirksamste Weg, denBedürftigen zu helfen?

Die bisherige Argumentation erscheint konsensfähig. Wenn nunzur Plausibilisierung der weiteren Schritte auf Szenarienzurückgegriffen wird, die auf den System Dynamics-"Weltmodellen" des Club of Rome (MEADOWS 1992) basieren, dannwird es unvermeidlich zu emotions- und ideologiegeladenenGegenreaktionen kommen. Der Begründungszwang, wenn es um Kritikam Wachstumsdenken geht, liegt derzeit immer noch auf Seitender Kritiker. BÜHL (1984: 158) spricht leicht besserwisserischvon "Weltuntergangsszenarien", die typisch seien für die End-phase einer KONDRATIEFF-Welle. Es ist in der Tat nicht schwer,die angesichts der Komplexität des Problems geradezu lächerlicheinfachen Modelle zu kritisieren, aber es ist nicht so einfach,dies konstruktiv zu tun, d.h. eine positive Alternative (zu denModellen) anzugeben. MEADOWS (1992: 199) bemerkt dazu treffend,hier gerate man in den Bereich "kultureller Glaubensin-halte. ... Jeder Hinweis auf Probleme und Grenzen auch in denBereichen der Technologie und der Marktkräfte stempelt uns inden Augen mancher Menschen zu Feinden der Technik oder derMarktwirtschaft."

Dies ist unvermeidlich, denn es wird spekulativ, wenn es umzukünftige Möglichkeiten geht. Aber die Modelle sind einfachund transparent, sie berücksichtigen die wesentlichen Wechsel-beziehungen, und sie basieren auf umfangreichem empirischenMaterial. Das zugrundeliegende Vorverständnis ist explizit

390 4 Systemtheorie und Design__________________________________________________________________________________________

angegeben, und die daraus resultierenden Konsequenzen sindanhand der Modellstruktur nachvollziehbar. Die Kritik richtetsich zumeist gegen eben diese notwendigerweise starkenVereinfachungen. Übersehen wird dabei, daß bei allen anderenPrognosen und Spekulationen ungleich mehr nicht-explizierteVorverständnisse eingehen. Sie reichen von der Annahme einergenerellen Zyklizität der Geschichte bis hin zum unausgespro-chenen Verbot, die Marktwirtschaft in Frage zu stellen. Vorallem wird bei diesen Verbalmodellen übersehen, daß diekomplexe Verknüpfung bereits sehr weniger Elemente zu extremkontraintuitivem, d.h. aufgrund des "gesunden Men-schenverstandes" so nicht erwartetem Systemverhalten führt.D.h. die Vorverständnisse sind vage und implizit, die Konse-quenzen sind nicht nachvollziehbar und das Ganze wird damiterst recht zur Glaubenssache. Soviel zu den Weltmodellen. Daßsie in der Version von 1992 dieselbe Softwarebasis (Stella II)verwenden wie die Beispielrechnungen im Anhang, sei nur amRande erwähnt.

Es folgt eine kurze Darstellung der MEADOWSschenÜberlegungen anhand von 4 Szenarien. Das erste ignoriert dievielfach bereits überzogenen Grenzen und folgt derHeilserwartung, daß Technologie und Markt auch diese Kriseüberwinden werden. Es lohnt sich kaum, dies weiter zukommentieren.Die postmoderne Rede von der nachindustriellenGesellschaft übersieht sehr gerne, daß gerade eineDienstleistungsgesellschaft westlicher Art nur auf der Basiseiner höchstentwickelten Industrie und Landwirtschaft denkbarist. Es ist richtig, daß der Verbrauch an Energie und einigenwenigen "traditionellen" Rohstoffen (Eisen/Stahl, Zement,Papier, etc.) in den hochindustrialisierten Ländern einen ge-wissen Sättigungsgrad auf höchstem Niveau erreicht hat; derVerbrauch zahlreicher anderer, meist viel knapperer Rohstoffeist auch hier weiter steigend. Die Art, wie in derartigenArgumentationen die eigenen Lebensbedingungen in den westlichenMetropolen zum Maßstab des Denkens gemacht werden, erscheintzynisch bis obszön. Vermutlich ist es dies aber gar nicht, son-dern zeigt vielmehr nur einen Mangel an Reflexion oder gar eineimmanente Sichtbehinderung. Tatsache ist: Für die meistenErdbewohner fehlt es weiterhin an Material und Energie für dieexistenzielle Grundversorgung.

4.2 Die Praxis: Entwerfen auf dem Weg zum System? 391___________________________________________________________________________

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Abb. 4.10a: Szenario 1: "GRENZENLOS" (MEADOWS 1992: 154).

Das zweite Szenario folgt der Devise des "Weiter so", nunallerdings unter Berücksichtigung der begrenzten Ressourcen. Eskommt zu einem Kollaps in naher Zukunft. Die Schlußfolgerung:Ein evolutionärer Prozeß ohne grundlegenden Wandel erscheintwenig aussichtsreich.

Abb. 4.10b: Szenario 2: "STANDARD" (MEADOWS 1992: 166).

Das dritte Szenario intensiviert die technischen Anstrengungenzur Überwindung der Krise. Der Kollaps ist zwar schon wenigerdramatisch, aber technologische Intelligenz allein reicht nicht

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aus. Technologie und Märkte verhindern Grenzüberziehung nicht.Das Fazit lautet also: Die bewußte gesellschaftliche Entscheidungzur Begrenzung des Wachstums ist erforderlich. Begrenzung ist einBegriff, der unserem traditionellen Wertsystem sehr fremd ist.

Abb. 4.10c: Szenario 3: "INTELLIGENZ" (MEADOWS 1992: 212).

Das vierte Szenario simuliert deshalb zusätzlich einenWertewandel, der sich ausdrückt in Form einer freiwilligenBeschränkung der Geburtenrate (in der "dritten" Welt) und einerfreiwilligen Beschränkung des materiellen Lebensstandards (inder "ersten" Welt). Erst damit (im Szenario!) ist ein relativunkritischer Übergang zu einer nachhaltigen Gesellschaft (s.u.)wahrscheinlich.

4.2 Die Praxis: Entwerfen auf dem Weg zum System? 393___________________________________________________________________________

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Abb. 4.10d: Szenario 4: "WEISHEIT" (MEADOWS 1992: 243).

Wie ist diese gar nicht esoterische, sondern ganz und garpragmatische, weltorientierte Form von Weisheit zu fördern?Hilft hier das vielstrapazierte Wort von der Informations-gesellschaft? Vielleicht dann, wenn Information nicht dieQuantität der verfügbaren Kommunikationsmittel oder derInformationsmenge meint, sondern die Inhalte von Kommunikation,die Vermittlung von Wissen über die Welt und mögliche Entwick-lungen. Informationsgesellschaft ist anzustreben, wenn die In-halte von Kommunikation zum gesellschaftlichen Wandelbeitragen, Übergänge zur Nachhaltigkeit unterstützen. MEADOWS(1992: 251): "Das kollektive Bewußtsein wird gegenwärtiggeprägt von der Erfahrung der Armut einerseits und des raschenmateriellen Wachstums andererseits sowie den unablässigenBemühungen, Wachstum aufrechtzuerhalten, koste es, was eswolle. Diese Wachstumsklischees in den Denkvorstellungen dermeisten Menschen müssen erst einmal überwunden werden, bevorsich Vorstellungen über eine nachhaltige Gesellschaft entwic-keln können." Dazu ist Wissen, verarbeitete, angeeigneteInformation erforderlich. Wichtig ist z.B. die begrifflicheUnterscheidung von Wachstum (quantitative, materielle Zunahme)und Entwicklung (qualitative Zunahme, Anpassung von Strukturen).Man sollte sich vergegenwärtigen, daß das natürliche globaleSystem sich ohne dauerhaftes Wachstum entwickelt. Daskünstliche System der Wirtschaft als Subsystem muß ebenfallsdahin kommen. Es gibt zwar materielle Grenzen des Wachstums, aberes gibt keine Grenzen der Entwicklung. Die zu vermittelnden Regelnsind sehr einfach:- sich regenerierenden Quellen nicht mehr entnehmen, als sichgleichzeitig regeneriert,- sich nicht regenerierenden Quellen nicht mehr entnehmen, alsgleichzeitig an sich regenerierenden Quellen neu geschaffenwird,- Schadstoffemissionen dürfen nur so hoch sein, daß dernatürliche Abbau gewährleistet ist.

Alle drei Regeln, deren Einhaltung dem entspricht, wasMEADOWS (1992: 250, 251) als Nachhaltigkeit bezeichnet, werdenderzeit verletzt: "Eine Gesellschaft ist dann nachhaltig, wenn

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sie so strukturiert ist und sich so verhält, daß sie über alleGenerationen existenzfähig bleibt. ... Sie ist so weitsichtig,so wandlungsfähig und so weise, daß sie ihre eigenenmateriellen und sozialen Existenzgrundlagen nicht unterminiert.... Im Sinne der Systemforschung ist eine Gesellschaftnachhaltig, wenn sie ausreichende Informations-, Sozial- undVerwaltungsstrukturen besitzt, die in der Lage sind, diepositiven Rückkopplungen für exponentielles Bevölkerungs- undWirtschaftswachstum so zu kontrollieren, daß die Fertilitätetwa gleich der Mortalität ist und die Investitionsraten etwaden Raten der Kapitalabnutzung entsprechen."

Dies klingt sehr einfach. Es bedeutet auch, daßNachhaltigkeit und Wachstum sich nicht ausschließen müssen.Wachstum an bestimmten Stellen kann Mittel für bestimmte Zweckezur Verfügung stellen, es darf aber nicht zum unerschütter-lichen Auftrag werden. Es geht nicht um die Festschreibungeines status quo, sondern um den Ausgleich nicht tolerierbarerUnterschiede. Nachhaltigkeit ist nicht statisch, sondernstationär. Sie bringt, so MEADOWS, mehr Freiheit, Wandel,Evolution als es sie heute in einer Gesellschaft gibt, die sichweiterhin mit aller Kraft gegen ihre Grenzen stemmt.

Welche Möglichkeiten gibt es, auf die Signale derÜberbeanspruchung zu reagieren? Da ist zunächst das Ignorierenund Weitermachen in der bisherigen Dynamik, dann der verstärkteKampf gegen die Symptome mit technologischen und ökonomischenMitteln, schließlich die Einsicht in die Unlenkbarkeit dergegenwärtigen Dynamik. Die letzte Variante impliziert dieUmstrukturierung des Systems. Evolutionärer Strukturwandelerfordert die Veränderung der Informationsketten /Kommunikationsweisen / Spielregeln innerhalb eines Systems, dieVeränderung von Zielvorstellungen und Werten. Umstrukturierung desSystems bedeutet den Übergang von der funktionalenAusdifferenzierung der Moderne, die zur fast unbegrenztenEffizienzsteigerung der Teilsysteme unter Vernachlässigung desGanzen geführt hat, hin zu einer differenzierten Re-Integrationunter Beibehaltung der Teilsystemautonomie, aber mitEntwicklung von Steuerungsinstrumentarien im Interesse desGesamtsystems.

4.2 Die Praxis: Entwerfen auf dem Weg zum System? 395___________________________________________________________________________

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Für die Disziplin Design bedeutet dies eine zweifacheAnstrengung: Erstens das Nachholen der Systembildung, zweitensdas Einbringen der eigenen Kraft als Disziplin in die sich ent-wikkelnden intersystemischen Diskurse. Dies muß mit einerumfassenden Änderung des Selbst-Verständnisses von Design als(Mit-) Gestalter von Welt verbunden sein. Dazu gehören:- das Vor-Denken möglicher Welten anstelle der Lösungvorgegebener Probleme,- die Entwicklung einer eigenen Systemrationalität zurAbgrenzung und Bezeichnung des eigenen disziplinären Tuns,- die Annäherung an wissenschaftliche und gestaltendePartnerdisziplinen (auch als Gegengewicht zur Wirtschaft) alsVoraussetzung für die kompetente Teilnahme am Diskurs.

Vermutlich ist es hier zum erstenmal angebracht, den imDesign so strapazierten Begriff des Paradigmenwechsels zubenutzen, den BÜRDEK (1991a) etwa auf den Wechsel vom Funktio-nalismus zur Produktsemantik anwendet. Design ist zwar keineWissenschaft, aber die KUHNsche (1976: 116) Definition,Paradigmen seien "die Quelle aller Methoden, Problemgebiete undLösungsnormen, die von einer reifen wissenschaftlichenGemeinschaft zu irgendeinem Zeitpunkt anerkannt werden", ergibtdurchaus Sinn. Ersetzt man "reife wissenschaftliche Gemein-schaft" durch "reife disziplinäre Gemeinschaft", dann steht dieDisziplin Design tatsächlich vor einem Paradigmenwechsel, derdie Gesamtheit ihrer Methoden, Problemgebiete und Lösungsnormenbetrifft (auch wenn sie selbst dies noch nicht merkt). DasScheitern der normalen Problemlösungstätigkeit hat zur Krisegeführt, die Krise liefert die notwendigen Voraussetzungen fürdas Auftauchen (im Sinne eines Emergenzvorgangs) neuer Praxisund neuer Theorien.

Globaler Strukturwandel in Richtung Nachhaltigkeit ist erforderlich.Dazu bedarf es technisch-wissenschaftlicher Anstrengungen undveränderter Zielvorstellungen und Werte.Design muß auf die Teilnahme an dieser gesellschaftlichen Aufgabevorbereitet werden. Dies betrifft die Dinge, die Menschen unddie Disziplin (Praxis, Theorie, Ausbildung).

396 4 Systemtheorie und Design__________________________________________________________________________________________

Ändern sich die Artefakte?

Kann der Wandel auf der Ebene der Dinge vorangetrieben werden,dort, wo Designer zweifellos kompetent sind? Gibt esGestaltungsmaximen?

Ökologische GestaltungDieses Schlagwort fällt dazu heute meist als erstes. Entwerfenals konzeptionelle Mitarbeit bei der Veränderung der Welt hatimmer schon mit schwerwiegenden Eingriffen in natürliche Pro-zesse zu tun. Vielen Kulturen, die wir gerne als "primitiv"bezeichnen, ist diese Einsicht selbstverständlich. Weil diesauch uns deutlicher wird, scheint offenbar ein Begriff nötig zusein, der das Phänomen auf bestimmte Aktivitäten eingrenzbarund so handhabbar machen soll. Aber diese Eingrenzbarkeit istnur eine Wunschvorstellung. Konsequenterweise sollte mandeshalb auf das Schlagwort Ökologie ganz verzichten,insbesondere wenn deutlich wird, daß es entweder als lästigeRandbedingung oder als marktförderndes Stilmittel gemeint ist.Die üblichen Handlungsanleitungen sind bekannt:- Langlebigkeit,- Reparaturfreundlichkeit,- Demontierbarkeit,- Separierbarkeit der Materialien,- Wiederverwendbarkeit ( Reparatur),- Wiederverwertbarkeit (Recycling), u.v.a.m.

Man gerät auf der Ebene der Artefakte unvermittelt in denBereich der Wertaussagen ästhetischer Art, Aussagen überStilfragen, über "schön" und "nicht schön". Ist das auf dem Ab-straktionsniveau dieser Arbeit überhaupt möglich? Vermutlichnicht. Einerseits ist einem bewußt, daß ästhetische Urteile un-vermeidlich bestimmt sind durch persönliche Vorverständnisse(man nennt dies Geschmack), andererseits ist da immer noch das(in bestimmten Kreisen) offenbar tiefsitzende kulturelle Vor-verständnis bzw. Mißverständnis, der Anspruch, objektiveAussagen etwa zum ästhetischen Wert des Funktionalismus machenzu können. Ist das die vernünftige und zugleich ästhetischoptimale Gestaltung?

4.2 Die Praxis: Entwerfen auf dem Weg zum System? 397___________________________________________________________________________

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Funktionalismus?Ist die damit verknüpfte Orientierung an der "Ingenieurästhetik" eingangbarer Weg? Zunächst - vor der näheren Erörterung - einBildbeispiel aus der Technik. Schiffe wirken (oder ist diesvielleicht mein ganz privater blinder Fleck?) zu keiner Zeithäßlich, meistens sogar ausgesprochen schön; es gibt keinVeralten im Sinne von aus-der-Mode-kommen. Schiffe werden erstin dem Moment anfällig für ästhetisches Veralten, wenn nebenden Ingenieuren Designer am Entwurf beteiligt werden. Sieschaffen die Anpassung an den Zeitgeist, was etwa zur optimalenVermarktung des Produktes "Traumreise" von entscheidenderBedeutung ist. Ingenieure halten sich für und gelten alsrational, zweckorientiert, nicht darauf aus, ihre persönlichenÄsthetikurteile in die Dinge zu übertragen, sich in den Dingenauszudrücken oder gar zu "verwirklichen". Die schlimmsten äs-thetischen Entgleisungen werden damit vermieden. Wir haltenZweckrationalität immer noch für besonders vernünftig. Deshalberscheinen Ingenieurprodukte als vernünftig, funktionalistisch,ehrlich, gut, wertfrei. Dies erscheint erstmal plausibel, istaber auf den zweiten Blick wohl ein gravierender Denkfehler:Ingenieurentwürfe haben meist keine primären Kommunika-tionsfunktionen (Vermittlung von Sinn). Dort, wo dies doch derFall ist, etwa in der Architektur oder bei reinen Monumenten(Eiffelturm) - diese Beispiele werden meist genannt - , istfunktionale Ästhetik in hohem Maße Stilmittel und damit alsArgument nicht mehr geeignet. Wir übersehen darüber hinaus,etwa im Maschinenbau, die alles andere als wertneutrale Funk-tion von Ingenieurentwürfen als Produktions- und Verteilungsin-strumente für gestalteten "Designmüll".

Die Faszination vieler Architekten und Gestalter für denIngenieurentwurf zieht sich durch die gesamte Geschichte derTechnik. Für den vorliegenden Zusammenhang interessant wird esspätestens um die Jahrhundertwende mit Gestaltern wie SULLIVANoder LOOS. Es entstehen De Stijl, der russischeKonstruktivismus, das Bauhaus. Die Linie setzt sich - mit etwasWohlwollen - fort bis zur "guten Form" der Nachkriegszeit.Selbst heutiges "Techno"-Design und aktuelle "High-Tech"-Ar-chitektur sind darunter zu fassen. Paradebeispiele sind die(oft kultisch überhöhten) Größen der klassischen Moderne:GROPIUS, MIES VAN DER ROHE, LE CORBUSIER u.a. Eine andere

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Gruppe bilden Entwerfer wie FULLER, WACHSMANN, HALLER, GUGELOTu.a. mit ihren Modul- und Baukastensystemen. "System-Design"ist das Stichwort hierzu. Ist dies das gesuchte "objektive",gar "wissenschaftliche" Design? Oder ist da auch Ideologie imSpiel? Die emanzipatorischen Ansprüche (kultureller, sozialer,zuweilen revolutionärer Art) sind oft verbunden mit einernaiven, zeitgeistkonformen Glorifizierung der Potentiale derTechnik. LE CORBUSIER (in CURTIS 1989) erklärte 1923 dieIndustrieobjekte zum Vorbild einer zukünftigen Architektur:"Wenn man einen Moment vergißt, daß ein Passagierschiff einVerkehrsmittel ist, und man es mit unbefangenem Blick be-trachtet, kann man das Gefühl bekommen, Auge in Auge zu stehenmit einem bedeutungsvollen Ausdruck von Ausdauer,

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Abb. 4.11: Ein "Ingenieur-Schiff" und ein "Designer-Schiff" (W.JONAS 1991a). Ist eine der beiden Gestalten "funktionaler",ästhetisch "neutraler"?Disziplin, Harmonie, und einer ruhigen, aber gleichzeitignervösen und starken Schönheit. ... Das Haus des Landbewohnersrepräsentiert eine beengte, vergangene Welt. DasPassagierschiff ist der erste Schritt in die Richtung einer inneuem Geist geordneten Welt." Aber er hat kaum den ökonomischenund gesellschaftlichen Zweck dieser Objekte reflektiert (JONAS1991a). Und seine Häuser? Waren sie tatsächlich so funktional,wie der Begriff des Funktionalismus suggerieren will? Waren sieetwa funktional in bezug auf die klimatischen Verhältnisse vonMitteleuropa? Vgl. hierzu die Anmerkungen von WOLFE (1984). Undwenn man trotzdem sagt, daß man die Villen von LE CORBUSIER"schön" findet, dann ist das keine wahre (oder falsche)Aussage, sondern ein subjektives ästhetisches Werturteil, nicht

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mehr und nicht weniger. Später war es nicht mehr der Ozean,sondern der Weltraum, der als Projektionsfläche für die Utopiender Gestalter herhalten mußte (vgl. etwa HALLERsWeltraumsiedlung oder seine "Totale Stadt"). Die Beispiele lie-ßen sich fortführen. Die Sache mit dem "unbefangenen Blick" (LECORBUSIER, siehe oben) ist wohl tatsächlich kein ganz trivialesProblem.

Die Kybernetik mit ihrer Begrifflichkeit von Regelung,Selbstregelung und Optimierung technischer Systeme förderte das"System-Design". Die Aussage von AICHER (in WICHMANN 1987) über"offene Systeme" zeigt die Faszination, thematisiert aber auchbereits die aufkommenden Zweifel: "... gerade durch diebejahung von standards ermöglichten wir auf eine neue weise dasfreie spiel. wir hatten die leiter, auf der man über sichselbst hinaussteigen konnte, wir bejahten die gesetze dertechnik, um das reich unbegrenzter variationen aufzuschließen."Er spricht vom "hochgefühl" dabei und fährt fort: "die methodo-logie der serien- und massenproduktion erweiterte sich zu einemdesignkonzept der offenen gestalt. wir waren naiv genug, eineoffene gesellschaft sich verwirklichen zu sehen aus der bereit-stellung offener systeme." Und die aufkeimende Skepsis: "genaudamals aber begann die fragestellung. wozu das ganze? wohinführt uns die bereitstellung offener systeme? was macht dieindustrie aus unseren design-angeboten? was macht diegesellschaft mit einem wertfreien design? wir begannen dasproblem der programme zu begreifen. wir begannen zu zweifeln andem glauben, die bereitstellung offener systeme beinhalte eineoffene anwendung." Darin steckt die Erkenntnis: Es gibt keineSachsysteme, es gibt nur soziotechnische Systeme, und dasSoziale dominiert das Sachliche.

Im selben Aufsatz (über Hans GUGELOT) äußert sich AICHER zumThema Stil. Die Kommunikationsfunktion der Dinge (aller Dinge)führt zur Ausbildung von Stilen. GUGELOT sah dies offenbarnegativ: "hans gugelot ... ging es ... um den widerstand gegendie verlockung zum stil ... als persönlichkeitsausdruck, alshandschrift, ... als unternehmensimage ... im stil sah erbereits den beginn der korruption des design. ... symbolesind ... identifizierungsmerkmale. man schaut zu ihnen hoch.sie sind überhöhungen. sie erlauben wunschprojektionen, anihnen machen sich erwartungen fest. ... das symbolträchtige

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produkt weist seinen benutzer als untertan auf, alsergebenen. ... symbole waren einst die zeichen der religiösenund politischen herrschaft. heute sind sie meist zeichen derkulturellen überlegenheit."

Was bleibt: "System-Design" ist von ingenieurmäßigem Denken(was immer dies sein mag) inspiriertes Entwerfen von einigenArchitekten und einigen Designern. Sie nennen es, in etwaswolkig-idealisierenden Formulierungen, auch Forschung. Forschenist hier "eine Art Zurücktreten, eine Reflexion gegenüber demHandeln. ... Forschen als Kehrseite des Handelns ist eine ArtSchutz vor irrationaler Gegenwart; denn für jeden mit einergewissen Intelligenz ausgestatteten, klar beobachtendenMenschen muß das weltweit praktizierte, oft gegen besseres Wis-sen und gegen zukünftiges Leben gerichtete Handeln tief beküm-mern. ... Forschung, Entwicklung von Konzepten, Utopien sinddann eine Notwehr, eine Art Saatgut für Zeiten, in denen derMensch um des nackten Überlebens willen ihrer bedarf."(WICHMANN 1989). Die utopischen Projekte scheinen aus heutigerSicht zum großen Teil technisch überholt und sozial-kulturellnaiv (HALLERs Stadtmaschinen, seine Weltraumkolonie, FULLERsWohntürme, etc). Die real existierenden Lösungen (Möbelsysteme,Bausysteme bis hin zum vielgeschmähten Plattenbau des einstreal existierenden Sozialismus) sind nicht mehr wegzudenkendeBestandteile unserer technischen Zivilisation (BOROWSKI 1961).Sie haben nichts Emanzipatorisches (mehr) an sich. Vielfach sindsie ökonomisch notwendig (Messebausysteme, Industriebau), viel-fach sind sie pure Stilmittel (Techno-Architektur), vielfachsind sie nichts weiter als exklusive und wenig funktionaleStatussymbole (HALLERs Bürosysteme) und bestätigen damitGUGELOTs Befürchtungen zur Korruptionsanfälligkeit selbst von"System-Design" vollauf.

Nötig ist der Abschied von den "Ismen" im Design: kein Neo-Funktionalismus, kein Öko-Design, kein Perma-Design. Hier istGUGELOT (in WICHMANN 1987) zuzustimmen: Schon bewußt verfolgteStile sind Ideologie. OEHLKE (1990b: 272) betont, "die Problemeliegen schon lange nicht mehr in der Form, wie es uns nach demorthodoxen Funktionalismus die Postmoderne und dieProduktsemantik einreden wollen. Nicht daß sie bedeutungslosgeworden wäre. Aber sie ist angesichts der Beschleunigung derindustriellen Entwicklung nicht mehr dominantes Kriterium, auch

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nicht für die Gestaltung." Ja, aber was wird mit der Form,selbst wenn sie nicht mehr das Hauptproblem ist?

"Neutrales Design"? Ein letzter Annäherungsversuch an eine "aufgeklärtere" Art vonEntwurfspraxis. Entwerfen oberhalb der Ebene derintellektuellen Zeitgeist-Fixierungen, wie wäre das möglich?Gibt es neutrale Formen? Natürlich gibt es sie nicht. Entwerfenist Werten (AICHER). Gibt es ein neutrales Werten? Wahrnehmung(Ästhetik) ist Werten. Neutrale Ästhetik wäre Wahrnehmung ohneWahrnehmung: ein Paradox.

OEHLKE sprach vom "orthodoxen Funktionalismus". Gibt es aucheinen progressiven? SELLE (1973) begibt sich auf das Glatteisund versucht die Differenzierung zwischen"Scheinfunktionalismus" und "wahrem Funktionalismus". Der ersteist eine elitäre ästhetisch-versnobte Attitude, die sich in"konstruktivistisch-scheinsachlichen" Entwurfsvorstellungen äu-ßert. Der zweite orientiert sich an der historisch-sozialenSituation und liefert die "lebensrichtige Gestaltung". SELLEmacht diesen guten Funktionalismus an Personen wie LOOS, TATLINund insbesondere Hannes MEYER fest. Man kann ihm da (infolgevergleichbaren Vorverständnisses) durchaus ein Stück weitfolgen. Dennoch führt der Weg in die Irre, und man mußdifferenzieren: Sozial verantwortliches Gestalten ist einProzeß und ist Ausdruck einer Werthaltung. Es korrespondiertnicht mit bestimmten formalen Kriterien der Dinge! SELLE räumtdies schließlich selbst bedauernd ein (1973: 154): "... bleibtals nüchterne Erkenntnis, daß soziale Utopie nicht mehr - wiein der Hoffnung des Bauhauses und seiner Tradition - an derGestalt der Dinge festgemacht werden kann. Ihre Realisationerfordert andere, politisch-fundamentale und aufgesellschaftliche Umwelt als Interaktionsrahmen bezogeneStrategien ..."

Zurück zur Ausgangsfrage: Ändern sich die Artefakte? KRIP-PENDORFF (1991) sagt, eine neue Sichtweise "shifts the aim ofdesign from creating aesthetic forms of products to providingthose affordances that enable ordinary users to understandtheir artifacts in their own way and to engage with them insocially desirable practices (ultimately with the designers aswell)." Einige Implikationen hierzu sind:

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- Der Verzicht auf den Anspruch der Disziplin, neue Stile zukreieren (GUGELOT),- der Verzicht auf den Anspruch der Selbstverwirklichung inDesign-Objekten,- der Verzicht auf den Anspruch der Sinnproduktion durchDesign-Objekte. Sinn ist nicht planbar, Braucher machen ihrenSinn selber,- Perspektivwechsel: von der Objektsicht zur Funktionssicht,- Braucher bestimmen die Form / Konfiguration der Artefakteweitgehend selbst. Überwindung von Stilen durch unendlich vieleMikrostile / Privatstile,- Entzyklisierung der Produktkommunikation durch individuelleInnovationszyklen.

Dies erfordert sicherlich eine sehr viel weitergehende Mo-dularisierung und Standardisierung der verbleibenden Artefakte.Da ist wieder "System-Design": Flexible Systeme, Baukästen,räumliche und zeitliche Konfigurierbarkeit führen zur besserenHandhabbarkeit und Aneignung der Dinge, zur leichterenEinordnung in soziotechnische Systeme.

Claude SCHNAIDT (1987) konkretisiert die Überlegungen fürden Bereich der Architektur. Er plädiert für das industrielleBauen, dessen Voraussetzungen Standardisierung und "Verwissen-schaftlichung" des Entwerfens sind. Bauen wird damit zum Prozeßder ununterbrochenen Verwandlung. Aus dem traditionellenProblem, zu dem es eine Lösung gibt, wird das permanente"offene Problem", zu dem es viele Lösungen gibt. Diesentspricht der Vorstellung von der Vervielfachung derAnschlußmöglichkeiten durch Problem-Design. Er entwickelt dieVorstellung weiter in Richtung des "interaktiven Gebäudes",welches "der Maschine ähnlich" werde. Sein Fazit: "So wirdArchitektur desakralisiert, sie wird sich vom individuellenSchöpfertum entbinden und wieder zum Objekt konkreterHandhabung aller werden. Unter der Bedingung jedoch, daß dieRevolution sich nicht im Technisch-wissenschaftlichen aufhält."Dies zeigt, wie diese an sich sinnvollen Gedanken zum Bauenuntrennbar mit dem (ideologischen) Denken der Moderne verbundenist. Und immer noch, selbst 1987, ist da der Anspruch von Glückund Emanzipation durch Planung.

Neutralität ist wieder nicht zu entdecken. Leitmotiv sinddie räumlichen Mobilitätsutopien der Moderne. Ist dies schon

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das Ende? Die Technik wird doch permanent weiterentwickelt.Wenn schon utopisch, dann auch konsequent. Schon HEIDEGGERbetonte, daß die vermeintlich natürliche Wahrnehmunggeschichtlich ist, daß schon der bloßen Vorstellung dessen, wasist, ein spezifischer Entwurf zugrunde liegt. Technik ist indieser Sicht kein bloßes Datum der Realität, sondernkonstituiert diese erst. Was KANT noch als strukturelle Lei-stung des Erkenntnissubjekts auswies - die Objektivität derObjekte zu stiften -, ist hier Resultat technischer Zurichtung.Wirklichkeit schlechthin erweist sich so als Effekt einer demjeweiligen Stand der Technik entsprechenden Hervorbringung.Diese Einleitung verweist auf die vorerst letzte, eine typischpost-moderne Utopie. VIRILIO (1992) stellt den Begriff der"Telepräsenz" in den Mittelpunkt seiner Gedanken. Er meintdamit die Anwesenheit des Abwesenden durch die "technische Ent-machtung des Raumes". Das räumlich strukturierte Nacheinanderwerde abgelöst durch die zeitliche Simultaneität. Die Aufgabeder Architektur werde damit transformiert von der auf Körper-lichkeit gegründeten Gestaltung des Raumes in die auf Interaktionorientierte Kontrolle der Umwelt. Das folgende Zitat wirkt fast wieeine Extrapolation der SCHNAIDTschen Gedanken von der Modernein die Postmoderne (VIRILIO 1992: 110): "Und tatsächlichhandelt es sich um eine Umkehrung der klassischen architek-tonischen Gestaltung: Anstatt in den Wohnräumen unter-schiedliche häusliche Funktionen zu verteilen, denen derBewohner im Verlauf seiner Fortbewegung nacheinander begegnet,faßt man sämtliche Aktivitäten an einem Punkt zusammen, konzen-triert sie mit Hilfe der Fernbedienung, um den Benutzer an derFortbewegung zu hindern ... Dieser Punkt, oder besser: diesesZentrum der Bewegungslosigkeit ist offensichtlich der Benutzer,der Bewohner dieser Orte absoluter Bequemlichkeit, die nichtsmehr mit der klassischen Aufgabenverteilung der üblichenhäuslichen Einrichtung zu tun haben."

Die (immer noch) übliche lineare Extrapolation dergesellschaftlichen Entwicklung auf der Folie der technischenEntwicklung zeigt tatsächlich in die hier skizzierte Richtung.Alles andere, auch die uns so vertrauten und deshalb sogeliebten kybernetischen Utopien der Moderne, sind in dieserLogik nur Zwischenstufen. Die Frage ist nur: Was kommt danach

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und danach und danach ... ? Keine Antworten! Dasdahintersteckende Denkmuster scheint nicht mehr zu passen.

Nun endlich der mutige Versuch, dieses ein wenig ratloseKapitel über die Veränderung der Artefakte abzuschließen. Esfolgen Gestaltungsrichtlinien:1) LeichtigkeitKein Druck, keine Belastung (physisch / psychisch) durch Dinge,Zurückhaltung, Toleranz, geringer Materialbedarf,Transportierbarkeit, räumliche Mobilität, Konfigurierbarkeit.2) SchnelligkeitFlexibilität, Montier- und Demontierbarkeit, einfacheFunktionsänderungen bei Zweckänderungen, Kommunikation mitWorten und Bildern statt mit Dingen, zeitliche Mobilität.3) GenauigkeitSeriosität, Ernsthaftigkeit, Qualität, Anpaßbarkeit an sich än-dernde Zwecke durch normierte Schnittstellen materieller undimmaterieller Art.4) AnschaulichkeitEhrlichkeit, Transparenz, Erkennbarkeit der Struktur undFunktion und der Relationen zwischen Elementen.5) VielschichtigkeitIntelligenz, Komplexität, herstellbar aus einfachen Elementenund Relationen, verschachtelte Systeme / Beziehungen zwischenSystemen, gleichzeitige Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Sy-stemen, qualitative Vielfalt der Informationsangebote.6) HaltbarkeitSparsamkeit, Askese, Reduktion der Flüsse von Materie undEnergie und quantitativer, redundanter Information.

Generell: Die Dinge dürfen nicht zu Hindernissen inkommunikativen Prozessen werden. Sie fördern eine Eleganz derEinfachheit. Wem es aufgefallen ist: Dies sind die 6 Richtlinienvon Italo CALVINO (1989) für die Literatur des nächstenJahrtausends. MASER (1992b) hat vorgeschlagen, sie zudesignpraktischen Überlegungen in Beziehung zu setzen. Wie sichzeigt, sind sie zumindest interpretationsfähig in diesem Sinne.Wichtiger scheint der damit verbundene Verweis auf die Notwen-digkeit des Blicks über den disziplinären Tellerrand hinaus.

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Die Dinge reflektieren den jeweiligen Stand unserer Weltsicht.Unsere Weltsicht schafft die Dinge. Selbst Utopien sagen mehrüber das Jetzt als über die Zukunft. Auf der Ebene der Arte-fakte gibt es keine Patentrezepte zur Beförderung des Wandels.

Ändern sich die Menschen?

Soviel zu den Dingen; nun zu den Machern. Es ist zu bedenken:Designer sind auch nur Menschen, gefangen in den Restriktionenunserer gemeinsamen Geschichte und Gegenwart. Gibt es da einEntkommen? Ist der vielbeschworene Wertewandel zu schaffen?SIMON (1992) gibt diesen Fragen und den möglichen Antwortendarauf eine bedenkenswerte und durchaus optimistische Per-spektive. Sie bezieht sich explizit auf Max WEBERs "Protestan-tische Ethik", daneben schimmern die MARXsche Theorie desWarenfetischismus und auch das SCHÜTZEsche "Grundgesetz vomNiedergang" durch.

Die warnenden Reden sind hinlänglich bekannt: Habgier,Unersättlichkeit, Selbstsucht, Hang zum Konsum, der "Hedonismusder Masse" (Umweltminister Klaus TÖPFER), etc., so wird gesagt,vereiteln die Lösung der globalen Probleme. Moralische Vorwürfeund Selbstvorwürfe und Appelle zur Umkehr haben Hochkonjunktur.Erforderlich seien: "ein neues Bewußtsein", "ein grundlegenderWandel", "eine Kultur des Verzichts", "Askese", etc. DiffuseDrohungen stehen im Raum. Der Club of Rome befindet, die Geburtdes Neuen könne nicht ohne Schmerzen stattfinden, dieDemokratie in ihrer heute praktizierten Form sei für die zulösenden Aufgaben nicht mehr besonders gut geeignet. Die "Öko-Diktatur" geistert bereits als Schlagwort herum.

Aber, so SIMONs Gegenrede: Egoismus und Habgier sind keinSpezifikum der "1. Welt", sondern es gibt sie überall. Wasauffällt, sei aber die subjektive Armut der Reichen, die Kluftzwischen einem wachsenden materiellen Wohlstand und einemsubjektiven Lebensgefühl, das durch Ängste geprägt ist, durchGefühle von Belastung und Überforderung. Sie stellt die Frage,welche Lebensphilosophie eigentlich hinter der Unersättlichkeitderer stehe, die so hartnäckig und dabei so leidenschaftslosund mißmutig auf Kosten anderer und der Umwelt leben. Max

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WEBERs Position betont, nicht Habgier, Eigennutz oderHedonismus bildeten die Triebkräfte der Bereicherung imKapitalismus, sondern im Gegenteil, die Verpflichtung deseinzelnen gegenüber dem als Selbstzweck vorausgesetztenInteresse an der Vergrößerung seines Kapitals. Diese neue Ethikhatte es anfangs nicht leicht, sich gegen die beharrendenKräfte des "Traditionalismus", gegen einen genügsamen und amGenuß orientierten Lebensstil durchzusetzen. Als Arbeitermußten die Menschen lernen, mehr und intensiver zu arbeiten unddafür eine Entschädigung in Form eines zunehmenden Konsums vonWaren zu akzeptieren. Der "neue Mensch", den der Kapitalismusschließlich hervorbrachte, verachtet die traditionelle Ge-nügsamkeit und Genußorientierung. Er pflegt statt dessen "eineGesinnung, welche ... die Arbeit so betreibt, als ob sieabsoluter Selbstzweck - "Beruf" - wäre. Eine solche Gesinnungist aber nichts Naturgegebenes. Sie kann ... nur das Produkteines langandauernden Erziehungsprozesses sein."

Sieht man dies so, dann steht erstmal das meiste auf demKopf: Nicht die uralten menschlichen Schwächen Genußsucht,Bequemlichkeit und Egoismus sind schuld an unserem maßlosenKonsum, sondern die Tatsache, daß diese uns so gründlichausgetrieben wurden. Nicht unmoralischer Zynismus treibt unszur Verschleuderung der Ressourcen dieses Planeten, sondern"jenes eigentümliche Ethos", das in der Hingabe an die Sachedes Gelderwerbs oder des Berufs seine Erfüllung findet, einEthos, das zwangsläufig die Grenzen der traditionellenGenügsamkeit zerstört. Und nicht Hedonismus, das Streben nachSinnenlust, macht uns zu unersättlichen Käufern, sonderngroteskerweise die zunehmende Entfremdung von unserenBedürfnissen, die Disziplinierung unserer Sinne im Diensteeiner immer höheren Entwicklung der Arbeit und derProduktivität.

Der Erziehung zur Arbeit folgte notwendigerweise dieErziehung zum Konsum. Der "neue Mensch" ist nun der Konsument,der sich selbst als grenzenlos bedürftig betrachtet. Die Ent-wicklung zum allseits bedürftigen Konsumenten war verbunden mitdem Verlust von Erfahrungen gelebter Solidarität. Überall dort,wo ein Gewebe von Solidarität bislang für soziale Sicherheitsorgte, setzt sich nun die Anonymität der Warenbeziehungendurch. Soziales Leben wird durch Konsum ersetzt; und auch

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Konsum ist harte Arbeit. Tatsächlich geht es heute auch beimKonsumieren anscheinend um etwas Höheres, um "jeneseigentümliche Ethos", das sich durch Hingabe an die Sacheauszeichnet und dadurch, daß nach dem Beitrag für den Nutzenoder das Glück des Individuums nicht mehr gefragt wird. Wasbleibt, ist ein abstraktes Bedürfnis, "mithalten" zu können,über die jeweils neuesten Trends, die aktuellen Attribute deszeitgemäßen Lebensstils zu verfügen. Jene überausdisziplinierte Grundhaltung dem Leben gegenüber, jene "nüchternund stetig, scharf und völlig der Sache hingegebene" Gesinnung,die Max WEBER bei den Protagonisten des kapitalistischenGeistes entdeckte, prägt inzwischen auch das gewöhnliche Kon-sumentendasein. Das erklärt die Verdrossenheit im Wohlstand unddie mürrischen Gesichter in einem x-beliebigen deutschenEinkaufs-"Paradies". SIMON: "Der Vorwurf des Hedonismus, ausge-rechnet an den verbiesterten deutschen Konsumenten, gehört zuden großen Absurditäten in der ökologischen Debatte, und es isteigentlich erstaunlich, daß er nicht umgehend mit schallendemGelächter quittiert wird."

Die Frage nach dem gesellschaftlichen Umgang mit denBedürfnissen scheint das zentrale Problem zu sein. Die kaum nochtragbare Lebenslüge der Arbeitsgesellschaft, wir würden arbei-ten für das, was wir brauchen, wird so auch noch von denKritikern unseres Wohlstands bekräftigt. Noch die eindring-lichsten Appelle zum Verzicht und die Rede von den"schmerzhaften Maßnahmen" suggerieren ja, daß wir uns heute dasleisten, was wir wirklich brauchen. Der vorwurfsvolle Hinweisauf unseren Egoismus und unsere Habgier unterstellt, daß dasbestehende Modell von Arbeit und Konsum auf der subjektivenEbene für uns in Ordnung sei. Unser Bild von den anderen (den"Armen", "Unglücklichen") ist als genaues Gegenbild dessenkonzipiert, wofür wir uns selbst halten wollen. Die Armenbrauchen unsere Hilfe, unsere Technologie, unser Geld, aber wirbrauchen ihre Hilfe nicht: "Lebt es sich nicht gleich vielwohliger in der Einsamkeit deutscher Eigenheime, wenn manabends im Fernsehen zusehen kann, wie andere leiden und immernur leiden?"

Die sichtbaren Zeichen der Verunsicherung, die Ratlosigkeitgegenüber der kommenden globalen Krise, die beginnenden Zweifelan unserem Lebensstil, könnten eine Chance sein, das Bild von

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uns selbst (und damit auch unser Bild von den "anderen") zuüberdenken. Dazu müßten wir uns - zumindest reflektierend - vonden Zwängen der Arbeitsgesellschaft befreien, die uns vonKindesbeinen an auf Arbeit und beruflichen Erfolg als zentralenLebensinhalt abrichten, auf beruflichen Erfolg, der sichschließlich in Form hoher Geldeinnahmen und einem entspre-chenden Konsumniveau "auszahlen" muß.

Die Frage ist: Wie können wir - im großen und im kleinen -Situationen schaffen, in denen wir wieder frei sind in der Bestimmungunserer Bedürfnisse? In denen wir in der Lage sind, Problem-Designzu betreiben. Wie können wir die Netze praktischer Solidaritätwieder knüpfen, die einen Teil unseres Warenkonsums ganzüberflüssig machen? Wie unsere subjektive Armut wieder mit derErfahrung des Reichtums gelebter sozialer Beziehungen kon-frontieren? Gabriele SIMONs Fazit hierzu: "´Faulheit undSchlendrian´ sind, das hat schon Max Weber bemerkt, die ärgstenWidersacher gegen den ´Geist des Kapitalismus´. Das ist beruhi-gend, denn dann brauchen wir keinen "neuen Menschen", sondernden alten, den ganz alten; und wir brauchen auch keineautoritär gesicherte ´Kultur des Verzichts´, sondern eine´Kultur des Genießens´."Und mein probeweises Resumée dazu (mit einem kleinenAugenzwinkern): Für den Fall, daß wir das mit der "Kultur desGenießens" noch nicht immer so richtig schaffen: Wenn schon Ar-beit, dann geistige. Das ist diejenige Art von Arbeit, welche diewenigste Entropie erzeugt. Bezogen auf Design: Theoriearbeit istnützlich und erzeugt so gut wie keinen Müll ...

Aber wir müssen ernsthaft bleiben. Es geht um die Praxis desDesign. Wie sehen die Konsequenzen aus? Gibt eszukunftsweisende (statt rückwärtsgewandte) Ideen für diePraxis? Man zögert - auch angesichts des Ausmaßes der drohenden"Apokalypse" -, die theoretischen Ansätze in praktischeHandlungsanweisungen für die Disziplin umzusetzen. Da ist diedeutliche Hemmung vor der unvermeidlichen Trivialisierung bei derFormulierung praktischer Aussagen. Man gerät in dasunübersichtliche Dickicht von metaphysisch angehauchtenUrteilen über wahr und falsch. BREUER (1992:12) formuliert diesrecht drastisch: "Ist von der Apokalypse die Rede, so seltenohne den Verweis auf die Rettung, auf den neuen positiven Zu-stand, der durch allerlei Patentrezepte herbeigeführt werden

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soll: durch weniger Konsum und mehr Spiritualität, wenigerWachstum und mehr Kommunikation mit dem Bruder Regenwurm: vomErhabenen zum Lächerlichen, man weiß es, ist nur ein Schritt."Dennoch sollte man auf konkrete Aussagen nicht verzichten.HORNTRICH (1992) tut dies sehr mutig und gerät damit zuweilenhart an die Grenze zum Lächerlichen: etwa wenn er Survival-Trainings mit den Design-StudentInnen zur Förderung derBewußtseinsbildung für Öko-Design propagiert. Seine Kernthesezum Umgang mit den Dingen ist jedoch voll zu unterstützen:"Gemeinsam nutzen statt einzeln verbrauchen."

Einzelmenschen - ob als Nutzer oder als Designer - ändern sichnicht gezielt. Individuelle Interessen sind zu facettenreich. Esgibt keine konsensfähigen Ideal-Menschen-Bilder, weder in derZukunft, noch in der Vergangenheit. Die Beförderung des Wandelsin unserem Umgang mit dem Machen von Welt scheint eindisziplinäres Problem zu sein, Praxis, Theorie und Ausbildung des Designsbetreffend.

Ändert sich die Disziplin?

Dazu mag einem einfallen: Design als Dienstleistung für die Gesellschaft(moralische Gestaltung). Die Gegenpole sind: Design als Teilfunktionder Ökonomie oder Design als Selbstverwirklichungsumfeld fürverhinderte Künstler. Die Maxime vom Design in dienenderFunktion klingt ganz akzeptabel. Aber wer definiert, was gutist? Und wenn jemand dient, muß da auch jemand sein, derherrscht. Sollen das etwa die unersättlichen, immer kritischen,niemals zufriedenen "Verbraucher" sein, das hofierte undverführte Subjekt-Objekt "König Kunde"? Wohl kaum. Es gibtbisher nur vage Ansätze zu einer überindividuellen Ethik, dieden Bedingungen der an ihre Grenzen stoßenden technologischenZivilisation angemessen ist, vgl. Hans JONAS (1984). DieProblematik läßt sich derzeit konkret und radikal nur privatund persönlich angehen. Stichworte hierzu sind Reduktion,Wertewandel, Postmaterialität, etc. Für die Disziplin geht esperspektivisch auch kaum um Dienen als Ausführung von

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Aufträgen, sondern um aktives Mitwirken an der Gestaltung dersoziotechnischen Umwelt. Und es geht um Selbst-Gestaltung derDisziplin.

Richard BUCHANAN (in MARGOLIN / ders. 1991), einDesignhistoriker und Philosoph, bemerkt, daß "design thinking,emerging around the four disciplines of communication, con-struction, decision-making, and systemization, is transformingdesign from a narrow trade skill and a professionalspecialization into a new art of conceiving and planning theartificial." Dies ist natürlich leider immer noch nicht vielmehr als eine schöne Wunschvorstellung, aber eine durchausberechtigte und sinnvolle. Als Katalysator für Veränderungenwirkt Kommunikation. Hier geht es um disziplinäre Kommunikation(zur Systembildung) und um interdisziplinäre Kommunikation (zurEntwicklung von Einflußmöglichkeiten).Disziplinäre KommunikationDas bereits angerissene Problem der Autonomisierung /Systembildung rückt immer mehr in den Vordergrund und solldeshalb hier noch einmal aufgegriffen werden. Es wird un-mittelbar deutlich in der folgenden aktuellen Aussage zurFunktion der Design-Disziplin von ZEC (1992): "Im Zeitalter derHochtechnologie wird das Design mit vielen Herausforderungenganz neuer Art konfrontiert. Eine zunehmende Symbiose vonÖkonomie und Ökologie, die Reduzierung von material- undzeitintensiven Produktionen, der Trend zur Individualisierungder Produktkultur und die Miniaturisierung in der Technik sowiedie Entstehung globaler Kommunikationsnetze und viele Dingemehr sind Symptome eines tiefgreifenden Strukturwandels, dersich derzeit in allen Gesellschaftsbereichen vollzieht. DieserProzeß nimmt entscheidend Einfluß auf die Entwicklung derwirtschaftlichen Situation der regionalen, nationalen undinternationalen Märkte, wobei sich heute schon abzeichnet, daßsich die europäischen Nationen gemeinsam im Weltmarkt gegenüberder Dominanz der Vereinigten Staaten und der expandierendenWirtschaftsmächte des Fernen Ostens zu behaupten haben. DieRessourcen Information, Wissen und Kreativität sind für denzukünftigen Wettbewerb auf den internationalen Märkten von her-ausragender Bedeutung. Dem Design und zwar speziell demManagement von Design fällt in dieser Entwicklung eine ganzbesondere Rolle zu. Dazu bedarf es jedoch eines neu definierten

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Designverständnisses und der Entwicklung neuer Perspektiven. Umden bevorstehenden Aufgaben gewachsen zu sein, braucht dasDesign zukunftsweisende Konzepte, Strategien, Methoden undWerkzeuge. ..."

Diese Aussage eines Design-Funktionärs, leicht postmodernangehaucht, ist eine treffende Beschreibung der momentanenSituation der Disziplin, gefangen im geschlossenen Zirkel dervon der Ökonomie übernommenen Sprache und Denkweise und kaumgeeignet zum Denken von radikalen Alternativen. Sie zeigt inaller Deutlichkeit die Dominanz der Ökonomie als wichtigstemTrägersystem von Design. Dies scheint auch so akzeptiert zuwerden und liefert die Basis zum Weiterdenken. Die vollständigeAusrichtung nach den Interessen der Wirtschaft, das of-fensichtliche Denkverbot das Prinzip der Marktwirtschaftbetreffend, die Garnierung mit einem Schuß Ökologie zeigen sehrdeutlich das Fehlen eines disziplinären Selbstverständnisses.Es wäre schon ein Ausdruck extremer Trostlosigkeit, wenn Designdas Bild einer Weltgesellschaft entwickelte, deren Perspektivensich auf den ökonomischen Kampf Europa - Japan - USA beschrän-ken.

Die Disziplin scheint sichtbehindert durch eine Vielzahl von"blinden Flecken". WILLKE (1987: 34) bemerkt hierzu: "WelcheUmweltinformationen eine Organisation oder ein anderes sozialesSystem überhaupt aufnimmt, wie diese Informationen prozessiert,verändert und ausgewertet werden, das hängt von perzeptiven,motivationalen, operativen und kognitiven Präferenzen ab, diein Symbolsystemen (von der in einer bestimmten Organisationausgebildeten ´Spezialsprache´ bis zur Organisationsideologie)verankert sind." Man kann auch von innersystemischen Wahr-heitskriterien / Codes sprechen. Es geht also, wie es scheint,um die Frage, ob Design ein im Sinne der soziologischen System-theorie funktional ausdifferenziertes relativ autonomesTeilsystem ist bzw. werden kann. Es geht auch um die Selbst-Thematisierung von Design als System in einer Umwelt in Formeines symbolisch gefaßten Eigenmodells. Erst damit wird dasSystem für sich selbst kontingent, handhabbar, in der Beziehungzu seiner Umwelt und in der Art der Anpassung auch von innenmanipulierbar. Die Überlegungen hierzu sollen im Folgendenpräzisiert werden.

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Design gestaltet die Welt und beeinflußt damit unserWahrnehmen und Denken. Dies ist sein hoher, selbstgesetzterAnspruch und dies begründet, angesichts der Problematik der ge-genwärtigen Situation der Welt, seine Verantwortung für dieWelt und -konkreter- seine Verpflichtung zur Selbst-Reflexion.Ganz allgemein, unter Vermeidung ökonomisch oder ökologisch ge-färbter Begriffe, ist die Situation der Welt zu kennzeichnenmit den Stichworten: Krisenhaftigkeit, Umbruchstimmung,Orientierungslosigkeit, etc., je nach Perspektive. "Anythinggoes" sagen die Postmodernen und "rien ne va plus" die Kultur-pessimisten. Dahinter steht die auch von MASER (1992b)gestellte Frage, ob der momentane Pluralismus im Denken, Fühlenund Handeln der Endzustand der Geschichte oder eher Ausdruckeiner krisenhaften, instabilen Umbruchsphase ist, deren weitereEntwicklung noch nicht abzusehen ist. Die Antwort, die späte-stens seit dem "Wiederbeginn" der europäischen Geschichte imJahre 1989 gerechtfertigt und erforderlich erscheint, lautet:Wir befinden uns in einer kritischen Übergangsphase, es herr-schen starke Fluktuationen (in Form von sozialen Bewegungen, öko-nomischer und kultureller Dynamik), wir stehen vor Bifurkationen.Der weitere Gang der Dinge ist nicht determiniert, aber er kannevtl. durch unser Handeln beeinflußt werden. Aber auch diesesEreignis, der "Wiederbeginn" der Geschichte in der Folge desZusammenbruchs des "Sozialismus" in Osteuropa, kann ganzkonträr interpretiert werden. Francis FUKUYAMA (1992), zudieser Zeit stellvertretender Direktor des Planungsstabes imUS-Außenministerium, vertritt die Position, der Zusammenbruchder sozialistischen Gesellschaften markiere den Höhepunkt einesweltgeschichtlichen Prozesses, der unweigerlich dazu führe, daßdie liberale Demokratie in Verbindung mit der kapitalistischenMarktwirtschaft den Endpunkt der ideologischen Evolution unddie endgültige menschliche Regierungs- und Wirtschaftsformdarstellten. Diese spekulative Geschichtsinterpretation ist ei-nigermaßen paradox, denn kaum hat eine politische Bewegung, dieden Geschichtstelos auf ihre Fahnen geschrieben hatte, einengrandiosen Schiffbruch erlitten, da findet schon wieder eineGeschichtsauffassung Beifall, die unverfroren auf eben diesesidentische Prinzip einer Zielgerichtetheit von Geschichtesetzt.

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Interdisziplinäre KommunikationWie kann Design als Disziplin verantwortlich Einfluß nehmen?Der Hauptzweck von Design liegt - systemtheoretisch ausgedrückt- in seiner Funktion als Antrieb, als Katalysator der Pro-duktions-Konsumptions-Dynamik. Design verstärkt damittendenziell die gesellschaftlichen Fluktuationen in der Folgedes verstärkten Material- / Energie- / Informationsdurchsatzes.Konkret sind dies etwa soziale Differenzierungen durchKonsumverhalten, temporäre, mehr oder weniger spontaneMusterbildungen aller Art. Designer machen sich aber kaumGedanken darüber, welche dies sind, von wo sie definiertwerden, welche Risiken sie bergen. Es wird nicht danachgefragt, welche Fluktuationsbewegungen zu unterstützen undwelche eher zu dämpfen sind, um damit die Wahrscheinlichkeitvon Entwicklungen zu beeinflussen.

Soziale Systeme bestehen nicht aus einer (und sind nichtreduzierbar auf eine) Ansammlung von Menschen, sondern aus demProzessieren von Kommunikationen und daraus folgenderSinnbildung. Psychische Systeme (Einzelindividuen) verarbeitenSinn in Form von Gedanken und Vorstellungen, soziale Systemeverarbeiten Sinn in Form von sprachlich-symbolisch vermittelterKommunikation. Soziale, operativ geschlossene Systeme bildensich auf der Grundlage von Kommunikation. Für ihre Kontinuitätist fortlaufende Kommunikation erforderlich. Die Soziologie der"LUHMANN-Schule" konstatiert eine Morphogenese moderner Gesell-schaften zu einem prinzipiell gleichgeordneten Netzwerk par-tiell autonomer, d.h. zugleich eigenständiger und inter-dependenter Akteure. Diese Akteure sind soziale Systeme. ZurVeränderung der Muster gesellschaftlicher Kommunikation, etwader Formen ökonomischen, wissenschaftlichen oder kulturellenHandelns, ist die Einwirkung auf Personen deshalb nicht ausrei-chend. Es müssen vielmehr bestimmte Operationsweisen desjeweiligen sozialen Systems selbst beeinflußt werden, umeinigermaßen kalkulierbare Wirkungen in diesem System zu er-zielen. Überzogene Ansprüche an Steuerung müssen von vornhereinvermieden werden, aber ein bloßes "Durchwursteln" ("muddlingthrough") reicht nicht mehr aus. Was bestenfalls gelingen kann,ist Perturbation mit überdurchschnittlicher Erfolgsquote.Operationsweisen dieser Art sind derzeit weder für das Gesamt-system von Produktion und Konsumption, noch für das

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hypothetisch eingeführte System Entwerfen in ausgereifter Formverfügbar.

Ist die Rede vom System Entwerfen als Voraussetzung fürsystemische Operationsweisen haltbar? Es ist zwar zunehmendeIdentitätsbildung der Design - Szene feststellbar, jedoch immernoch mehr im Sinne eines berufsständisch orientiertenSelbstbildes innerhalb des ökonomischen Systems als im Sinneeines eigenständigen kulturellen Systems neben der Ökonomie.OEHLKE (1990b: 272) stellt dies recht überzeugend dar: "Designist in dieser Entwicklung zur Produktivkraft eigener Provenienzgeworden. Es hat nie größere Anerkennung gehabt als jetzt, woes technische Entwicklungen absetzbar machen muß. Design alsökonomische Kategorie hat sich durchgesetzt, noch nicht alskulturelle." Er formuliert auch das Problem der Steuerbarkeitsozialer Systeme (1990b: 271): "Die heute feststellbarenVeränderungen in den gegenständlichen ästhetischen Verhal-tensweisen und Präferenzen weisen auf einen komplizierten, dasheißt nicht völlig durchschaubaren Entwicklungsverlauf derWechselwirkung technisch-wirtschaftlicher und sozio-kulturellerProzesse, deren gegenseitige Beeinflussung und Dialektik außerFrage stehen, deren einzelne bestimmende Tendenzen undSchwerpunkte aber nicht ohne weiteres prognostisch, sondernmeist nur konstatierend-kritisch erfaßbar sind, die aber fürdie Realisierung, das heißt die sozial und kulturellverantwortungsvolle Steuerung von außerordentlichem Belangsind."

Die Soziologie versucht, dafür eine Begrifflichkeit zuentwerfen. Die folgenden drei Stichworte illustrierenÜberlegungen zur Steuerung der Operationsweisen komplexer so-zialer Systeme (WILLKE 1989):

1) "Reflexion: Zivilisierung der Selbstbezüglichkeit"Interne Voraussetzung zum Eintritt in den intersystemischenDiskurs ist die Thematisierung und damit die interneRepräsentation der eigenen Einheit als System in einer Umwelt.Dies erfordert Selbst-Beobachtung, vgl. auch den Begriff desRe-Entry bei G.S. BROWN. Das System wird damit in die Lageversetzt bzw. hat die Wahl, sich selbst als mehr oder wenigerfreundliche oder auch bedrohliche Umwelt anderer Systeme zu

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organisieren und Alternativen zu untersuchen. Dies läßt sichbezeichnen durch den Begriff der Empathie, der Fähigkeit derBeobachtung von Ereignissen auch aus der Sicht einer anderenPerson bzw. Rolle. WILLKE nennt Unternehmen, Parteien,Universitäten und ähnliches als Beispiele für begrenzteLernfähigkeit / Erziehbarkeit / Steuerbarkeit sozialer Systeme.

Ist Design ein soziales System mit derartigen Fähigkeiten?Die Empathiefähigkeit des Designs beschränkt sich nochweitgehend auf die Möglichkeit der Designer, sich selbst in dieRolle der Braucher zu begeben. Dies bedeutet: Bezüglich seinerkulturellen Identität ist das Design primär dadurch ge-kennzeichnet, daß Designer jeweils selbst individuell Teil desGesamtsystems sind. Die schnell wechselnden Design-Moden / -Ideologien können als Belege dafür gelten. Autonomie ergibtsich erst aus dem Oszillieren zwischen Selbstreferenz und (internerzeugter) Fremdreferenz. Dies ist die Fähigkeit eines sozialenSystems, sich selbst mit den Augen seiner Umwelt zu beobachten.Im Design überwiegt bisher die Selbstreferenz (vertreten etwadurch Berufsverbände) als einer von zwei notwendigen Kom-ponenten der Autonomie. Deutlich wird dieser Mangel in Debattenzum professionellen Selbstverständnis, etwa auf Design-Kon-gressen.

2)"Kontextuelle Intervention: Zivilisierung der Macht"Eigensinniges Verhalten von Systemen setzt dem Einsatzdirektiver Macht enge Grenzen. Interventionen können nur dannerfolgreich sein, wenn sie die Autonomie des interveniertenSystems respektieren und stärken. Jede externe Intervention istdarauf angewiesen, sich als relevantes Ereignis im Bereich dermöglichen Wahrnehmungen, des intervenierten Systemsdarzustellen, um als Information in die operativen Kreisläufedieses Systems eingeschleust zu werden. "Gute" Absichten desintervenierenden Systems sind keine Garantie für Erfolg.Reflexion auf beiden Seiten ist erforderlich. Dies erfordertSystemhaftigkeit auf beiden Seiten der Interaktion. Und eserfordert "konsensuelle Bereiche", d.h. gemeinsameKommunikationsrepertoires. Dieser Punkt würde Design erst dannbetreffen, wenn es selbständig handlungsfähiges System wäre.Und dann wird der dritte Aspekt relevant.

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3) "Systemische Diskurse: Leitlinien der Zivilisierung entwickelter Gesellschaften" Es sollten Verhandlungssysteme gefördert werden, als "dritteInstanzen", bestehend aus den Interaktionsbeziehungen derbeteiligten Akteure: "Erst die Verknüpfung von Reflexion,kontextueller Intervention und Diskurs bildet einenVerhaltensmodus, in dem die Paradoxie der Vereinbarkeit (nichtder Übereinstimmung!) divergierender Rationalitäten entfaltetwerden kann." Es geht, so WILLKE, darum, die Fähigkeitennaturwüchsiger Evolution zu verknüpfen mit dem Anspruch, "dieFähigkeiten zu dezentraler Selbstorganisation zu stärken undsie auf das Ziel einer Zivilisierung auszurichten, welches auchund gerade die Moderne noch längst nicht erreicht hat." StattUmweltanpassung und "außengeleiteter" Korrektur, wie sie dastraditionelle systemtheoretische Denken propagiert, geht es umdie Reflexion der Bedingungen der Möglichkeit einerkontrollierten Anregung zur Selbständerung autonomer Systeme.

Soweit WILLKE. Die Schlußfolgerung aus den drei Vorschlägen:Design sowie zahlreiche andere, die Zukunft reflektierend undgestaltend beeinflussende Disziplinen und ebenso davon be-troffene gesellschaftliche Gruppen müssen in die Lage versetztwerden, sich als abgrenzbare Systeme zu reflektieren, umkommunikations- und handlungsfähig zu werden. Es gibt positiveBeispiele, die Hoffnung machen, daß auch Design eines Tagesseine Sprachlosigkeit überwindet: Wenn die DeutschePhysikalische Gesellschaft, der Berufsverband der Physiker, ineiner Entschließung feststellt, daß ein "wissenschaftlicheroder ökonomischer Nutzen, der die hohen Kosten der bemanntenRaumfahrt rechtfertigen würde, bislang nicht auszumachen" ist(so geschehen Ende 1990), dann hat das die Chance, nicht nurvon den Medien registriert, sondern auch von den maß- (undgeld-) gebenden Wissenschaftsorganisationen und der politischenAdministration ernstgenommen zu werden. Umweltorganisationenwerden zu nicht mehr zu übergehenden Partnern imgesellschaftlichen Diskurs. Ebenso verhandeln Ärzte als Systemmit der Politik als System. Ein Aufruf eines Designerverbandes,die Förderung des motorisierten Individualverkehrs zu beenden,ist erstens kaum vorstellbar (wegen der mangelnden Systemhaf-tigkeit) und hätte zweitens kaum Chancen, irgendwo ernstge-nommen zu werden (wegen der mangelnden fachlichen Kompetenz /

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funktionalen Ausdifferenzierung der Disziplin). Muß dies sosein, ist dies unabänderlich? Ein irritierender Aspekt dabei:Mediziner sind in der Gesellschaft unersetzlich; dies kann fürDesign nicht ohne weiteres behauptet werden. Ist Design, außerals funktionales Subsystem der Ökonomie, überhaupt erforderlich?Wenn man diese Frage mit "Nein" beantwortet, dann erübrigt sichdas weitere Nachdenken über Designtheorie.

Die Disziplin befindet sich im - meist fremdbestimmten - Wandel.Um diesen in seiner Richtung aktiv zu beeinflussen, istdisziplinäre Autonomisierung durch Theoriebildung im Verbund mit Praxisund Ausbildung erforderlich. Dies ermöglicht den Eintritt inintersystemische Diskurse der zukunftsgestaltenden Disziplinen.

Neue transdisziplinäre Netzwerke

Die Situation der Welt wird meist durch Schlagworte wie"Ökologie-Krise", "Nord-Süd-Konflikt", etc. umschrieben, dieeinzelne Problemfelder betonen. Die MEADOWSsche Zustandsbe-schreibung hat sich wesentlich auf physikalische- undBevölkerungsaspekte beschränkt. Das Bild sollte ergänzt werdendurch die historisch-gesellschaftliche Perspektive derProblemlage. BECK (1988: Kap. V, VII) faßt die Situationzusammen unter dem Begriff der sich verschärfendenFortschrittskonflikte: Er konstatiert einen Widerspruch zwischen derEinführung und Rechtfertigung von Gefahrenpotentialen bisherungeahnten Ausmaßes auf der einen Seite und einem technischenPerfektions- und Sicherheitsanspruch und umfassendenbürokratischen Kontrollmechanismen andererseits. In dieserhistorisch neuartigen, institutionell verfestigten Symbiose vonVerfechtern und Gefährdern höchster Güter zeige sich "eine extremeDoppelgesichtigkeit staatlich - technisch - industriellerAutorität". Es gehe nun, im Sinne einer "Politik derenttechnokratisierten Aufklärung", um die Aufdeckung diesesSelbstwiderspruchs der Technokratie: "in den Daumenschraubender alarmierten Öffentlichkeit Sicherheit verkünden zu müssen,wo gleichzeitig nie dagewesene, nur technisch, also nicht

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minimierbare Vernichtungsgefahren legalisiert werden, die dieZentralnorm der Diesseitsgesellschaft, das Leben aller,gefährden." Um dies zu befördern, sind besondere Strategienerforderlich: Eine davon ist das Aufbrechen desTechnikermonopols in Sicherheitsfragen, die gezielte"interdisziplinäre Aufmischung" der Normierungs- undBeratungsgremien mit dem Ziel einer erweitertengesellschaftlichen Definition von Sicherheit. Eine andereStrategie besteht in der Umverteilung von Beweislasten und derHerstellung der Zurechenbarkeit von Verantwortung imZusammenhang anonymisierter Großgefahren (Atomtechnik, Chemie,Gentechnik, etc.). Der Nachweis der Unschädlichkeit müsse vonder Anwendung in die Forschung zurückverlegt werden. Generell,so BECK, gehe es um die Durchsetzung anderer Regeln zurSchaffung anderer Wirklichkeiten. Es taucht wieder die Fragenach dem Zugriff auf die Definitionsmacht gesellschaftlicherRegeln auf. Man sollte sie ganz pragmatisch angehen.

Systemtheoretisch ausgedrückt: Die Richtung der - auch alsFolge des oben beschriebenen immanenten Widerspruchs -bevorstehenden gesellschaftlichen Bifurkationen ist nichtsteuerbar, aber beeinflußbar, und zwar durch Stärkungderjenigen Fluktuationsbewegungen, die eine risikoärmereEntwicklung versprechen, eine möglichst ungefährliche Durchque-rung der krisenhaften, chaotischen Bifurkationsphasen derEntwicklung, die neue gesellschaftliche Musterbildungen nichterschweren, sondern erleichtern. LASZLO (1991) identifiziertvier Handlungsbereiche, in denen er Einflußnahme für möglichhält: Wissenschaft, Kunst, Religion, Erziehung. Dies mußergänzt werden um Entwerfen. Die interne disziplinäreKommunikation in den Feldern Theorie / Praxis / Ausbildungschafft die Voraussetzung zum Eintreten in intersystemischeDiskurse mit anderen Disziplinen mit vergleichbarerInteressenlage.

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Praxis

Theorie AusbildungDesign

Abb. 4.12: Systembildung durch interne Kommunikation alsVoraussetzung für externe Kooperationsfähigkeit und dasEintreten in intersystemische Diskurse.

Es ist zu fragen, welche Partnerdisziplinen / Arbeitsfelder /Forschungsprogramme geeignet sind zur Initiierung von Wandel,als Auslöser und Verstärker kritischer Fluktuationen:- diejenigen, die die dargestellte theoretische Sicht teilen,die Stabilität und Wandel als notwendige komplementäre Elementegesellschaftlicher Entwicklung sehen, - diejenigen, die sich mit experimentell-innovativ-fiktivemMachen befassen, mit dem Gestalten von Zukunft, jedoch ingewisser Distanz zu den großtechnisch-ökonomischen"Sachzwängen",- diejeniger, die projektorientiert (transklassisch) arbeitenund nicht im Rahmen klassischer Wissenschaftsdisziplinen- diejenigen, die eine gewisse "überindividuelle"(disziplinäre) Verantwortung sehen und übernehmen wollen.

Die folgende Liste nennt einige wichtige Disziplinen, aufdie die obigen Kriterien mehr oder weniger zutreffen und diedamit als Partner für Design in Frage kommen:

1) Ökologie - Forschung und - EntwicklungDies ist der Bereich, der einem zuerst dazu einfällt,allerdings gehört er auch zu den problematischsten. Einerseitsgibt es zahlreiche individualistisch-sektiererische Ansätze,andererseits zu starke Konformität zur Tagespolitik. Ein Bei-spiel zur Illustration der Überanpassung an den status quo: Ein

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Vertreter des Umwelt-Bundesamtes (NEITZEL 1992) beschäftigtsich mit dem Verhältnis von Ökologie und Design und denMöglichkeiten umweltorientierten Designs. Die Aussagen zurdisziplinären Aufgabe von Design setzen den Zustand der Dis-ziplin, so wie er sich in weiten Bereichen darstellt, implizitals bewahrenswert voraus. Es gehe, so die Annahme, um die"ästhetisch orientierte Formgestaltung der Produkte". Verbundenist dies mit einer klaren Trennung von der Technik bzw. derKonstruktion. NEITZEL geht sogar soweit, die (unbestreitbare)Unvereinbarkeit zwischen der Forderung nach Konsumverzicht undder (derzeitigen) Praxis des Industrial Design als Argument ge-gen den Konsumverzicht zu benutzen. Aber es geht ja geradedarum, diesen vermeintlich unbeeinflußbaren Zirkel von soge-nannten Sachzwängen in Frage zu stellen: Von Seiten derBraucher mit der Forderung nach freiwilliger Beschränkung, vonSeiten des Design mit einer Neuorientierung der Disziplin.Umweltschutz ist wichtig, das findet der Autor in Ordnung.Darunter versteht er:- Verbesserungen der Umwelteigenschaften von Produkten durchumweltorientiertes Design,- Förderung umweltgerechten Verhaltens durch "animierendes"Design,- Förderung umweltfreundlicher Produkte durch Design, etc.

Aber der Grundtenor ist weiterhin:- Ökologie als - großenteils einschränkende - Randbedingung vonästhetischer Gestaltung,- Technik und Markt reichen aus, um die Probleme zu lösen (AdamSMITH "läßt grüßen"),- starke Produktorientierung: die Produkte verbessern, aber sienicht infrage stellen, d.h. es wird plädiert für ein Kurierenan Symptomen (an der Schädlichkeit der Produkte).

Irritierend wird es dann im Folgenden:- "Wertewandel", etwa im Sinne freiwilligen Konsumverzichts,ist ausgeklammert (dies ist sein blinder Fleck angesichts derOrientierung an den "wertfreien" Werten Markt+Technik),- es kommen Platitüden wie "Essentials der Freiheit desEinzelnen", zu denen auch die "Freiheit der Kaufentscheidung"gehöre,

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- es sei freiheitsberaubend, nach dem Bedarf / Nutzwert, nachder Vertretbarkeit bestimmter Produkte / Produktgruppen zufragen.

Schwer nachvollziehbar wird es, wenn er vor "Stimmungsmache"warnt und grundsätzlich nur "gesicherten Erkenntnissen" einenargumentativen Wert zubilligen will. Zum Thema Stimmungsmachebringt er nichts Eindeutiges, implizit scheint er jedoch einenKonsens zu unterstellen derart, daß das Infragestellen vonMarkt Stimmungsmache sei. Nur: Was nützen gesicherteErkenntnisse über isolierte Einzelphänomene (z.B. Ökobilanzenvon bestimmten Materialien), wenn hinsichtlich zwar nichtgesicherter, aber dennoch evidenter Erkenntnisse über komplexesystemische Zusammenhänge Denk- und Wahrnehmungsverboteherrschen? Vgl. hierzu die Warnung vor dem neuen Schlagwort der"Ökobilanzen" (VORHOLZ 1992a), vorgebracht vom Präsidenten ebenjenes UBA, in dessen Namen auch NEITZEL spricht. Man solltefragen:- Ist es Stimmungsmache, das Thema Konsumverzicht in dieDiskussion zu bringen, oder ist es eher Stimmungsmache, diedurch nichts belegte Meinung zu vermitteln, als würden Technikund Markt schon alles regeln?- Ist es nicht Stimmungsmache, von einer "Binsenweisheit" zureden, wenn man die Vermeidung eines Produktes als sinnvollenBeitrag zum Umweltschutz propagiert? Binsenweisheiten sind oftsehr bedenkenswerte Weisheiten.- Ist es nicht Stimmungsmache, als Mitteleuropäer im Jahr derUmweltkonferenz von Rio (1992) von der "Freiheit derKaufentscheidung" als einem der "Essentials der Freiheit desEinzelnen" zu reden?- Ist es nicht Stimmungsmache, in bezug auf"freiheitsstiftende" Konsumbereiche wie Auto und Mode von "un-beeinflußbaren Sachzwängen" zu reden?- Ist das Systemdenken oder nicht eher Ausdruck massiverDenkblockaden?

Der Primat der Ökonomie steht außer Frage. Die Systemgrenzeist offenbar der Wirtschaftsraum der EG. Probleme werden alsgegeben akzeptiert,. Da ist ein Verbot, sich mit den Ursachenund Strukturen der Probleme und eventuell gar mit ihrerGestaltbarkeit zu befassen, eine freiwillige Beschränkung aufdie Symptombekämpfung, die berühmte "Schere im Kopf". Dieser

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Beitrag ist ein Beispiel dafür, was herauskommt, wenn derVertreter einer nicht-autonomen Serviceeinrichtung (UBA) denVertretern einer ebenso wenig autonomen Servicedisziplin(Design) Ratschläge erteilt. Sowohl Design als auch deroffizielle "Umweltschutz" sind Subsysteme von Ökonomie bzw. Po-litik. Sichtbar wird der Mangel an Selbst-Reflexion bzw. derfreiwillige Verzicht darauf. Aus diesem Grunde wurde kürzlichvon Joschka FISCHER (in VORHOLZ 1992b) der Vorschlag gemacht,dem UBA im Interesse der Handlungsfähigkeit einen Autono-miestatus vergleichbar dem der Deutschen Bundesbank zu geben.Mindestens ebenso wichtig ist es, diese Autonomie von innen herzu entwickeln.

2) PlanungsforschungEs geht dabei um die Möglichkeiten und Grenzen der Planung inkomplexen soziotechnischen Systemen. Die Komplexität derSysteme führe dazu, daß man Probleme löst, ohne an die zudenken, die man durch die Problemlösungen neu erzeugt. DÖRNER(1992) weist auf die typischen Strategiefehler im Umgang mitkomplexen Systemen hin:- Die mangelhafte Zielerkennung. Das System wird abgetastet,bis ein Mißstand gefunden ist. Dieser wird dann beseitigt,anschließend der nächste Mißstand gesucht (Reparaturdienst-verhalten). Die Planung ist ohne große Linie.- Die Beschränkung auf isolierte Ausschnitte derGesamtsituation. Diese werden mit Hilfe großer Datenmengen sehrdetailliert erfaßt. Die Beziehung zu anderen Teilsystemen unddamit die Gesamtsystemdynamik wird dabei aus dem Blickverloren.- Die Vernachlässigung von Nebenwirkungen. Die blinde"Zielstrebigkeit" verhindert den Blick auf Auswirkungen inbenachbarten Bereichen.- Die Tendenz zur Übersteuerung. Zunächst zögerndes Eingreifen,wenn nichts passiert folgt ein kräftiger Eingriff. Anschließendwird gegengesteuert. Ursache ist die Nichtbeachtung der Sy-stemdynamik und Systemträgheit.- Die Tendenz zu autoritärem Verhalten. Der Glaube, das Systemdurchschaut zu haben, verleitet zu diktatorischem Verhalten.

DÖRNER betont, daß computerunterstützte Planspiele undModellsimulationen ideale Hilfsmittel sind, um den angemessenen

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Umgang mit Komplexität zu lernen. VESTER (1984) formuliert denAnsatz der "Biokybernetik" zum Umgang mit komplexen lebendenSystemen. Planung ist permanenter Prozeß, ausgerichtet auf dasKriterium "Überleben". Konkrete Einzelziele, in herkömmlicherSicht der Endzweck jeder Planung, sind hier lediglich Mittel zumZweck Überleben. Jede Art von Eingriffen sollte die"kybernetischen Grundregeln" beachten. Sie stellen eine Art vonCheckliste dar, an der man die geplanten Eingriffe im Sinne desKriteriums Überlebensfähigkeit überprüfen kann. Sie garantierenweitgehend die notwendige Selbstregulation eines Systems beiminimalem Energiedurchfluß und Materieverbrauch:- Die Dominanz negativer Rückkopplung über positive inverschachtelten Regelkreisen. Es gibt eine optimaleSystemgröße, deren Überschreitung der Lebensfähigkeit schadet.- Die Systemfunktion darf nicht auf Wachstum angewiesen sein.- Funktionsorientierung statt Produktorientierung. Unabhängigkeit derFunktion von einer speziellen Produktion durch Produktvielfaltund Wechsel.- Jiu-Jitsu-Prinzip. Nicht Vernichtung durch Gegenkraft, sondernNutzung der vorhandenen Kräfte der Umwelt durchEnergiekaskaden, -ketten und -kopplungen. Gestaltung durchgeringfügige Steuerenergien.- Mehrfachnutzung von Produkten, Verfahren und Organisationen.Funktionelle Diversität.- Recycling durch Kombination von Einwegprozessen zu Kreisprozessen.Wiedereinführung alles Produzierten und Verbrauchten in neueKreisläufe. Die Unterschiede Anfang / Ende, Ursache / Wirkung,Rohstoff / Abfall verwischen sich.- Symbiose unter Nutzung kleinräumiger Diversität. Große, gleichförmigeBereiche (Monokulturen in Landwirtschaft, Industrie,Stadtplanung) können von den Vorteilen symbiotischer Be-ziehungen (Rohstoff-, Energie-, Transportkosteneinsparung)nicht profitieren und sind letztlich weniger effizient.- Biologisches Grunddesign. Vereinbarkeit technischer mitbiologischen Strukturen.

VESTER (1993) hat mit seinem "Sensitivitätsmodell" eineumfassende, darauf basierende Planungsmethodik entwickelt, dieinzwischen auch als interaktives Computerprogramm zur Verfügungsteht. Eine wichtige Komponente ist die Simulation des

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Systemverhaltens mit Hilfe System Dynamics - ähnlicherSimulationsverfahren.

3) Zukunftsforschung, Innovationsforschung, TechnologieforschungAus diesem Bereich kommen ganz wesentliche Beiträge. Einer seihier exemplarisch genannt. Die bisher angestellten Überlegungenpassen erstaunlich gut in das Szenario einer "ExperimentellenTechnologiepolitik", das der Leiter des Fraunhofer-Institutsfür Systemtechnik und Innovationsforschung vorstellt (MEYER-KRAHMER 1992). Unter Hinweis auf die Erkenntnisse von Chaos-theorie und evolutionären Systemtheorien stellt er dieForderung auf, daß neue Techniken in ihrer Frühphase, wenn sienoch flexibel gestaltbar sind und bevor sie in die bekanntensachzwangdominierten "technological trajectories" übergehen,wesentlich intensiver in interdisziplinär organisierten,experimentellen Pilotrealisierungen untersucht werden müßten.Abb. 4.15 versucht dies zu illustrieren: Die heutigeTechnologieentwicklung verläuft eindimensional und so schnell,daß ihre soziokulturelle Integration unmöglich ist. Die Folgesind permanente Anstrengungen zur Korrektur einmal getroffenerEntscheidungen (Beispiel Atomenergie). Stattdessen solltenzahlreiche Varianten in experimentellem Maßstab nebeneinanderentwickelt werden. Ein wichtiges Ziel ist also die Förderungvon flexibler Anschlußfähigkeit in der Technologieentwicklung,Divergenz statt Konvergenz, viele kleine Lösungsmöglichkeitenanstelle nur einer (eventuell falschen) großen.

Im gesellschaftlichen Diskurs werden dann dielängerfristigen Perspektiven entwickelt. In diesem Netzwerkeinen stabilen Platz zu besetzen und eine identifizierbareStimme zu entwickeln, ist eine der wichtigsten disziplinärenAufgaben des Designs in den kommenden Jahren.

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HeutigeTechnologieentwicklung

"ExperimentelleTechnologiepolitik"

"kritischeEvolutions-geschwindigkeit"

? tatsächlicherVerlauf dersoziotechnischenEntwicklung

Abb. 4.13: Das Szenario einer "experimentellenTechnologiepolitik".

Der Begriff der "Fehlerfreundlichkeit (VON WEIZSÄCKER 1984:193) gehört hierher: "Technische Großsysteme reißenIsolationsbarrieren nieder, schlagen allerorten die un-tüchtigere Konkurrenz, treten in kleinen Stückzahlen auf,verlangen vom Staat große infrastrukturelle Vorleistungen underzwingen finanziell und kulturell Festlegungen, die für dieBetroffenen oft nicht verständlich und nicht angenehm sind. Undwo erhebliche Risiken mit der Technik einhergehen, hat der Ein-zelne oft nicht mehr die Wahl, ob er sich dem Risiko aussetzenwill oder nicht. Will man dem Einzelnen das Recht aufeigenverantwortetes Risiko zurückgeben ... , ... so muß man dieTechnik wieder fehlerfreundlich machen." LOVINS und LOVINS(1982: 177-213) geben als Ausweg eine Anzahl von Kriterien für"resilience" ("Unverwüstlichkeit") an. Sie reichen von Di-versität, räumlicher Dispersion über Redundanz und modulareStruktur bis zu Einfachheit und sozialer Verträglichkeit. Aberdies wurde hier schon mehrfach betont.

4) Ökologische Unternehmer und ökologische GewerkschaftenEs wird zunehmend deutlich, daß die bisher so erfolgreichen In-teressenverbände (Gewerkschaften, Unternehmerorganisationen,Beamtenbünde, Verbraucherverbände und diverse "Schutz"-Bünde("ADAC")), weil sie sich nur mit großer Trägheit wandeln, mehrund mehr zu Klientelgruppen zur Ausbeutung der Gesellschaftwerden. Ein erwähnenswertes Beispiel für einen Wandel imBereich der Wirtschaft ist "UnternehmensGrün", ein Verband zurFörderung umweltgerechten Wirtschaftens. Ökologisches

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Wirtschaften wird hier nicht als Restriktion, sondern alsZukunftsperspektive gesehen. Man fordert in diesem Sinne dieÄnderung der politischen Rahmenbedingungen (in Richtung derVerteuerung von Rohstoffen und Energie und Müllerzeugung etwadurch Steuern), anstatt wie bisher die Beibehaltung der"günstigen" Rahmenbedingungen, die bedeuten, daß Material undEnergie praktisch umsonst zu haben sind.

Die Gewerkschaften müßten dies unterstützen durchSchwerpunktsverlagerung ihrer Forderungen, weg vonGeldeinkommen und Sicherung bestehender Arbeitsplätze, hin zuArbeitsqualität, Arbeitsinhalten und weniger Arbeitszeit. Stattder Behinderung von Strukturwandel müßte aktiverzielgerichteter Strukturwandel angestrebt werden. Eineutopische, noch kaum vorstellbare Wirkung: Wirtschaft wirdwieder Mittel zum Zweck statt Selbstzweck. Dies erfordert indi-viduelles Umdenken und politische Visionen und politischen Mut, die bisher- von wenigen Ausnahmen abgesehen (GORE 1992) -, nicht sichtbarsind. (Zum Zeitpunkt der letzten Korrektur dieses Textes imOktober 1993 trifft die hoffnungsfrohe Bemerkung zu Al GORE,nun Vizepräsident der USA, vermutlich schon nicht mehr zu; dieszeigt die Differenz von Modell und Wirklichkeit.)

5) Neue Wohlstandsmodelle, postmaterialistische WerteDerartige Überlegungen müssen unterstützt werden durch dieForcierung gesellschaftlichen Wertewandels. Lebensqualität kannoberhalb einer Grundsicherung nicht mehr primär materiellbestimmt werden. Der Ausstieg aus der Spirale des Wachstums vonEinkommen, Konsum und Naturzerstörung ist nur durch Teilenmöglich. Langsamer, weniger besser, schöner könnten Leitbildersein, die der Arbeit ihren eigentlichen Sinn zurückgeben: dasgute Leben.

Ein Beispiel : "Menschen müssen gute Luft kaufen können"(BRÜGGEN 1992). Eine Aufgabe wird in der Entwicklung vonStrategien zum Ersatz von Massenkonsum durch "kollektive" Güterbestehen. Bisher wurde diese Perspektive u.a. dadurchblockiert, daß neue Bedürfnisse nach ökologischenProduktionstechnologien und Produkten sowie nach einer so-ziokulturell ansprechenden Lebensumwelt auf dem Markt nicht alszahlungskräftige Nachfrage auftauchen konnten. Die meistendieser neuen Produkte und Dienstleistungen sind "kollektive

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Güter", die trotz bestehenden Bedarfs individuell nur sehr be-grenzt nachgefragt werden können. Ein neues Auto kann mankaufen, gesunde Wälder nicht. Also kauft man Autos, um dorthinzu fahren, wo die Wälder noch grün sind. Aufgabe eines neuenDesigns wäre es, diese Problematik so aufzubereiten, daß darausein individuell zu befriedigender Bedarf entsteht. Ein Schrittweiter wäre es schon, wenn es gelänge, z.B. auch Ent-wicklungsprojekte in der "3. Welt" zum Gegenstand von Nachfragein der "1. Welt" zu machen. Konkret: Man kauft hier sein neuesAuto eine Nummer kleiner, aber zahlt die Nummer größer, umdamit (hier oder besser dort) eine Wasserpumpe für einBewässerungsprojekt produzieren zu lassen. Das Stichwort dazu:"Orden tragen statt Daimler fahren." Entwerfen kann daranmitwirken.

Die Veränderung in Richtung Postmaterialität wird ungeplant(und durchaus risikoreich) ganz wesentlich dadurchvorangetrieben, daß die "1. Welt" offensichtlich das Ende derVollbeschäftigungsgesellschaft erreicht hat. Das System dersozialen Versorgung und der individuellen Identitätsbildungbasiert dagegen immer noch auf der zentralen Rolle der Arbeitund der Teilnahme aller daran. Es scheint erforderlich, in eineRichtung zu arbeiten, in welcher die zunehmende Dezentralitätder Lohnarbeit zur gesellschaftlichen Grundtatsache wird. Dieunvermeidliche Reduktion der materiellen staatlichen Leistungenkann durch ein Mehr an demokratischen Mitwirkungen kompensiertwerden. Versorgungsbasis müßte eine arbeitsunabhängige sozialeGrundsicherung sein (Mindesteinkommen, StaatsbürgerInnen-dividende).

KRIEG (1990) sieht im Epilog seiner "Maschinenträume"bereits das "Zeitalter der Versachlichung" zu Ende gehen:" ...wirkliche Intelligenz ist erreicht, wenn die Widersprüchein uns ausgehalten und bewältigt werden können, ohne sie aufErsatzobjekte nach außen projizieren zu müssen. ... Der einzige´Fortschritt´, der wirklich zählt, ist nicht der technischeoder ein ideologischer, sondern der Fortschritt in derKomplexität unserer Wahrnehmung und unserer Fähigkeit, diesewidersprüchliche Komplexität in uns und außerhalb von unsauszuhalten."

Die beiden folgenden Punkte markieren sehr pragmatischeAnsätze zur Realisierung postmaterieller Lebensweisen durch De-

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Materialisierung. Es geht um die weitestgehende Entkopplung vonSinn-Funktion (Information) und Gebrauchsfunktion (Materie /Energie) bzw. die Trennung der materiellen und derimmateriellen Bedürfnisbefriedigung.

6) Forschung über StoffströmeEin ganz genereller Anhaltspunkt für die Gestaltung ist diesogenannte "IPAT-Formel" (MEADOWS 1992: 132, 133): Umweltlast = Bevölkerungslast * Wohlstandslast * Technologielast = (1) Bevölkerungszahl * (2) Material/Person * (3)Umweltbelastung/Material.(1) Hier kann, so die Autoren, "der Süden" reduzieren, (2) hierkann "der Westen" reduzieren, (3) hier kann "der Osten"reduzieren. Aber dies ist wohl noch ein wenig zu allgemein.

Den 2. Punkt (Materialintensität) konkretisiert ein Ansatzdes Wuppertal-Instituts für Klima, Energie, Umwelt (SCHMIDT-BLEEK 1992, VON WEIZSÄCKER / SCHMIDT-BLEEK 1993). Ausgehend vonder Erkenntnis, daß die "Hexenjagden" auf einzelne Schadstoffe(CO2, FCKW, etc.) angesichts der Komplexität der Ökosphäre kaumAussicht auf dauerhaften Erfolg haben (vgl. die Problematik der"Ökobilanzen"), formulieren sie das Ziel der generellenReduktion der globalen Stoffströme, der Reduktion derStoffintensität unserer Lebensweise. Unter der Annahme desgleichberechtigten Zugangs aller Menschen zu den Ressourcen derErde (davon sind wir weit entfernt) und bei gleichzeitigerReduktion der globalen Stoffströme um 50% als ersten Schrittzur Nachhaltigkeit, ermitteln sie einen Reduktionsfaktor 10 fürdie "1. Welt". Dies innerhalb einer Spanne von 30-40 Jahren zuerreichen, vgl. etwa die Zeitaussagen der MEADOWS-Szenarien,erfordert immense Anstrengungen in Forschung, Entwicklung undim Entwurf. Zur Operationalisierung dieser Zielsetzung wird ein"universelles ökologisches Maß" entwickelt, die sogenannte"Materialintensität pro Serviceeinheit (MIPS)". Damit soll es möglichwerden, Entwurfsvarianten hinsichtlich ihrer Stoffintensität zubewerten. Auf erste Ergebnisse darf man gespannt sein.

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Abb. 4.14: Anzustrebender MIPS-Verlauf (Materialintensität proServiceeinheit) für ein Gerät zum Individualverkehr (Auto)(SCHMIDT-BLEEK 1992).

7) Forschung über "virtuelle Realitäten"Das Künstliche ist heute nicht mehr nur das materielle, sondernauch und zunehmend das immaterielle Gemachte. Einallgegenwärtiges Schlagwort ist das von der Kreation künst-licher Welten durch den Computer: "Virtual Reality". Esscheint, als ob der alte Begriff der Simulation ("so tun alsob") erst auf das Medium der Computergrafik gewartet hätte, umsich in aller Macht und vermeintlich ganz neuer Qualität zuentfalten. Aber ist dieser neue Simulationsbegriff dennwirklich so neu? Ist nicht die Modellierung eines physikali-schen Sachverhaltes in Form eines mathematischen Verfahrensbereits Simulation? Was ist das probeweise Lösen einer Aufgabeauf dem Papier (Entwerfen), ganz allgemein jedes Arbeiten mitModellen (das syntaktisch und semantisch bestimmte In-Beziehung-Setzen von Wirklichkeitsaspekten) anderes alsSimulation? Ist nicht letztlich bewußtes Denken, d.h. dieManipulation interner Zustände unseres Gehirns, immer schonSimulation? Oswald WIENERs (1984) These lautet: Denken istSimulieren .

Der Begriff der künstlichen Medien-Realitäten machte nurdann einen qualitativ neuen Sinn und entwickelteerkenntnistheoretische Brisanz, wenn er dem einer "wirklichen"Wirklichkeit klar gegenübergestellt werden könnte. DieFragwürdigkeit dieses Begriffs von "Realität", an dem sich auchdie Philosophie der letzten 2000 Jahre abgemüht hat, wirdzunehmend deutlich, seit kurzem unterstützt von (neuro-)biologischen Erkenntnissen, die besagen, daß wir in einer von

4.2 Die Praxis: Entwerfen auf dem Weg zum System? 431___________________________________________________________________________

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uns selbst konstruierten Wirklichkeit leben. Wir konstruierensie aus den Störungen / Irritationen / Reizen, die aus demMedium, in dem wir leben, auf uns einwirken. Und wir nehmen nurdas wahr, wofür wir sensorisch und strukturell - als Ergebnisunserer Biologie, unserer Evolution und unserer sozialen undindividuellen Geschichte - eingerichtet sind. Zugang zu einerobjektiven materiellen "Realität", die nicht zu bestreiten ist,denn wir sind selbst ein Teil von ihr, besitzen wir nicht. NeuePerspektiven / Dimensionen von Wahrnehmung entstehen allein imKopf. "Das Bewußtsein interpretiert Körpervorgänge als Welt"(LUHMANN 1990); die Philosophen, etwa die Phänomenologen(HUSSERL, MERLEAU-PONTY u.a.) haben das schon länger geahnt.Das Neue ist, daß sich nun, wie oben dargestellt, aufnaturwissenschaftlicher Grundlage eine erkenntnistheoretischeDenkweise entwickelt, die dies bestätigt (Operative Er-kenntnistheorie, Radikaler Konstruktivismus).

Das Nicht-Mehr-Unterscheiden-Können von "Realität" undSimulation durch den in der Simulation operierenden Menschenist also weniger ein Beleg für die Fähigkeit zur Schöpfungneuer Welten durch den Computer - ein externer Beobachter, dieskann auch der Akteur selbst zu einem späteren Zeitpunkt sein,sieht dies problemlos - als vielmehr ein Hinweis auf die sehrfragile Konstruktion von Wirklichkeit aus sensorischen Reizendurch den Menschen selbst. Daß wir geträumt haben, merken wiroft auch erst beim Aufwachen.

Wenn die erkenntnistheoretische Bedeutung von Simulationhier relativiert wird, dann soll damit nicht bestritten werden,daß es viele mehr oder weniger sinnvolle Anwendungen für dasgibt, was unter dem Etikett "Virtual Reality" gehandelt wird.Man könnte einen Müllkutscher mit "eye-video" und "data-suit"ausrüsten, so daß er mit einem Eselskarren durch eine arkadi-sche Landschaft fährt und Trauben auflädt, die er dann zurKelterei bringt. Am nächsten Tag könnte er dann z.B. Orangen inSizilien ernten oder Ananas in Hawaii, je nachdem, wozu er ge-rade Lust hat. Ob diese Perspektive gut oder schlecht ist, istschwer zu beurteilen. Vermutlich sind "gut" und "schlecht" hierauch ungeeignete Kategorien.

Sinnvolle Denkansätze führen in eine Richtung, die dievielzitierte, aber bisher kaum abzusehende Ent-Materialisierung derProduktion voranbringen. Ein perfekt simulierter "Golf GTI" im

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Wohnzimmer könnte vielleicht dazu ermuntern, mit dem Bus zurArbeit zu fahren. Tatsächlich spannend wäre der nächsteSchritt: Die unmittelbare Herstellung von Wahrnehmungen unterUmgehung der Sinnesorgane durch Erzeugung der entsprechendenGehirnaktivitäten. Dies geschieht schon lange durch Drogen,Hypnose, etc., ist allerdings bis heute allenfalls sehr unspe-zifisch möglich. Brisant wird dann der umgekehrte Weg: DieVisualisierung und Sensualisierung von Vorstellungen oderTräumen eines Menschen (vgl. dazu den Spielfilm von WimWENDERS: "Bis ans Ende der Welt", 1991).

Also: "Virtual Reality" ist erstmal als Technik zu sehen:ganz neutral gesprochen als neuartige Form von Mensch-Maschine-Interface. Es gibt immense Möglichkeiten der ökonomischen An-wendung im industriellen, im planerischen und im Unterhaltungs-Bereich. Auf all diesen Gebieten dienen sie derzeit zurIntensivierung der traditionellen Anwendungen, zur schnellerenund effektiveren Planung von Produkten, zum verstärkten Absatzstatt zur Vermeidung von Produkten. Eine positive Ausnahmebildet evtl. die (nun nicht mehr notwendigerweise bemannte)Raumfahrt. Einen echten Nutzen im Sinne eines günstigenEinflusses auf die oben dargestellten sich rapideverschlechternden Bedingungen des Planeten wäre dieProduktvermeidung, die Reduktion von Materie- und Energieflüs-sen, gefördert durch die Virtualisierung der Dinge. Mögliche Feldersind der Autoverkehr oder der Tourismus: Warum muß man in dieKaribik fliegen, wenn man dort dann doch nur in einemAllerwelts-Clubdorf wohnen will? Die obligatorische Exkursionnach draußen, in die "wirkliche Welt" der "traurigen Tropen",kann man dann schonender im data-suit absolvieren. Als Mittelgegen eventuell nachträglich doch entstehende Mangelgefühle(wegen fehlender "Authentizität") bekommt man ein persönlichesZertifikat über die Ersparnis von 15000 Flugkilometern,entsprechenden Mengen CO2 etc., auf das man dann stolz seinkann. Hier liegt ein potentielles Anwendungsfeld von VirtualReality, das es zu erkunden gilt, und zwar primär vom Design,verstanden als Disziplin der Simulation von Problemen und Lö-sungen, der Schaffung von Alternativen.

OEHLKE (1990b) scheint dies ähnlich zu sehen: "Produktewerden wie nie zuvor als vorübergehend und als Übergangsstadiumempfunden und behandelt. Hier liegt eine Potenz sowohl der

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Ablösung vom Produktfetischismus als auch die Gefahr der sichüberstürzenden Verschwendung." Die "Gefahr der Verschwendung"ist ein Hinweis auf das dahinterstehende gravierende Problem,nämlich die ungedeckten nichtmateriellen Bedürfnisse (MEADOWS1992: 258): "Wenn man solche Bedürfnisse mit materiellen Dingenzu befriedigen sucht, führt das zu einem unstillbaren Hungernach Scheinlösungen für reale Probleme. Die dadurch entstehendeLeere ist eine der Triebkräfte für materielles Wachstum. EineGesellschaft jedoch, die fähig ist, ihre nichtmateriellenBedürfnisse zu artikulieren und sie zu befriedigen, hat auchgeringeren Bedarf an Durchsatzmengen und kann einen höherenGrad menschlicher Befriedigung und Erfüllung geben." Die rechteinfach klingende, aber umso schwerer zu realisierende Lösung:Alle materiellen Bedürfnisse müssen materiell, alle nichtmateriellen Bedürfnissenichtmateriell erfüllt werden.

BROCK (1985) sieht erstaunlicherweise bereits einökonomisches Problem: "Die durch (die) mikroelektronische Revo-lution in absehbarer Zeit erzwungene Kommunikationsgesellschaftstößt auf ein entscheidendes Problem: Bis zu welchem Grad kanndie zwischenmenschliche Kommunikation entmaterialisiert werden,ohne ökonomische Katastrophen nach sich zu ziehen?" Dies istnur schwer nachvollziehbar, denn, ob materiell oder immate-riell, der zu zahlende Preis für das Produkt wird nicht sinken.Die ökonomischen Probleme entstehen erst dann, wenn zusätzlicheProduktvermeidung aus ökologischen Gründen erwünscht ist.Leichter nachvollziehbar ist der von BROCK genanntepsychologische Aspekt: " ... die Menschen sind von Natur ausauf materiale Vergegenständlichung ihrer geistigen Aktivitätenangewiesen. ... Wird diesem Bedürfnis nach sinnlicher Erfahrungauch dann noch entsprochen, wenn die Vergegenständlichungen dergeistigen Aktivitäten nur noch symbolisch ... ausgelegt (sind)?Wahrscheinlich nicht." Seine Konsequenz: "DasKommunikationsdesign wird in einer entsprechend totalenKommunikationsgesellschaft statt als fishing for complimentsein fishing for complications zu sein haben. Thematisierung istimmer nur als Problematisierung möglich. ... Wo die mikroelek-tronische Revolution das problemlose Funktionieren vorgibt,wird das Entwerfen (Design) von Kommunikation in erster Liniein der Symbolisierung ... der technischen Unzulänglichkeit, derFantasiearmut, der emotionalen Verkümmerung, der

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intellektuellen Borniertheit gefordert werden. ..." Was er hier"Problematisierung" nennt, läßt sich im Sinne dieser Arbeitetwas weiter interpretieren als Problem-Design, als Erkundungvon Problemfeldern. Aber was meint er mit der Forderung nachder "Symbolisierung der technischen Unzulänglichkeit"? Dies istakzeptabel für die Kunst (dort wird es in den reflektierterenFormen der Computerkunst auch getan), aber wenn es etwa um dieBenutzeroberfläche eines Textsystems geht, dann darf dort keine"Symbolisierung intellektueller Borniertheit" zu finden sein,sondern man muß "problemloses Funktionieren" erwarten können!

Zahlreiche zukunftsgestaltende Disziplinen sind über dieVoraussetzungen und die Folgen ihrer Arbeit eng miteinanderverbunden. Design ist von allen diesen Wissensgebietenbetroffen und kann seinerseits in allen diesen Bereichenwertvolle Beiträge leisten. Es geht um die Vernetzung von Design mitdiesen Partnerdisziplinen unter dem gemeinsamen Leitziel: wenigerbesser, langsamer, nachdenklicher, kommunikativer, ...

Perspektiven: Die neue Rolle von Design

Die Lösung von einzelnen Sach-Problemen mit der Hilfe vonErgonomie, Psychologie oder Materialwissenschaften, dentypischen "Hilfswissenschaften" des Entwerfens, wird zunehmendzweitrangig. Auch Konstruktion wird in diesem neuenDesignverständnis zur Hilfswissenschaft. Es geht um dieErweiterung der Interaktion mit ganz neuen Disziplinen. Wiegestaltet sich die neue Rolle von Design in diesem Netz?Design-Hochschulen spielen eine entscheidende Rolle.

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Design

Partner-disziplinen

Gesellschaft

Abb. 4.15: Design als Partnerdisziplin inInnovationsbündnissen. Diese entwickeln das Potential zurEinflußnahme, erwerben gesellschaftliche Definitionsmacht.

Veränderungen in der Design-AusbildungSLOTERDIJK (1989) kennzeichnet den derzeitigen Zustand unsererZivilisation treffend als einen permanentenBeschleunigungsprozeß und fordert eine "Kritik der politischenKinetik". Als Orte zur Entwicklung einer derartigen Theoriefordert er "machtneutrale Terrains, zu denen die Exekutive unddie Interessenvertreter der Mobilisateure keinen Zutritthaben ..." Der Einschätzung, daß sich "der Betrieb fast allerderzeit aktiven Universitäten auf der Erde zu Vorschulen derMobilmachung und zu kognitiven Zulieferfirmen für den Angriffder Gegenwart auf den Rest der Zeit entwickelt hat ...", istweitgehend zuzustimmen (JONAS 1989b). Die Beziehung istallerdings nicht einseitig, sondern wechselseitig und zirkulär:Die Nutzung kreativer Potentiale und innovativer Denkformen inWissenschaft, Kunst und Kultur wird zunehmend zum Wirt-schaftsfaktor. Andererseits sind die meisten praxisorientiertenAusbildungsgänge, wozu auch das Design gehört, garnicht mehr inder Lage, ohne Geld (und Wissen!) aus der Wirtschaft einenhalbwegs angemessenen ("praxisnahen") Ausbildungsbetrieb zugewährleisten. Es geht also um das Suchen eines mittleren Wegeszwischen der esoterisch-praxisfernen Isolation (in der wegenFehlens von Kontakt auch keine Mitgestaltung mehr möglich ist)und der pragmatisch-praxisorientierten Anpassung ankurzfristigen Wirtschaftsbedarf (bei der die Mitgestaltung zur

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bloß affirmativen Ausführung reduziert ist). Diese Suche nachdem "dritten Weg" führt immer wieder auf das Thema einer neukonzipierten Design-Theorie im Rahmen eines erweiterten Wissen-schaftsverständnisses. Diese unterstützt das Wechselspiel, dieKooperation zwischen klassischer disziplinärer Wissenschaft undprojektspezifischer Wissenschaft, orientiert am Inte-grationskern einer gemeinsamen Wertvorstellung.

Auch OEHLKE (1990b: 273) konzentriert die skizzierteProblematik unter dem Aspekt der Ausbildung. Dies isttatsächlich der zentrale Punkt, wenn es um aktive Beiträge zurVeränderung gehen soll, um Förderung von Einflußnahme undEinflußfähigkeit: "Ohne schon die offenen Fragen aus derVergangenheit bewältigt zu haben, findet sich das Design in derGegenwart vor völlig neuen und größeren Problemen und Aufgaben.Wird es seinen Bestand so wie bisher ausbauen können alsberufliches Tätigkeitsfeld und als gesellschaftlicher Bereich,oder muß es sich nicht vielmehr grundsätzlich im Denkenwandeln, um diesen Fragen gewachsen zu sein, um Einfluß nehmenzu können. Das könnte nämlich bedeuten, daß die bisherigenAusbildungskonzepte und -programme gründlich überdacht werdenmüssen! Die Perspektive des Design und seinerAusbildungseinrichtungen wird von den Antworten auf dieseFragen abhängen. ... Die Bewältigung der Gestaltung der ge-genständlich-räumlichen Umwelt wie die Bewältigung derökologischen Probleme erfordern hinsichtlich des Denkens undHandelns einen neuen Typ des Ingenieurs, des Wissenschaftlers,des Künstlers und Designers. Ihr Verhalten muß bestimmt seinvon den Erfordernissen der Sache, nicht vom persönlichenErfolg, es muß integrierend und kollektiv gedacht und gehandeltwerden. ... In der Fixierung auf marketing- und formalinnovationsorientierte Gestaltung wird das gesellschaftlichverantwortliche Verhalten den drängenden und unaufschiebbarenProblemen gegenüber an den Rand des professionellen Bewußtseinsgedrängt. Dagegen muß ein kritisches Bewußtsein, sachlicheKompetenz und wirkliche Befähigung zu kollektivermultidisziplinärer Arbeit aufgebaut werden, sowohl in den zuvermittelnden Fächern als auch in zu bearbeitenden Projektenund den Methoden der Kooperation über die schulischen Grenzenhinaus. Weder die Planungsgläubigkeit des alten klassischenFunktionalismus noch die Inszenierungswut des Postmodernismus

4.2 Die Praxis: Entwerfen auf dem Weg zum System? 437___________________________________________________________________________

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sind geeignet, die anstehenden Fragen der Umwelt in ihrergesellschaftlichen und ökologischen Gesamtheit, ihre Gestaltungin der sich wandelnden Bewahrung ohne Destruktion und ohnesinnlose Verschwendung und Ausbeutung zu lösen."

Hier ist, mit anderen Worten, konkret die Notwendigkeit"intersystemischer Diskurse zur Zivilisierung entwickelterGesellschaften" (WILLKE 1989) angesprochen. Der disziplinäreRahmen dieser Diskurse ist prinzipiell unbegrenzt, wie der MA-SERsche Vorschlag zur Reflexion der "6 Vorschläge für dasnächste Jahrtausend" zeigt. Dies zu tun, erfordert gestaltbareFreiräume zwischen den Disziplinen und Institutionen, die diesnicht behindern, und es erfordert zuallererst Lehrerinnen undLehrer, die dazu in der Lage sind. Besteht Aussicht aufBewegung in diese Richtung? Sind die heutigen Design-Schulendie geeigneten Orte, die nötigen Impulse zu geben? Nur sehrbegrenzt. Eine neue Art von Entwurfslehrerinnen und -lehrernist erforderlich. BROCK (1985) plädiert, wie von ihm nichtanders zu erwarten, für den Typ des Generalisten: "Die angeblichüberlegenen Experten wiehern sich das Witzwort zu, Generalistenseien Leute, die von Vielem nichts verstehen, das aber mitLeidenschaft. Die Experten haben es nötig. Von ihrenAuftraggebern werden sie nur zu Rate gezogen, wenn ihreUntersuchungen zu ohnehin längst getroffenen Entscheidungenpassen." MASER (1972) fordert, in nicht ganz so lockerer Rede,die Kompetenz des Kenners statt des Könners. Die beidenPositionen scheinen verwandt zu sein. Kennerschaft istVoraussetzung für Kooperationsfähigkeit und Kritikfähigkeit derPraxis. Erst die Kritikfähigkeit schafft Kritikbereitschaft,z.B. in Bezug auf designfremde Aussagen zum Design, zur eigenenProfession.

Problem-Design als PerspektiveEin modellhafter Weg ist die Entwicklung von Problem-Design. Diesbedeutet: Anwendung von systemtheoretischen Methoden undDenkweisen zur reflektierten inter- und transdisziplinärenProblemdefinition. Die Entwicklung und Anwendung von Si-mulationsverfahren zur Schaffung von Transparenz in komplexenZusammenhängen von Vorverständnissen, Kommunikationsstrukturen, Verpflich-tungen, etc., die mit der sozialen Konstitution des Problems zu tun haben. M.ZELENY (1982: Kap. 4) drückt dies so aus: "Typically, more

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attention is given in planning research and development to the´optimization of decisions´ with respect to existing optionsrather than to the optimization of those processes, bothconceptual and sociological, needed to discover or to developnew options, particularly options which would resolve conflictsin evaluation and decision-making." Schaffung neuer Optionenerfordert Problem-Design und meint das, was Heinz VON FOERSTERs"ethischer Imperativ" (1984) fordert: "act always so as to in-crease the number of choices".

Konkreter: Es geht darum, lösbare Probleme formulieren,deren Lösungen nicht unmittelbar wieder zu Problemen werden.Die übliche Planungspraxis ist von der Vergangenheit bestimmt(VESTER 1984). Man handelt, wenn das Problem aufgetreten istund geht an die Lösung, wenn eigentlich nur noch Korrekturenangebracht werden können. Die Ursache des Handelns liegt inbereits geschehenen Dingen. Die zu ergreifenden Maßnahmenlassen kaum noch eine Freiheit und legen damit gleich wiederdie weitere Entwicklung fest. Diese ergibt sich also auch hiererneut aus der Vergangenheit, aus nicht an der Zukunftbedachten Ursachen heraus. Abb. 4.19a illustriert dies: DieVoraussetzungen des erwünschten Ziels sind überhaupt nichtbekannt, obwohl man es (wie etwa z.Zt. die Vollbeschäftigung)ständig vor Augen hat. Man landet daher wegen falsch einge-schlagener Richtung, veränderten Verhältnissen oder versäumtenVorarbeiten meist ganz woanders. Der aussichtsreichere Wegbesteht darin, die Planung von der Zukunft her zu bestimmen, von einemEreignis (erwünscht oder unerwünscht) auszugehen, das noch garnicht stattgefunden hat. Man stellt ein in Zukunft möglichesProblem dar und fragt sich, wie man es vermeiden können wird.In einer Art Zeitumkehr tastet man sich nun schrittweiserückwärts, bis man bei der heutigen Situation angelangt ist.Abb. 4.19b zeigt diese an der Netzplantechnik orientierte Vor-gehensweise: Die unbedingten Voraussetzungen des Ziels werdenrückwärtsgehend ermittelt. Die Chance, mit einer derartigenStrategie das erwünschte Ziel zu erreichen, ist

4.2 Die Praxis: Entwerfen auf dem Weg zum System? 439___________________________________________________________________________

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Start Ziel

AB

CD

E

Abb. 4.16a: Problemlösung von der Vergangenheit bestimmt.

Start Ziel

A

B C

DE

Abb. 4.16b: Problemlösung von der Zukunft bestimmt.weit größer, zumal sich oft sogar mehrere brauchbareAlternativ-Pfade entwickeln lassen. Die Zielsetzung, diezukünftig erwünschte oder zu vermeidende Situation ist zugestalten: Im Team mit allen Beteiligten und mitsystemtheoretischem Instrumentarium. Dies ist Problem-Design.Übliches Industrial Design setzt danach an. Dies ist Lösungs-Design.

Die transdisziplinäre Vernetzung der Partnersysteme fördert dieAussichten, die Anarchie des Fortschritts in Entscheidungen zuverwandeln, die tatsächlich wieder Entscheidungen sind. Problem-Design ist der wesentliche Beitrag des Designs zu eineraufgeklärteren Art von Zukunftsplanung, zur demokratischenGestaltung der gesellschaftlichen Definitionsmacht, der Spielregelnzum Umgang mit dem gestalterischen Code Machen - Nicht-Machen. Dem Nicht-Machen wird in Zukunft eine ganz besondere Bedeutung zukommen.

Die wesentlichen Änderungen werden über die Design-Ausbildungeingeleitet. Ein modellhafter Weg ist die Entwicklung weg vomobjektorientierten Lösungs-Design hin zum funktionsorientiertenProblem-Design in der Kooperation mit allen projektrelevantenDisziplinen.

440 4 Systemtheorie und Design__________________________________________________________________________________________

Fazit 4.2: Design muß seine eigene Identität neu entwerfen undbereit sein, als Disziplin gesellschaftliche Verantwortung zuübernehmen. Design muß sich einbinden in transdisziplinäre Netzwerke(Innovationsbündnisse). Damit kann es kritische Fluktuationenverstärken, beitragen zum Strukturwandel, Einfluß nehmen auf denentwerferischen Code Machen / Nicht-Machen, einen Anteil an dergesellschaftlichen Definitionsmacht gewinnen.Die Arbeit leistet die Beschreibung diesesIntegrationsprozesses über 3 "Angelpunkte":- methodisch ---> Systemtheorie,- erkenntnistheoretisch ---> Konstruktivismus und- normativ ---> Bestandserhaltung als Wertbasis. Dies meint nichtdas So-Sein, sondern das Sein-an-sich im Sinne der Verantwortungsethikvon Hans JONAS.Systemtheorie (rationalistisch) + Konstruktivismus (relativiertden Objektivitätsanspruch und differenziert die Zweckbeziehungzum System) + Wertbasis bilden - ohne damit einen neuen "Ismus"etablieren zu wollen - ein neo-rationalistisches Theoriemodell.

Perspektiven 441___________________________________________________________________________

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Zusammenfassung

"Wir lassen nie vom Suchen ab,und doch, am Ende allen unseren Suchenssind wir am Ausgangspunkt zurückund werden diesen Ort zum ersten Mal erfassen."

T.S. Eliot: Little Gidding (1942)

442 Design - System - Theorie__________________________________________________________________________________________

HyperzyklusQuelle:Eigen / Schuster

Wir sind am Ausgangspunkt zurück? Dort stand die Frage, wieeine gesellschaftliche Theorie des Designs heute aussehenkönnte.

Der Ansatz liefert auf den ersten Blick tatsächlich eher Fragenals Lösungen und wird darum die Menschen vom "Typ X", so nenntHorst RITTEL (in LINDINGER 1987) die Leute mit den unerschüt-terlichen Gewißheiten über den Soll-Zustand der Welt,enttäuschen, bestenfalls verunsichern. Er ist eher Ausdruck derBemühungen eines Menschen vom "Typ Y": "Sie möchten gernherausfinden, was gesollt werden sollte. Je mehr sie darübernachdenken, desto schwieriger das Problem, desto größer dieSkepsis gegenüber Behauptungen zeitlos gültiger Lösungen undewiger Wahrheiten, desto stärker die Neigung zu pluralistischerToleranz."

Aber dabei muß man nicht stehenbleiben. PluralistischeToleranz steht nicht im Gegensatz zu sorgfältigerTheoriearbeit. Am Anfang der Einführung befindet sich dieSkizze des zyklischen Attraktors, der alles in sich einfängt unddennoch immer gleich bleibt. Hier wird er ersetzt durch denHyperzyklus, der die Einflüsse seiner Umgebung aufnimmt undverarbeitet, sich damit abgrenzt und weiterentwickelt und aufdiese Weise die Fähigkeit gewinnt, Einfluß auf seine Umgebungzu nehmen. Die Auswahl dieser beiden Skizzen hat metaphorischeBedeutung in mehrfacher Hinsicht:- Sie verdeutlicht die Struktur der vorliegenden Arbeit: DasZusammenführen einer Vielzahl zunächst unvereinbarerscheinender Theoriestücke. Ihr systemhafter Zusammenbauschafft etwas Neues, das mehr ist als die Summe derEinzelteile. Dieses Neue, hier als Theoriemodell oderTheorierahmen bezeichnet, schafft das Potential zumWeiterdenken.- Sie verdeutlicht die Funktion des vorgestelltenTheorierahmens: Theorieangebote aufnehmen, ordnen und zurWeiterarbeit aufbereiten. Es wird damit möglich, eine Vielzahl

Perspektiven 443___________________________________________________________________________

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von Fragen innerhalb eines konsistenten begrifflichen Rahmenszu stellen und in Angriff zu nehmen. Der Ansatz hat damit etwasvon der Qualität des POPPERschen "Netzes, das wir auswerfen, umunsere Fragen zu stellen". - Sie verdeutlicht die Perspektive der Disziplin: ExterneEinflüsse sollen nicht nur passiv aufgenommen, sondern mitHilfe des eigenen praktischen und theoretischenInstrumentariums verarbeitet und wieder nach außen getragenwerden. Dazu ist die Einbindung in ein "hyperzyklisches"Netzwerk der gegenwarts- und zukunftsgestaltenden Disziplinenerforderlich. In diesem Netzwerk einen respektablen Platzeinzunehmen und eine vernehmbare Stimme zu entwickeln, ist eineder wichtigsten Aufgaben des Designs.

Designtheorie ist - aufgrund ihres spezifischen Gegenstandes -ständig im Fluß befindlicher Prozeß. Permanente Fragen,Versuche, Provisorien sind wichtiger als "wahre" Antworten undMonumente mit Anspruch auf Ewigkeitswert. Der vorgestellteflexible Theorierahmen soll dazu beitragen, daß dennoch soetwas wie eine Theoriegrundlage entstehen kann, auf derFortschritt und Entwicklung möglich sind. Entscheidend ist dieSorgfalt in der Theoriearbeit und die Kontinuität derVermittlung von Theorie und Praxis.

In diesem Sinne sind wir am Ausgangspunkt zurück und werden ihnzum ersten Mal erfassen!

Anhang: Simulationsmodelle 445___________________________________________________________________________

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Anhang: Simulationsmodelle

Der Anhang dokumentiert meine praktische Beschäftigung mitdynamischen Simulationsmodellen, die parallel zu dertheoretischen Arbeit über Design, Designtheorie undSystemtheorie stattfand. Es handelt sich um"unwissenschaftliche" bis spekulative Modelle, jedoch basierendauf anerkannten Standardmethoden der System Dynamics:- das "Simulationsspielzeug" Sim Earth, beruhend auf der"Gaia"-Hypothese von LOVELOCK,- das "Weltmodell" WORLD3 von MEADOWS,- die anwendungsneutrale Simulationssoftware Stella II, dieauch in WORLD3 benutzt wird,- sowie einige mit Hilfe von Stella II selbst entwickelteProblemmodelle.

Warum diese "Spielereien"? Aus eigener beruflicher Praxis sindmir die hocheffizienten, lösungsorientierten Methoden derSystemtechnik vertraut: Checklisten für IST-Analysen, Ziel-findungsstrategien für SOLL-Konzepte, Nutzwertanalysen, Kosten-Nutzen-Analysen, Netzplantechnik, Optimierungsstrategien, etc.Wesentliches Merkmal dieser Verfahren und Voraussetzung ihrerAnwendbarkeit ist, daß das Problem von Anfang an feststehenmuß, ebenso das Lösungsprinzip. Es geht lediglich noch darum,unter Beachtung ebenfalls fixierter Randbedingungen die Parame-ter der Lösung zu optimieren. Die Güte einer Lösung ist meßbarund ausdrückbar in Geldeinheiten.

Im Laufe der theoretischen Arbeit hat sich das Interesseimmer mehr von der Seite der Lösungen auf die Seite derProblemstellungen verschoben. Wie werden Probleme definiert?Gibt es überhaupt "wirkliche" Probleme, die dann zu"wirklichen" Lösungen geführt werden können und damit aus derWelt geschafft sind? Parallel zu den theoretischen Überlegungendazu begann meine Suche nach praktischen Hilfsmitteln zurAuseinandersetzung mit dem Problembegriff. Aus dem Fundus derSystemtechnik schienen mir die dynamischen Modelle der SystemDynamics in dieser Hinsicht am meisten zu versprechen.

Mein "bottom-up"-Ansatz zur Aneignung der Methoden bestandin der Modellierung niedrigkomplexer Probleme mit der Stella II

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- Software, mein "top-down"-Ansatz war das "Spielen" mit derSim Earth-Software. Eine Erkenntnis aus Stella II: Selbst dieeinfachsten Modelle zeigen in ihrer zeitlichen Dynamik bereitshochgradig "kontraintuitives" Verhalten. Eine Erkenntnis ausSim Earth: Probleme sind eine Folge der vorangehenden Lösungen! Dies wirddeutlich, wenn man etwa versucht, das Szenario "Welt im Jahre1990" mit insgesamt (es wird nur mit globalen Mittelwertengearbeitet) schlechter Lebensqualität durch aktive Eingriffe sozu verändern, daß die Lebensqualität kontinuierlich wächst. Esist ein Glücksspiel und stützt die Hypothese, daß komplexeSysteme nur sehr eingeschränkt steuerbar sind.

WORLD3 ist ein auf die Welt im technischen Zeitalter(Zeitraum 1900-2100) zugeschnittenes Planetenmodell, dasdurchgehend auf der Aggregationsebene des gesamten Globusarbeitet. Es ist in der Stella II - Software realisiert;sämtliche Annahmen und Beziehungen sind explizit angegeben undveränderbar. Die von MEADOWS und anderen im Auftrag des "Clubof Rome" erarbeiteten Szenarien arbeiten mit dem jeweilsneuesten verfügbaren Datenmaterial über den Zustand der Welt.

Die Beispiele sind Versuche, die Techniken produktiv zurSimulation selbst formulierter Probleme zu nutzen. Die Ansätzeerscheinen mir vielversprechend; sie sollten weiterentwickeltwerden.

Sim Earth (LOVELOCK 1988)

Sim Earth ist ein Planetensimulator, das dynamische Modelleines Planeten. Die verwendeten Zustandsgrößen sind zum großenTeil zellulär organisiert, d.h. einem Ort auf der Oberflächedes Planeten zugeordnet, so daß ein geographisch basiertesModell entsteht, teils handelt es sich um globale Größen, dienicht lokal differenziert werden können (z.B. Lebensqualität).Dieser Aufbau ermöglicht die Interpretation der Zustandsgrößenund ihrer Dynamik in Form anschaulicher grafischerDarstellungen.

Sim Earth ist eine faszinierende Mischung aus "unseriösem"Computerspiel und "seriöser" Wissenschaft. Ist es etwa seriös,in einem wissenschaftlichen Modell einen Vulkanausbruch odereinen Meteoriteneinschlag auszulösen, einen Dinosaurier nebeneine Stadt des Atomzeitalters zu plazieren oder zur Vermeidung

Anhang: Simulationsmodelle 447___________________________________________________________________________

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von Kriegen der Philosophie mehr Energie zuzuleiten? DieKriterien geraten ins Schwimmen und genau dies erscheint mirsehr hilfreich für die Erweiterung des Blicks. Näheres siehe imUser Manual. Sim Earth lieferte die Bilder an den Anfängen derKapitel I bis IV. Das Programm basiert auf der Gaia-Theorie vonJames LOVELOCK (1988), die von der Vorstellung ausgeht, daß wirauf unseren Planeten und auf das Leben auf ihm wie auf einGanzes, einen lebenden Organismus, schauen und nicht wie aufeine Anhäufung separierter einzelner Phänomenbereiche undzugehöriger Wissensgebiete. Gaia ist eine Theorie über dieEvolution der Erde, welche die Evolution der Arten durchVariation und natürliche Selektion sowie die Entwicklung vonLand, Atmosphäre und Ozeanen als einen einzigen, eng ge-koppelten Prozeß sieht. Die Organismen und ihre Umwelt bildenein System, das zur Selbstregulation von Klima und Atmosphärein der Lage ist. Die Tatsache etwa, daß die mittlere Temperaturder Erde über einen Zeitraum von 3.6 Milliarden Jahren konstantund vorteilhaft für Leben geblieben ist, obwohl die Sonnenein-strahlung um 25% angestiegen ist und die Tatsache, daß derSauerstoffgehalt der Atmosphäre über 200 Millionen Jahre beietwa 21% geblieben ist, kann, so LOVELOCK, mit der Gaia-Theorieerklärt werden, nicht jedoch mit konventioneller Wissenschaft.Diese teilt den Planeten willkürlich auf in Biosphäre,Atmosphäre, Lithosphäre und Hydrosphäre. Dies sind jedoch nichtwirklich trennbare Teile der Erde, sondern es sind traditionellentstandene und kultivierte Einflußsphären, bewohnt und regiertvon wissenschaftlichen Spezialisten.

Gaia wurde sichtbar und denkbar durch das neue Wissen überdie Erde, das wir aus der Sicht des Weltraums und durch dieumfangreichen Untersuchungen der Erdoberfläche, der Ozeane undder Atmosphäre in den vergangenen Jahrzehnten gewonnen haben.Diese Sicht habe, so LOVELOCK, etwas von der poetischenMetapher des Schiffs, gelenkt von einem umsichtigen Steuermann,aber es sei auch eine Theorie unseres Planeten mitwissenschaftlichem Anspruch, die aus einer top-down Betrachtungaus dem Weltraum entstanden ist. Die Theorie stehe nun auf demPrüfstand und die weiteren Erkenntnisse, die wir über die Erdeselbst gewinnen, werden darüber entscheiden, ob sie als wissen-schaftliche Tatsache genommen werden muß oder nicht. Dazu LO-VELOCK (in SimEarth User Manual S.3): "Don´t be misled by those

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who argue that Gaia is untestable or teleological and thereforein error; their criticism is mere opinion based on prejudice,not evidence. Even if in the end Gaia should turn out to be nomore than a poetic metaphor, it would still have been worththinking of the Earth as a living system. Such thoughts havealready led to discoveries about the earth that could not havecome from conventional wisdom."

Es geht hier nicht um eine kritische Auseinandersetzung mitder Gaia-Hypothese. Gaia ist als eine Denkmöglichkeit zu sehen,die eine Alternative bietet zur konventionellen Sicht desPlaneten Erde als leblosem Gebilde von Gestein, Meer undAtmosphäre, das von Leben lediglich bewohnt wird.

World3 (MEADOWS 1992)

Die Autoren betonen unmißverständlich, daß WORLD3 nichtstrukturdynamisch ist, d.h.von sich aus die evolutionäreDynamik eines Weltsystems entwickeln kann, das sich neustrukturiert. Aber es ist ein recht taugliches Werkzeug, umrelativ einfache Veränderungen auszutesten, die eineGesellschaft zur Vermeidung des Kollapses nach Grenzüberziehungvornehmen könnte. WORLD3 hat den einzigen Zweck, erkennbar zumachen, auf welche Weise und inwieweit die wirtschaftlichenAktivitäten die Menschheit den Grenzen der Tragfähigkeit diesesPlaneten nahebringt. WORLD3 ist ein Problem-Simulator.

Im Gegensatz zu Sim Earth ist WORLD3 nicht geographisch-zellulär aufgebaut. Sämtliche Größen sind global aggregiert.Dies bedeutet, daß die Dynamik der Entwicklung nur in Form vonDiagrammen visualisiert werden kann. Es wird nachgrundsätzlichen Verhaltensformen gefragt, nicht nach speziellenzukünftigen Daten. Ein Beispiel ist die Untersuchung dermöglichen Verlaufsformen der Bevölkerungsentwicklung:beständiges Wachstum, logistischer Übergang, Überziehung mitEinschwingen oder Überziehung mit Kollaps (infolge Erosion).

Anhang: Simulationsmodelle 449___________________________________________________________________________

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Abb. A1: Verlaufsformen positiv rückgekoppelter Größen (MEADOWS1992: 156).

Das Weltmodell besteht aus fünf Sektoren: - Umweltverschmutzung, - sich erschöpfende Ressourcen, - Bevölkerung, - Landwirtschaft (mit Nahrungsmittelerzeugung,Bodenfruchtbarkeit, Landentwicklung und Erosion) und - Wirtschaft (mit Industrieoutput, Dienstleistungsoutput undArbeitsplätzen).Die Simulationsläufe (Szenarios) stellen jeweils den Zustandder Welt dar mit:- Bevölkerung,- Nahrungsmittelproduktion,- Industrieproduktion,- Umweltverschmutzung,- Ressourcensowie den materiellen Lebensstandard mit:- Nahrungsmittel pro Kopf,- Dienstleistungen pro Kopf,- mittlere Lebenserwartung,- Verbrauchsgüter pro Kopf.

Näheres siehe Kap. 4.2 und MEADOWS (1992).

450 Design - System - Theorie__________________________________________________________________________________________

System Dynamics Software (StellaII)

Das Simulationsmodell arbeitet auf der Grundlage einer dualenDarstellungsweise, welche eineindeutig ineinander überführbarist:- Diagramm, sowie- System gewöhnlicher Differentialgleichungen(Zustandsgleichungen).

Elemente der Systemmodelle sind:- Flüsse: Aktivitäten, Zustandsänderungen, ...- Speicher: Zustände, ...- Berechnungen: Einflüsse, Umrechnungen, ...- Beziehungen: ...

Als Beispiel diene die DGL der gedämpften Schwingung:

mx + kx +cx = 0 mit c= Federkonstante;k=Dämpfungskoeffizient, m=Masse.

Mit x = v und x = v ergeben sich für die Zustandsgrößen x und vdie beiden gewöhnlichen DGLen 1.Ordnung:

x = vv = - k/m v - c/m x.

Bei BOSSEL (1989) wird dies als Diagramm folgendermaßendargestellt:

add vint xint(v) v0 x0

-k/m-c/m

Nachteile der Darstellung:

Anhang: Simulationsmodelle 451___________________________________________________________________________

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Keine Differenzierung der Pfeilsymbolik, deshalb inkonsistenteDimensionen entlang der Flußrichtung.Entsprechendes Diagramm nach Stella II (1990):

xx

v

k c m

v

Vorteile der Darstellung:Differenzierung von Flüssen und Einflüssen, deshalb Konsistenzin den Dimensionen der Flußgrößen. Unmittelbare Zuordnung vonZustandsgrößen und Veränderungsraten.

Die zentralen Größen sind Zustandsgrößen und Veränderungsraten(stocks and flows). Beide Aspekte gehören zusammen, Dynamikkann nur in ihrem Zusammenspiel entstehen. Vgl. dieGegenüberstellung von BOSSEL (1989: 106):Zustand - VeränderungsrateSpeicher - Abfluß / ZuflußVorräte - VerbrauchProdukt - ProzeßEnergie - LeistungBesitz - ErlebenHaben - Seinetc.

Flüsse, gekennzeichnet über Zustände und Veränderungen, könnenmaterieller (Materie, Energie) oder immaterieller("Information" im weitesten Sinne) Art sein. Materielle Größensind in einem System "konservierend", d.h. ihre Gesamtsummebleibt konstant, immaterielle Größen sind "nichtkonservierend".

452 Design - System - Theorie__________________________________________________________________________________________

Z.B.: Die Vergrößerung der immateriellen Größe "Glück" an einerStelle bedeutet nicht, daß sie an anderer Stelle abnehmen muß.Die Summe einer immateriellen Größe in einem System ist nichtnotwendig konstant. Glück kommt buchstäblich von "out of acloud".

Alle materiellen Größen unterliegen den physikalischenErhaltungssätzen für Materie und Energie. Dennoch ist es in derPraxis der Modellerstellung vielfach sinnvoll und zur Vereinfa-chung erforderlich, auch materielle Flüsse aus einer "Wolke"kommen bzw. in eine "Wolke" fließen zu lassen. Dies bedeutet indem Fall, daß Herkunft und Ziel des Flusses innerhalb derangenommenen Systemgrenze unbeachtet bleiben. Die "Wolke"markiert dann eine Systemgrenze.

stockflow

System grenze

Die Unterscheidung zwischen materiellen und immateriellenGrößen ist bedeutsam. Viele der komplexen Dynamiken innatürlichen und sozialen Systemen entstehen gerade aus demWechselspiel dieser beiden Arten von Variablen.

Die Elemente der Systemmodellierung im Einzelnen, vgl StellaUsers Guide S. 101 - 117:

Flüsse (flow s)

Speicher (stocks)

Beziehungen(connectors)

Berechnungen(converters)

Anhang: Simulationsmodelle 453___________________________________________________________________________

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Elementares Blockdiagramm eines Systems (BOSSEL, Stella II):

u(t)

z(t)

fz(t)

gv(t)

System als "black box"u(t) v(t)

Alle Variablen sind als Vektorgrößen zu lesen:

u(t) = Umwelteinwirkungenv(t) = VerhaltensgrößenBei alleiniger Verwendung im Sinne der "black box" fehlt dieStrukturgültigkeit des Systems.

z(t) = ZustandsgrößenErforderlich zur Modellierung der internen Struktur.Zustandsgrößen beeinflussen das Verhalten.

Damit wird:v(t) = g(z(t), u(t))

Der Zustand selbst ist abhängig nicht nur von denUmwelteinwirkungen, sondern auch von sich selbst:z(t) = f(z(t), u(t))

BOSSEL (1989: 105f):"Auch beliebig komplexe Modelle der Systemdynamik entsprechendiesem Schema."(1989: 161): Auch Strukturveränderung ist darstellbar (logischeBedingungen, Sprungfunktionen, etc.)

454 Design - System - Theorie__________________________________________________________________________________________

Rechenschritte der Modellsimulation:

1) Vorgabe der Anfangswerte der Zustandsgrößen z (t0) und allerfesten Parameter.Für jeden Zeitpunkt t des Simulationszeitraumes:2) Ermittlung der aktuellen Eingangsgrößen (Umwelteinwirkungen)u(t).3) Ermittlung etwaiger zeitabhängiger Parameter.4) Berechnung der Veränderungsraten der Zustandsgrößen:z = f(z(t), u(t), t)5) Integration, um die Zustandsgrößen zu erhalten:z(t) = z0 + z dt 6) Berechnung der Ausgangsgrößen (Verhaltensgrößen) v(t):v(t) = g(z(t), u(t), t).

Alle verhaltensbestimmenden Eigenheiten eines Systems sind inder Vektorfunktion f, d.h. in den Veränderungsraten derZustandsgrößen, enthalten. Die Ausgangsfunktion g hat dagegenkeine Wirkungen auf die Systementwicklung. Sie stellt lediglichdie internen Vorgänge nach außen dar.

Die entscheidende Rolle liegt bei den Zustandsgrößen: BeiVorgabe der zeitabhängigen Parameter, der Umweltfunktionen u(t)und der Anfangswerte der Zustandsgrößen z läßt sich die weitereEntwicklung des (deterministischen) Systems berechnen. WeitereGrößen müssen nicht bekannt sein. Insbesondere folgen alle fund g aus diesen Größen.

Beispiele mit Stella II: Emergenz- und Attraktorverhalten

Es folgt nun der Versuch, Teile des Systems exemplarisch mitHilfe von Simulationsmodellen nichtlinearer dynamischer Systemezu untersuchen. Dabei existiert kein explizit darstellbares"Gesamtsystem", welches in Subsysteme unterteilbar und so zuuntersuchen wäre. Das System ist ein Denkmodell mit bestimmtenMerkmalen und Strukturen (siehe Kap. 4.1), welches jeweilsproblemspezifisch in Simulationsmodelle umzusetzen ist.

Anhang: Simulationsmodelle 455___________________________________________________________________________

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Beispiel 1: EmergenzverhaltenEin Modell zur Dynamik von Bedarfsdeckung / Bedarfsweckung imProduktions-Konsumptions-Zyklus. Es geht um die Frage: Waspassiert in einer Ökonomie beim Übergang von der Bedarfsdeckungzur Bedarfsweckung? Die Fragestellung hat unmittelbaren Bezugzu den Überlegungen in Kap. 1.2 zur Theoriendynamik. Dort wurdedie These präsentiert, daß der Übergang Funktionalismus --->Produktsemantik i.w. eine Folge des Übergangs der Ökonomie vomProblem der Bedarfsdeckung zum Problem der Bedarfsweckung sei.

Der Aufbau des Modells erfolgt im wesentlichen intuitiv unterAnnahme einer zyklischen Struktur von Produktion und Konsum.Die Beziehungen zwischen den Größen sind teilweise numerischund teilweise graphisch (durch "~" bezeichnet) definiert. Eineder grafischen Beziehungen ist im Blockdiagramm erläutert.

BedarfssaldoBedarfsdeckungsrate

Wirtschaftslage

Bedarfsentstehungsrate

ProdKap

ProduktivitätsÄnd

~

WirtschaftslageÄnd

~

ProdAuslastung

~

KonsumrateÄnd

Konsumrate

Diese Beziehung ist in grafischer Formdefiniert und bewirkt bei Verschlechterungder Wirtschaftslage eine Erhöhung derKonsumrate (durch Werbung, Design, etc.)

KonsumseiteProduktionsseite

Konsumrate meint so etwas wie eine zeit- und kulturspezifische Anspruchshaltung("Lebenstempo")

Abb. A2: Blockdiagramm Beispiel 1.

456 Design - System - Theorie__________________________________________________________________________________________

Abb. A3: Erläuterungen zum Blockdiagramm Beispiel 1.

Anhang: Simulationsmodelle 457___________________________________________________________________________

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Abb. A4: Simulationslauf Beispiel 1.Der Simulationslauf zeigt die Veränderungen beim Übergang

von der Ökonomie der Bedarfsdeckung zur Ökonomie derBedarfsweckung: Bei etwa konstanter "Lebensqualität" (hier wieüblich rein quantitativ definiert) steigen Produktion undKonsumption notwendigerweise stetig an. Dies hat zu tun mit derSicherstellung der Produktionsauslastung bei gleichzeitigerpermanenter Produktivitätssteigerung. Die Wirtschaftslageschwankt zyklisch.

Dieses Modell, welches den Ist-Zustand der Ökonomie sehrgrob beschreibt, könnte nun als Basis zur weiteren Erkundungdes Problemfeldes genommen werden. Das wesentliche Problemscheint die Reduzierung der Steigerungsraten bei Produktion undKonsum bei gleichzeitiger Sicherung von Lebensqualität zu sein.

Beispiel 2: AttraktorverhaltenEin Modell zur Dynamik von Präferenzmustern im Produktions-Konsumptions-Zyklus (FRITSCH o.J. und SEIFRITZ 1987).Untersuchung des nichtlinearen, dissipativen Verhaltens vonProduktion und Konsum in der Volkswirtschaft. Die Frage lautet:Wie ist es möglich, in einer Gesellschaft den Übergang vonkurzlebigen zu langlebigen Konsumgütern zu fördern? Es ergebensich Ansätze zur Beeinflussung in Richtung auf die Erhöhung desAnteils langlebiger Konsumgüter.

Die Gütergruppen:Kurzlebige Konsumgüter (Index 1), langlebige Konsumgüter (Index2).

Die Variablen:

458 Design - System - Theorie__________________________________________________________________________________________

K1(t): Anteil kurzlebiger Konsumgüter an der Gesamtnachfrage,K2(t): Anteil langlebiger Konsumgüter an der Gesamtnachfrage,P1(t): Anteil kurzlebiger Konsumgüter an der Gesamtproduktion,P2(t): Anteil langlebiger Konsumgüter an der Gesamtproduktion.Normierung der Variablen: K1 + K2 = 1,P1 + P2 = 1.

Die Übergangswahrscheinlichkeiten:WijK / WijP = Wahrscheinlichkeit, daß eine Einheit derKonsumausgaben / Produktionsausgaben der Gütergruppe i sich inder nächsten Periode auf die Gütergruppe j verlagert. Die Über-gangswahrscheinlichkeiten in Konsum und Produktion hängen vonden Variablen der Güterproduktion der Gruppe 1 (K1, P1) ab.Damit ergibt sich die Nichtlinearität des Systems.W12K = exp (-aK-dK(K1-0.5)-sK(P1-0.5)),W21K = exp (aK+dK(K1-0.5)+sK(P1-0.5)),W12P = exp (-aP-sP(P1-0.5)-dP(K1-0.5)),W21P = exp (aP+sP(P1-0.5)+dP(K1-0.5)).Die Koeffizienten der Konsumseite:aK: Autonome Präferenz zugunsten der Nachfrage nach kurzlebigenKonsumgütern (beeinflußt durch Kultur, technischeInnovationszyklen, etc.),dK: Modetrends, Verstärkung bestehender Nachfragetrends("positive Rückkopplung"),sK: Angebotsorientiertheit, Ausrichtung der Nachfrage auf dieAngebotsstruktur (beeinflußt durch Preise, Werbung, etc.). Die Koeffizienten der Produktionsseite:aP: Autonome Präferenz zugunsten der Produktion kurzlebigerKonsumgüter (beeinflußt durch Gewinnerwartungen, etc.),dP: Nachfrageorientiertheit, Ausrichtung des Angebots auf dieNachfragestruktur (beeinflußt durch Preise, etc.),sP: Trendverhalten, Verstärkung bestehender Angebotstrends(gute Gewinnaussichten bei schon vorhandenem Markt).

Die erste der vier obenstehenden Gleichungen für W bedeutet inWorten, daß sich der Konsum (K) kurzlebiger Konsumgüter (1)

Anhang: Simulationsmodelle 459___________________________________________________________________________

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zugunsten langlebiger Konsumgüter (2) umso unwahrscheinlicherverlagert, je größer die autonome Präferenz der Konsumenten(aK) zugunsten kurzlebiger Konsumgüter ist, je größer derModetrend (dK) bei einem hohen Anteil kurzlebiger Konsumgüter(K1>0.5) ist und je größer die Angebotsorientiertheit (sK) beihohem Produktionsanteil kurzlebiger Konsumgüter (P1>0.5) ist.

Für das dynamische Verhalten des Systems ergeben sich zweiPaare gekoppelter, gewöhnlicher, nichtlinearerDifferentialgleichungen.Das Gleichungssystem der Konsumstruktur:K1 = dK1/dt = -W12K K1 + W21K K2,K2 = dK2/dt = -W21K K2 + W12K K1.

Das Gleichungssystem der Produktionsstruktur:P1 = dP1/dt = -W12P P1 + W21P P2,P2 = dP2/dt = -W21P P2 + W12P P1.

Durch Umwandlung der Differentialgleichungen inDifferenzengleichungen läßt sich das System sehr einfach lösen.

Hier wird das System in ein Stella - Diagramm umgeformt, wasdie Anschaulichkeit des Modells wesentlich erhöht.Zustandsgrößen: K1 (K2=1-K1), P1 (P2=1-P1),Flüsse: K1/ t, ...P1/ t,Parameter: W12K, W21K, W12P, W21P.

Es folgen dann Simulationsläufe für drei Szenarien:

Szenario 1 Szenario 2 Szenario 3

aK 0. 0.1 0.2*sin(0.2πt)dK 1.5 1.5 1.5sK 1.0 1.0 1.0aP 0. 0. 0.

460 Design - System - Theorie__________________________________________________________________________________________

sP 1.5 1.5 1.0dP 1.0 1.0 1.0

K1

K2

P1 P2

deltak

deltap

ak

dk

sk

ap

dp

sp

W12K

W21K

W12P

W21P

Konsum

Produktion

Abb. A5: Blockdiagramm Beispiel 2.

Anhang: Simulationsmodelle 461___________________________________________________________________________

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Abb. A6: Erläuterungen zum Blockdiagramm, Beispiel 2.Szenario 1:Identisches Verhalten von Produktions- und Konsumptionsseite.Je nach den Anfangsbedingungen stellt sich ein Attraktor imlanglebigen, im kurzlebigen bzw. im mittleren Bereich ein. DieAttraktoren liegen auf der ersten Winkelhalbierenden.

Szenario 2:Die Erhöhung der autonomen Präferenz aK der Konsumentenzugunsten kurzlebiger Konsumgüter führt zur Verschiebung derAttraktoren in den Bereich links der Winkelhalbierenden.

Szenario 3:Periodische Oszillation der autonomen Präferenz aK derKonsumenten zugunsten kurzlebiger Konsumgüter nach einerSinusfunktion um den Wert 0. Gleichzeitige Abschwächung desTrendverhaltens sP der Produzenten.

Es ergeben sich keine exakt zyklischen Attraktoren, sondern,infolge der Nichtlinearität des Modells, nach rechts in denBereich der langlebigen Konsumgüter "wandernde" Zyklen". Diesbedeutet anschaulich, daß sich bei oszillierendemPräferenzverhalten der Konsumenten für kurzlebige Konsumgüterund Nichtreagieren der Produzenten ein langsamerEntwicklungstrend zu langlebigeren Gütern einstellt. Die sichdaraus ergebenden Konsequenzen, insbesondere im Hinblick aufEinflußmöglichkeiten, wären zu diskutieren. Dies führt jedochüber den Rahmen dieser Arbeit hinaus.

462 Design - System - Theorie__________________________________________________________________________________________

Abb. A7: Simulationslauf Beispiel 2, Szenario 1.

Anhang: Simulationsmodelle 463___________________________________________________________________________

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Abb. A 8: Simulationslauf Beispiel 2, Szenario 2.

Abb. A 9: Simulationslauf Beispiel 2, Szenario 3.

464 Design - System - Theorie__________________________________________________________________________________________

Es bleibt eine Vielzahl von offenen Fragen:- Wo liegt das Potential dieser Verfahren? - was ist mit ihnen möglich und was nicht?- das Problem der Quantifizierung qualitativer Begriffe,- der Umgang mit Interpretationsspielräumen, - etc.

Mein vorläufiges Resumée: Ein reflektierter Einsatz dieserVerfahren kann nützlich sein. Die Modellierung vonEmergenzverhalten zur Untersuchung von strukturellem Wandel istmöglich. Die Verwendung des Begriffs des Attraktors, etwa imZusammenhang mit Zeitgeist-Phänomenen wie Konsumverhalten,Mode, Design-Trends, Designtheorien, etc. erscheint sinnvoll.

Anhang: Simulationsmodelle 465___________________________________________________________________________

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Watzlawick, Paul; Krieg, Peter (Hrsg.) Das Auge des Betrachters: Beiträge zum Konstruktivismus Piper, München 1991

Weaver, Warren "Wissenschaft und Komplexität" in: Türk, K. (Hrsg.) Handlungssysteme Opladen 1978 (1948) S. 38-46

Weber, Max "Die protestantische Ethik und der ´Geist´ des Kapitalismus" in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. "I. Das Problem" 20. Bd., 1.H. 1904, S. 1-54. "II. Die Berufsidee des asketischen Protestantismus" 21. Bd., 1.H. 1905, S. 1-110

Weber, Max Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie 5. Auflage, Tübingen 1972

Wehner, Theo "Fehlerfreie Sicherheit - weniger als ein günstigerStörfall" in: Wechselwirkung Nr. 50 Jg. 13 (August 1991)

Wehowsky, Stephan über Niklas Luhmann in GEO - Wissen: Chaos + Kreativität Nr. 2 / 7.5.1990

von Weizsäcker, Christine und Ernst-Ulrich "Fehlerfreundlichkeit" in: Kornwachs, Klaus (Hrsg.) 1984 S. 167-201

von Weizsäcker, Ernst-Ulrich; Schmidt-Bleek, Friedrich "Signs ofHope for the 21st Century" Wuppertal Institute for Climate, Environment and Energy, March 1993

Wermke, Jutta "Hab a Talent, sei a Genie!" Kreativität als paradoxe Aufgabe Band 1: Entwicklung eines Konzepts der Kreativität und ihrer Förderung durch Literatur Deutscher Studien Verlag, Weinheim 1989

Whyte, Lancelot Internal Factors in Evolution London 1965 Wichmann, Hans (Hrsg.) System-Design Bahnbrecher: Hans Gugelot 1920-65 Birkhäuser Verlag Basel, Boston 1984, 2., erw. Auflage 1987

Wichmann, Hans "System-Design: Hans Gugelot" in: Ders. (Hrsg.) 1987 S. 12-18

Wichmann, Hans (Hrsg.) System-Design. Fritz Haller. Bauten, Möbel, Forschung Birkhäuser Verlag, Basel Boston Berlin 1989

Wick, Rainer (Hrsg.) Ist die Bauhaus-Pädagogik aktuell? Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 1985

Wiener, Norbert Kybernetik. Regelung und Nachrichtenübertragung in Lebewesenund Maschine Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1968. Original: Cybernetics or control and communication in the animal and the machine 1948, 2. Auflage 1961

Wiener, Oswald "Turings Test. Vom dialektischen zum binären Denken" in: Kursbuch 75 (Computerkultur) Rotbuch-Verlag, Berlin 1984

Wiener, Oswald "Kambrium der Künstlichen Intelligenz" Nachwort zur deutschen Übersetzung von Simon, Herbert A. 1981

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Willke, Helmut Systemtheorie. Eine Einführung in die Grundprobleme Gustav Fischer Verlag, Stuttgart New York 1982, 2. erw. Aufl. 1987

Willke, Helmut Systemtheorie entwickelter Gesellschaften. Dynamik und Riskanz moderner gesellschaftlicher Selbstorganisation Juventa Verlag, Weinheim und München 1989

Wilson, Robert Anton Die neue Inquisition. Irrationaler Rationalismus und die Zitadelle der Wissenschaft Zweitausendeins, Frankfurt / M. (1992). Original: The New Inquisition Falcon Press, Phoenix, Arizona (1986)

Winograd, Terry; Flores, Fernando Understanding Computers and Cognition Ablex Publishing Corp. 1986. Deutscher Titel:Erkenntnis Maschinen Verstehen Rotbuch-Verlag, Berlin 1989

Wittgenstein, Ludwig Tractatus logico-philosophicus und Philosophische Untersuchungen Lizenzausgabe Reclam-Verlag, Leipzig 1990

Wolfe, Tom Mit dem Bauhaus leben Verlag Anton Hain, Meisenheim 1984.Original: From Bauhaus to our house, Farrar Straus Giroux, New York 1981

Wolters, Gereon "Evolution" in: Mittelstraß, Jürgen (Hrsg.) Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie (Band 1) Bibliographisches Institut, Mannheim 1980

Zec, Peter (1992a) Vorwort im Programmheft Europäischer Design-Kongreß Design quo vadis? Strategien und Werkzeuge für das zukünftige Design in Europa 12.-14. Nov. 1992, Essen, Germany

Zec, Peter (1992b) (Hrsg. im Auftrag des Design Zentrums Nordrhein Westfalen) Design-Innovationen Jahrbuch ´92

Zeleny, M. Multiple Criteria Decision Making McGraw Hill, New York etc. 1982 Kap. 4

Zeng, Y. and Cheng, G.D. "On the logic of design" in: Design Studies Vol 12 No 3 (July 1991) pp 137-141

Ziemke, Axel; Stöber, Konrad "System und Subjekt" in:S.J.Schmidt (Hrsg.) 1992a S. 42-75

Dank 487___________________________________________________________________________

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Dank

Mein Dank gilt (die Zeit von Ende 1990 - April 1992 betreffend)Prof. Heinz-Jürgen Kristahn vom FB 6 (Kunsterziehung undKunstwissenschaft) der HdK Berlin für die wohlwollende Toleranzgegenüber meinen zu dieser Zeit noch sehr undurchsichtigenTheorieambitionen, deren Bezüge zum computergestütztenEntwerfen - meiner eigentlichen Aufgabe - kaum vermittelbarwaren.

Er gilt Prof. Siegfried Maser vom FB 5 (Design) der BUGHWuppertal für Unterstützung, Ermutigung und profunden fach-lichen Rat ohne jede bevormundende Einschränkung. Seine Einla-dung zum Designtheorie-Kolloquium am 13. Februar 1992 war derentscheidende Anstoß zur konsequenten Weiterführung dieserArbeit.

Er gilt Prof. Tönis Käo vom FB 5 der BUGH Wuppertal fürzahlreiche offene, kritische und fruchtbare Diskussionen undfür die Vermittlung der Praxisaspekte.

Er gilt, stellvertretend für alle, die es herstellen, demmenschlich und intellektuell freundlichen Klima am FB 5 derBUGH Wuppertal.

Und er gilt nicht zuletzt Prof. Horst Oehlke von der Hochschulefür Kunst und Design Halle und Prof. Helmut Strnad von der BUGHWuppertal für konstruktive Kritik an der Rohfassung diesesTextes.

488 Design - System - Theorie__________________________________________________________________________________________