Design als Produktsprache. Der „Offenbacher Ansatz“ in Theorie und Praxis

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ktsprache r Ansatz" eorie und Praxis

von Bernhard E. Bürdek,

ehe~ Jochen Gros

Verlag form th eorie

© 2000 Verlag form GmbH Frankfurt am Main ISBN 3-931317-34-X Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Dr. Frank Zimmer

Titelgestaltung: Sarah Dorkenwald CBCD Coolblue Corporate Design GmbH, Frankfurt am Main

Satz: Birgitta Sreball CBCD Coolblue Corporate Design GmbH, Frankfurt am Main

Druck: Graspo Zlln, Tschechien

Die Deutsche Bibliothek­CIP-Einheitsaufnahme Design als Produktsprache/ Dagmar Steffen ISBN 3-931317-34-X Frankfurt am Main: Ver. form 2000 (form Theorie)

Design als Produktsprache Der „Offenbacher Ansatz" in Theorie und Praxis

Dagmar Steffen

Mit Beiträgen von Bernhard E. Bürdek, Volker Fischer, Jochen Gros

Für Richard Fischer

1. Kapitel

2. Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Grundlagen einer disziplinären Design-Theorie Dagmar Steffen

1.1 Produktsprache als Erkenntnisgegenstand Jochen Gros Design als „Stummer Diener" Vom interdisziplinären zum disziplinären Designbegriff Stil und die technologischen Bedingungen der Produktsprache im Wandel

1.2 Aspekte der Produktsprache, oder: Was erzählen Gegenstände? Volker Fischer

1.3 Relevante Erkenntnismethoden Dagmar Steffen Semiotik Die hermeneutische Methode Die historische Methode Die phänomenologische Methode Zum Geltungsanspruch von geisteswissenschaftlichen Interpretationen

1.4 Vom praktischen Nutzen der produktsprachlichen Theorie Dagmar Steffen

Zur Theorie der Produktsprache Dagmar Steffen

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2.1 Formalästhetische Funktionen 34 Grundlagen der Formalästhetik 36 Merkmale für Ordnung und Komplexität 38 Zur Bewertung von Ordnung und Komplexität aus psychologischer Sicht 54 Ordnung und Komplexität in historischer Perspektive 57

2.2 Anzeichenfunktionen 62 Zur Realisierung von Anzeichen am Produkt 65 Gestalterische Mittel zur Anzeichenerzeugung 67 Zum Stellenwert von Anzeichen 80

2.3 Symbolfunktionen 82 Zum Symbolbegriff 82 Symbolische Funktionen der Produktsprache Jochen Gros 87 Stilgeschichte 89 Partialstile 90 Assoziationen 92 Grundbegriffe der Theorie der Produktsprache 94

3. Kapitel Produktinterpretation als Kulturstudie Dagmar Steffen

3.1 Funktionalismus - gestern und heute Das Service mit Bodenschliff von Adolf Loos für J. & L. Lobmeyr Der Türdrücker Hewi Nr. 111 Der Elektrorasierer Flex Integral 5550 von Braun

3.2 Neue Hüllen und Oberflächen Das Dampfbügeleisen Surfline II von Rowenta Der Kleinwagen Ka von Ford Die Milchgläser von Ritzenhoff Volker Fischer

3.3 Zeitgeistiges Die Armbanduhr Lange 1 von A. Lange & Söhne Das Büromöbelsystem Ad hoc von Vitra Der Mail-Order-Katalog ikarus design katalog

3.4 Design für die digitale Technologie Das Handy One touch Pro von Alcatel Bernhard E. Bürdek Die CD-ROM Authentie - The Techno Reference Bernhard E. Bürdek Der Offenbacher C-Hocker

Literaturverzeichnis

Abbildungsnachweise

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Einleitung Vieles spricht dafür. dass den produktsprachlichen beziehungsweise semantischen Aspekten von Produkten heute eine zentrale Bedeutung zukommt. Beispielsweise setzen Konsumenten Funktionalität und Gebrauchswert oftmals als selbstverständliche Eigenschaften voraus und orientieren ihre Kaufentscheidung vor allem daran, ob Produkte zu ihrem Selbstbild passen und dieses in der sozialen Kommunikation angemessen vermitteln. Umgekehrt können Unternehmen - gerade in einer Zeit, in der technologische Innovationen in einigen Branchen kaum noch zu erzielen sind und in anderen nur kurzfristig Vorsprung verschaffen - durch eine differenzierte und zielgruppengerechte Pro­duktsemantik vermeiden, in einen verschärften Preiswettbewerb mit ihren Mitbewerbern einzutreten. Und auch im sich immer stärker aus­weitenden Bereich immaterieller Produkte, beispielsweise der Interfa­ces elektronischer Produkte oder Web-Sites, spielen Selbsterklärung und intuitive Bedienbarkeit eine ganz entscheidende Rolle.

Gefragt wird in dieser Situation vermehrt nach Design - und dem bereits Mitte der siebziger Jahre an der HfG-Offenbach entwickelten Theorieansatz zufolge ist es eben die Produktsprache, die das Spezifi­sche am Design ausmacht, diese Disziplin im interdisziplinären Prozess der Produktentwicklung qualifiziert und vor Nachbprdisziplinen profi­liert. Freilich, als ,,lntegralisten" (Bürdek 1997) müssen Designerinnen und Designer auch in etlichen anderen Bereichen über solide Kennt­nisse verfügen und insgesamt einen guten überblick haben; die Beschäftigung damit mag vielleicht sogar einen Großteil ihrer Arbeits­zeit in Anspruch nehmen. Dennoch können sie sich in die interdiszi­plinäre Projektarbeit nur dann sinnvoll einbringen, wenn sie neben Kreativität auch über fachspezifische Kompetenz, nämlich Könner­schaft im Umgang mit den gestalterischen Mitteln und der Einschät­zung ihrer zeichenhaften Bedeutung, verfügen. Ihre Aufgabe wird nicht zuletzt darin gesehen, das Zusammenwirken von formalen Gestaltungsmitteln und deren semantische Bedeutungen im sozialen und kulturellen Kontext zu erkennen und auf dieser Grundlage „Pro­dukte" zu gestalten, die gezielt bestimmte Informationen vermitteln und Wirkungen erzeugen; wobei unter „Produkten" nicht nur einzel­ne Gebrauchsgegenstände im herkömmlichen Sinne zu verstehen sind, sondern auch Produktsysteme. das komplette Corporate Design eines Unternehmens oder das immer wichtiger werdende Interface immate­rieller Produkte.

Die Einsicht, dass Artefakte über ihren unmittelbaren praktischen Nutzen hinaus im sozialen Umgang auch als Zeichen wirken, seitens ihrer Betrachter und Nutzer vielfältige Bedeutungen zugeschrieben bekommen, Werte und Leitbilder verkörpern und als Repräsentanten für Gefühle Mittel zur sinnlich-symbolischen Artikulation darstellen, dass sie weiterhin ihren Zweck, ihre Handhabungs- und Bedienungs­weise, ihre Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit und gegenenfalls ihr Funktionsprinzip zeichenhaft vermitteln können - diese Einsicht mag heute populärer denn je sein - neu ist sie gleichwohl nicht: Bereits Ende des 19. Jahrhunderts beschrieb der Sozialwissenschaftler Thor­stein Veblen in seiner Studie Theory of the Leisure Class - wenn auch aus einem sehr spezifischen Blickwinkel -, dass Konsumgüter neben ihrem praktischen Zweck einen „sekundären Nutzen" hätten, der in ihrer Erscheinung zeichenhaft zum Ausdruck komme. Viel später, Mit-

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te der sechziger Jahre, befassten sich unter anderem die französischen Strukturalisten Roland Barthes und Jean Baudritlard mit der Bedeutung industriell erzeugter Produktkultur. Etwa zeitgleich führte Theodor Ellinger (1966) den Begriff der „ Produktsprache" in die Betriebswirt­schaftslehre ein; Gert Selle griff ihn. inhaltlich erweitert, 1973 in seinem Buch Utopie und Ideologie des Design auf, und darüber fand er schließlich auch Eingang ins Design. (vgl. o.c.) Seither wurde und wird an verschiedenen Design-Hochschulen im In- und Ausland, an der HfG­Offenbach, der Ohio State University, der Cranbrook Academy of .Art, der University of lndustrial Arts Helsinki. am Design Center des Indian Institute of Technology u.a.m., aber auch an den betriebswirtschaft­lichen Fakultäten der Universitäten Köln und München an einer Theoriebildung über Produktsprache, Product Semantics oder Produkt­semiotik gearbeitet. Wie aktuelle Veranstaltungen und Publikationen. zum Beispiel die beiden Symposien Die Sprache der Dinge (vgl. Bürdek 1998) und Die Sprach/ichkeit in der Gestaltung (vgl. Steffen 1998) oder das angekündigte Buch Die semantische Wende von Reinhart Butter und Klaus Krippendorff belegen, hat der Diskurs über das Thema bis heute nicht an Brisanz verloren.

Anstoß zu der Entwicklung der „Theorie der Produktsprache" gab bereits in den frühen siebziger Jahren die Funktionalismusdebatte. Richard Fischer, Absolvent der HfG Ulm und bis zu seiner Berufung an die Offenbacher Schule lange Jahre in der Design-Abteilung der Braun AG tätig, kritisierte damals aus seiner praktischen Entwurfserfahrung heraus, dass die funktionalistische Gestaltungstradition zunehmend im Formalismus erstarre. Anstatt ihrem eigenen Credo „ form follows function" gehorchend, die praktischen Funktionen in der Produktform zeichenhaft zu visualisieren, würde sie sich einseitig an den formal­ästhetischen Kriterien der Gestaltreinheit bzw. der „Guten Form" ori­entieren und auf hochgradig geordnete, stereometrische Grundformen beschränken. Aus dieser Einsicht heraus entwickelte Fischer auf induk­tivem Wege jenen Theoriebereich, der beim Offenbacher Ansatz die Anzeichenfunktion betrachtet. Etwa zeitgleich, noch während seines Studiums am Ulmer Institut für Umweltplanung und an der Hoch­schule für Bildende Künste Braunschweig, hatte Jochen Gros aus der Funktionalismuskritik von Adorno, Mitscherlich, Lorenzer und anderen den Ansatz eines „Erweiterten Funktionalismus" (1973) abgeleitet; um den psychischen und sozialen Dimensionen des Designs stärker als bis­her Rechnung zu tragen, seien beim Entwurf folglich nicht nur die praktisch-funktionalen Produktfunktionen zu beachten, sondern auch die zeichenhaften, das heißt die symbolischen und ästhetischen Funktionen einzubeziehen.

Obwohl Fischer und Gros aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus argumentierten, hatte ihre Kritik dennoch einen gemeinsamen Nen­ner: Beide forderten eine stärkere Gewichtung und theoretische Fun­dierung der zeichenhaften Produktfunktionen. Hinzu kam das damals allgemein wachsende Interesse an Theorie. So konstatierten zum einen kritische Beobachter wie etwa Gerda Müller-Krauspe eklatante Defizi­te; Design-Theorie. so schreibt sie. sei eine „unpräzisierte Bezeich­nung" für „ein Konglomerat von sehr unterschiedlichen ... Beiträgen" (1978), zum anderen entwickelte sich durch die Reform der musisch­handwerklich orientierten Werkkunstschulen zu künstlerisch und wis­senschaftlich ausbildenden Hoch- und Fachhochschulen ein „Bedarf"

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an wissenschaftlicher Fundierung, während die in dieser Richtung ambitionierte HfG Ulm bereits geschlossen war.

Der vor diesem Hintergrund am Otfenbacher Fachbereich Produkt­gestaltung entwickelte Ansatz einer „Theorie der Produktsprache" wurde in seinen Grundzügen von Gros in der Zeitschrift form (1976) erstmals dargestellt. In den achtziger Jahren folgte dann eine von der Hochschule herausgegebene Schriftenreihe Grundlagen einer Theorie der Produktsprache, die in drei Heften den im Rahmen der Hochschul­arbeit über die Jahre kontinuierlich weiterentwickelten Theorieansatz ausführlich dokumentierte (vgl. Gros 1983, Fischer/ Mikosch 1984, Gros 1987). Da der Fokus hierbei vor allem auf der Vertiefung der drei pro­duktsprachlichen Schwerpunkte lag, der elementare Bereich der For­malästhetik aber nie dargestellt werden konnte und weil natürlich auch der Diskurs weitergegangen ist, erscheint nun die vorliegende, umfassendere Darstellung des Theorieansatzes, seiner Anwendung und seiner Perspektiven.

Die Idee zu dieser Publikation entstand, als am Fachbereich regel­mäßig sogenannte Präzedenzfall-Diskussionen stattfanden, bei denen ausgewählte Produkte auf der Grundlage der Theorie der Produkt­sprache analysiert und interpretiert wurden. Wie die Texte von Kapitel 3, die größtenteils auf diesen Diskussionen basieren, belegen. ist mit dem theoretischen Instrumentarium durchaus eine ganzheitliche Erfas­sung des Untersuchungsgegenstandes möglich. Diese produktsprach­lich-hermeneutische Interpretationen, die die Gestaltung von Produk­ten in einen umfassenden Sinnzusammenhang stellen, können als ein designspezifischer Blick auf die Kulturgeschichte angesehen werden. Schließlich geben die Beschaffenheit und ästhetische Erscheinung von Produkten, die Motive, warum sie so und nicht anders aussehen sowie die Art und Weise ihrer Rezeption und Nutzung weitreichenden Auf­schluss über die Verfassung einer Kultur zu einem bestimmten Zeit­punkt.

Vor der Kür solcher quasi ikonologischen Kulturbetrachtungen steht zunächst freilich die Pflicht, am Fundament von Design-Theorie mit detaillierten Bezügen zur Entwurfspraxis weiterzuarbeiten. So werden in Kapitel 1 zunächst eine wissenschaftstheoretische Verortung von Design-Theorie vorgenommen sowie Ziele. Erkenntnisgegenstand und Methoden bestimmt. Auf dieser Grundlage erfolgt dann in Kapitel 2 die Entwicklung der eigentlichen Theorie - mit der Suche nach Grund­begriffen und einem Instrumentarium, mit dem sich die Produktspra­che, oder präziser: die produktsprachlichen Funktionen von Artefakten .. begreifen", interpretieren und verbal kommunizieren lassen.

Dagmar Steffen, Frankfurt am Main, Februar 2000

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Grundlagen einer disziplinären Design-Theorie

,.Theorie ohne Praxis ist leer, Praxis ohne Theorie ist blind!"- so über­schrieb Siegfried Maser vor über 20 Jahren einen Beitrag in der form (1976), in dem er nicht nur die Notwendigkeit einer Design-Theorie begründete, sondern auch für eine „gegenseitige Verflechtung zwi­schen Design-Praxis und Design-Theorie" eintrat. Der Grund für diese Forderung liegt auf der Hand: Wenn Design-Theorie nicht Selbstzweck sein soll, nicht - wie Gui Bonsiepe kritisierte (1997) - als „ergötzliche Sonntagsrednerei ", ohne Gebrauchs- und Tauschwert gelegentlich Unterhaltung bieten, sondern vielmehr einen relevanten Beitrag zur Lösung von Praxisproblemen leisten will, dann kann sie nur in Kenntnis und ständiger Auseinandersetzung mit der Design-Praxis entwickelt werden.

Es war die Arbeit Einige Bemerkungen zum Problem einer Theorie des Design von Siegfried Maser (1972), die damals eine neue wissen­schaftstheoretische Grundlage für die Theoriebildung im Design mar­kierte und zumindest für die Entwicklung des Offenbacher Ansatzes wichtige Impulse lieferte. Zum einen trat Maser dem Missverständnis entgegen, dass durch theoretische Grundlagen das Design selbst zur Wissenschaft und der kreative Entwurfsprozess quasi „ verwissen­schaftlicht" werde. ,.Ausgangspunkt ... sei, dass Design ... eine Tätig­keit, also Praxis ist und dass eine solche Tätigkeit von Redeweisen, also von Theorie begleitet wird und zwar von Redeweisen. die entweder den Tätigkeiten vorausgehen, also zu Machendes begründen, oder den Tätigkeiten nachfolgen. also Gemachtes rechtfertigen oder kritisieren. Jede Theorie hat somit wesentlich eine begründende und eine kritische Funktion" (o.c., S. 2). Zum anderen halfen Masers Ausführungen über die Voraussetzungen von Theoriebildung sowie über verschiedene Wis­senschaftstypen (Natur-, Formal- und Geisteswissenschaften, Transklas­sische Wissenschaft) bei der Positionierung und Erzeugung von Design­Theorie.

Aufbauend auf seinen Ausführungen wurde an der HfG-Offenbach ein disziplinärer, geisteswissenschaftlich orientierter Ansatz zur Design­Theorie entwickelt; disziplinär, weil gerade auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Produktentwicklungsprozess profilierte Disziplinen voraussetzt, die über spezifisches, artikulierbares Fachwissen verfügen; und geisteswissenschaftlich, da es sich beim Erkenntnisgegenstand von Design-Theorie - nämlich die Produktsprache bzw. das Zusammenwir­ken von gestalterischen Mitteln und ihrer Bedeutung - nach der Argu­mentation von Gros „nicht wie bei den Naturwissenschaften um reales Sein, zum Beispiel Steine, Pflanzen, Sterne, Stühle, Maschinen usw. (handelt). Hier geht es um Zeichen, Vorstellungen, Ideen. Das ist nicht die einfache Realität des Materiellen. Empirischen, sondern ein Prozess, der sich zwischen einem Produkt und seinem Beobachter abspielt, ein Wechselspiel zwischen Ausdruck und Eindruck. Was daran Materie ist, hat Zeichencharakter, verweist auf Ideelles. Erst dieses Ideelle, also das, worauf diese Zeichen hinweisen, macht die eigentliche Substanz der Produktsprache aus" (1983, S. 26). Grundsätzlich ist diese Verortung des Erkenntnisgegenstandes der Theorie der Produktsprache nach wie vor zutreffend, obgleich heute unter den Bedingungen der neuen, digitalen Technologie von einer Erweiterung und Differenzierung des Begriffs der Produktsprache auszugehen ist (siehe hierzu Kapitel 1.1 ).

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1.Kapitel

Wichtig ist festzuhalten, dass diese Bestimmung des Erkenntnisgegen­standes eine auf den tschechischen Linguisten Jan Mukafovsky (1970) zurückgehende Unterscheidung zwischen den praktischen und zei­chenhaften Funktionen eines Produktes impliziert. Während die prak­tischen Produktfunktionen, die über die direkten physikalischen Pro­duktwirkungen zustande kommen. wie gesagt unmittelbar auf das „reale Sein" und die Befriedigung materieller Bedürfnisse gerichtet sind, werden unter den zeichenhaften, oder richtiger: den produkt­sprachlichen Funktionen diejenigen Produktfunktionen verstanden, die „über unsere Wahrnehmungskanäle, über unsere Sinne, das heißt als psychische Produktwirkungen vermittelt werden" (Gros 1983, S. 62). Der Begriff „Fllnktionen" drückt hierbei aus. dass es nicht um quasi per se vorhandene Eigenschaften der Objekte geht. sondern um Zeichen in ihrer Wirkung auf den Betrachter, das heißt um die Beziehung zwi­schen Mensch und Objekt (vgl. o.c., S. 60).

An einem Beispiel sei das kurz verdeutlicht: Zu den praktischen Pro­duktfunktionen eines Autos gehört, dass es fährt, mit neuester Technik ausgerüstet ist, den Insassen Schutz und ergonomischen Komfort bie­tet, für seinen Betrieb Benzin oder Diesel benötigt, Abgase ausstößt und anderes mehr. Indessen zählt zu den produktsprachlichen Funktio­nen, dass die Betrachter das Auto als Limousine, Sport- oder Kleinwa­gen identifizieren, es als zuverlässig, luxuriös, elegant oder als pfiffig, jugendlich und heiter empfinden und etwa Vorstellungen über den sozialen Status und Lebensstil des Eigentümers entwickeln. Freilich ist eine solche Trennung zwischen praktischen und produktsprachlichen Funktionen eine abstrakte, da immer auch praktische Produktfunktio­nen in der Produktsprache ihren Ausdruck finden. Die Verzahnung und Wechselwirkungen zwischen beiden Funktionsbereichen sollen also keineswegs geleugnet werden. Im Gegenteil. sie dürfen bei Produktin­terpretationen nicht außer Acht gelassen werden. Gleichwohl zielt diese Differenzierung zwischen den beiden Funktionsbereichen sowie die Bestimmung von Design als Produktsprache darauf ab, den Erkenntnisgegenstand von Design-Theorie zu präzisieren und zugleich auch die Fachkompetenz von Designern zu spezifizieren: Während die Optimierung der praktischen Produkteigenschaften vornehmlich in den Aufgabenbereich etwa von Ingenieuren, Ergonomen, Fertigungstech­nikern oder Programmierern fällt, bilden die sinnlichen Produktfunk­tionen die eigentliche Domäne des Designs. Zugegeben: Am Beispiel des Automobils ist diese Trennung leichter nachvollziehbar als etwa bei einem Tisch, einer Kaffeekanne oder einer Web-Site, wo „Technik" und „Gestaltung" zumeist doch in einer Hand liegen. Für die Qualifikation von Designern bedeutet dies, dass sie - neben ihrer gestalterischen Kompetenz - selbstverständlich über Kenntnisse in Bereichen wie Statik, Fertigungstechnik, Programmierung etc. verfügen müssen. hier aber gegebenenfalls entsprechende Spezialisten hinzuziehen können. Mit den Worten von Maser (1972) haben sie auf gestalterischem Gebiet ,.Könner", in den anderen Bereichen lediglich „Kenner" zu sein.

Die Verortung von Design-Theorie als eine geisteswissenschaftliche Disziplin hatte für die weitere Theoriebildung verschiedene Folgen. Ein entscheidender Schritt war zum Beispiel die Wahl angemessener Erkenntnismethoden. Weder naturwissenschaftlich empirische Metho­den, mit denen unter anderem an der HfG Ulm versucht worden war, ästhetische Phänomene zu analysieren und messbar zu machen. noch

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die von Bernhard E. Bürdek vorgelegten Arbeiten zur Design-Theorie (1971) und zur Einführung in die Design-Methodologie (1975), die die verschiedenen aufeinander folgenden Stufen des Designprozesses (von der Problemerkennung über Analyse und Konzeptentwurf bis zur Pro­blemlösung) transparent machten und operationale Entwurfsmetho­den und Kreativitätstechniken, also „klassische Design-Methodologie" (Bürdek 1991) vorstellten, konnten als geeignete Erkenntnismethoden für den Gegenstand „Produktsprache" dienen; denn es galt ja, die inhaltlichen Bedeutungen, die den Produkten in ihrem Kontext seitens der Nutzer beziehungsweise Rezipienten zugeschrieben werden - eben die vielfältigen Geschichten, die sie „erzählen" (vgl. hierzu Kapitel 1.2) - herauszuarbeiten und besser verstehen zu lernen.

Somit richtete sich das Interesse nun verstärkt auf geisteswissen­schaftliche Methoden des Sinnverstehens und Interpretierens. bei­spielsweise die Hermeneutik oder auch die historische Methode (vgl. hierzu Kapitel 1.3). Ein großer Vorteil dieser Methoden, mit denen eine deutliche Zäsur gegenüber den früheren Ansätzen vorgenommen wur­de, bestand darin, dass sie keinen besonderen Aufwand erfordern. Im Grunde helfen sie, die in der Designpraxis wie auch im Alltagsleben gesammelten Beobachtungen und Erfahrungen mit Produkten zu beschreiben und in Theorie zu überführen. Ausgehend von konkreten Produkten und Entwurfsprojekten wurde zum Beispiel über das Zusam­menwirken von formalen Gestaltungsmitteln und ihren inhaltlichen Bedeutungen im sozialen und kulturellen Kontext diskutiert. Da ging es beispielsweise um Fragen, warum Nutzer manche Produkte intuitiv richtig bedienen können, mit anderen Produkten hingegen nicht zurecht kommen; mit welchen gestalterischen Mitteln erreicht werden kann, dass Produkte ästhetisch langlebig sind; oder ob ein Produkt „billig" oder „ teuer" . .,jugendlich" oder „alt" auf die Betrachter wirkt und wie diese Eindrücke durch Gestaltung verändert werden könnten.

Bei der Diskussion solcher Fragen anhand von Produktbeispielen gelang es dann teilweise, auf induktivem Wege Wissen zu erzeugen, das in Fachbegriffen wie auch in Thesen seinen Niederschlag fand -eine Arbeitsweise, wie sie auch von anderen entwickelten Fachgebieten praktiziert wird. Denn bekanntlich besteht Fortschritt in den Wissen­schaften „in einer zunehmenden Präzisierung, in einer fortschreitenden Differenzierung der Formulierung ihrer Erkenntnisse". der Weg dorthin ist „in der Bildung von Fach-und Präzisionssprachen" zu sehen (Maser 1972). Eingebunden in die qualitativ-verbale Argumentation hatte dies nicht, wie in manch anderer Disziplin, die Konsequenz einer für den Lai­en nicht mehr nachvollziehbaren Sprechweise. Gleichwohl sind Begrif­fe wie etwa „Anzeichen", ,,Stil", ,,Look", .. uneigentliches Ornament" oder „Funktionalismus" ohne Kenntnis des fachlichen Diskurses und seiner Begriffstraditionen nur partiell verständlich. Es handelt bei ihnen ja nicht um eine einfache Beobachtungssprache, sondern um theoreti­sche Begriffe, die die in der Praxis beobachteten Gegenstände und Sachverhalte als theoretische Erkenntnisse formulieren.

Parallel zu dieser induktiven Vorgehensweise wurde die Theorie der Produktsprache auch auf deduktivem Wege vorangetrieben. Wie im folgenden Abschnitt skizziert, wurde der Begriff der Produktsprache auf der Grundlage der Schriften von Jan Mukarovsky und Susanne lan­ger genauer bestimmt. Dabei erwies es sich - analog einer Unterschei­dung, die sich übrigens auch in der Linguistik, in der Semiotik und in

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der Ikonographie findet - auch hier als sinnvoll, zunächst zwischen Syntax und Semantik zu differenzieren. Entsprechend gliedert sich die Produktsprache in die formalästhetischen Funktionen - also diejenigen Aspekte, die rein formal und unabhängig von ihrer inhaltlichen Bedeu­tung betrachtet werden - und in die semantischen beziehungsweise zeichenhaften Funktionen, nämlich die Anzeichen- sowie die Symbol­funktionen (vgl. hierzu Kapitel 2, das Begriffssystem auf S. 34 sowie S. 94/95).

1.1 Produktsprache als Erkenntnisgegenstand Jochen Gros Eine Theorie über Design muss zuerst erklären, was ihr Gegenstand ist, also was sie unter Design versteht. Das ist gar nicht so leicht, weil seit Jahrzehnten darüber gestritten wird, was Design ist oder sein sollte, und weil jede Antwort im laufe der Zeit zu überdenken ist. Da hilft auch die Übersetzung aus dem Englischen nicht viel weiter. Sie dehnt den Begriff, bis sich auch die Konstruktion der Atombombe als Design bezeichnen lässt. Victor Papanek (1974) hat diese Tendenz, alles nur Mögliche in den Designbegriff hineinzupacken, mit einer genauso umfassenden. wie nichtssagenden Formel auf die Spitze getrieben: ,,Alles ist Design." Kein Wunder also, dass Horst Oehlke 1977 (s. Bür­dek 1991, S. 15) dafür plädierte. Design lieber gar nicht zu definieren. Wie aber sollen wir über alles und nichts eine Theorie erzeugen?

Wenn über längere Zeit keine hinreichende Antwort zu finden ist, dann liegt es gewöhnlich an der Fragestellung. Tatsächlich verlangen die Definitionsregeln ja keine vollständige Beschreibung all dessen, was im Design eine Rolle spielt. Gefragt ist nur zweierlei: differenzierende Merkmale und der nächst höhere Allgemeinbegriff. Wenn wir aber den allgemeinen Überbegriff des Designs als Mensch-Objekt-Relation beschreiben, dann reduziert sich die eigentliche Frage auf den Unter­schied zwischen den Mensch-Objekt-Relationen, die zum Design, und denjenigen, die zum Gegenstand der anderen Disziplinen gehören. Die Definitionsfrage lautet daher: Was ist das Spezielle am Design?

Design als „Stummer Diener" Die ersten Offenbacher Versuche, darauf eine Antwort zu finden (Gros 1976 und 1983). sind zunächst einmal aus der damaligen Situation her­aus zu erklären. Sie wandten sich gegen das Leitbild des Funktionalis­mus, den sogenannten „Stummen Diener", der idealisiert und stilisiert wurde. Denn wie immer man „form follows function" verteidigen mag, welche Zitate auch immer belegen sollen, dass die Funktion ja gar nicht so technoid gemeint war, fest steht trotzdem: Das funktionalistische Denkgebäude beruht, weit über das Ornamentverbot hinaus, auf der Negation zeichenhafter Funktionen. Sowohl die tatsächliche Entwick­lung. als auch die abgeleiteten Lehrsätze lassen nur diesen Rückschluss zu. Allein die Verdrängung der Zeichen, die nicht einfach Anzeichen von Technik sind, macht so etwas wie „zeitloses Design" mit objektiver und internationaler Gültigkeit überhaupt denkbar: Produkte mit historischer Bedeutung können gar nicht als zeitlos gelten; und Designobjekte. die eine Firmenphilosophie, ein Zielgruppenimage oder eine individuelle Eigenart vertreten, sind prinzipiell nicht objektiv. Doch die „von Alaska bis Feuerland" international „Gute Form" mußte sich schon rein logisch über jede kulturelle und regionale Eigenart ausschweigen. Wer Design am Ende noch für „messbar" hält - immerhin eine These, mit der Her-

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bert Ohl (1977) hervor- und wieder zurücktrat - schließt sogar wissen­schahstheoretisch jegliche Zeichenhaftigkeit aus dem Designbegriff aus.

Wer aber denkt. dass die „Gute Form" ausschließlich aus der Opti­mierung praktischer Funktionen resultiert, der braucht sich schließlich nur noch um diese zu kümmern. Der Erkenntnisgegenstand verschob sich mit diesem Designbegriff von der Form auf die Funktion. Daher passte es auch ins Bild des real existierenden Funktionalismus. dass er Abweichler, beispielsweise Raymond Loewy, nicht inhaltlich kritisierte, sondern als Stylisten disqualifizierte, das heißt aus dem Designbegriff ausgrenzte. Sicher, wo der „Stumme Diener" zum ansprechenden Die­ner wird, da plappert Design auch dummes Zeug. Aber das lässt sich auf Dauer nicht durch Sprachverbote regulieren. Vom Funktionalismus wurde das Styling jedoch nicht etwa als produktsprachlicher Slang, sondern als Produktsprache per se verurteilt.

Bleibt festzuhalten: Selbst wenn Sullivan das so nicht wollte. spätes­tens in den sechziger Jahren war an allen Ecken und Enden des funk­tionalistischen Denkgebäudes ablesbar. wie es im Wesentlichen auf der Verdrängung von Produktsprache beruhte. Dafür gab es in der Indu­strialisierung und Modernisierung begründete Argumente, die den Funktionalismus als historische Leistung auszeichnen. Aber diese Grün­de und Argumente verloren zu Beginn der siebziger Jahre zuseh_ens an Bedeutung.

Die ersten Trabantenstädte förderten ein Grundproblem des Funk­tionalismus zu Tage. Solange nämlich der „Stumme Diener" noch neu war und vereinzelt auftrat. erschien auch seine produktsprachliche Ent­haltsamkeit noch interessant und vielsagend. In dem Augenblick jedoch, in dem sich die Leitidee der einheitlich neutralen Gestaltung -

vom Löffel bis zur Stadt'' (Max Bill) - tatsächlich zu verwirklichen begann, wirkte das wie ein Schock. Die Methode des vielsagend~n Schweigens funktionierte offensichtlich nur als Ausnahmefall. Das gilt übrigens auch für den elitären Minimalismus heute. Wenn jedoch alle Häuser und Produkte rundherum schweigen, wenn „die Strassen der städte wie weiße mauern glänzen. Wie Zion, die heilige stadt ... " (Loos, S. 278). dann bricht unerträgliche Monotonie aus. wir verlieren die räumliche und soziale Orientierung, vermissen Symbole, die sich emo­tional besetzen lassen. Zu den ersten. die daraufhin Alarm schlugen, gehörten bezeichnenderweise Psychologen wie Alexander Mitscherlich (1965) und Alfred Lorenzer (1968). Mitscherlich verurteilte Die Unwirtlichkeit unserer Städte. und Lorenzer beschrieb, wie zum Bei­spiel soziale Verbindlichkeit auch in der Symbolik von Orten und Pro­dukten verkörpert sein muss. Im Einklang damit verlangten dann auch Gestalter wie Werner Nehls (1968). ,.die heiligen Kühe des Funktiona­lismus" zu opfern und „mehr Sinnlichkeit" im Design zum Ausdruck zu bringen. An der Offenbacher Hochschule wurde zudem das Interesse der Designtheorie auf Sinn-liehe Funktionen im Design (Gros 1976) gelenkt. wobei der Bindestrich signalisieren sollte, dass es nicht nur um mehr Sinnlichkeit, sondern auch um mehr Sinn geht. So folgte der Funktionalismuskritik eine dauerhafte Erweiterung des Designbegriffs um sozialpsychologische Aspekte und ihre zeichenhafte Vermittlung.

Vom interdisziplinären zum disziplinären Designbegriff überwunden hatte die Kritik allerdings nur den „Monofunktionalis­mus" der praktischen Funktionen. Diese Suche nach mehr Sinnlichkeit

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und zeichenhaftem Sinn ließ sich immer noch als Erweiterter Funktio­nalismus (Gros 1973) begreifen. Mit dem Motto „form follows func­tion" öffnete sich das bis dahin naturwissenschaftlich geprägte Denken aber nur den Geisteswissenschaften wie Psychologie, Soziologie und Anthropologie. Von der Reflexion kommunikativer Welten und alltägli­cher Zeichenkulturen blieb das Design freilich noch weit entfernt. Zudem geriet der „Erweiterte Funktionalismus" in die Falle des elemen­taristischen Designbegriffs. Produktgestaltung wurde als interdisziplinä­res Projekt definiert, aber die Addition verschiedener Fachrichtungen hat nie richtig funktioniert. Gelingen konnte nach diesem scheinbar ver­nünftigen Verfahren nur die Problemanalyse und Ergebniskritik. Denn so wie eine Gestalt immer mehr ist als die Summe ihrer Elemente, ver­langt auch die Gestaltung mehr als eine Bündelung verschiedener Dis­ziplinen. Das heißt nicht, die Möglichkeiten der interdisziplinären Zusammenarbeit zu missachten, sondern ihre Grenze zu beachten. Die­se Grenze beginnt, wo die Summe der Anforderungen und Argumente in einer konkreten Gestaltidee zu verdichten ist. Hier endet auch die Leistungsfähigkeit der Gruppe. Die zeichenhafte Veranschaulichung der technischen Bedingungen und geistigen Kontexte eines Produkts bleibt dem Designer überlassen. Das kann ihm keine andere Disziplin abneh­men. Anstatt mit dieser Kompetenz einen disziplinären Beitrag zur interdisziplinären Zusammenarbeit zu leisten, verlor sich der „Erweiter­te Funktionalismus" jedoch in der vagen Aussicht auf ein „transklassi­sches" Design als lnterdisziplin. Und während sich schon im Funktiona­lismus die Profilierung des Designers gegenüber dem Ingenieur fast abgeschliffen hatte, verwischte sich der Designbegriff im „Erweiterten Funktionalismus" bis zur Unkenntlichkeit. In der multidisziplinären Pro­duktentwicklung wurde der Designer zum Koordinator und Design zur Planung. Diesem, damals fortgeschrittensten Designbegriff entsprach unter anderem die Nachfolgeorganisation der HfG Ulm. die nicht etwa als Design-Hochschule gegründet wurde, sondern als Institut für Um­weltplanung (IUP}. Dieser Ansatz ist jedoch theoretisch und praktisch schon nach kurzer Zeit gescheitert. Zurück blieb die Erfahrung, dass Design weder messbar noch planbar ist und der Designer in beiden Fällen keine spezifische Fachkompetenz beanspruchen kann.

Alles in allem gab es also zu Beginn der siebziger Jahre genug Grün­de, sich auf den vorfunktionalistischen Begriff von Gestaltung zurück­zubesinnen. Allerdings konnte man das Design jetzt auch nicht mehr, wie vor hundert Jahren, einfach als Formgestaltung begreifen. Dazu hatten sich etwa die Schwerpunkte der Wahrnehmungspsychologie und Erkenntnistheorie schon zu sehr von der Form auf den Inhalt ver­schoben. Rudolf Arnheim (1972) erklärte die Wahrnehmung als Anschauliches Denken; Susanne Langer (1965) betrachtete die „prä­sentative Symbolik" in der Gestaltung und die „diskursive Symbolik" der Sprache als gleichwertige Äußerung des menschlichen Geistes; und selbst die Ästhetik erschien, nach den Abstraktionen der Moderne, wieder mehr in ihrer ursprünglichen Bedeutung als „sinnliche Erkennt­nis". Danach war Design nicht nur formalästhetisch, nicht nur als Gestaltung von Ordnung und Komplexität zu betrachten, sondern viel­mehr als Ausdruck von Inhalt, Bedeutung und Sinn - einschließlich der unterschwelligen Sinnlichkeit. Diese Schwerpunktverlagerung erfor­dert es jedoch keinesfalls, die alte Einseitigkeit gegen eine neue einzu­tauschen, das heißt Formgestaltung durch Produktsemantik zu erset-

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zen. Stattdessen sind Form und Inhalt immer zugleich und in Abhän­gigkeit voneinander zu betrachten. Im Unterschied zum semantischen Ansatz von Reinhart Butter und Klaus Krippendorff umfasst die meta­phorische Bezeichnung von Design als Produktsprache daher beides, Form und Inhalt, so wie Semiotik und Linguistik auf Syntaktik und Semantik beruhen.

So viel zur Herleitung des Begriffs der Produktsprache als Erkennt­nisgegenstand einer disziplinären Designtheorie (vgl. Gros 1983). Und während der darauf gegründete Theoriebildungsprozess. der in den folgenden Kapiteln weiter beschrieben und in einigen Anwendungs­formen demonstriert wird, sicher schon weiter sein könnte, hat sich sei­ne Basis seitdem erheblich gefestigt und verbreitert. Vielfach erscheint die Definition von Design als Produktsprache sogar schon so selbstver­ständlich wie in der Ankündigung einer Tagung des Designzentrums München zur Sprachlichkeit im Design 1997; dort hieß es unter ande­rem: ,.Design, eben die Produktsprache, ist ... ".

Stil und die technologischen Bedingungen der Produktsprache im Wandel

Während sich das Bewusstsein für die nichtverbale Sprache der Dinge zunehmend durchsetzt, zeichnet sich bereits eine sprunghafte Erweite­rung des Designbegriffs ab. Aufgrund der digitalen Technologie tau­chen grundsätzlich neue Gesichtspunkte auf und verlangen ein neues Zeichen-Vokabular. Insbesondere der technologische Wandel entfesselt die Produktsprache vom Tabu der expliziten Oberflächenbezeichnung und läuft damit praktisch auf eine „semantische Explosion" hinaus.

Voraussetzung dafür ist eine zweite Runde der Funktionalismuskritik. Dabei betrachten wir nicht nur den „Stummen Diener" als semantisch beschränkten, sondern auch die „Gute Form" als inzwischen veralteten Ausdruck der industriellen Produktion. Dieser Standpunkt konnte natür­lich erst im Fahrwasser der Mikroelektronik und der computerintegrierten Fertigung beziehungsweise der mass-customization auftauchen. Dafür eröffnet er jetzt auch die Perspektive eines „postindustriellen Designs" (Gros 1997a} mit einer Vielzahl von Konsequenzen für unsere zukünftige Produktkultur. Aber nur ein Gesichtspunkt gewinnt jetzt eine so überra­gende Bedeutung wie das Ornamentverbot für den Funktionalismus: die im Zeitalter der Digitale erneute Dominanz der Obertläche (Buck 1998).

Wo die Benutzer- und Betrachter-Ober-Fläche zur Hauptsache wird, radikalisiert sich die Funktionalismuskritik bis zur Kritik des Ornament­verbots. Selbst diese heiligste der „heiligen Kühe des Funktionalismus" bleibt nicht mehr ungeschlachtet. Und der Kritik des Verbots folgt logi­scherweise die Erlaubnis, die Idee eines „neuen Ornaments".

Diese radikalisierte Funktionalismuskritik verändert beziehungswei­se erweitert auch unseren bisherigen Begriff der Produktsprache. Denn ohne die zweidimensionale „Bezeichnung" der Oberfläche explizit aus­zuschließen, war die Produktsprache bislang vor allem als dreidimen­sionale „ Verkörperung" von Bedeutung gedacht: als Körpersprache, wie Tanz oder Pantomime. Aber in der Perspektive eines „neuen Orna­ments" müssen wir den Begriff Produktsprache zunehmend auch als ,,Bildersprache" am Produkt begreifen.

Nach der Kritik des Ornamentverbots muss sich auch die Funktiona­lismuskritik ausdrücklich als Stilkritik begreifen. Obwohl Theodor W. Adorno (1967, S. 110) schon früh den Verdacht hatte, ,,was sich als

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dagmarsteffen
Schreibmaschinentext
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Überwindung von Stil ausgibt, sei bewusstlos selber einer", mochte sich kaum einer der Funktionalismuskritiker auf diesen Gedanken ein­lassen - insbesondere nicht auf seine Konsequenz. Denn wenn wir den Funktionalismus erst einmal als Stil bezeichnen, dann ist auch die Mög­lichkeit einer alternativen Stilbildung hinter der Moderne zu bedenken.

Aber selbst Memphis wollte - trotz Laminati-Dekor - keinesfalls einen neuen Stil prägen, und das Neue Deutsche Design empfand sich zwar als antifunktionalistische Avantgarde, aber von einem neuen Stil, wie etwa zur Zeit des Jugendstils, war keine Rede. Obwohl es an der Zeit schien, den gegenüber der Bauhaus-Zeit erheblich veränderten Lebensstil der achtziger Jahre zum Ausdruck zu bringen, fehlte in der Tat die entscheidende Komponente einer erneuten Stilbildung: der neue Produktionsstil. Memphis versuchte industriell zu produzieren und das Neue Design entstand übe,wiegend handwerklich. Solange beide Bewegungen jedoch in der industriellen Produktion den unüber­bietbaren Höhepunkt der menschlichen Produktivkraft sahen, verbot sich die Vorstellung eines erneuten Stilwandels vom Ausmaß der Modeme. Im System der Massenproduktion war weder ein neues Ornament noch ein erneuter Stilwandel denkbar.

Zu den stilprägenden Grundfragen der Produktsprache gehören im Zeitalter der Digitale nun aber auch die zeichenhaften Unterschiede zwischen der Mechanik und der Elektronik, zwischen der industriellen und der nachindustriellen. das heißt zwischen der massenhaften und der individualisierten Produktion. Und diese neue Unterscheidung wirkt produktsprachlich genauso bedeutend wie die alte Unterschei­dung zwischen einem handwerklichen und einem industriellen Pro­dukt. beispielsweise im Kontext der Werkbund-Debatte.

Auf der einen Seite „schrumpfen" die elektronischen Produkte jetzt zur Fläche (Gros 1988), ihre Technik wird unanschaulich und ihre Form vermag beim besten Willen keiner Funktion mehr zu folgen. So kann die Form eine elektronische Funktion auch nicht mehr anzeichenhaft erklären. Sie legt kein Schweigegelübde ab, wie die „Gute Form"; sie verliert ihre alte Sprachfähigkeit. Selbsterklärung und Handhabungs­anzeichen lassen sich kaum mehr verkörpern, sondern kommen viel­mehr als alphabetische oder grafische Bezeichnung auf der Oberfläche - der Benutzeroberfläche - zum Ausdruck.

Auf der anderen Seite führt die nachindustrielle Produktion, die auf­grund computergesteuerter Maschinen selbst bei Losgröße eins, das heißt bei Einzelstücken noch rentabel sein kann, zu einem ähnlichen Resultat. Die „kundenindividuelle" (Pillar 1998) Produktion individuali­siert den Herstellungsprozess in einem Maße, dem das Design nur noch durch die Individualisierung der Oberfläche - der Betrachteroberfläche - nachzukommen vermag. Damit verlagert sich die Produktsemantik auch bei der Hardware auf die Gestaltung der (Ober-)Fläche.

All dem folgt nicht nur die Notwendigkeit, das Konzept der Produkt· sprache durch einen Diskurs über „Stilsemantik" (Gros 1997b) zu ergän­zen. Das Design benötigt jetzt auch neue Kompetenzen im Bereich der Oberflächengestaltung. Theoretisch gibt es dabei nur zwei Möglichkei­ten: die alphabetische und die grafische Bezeichnung, das heißt eine dis­kursive und eine präsentative Symbolik. Wir können die Benutzerober· fläche, in der sich ein funktionalistischer Begriff von Interface-Design reflektiert, durch Buchstaben oder Piktogramme erklären und wir kön· nen die Betrachteroberfläche durch Schrift. Typografie und „Bilder-

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schritt" individualisieren. Das Ornament, als klassischer Inbegriff der ästhetischen Individualisierung bildet hier nur die Spitze des Eisbergs.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Der Begriff der Produktsprache als spezifischer Erkenntnisgegenstand disziplinärer Designtheorie ist heute zu erweitern. Es gilt, die formalästhetische und zeichenhafte Interpretation nicht allein auf das einzelne Produkt und seine nahe lie­genden Kontexte zu begrenzen, sondern deutlicher als bisher auch auf den technologisch und kulturell bedingten Stilwandel zu beziehen. Zudem müssen wir explizit zwischen der dreidimensionalen „Körper­sprache" und der zweidimensionalen „Oberflächensprache" von Benutzer- und Betrachteroberflächen unterscheiden und davon ausge­hen, dass Design als grafische Produktbezeichnung noch wesentlich an Bedeutung gewinnt. Die Sprache der Produkte gewinnt dadurch fast die semantischen Möglichkeiten und Freiheitsgrade von Kunst.

1.2 Aspekte der Produktsprac.he, oder: Was erzählen Gegen-stände? Volker Fischer

Gegenstände erzählen induktive und deduktive, objektive und subjek­tive, funktionale und disfunktionale. physische und psychische, ratio­nale und emotionale, soziale und kulturelle, syntaktische und semanti­sche, reale und fiktionale Geschichten. Diese Feststellung ist nur auf den ersten Blick banal. Ihre Komplexität erschließt sich, wenn wir von der unreflektierten zur reflektierten Anschauung übergehen. Im Alltag ist der Umgang mit Gegenständen vom Gebrauch geprägt. vom Nut­zen, also von Pragmatik. Einen Stuhl nehme ich zum Sitzen, einen Topf zum Kochen, eine Bürste zum Kämmen. Nun aber gibt es -wir alle wis­sen dies - disfunktionale Nutzungen. Der Stuhl kann auch als Kleider­ständer oder Leiter, der Topf zum Blumengießen oder Farbenmischen, die Bürste zum Massieren oder Saubermachen dienen. Im Gebrauch verändern sich manchmal die ursprünglich intendierten Eigenschaften der Dinge. Immer noch ist dies pragmatisch dominiert, nicht seman­tisch oder symbolisch. Aber ein Stuhl kann auch geerbt. ein Erinne­rungsstück sein, er kann an bestimmte Lebenssituationen gemahnen, an Bekanntschaften, Feste. Arbeits- oder Freizeitaktivitäten, er kann soziale Stellung, ästhetischen Wert, ökonomischen Reichtum oder das Gegenteil dokumentieren. Das Produkt verbindet sich also in der Wahr­nehmung immer auch mit den jeweils wechselnden Kontexten seines Gebrauchs. Diese Kontexte können aktiv oder passiv determiniert sein: als Reaktivierung gewusster, angeeigneter, erprobter Handlungsabläu­fe oder als memorierende Anschauung.

Aber auch im Alltag des praktischen Gebrauchs erzählen Gegen­stände mehr und erschließen sich vielschichtiger als durch die bloße Handhabung. Nicht zuletzt verweist ihre Erscheinung, ihr Material, ihre Oberfläche, ihre Gestalt auch auf ihre Herstellungsverfahren, die hand­werklich oder industriell sein können. Metall etwa kann geschmiedet, gestanzt, gezogen, graviert, ziselliert u.a.m. sein. Deutlich wird dies bereits bei kleinen, anonymen Dingen: Nehmen wir zum Beispiel einen Nagel. Meyers Konversationslexikon definiert Nägel als „zugespitzte, meist mit einem Kopfe versehene, aus Metall, besonders Schmiedeei­sen, mitunter aus Holz hergestellte Stifte, deren man sich bedient, um Körper miteinander zu verbinden" (Meyers Konversationslexikon 1897). Von der Romantik bis ins 19. Jahrhundert war das Schmiedever­fahren von Nägeln nahezu unverändert: ,.Ein im Allgemeinen viereckig

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ausgeschnittenes, in Dicke und Breite etwa dem zukünftigen Nagel ent sprechendes Stück Eisen wurde in einem kleinen Schmiedefeue r erhitzt. bis es die Weissglühhitze erreicht hatte. In aller Eile behäm­merte es dann der Schmied auf einem kleinen Amboss, indem er dar­auf bedacht war. zu schmieden und gegenzuschmieden, d.h. abwech­selnd auf die Seiten und Kanten des Nagels zu schlagen und ihn nur langsam unter den Hammerschlägen auszuziehen, um ein Brüchigwer­den des Metalls zu vermeiden. Dann tre nnte er den Eisenstab in genü­gender Entfernung von der so geschmiedeten Spitze ab, so dass das nötige Volumen zur Herstellung des Nagelkopfes zurück blieb. Den angefangenen Nagel steckte er in das Nageleisen, und stauchte das über dieses hinausstehende Eisen mit dem Hammer zur Kopfform" (Vetter 1979. S. 259 f., S. 262). Es ist unmittelbar einleuchtend, dass je nach Zweck Nägel unterschiedliche Materialien, Stärken, Längen, Kopfformen, Farben und in der Distribution auch unterschiedliche Gebindegrößen haben. Neben den schmiedeeisernen Nägeln, von denen um 1900 ein Schmied - so das Konversationslexikon - pro Stun­de 500 bis 600 anfertigen konnte, werden aus Blech kaltgeschnittene Maschinennägel mit keilförmiger Gestalt beschrieben sowie die Her­stellung von Drahtnägeln aus hartgezogenem Eisendraht. Diese kön­nen gebläut oder verzinkt sein. Gußeiserne Nägel und Bronzenägel werden gegossen, kupferne Nägel geschmiedet, Zinknägel aus Platten geschnitten oder aus Draht warm geschmiedet, Tapeziernägel aus Mes­sing gegossen, mal mit Goldf irnis versehen, mal nass versilbert, manch­mal der Kopf mit Umbördelungen ornamenta l geprägt. Bildernäge l bestehen aus einem geschmiedeten Schaft, über den ein Messingkopf­gegossen wird. Bei Porzellannägeln wird dem eisernen Schaft ein Por­zellankopf aufgekittet . Holznägel wiederum werden aus verjüngt zugeschnittenen Holzstücken gefertigt und wie Dübel in vorgebohrte Löcher eingetrieben. Je nach Verwendung unterscheidet man zudem zwischen Blaunägeln, Kopfnägeln, Nietnägeln, Stahlnägeln, Eisennä­geln, Zimmermannsnägeln, Draht nägeln. Holznägeln, Lattennägeln, Bandnägeln und Reißnägeln . Die Produktpalet te reicht also vom 2-Mil­limeter-Stiftchen für Bilderrahmen zu über 20 Zentimeter langen Baunägeln, von kuppenköpfigen Polsternägeln in Gold, Silber oder mit Hammerschlagdekor bis zu Betonstiften, von Blauköpfen bis zu Tep­pichnägeln, von Knochennägeln über Hufnägel bis zu Schuhnägeln. Nägel können einen runden, quadratischen oder ovalen Querschnitt aufweisen, kleine. große oder gar keine Köpfe haben, mit glatten oder geriffelten Schäften versehen sein. Soweit die Syntax, die Angebotspa­lette. die Alltags-Typologie der Gattung. Nicht nur dem Fachmann erzählen die Nägel also schon durch ihre materielle Beschaffenheit, durch Form, Größe, Material und Oberfläche. das heißt durch ihre Wesensanzeichen, für welchen praktischen Zweck sie besonders geeig­net sind.

Nägel evozieren durch ihre Gestalt den entsprechenden Umgang mit ihnen beziehungsweise Bilder ihres Gebrauchs. Die Spitze wird auf der Fläche angesetzt, der Nagel muss gehalten werden und auf den Kopf wird mit einem Werkzeug geschlagen. Anzeichenfunktionen: Dabei hilft der breite Kopf, nicht nur im physikalischen Sinne, die mit einem Hammer ausgeübte Kraft auf den Stift zu übertragen. Er ver­weist zugleich auch zeichenhaft auf die Notwendigkeit eines Werk­zeugs zum Hämmern, einen Stein, einen Steinhammer, einen Eisen-

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hammer. Ebenso aber kann man einen Nagel je nach Untergrund bei­spielsweise auch mit einem Schuh, einem festen Holzstück oder einer Zange einschlagen. Auf manchen Volksfesten gefallen sich starke Män­ner in der Demonstration des Einschlagens mit der bloßen Hand in Holzbohlen. Die Reißzwecke (engl. thumbtack), eine Verwandte des Nagels, verweist mit ihrem extra breiten Kopf darauf, dass man sie ohne Werkzeug, einfach nur mit dem Daumen in den Untergrund drücken kann. Für kleine und kleinste Nägel gibt es sogenannte „Nagelhilfen", Kunststoffröhren mit austreibbarem Metallschaft. der vor dem Austreiben den Nagel hält.

Aber nicht immer sahen Nägel so aus wie heute. Die Eisennägel des Mittelalters, die verzierten Möbelnägel des Barock oder des Jugendstils geben sich als ebenso zeitbedingt zu erkennen wie etwa heutige Stahlnägel. Es gibt also nicht nur eine synchrone, sondern auch eine diachrone Typologie der Nägel. Die Geschichte und Veränderung der meisten Berufe, zumal der Handwerksberufe, ist oft mit einem einzi­gen Gegenstand verbunden: Beim Nagelschmied dreht sich alles um den Nagel. Mit der technischen Entwicklung starben viele Handwerks­berufe aus. unter anderem auch der Eisenschmied im Allgemeinen und der Nagelschmied im Besonderen.

Durch Gebrauch verändern sich die Nägel. Sie werden schräg oder gerade eingeschlagen, verbiegen sich. brechen ab, verschwinden fast gänzlich in il;irem Nagelgrund oder stehen weit hervor. Der Zahn der Zeit nagt an ihnen: Zumindest Eisennägel können rosten. Nach langen Zeiträumen bleiben nur die Rostspuren, etwa im versteinerten Holz ver­sunkener alter Schiffe übrig. Abwesenheit des Gegenstandes als Indi­kator für diesen - etwa das Loch in der Wand, welches von einem ehe­mals darin steckenden Nagel erzählt. Nägel in der Wand dienen als Haken und Halterung zum Aufhängen; mit ihnen werden Teile ver­bunden. Nägel können Waffen sein, zum Fingernagelreinigen dienen oder zum Schnürespannen. Sie können einem Fakir als Bett dienen. Ebenen also des Gebrauchs, der Disfunktionalisierung, der Zeit und der Geschichte.

Auch in der Architektur haben Nägel immer wieder eine bedeuten­de Rolle gespielt. nicht nur konstruktiv, sondern auch ästhetisch und symbolisch, also so genanntes uneigentliches Ornament. So hat Otto Wagners zwischen 1904 und 1906 errichtetes österreichisches Post­Sparkassenamt in Wien nicht zuletzt durch seine „angenagelte" Plat­tenverkleidung Berühmtheit erlangt, obwohl die Platten de facto in einem Mörtelbett liegen und keiner zusätzlichen Verankerung bedür­fen. Der Wiener Architekturhistoriker Peter Haiko präzisiert: ,.Ziel ist nicht die Visualisierung der Konstruktion an sich, sondern das an sich scheinhaft Erinnernde. Für alle Zukunft soll das Ökonomische, Zeitspa­rende der gewählten Konstruktion manifest bleiben. Aufgabe der Nägel ist es. dem Architekturbetrachter unübersehbar und ,ewig' das Neuartige der Verkleidung, eben mit Platten, anzuzeigen. Jeder der 15.000 Nägel bekommt damit Memorialcharakter. Nicht in einer Real­Funktion tritt er in Erscheinung, sondern in einer Sinn-Funktion. So sind denn auch die Nägel nach rein künstlerischen Überlegungen - dekora­tiv - über die Fassade verteilt; sie konzentrieren sich gleichsam im optisch und städtebaulich wichtigen Mittelrisalit und heben damit die­sen Bauteil gegenüber den flankierenden hervor, nobilitieren ihn." Und er resümiert: .. Dieser .neue' Dekor unterscheidet sich intentional ganz

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und gar von der historischen Zierform. Hatte das Ornament im Histo­rismus die Aufgabe, die Zweckform zur Kunstform zu Oberhöhen, so gibt nun die Verzierung vor, ausschließlich Resultat der Konstruktion zu sein. Nicht die Konstruktion wird ornamental verziert, sondern die Ver­zierung wird konstruktiv montiert" (1985, S. 88-105, S. 97 f.).

In bewusster Wiederaufnahme des Vorbildes der Postsparkasse hat Josef Paul Kleihues zwischen 1985 und 1989 in den rotbraun-ockergelb gestreiften Fassaden seines Frankfurter Museums für Vor- und Frühge­schichte die „Nagel-Ornamentik" Otto Wagners aufgegriffen. Hier allerdings sind die unzähligen, blinkenden Doppellochschrauben tatsächlich zur Befestigung der dünnen Sandsteinplatten notwendig und gewährleisten darüber hinaus die Präzision der vom Architekten gewünschten. extrem schmalen Fugen. Die exakte Position jeder dieser eigens sonderangefertigten Schrauben - man munkelt von einer Milli­on Mark Extrakosten für dieses Detail -war bereits in den Fassadenab­wicklungsplänen vorgegeben, ebenso wie dies bereits Wagner in sei­nem kolorierten Wettbewerbsentwurf praktizierte.

Aber neben der Architektur, in der die Physik der Nägel, wie die Beispiele zeigen, zumindest tendenziell schon die Grenzen der Meta­physik tangiert. ist die Entgrenzung ihres Bedeutungsgehaltes auch direkt metaphysisch greifbar. So sind die berühmtesten Nägel der Historie sicher jene des Kreuzes Christi. die Maler und Bildhauer in Kreuzigungsbildern und -skulpturen - von Mantegna bis Dürer und der Buchmalerei bis Hrdlicka - dargestellt haben. Nägel können auch Folterinstrumente sein oder zur Reliquie werden. Vom Grafen Dracula geht die Fama, dass er, nachdem die Abgesandten des Sultans sich auf seine Aufforderung hin nicht vor ihm verbeugen wollten. ihnen ihre Turbane auf die Schädel nageln ließ. Aber Nägel können eben auch direkt Kunst werden: etwa in den Nagelbildern von Günther Uecker. Zu seiner Organischen Struktur von 1962 bemerkt die Schriftstellerin Eva Demski: ,.Im weißen Morgenlicht ein Tornado, ein kleiner, fest­gefrorener Sturm, ein Himmelskörper. Ich könnte sie auch auf die Erde legen und hätte eine Wiese, eine von den geheimnisvollen, von Außerirdischen aufgezwirbelten Wiesen, deren Rätselhaftigkeit erst aus großer Entfernung sichtbar wird. Ueckers Plastik ... kämmt das Licht ... Ein bewegungsloser Fleck, der immer unruhig bleibt. Ein Atemstoß aus Nägeln. Auf ihnen liegen ist wahrscheinlich einfa­cher .. .'' (1990, S. 51 ).

Und sie können Vorbild für ein Re-Design werden, zum Beispiel im Bad-Beschlägeprogramm von Philippe Starck für Axor. Man mag darü­ber streiten, ob erst Starcks Beschläge-Nägel Design sind oder nicht doch bereits all die anderen Bilder-, Polster- etc. Nägel. Diese Auffas­sung wurde etwa in der Ausstellung Das gewöhnliche Design (Friedl 1979) vertreten. Zumindest aber bleibt diskutabel, ob nicht erst der bewusste Einsatz gestalterischer Überlegungen den Begriff „Design" rechtfertigt und nicht schon die bloße Ausdifferenzierung von Gegen­ständen aufgrund verschiedener Handlungsbedürfnisse und Zweckbe­stimmungen. Bei Starck jedenfalls sind die Nägel veredelnd, wasserab­weisend verchromt und dienen an der Wand nicht nur als Handtuchhalter, sondern auch als Befestigung für Becher, Lampen, Rin· ge, Stangen und Seifenschalen. Der französische Designer spielt das Bild des einfachen Nagels in der Wand berbei als Totem archetypischer Ursprünglichkeit. Aber durch ihre breiten Abdeckkappen, die verdeckt

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angeschraubt werden, können diese Nägel nicht genagelt werden, ganz zu schweigen davon, dass ihre Verchromung abplatzen würde. Das Anzeichen ist vorhanden, nicht aber ihre Funktion, das heißt mit Anzei­chen wird hier eine praktische Funktion vorgetäuscht, die der Gegen­stand letztlich nicht einlöst. Besser gesagt: Anzeichen- und Symbol­funktion fallen in eins zusammen. Außerdem sind Philippe Starcks arm_aturenhafte Garderobennägel technisch nur äußerst aufwendig zu fertigen und formal ebenso kompliziert wie widersprüchlich. Ihre For­malästhetik weist spätestens in jenen Fällen, in denen eine waagerech­te Stange - nur vorgeblich schwebend - an zwei dieser Nägel ange­schweißt wird, keineswegs so „eindeutig in der Technik" und so fixiert auf die „Ethik des Weglassens", wie die Marketingbroschüre des Unter­nehmens Hansgrohe behauptet. Eine „Neue Einfachheit", die also kaum eine ist. oder, wenn doch, dann nur als Bild. Produkte sagen auch etwas über den Besitzer, seinen Lebensstil und sozialen Status aus: Ein Badezimmer, in dem die Handtücher an „richtigen" Nägeln hängen, hinterlässt einen anderen Eindruck als eines mit „Starck-Nägeln". Mit Starck-Nägeln demonstriert man auch seine Zugehörigkeit zu einer kaufkräftigen, designbewussten Zielgruppe. Symbolfunktionen: Ebenen der sozialen, semantischen, metaphorischen, magischen, religiösen oder rituellen Bedeutung. die jeder Gegenstand - noch der banalste -in unterschiedlicher Intensität hat oder haben kann.

Die Geschichte des Nagels durch die Jahrhunderte zeigt die Bedeu­tungs- und Symbolvariationen, denen dieser angeblich so banale ~egenstand unterlag. Im Altertum stellte das Einschlagen eines Nagels einen frommen Akt dar. Der Nagel galt als Zeichen der Schicksalsgöt­tin. Die Unabwendbare - Moira Atropos - wurde oft mit dem Hammer in der einen und dem Nagel in der anderen Hand dargestellt. Die Römer besaßen für ihre Annalen lediglich Nägel, die sie in die Mauern des Minerva-Tempels schlugen. Nägel also als Denkmäler geschichtli­cher Ereignisse. Um die Pest abzuwenden, schlug der römische Dikta­tor einen „heiligen Nagel" ein und - so die Überlieferung - die Ansteckung hörte augenblicklich auf. Nägel also als Garanten magi­scher Kraft. Epileptische Anfälle bekämpfte man dadurch, dass an „die Stelle, auf die der Kopf eines Kranken zum erstenmal gefallen ist" (Pli­nius), ein Nagel eingeschlagen wurde. Nägel also als Vorboten medizi­nischer Symptomatologie. Ebenso dem Volksglauben zugehörig war die Sitte, Nägel in Gräber zu legen, um Verstorbene vor Grabschän· dung zu schützen und ihren Frieden in der Unterwelt zu garantieren. Solche magischen Nägel finden sich selbst noch in christlicher Zeit. Gewissermaßen Faksimiles von Nägeln sind jene chaldäischen Votivnä­gel. die in Form verjüngter Kegel aus gebranntem Ton gefertigt wur­den. Diese Kegel wurden in Mauernischen eingebracht und mit Gedenktexten versehen.

Die Sprache selbst fokussiert Alltagserfahrungen immer auch in metaphorischen Begriffen. Etymologisch gehört das aligermanische Wort „Nagel" zunächst zu Fingern und Zehen, Krallen und Klauen. Die Bedeutung „Holz- oder Eisenstift" ist sekundär und hat sich erst in ger­manischer Zeit entwickelt. Erfahrungen aus völlig anderen Alltagszu­sammenhängen werden mit dem Zusammenhang von Werkzeugen ausgedrückt. Man kann „jemanden in die Zange nehmen", .,ein Brett vor dem Kopf haben", aber auch schlicht ;, vernagelt" sein oder „ behämmert". Jemand kann „ Nägel mit Köpfen" machen oder „ eine

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Nagelprobe", etwas kann „nagelneu" , ,, funkelnagelneu" oder sogar ,,funkelniegelnagelneu" sein. Man kann „den Nagel auf den kopf t ref­fen", etwas „an den Nagel hängen" oder „etwas brennt einem auf den Nägeln". Ja, jemand kann einem „so auf den Wecker gehen wie ein Sargnagel". In Japan wird sogar gesellschaftlich abweichendes Ver­halten, vor allem von kreativen Querköpfen, noch immer mit dem Sprichwort charakterisiert: ,,Nägel, die herausstehen, muss man ein­hämmern."

Am Ende der Erzählung darüber, was Gegenstände wie beispiels­weise ein Nagel zu sagen haben, mag eine Anwendung stehen, etwa so: Der diesen Text publizierende Verlag wird mir nicht das Schwarze unter dem Nagel gönnen und sich das Geschäft mit dem vorliegenden Buch wohl selbst unter den Nagel reißen. Vielleicht aber ist diese mei­ne Auffassung völlig vernagelt, und ich treffe damit überhaupt nicht den Nagel auf den Kopf. Dies richtigzustellen, brennt mir auf den Nägeln, denn sonst kann ich meine Tätigkeit für diesen Verlag an den Nagel hängen. Insofern ist dieser Text eine Nagelprobe, auch wenn vielleicht nicht alle Einsichten in ihm funkelnagelneu sind.

1.3 Relevante Erkenntnismethoden Gebraucht man den metaphorischen Begriff der „Produktsprache", so unterstellen wir, dass Produkte „Geschichten erzählen" (V. Fischer) oder - aus der Gegenperspektive betrachtet - dass Rezipienten und Nutzer den Gegenständen ,,Inhalte, Bedeutungen, Sinn" (Gros) zuschreiben; das heißt, dass Produkten eine zeichenhafte Funktion zukommt. Im Prinzip kann der gesamte kulturelle Bereich unter dem Blickwinkel der Zeichenhaftigkeit betrachtet werden: zwei- und dreidi­mensionale Formen, Farben, Materialien, Spuren, Piktogramme, Bilder, Worte, Buchstaben, akustische Signale, Musik, gestisch-mimische Bewegungen - jeder sinnlich wahrnehmbare Reiz kann Zeichen sein, sofern er - und das ist das Hauptcharakeristikum des Zeichens - für jemanden für etwas steht beziehungsweise etwas bedeutet. ,,Zeichen sind Funktionen; sie markieren nicht von sich her ein ,Seiendes·, son­dern setzen einen Verstehensprozess voraus. Notwendig bedürfen sie des Kontextes einer Kultur, der sie als solche definiert. Sie sind darum immer kulturrelativ", erläutert Dieter Mersch (1998, S. 9). Da die menschliche Sprache das umfassendste Zeichensystem darstellt, stehen sich Linguistik (Sprachtheorie) und Semiotik (Zeichentheorie) seit jeher nahe (vgl. o.c. sowie Rodi 1984). Einerseits besteht die Tendenz, Zei­chen als Grundlage der Sprache zu betrachten, denn „jeder Name ist ein Symbol, jedes Wort oder jeder Satz ein Zeichen, das sich auf etwas bezieht oder etwas bedeutet" (Mersch, S. 10). Andererseits werden Zeichenformen wie Töne, Farben, Gesten oder Formen etc. als beson­dere „Sprachformen" verstanden; nicht zuletzt schlägt sich dies in Begriffen wie „musikalische Tonsprache, Sprache der Farben" (langer, S. 100), Körpersprache, ,, Sprache der postmodernen Architektur" (Jencks), ,,Sprache der Dinge" (Gugelot 1986, S. 48) oder eben Pro­duktsprache nieder. Daran schließt sich nun freilich die Frage an, wie die in kommunikativer Absicht gesetzten Zeichen von den Rezipienten ,,verstanden" und interpretiert werden können.

Bevor dem weiter nachgegangen wird, sei vorausgeschickt, dass -wie Bernhard E. Bürdek hervorhebt - das lineare Kommunikationsmo­dell. wie es Ende der fünfziger Jahre entwickelt wurde (vgl. Bürdek

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1991, S. 135), nach heutigem Verständnis unzulänglich ist. Die Hypo­these, ein „Sender", hier der Designer, werde mittels der zeichenhaf­ten Produktfunktionen eine „Botschaft" in die Welt hinaussenden, die bitteschön von den möglichen „Rezipienten" bzw. Konsumenten rich­tig verstanden werden solle, sei abgelöst worden von einem interakti­ven Modell mit wechselseitigen Beziehungen: Designer analysieren Kontexte, interpretieren Situationen und versuchen anhand von Pro­dukten Kommunikationsangebote herzustellen, über die der Rezipient wiederum mit seinen jeweiligen Kontexten (Partner, soziale Gemein­schaften etc.) kommuniziert. Das Produkt fungiere also als Vehikel im Prozess der sozialen Interaktion, es biete Anschlussmöglichkeiten ver­schiedenster Art, die im Einzelnen gar nicht vorher bestimmbar sind.

Semiotik Als ein Ansatzpunkt zum Verständnis von Zeichen und Zeichenprozes­sen in den verschiedenen Disziplinen bietet sich zunächst die Semiotik als „Lehre von Zeichen bzw. von der Bezeichnung (Signifikation)" (Rodi) an, auch wenn ihr Beitrag zum besseren Verständnis von Design nicht unumstritten ist. So reklamiert die Psychologin Ute Ritterfeld, dass die semiotische Analyse sich „auf die denotative Beschreibung ausschließlich prototypischer bedeutungstragender Elemente" (1996, S. 45) beschränke. was sie anhand einer Analyse von Wohnraumge­staltung beispielhaft aufzeigt. Ebenfalls wendet Klaus Krippendorff (1998), der selbst den Ansatz der „Product Semantics" vertritt, ein, dass die semiotische Betrachtung von Objekten unter anderem nicht geeignet sei. um Kategorien wie Sinn und Bedeutung zu erfassen - ein Einwand, der wie Bernhard E. Bürdek zu bedenken gibt, auf die tradi­tionelle Semiotik sicherlich zu Recht zutreffe, nicht mehr jedoch auf die Arbeiten von Roland Barthes, Jean Baudrillard oder Umberto Eco. Bei ihnen würden Objekte immer auch als Zeichen innerhalb der jeweiligen psychischen und sozialen Kontexte fungieren. Dabei würde den Zei­chen gesellschaftlich gesehen Bedeutung zugeschrieben, die über den Sinn des einzelnen Produktes weit hinausreiche. Der Turnschuh werde beispielsweise nicht mehr nur als Spezialschuh für sportliche Aktivitä­ten aufgefasst, sondern auch als Zeichen für Dynamik, Jugendlichkeit, Unangepasstheit usw. Im gleichen Sinne räumt auch Ritterfeld ein, dass Baudrillard sich den konnotativen Bedeutungsaspekten zugewandt habe (o.c.. S. 47).

Jenseits dieses Diskurses hebt die Designtheoretikerin Susann Vihma (1997) unter anderem die von Charles Sanders Peirce vorgenommene Unterscheidung zwischen ikonischen, indexikalischen und symboli­schen Zeichen hervor (vgl. hierzu Rodi), die sie für die Analyse visueller Formen als wesentlich erachtet. Weiterhin spricht sie die von Charles W. Morris auf der Grundlage von Peirce Gedanken aufbauende Unter­scheidung zwischen drei Dimensionen der Semiotik - nämlich Syntak­tik, Semantik und Pragmatik - an, wobei sich die syntaktische Zeichen­dimension bekanntlich auf die Beziehung der Zeichen untereinander .,unter Absehung von ihrer Beziehung zu Objekten und Interpreten" bezieht, die semantische Dimension die Beziehungen zwischen den Zeichen und dem, wofür sie stehen, umfasst, und die pragmatische Dimension sich damit befasst, was das Bezeichnete für die Rezipienten als Handlungsaufforderung darstellt beziehungsweise was es in einer bestimmten Situation bewirkt (vgl. Rodi. Seiffert 1996, Bd. 1).

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Betrachtet man diese semiotischen Relationen und Dimensionen im Ver· gleich mit der Theorie der Produktsprache genauer, so werden Analogi· en, aber auch wichtige Differenzen sichtbar. Gemeinsam ist beiden Theo­rien die grundlegende Unterscheidung zwischen den syntaktischen beziehungsweise formalästhetischen Funktionen einerseits und den semantischen beziehungsweise zeichenhatten Funktionen andererseits. Indessen kann die Pragmatik nur mit Einschränkungen als Analogie zur Anzeichenfunktion angesehen werden. Zwar haben etliche Anzeichen, etwa alle Anzeichen für Bedienfunktionen einen handlungsweisenden beziehungsweise zur Handlung auffordernden Charakter. Doch gibt es zweifellos auch Anzeichen, die jenseits der pragmatischen Zeichen­dimension liegen: etwa Anzeichen für Herstellungsverfahren oder An· zeichen von vorausgegangenem häufigem oder unsachgemäßem Gebrauch von Produkten. Der Anzeichenbegriff ist also weiter gefasst als das semiotische Verständnis von Pragmatik. Weiterhin beinhaltet der Anzeichenbegriff unter anderem ikonische und indexikalische Zeichen; das heißt, er wäre ihnen in einem Konstitutionssystem übergeordnet. Hingegen gründet sich in der Peirce·schen Semiotik das symbolische Zei­chen als Terminus technicus für Bedeutung, die durch konventionelle Anwendung bestimmt ist, auf einen enger gefassten Symbolbegriff als die produktsprachlichen Symbolfunktionen.

Resümierend kann festgehalten werden, dass die semiotische Betrachtung zwar ein Verständnis der verschiedenen Referenz-Bezie­hungen und Dimensionen von Zeichen ermöglicht, letztlich aber nicht hilft, Bedeutung und Sinn von konkret gegebenen Zeichen zu erhellen. Wie Jochen Gros (1983) hervorhebt, kommt hierfür, insbesondere bei der Symboldeutung, der klassischen geisteswissenschaftlichen Metho­de der Hermeneutik eine Schlüsselposition zu. Er begründete dies unter anderem damit, dass mit der hermeneutischen Methode an das .,zum Teil hohe Niveau vorwissenschaftlicher Deutungspraxis" (o.c., S. 36) angeknüpft werden könne. Denn wenn Designer, Nutzer oder Journalisten in alltäglichen Situationen über Produktdesign diskutier· ten und berichteten, würden sie zwar ohne wissenschaftlichen Anspruch, aber dennoch zu teilweise reichhaltigen Deutungen gelan­gen, indem sie neben der Rech~rche zum Beispiel ihren Ideen und Assoziationen freien Lauf ließen. Da die hermeneutische Methode ebenfalls auf der Technik der freien Assoziation beruht, begebe man sich damit nicht auf einen völlig neuen Weg der Erkenntnisgewinnung, wie es bei der Einführung einer naturwissenschaftlichen Methode der Fall sei. Zudem sei mit einer Erkenntnismethode, die der Art und Wei­se, wie in der Designpraxis über Produktentwürfe diskutiert werde, nahe stehe, ihre leichte Anwendbarkeit gewährleistet.

Die hermeneutische Methode Als eine Verstehenslehre wurde die Hermeneutik (griech. hermeneutike: Auslegekunst) ursprünglich bei der Auslegung historischer Texte sowie zur Übersetzung griechischer und lateinischer Texte in neuere Idiome angewandt. Auch hierbei ging es, mit semiotischer Terminologie gespro­chen, um das Verstehen und Interpretieren von Zeichen beziehungswei­se sprachlichen oder nichtsprachlichen Bedeutungsträgern. Strebte schon Wilhelm Dilthey, einer der Begründer der Wissenschaftstheorie der modernen Geisteswissenschaften, es an, die Hermeneutik als Methodologie der Geisteswissenschaften überhaupt zu etablieren (vgl.

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Geldsetzer, S. 132), so ist es bemerkenswert, dass - abgesehen von klas­sischen Disziplinen wie Theologie und Jurisprudenz, die die Hermeneu­tik traditionell praktizieren - in den letzten ein bis zwei Dekaden auch andere moderne Geistes-und Sozialwissenschaften diese Erkenntnisme­thode für sich „entdeckten". So wurde die Hermeneutik von der Psy­choanalyse und der Soziologie zur Auslegung von „Texten" fruchtbar gemacht. wobei der Untersuchungsgegenstand „ Text" nicht auf sprach­liche Äußerungen begrenzt ist, sondern alle sinnlich wahrnehmbaren Zeichen eines Psychischen beziehungsweise den gesamten symbolisch strukturierten Gegenstandsbereich umfaßt. Die von Alfred Lorenzer vor­gestellte Tiefenhermeneutik (1986) wurde beispielsweise auf Bauwerke, Literatur und den spanischen Stierkampf angewandt. und die maßgeb­lich von Ulrich Oevermann formulierte Objektive Hermeneutik wurde in dem Band mit dem bezeichnenden Titel Die Weft als Text (Garz 1994) zur Interpretation von Kunstwerken, Filmplakaten, Soldatenfotos sowie sozialen Interaktionen herangezogen. Da die Hermeneutik keinen bestimmten Untersuchungsgegenstand hat. sondern ubiquitär einsetz­bar ist, umfasst der Gegenstandsbereich nach Garz die gesamte „erfahr­bare, sinnstrukturierte Welt" (o.c., S. 7). Mit Recht dürfen wir die Her­meneutik also auch für den Designbereich nutzbar machen.

Hinsichtlich der Anwendung der hermeneutischen Methode sind grundlegende Gemeinsamkeiten zwischen den Disziplinen zu erken­nen. Als eines der zentralen methodischen Prinzipien hermeneutischer Interpretation ist hervorzuheben, dass nicht einzelne Zeichen, nicht .,Einzelobjekte" (Lorenzer, o.c., S. 42) oder „einzelne Handlungen" (Garz, S. 10) wahrgenommen und interpretiert werden, sondern im Gegenteil Zeichen in ihrem jeweiligen Kontext, ganze „Ensembles. Situationskomplexe·• (Lorenzer) oder „Handlungen. eingebunden in die Sequentialität einer sozialen Praxis" (Garz). Im Grunde hat dieses Prinzip, ,.dass nämlich das Einzelne nur durch das Ganze, und umge­kehrt das Ganze nur durch das Einzelne verstanden werden kann" (Friedrich Ast), eine lange Tradition, die bis zu den Übersetzungen alter Schriften zurückreicht . .,Der Sinn eines Satzes bzw. eines Kontextes (des ,Ganzen') setzt sich aus den Bedeutungen der Wörter (des ,Einzel­nen') zusammen. Die Bedeutung der einzelnen Wörter ist aber ihrer­seits nur im lichte des Gesamtsinnes zu bestimmen (auffällig besonders da, wo die Wörter selbst mehrere Bedeutungen besitzen)" (Geldsetzer, S. 137). Da man sich bei der Interpretation also ständig zwischen dem Einzelnen und dem Ganzen hin und her bewegt, spontane Assoziatio­nen in einen übergeordneten, rationalen Zusammenhang einordnen, hinsichtlich ihres Sinnes prüfen, verwerfen, modifizieren und vertiefen muss, wird dies in der Literatur unter dem Begriff des „hermeneuti­schen Zirkels" oder „Zirkel des Verstehens" behandelt. Auch in der Theorie der Produktsprache - sowohl im Bereich der Formalästhetik, wie auch bei der Deutung von Anzeichen und Symbolen - spielt der Kontextbezug eine wichtige Rolle, so dass auf dieses Thema noch ver­schiedentlich zurückzukommen ist.

Ebenso wie im Design mit der hermeneutischen Methode an die vor­wissenschaftliche Deutungspraxis angeknüpft wird, so schickt auch Lorenzer seiner Darstellung voraus, die tiefenhermeneutische Interpre­tation wachse aus Praxisformen heraus, .,die zurückreichen bis zum lebenspraktischen Alltagsverstehen" (o.c., S. 7). Gemäß dem von der Objektiven Hermeneutik erhobenen „Prinzip der extensiven Sinninter-

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pretation" wird auch hier der „Einsatz alltagstheoretischer wie wissen­schaftlicher Wissensbestände" (Garz. S. 14) gefordert, um „möglichst viele Erfahrungen und Wissensbestände in der forschungspraktischen Interpretation konkreter Texte zur Anwendung zu bringen" (o.c., S. 47).

Nun kann man natürlich fragen. worin sich die Wissenschaftlichkeit beanspruchenden hermeneutischen Auslegungen dieser verschiedenen Disziplinen zum einen von vorwissenschaftlichen Laieninterpretationen und zum anderen untereinander unterscheiden. Die Antwort liegt im jeweiligen Theoriehintergrund, ohne den keine hermeneutische Wis­senschaft auskommt. Laien mögen zwar intuitiv evidente Assoziationen zum Untersuchungsgegenstand haben und diese auch zu einem pas­senden Interpretationsmuster zusammenfügen, doch ist nicht zu erwar­ten, dass sie diese Assoziationen in den Zusammenhang eines rational wissenschaftlich begründeten Theoriegebäudes zu stellen vermögen. Die einzelnen Fachdisziplinen wiederum „lesen" aus den „Texten" unterschiedliche Einsichten heraus, da sie differenten Erkenntnisgegen­ständen und Praxisinteressen verpflichtet sind: Die Tiefenhermeneutik führt hier die „Enträtselung der unbewussten Bedeutungen des Textes" (Lorenzer, o.c., S. 26) an und sucht die subjektiv-intentionalen Sinn­strukturen aufzudecken, die Objektive Hermeneutik rekurriert auf die .,Rekonstruktion objektiver. durch Texte hergestellter Sinnstrukturen" (Garz, o.c., S. 7), und eine produktsprachliche Hermeneutik schließlich zielt auf die Interpretation des Zusammenwirkens von Gestaltungsmit­teln und Bedeutungen im sozialen und kulturellen Kontext des Design. Darüber hinaus bedienen sich die verschiedenen Disziplinen bei der Interpretation ihrer jeweiligen Fachsprache, in denen sich ihr Wissen verdichtet; beispielsweise rekurriert die Tiefenhermeneutik auf psycho­logische Begriffe wie „Verdrängung", und die produktsprachliche Her­meneutik gebraucht Begriffe wie „ Gestalthöhe ", .,Funktionsanzei­chen" etc. (vgl. hierzu das Begriffssystem mit Grundbegriffen der Theorie der Produktsprache auf s. 94/95).

Über den Bezug auf den jeweiligen fachspezifischen Theoriehinter­grund hinaus, hat eine hermeneutische Interpretation mit wissenschaft­lichem Anspruch aber noch weiteren Regeln und Kriterien zu genügen. Selbstverständlich sollen die Sätze und Thesen nicht nur methodisch erzeugt sein, sondern auch widerspruchsfrei (d.h. die im Theoriesystem selbst liegenden Widersprüche sind aufzulösen; dem Untersuchungsge­genstand immanente widersprüchliche Aspekte können indessen nicht beseitigt werden, sondern sind ihrerseits zu interpretieren) und wahr. wobei die Geisteswissenschaften im Gegensatz zu den Naturwissen­schaften bekanntlich keine eindeutig mit empirischen Testverfahren erfassbare. objektive Wahrheit kennen (vgl. Gros 1983, S. 55). Als Wahr­heitskriterium der zetetischen Hermeneutik (griech. zetein: forschen), mit der wir es hier zu tun haben (im Gegensatz zur dogmatischen Her­meneutik, die das Grundmuster für theologische und juristische Ausle­gungen abgibt), gilt daher das Kohärenzkriterium: .,Diejenige Interpre­tation ist die wahre (natürlich respektive der falschen), die alles vorhandene einschlägige Wissen über das zu interpretierende Doku­ment in einen kohärenten - logisch und inhaltlich stimmigen - Zusam­menhang bringt und so seinen Sinn konstruiert" (Geldsetzer. S. 136). Um diese Kriterien bestmöglich zu erfüllen und den Erfolg einer Inter­pretation nicht wie die klassische Hermeneutik von der „persönlichen Virtuosität des Philologen" abhängig zu machen. wird seitens der Ver-

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treter der Objektiven Hermeneutik unter anderem Sinninterpretations­kompetenz, beispielsweise universitäre Bildung oder Äquivalente, gefordert, und das Prinzip der „Geltungsbegründung in einer Interpre­tationsgemeinschaft" (Garz. S. 13) reklamiert. Individuelle Beschrän­kungen und Wissensdefizite einzelner Interpreten könnten ausge­glichen werden, indem „Sinnrekonstruktionen in einer Gruppe durch­geführt werden" (o.c., S. 48) oder indem bereits vorliegende Deu­tungen durch eine Interpretationsgemeinschaft kontrolliert würden. die sich dabei „nach dem Prinzip des inforrnationsreichen Argumentierens in Rede und Gegenrede sachhaltig austauscht" (o.c., S. 14). Mit den am Offenbacher Fachbereich Produktgestaltung gesammelten Erfahrungen mit Produktinterpretationen kann der Stellenwert von Gruppendiskus­sionen nur bestätigt werden - zumal es bei Deutungen im Design­bereich nicht nur auf einen möglichst großen Wissenskanon, .,eine ent­wickelte Theorie als Erfahrungsschatz, als Apperzeptionsmasse der Wahrnehmung" (Gros 1983, S. 39) ankommt, sondern auch auf ein reichhaltiges Spektrum an Assoziationen, die sich aus den unterschied­lichen lebensweltlichen Vorerfahrungen, Beobachtungen zu Nutzungs­kontexten, eigenen Nutzungserfahrungen etc. der Interpreten speisen. Wie bereits gesagt. beruhen die meisten Skizzen im Kapitel 3 auf Gruppendiskussionen im Fachbereich. die zunächst protokolliert und anschließend unter Hinzuziehung weiterer Quellen zu möglichst kohärenten Deutungen ausgearbeitet wurden. da der Ablauf von her­meneutischen Verfahren selbst für schriftliche Darstellungen wenig geeignet ist. Besser erscheint es. die Methode direkt vorzuführen oder - wie hier - die Ergebnisse in überarbeiteter Form vorzulegen.

Obgleich sich die hermeneutische Technik also am besten in der Pra­xis erlernen lässt, sei dennoch abschließend auf ein weiteres. grundsätzlich zu beachtendes Kriterium hingewiesen: Die hermeneuti­sche Interpretation darf nie ihren jeweiligen Untersuchungsgegen­stand aus den Augen verlieren. In diesem Sinne verweist Lorenzer auf das „Grundgesetz hermeneutischen Vorgehens": .. Die Erkenntnis nimmt ihren Ausgang vom 1nterpretandum" (o.c., S. 64). Wenn näm­lich der Interpret „das .zu Verstehende' unters Joch der Theoreme" beuge und es als „Illustrationen für längst bekannte Deutungsfiguren" (o.c., S. 63) nutze. dann werde das Verstehen aufhören. Stattdessen müsse die Interpretation „auf zwei Beinen stehen: dem empathischen Sich-Einlassen auf den Text einerseits und der Ausrichtung der Annah­men auf systematische Theorie andererseits" (o.c .• S. 63). Mit ähnlicher Absicht wird übrigens auch seitens der Objektiven Hermeneutik vor ,.einer .schlechten' Zirkularität vom Vorwissen der Interpretierenden" (Garz, S. 52) gewarnt. Zunächst einmal sind alle Assoziationen und Deutungsansätze zuzulassen; Vorwissen darf „lediglich der Generie­rung von Lesarten" dienen ... zu deren Ausschluss darf es nicht ver­wendet werden" (o.c.), heißt hier eines der Grundprinzipien. Erst wenn eine Interpretationsrichtung nicht mehr mit dem Untersuchungsge­genstand selbst zu vereinbaren ist (und nicht nur dem vermeindlichen Vorwissen widerspricht). darf sie verworfen werden.

Die historische Methode Obgleich schon bei einer „naiven" Herangehensweise an den Untersu­chungsgegenstand vieles aus ihm „herausgelesen" beziehungsweise in ihn „hineininterpretiert" werden kann, erschöpft sich die (mehr oder

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I' weniger) gegenstandsimmanente Betrachtung früher oder später. Auch können spontane Assoziationen und Deutungen nicht unbedingt durch Anhaltspunkte, die das Objekt selbst liefert, .,verifiziert" oder „falzifi­ziert" werden. Spätestens dann gilt es, auf das bisher verfügbare Wis­sen über den Gegenstand zurückzugreifen und weitere Quellen heran­zuziehen (vgl. Seiffert 1996, Bd. 2. S. 69 f.). Im Designbereich sind dies in der Regel die einschlägige Fachliteratur, Zeitschriftenartikel und Infor­mationsmaterialien der Firmen. Je nachdem. wieweit das Thema bereits bearbeitet wurde und je nach Zielsetzung der Interpretation. kann es auch notwendig sein, auf Unterlagen aus Archiven, Patentschriften, die so genannte Oral History und anderes mehr zurückzugreifen. Um zu einer umfassenden Interpretation zu gelangen, können beispielsweise Informationen über Preis. Hersteller, Designer, Entwurfsjahr, Zeitpunkt der Markteinführung, Marketingstrategie, Vorläufer- und Konkurrenz­produkte, die aktuelle Marktsituation. Herstellungstechnik, Stück­zahlen, technischer und ästhetischer Innovationsgehalt. technische Funktionsweise und Leistungsfähigkeit. selbstverständlich auch die Designphilosophie des Designers und des Herstellers. Kenntnisse der Designgeschichte, intendierte und tatsächliche Nutzungsweisen des Produkts, voraussichtliche Lebensdauer und anderes mehr von Bedeu­tung sein. Die Interpretation des Produktes erfolgt dann immanent, das heißt aufgrund der unmittelbaren Wahrnehmung, sowie aus dem „Vor­verständnis", das sich aufgrund der Kenntnis des gesamten Quellenma­terials und der vorausgegangenen Interpretationen herausgebildet hat.

Da die Geschichtswissenschaft auch eine hermeneutisch arbeitende Wissenschaft ist, bei der Tatsachenerhebung und Interpretation inein­ander greifen (o.c .. S. 123), kann man nun auch sagen, dass wir uns bei der Produktinterpretation neben der Hermeneutik auch der histori­schen Methode bedienen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Untersuchungsgegenstand nun dreißig oder erst drei Jahre alt oder eines noch jüngeren Datums ist, denn schließlich reicht die Vergan­genheit bis an die unmittelbare Gegenwart heran.

Die phänomenologische Methode Während die hermeneutische und die historische Erkenntnismethode am Fachbereich bei der Produktinterpretation seit langem praktiziert wird, erfuhr die Phänomenologie - verstanden als ein weiteres geistes­wissenschaftliches Erkenntnisverfahren zur ganzheitlichen Erfassung der sinnlich wahrnehmbaren Welt, nicht als philosophische Richtung -bisher kaum Beachtung. Gleichwohl ist nicht abzustreiten, dass die phänomenologische Methode weitere Facetten unseres Untersuchungs­gegenstandes ans Licht bringen kann, die durch eine hermeneutische Interpretation und historische Recherchen nicht aufgedeckt werden.

Was ist nun das Charakteristische dieser Erkenntnismethode? Nach 1. M. Bochenski besteht die Phänomenologie. die im Wesentlichen von Edmund Husserl entwickelt wurde, in einem „geistigen Schauen des Gegenstandes, d.h. sie gründet in einer Intuition. Diese Intuition bezieht sich auf das Gegebene; die Hauptregel der Phänomenologie lautet: ,zu den Sachen selbst' ... " (S. 23). Um ein solches geistiges Schauen richtig vollziehen zu können, wird vom Betrachter außer einer kontemplativen Haltung eine „eidetische Reduktion" verlangt, die in einer „dreifachen Ausschaltung" besteht: Abzusehen ist „erstens von allem Subjektiven: es muss eine rein objektivistische, dem Gegenstand

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zugewandte Haltung eingenommen werden; zweitens von allem Theo­retischen, wie Hypothesen, Beweisführungen. anderswo erworbenem Wissen, so dass nur das Gegebene zu Wort kommt; drittens von aller Tradition. d.h. allem, was von anderen über den Gegenstand gelehrt wurde'' (o.c., S. 23). Zur Illustration. wie schnell ein Ungeübter diese Ausschaltungsregeln übertritt, zitiert er einen Studenten, der einen roten Flecken phänomenologisch beschreiben soll und folgender­maßen beginnt: ..... ,ich sehe einen roten Flecken auf der Tafel. Dieser Flecken besteht aus kleinen Teilchen roter Kreide' ... Das ist schon nicht mehr phänomenologisch". kommentiert Bochenski, .,dass dieser Flecken aus Teilchen von Kreide besteht, weiß der Student, weil er vor­her gesehen hat, wie ihn der Professor mit Hilfe der Kreide machte; im Gegenstand selbst ist die Kreide gar nicht gegeben" (o.c., S. 29).

Einen vertiefenden und auf Designfragen ausgerichteten Einblick in die phänomenologische Methode legt Jens Soentgen mit einer Betrach­tung über Materialien - Oberfläche, Struktur und Herkunft etwa von Metall, Glas, Plastik, Holz, Papier, Beton etc. - vor. Ohne auf Vorwissen. Hypothesen oder symbolische Assoziationen zu rekurrieren. beschreibt er beispielsweise den Glanz einer Oberfläche: ,.Glanz verwirrt: man kann die glänzende Stelle nicht genau lokalisieren. Eine glänzende Stelle ist ihrer Umgebung dimensional. nicht bloß graduell an Helligkeit überle­gen. Man kann die Entfernung eines Glanzpunktes nicht klar orten. Glanz tritt plötzlich auf, er ,blitzt auf' und ist schon bei einer leichten Bewegung des glänzenden Gegenstandes oder des Betrachters wieder verschwunden ... " (Soentgen 1997, S. 44). Wie bei jeder guten phäno­menologischen Beschreibung werden die Leser auch in dieser Interpre­tation eigene Erlebnisse und Beobachtungen wiederfinden und sie mit einem „Ja. so ist es auch!" (Seiffert 1996, Bd. 1, S. 41) bestätigen.

Doch so schlicht und selbstverständlich die phänomenologische Betrachtung hier um den „direkt wahrnehmbaren sinnlichen Bestand der Sache selbst" (Soentgen), um „das schlicht Gegebene und nichts anderes" (Bochenski) kreist, so sehr erfordert die Beherrschung der Methode dennoch sorgfältige Einübung. Aus der Perspektive des Offen­bach er Ansatzes, der unter anderem von Susanne Langers Symbol­theorie geprägt ist. dürfte bei der praktischen Anwendung eine Schwie­rigkeit besonders gravierend sein: ,,Der Mensch ist so geartet. dass er eine fast unüberwindliche Neigung hat. in das, was er sieht, fremde, im Gegenstand selbst nicht gegebene Elemente hineinzusehen" (o.c., S. 24). Für den Phänomenologen ist dies freilich höchst unerwünscht, und er muss sich darin üben. diesen Hang zur Assoziationsbildung aus­zuschalten und auf das reine Schauen des Gegebenen zu beschränken. Hingegen sind Assoziationen für die hermeneutische Symbolinterpreta­tion unerlässlich und an der HfG-Offenbach wird bereits in den Work­shops des Grundstudiums insbesondere die Assoziationstechnik eigens trainiert (vgl. Steffen 1994). Statt wie Soentgen das Wesen von Glanz rein deskriptiv, beschreibend zu erforschen, werden bei einem Vorge­hen nach der hermeneutischen Methode die vielfältigen, kulturell geprägten und somit auch veränderlichen Assoziationen und Bedeu­tungen, die mit Produkten und ihrer ästhetischen Anmutung verbunden sind, zur Sprache kommen; beispielsweise würde die herme­neutische Interpretation zeigen. dass Glanz als Zeichen für aufwendige Bearbeitungsverfahren und hochwertige Gegenstände traditionell positiv besetzt war, in letzter Zeit aber zumindest bei einigen Produkt-

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gruppen und Materialien als aufdringlich, indiskret oder „speckig" abge­lehnt wird. Im Gegensatz zur phänomenologischen Betrachtungsweise fließt hier Vorwissen in die Interpretation ein, und der Untersuchungs­gegenstand wird selbstverständlich auch kontextbezogen gesehen.

So fordern die phänomenologische Erkenntnismethode einerseits und die hermeneutische Methode andererseits vom Interpreten gera­dezu konträre Haltungen und Betrachtungsweisen, was eben keine leichte Übung ist. Gleichwohl spricht prinzipiell nichts dagegen, diese Methoden nacheinander anzuwenden und die aufgrund der phäno­menologischen Ausschaltungsregel zunächst ausgeklammerten Bezü­ge ergänzend abzuhandeln: .. Wer phänomenologisch vorgeht, ver­zichtet deshalb noch nicht darauf. später auch noch andere Verfahren anzuwenden und die außer Acht gelassenen Aspekte auch noch zu betrachten" (Bochenski, S. 24).

Zum Geltungsanspruch von geisteswissenschaftlichen Interpretationen

lm Unterschied zu den oftmals selbstreferentiellen Interpretationen von literarischen Werken oder Kunstwerken haben Produktinterpreta­tionen unter Umständen gravierende Folgen. Produkte können etwa zum schwer verkäuflichen Flop werden, weil Designer und das Unter­nehmen entweder die von einem Produkt ausgelösten Assoziationen und die ihm zugeschriebenen Bedeutungen oder aber (und vor allem) deren Akzeptanz seitens der Rezipienten falsch eingeschätzt haben. Die Gültigkeit und Verbindlichkeit von Produktinterpretationen ist folglich nicht nur an der Geltungsbegründung in einer fachlich qualifi­zierten Interpretationsgemeinschaft zu messen, sondern hat sich auch daran zu bewähren, ob diese die Rezeption beziehungsweise das Ver­stehen der relevanten Zielgruppen ihrerseits richtig „ versteht". Klaus Krippendorff (1998) nennt dies ein „ Verstehen zweiter Ordnung".

Welchen Geltungsanspruch können geisteswissenschaftliche Inter­pretationen von Produktsprache also erheben? Zweifellos beanspru­chen Interpretationen. wie sie in Kapitel 3 exemplifiziert werden. nie absolute. objektiv gültige Wahrheit wie etwa ein physikalisches Gesetz. Die Interpretation erfolgt zwar nach bestimmten Regeln und Kriterien, aufgrund einer intensiven Beschäftigung mit Designge­schichte. aktueller Produktkultur und den übergeordneten sozialen, kulturellen, ökonomischen und ökologischen Kontexten; doch sind Einflüsse, die von einer generations- und kulturspezifischen Sozialisati­on der Interpreten sowie zeittypischen Rahmenbedingungen ausge­hen, niemals auszuschließen. Gleichwohl kann keine völlige Inkon­stanz von Deutung und Bedeutung unterstellt werden. Bekanntlich umfasst Bedeutung sowohl den Aspekt der Denotation (d.h. der nach­weisbaren Bedeutung von Zeichen, wie sie etwa im Lexikon definiert sind), wie auch den Aspekt der Konnotation (d.h. der subjektiven Bedeutungen und Assoziationen). wobei Letzterer nochmals zu diffe­renzieren ist. So unterscheidet Helene Karmasin (1993) objektive und subjektive Konnotationen, und nach Ute Ritterfeld lassen sich Konno­tationen „auf einem Kontinuum abbilden, deren Pole zum einen höchst individualisierte und zum anderen in hohem Maße kollektivierte bzw. generalisierte Bedeutungen umfassen" (1996, S. 46). Nehmen wir als Beispiel eine Armbanduhr der Marke Patek Philippe, die bis heute nach alter Uhrmachertradition gefertigt wird. Dass diese Uhr im Zeitalter

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der Quarzuhren Symbol einer fast schon untergegangenen europä­ischen Handwerkskultur ist und aufgrund ihres Preises auch ein prä­destiniertes Statussymbol, dürfte zu den Konnotationen gehören, über die sich hohe Übereinstimmung herbeiführen lassen dürfte. Dass der Besitz einer solchen Uhr für Herrn Maier auch ein triumphaler Beweis seines beruflichen Erfolgs ist, gehört indessen zu den höchst persönli­chen Konnotationen, die er mit dem Objekt verbindet. In ihrer Studie Leben mit den schönen Dingen haben Gert Selle und Jutta Boehe (1986) diese verschiedenen Ebenen der Aneignungsgeschichte von Produktkultur - gesellschaftlich-epochale Vorgaben, soziale Bedingun­gen sowie individuell-biographische Erfahrungen - anhand von Fall­studien ausführlich dokumentiert. Dass zwischen diesen drei Ebenen vielfältige Bezüge bestehen, und persönliche Konnotationen durch generalisierte Konnotationen ebenso beeinflusst werden können wie umgekehrt, ist selbstverständlich. Dennoch richtet sich unser Interesse als Designer, die Bedeutung von Produkten zu verstehen zu versuchen, in erster Linie auf die Erfassung kollektivierter beziehungsweise generalisierter Bedeutungen. auf Deutungen, denen ein hohes Maß an interindividueller Gültigkeit zukommt. In diesem Sinne sind die Produktinterpretationen in Kapitel 3 zu verstehen.

Doch auch wenn die Geltung der Interpretationen durch Ausklam­merung subjektiver Konnotationen mehr oder weniger „abgesichert" ist, gibt sie nur bedingt Aufschluss über die Akzeptanz von Produkten bei den relevanten Zielgruppen. Um hierüber mehr zu erfahren und die Flopgefahr bei kostenintensiven Produktentwicklungen zu reduzieren, beauftragen Unternehmen in der Regel Marktforschungsinstitute, die zur Ermittlung von Produktanmutungen und Nutzerakzeptanz mit unterschiedlichen Methoden arbeiten. Zur Anwendung kommen bio­physische Methoden, etwa Blickverlaufsmessungen, wie auch qualitati­ve Methoden der empirischen Sozialforschung: explorative Einzelge­spräche und Gruppendiskussionen, Projektions- oder Assoziationstests und Polaritätsprofile (semantisches Differential). Bemühungen, einige dieser Methoden für ein Feedback direkt in der Designpraxis anzuwen­den, haben sich jedoch kaum bewährt. Wurde bereits mit dem noch relativ einfach durchzuführenden semantischen Differential. das Martin Krampen (1977) als Instrument zur Erfassung von Wahrnehmungs- und Anmutungsdimensionen von Produkten in die Diskussion einführte, die Erfahrung gemacht. dass der Untersuchungsaufwand in einem ungüns­tigen Verhältnis zum relativ eingeschränkten Erfahrungsgewinn steht (vgl. Gros 1984, S. 27). so dürfte dies auf die okulometrischen Untersu­chungen von Stefan Lengyel (1986) in noch höherem Maße zutreffen.

Reichhaltigere Erkenntnisse über die zeichenhaften beziehungswei­se semantischen Qualitäten von Produkten und ihre Zielgruppenakzep­tanz liefern indessen die qualitativen Methoden der empirischen Sozialforschung. wie sie beispielsweise bei den Lebenstil- und Outfit­Studien (vgl. Becker/Nowak 1985) Anwendung finden. Da aber ihre Durchführung sehr aufwendig ist und dezidierte Kenntnisse über empi­rische Untersuchungsmethoden unabdingbar sind, können diese Methoden keinesfalls entwurfsbegleitend von den Designern selbst genutzt werden. Vielmehr sind sie geeignet. um die hermeneutische Produktinterpretation - bestätigend oder korrigierend - empirisch zu unterfüttern. Insofern dürfen geisteswissenschaftliche und empirische Methoden als sich wechselseitig ergänzend angesehen werden.

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1.4 Vom praktischen Nutzen der produktsprachlichen Theorie Obwohl mit der Theoriebildung zunächst vor allem das Ziel verfolgt wurde, die Designpraxis zu verbessern, hieß das freilich nie, Designern und Designerinnen eine Rezeptsammlung für „richtige Gestaltung" an die Hand geben zu wollen. Ein solches Unterfangen wäre schon aus dem Grunde ziemlich unmöglich, da sich die Aufgabe einer sinnfälli­gen, dem jeweiligen Produkt und seinem Gebrauchskontext angemes­senen Anzeichen- oder Symbolgestaltung sowie die Wahl der entspre­chenden formalästhetischen Mittel immer wieder in anderer Weise stellt und neue kreative Lösungen erfordert. Daher dürfte auch die Hypothese, eine von Designern gebildete „Theorie des Designs" werde dazu führen, .,stilistische oder formale Dogmatiken" zu entwickeln und „ein Design, das gut ist und sehr viel Design, das schlecht ist" von­einander zu unterscheiden (Petruschat 1998). auf den Offenbacher Ansatz nicht zutreffen. Die Vielfältigkeit der Produktbeispiele, anhand derer in den Kapiteln 2 und 3 die produktsprachliche Theorie ange­wandt und erläutert wird, sollte dies belegen. Zuzustimmen ist Petruschat hingegen, dass Erfahrungen aus dem praktischen Design­und Nutzungsprozess verallgemeinert, der Anteil des „Lehrbaren" ver­größert und die Qualität von Designleistungen erklärbar werden; denn bekanntlich hat Design-Theorie nicht zuletzt eine Wert setzende, begründende und kritische Funktion (Maser 1976).

Als ein wesentlicher Vorteil in der Lehre wie auch bei Produktprä­sentationen hat sich bislang die Begriffsbildung erwiesen. Wie schon ein alte philosophische Einsicht besagt, können viele Sachverhalte erst dann differenziert wahrgenommen, präzise beschrieben und gedank­lich reflektiert werden, wenn man sie mit Begriffen benennen kann. Das Differenzierungsniveau der Wahrnehmung korrespondiert hierbei mit dem des Sprachgebrauchs. Verfügt man beispielsweise über defi­nierte Begriffe wie „Ausrichtung" oder „uneigentliches Ornament", so helfen diese dabei. die entsprechenden Sachverhalte an Produkten wahrzunehmen, das aktuelle Beispiel anderen Fallbeispielen zuzuord­nen und in einen übergeordneten Zusammenhang zu stellen (vgl. Gros 1976). Begriffe sind nach Rudolf Arnheim „haltbare Etikette, ... die der Wahrnehmung beim Hervorheben von Erscheinungsgattungen helfen" (1972, S. 225).

Der Nutzen zeigt sich in der täglichen Praxis: Bei der (dem Entwurfs­prozess vorausgehenden) Formulierung von Briefings wie auch bei der (dem Entwurfsprozess nachfolgenden) Begründung und Kritik von Pro­duktentwürfen hat sich die Theorie der Produktsprache über die Jahre immer wieder bewährt. Gestalterische Entscheidungen werden aus dem Bereich der unartikulierbaren Intuition herausgeholt, man steht den Produkten nicht „sprachlos" gegenüber, sondern kann Entwurfskon­zepte nachvollziehbar kommunizieren, rational begründen oder kritisie­ren. Und wenn heute reklamiert wird. dass „verstärkt sprachliche und kognitive, analytische und intellektuell-abstraktive Anforderungen an den Gestalter gestellt werden" (Rurik/Stetzer 1998, S. 16), so löst der produktsprachliche Ansatz diese Forderungen im Grunde schon lange ein. Dies belegt nicht zuletzt die kommerzielle Weiterentwicklung des Theorieansatzes für Trendanalysen sowie strategische Produkt-, Design­und Markenplanung (vgl. Buck/Herrmann/Lubkowitz 1998).

Dennoch sind damit keineswegs alle Schwierigkeiten ausgeräumt, denn die verbale Kommunikation hat ihre Grenzen. Zwar kann Design-

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Theorie in der Lehre wie auch in der Praxis als analytisches Instrument nützlich sein und einen rationalen Zugang zum Entwurf ermöglichen, doch ersetzt sie keinesfalls die unabdingbar notwen dige gestalterische Kreativität und Intuition. Theoretisches Wissen allein macht noch keine guten Designer aus, und missratene Entwürfe werden auch durch umfangreiche Begründungen nicht besser.

Als begrenzt erweist sich die Sprache auch dann, wenn es um die Erfassung dessen geht, was den abstrakten Begriffen in der Beobach­tungswelt entspricht. Eine Möglichkeit ist, theoretische Begriffe wie zum Beispiel „uneigentliches Ornament" verbal zu definieren, etwa als ,,ein funktional-konstruktives Element bei einem Produkt. das über sei­nen praktischen Zweck hinaus auch eine ornamental schmückende Funktion erfüllt". Im Hinblick auf den Gegenstand einerseits und die bei Designern wohl ausgeprägte Fähigkeit zum „anschaulichen Denken" (Arnheim) andererseits, bietet sich ergänzend eine Bildsammlung von Fallbeispielen oder sogenannten Präzendenzfällen an. Motiv für die Ein­führung des aus der Rechtswissenschaft entlehnten Begriffs „Präze­denzfall" in die produktsprachliche Theorie war es, dass hierin die Chance zur Überwindung des Theorie-Praxis-Grabens gesehen wu rde. Ahnlich wie das Gesetzesrecht theoretische Begriffe beziehungsweise Tatbestände wie etwa „Mord", .,Totschlag", .,Notwehr mit Todesfol­gen" etc. anhand von konkreten Fällen definiert, die dann als Präze­denzfälle dokumentiert urid zur Beurteilung späterer Fälle mit herange­zogen werden, so kann eine Präzedenzfallsammlung auch im Design dazu dienen, Begriffe praxisnah zu definieren und bei neuen Fällen Orientierung (nicht „Anleitung") zu geben. So kann die Sammlung und Diskussion von Präzendenzfällen als eine verlängerte und konkretisierte Begriffsbildung angesehen werden. Wichtig ist, dass die Begriffe hierbei mit visuellen Mitteln definiert werden, wie es in Kapitel 2 vorgeführt wird. Dies garantiert zum einen den unmittelbaren Praxisbezug und ist für Gestalter schnell erfassbar, zum anderen erlaubt es eine Vielfalt von gestalterischen Ausprägungen zu dokumentieren. von denen die theo­retischen Begriffe abstrahiert werden. Mit anderen Worten: Die Begriffsbildung wird durch Präzendenzfälle illustriert, gefestigt und um neue Facetten erweitert.

Besonders dringlich stellt sich die Illustration von sprachlichen durch visuelle Begriffe im Bereich der Symbolfunktionen dar. Nicht nur, dass man mit ausschließlich verbalen Beschreibungen etwa von Epochen­und Partialstilen wie Moderne, Retro-Look oder Metaphern-Design nicht allzuweit käme; auch Charakterisierungen und Assoziationen wie .. modern", ,.avantgardistisch" etc. dürften bei Personen aus unter­schiedlichen sozialen Milieus verschiedene Vorstellungsbilder hervorru­fen. Präzisieren lassen sich daher Gestaltungsstile wie auch ästhetische Anmutungen am besten visuell - eben durch Präzedenzfälle und auch Bildcollagen, die beispielsweise auf Produkte mit ähnlicher Symbolik oder stimmige Kontexte zurückgreifen (vgl. Gros 1987, S. 14). Bestätigt wurde die Leistunsfähigkeit der Collagetechnik nicht zuletzt durch den Marketingfachmann Erich Küthe, für den außer Zweifel steht, dass die Verständigung über die in den neunziger Jahren geforderte „ästheti­sche Feindifferenzierung" der Produkte „nur noch auf visuellem Weg, mit Hilfe der Collagetechnik, erreicht werden (kann). Jede Verbaldefi­nition erweist sich hier notwendigerweise als zu grob" (Küthe/Thun 1995, s. 9).

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2. Kapitel Zur Theorie der Produktsprache

Das Erkenntnisinteresse der Theorie der Produktsprache konzentriert sich auf die „sinnlichen Funktionen", das heißt auf diejenigen Pro­duktfunktionen. die sich über die sinnliche Wahrnehmung vermitteln und auf Betrachter eine psychische Wirkung entfalten. Hierbei werden Produkte im weiteren Sinne - auch Produktsysteme, Benutzerober­flächen. das gesamte Erscheinungsbild eines Unternehmens etc. -formalästhetisch, im Hinblick auf die angewandten Gestaltungsmittel wie Formen und Farben und zugleich auch bezüglich der vermittelten inhaltlichen Bedeutungen analysiert. Entsprechend gliedert sich die Produktsprache einerseits in die formalästhetischen Funktionen und andererseits in die zeichenhaften beziehungsweise semantischen Funk­tionen, bei denen wiederum zwischen Anzeichen- und Symbolfunktio­nen unterschieden wird. In den folgenden Abschnitten werden diese drei Funktionsbereiche ausführlich erläutert, weiter differenziert und anhand von Produktbeispielen beziehungsweise Präzedenzfällen exemplarisch veranschaulicht.

~ Funk'.tionen i - 7 / ~

praktische Funktionen

produktsprachliche/ slnnliche Funktionen

/ ~ zeichenhafte/ se/ tische Fun~ nen

formalästhetische Funktionen

2.1 Formalästhetische Funktionen Im Bereich der formalästhetischen Funktionen werden Produkte -unabhängig von ihrer zeichenhaften Bedeutung - als Strukturen, For­men beziehungsweise Gestalten behandelt. Das Hauptaugenmerk rich­tet sich auf die Analyse der gestalterischen Mittel und ihre Wirkung auf den Menschen. Betrachten wir beispielsweise die beiden Sessel LC 2 Fauteuil grand confort von Le Corbusier, Pierre Jeanneret und Charlot­te Perriand und den Vodöl von Coop Himmelblau: Abgesehen von ihrer prakt ischen Funktion und Aspekten wie Visualisierung von Sitzkom­fort. Entstehungskontext oder Zielsetzung der Gestalter wirken beide Objekte alleine schon durch ihre Struktur in spezifischer Weise auf unsere Wahrnehmung. Der LC 2 vermittelt uns den spontanen Eindruck von statischer Ruhe und Schwere; hingegen wirkt der Vodöl dynamisch bewegt und so. als würden seine verschiedenen Komponenten jeden Moment auseinanderstreben. Hervorgerufen werden diese Eindrücke durch die Anwendung ganz unterschiedlicher formaler Gestaltungs­mittel: Der LC 2 ist aus einfachen. geometrischen Grundformen wie

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Quader und Rechteck achsensymmetrisch aufgebaut, alle Teile befin­den sich im Gleichgewicht und ordnen sich einem Horizontal-Vertikal­Raster ein. Im Gegensatz dazu zeichnet sich der Vodöl durch eine Viel­falt von Gestaltungselementen aus, die aus dem Gleichgewicht geraten sind; zudem ist der Sessel asymmetrisch und sprengt das Horizontal­Vertikal-Raster durch Schrägen.

Einfach - vielfältig, symmetrisch - asymmetrisch, im Raster - aus dem Raster, im Gleichgewicht - aus dem Gleichgewkht: Mit diesen Begrif fspaaren haben wir bereits die beiden zentralen antagonisti ­schen Kateg orien einer formalästhetisc hen Betrachtung, nämlich Ord­nung und Komplexität, zumindest ansatzweise umrissen. Exem­plarisch steht hier der Sessel LC 2 für ein Objekt von hoher for­malästhetischer Ordnung, während der Vodöl eine hohe formal-ästhe­tische Komplexität aufweist. Nun stellt sich freilich die Frage nach dem Wert dieser Erkenntnis im Besonderen und dem Stellenwert der formalästhetischen Funktionen bei der Gestaltung von Produkten im Allgemeinen. Greifen wir nochmals auf die Analogie der Linguistik mit ihrer Unterscheidung zwischen Syntax und Semantik zurück. Ebenso wie von Schriftstellern oder Journalisten die korrekte Beherrschung von Grammatik und Satzbau erwartet wird - auch wenn sie dann im Dienste einer bestimmten Botschaft bewusst missachtet werden -sollten auch Designer die grundlegenden formalästhetischen Regeln kennen und gezielt anwenden können. Dennoch ist der bewusste Ein­satz formalä ~thetischer Mittel lediglich eine Voraussetzung für gute Gestaltung. Uber sie kann sich diese ebenso wenig legitimieren wie ein Text allein durch seine Syntax besticht. Im Mittelpunkt jeder Gestaltung stehen die zeichenhaften Funktionen beziehungsweise die Inhalte und Bedeutungen. Insofern sind die formalästhetischen Gestaltungsmittel lediglich ein Mittel zum Zweck; der Zweck liegt letztlich in der Artikulation von Inhalten bzw. in der Umsetzung zuvor definierter Gestaltungsziele. Dennoch ist zu beachten, dass Gestal­tungsziele einerseits und tormalästhetische Mittel andererseits in Beziehung zueinander stehen. Es müssen den zuvor definierten Gestaltungszielen entsprechende formale Mittel gewählt werden. Um auf das Beispiel der beiden Sessel zurückzukommen. stellt sich folglich die Frage, ob und inwiefern die jeweils gewählten formalen Gestal­tungsmittel den Zielen der Gestalter angemessen sind. Als Le Corbu­sier, Jeanneret und Perriand 1928 den LC 2 grand confort entwarfen, ging es ihnen zweifellos um die Entwicklung eines bequemen Sitz­möbels. Mindestens ebenso wichtig war ihnen aber auch, mit über­kommenen Traditionen und konventionellen Haltungen im Bereich

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der Innenausstattung zu brechen und diesen das Einfache, Vernunft­gemäße und Moderne entgegenzusetzen, das sich nicht zuletzt in Pro­dukten mit klaren, geometrischen Grundformen für die indust riel le Serienproduktion verkörperte. Es dürfte ihnen gelungen sein, beide Ziele mit dem Entwurf einzulösen.

Ein Bruch mit gestalterischen Konventionen war auch das Anliegen von Coop Himmelblau - doch stehen sie gut 60 Jahre später in einem radikal veränderten Kontext. Als sie 1989 den Vodöl entwarfen, waren eine rationalistische Gestaltung und das Leitbild der „Guten Form" bereits selbst zur Tradition erstarrt. Ganz im Sinne des Dekonstruktivis­mus (vgl. Johnson/Wigley 1988) antworteten sie darauf mit dem „Aus­einandernehmen" ihres Referenzobjektes - der Rohrrahmen wurde wie eine Büroklammer aufgebogen, die Sitzkissen verjüngen sich -gerade wahrnehmbar - um einige Grad; und der gesamte Kubus scheint von dem schräggestellten Doppel-T-Träger herunterzugleiten. Wirkungsvoll wurde mit wahrnehmungspsychologischen und for­malästhetischen Gesetzmäßigkeiten gebrochen; als ästhetisches State­ment hat das Objekt gewiss seinen Platz in der Designgeschichte; doch als bequeme Sitzgelegenheit werden die Nutzer ihm wenig Vertrauen entgegenbringen - was nur insofern akzeptabel ist, als der Sessel von Anfang an nicht für die industrielle Serienproduktion, sondern als experimentelles Objekt für die „ Vitra-Edition" entwickelt wurde.

Grundlagen der Formalästhetik Theoretische Grundlage der Formalästhetik sind die Wahrnehmungs­und insbesondere die Gestaltpsychologie. Christian von Ehrenfels, des­sen Aufsatz Ober Gestaftqualitäten (1890) der Theorie ihren Namen geben sollte, hatte seinerzeit dargelegt, dass beim Wahrnehmungs­prozess ohne unser Zutun aus den Einzelheiten eines Reizes etwas Neu­es, nämlich eine vollständige Gestalt erzeugt wird. Am Beispiel einer Melodie beschreibt er exemplarisch, dass „die Melodie oder Tongestalt etwas anderes ist als die Summe der einzelnen Töne, auf welchen sie sich aufbaut" (1974, S. 19). Nicht die einzelnen Töne. sondern die gesamte Melodie beziehungsweise Tongestalt werde sich unserem Bewusstsein einprägen. Man werde sie sofort und ohne Reflexion wie­dererkennen, auch wenn die Melodie in eine andere Tonart übertragen werde; die Melodie bleibe die gleiche, obwohl alle Töne andere seien. Bezogen auf den gestalterischen Bereich zeigt sich dies zum einen dar­in, dass wir auch hier Objekte als Ganzheiten und nicht als Summe ihrer Teile wahrnehmen; zum anderen darin, dass die Gestalt, das heißt die Beziehungen zwischen den Teilen, die gleiche bleibt, gleichgültig, ob wir das Objekt in Originalgröße, maßstäblich verkleinert oder ver­größert vor uns sehen. Die Gestalt definiert sich immer durch die Rela­tionen zwischen ihren einzelnen Teilen.

Die späteren Begründer der Gestaltpsychologie, Max Wertheimer, Kurt Koffka und Wolfgang Köhler, führten die Untersuchungen in den zwanziger und dreißiger Jahren in den Bereichen des Visuellen, Hap­tischen und Akustischen weiter und wiesen nach, dass unsere Wahr­nehmung nicht alleine durch die Eigenschaften der wahrgenomme­nen Objekte bestimmt wird, sondern bestimmten psychologischen Gesetzmäßigkeiten unterliegt. Diese internalen Ordnungsprozesse lie­fen unwillkürlich ab, sie seien überindividuell und unabhängig von Erfahrungseinflüssen wirksam. Anhand zahlreicher Experimente zeig-

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ten sie, dass Versuchspersonen bei sogenannter „gelockerter Reizbin­dung" - das heißt unter schlechten Sichtverhältnissen, beispielsweise bei einer sehr kurzen Betrachtungszeit von etwa einer Zehntelsekun­de, bei sehr schwacher Beleuchtung, in einem stark verkleinerten Maßstab oder aus großer Entfernung (vgl. Katz 1964, S. 48; Metzger 1984, S. 130) - die ihnen vorgelegten Figuren meist einfacher, regel­mäßiger, symmetrischer, geschlossener und einheitlicher wahrnah­men, als sie tatsächlich waren. Dies belegten jedenfalls die von den Versuchspersonen nachträglich angefertigten Zeichnungen, die unbe­absichtigt das Gesehene vereinfacht und verregelmäßigt wiederga­ben. Beispielsweise wurde ein Winkel von 87 oder 93 Grad so gesehen und aufgezeichnet, als wäre es ein rechter Winkel; eine an einer Stel­le unterbrochene Kreislinie wurde als geschlossener Kreis wahrge­nommen; eine nicht ganz symmetrische Figur erschien symmetrisch (Katz, o.c., S. 46), oder sie wurde als stärker asymmetrisch wahrge­nommen, als sie tatsächlich war (Metzger, o.c., S. 209 f.). Diese bei den verschiedenartigsten Testvorlagen immer wieder beobachtete Unter­drückung und Vereinfachung komplexer Reize durch die sinnliche Wahrnehmung bezeichneten die Gestaltpsychologen als „Prägnanz­tendenz" oder „ Tendenz zur guten Gestalt" (o.c., S. 145) - ein Begriff, der eine wissenschaftliche Beobachtung zweifellos wertend benennt -ob dies damals beabsichtigt oder unbeabsichtigt geschah, sei dahin­gestellt. Nach unserem heutigen ästhetischen Verständnis wird er aber wertfrei gebraucht. das heißt die „gute Gestalt" darf keinesfalls als Synonym für „gute Gestaltung" oder die „Gute Form" missverstanden werden.

Wolfgang Metzger charakterisierte das Resultat des Wahrneh­mungsprozesses folgendermaßen: .. Die Gliederung (Zentrierung usw.) erfolgt ... in jedem Augenblick so, dass die größte unter den gegebe­nen Gesamtbedingungen mögliche Ordnung, bzw. die besten (ein­fachsten, geschlossensten. untereinander gleichartigsten oder am besten zueinander passenden usw.) Gestalten sich verwirklichen, die unter diesen Bedingungen möglich sind" (o.c., S. 129). Daraus wurden so genannte Gestaltmerkmale abgeleitet, die beschreiben, wie präg­nante „gute Gestalten" beziehungsweise „Gestalten hoher Ordnung" idealerweise aufgebaut sind, sowie „Gestaltgesetze" beziehungsweise .. Gestaltkritierien", die Regeln definieren. nach denen „gute Gestal­ten" erzeugt werden. Ausführliche Darstellungen finden sich in den Schriften von David Katz und Wolfgang Metzger.

In HfG-Seminaren der letzten Jahre wurden diese Gestaltmerkmale und -kriterien bei der formalästhetischen Betrachtung von Designob­jekten herangezogen und hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit und Rele­vanz ausgewählt. Darauf aufbauend wurden Kriterien zur Beschrei­bung von Ordnung und Komplexität von Produkten definiert, die nachfolgend vorgestellt werden (vgl. auch das Konstitutionssystem auf s. 94/95).

Vorausgeschickt werden muss noch, dass grundlegende Vorausset­zungen für die Mensch-Objekt-Beziehung sowie die Komplexitäts­wahrnehmung die menschlichen Sinnesorgane einerseits und das Vor­handensein von Reizquellen andererseits sind. Als komplexitätser­zeugende Reizquellen kommen zum Beispiel Formen, Farben, Ober­flächenstrukturen. Töne und Gerüche in Frage, und mit der Anzahl der wahrnehmbaren Reizelemente steigt auch die Komplexität. Konkret

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heißt das: Produkte, deren Oberfläche mehrere Farben und unter­schiedliche Strukturen/Texturen erkennen lassen, weisen in diesen Dimensionen eine höhere (materiale) Komplexität auf als Produkte mit völlig homogener Oberfläche. Prinzipiell lassen sich die nachfolgend aufgeführten Merkmale für Ordnung und Komplexität auf die ver­schiedenen Reizquellen anwenden: ,.im Dingraum ... im Klangraum ... im Zeitlichen in der Melodie und im Rhythmus sowie in der spontanen Gliederung von Handlungsabläufen" (Metzger, o.c., S. 129) - und mit mehr oder weniger ergiebigen Resultaten wurden von den Gestaltpsy­chologen entsprechende Untersuchungen auch vorgenommen. Im Hin­blick auf die Produktgestaltung (und die Vermittlungsmöglichkeiten in einem Buch) konzentrieren wir uns auf den visuellen Bereich, doch die Akustik wäre ebenfalls ein lohnendes Feld.

Merkmale für Ordnung und Komplexität

1. einfach Als einfache Formen bezeichnen wir geometrische Grundfiguren wie die gerade Linie, Kreis, Quadrat, Dreieck oder Grundkörper wie Kugel, Würfel und Tetraeder, also Figuren, die aus möglichst wenig Elementen bestehen. Wir neigen dazu, komplexere Figuren wahrnehmungsmäßig zu vereinfachen, beispielsweise indem wir die komplizierte Figur in der Abbildung unten in zwei übereinanderliegende, einfache Rechtecke zerlegen.

Der Kugelsessel von Eero Aarnio (1963/65) beruht auf dem vollkom­mem,ten geometrischen Körper überhaupt; erst durch den Anschnitt und den hinzugefügten kreisrunden Fuß wird die Kugel zum Gebrauchsgegenstand.

Der Fernseher Cubo von Mario Bellini (1995) wurde konsequent auf einen Kubus reduziert. Störten beim Vorgänger Black von Marco Zanu· so und Richard Sapper (1968) noch Funktionselemente wie Antenne

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und Bedientasten die perfekte Ordnung, so konnten diese nun durch die technische Entwicklung vollständig in den Körper integriert werden.

Die Bauhaus-Leuchte von Wilhelm Wagenfeld und Carl Jacob Jucker (1923/24) wurde aus mehreren einfachen Grundkörpern additiv aufge­baut. .,Eine runde Platte, ein zylindrisches Rohr und ein kugelförmiger Schirm sind ihre wichtigsten Teile", erläuterte Wagenfeld 1924 den Entwurf.

Auch Memphis arbeitete vorzugsweise mit einfachen geometrischen Grundkörpern. Beim Stuhl First (1983) wiederholte Michele de Lucchi das Kreiselement mehrfach.

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.,,. vielfältig Mit organisch fließenden Formen, konkaven und konvexen Wölbun­gen ist der Körper der Liege La Chaise (1948). für die sich Charles und Ray Eames von einem liegenden Akt des Bildhauers Gaston Lachaise inspirieren ließen, eine geometrisch äußerst komplexe Form. Im Kon­trast zu der Sitzschale stehen die dünnen Beine und das Fußkreuz.

Die geometrisch hochkomplizierte und zeichnerisch schwer auszu­führende Form des Erno-Türdrückers Nr. 127 von Wilhelm Braun-Feld­weg (1935) entstand konsequenterweise nicht am Zeichenbrett, son­dern auf der Grundlage eines Handabdrucks in einem Plastilinstrang; das Modell der Negativ-Handform wurde direkt für den seriellen Kokil­lenguss überarbeitet.

2a. geschlossen durch Nähe In vielen Wahrnehmungsexperimenten wurde nachgewiesen, dass wir dazu neigen, unvollständige Figuren unbewusst zu ergänzen und als geschlossene Figur zu erleben. Beispielsweise werden bei kleinen Schriftgrößen und schlechter Druckqualität statt der Ziffern „3" und .,c" bevorzugt eine geschlossene „8" oder ein „o" gelesen (vgl. Metz· ger 1986, S. 154). Auch werden einzelne Teile eines Ganzen im Sinne des kleinsten Abstandes zusammengefasst. So gruppieren sich zum Beispiel Punkte zu senkrechten Reihen. weil sie in der vertikalen Rich­tung näher beisammen stehen als in der horizontalen. Bei Linien sehen wir schmale Streifen, die durch größere Zwischenräume voneinander getrennt sind (vgl. Katz 1964, S. 31).

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Bei dem Tisch II Co/onnato von Maria Bellini (1977) stehen die Tisch­beine im Zentrum unter der Tischplatte so dicht beieinander, dass sie sich zu einem Ensemble zusammenschließen.

Beim Beton-Freischwinger Solid von Heinz H. Landes (1986) schließen sich die sieben parallel verlaufenden Moniereisenstäbe durch Nähe zu einer Sitz- und Lehnfläche zusammen.

;1; offen durch Distanz Im Gegensatz hierzu werden bei dem Stuhl Argyle von Charles R. Mackintosh (1897) die senkrechten Teile der Rückenlehne als vier ein­zelne Elemente wahrgenommen; sie bilden keine „geschlossene" Leh­ne.

Auch bei dem Block-Wandschirm (um 1925) komponierte Eileen Gray das Verhältnis von geschlossenen Flächen und Durchbrüchen so. dass der Paravent insgesamt offen und transparent erscheint.

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2b. geschlossen durch gute Fortsetzung Diejenigen Teile einer Figur, die eine durchgehende. das heißt „gute Kurve" bilden, werden als Einheit wahrgenommen. Beispielsweise sieht man in untenstehender Abbildung eine gerade Linie, die durch davor­liegende Streifen teilweise verdeckt wird (vgl. Katz 1964, S. 33); die andere Abbildung gliedert sich zunächst in zwei gekreuzte Kreislinien; mehr Mühe kostet es uns, die Figur beispielsweise als zwei Sicheln oder vier offene Kreisbögen wahrzunehmen (vgl. Metzger 1986, S. 164).

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Der umlaufende Stahlrohrrahmen von Ludwig Mies van der Rohes Freischwinger-Stuhl {1927) bildet eine geschlossene Form durch gute Fortsetzung; das Rohr wird auch unter dem Geflecht „gesehen".

Geschlossenheit durch gute Fortsetzung wird auch beim Türgriff Hewi Nr. 550.31.8 gko (1996) erreicht, da sich Griff und Türschild zu einem ,,O" zusammenschließen.

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Beim Stuhl Leda von Angela Oedekoven-Gerischer (1990) wird Ge­schlossenheit durch gute Fortsetzung gleich zweifach erzeugt. Sitz­fläche und Hinterbein bilden ein rechtwinkliges Element. da sie zum einen in der Flucht liegen, zum anderen zeichnen sie sich durch ein­heitliche Materialstärke und ein einheitliches Formprinzip aus (vgl. hierzu auch Punkt 3 „einheitlich"). Das Gleiche gilt auch für Rücken­lehne und Vorderbein.

'1:-offen durch Unterbrechung Die seitlich weit über die senkrechten Träger hinausstehenden Tablare verleihen dem Regal zo/J-d von Lukas Buol und Marco Zünd (1993) Komplexität durch Offenheit; eine ruhigere Wirkung könnte erzielt werden, wenn die waagrechten Böden mit den Trägern abschließen würden.

Beim Spannring High Noon von Timo Küchler (1994) erregt die unge­wöhnliche Lücke des Fingerreifs Aufmerksamkeit.

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Beim Anrufbeantworter tiptel 208 V (1994) bilden die erhabenen Tasten mit den Erhebungen auf dem Gerätedeckel eine gute Fortset­zung; diese wird erst durch den deutlichen Kontrast der Farben (blau/ grau) sowie der Texturen (glatt/aufgeraut) gestört. Beide Pole, Geschlossenheit und Offenheit, wurden polar integriert.

3. einheitlich Es besteht die Tendenz, gleiche oder einander ähnliche Teile eines Ganzen zu einer Gruppe zusammenzufassen. So schließen sich in der linken Abbildung etwa die vollen und die leeren Punkte zu Reihen zusammen (vgl. Katz 1964, S. 31). In der rechten Abbildung wird die Figur in aller Regel als eine gerade Linie und eine S-Kurve gedeutet, also als zwei nach einem einheitlichen Prinzip aufgebaute Gestalten; die ebenfalls mögliche Zerlegung in uneinheitliche, aus einer Gerade und einer Kurve zusammengesetzte Figuren erfordert von uns sehr viel mehr Anstrengung (vgl. Metzger 1986, S. 161). Die Einheitlichkeit kann sich auf nur eine Eigenschaft der Elemente, beispielsweise ihre Form, Größe oder Farbe beziehen, oder auf mehrere gleichzeitig.

Einheitlich geformte Bedienelemente schließen sich bei dem ISDN­Telefon Hicom 100 von Siemens (1994) zu Gruppen zusammen; die Bildung geschlossener Tastengruppen wird durch das Gesetz der Nähe verstärkt.

Das Sehalterprogramm S-Color-System von Odo Klose (1985) ist einheit­lich auf quadratischen Abdeckplatten und runden Sehalterelementen aufgebaut; die unterschiedliche Bedienungsweise verschiedener Schal-

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tertypen wurde formal nicht berücksichtigt. Beispielsweise besteht der links abgebildete Schalter aus einem kombinierten Druck-/Drehknopf (oben) sowie einem Kippschalter (unten); der rechts abgebildeten Schal­ter hat zwei Kippschalter, gedimmt wird hierbei durch längeren Schal­terdruck, nicht durch Drehen des Knopfes wie bei dem linken Schalter.

Die verschiedenen Teile des Bestecks mono ring von Peter Raacke (1966) werden durch die einheitliche Gestaltung der Kunststoffgriffe mit Aufhängeöse leicht als zusammengehörig wahrgenommen.

.o unterschiedlich Uneinheitlich gestaltete Xavier Mariscal das Untergestell des Bar­hockers Duplex (1983): Je ein Bein ist gerade, halboval und wellenartig ausgebildet; von den beiden ringförmigen Querversteifungen wurde die eine waagerecht, die andere deutlich gekippt montiert. Jedes der fünf Rohrteile ist in einer anderen Farbe lackiert.

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Selbstverständlich sind die Gestaltgesetze auch auf Grafik-Design, Interface-Design etc. anwendbar. Ein Beispiel: Im Zeit-Magazin Nr. 23/1996 verwendet David Carson auch bei fortlaufenden Texten unterschiedliche Schrifttypen und Schriftgrößen. Die jeweils einheit­lich gestalteten Textabschnitte schließen sich zu Textblöcken zusam­men.

4. symmetrisch Symmetrische Figuren bestehen in Bezug auf eine gedachte Mittelach­se aus zwei spiegelbildlich gleichen Hälften. Da symmetrische gegen­über asymmetrischen Gebilden bevorzugt wahrgenommen werden, sehen wir in der linken Abbildung weiße „Säulen" auf schwarzem Grund - obwohl die umgekehrte Wahrnehmung ebenso möglich wäre (vgl. Metzger 1986, S. 173). Wie die andere Abbildung zeigt, besteht die Tendenz, Figuren mit geringer Asymmetrie bei kurzzeitiger Darbie­tung als symmetrisch wahrzunehmen. Auch die Überraschung, die wir bei Fotomontagen von zwei spiegelbildlichen rechten oder linken Gesichtshälften einer Person erleben, belegt die Neigung, Asymmetri­en des Gesichtes zu übersehen.

-> H Strenge Achsensymmetrie ist bei dem Toilettentisch Plaza von Michael Graves (1981) wichtigstes Ordnungsmerkmal. Durch den additiven Aufbau aus vielen verschiedenen Grundkörpern sowie die Wahl unter· schiedlicher Materialien und Farben ist das Objekt insgesamt jedoch sehr komplex.

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-:t. asymmetrisch Konsequent asymmetrisch gestaltet wurde der Sessel Bel Air von Peter Shire (1982).

5. deutlich (Assimilations-Kontrast Ordnung) Als deutlich bezeichnen wir alle unterscheidbaren Formen, eindeutig ausgebildete Formübergänge und räumliche Orientierungen. Undeut· liehe, weil minimale Abweichungen wie zum Beispiel nahezu quadrati­sche Flächen, Schrägen von wenigen Graden oder nahezu parallele Linien werden. wie oben beschrieben, als verunsichernd erlebt und entsprechend der Prägnanztendenz assimiliert, das heißt „eingeeb· net", oder übersteigert wahrgenommen (vgl. Metzger 1986, S. 155).

Bei dem Telefon Topline 400 von Porsche Design (1996) wurde die großzügige „Griffmulde" der Basisstation durch eine deutliche Kante von der ebenen Fläche abgegrenzt.

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Mit deutlichen Absätzen und klar unterscheidbaren Querschnitten wurden bei dem Bauhaus-Türdrücker von Walter Gropius (1923) Hand­habe, Drückerhals und Bund voneinander getrennt.

"'undeutlich Beim Türdrücker von Peter Raacke (1963) sind die Formübergänge zwi­schen Handhabe, Drückerhals und Bund nicht präzisiert. Die Über­gangszonen von den Kurven in die Geraden sind sehr undeutlich aus­gebildet.

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Unangenehm wirkt die um nur wenige Grad vom rechten Winkel abweichende Schräge bei der Tischleuchte Ara von Philippe Starck (1988); man ist nicht sicher, ob die Schräge gewollt ist, oder ob es sich etwa um eine Beschädigung handelt.

Der Papierkorb Square von Konstantin Grcic (1995) ist eines der weni­gen Beispiele, dass undeutliche Formübergänge - hier der unmerkliche

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Übergang von der rechteckigen Öffnung zum runden Boden - reizvoll sein können.

6. im Raster (Schwerkraftordnung) Neben der Gestaltordnung gibt es (nach Mukafovsky) weitere Ord­nungsmerkmale, deren Wirkung auf die Eigenart unserer Gleichge­wichtsorgane zurückzuführen ist. Dadurch empfinden wir Figuren, die dem Horizontal-Vertikal-Raster entsprechen, als geordnet; abweichen­de Schrägen hingegen erzeugen Spannung. Experimente mit der Wie­dergabe schräg liegender Gebilde nach längerer Zeit ergaben, dass sie häufig aufrecht erinnert werden, nicht aber umgekehrt (vgl. Metzger 1986. s. 159).

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Bei dem Uhrenradio ABR 21 fm von Braun (1978) wurden alle Funkti­onselemente auf Front- und Oberseite des Gerätes entsprechend einem gedachten Horizontal-Vertikal-Raster angeordnet.

In drei Dimensionen im Raster gedacht wurden die Vorratsbehälter Kubus von Wilhelm Wagenfeld für die Vereinigten Lausitzer Glaswerke (1938).

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;,e Abweichung vom Raster durch Schrägen oder Freiformkonturen

Bei dem Rowenta Toaster TP 902 S wurde das quadratische Heizele­ment, das die Brotscheiben aufnimmt, um 45 Grad aus dem Horizon­tal-Vertikal-Raster gekippt.

Der Schubladenschrank von Shiro Kuramata (1970) durchbricht das Horizontal-Vertikal-Raster durch die S-förmige Kurve des Korpus ledig­lich in der Vertikalen; indessen wahren die einzelnen Schubladen die Horizontal-Orientierung.

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Von einer strengen Horizontal-Vertikal-Ordnung gänzlich befreit hat sich das in nahezu beliebigem Schwung an der Wand zu befestigende Regal Bookworm von Ron Arad (1994).

7. im Gleichgewicht (Schwerkraftordnung) Als geordnet erleben wir ebenfalls Körper in einem stabilen Gleichge­wichtszustand. Körper. die sich im Ungleichgewicht befinden und umzukippen drohen, rufen hingegen Spannungsgefühle hervor (vgl. Mu kafovsky).

Der kegelförmige, sich nach oben stark verjüngende Grundkörper des Wasserkessels von Michael Graves (1985) befindet sich durch seinen breiten Boden und den symmetrischen Aufbau einschließlich des kreis­runden Griffbügels völlig im Gleichgewicht. Der asymmetrische Griff­wulst wird durch die gegenüberliegende Tülle ausbalanciert.

Durch eine betont kleine Standfläche und einen sich nach oben weit öffnenden Kelch erscheint das optische Gleichgewicht der Kelchgläser von Heinrich Löffelhardt (um 1957) zunächst gefährdet; der sich geringfügig nach oben verjüngende Vollglas-Sockel. der erfahrungs­gemäß schwer ist und das Umkippen der Gläser verhindert, rückt sie jedoch wieder ins Gleichgewicht.

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;1; aus dem Gleichgewicht Bewusst setzt Richard Sapper bei der Tischuhr Static (1959) das Spiel mit Statik und Gleichgewicht als lrritationsmoment ein. Nach den Gesetzen der Schwerkraft müsste die Uhr jeden Moment nach vorne kippen -was aber durch ein Gewicht oberhalb der Standfläche verhindert wird.

Der labile Gleichgewichtszustand muss sich bei dem Regal Balance II von Monika Wall (1985/86) immer wieder aufs Neue einpendeln, wenn man Bücher hineinstellt oder herausnimmt.

Ein Beispiel für die Anwendung der Gestaltgesetze im Bereich der Archi­tektur: Die auf einer Säule mittig aufgeständerten Olivetti-Hochhäuser von Egon Eiermann in Frankfurt-Niederrad (1972) befinden sich optisch in einem instabilen Gleichgewichtszustand und wirken kippgefährdet.

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8. bekannt (Erfahrungsordnung) Nach den Erkenntnissen der Gestaltpsychologen hat auch die Bekannt­heit beziehungsweise die Neuartigkeit von Reizen Einfluss auf unsere Wahrnehmung von Ordnung und Komplexität. Bekannte Objekte wer­den als weniger komplex erlebt als unbekannte. Nach Katz (1964, S. 35) erkennen wir zum Beispiel in den drei separaten Linien in der Abbil­dung den Buchstaben „E", da wir sie durch Kenntnis des Alphabets entsprechend ordnen und die fehlenden Grenzlinien ergänzen. Erst wenn die Figur auf die Seite oder auf den Kopf gedreht wird, ist dieser Erfahrungsbezug nicht mehr möglich.

:1; neu Für das Radio La/ala (1994) wählte Philippe Starck die für dieses Gerät untypische Form eines Sprachrohrs.

Der Korkenzieher Asterix von Maurizio Duranti ist zunächst nicht ein­mal als solcher zu erkennen, da das Schraubgewinde ungewöhnlicher­weise vollständig in einem Schaft verborgen wurde.

9. passend (Kontextordnung) Bei der Frage nach der Kontextordnung betrachten wir nicht Produkte isoliert, sondern untersuchen, inwiefern sie sich in das jeweilige Umfeld ,.einordnen". Kontextordnung ist bei formaler Einheitlichkeit des Pro­duktes und seiner Umgebung gegeben.

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,1. kontrastierend In einem deutlichen formalen Kontrast stehen die funktionalistische Formensprache des Endlos-Banksystems 1220 von Friso Kramer für Wilkhahn (1968) und das barocke Interieur von Schloss Herrenhausen.

Zur Bewertung von Ordnung und Komplexität aus psychologischer Sicht

Obwohl mit dem Eingangsbeispiel der Sessel LC 2 und Vodöf verdeut­licht wurde, dass formale Gestaltungskonzepte nur im Zusammenhang übergeordneter Gestaltungsziele und Wertvorstellungen beurteilt wer­den können, mag sich dennoch bei der Entwurfsarbeit die Frage nach einer generellen Bewertung von Ordnung und Komplexität stellen. Bereits von Psychologen wurde dieser Themenkomplex - die Bedeu­tung von Ordnung und Komplexität für das ästhetische Erleben - aus­giebig diskutiert und untersucht. Gegenüber standen sich konträre Postulate. Wilhelm Wundt äußerte schon 1874 die Vermutung, dass Betrachter ästhetische Reize mittlerer Komplexität am angenehmsten empfänden, sehr niedrige Komplexität jedoch als langweilig und sehr hohe als chaotisch und überfordernd erlebten. Diese Beziehung wurde mit der nach ihm benannten „Wundt-Kurve" dargestellt. eine umge­kehrt U-förmige Kurve in einem Koordinatenkreuz, wobei die x-Achse die Komplexität des Gegenstandes, die y-Achse das Maß des ästheti­schen Gefallens angibt (Bortz 1978, S. 482).

Unter den Begriffen der „Gestaltreinheit" und der „Gestalthöhe" behandelte auch Christian von Ehrenfels diese Thematik (1916). Dabei beruht das Konzept der Gestaltreinheit weitgehend auf einer Maximie­rung von Ordnung bei gleichzeitiger Minimierung von Komplexität. Als ,.Idealgestalten von maximaler, das heißt auch der logischen Möglich­keit nach nicht mehr überbietbarer Reinheit" führt er die mathematisch genaue Kugel und regelmäßige Polyeder an. Diesem Prinzip der Gestalt· reinheit stellt von Ehrenfels das Konzept der Gestalthöhe gegenüber, die er - möglicherweise in Anlehnung an den Psychophysiker Gustav Fechner (vgl. Ritterfeld 1996) - als „Einheit in der Mannigfaltigkeit" definiert. Gestalthöhe ist also durch die gleichzeitige Ausprägung von Mannigfaltigkeit beziehungsweise Komplexität und gestalterischer Ord­nung charakterisiert. Später, Mitte der sechziger Jahre, griff auch der Gestaltpsychologe Rudolf Arnheim das Prinzip der Einheit in der Man-

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nigfaltigkeit auf . .,Beide Parameter, Ordnung und Komplexität stehen laut Arnheim in einem Spannungsverhältnis zueinander, und das ästhe­tische Maß ist dann maximal. wenn beide Pole ,polar integriert' werden. Das Konzept der polaren Integration bezeichnet eine Verbindung zwei­er zunächst gegensätzlich erscheinender Ausprägungen, die nicht etwa zu einem Kompromiss zwischen diesen führt. sondern bei der beide Dimensionen maximal ausgeprägt bleiben" (Ritterfeld 1996, S. 14).

In Opposition zu dieser moderaten Position stellten die Gestaltpsy­chologen bei ihren Experimenten zur Prägnanztendenz eine Neigung zur Reizreduktion fest, die sie mit der begrenzten menschlichen Reiz­aufnahmekapazität begründeten. Der Mathematiker Georg David Birk­hoff übersetzte diese Annahme in die Gleichung M = 0/C; das heißt der „ästhetische Wert" M einer Reizkonfiguration sei vom Quotienten aus „Ordnung" O und „Komplexität" C abhängig und steige folglich bei hoher Ordnung und niedriger Komplexität an.

Trotz jahrzelintelanger umfangreicher empirischer Untersuchungen gelang es nicht, eine der Thesen zu verifizieren. Der von den lnformati­onsästhetikern Abraham Moles, Max Bense u.a. verfolgte Ansatz, der darauf basierte, Ordnung und Komplexität beziehungsweise „Redun­danz" und „Entropie" von Reizvorlagen objektiv messen zu wollen, scheiterte an einer sauberen Quantifizierung; die Messergebnisse hingen stark vom jeweiligen Experimentator ab (o.c., S. 485). Und der motivati­onsästhetische Ansatz von Daniel E. Berlynes u.a., der sich darauf stützte, Komplexität über die ausgelöste Wirkung, etwa Neugier und Interesse, zu erfassen, krankte unter anderem daran, dass er lediglich die subjektiv wahrgenommene, nicht aber die objektive Komplexität der Reizvorlage erfasste. Unklar blieb zudem, inwiefern ein semantischer Gehalt die Kom­plexitätswahrnehmung beeinflusst, denn bei der sogenannten „syntheti­schen" Vorgehensweise Berlynes wurde mit Materialvorlagen gearbeitet, die von inhaltlichen Bedeutungen möglichst freigehalten und nur hin­sichtlich Ordnung und Komplexität formal variiert wurden.

Entsprechend zurückhaltend resümierte Erich Raab den Stand der Forschung: In der Zentraltendenz erscheine die „Annahme eines umgekehrt U-förmigen Zusammenhangs wahrscheinlicher ... als die Annahme eines monotonen Abfalls der Erfreulichkeit mit steigender Komplexität" (Raab 1981, S. 281). Dies würde Wundts These sowie auch Arnheims Konzept einer polaren Integration von Ordnung und Komplexität implizit bestätigen. Offenbar saßen die Wahrnehmungs­psychologen dem Fehlschluss auf, aus der bei Testpersonen beobach­teten Tendenz zur Vereinfachung komplexer Vorlagen zu folgern, dass sie reduzierte Reize bevorzugen würden. Streng genommen kann dar­aus aber nur ein Bedürfnis nach dem Prozess wahrnehmungsmäßiger Reizreduktion abgeleitet werden. Mit anderen Worten: Der Vorgang der Reizreduktion wurde von ihnen fälschlicherweise mit dem Ergebnis gleichgesetzt. Dem entsprechen auch Untersuchungen von Groeben und Vorderer, die belegen, dass das Genussvolle nicht der Reiz selbst, sondern die Reizverarbeitung sei. Der größte Genuss werde von Reizen solcher Komplexität ausgehen, die von den Testpersonen gerade noch bewältigt beziehungsweise reduziert werden könnten - dieses erreich­bare Komplexitätsmaximum sei aber individuell verschieden (Ritterfeld 1996, S. 34). Zum einen ist es erfahrungsabhängig, und durch Erfah­rung mit Komplexität verschiebt sich das bevorzugte Komplexitätsni­veau in den Bereich höherer Komplexität: Beispielsweise bevorzugen

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Kinder mit steigendem Lebensalter auch eine steigende Komplexität (Raab 1981, S. 279); und Künstler, Kunststudenten und künstlerisch Interessierte präferieren in dieser Reizklasse höhere Komplexitätsgrade als Laien (o.c., S. 285). Zum anderen zeigen Untersuchungen, dass die Wahrnehmung und Beurteilung von Komplexität auch zeitabhängig ist: Vertraute Gegenstände erscheinen einem Betrachter weniger kom­plex als nichtvertraute, unabhängig von ihrer vermeintlich „objekti­ven" Komplexität (o.c., S. 276) - ein Umstand, der mit dem Begriff der „Neuigkeitskomplexität" beschrieben wird. zusammengenommen legen die verschiedenen Forschungsergebnisse den Schluss nahe, dass ,.Komplexität eben keine objektiv gegebene Reizeigenschaft ist, son­dern eine höchst subjektive, wenig präzise zu definierende Anmu­tungsqualität" (Bortz 1987, S. 487).

Was lässt sich nun aus der psychologischen Ästhetikforschung für die Entwurfspraxis des Designers ableiten? Zunächst einmal ist festzu­halten, dass die Begriffe Ordnung und Komplexität lediglich dazu die­nen können, Tendenzen zu beschreiben und Erfahrungen auszutau­schen. Sie haben in etwa den Präzisionsgrad von Worten wie „Kälte" und „Wärme". Exakte Werte wie eine Gradangabe sind hier nicht möglich. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass für Ordnung (wie auch für Kälte) ein Maximum anzunehmen ist. während sich Komplexität (wie Wärme) im Prinzip unendlich steigern lässt. Eine weiße Wand oder die absolute Stille bilden Endpunkte einer Reizreduktion und damit zugleich ein Maximum an Ordnung. Hingegen muss Komplexität als unbegrenzt angesehen werden, da zu jeder Reizgegebenheit weitere Komplexitätselemente hinzugefügt werden können.

Als Zielvorgabe für die konkrete Entwurfsarbeit sind daher lediglich Beschreibungen wie etwa „möglichst hohe Ordnung", ,.polare Inte­gration von Ordnung und Komplexität" oder „relativ große Komple­xität" möglich. Dabei sind diese Zielwerte nie per se zu bewerte!'), sondern sie müssen sich immer an der jeweiligen Gestaltungsaufgabe legitimieren. Das bedeutet, dass das „richtige Maß" an Ordnung und Komplexität bei jedem Produkt von neuem abzuwägen ist. Dabei spie­len unter anderem die funktionalen Anforderungen an das Produkt, der Kontext, in dem es sich später befinden wird, aber auch die Nut­zergruppe eine entscheidende Rolle. So erzeugt beispielsweise bereits die Fülle der technischen Anzeigen und Bedienelemente in einem Flug­zeug-Cockpit eine relativ hohe Komplexität. Die wichtigste Anforde­rung an das Design dürfte in diesem Fall darin bestehen, Komplexität mit gestalterischen Mitteln zu reduzieren und alle Funktionen über­sichtlich geordnet und ergonomisch günstig zu plazieren. Allerdings kann auch davon ausgegangen werden, dass der professionelle Pilot mit der Vielzahl der Anzeigen und Instrumente vertraut ist und sie als weniger komplex und überfordernd erleben wird als ein Laie.

Verfolgt man die Jurybegründungen für die Preisträger der höchs­ten deutschen Designauszeichnung. dem Bundespreis Produktdesign, so fällt auf, dass der Erzeugung von Ordnung bis heute ein hoher Stel­lenwert zuerkannt wird. Beispielsweise wurde 1992 gelobt, dass eine Sitzbank „mit ihrer großzügigen Einfachheit ... unaufdringlich wirkt", ein Telefonsystem fand Anerkennung, da „die Bedienflächen ... ein strenges Ordnungsraster haben"; und ein Leuchtenhersteller wurde gewürdigt „für Leuchten geometrisch einfache Grundformen zu fin­den, die lichttechnisch Sinn machen und eine ästhetische Qualität

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haben" (Bundespreis Produktdesign 1992). Gleichfalls beeindruckte 1996 die Jury ein Operationstisch „durch seine klare Gliederung und Ordnung" oder ein Regalsystem durch „ruhige Einfachheit und Geord­netheit"; weitaus seltener liest man Belobigungen wie etwa bei einer Pendelleuchte, der 11mit ihrer Vielgliedrigkeit ... aber auch mit ihrer Far­bigkeit" eine „reizvolle Lebendigkeit" zuerkannt wird (Bundespreis Produktdesign 1996).

Nun mag tatsächlich bei vielen Design-Objekten, vor allem solchen aus dem technischen Bereich und bei Arbeitsmitteln, die Schaffung von Ordnung ein wichtiges Ziel sein - dennoch gerät es manches Mal zum nicht mehr nachvollziehbaren Formalismus. Bis heute stehen offenbar viele Designjurierungen in der Tradition der „Guten Form", bei der hohe Ordnung einen Wert an sich darstellte ... Zurückhaltung in der Erscheinung, funktional im Gebrauch, sachlich. rechteckig, in Weiß. Grau oder Schwarz, ohne Dekor und möglichst beschränkt auf präzise, technisch notwendige Details - das war der Look jener Serienprodukte, die in das Raster einer guten Formgebung passten", so charakterisier­te Uta Brandes alias Gwendolyn Ristant pointiert die Ideologie der ,.Guten Form" (Erlhoff, 1990). Auf die verschiedensten Gestaltungsbe­reiche, quasi „vom Löffel bis zur Stadt" angewandt, sollte diese funk­tionalistische Gestaltungsauffassung jedoch zu ästhetischer Reizlosig­keit und emotionalen Defiziten in der Umweltgestaltung beitragen, die eines Gegenpols bedurften.

Ordnung und Komplexität in historischer Perspektive Im Design wie auch in der Architektur gab und gibt es verschiedene Sti­le und Strömungen, die unter anderem hinsichtlich ihres Grades an Ord­nung und Komplexität klassifiziert werden können. So strebte etwa die funktionalistische Gestaltung, die insbesondere das deutsche Design stark prägte, nach hoher Ordnung bei gleichzeitiger Reduktion von Komplexitätselementen wie beispielsweise Freiformen oder Ornamen­ten. Hermann Muthesius, der spätere Mitbegründer des Deutschen Werkbundes, forderte bereits 1903 als einer der ersten ein „Zurückge­hen auf mathematische Grundformen wie Zylinder und Rechteckkör­per" (Eckstein 1985, S. 94). Er begründete dies mit dem in dieser Phase der Industrialisierung gewichtigen Argument, dass „nur ungeschmück­te Sachformen" .. typische Maschinenformen" sein könnten. Nur drei Jahre später entwickelte Richard Riemerschmid für die Deutschen Werkstätten in Hellerau sogenannte „Maschinenmöbel", die diesen Ideen weitgehend entsprachen . .,Dem Verarbeitungsprozess des Sägens und Fräsens" entgegenkommend (Seile 1994, S. 129), waren die nüch­tern-einfachen Kastenformen konsequent auf eine serienmäßige maschinelle Fertigung ausgelegt. Mitte der zwanziger Jahre hatte die funktionalistische Formensprache in den fortschrittlichen Kreisen des Werkbundes sowie am Bauhaus bereits deutlich an Boden gewonnen. Der Werkbund organisierte 1924 eine großangelegte Ausstellung mit dem programmatischen Titel Form ohne Ornament. und am Bauhaus setzte sich ein auf stereometrische Formen reduziertes Gestaltungsvo­kabular durch. das unter anderem von den russischen Konstruktivisten und den holländischen DeStijl-Künstlern Impulse bezog. Prägend für die Entwicklung der Formensprache dürfte darüber hinaus der von allen Bauhausschülern zu absolvierende Grundkurs von Wassily Kandinsky gewesen sein. Bei seinem 11analytischen Zeichenunterricht", den er ab

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1922 gaö. leitete er dazu an, Objekte auf ihre geometrischen Grund­formen reduziert darzustellen. Auch waren die Schriften der damals führenden Gestaltpsychologen Wertheimer. Köhler und Koffka am Bau­haus bekannt und wurden diskutiert. Kandinsky betonte zwar, die Erkenntnisse der Gestaltpsychologie seien für ihn lediglich eine nachträgliche Bestätigung seiner Gestaltungslehre (Wiek 1988). Den­noch liegt der Schluss nahe, dass der von den Gestaltpsychologen geprägte Begriff der „guten Gestalt" - im Gegensatz zu unserem heu­tigen Verständnis - seinerzeit tatsächlich als Leitbild einer „guten Gestaltung" aufgefasst wurde. Dies jedenfalls lassen viele Bauhaus­Arbeiten vermuten.

Doch neben der ästhetischen und wahrnehmungspsychologischen Begründung sprachen aus der Sicht der Bauhäusler auch herstellungs­technische und praktisch-funktionale Argumente für einfache stereo­metrische Formen. Wilhelm Wagenfeld beispielsweise begründete seine Arbeiten in der Metallwerkstatt: .,Immer müssen Form und Funktion eine eindeutige Gestaltung erlangen. in der eines das ande­re ergibt. Die Reduzierung der Form auf ihre einfachsten Elemente -Kugel, Zylinder, Kubus, Kegel - war eine notwendige Parallele ... Die Tischlampe - ein Typ für die maschinelle Herstellung - erreichte in ihrer Form die größte Einfachheit und in der Verwendung von Zeit und Material die stärkste Beschränkung. Eine runde Platte, ein zylin­drisches Rohr und ein kugelförmiger Schirm sind ihre wichtigsten Tei­le" (1980, $. 187). Die Behauptung besonderer Funktionalität und Herstellungsgerechtigkeit erwies sich freilich als ein doppelter Irrtum. Wie Magdalena Droste zeigte, waren die Bauhäusler zum einen mit industriellen Herstellungsprozessen wenig vertraut, so dass man „nai­verweise glaubte. einfache ,elementare' Formen seien besonders leicht industriell herzustellen" (Droste 1997, S. 18); darüber hinaus fehlte es an technischem Wissen über Licht, was zu einer unzurei­chenden Lichtleistung der Lampe führte. Trotzdem wurde die Leuchte - spätestens mit der von Wagenfeld überarbeiteten Re-Edition von 1980 - zu einem Erfolg. Neben ihrer berühmten Herkunft, die die Leuchte als Bauhaus-Objekt symbolisch auflädt, dürfte wohl auch das formale Konzept dafür ausschlaggebend sein: Durch die gleichzeitige Anwendung von Ordnungskriterien und einen komplexitätserzeugen­den additiven Aufbau, der die Leuchte als Zusammenfügung relativ selbständiger Einzelteile erscheinen lässt. ist sie ein gutes Beispiel für Gestalthöhe.

Erscheinen viele Arbeiten der modernen Avantgarde aus heutiger Sicht formalistisch, ihre geordnete Gestalt eher durch ein ästhetisches Leitbild denn durch Funktionalität sowie Material- und Herstellungsge­rechtigkeit motiviert, so beabsichtigte man freilich nichts weniger als dies. Ludwig Mies van der Rohe, der seine strenge Reduktionsästhetik mit dem Diktum „less is more" begründete, schlug in diesem Sinne vor, der Werkbund-Zeitschrift Die Form einen anderen Namen zu geben, da der bestehende Titel in einer falschen Richtung verpflichten würde: „Form als Ziel mündet immer in Formalismus", begründete er damals sein Ansinnen (1975, S. 215).

An die Bauhaus-Tradition angeknüpft wurde Anfang der fünfziger Jahre mit der Gründung der Hochschule für Gestaltung Ulm. Die rigide Verbindlichkeit. mit der dort ein an Ordnung und Geometrie orientier­tes Formenvokabular durchgesetzt wurde, veranlasste Bernd Rübenach,

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Autor und Gastdozent für Rundfunkkunde an der HfG, mit ironischem Unterton von einer „verehrung der geraden und des rechten winkels" zu sprechen und zu fragen: ,,ist der rechte Winkel nicht nur die archi­tektonische grundfigur der ulmer hochschule, sondern auch mögli­cherweise das symbol ihres geistes? ... das wäre aber doch. was sonst hier tabu ist: stil, stilfigur einer puristisch-artifiziellen weit" (1987, S. 47). Begründet wurde diese Formensprache auch an der HfG mit her­stellungstechnischen Argumenten sowie als Zeichen vermeintlicher Rationalität.

Durch die Zusammenarbeit von HfG-Dozent Hans Gugelot mit der Firma Braun prägte die funktionalistische Gestaltung auch die Produk­te dieses Unternehmens. Konsequent weitergeführt wurde Gugelots Arbeit unter Dieter Rams, der - ganz im Geiste von Mies van der Rohes Diktum des „weniger ist mehr" - bekannte: .. Gutes Design ist mög­lichst wenig Design." Die gesamte Produktpalette des Unternehmens wurde, einer Charakterisierung des amerikanischen Autors Richard Moss zufolge, nach „drei allgemein gültigen Gesetzen: dem Gesetz der Ordnung, dem Gesetz der Harmonie und dem Gesetz der Sparsamkeit" (1990, S. 15) gestaltet. Dass Produkte durch diese formalen Eigen­schaften damals in scharfem Kontrast zum Herkömmlichen standen und - obwohl hochgradig geordnet - dennoch durch Neuigkeits- und Kontextkomplexität hervorstachen, belegt ein Schlüsselerlebnis des Design-Kritikers Rudolf Schönwandt: ,.Im Herbst 1955 sah ich in Hei­delberg das Radiogerät SK 4 in einem Schaufenster und war sehr stark beeindruckt ... Der SK 4 war umgeben von Dutzenden anderer Radios, Phonogeräte, Fernsehgeräte, Musiktruhen ... Der Kontrast war schla­gend. Ich habe später in unzähligen Schaufenstern unzählige Produk­te gesehen, die sich abhoben ... Dennoch war der Eindruck der Anders­artigkeit niemals so deutlich, so bedeutungsvoll" (1990, S. 10). Er erklärte dies damit, dass die formale Andersartigkeit der Braun-Pro­dukte für ihn wie auch für andere Gleichgesinnte damals einen mora­lischen Wert verkörperte. Statt Repräsentation, Schein und falscher Gefühlswerte, für die voluminöse, edelholzfurnierte Musiktruhen mit Goldleiste standen, hätten Werte wie Einfachheit, Klarheit, Ausgewo­genheit, Zeitlosigkeit und Ehrlichkeit in Gestalt des hellgrauen, an den Kanten sparsam gerundeten Kastens ihren formalen Ausdruck gefun­den. Diese Interpretation reicht nun zwar schon weit in den Bereich der Symboldeutung hinein. Doch gerade deswegen veranschaulicht sie gut das Zusammenspiel von formalen Gestaltungsmitteln und inhaltlichen Aussagen. Daraus ableiten kann man nun zwar nicht, dass diese For­mensprache grundsätzlich Schlichtheit, Ehrlichkeit, Innovation und Modernität verkörpert, doch zu der damaligen Zeit war das gewiss der Fall. Für mehr als zwei Jahrzehnte sollte diese Gestaltungsauffassung zur verbindlichen Doktrin an deutschen Hochschulen und Design-lnsti· tutionen werden und im Ausland zum Inbegriff des „German Design" avancieren.

Gleichwohl bestand eine mal stärker, mal schwächer sich artikulie­rende moderne Opposition gegen den Funktionalismus. Diese Bewe­gung ist zurückzuverfolgen bis Mitte der zwanziger Jahre, als der Werkbündler Hugo Häring, unterstützt von Henry van de Velde und Hans Scharoun, kritisierte: ,,Die Einheit, die wir auf Grund der geome­trischen Figuren über die Gestalt vieler Dinge hinweg errichten. ist nur eine Einheit der Form. nicht eine Einheit im Lebendigen. Wir aber wol-

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len die Einheit im Lebendigen und mit dem Lebendigen. Eine polierte Metallkugel ist zwar eine phantastische Angelegenheit für unseren Geist. aber eine Blüte ist ein Erlebnis ... Wir sind also gegen die Prinzi­pien Corbusiers" (1975, S. 200).

Die von Häring geforderte „lebendige", formal komplexe Formge­bung erlebte einen ihrer Höhepunkte in den dreißiger Jahren. Wie der Funktionalismus speiste auch sie sich aus verschiedenen Quellen. Anknüpfend an aerodynamische Studien des österreichischen Flug­zeugingenieurs Paul Jaray wurden weich geschwungene. stromlinien­artige Autokarosserien entwickelt. Auch der amerikanische Designer Norman Bel Geddes stellte Naturbeobachtungen an, aus denen er trop­fenförmige Fahrzeug-und Schiffsmodelle ableitete. Wie ihre europäi­schen Pendants huldigten sie jedoch eher einem formalen Gestal­tungskonzept, als dass sie tatsächlich strömungsgünstig waren. Die Stromlinienform wurde zum Symbol für Dynamik, Geschwindigkeit und Fortschritt. Bereits 1934 übertrug Raymond Loewy sie auf sta­tionäre Objekte wie etwa Bleistiftspitzer oder Kühlschränke; ,.stream­lining" wurde zum „beautiful styling" (Hauss-Fitton 1992).

Neben der Stromlinienästhetik bildete sich das formal zwar nicht identische, doch verwandte Organic Design heraus. Namensgebend war der 1940 vom Museum of Modern Art in New York ausgerufene Wettbewerb Organic Design in Home Furnishing. bei dem Charles Eames und Eero Saarinen mit dem Relaxation Chair - ein Stuhl mit einer dreidimensional verformten, plastisch durchgebildeten Sperrholz­Sitzschale - den 1. Preis gewannen.

Integrale Gestaltungskonzepte, bei denen die Einzelelemente so miteinander verschmolzen und der Gesamtform untergeordnet sind, dass sie nicht mehr als selbständige Einzelteile erkennbar sind sowie komplizierte Krümmungen zweiten Grades, Schrägen und Asymmetri­en wurden zu typischen formalen Merkmalen. Sie prägten nicht nur das Design, sondern auch die Architektur und die Kunst bis Ende der fünfziger Jahre - wobei entscheidende Impulse bereits zu Beginn der dreißiger Jahre von der bildenden Kunst ausgingen. Erinnert sei hier nur an die Werke von Joan Mire, Hans Arp und Henry Moore, an Archi­tekturen wie das New Yorker Flughafengebäude von Eero Saarinen, die Kapelle Ronchamp, mit der Le Corbusier überraschte, Stuhlobjekte von Carlo Mollino, Arne Jacobsen und Egon Eiermann, Hausgeräte von Wilhelm Wagenfeld, Heinrich Löffelhardt und anderes mehr. Auch im wieder aufgebauten Deutschland wurde die organische Gestaltung zu­nächst zur dominierenden Formensprache. Neue Fertigungstechniken und Materialien wie „fließende" Kunststoffe, dreidimensional formba­re Sperrhölzer oder Spannbeton begünstigten diese Richtung. Gestal­ter wie Wilhelm Braun-Feldweg argumentierten, dass die organische Form zugleich auch die funktionale Form sei. Ahnlich wie Charles Eames, der die Sitzschalen der Stühle mit Hilfe von Körperabdrücken entwickelte, leitete Braun-Feldweg seinen organisch anmutenden Handform-Türdrücker von einem Handabdruck in weichem Plastilin ab. Konsequent kritisierte er damals die „als besonders ,funktionell' gepriesenen. in Wirklichkeit ganz und gar nicht funktionell gemeinten Griff-Formen der Bauhauszeit. Damals standen scharfe Kanten, rechte Winkel und stilbedingte Geraden in unversöhnlichem Gegensatz zum Gebrauchswert" (1991, S. 50). Doch verließ er den eingeschlagenen Weg wieder und erklärte viele Jahre später, dass „jede Annäherung an

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den sog. Pistolengriff verkehrt sein muss, weil das ja ein gewisses Ord­nen der Finger voraussetzt ... ". Ideal erschien ihm nun ein Griff, der „so einfach ist wie etwa der Wittgenstein-Gritf" (o.c., S. 57).

Wie die Argumentation sowohl der Funktionalisten als auch der Vertreter der Organik zeigt, begründeten beide Seiten ihre Entwürfe vermeintlich rational etwa mit Herstellunsgerechtigkeit und Funktiona­lität. Doch wird ebenfall deutlich. dass der Anspruch einer funktio­nalen, material- und herstellungsgerechten Gestaltung weder von dem rationalistisch geordneten, noch von dem organisch komplexen For­menkanon per se eingelöst wird. Beide können zum Formalismus ver­kommen, wenn sie sich nicht über die Entwurfsaufgabe sowie über­geordnete Sinnzusammenhänge, in die diese eingebettet ist, legitimieren. Dahingehend kritisierte Robert Venturi mit Paul Rudolph den Kollegen Mies van der Rohe. er schaffe „herrliche Bauwerke allein aufgrund der Tatsache. dass er viele funktionelle Notwendigkeiten eines Bauwerkes einfach übergeht" (1978, S. 26) - eine Kritik, die auf Produkte leicht übertragbar ist. Beispielsweise wird auch die Redukti­onsästhetik beim Lichtschalterprogramm S-Color-System von Odo Klo­se mit Abstrichen an der Funktionalität beziehungsweise deren anzei­chenhafter Vermittlung realisiert: Alle Sehaltertypen sind kreisrund, so sieht man nicht, ob es sich um einen Drehschalter zum Dimmen des Lichts oder um einen Kippschalter zum Ein- und Ausschalten handelt.

Entzündete sich die Funktionalismuskritik mit Schriften wie Robert Venturis Complexity and Contradiction in Architecture (englisch 1966, deutsch 1978) ab Mitte der sechziger Jahre zuerst im Bereich der Archiktektur, so erhoben sich einige Jahre später auch im Designbe­reich kritische Stimmen. Aus der wahrnehmungspsychologischen Per­spektive verwies Heiner Erke im Hinblick auf die „Gesetzmäßigkeiten visueller Wahrnehmung" auf zwei entgegengesetzte Pole formal­ästhetischer Optimierung: In vielen Bereichen, etwa im Straßenverkehr, seien Schnelligkeit und Zuverlässigkeit der visuellen Kommunikation zentrale Kriterien und die Beachtung der Gestalttendenzen grund­legend. Dieser „reinen" Optimierung stellte er eine „paradoxe" Opti­mierung gegenüber, die „durch Neuigkeit, Komplexität, Ungewissheit und kognitive Konflikte die kreativen Aspekte der. Wahrnehmung anspricht" (1970, S. 18) und somit auch dem menschlichen Bedürfnis nach kognitiver Aktivität entgegenkomme. Darüber hinaus wurde gegen das Leitbild funktionalistischer Gestaltung eingewandt. dass sie zum einen die symbolischen Funktionen von Produkten nicht ausrei­chend berücksichtige, zum andern unterschiedslos alle Produkte einer formalistischen Geometrisierung unterwerfe: Ob Waschmaschine, Kühlschrank, Plattenspieler oder Telefon - wie Lucius Burckhardt (1985, S. 367) in einer Glosse zeigte. geriet alles zur anonymen weißen Kiste, die weder das Wesen noch die Funktionen der verschiedenen Objekte zeichenhaft zum Ausdruck bringt.

Abgesehen von Abweichlern gelang es erst ab Anfang der achtziger Jahre dem „Neuen deutschen Design" im Gefolge von italienischen Gruppen wie etwa Memphis, die Verbindlichkeit der funktionalisti­schen Gestaltung auf breiter Front zu brechen und einem gleichwerti­gen Nebeneinander verschiedener Gestaltungs- und Formkonzepte Raum zu geben. Exemplarisch hierfür steht etwa die Ausstellung 13 nach Memphis (Albus. Fischer 1995). die der Reduktionsästhetik ver­pflichtete Gestalter wie Konstantin Grcic oder Jasper Morrison neben

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.,barocken" Designern wie Borek Sipek oder Garouste und Bonetti prä­sentierte.

Zeichnete sich die Organik und das postmoderne Design in seinen verschiedenen Ausprägungen gegenüber dem Funktionalismus zwei­fellos durch eine höhere Komplexität aus, so ist aus heutiger Perspek­tive zu bemerken, dass an den Objekten dieser beiden Richtungen dennoch Ordnungskriterien wie Geschlossenheit. Symmetrie etc. fest­zumachen sind; bestenfalls können sie sogar Gestalthöhe im Sinne einer „polaren Integration von Ordnung und Komplexität" für sich reklamieren. Einen völligen Bruch mit jedweden Ordnungskriterien vollzog erst der Oekonstruktivismus, dem etwa der eingangs beschrie­bene Sessel Vodöf von Coop Himmelblau oder das Feuerwehrhaus für die Firma Vitra von Zaha Hadid zuzurechnen sind. Letzteres beschrieb Elisabeth Blum einmal folgendermaßen: .. Es gibt weder Achsen. in die man sich stellen könnte. noch eine eindeutige Hierarchie, keine klare Ordnung oder Gliederung, nicht den zentralen Raum, die herausra­gende Mauerscheibe oder wenigstens irgend eine postmodern verletz­te symmetrische Ordnung ... " (1997, S. 43).

Abschließend kann festgehalten werden, dass Komplexität die Vor­aussetzung jeder Zeichenhaftigkeit und somit auch die Basis der Pro­duktsprache ist. Erzielt wird Komplexität, die der Betrachter zumeist als Zeichen zu interpretieren beziehungsweise mit Sinn zu füllen versucht; durch das Vorhandensein von Reizquellen und durch die diskutierten formalen Gestaltungsmittel. Wie die Darstellung der formalen Grund­lagen verschiedener historischer Gestaltungskonzepte aber auch gezeigt hat. besteht kein eindeutiger Zusammenhang zwischen einem formalen Mittel und seiner inhaltlichen Bedeutung. Ihre jeweilige inhaltliche Bedeutung erhalten die Zeichen - genauer: die Anzeichen und Symbole, um die es in den folgenden beiden Kapiteln geht - erst durch den Kontext, in dem sie der Betrachter beziehungsweise Nutzer wahrnimmt und individuell deutet.

2.2 Anzeichenfunktionen Wurden im vorangehenden Kapitel formale Gestaltungsmittel - quasi die „Grammatik" der Produktsprache - behandelt, so soll es in diesem und dem folgenden Abschnitt um die Semantik beziehungsweise die zeichenhaften Produktfunktionen gehen. Auf der Grundlage einer Schrift der amerikanischen Philosophin Susanne langer, Philosophie auf neuem Wege (1984, S. 61 f.), die darin den Zeichenbegriff in Anzei­chen und Symbole differenzierte, wurde auch in der Theorie der Pro­duktsprache eine Unterscheidung zwischen Anzeichen- und Symbol­funktionen vorgenommen, die sich in der Designpraxis als hilfreich erwies. Dabei verstehen wir - vereinfacht ausgedrückt - unter Anzei­chen diejenigen Zeichen an einem Produkt, die direkt und unmittelbar seine praktischen Funktionen wahrnehmbar und verständlich machen, während Symbole indirekt und mittelbar auf übergeordnete gesell­schaftliche Kontexte verweisen.

Jeder kennt Situationen, in denen er mit einem alltäglichen Gebrauchsgegenstand nicht richtig umgehen konnte. Beispielsweise wenn es nicht gelingt, am Fahrkartenautomat ein Ticket zum gewünschten Zielort zu lösen; beim neuen Handy kein Freizeichen zur Eingabe der Rufnummer kommt; oder man in öffentlichen Gebäuden erst vergeblich gegen die Tür drückt, ehe sie sich durch Ziehen öffnet.

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Solche Beispiele demonstrieren, dass wir im Alltag ständig verschiedens­te Anzeichen wahrnehmen, deuten und darauf richtig oder falsch reagieren. Dies geschieht meist vorbewusst - aufgrund von Gewohnheit und Konvention. Erst wenn unsere Handlung nicht zum erwarteten Resultat führt, beginnen wir, uns aktiv mit dem Produkt oder dem Sach­verhalt zu befassen. Wir suchen etwa nach Hinweisen beziehungsweise Anzeichen, warum das Gerät nicht wie gewünscht funktionierte und wie es korrekt zu bedienen sei.

Dabei vermitteln Anzeichen zweierlei: Zum einen zeigen die soge­nannten Wesensanzeichen die Produktkategorie an; durch eine bestimmte Anzahl und Auswahl von Anzeichen in einer spezifischen Konstellation können wir erkennen . .,dies ist ein Handy", .,eine Fern­bedienung" oder „ein Taschenrechner". So zeichnet sich ein Handy (heute jedenfalls) durch die Anzeichen Tastatur. Display, Schallein- und -austrittsöffnungen sowie eine Antenne aus; Taschenrechner verfügen über Tastatur und Displayanzeige und Fernbedienungen lediglich über eine Tastatur (auf die Wesensanzeichen der verschiedenen Tastatur­typen sei hier nicht näher eingegangen).

Zum anderen zeigen uns die Funktionsanzeichen die praktischen Funktionen eines Produktes an; sie vermitteln zwischen Mensch und Technik, erklären das Produkt und ermöglichen eine leichte, fehlerfreie Handhabung. Beispielsweise ist einem anzeichenhaft gestalteten Bedienknebel anzusehen. ob er durch Drücken oder Drehen zu betäti­gen ist; oder einem Schiebeschalter, wie er anzufassen und in welcher Richtung er zu bewegen ist, ob man für seine Betätigung viel oder wenig Kraft braucht, ob er stufenlos reguliert oder verschiedene Schaltstufen hat und wo sich diese befinden. Alle diese Informationen können allein über die formale Ausbildung der Bedienelemente visua­lisiert werden. Doch neben visuellen Anzeichen spielen bei der Pro­duktgestaltung auch haptische und akustische Anzeichen eine Rolle. Durch haptisches Spürbarmachen des Druckpunktes einer Taste kann den Nutzern etwa vermittelt werden, dass die Taste tief genug einge­drückt wurde, um einen Impuls auszulösen; ein kurzer Signalton als Feedback ist beispielsweise bei Tastentelefonen inzwischen ebenfalls üblich geworden. Selbst olfaktorische Anzeichen wie etwa Leder-oder Kunststoffgeruch. die Rückschlüsse auf das Material erlauben, sind an Produkten wahrnehmbar.

Zu unterscheiden ist nach Langer weiterhin zwischen natürlichen und künstlichen Anzeichen. Charakteristikum der natürlichen Anzei­chen ist. dass sie selbst Teil einer komplexen Sachlage sind. Wie Langer ausführt, sind dunkle Wolken und ein Fallen des Barometers natürliche Anzeichen dafür, dass es bald regnen wird. Oder um ein Beispiel aus dem Produktbereich anzufügen: Bei einem Regalsystem. das durch Querstreben verspannt wurde, zeigen die Verstrebungen nicht nur Sta­bilität an; sie sind zugleich auch Teil der Sachlage, da sie unmittelbar zu der Stabilität des Regals beitragen.

Ebenso eindeutig wie die natürlichen Anzeichen weisen die künstli­chen Anzeichen auf Sachverhalte oder Produktfunktionen hin. Anders als diese sind sie jedoch nicht selbst Teil der Sachlage, sondern eine zunächst willkürliche menschliche Setzung, die mit anderen wichtigen Ereignissen, die selbst nicht in gleicher Weise sinnlich wahrnehmbar sind, an denen man jedoch besonders interessiert ist, in Wechselbezie­hung gestellt wurden. Der Pfiff, der bedeutet, dass der Zug sogleich

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.... abfahren wird, oder der Trauerflor an der Tür als Hinweis, dass jemand gestorben ist, sind langer zufolge künstliche Anzeichen. Sie stehen mit dem Ereignis, das sie anzeigen, in keinem inneren Zusammenhang, sondern wurden erst nachträglich mit dieser Bedeutung belegt. Das Gleiche gilt auch für die rote Ampel an der Straßenkreuzung, die den Haltebefehl anzeigt - oder für den gesamten Bereich des Interface­Design: Auch die „Ordner" und der „Papierkorb" auf dem Computer­bildschirm, in die wir Text- und Bilddateien einsortieren oder wegwer­fen können, sind künstliche Anzeichen. Da diese Zeichen mit dem bezeichneten Sachverhalt durch ihre abbildhafte Struktur in einer unmittelbar wahrnehmbaren Beziehung stehen, spricht man bei ihnen von ikonischen Zeichen (vgl. Rodi 1989, S. 297). Viele Verkehrszeichen wie etwa die Schilder für Fußgänger- und Radwege oder für Stein­schlag sind Ikone, ebenso die von Hans-Rudolf Lutz (1990) dokumen­tierten, international gebräuchlichen Zeichen auf Transportverpackun­gen - beispielsweise das Glas und der Regenschirm, die für die Zerbrechlichkeit und Nässeempfindlichkeit des Inhalts stehen. Im Unterschied zu anderen künstlichen Anzeichen. bei denen diese struk­turelle Ähnlichkeit von Zeichen und Bezeichnetem nicht gegeben ist. haben ikonische Anzeichen beziehungsweise Icons den Vorteil, dass sie für den Nutzer relativ leicht verständlich sind, auch wenn er ihnen zuvor noch nicht begegnet ist. Selbst interkulturell ist es möglich, sich derartige ikonische Anzeichen zu erschließen, sofern „Papierkörbe", ,,Schirme" etc. bekannt sind.

So einsichtig der Sonderfall der ikonischen Anzeichen auch ist: Man darf trotzdem nicht übersehen, dass „es keine Grenze dessen gibt, was ein Anzeichen alles bedeuten kann" (langer, S. 67). Anzeichen sind nicht als Eigenschaften eines Zeichens zu verstehen. sondern als Funk­tion, die ihm in einem bestimmten Zusammenhang zukommt. Daher kann ein und dasselbe Anzeichen in unterschiedlichen Kontexten Ver­schiedenes bedeuten. Leicht nachvollziehbar ist das anhand des roten Signallichtes. An Straßenkreuzungen visualisiert es den Haltebefehl; am Bügeleisen zeigt es an, dass das Gerät gerade aufheizt; an einem Fahrzeug markiert es das hintere Ende; und an einem Fotokopierer weist es darauf hin, dass das Gerät eingeschaltet ist, sich momentan aber im Energiesparmodus befindet. Wie bei allen Zeichen, ist auch die richtige Interpretation von Anzeichen immer kontextabhängig. Sie wird bestimmt von der Art des Gegenstandes, von der Situation, von Ort und Zeit. Darüber hinaus ist die Deutung von Anzeichen vom kul­turell-geschichtlichen Erfahrungshintergrund sowie vom fachlichen Wissen des Rezipienten abhängig. Ein und dasselbe Anzeichen kann in verschiedenen Kulturkreisen unterschiedliche Bedeutungen haben. In der westlichen Kultur wird mit Kopfschütteln bekanntlich Ablehnung ausgedrückt, in Indien bedeutet es Zustimmung.

Umgekehrt kann aber auch eine Funktion oder ein Sachverhalt durch verschiedene Anzeichen wahrnehmbar gemacht werden kann. Das kennen wir von den Differenzen zwischen verschiedenen Kultur­kreisen - im Abendland gilt schwarz als Trauerfarbe, in Asien weiß. Aber auch in einem Kulturkreis können verschiedene Anzeichen paral­lel existieren: So wird der Haltebefehl an Straßenkreuzungen zwar meist durch die rote Verkehrsampel signalisiert; aber es wird auch ver­standen, was es bedeutet, wenn ein Polizist mit ausgebreiteten Armen in der Mitte der Kreuzung steht. Folge dieser Kontext- und Kulturab-

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hängigkeit von Anzeichen ist, dass ihre Bedeutungen gelernt werden müssen, um Missverständnisse zu vermeiden.

Zur Realisierung von Anzeichen am Produkt In der Designpraxis ist es nun freilich von Interesse. welche praktischen Produktfunktionen anzeichenhaft gestaltet werden können oder soll­ten und mit welchen gestalterischen Mitteln dies möglich ist. In einer früheren HfG-Publikation von Richard Fischer und Gerda Mikosch (1984) wurden anhand einer Präzedenzfallsammlung eine Reihe von ge- und misslungenen Anzeichengestaltungen exemplarisch doku­mentiert. Untersucht wurden Anzeichen, die die Ausrichtung eines Produkts, seine Standfunktion, Stabilität, Veränderbarkeit/Einstellbar­keit, Bedienung, Präzision sowie den Bezug zum menschlichen Körper visualisieren. Der Einwand von Sibylle Kicherer. ob mit diesen sieben Kategorien die anzeichenhaft vermittelten Bedeutungen von Produk­ten wirklich vollständig beschrieben sei (1987, S. 111). beruht freilich auf einem Missverständnis. In der Theorie der Produktsprache wurde nie davon ausgegangen, dass es ein bestimmtes, fest umrissenes Repertoire von Anzeichen gebe. Vielmehr sind so viele Anzeichen vor­stellbar, wie es praktische Funktionen gibt. Weitere sind schnell benannt: Anzeichen, die den Luft- oder Schallaustritt am Gehäuse wahrnehmbar machen; Merkmale für die Stapelbarkeit von System­komponenten, Stühlen, Geschirr etc.; Anzeichen für Klappen, Falten. öffnen/Schließen, Drehen; Anzeichen für den Anschluß weiterer Komponenten oder Kabel; Anzeichen für den mobilen oder sta­tionären Gebrauch von Produkten. Vor dem Hintergrund der aktuel­len Ökologie-Diskussion lassen sich Steck-, Klipp· und Schraubverbin­dungen auch als Anzeichen für die Zerlegbarkeit von Produkten zwecks Reparatur oder sortenreinem Recycling deuten. Wie Volker Fischer eingangs schilderte, ist sogar die Herstellungsweise eines Pro­duktes an bestimmten Anzeichen abzulesen - wobei diese Anzei­chenaussage nicht bewusst gestaltet wurde, sondern sich als natürli­ches Anzeichen quasi „nebenbei" ergibt. Beispielsweise lässt die Verwendung von Kunststoffen sowie ein hoher Perfektionsgrad von Produkten unzweifelhaft seine industrielle Großserienfertigung erkennen. Schließlich schlagen sich bei mechanischen Produkten wie etwa Schreibmaschine, Fahrrad oder Handbohrer selbst die physika­lisch-technischen Wirkprinzipien an Zahnrädern, Hebeln. Achsen, Übersetzungen etc. anzeichenhaft nieder. Die Produkte verfügen über eine hohe Selbsterklärungsqualität, auch ohne irgendwelche gestalte­rischen Maßnahmen. Erst durch die Mikroelektronik wurden diese sinnlich wahrnehmbaren und logisch nachvollziehbaren Wirkungszu­sammenhänge aufgelöst - ein Umstand, der für eine sich selbst erklärende Bedienung von Produkten und für die Anzeichengestal­tung gravierende Folgen hatte. Technischen Innovationen wie Mikro­elektronik, Folientastaturen, Touch-Screen, Infrarot-Sensoren und demnächst die Spracherkennung bedingen Revision und Erweiterung einer Anzeichengestaltung, die anhand der Mechanik entwickelt wur­de. Vor allem im Bereich der Bedienung von elektronischen Geräten gilt es, neuartige künstliche Anzeichen herauszubilden, die dennoch möglichst einfach und eindeutig zu interpretieren sind - und im Ide­alfall die langatmigen Texte in Gebrauchsanweisungen entbehrlich machen. Dies ist umso notwendiger, da Produkte durch den Einsatz

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von Mikrochips mit immer mehr Funktionen ausgestattet werden. Die Fülle der Funktionen, über die heute Mikrowellenherde, Videore­korder. Telefon- und Faxgeräte verfügen, übertrifft bei weitem, was die Nutzer tatsächlich brauchen und bedienen können. Donald A. Norman, ein Vertreter der kognitiven Psychologie, der sich in seinem Buch Die Dinge des Alltags (1989) ebenfalls mit der Anzeichen- und Bedienproblematik befasste und teilweise zu ähnlichen Ergebnissen kommt wie Richard Fischer, spricht diesbezüglich von einer „schlei­chenden Seuche der Leistungsmerkmale". Doch verändern technische Innovationen nicht nur die Bedienung vieler Produkte; der Innovati­onsschub reicht so weit, dass Geräte mit neuartigen Funktionen und Funktionskombinationen möglich werden, für die es keine Vorbilder beziehungsweise keine spezifischen Figurationen von Wesensanzei­chen gibt. Eines unter vielen Beispielen ist etwa ein Richtmikrophon, das sich kameragesteuert selbständig auf den jeweiligen Redner aus­richtet. Doch auch in etablierten Produktgruppen verändern sich bekannte Wesensanzeichen schnell. Man denke etwa an das Telefon. das früher selbstverständliche Wesensanzeichen - nämlich Wählschei­be, Basisgerät. Hörer und Kabel - nach und nach verlor und zum Han­dy mutierte.

Wie bereits gesagt, umfasst der innerhalb der Theorie der Produkt­sprache entwickelte Anzeichenbegriff ein breites Spektrum an Pro­duktfunktionen. Da nicht sämtliche praktische Funktionen eines Pro­duktes gleichwertig durch Anzeichen vermittelt werden können, stellt sich für den Gestalter die Aufgabe ihrer Gewichtung. Welche Bedien­und Handhabungsfunktionen, welche Produkteigenschaften sind wichtig und sollten durch entsprechende Anzeichengestaltung erläu­tert und hervorgehoben werden? Welche Produktmerkmale können in den Hintergrund treten? Selbstverständlich sind diese Fragen bei jeder Produktentwicklung erneut zu beantworten. Bei einer Schreib­tischleuchte wird dem Merkmal „leichte, flexible Verstellbarkeit" ein höherer Stellenwert zukommen als bei einer Deckenleuchte. Wie durch entsprechende Anzefchengesta ltung der Charakter eines Produktes grundlegend verändert werden kann, zeigte Richard Fischer anhand einer Kleinbildkamera exemplarisch auf. Während sich die sehr kleine, leichte Sucherkamera Rollei 35 an den traditionellen Leitbildern der Fotoindustrie orientierte und Produkteigenschaften wie technische Leistungsfähigkeit und Präzision anzeichenhaft zum Ausdruck brachte, visualisierte die in technischer Hinsicht vergleichbare und für dieselbe Nutzergruppe konzipierte Minox 35 vor allem, dass sie ein „ Taschen­ding" ist. Die geschlossene, glatte Gesamtform, die Vermeidung von scharfen Ecken, Kanten und hervorstehenden Bauteilen zeigt an, dass man diese Kamera bequem in der Jacken-oder Hosentasche bei sich tragen kann.

Grundsätzlich ist bei der Entscheidung über die Wichtung von Anzeichen immer zu bedenken, wie, wo, wozu und von wem das Pro­dukt später genutzt werden wird. Bei einem Profigerät ist es sicherlich vertretbar, eine anzeichenhafte Gestaltung praktischer Funktionen teil­weise zurückzunehmen. da hier ein bestimmtes Erfahrungspotential und Nutzungsroutinen vorausgesetzt werden können. Jeder Profifoto­graf weiß, wie ein Film eingelegt wird -von einem Laien ist das nicht unbedingt zu erwarten und daher an Amateurkameras gegebenenfalls entsprechend zu visualisieren. Auch der Nutzungskontext spielt eine

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wichtige Rolle. Während bei Produkten, die im privaten Bereich genutzt werden, das Lesen einer Bedienungsanleitung vielleicht noch zumutbar erscheint, ist dies bei Geräten im öffentlichen oder halböf­fentlichen Bereich gewiss nicht mehr der Fall. öffentliche Telefone, die von der Deutschen Post geplanten „elektronischen Telefonbücher" für Telefonzellen, Fahrkarten- und Geldautomaten, Aufzüge, Sanitärein­richtungen im öffentlichen Bereich etc. sind so zu gestalten, dass sich ihre Bedienung jedermann einfach erschließt. Erst recht gilt diese For­derung für Produkte, die in Notfallsituationen gebraucht werden. Feu­erlöscher, Notausgänge an öffentlichen Verkehrsmitteln, Notbremsen und dergleichen müssen so gestaltet werden, dass ihre Handhabung an der Anordnung und Ausbildung der Bedienelemente. durch die Gestaltung der Griffe etc. klar erkennbar ist.

Gestalterische Mittel zur Anzeichenerzeugung Grundlage der Anzeichengestaltung ist die Verletzung von Ordnung beziehungsweise erhöhte Komplexität, die der Betrachter mit inhalt­lichen Bedeutungen zu füllen versucht. Im folgenden soll ein Überblick über Möglichkeiten der Anzeichengestaltung durch die Abweichung von formalen Ordnungsprinzipien wie Einfachheit, Geschlossenheit durch Nähe oder gute Fortsetzung, Einheitlichkeit, Symmetrie, im Raster, im Gleichgewicht etc. gegeben werden. Im Vordergrund stehen hier die visuell wahrnehmbaren Gestaltungsmittel. mit denen Designer bislang am häufigsten konfrontiert sind: Formen. Farben und Ober­flächenstrukturen. Andere Dimensionen der Anzeichengestaltung wie etwa akustische oder haptische Anzeichen rücken erst langsam ins Bewusstsein der Gestalter. In einer technisierten Welt, in der die visu­elle Orientierung allein nicht mehr ausreicht, werden sie - und mithin die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Designern mit Akustikern, Materialtechniker etc. - zunehmend wichtiger (vgl. Langenmaier 1993; Ginnow-Merkert 1996; Bolz 1997).

Anhand von Präzedenzfällen wird nun genauer erläutert, welche Anzeichen mit welchen gestalterischen Mitteln realisiert wurden. Dabei geht es natürlich nicht um die Vermittlung eines bestimmten, fest umrissenen Repertoires von Anzeichen, sondern vielmehr um eine generelle Sensibilisierung für Anzeichenbeziehungen. Außerdem demonstrieren die Beispiele lediglich einige Möglichkeiten, praktische Produktfunktionen anzeichenhaft sichtbar zu machen, zu denen immer auch Alternativen denkbar sind.

Ausrkhtung Die meisten Gebrauchsgegenstände haben aufgrund ihrer praktischen Funktionen eine bestimmte Ausrichtung bzw. Gerichtetheit auf den Nutzer oder seltener auf ein anderes Objekt hin. So sind Werkzeuge wie Schraubenzieher oder Bohrmaschine durch ihre Aktionsrichtung gekennzeichnet; Leuchten, Taschenlampen oder Fernbedienungen haben eine Ausstrahlrichtung; Fernseher, PC-Monitor und Tastatur. generell alle elektronischen Geräte mit Display und Tasten sind auf­grund ihrer Seh-Greif-Hör-Beziehung zum Nutzer hin ausgerichtet. so dass auch eine Unterscheidung zwischen Front- und Rückseite möglich wird.

Zwar wird die Ausrichtung der Objekte meistens bereits durch die Anordnung der technischen Komponenten bestimmt und ist an ihnen

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ablesbar. Doch darüber hinaus kann die Ausrichtung durch gestalteri­sche Mittel anzeichenhaft verdeutlicht und für den Nutzer leichter erkennbar gemacht werden. Die wichtigsten formalen Mittel zur Erzeugung dieser Anzeichen sind Radienverläufe. deren gute Fortset­zung durch Formsprung oder Unterbrechung gestört wird, kombiniert mit Bedeutungsflächen: Radienverläufe können einen Körper quasi „umschließen" und nach einer oder mehreren Seiten hin „öffnen" und ihm somit eine Ausrichung geben. Verstärkt wird dieser Eindruck, wenn die Fläche - etwa durch Neigung, An-, Aus- oder Einschnitt - als Bedeutungsfläche betont wird.

Zunächst ein Negativ-Beispiel für Ausrichtung: Bei der Stehleuchte Quadra von Antonio Citterio und Gien Oliver Löw (1994) wurden die horizontalen wie auch die vertikalen Kanten des rechteckigen Alumini­umgehäuses mit identischen, äußerst knappen Radien versehen. For­mal hat die Leuchte dadurch keine Ausrichtung. Der Nutzer kann ledig­lich durch Untersicht auf das Leuchtmittel blicken und daraus ableiten, dass sie nach unten strahlt - aus der Gehäuseform erschließt sich ihm nicht, dass die Leuchte zugleich auch indirektes Licht an die Decke abgeben kann. Ebenfalls unmotiviert erscheint der Gehäuseausschnitt gegenüber der Standsäule, der nicht- wie man annehmen könnte - als Lichtaustritt fungiert.

Das Info-Center von Ulrich Hirsch (1989). das unter anderem für Fahr­planauskünfte eingesetzt wird, ist additiv aus einer hohen Säule und einem seitlich angesetzten, schwenkbaren Monitorteil aufgebaut. Die Ausrichtung auf den Nutzer erfolgt nicht nur durch die räumliche Anordnung von Bildschirm und Bedienelementen (ein Bildschirm ist immer nach „vorne" auf einen Nutzer hin ausgerichtet), sondern auch durch zwei formale Maßnahmen. Zum einen wird die Abweichung vom Horizontal-Vertikal-Raster des Monitorteils als Ausrichtung bezie­hungsweise Zuwendung zum Nutzer interpretiert. Zum anderen ist die Rückseite des Monitorgehäuses durch eine Halbkreisform geschlossen, und auf der Frontseite wird durch Anschnitt die gute Fortsetzung des

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Halbkreises unterbrochen. So entsteht hier eine Bedeutungsfläche, gleichgültig ob sie für eine stehende Person schräg nach oben gekippt wurde oder für Rollstuhlfahrer nach unten weist.

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Bei dem Brillenetui Air Titanium Case von Lindberg Optic Design (1995) bildet das umlaufende Edelstahlband eine geschlossene Form durch gute Fortsetzung. Sowohl durch die scharfen Anschnitte als auch durch den Materialkontrast des mattschwarzen Kunststoffes werden die bei­den Längsflächen des Etuis als Bedeutungsflächen hervorgehoben. So entsteht eine Ausrichtung orthogonal zur Längsachse - ein Anzeichen, das der Nutzer zunächst so deutet, dass das Behältnis ähnlich wie eine Streichholzschachtel durch Schieben der schwarzen Lade zu öffnen sei. überraschenderweise wird das Etui aber ganz anders geöffnet; der Ver­schlussmechanismus ist nicht an bekannten Anzeichen wie Scharnieren oder Schrauben zu erkennen, sondern wird durch ein minimales Anzei­chen, nämlich eine dezente Überlappung des Metallbandes markiert. Mit einem gewissen Recht könnte man argumentieren, dass die Anzei­chen an diesem Produkt „falsch", weil zunächst irreführend gestaltet wurden. Das Beispiel erlaubt aber auch, auf die Dialektik von Anzeichen hinzuweisen. Wie schon gesagt. trägt klar interpretierbare Anzeichen­gestaltung dazu bei, die Produktwelt um uns herum „verständlicher" zu machen. Aber auch der bewusste Verzicht auf Anzeichen kann mitun­ter absichtsvoll geschehen und zu interessanten Lösungen führen, zum Beispiel bei persönlichen Gegenständen. mit denen der Besitzer sehr bald umzugehen weiß. In diesem Fall ist der Verzicht auf deutliche Anzeichen auch als Merkmal der Exklusivität zu deuten: Nicht nur das Material des Brillenetuis ist exklusiv, auch die Handhabung ist nicht für jedermann sofort verständlich und erfordert ein gewisses Know-how.

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Im Gegensatz zu anderen Einhand-Mischbatterien, bei denen das Was­ser mitunter „um die Ecke" geleitet wird. beschreibt der Formverlauf der Waschtischarmatur arco von Phoenix Product Design (1991) die Aus­richtung des Wasserstrahls. Das fließen des Wassers wird äußerst anschaulich durch die gute Fortsetzung des Armaturkörpers vermittelt. Der schräge Anschnitt, der den Formverlauf unterbricht, erzeugt eine Bedeutungs- beziehungsweise Aktionsfläche, die auf den Wasseraustritt hinweist; dabei entspricht der relativ weiche Radius der Anschnittfläche dem Umstand. dass man in seiner Nähe hantiert und sich dabei nicht an einer harten Kante stoßen und verletzen möchte. Gegenüber dem sehr dominanten Zeichen für den Wasserfluss wurde die zeichenhafte Gestaltung der Wasserregulation zurückgenommen. Zunächst scheint der aufgesetzte Bügel zum Ziehen aufzufordern; erst auf den zweiten Blick ist zu erkennen, dass er vor- und zurückgeschwenkt sowie nach beiden Seiten gedreht werden kann: Hier wirken die seitlichen „Dreh­punkte" (angezeigt durch Radien an den Enden der Bügel) sowie die beiden um den Armaturkörper herumlaufenden Trennfugen als mini­male Anzeichen. Gleichwohl vermittelt die Position des Bügels, dass man zur Regulation direkt in den Wasserstrahl „eingreifen" kann.

Bedienung/Handhabung Bei den meisten technischen und elektronischen Geräten kommt der Gestaltung der Bedienelemente sowie der zugehörigen Anzeigen und Displays ein nicht zu unterschätzender Stellenwert zu. über sie tritt der Nutzer in Beziehung zum Objekt und löst bestimmte Funktionen im Geräteinneren aus. Somit hängt von der intuitiv erfassbaren. anzei­chenhaften Gestaltung der Bedienelemente letztlich die Nutzbarkeit der Geräte ab. Beachtung erfordert hier zum einen die Anordnung der Bedienelemente am Gerät, da beispielsweise durch Gruppenbildung mehrerer Tasten „zusammengehörige" Produktfunktionen angezeigt werden können. Zum anderen wird insbesondere durch die Formge­bung von Bedienteilen vermittelt. wie sie zu betätigen sind - ob sie etwa zum Drehen, Drücken, Schieben, Ziehen oder lediglich zum Berühren vorgesehen sind, großen oder kleinen Kraftaufwand erfor­dern und anderes mehr. Bereits Hans Gugelot war dieses Problem der Semantik von Formen bewusst, als er 1962 konstatierte, dass „die drucktaste das zeichen für ,drücken', der drehknopf das zeichen für ,drehen' usf." seien (Gugelot 1962). Inzwischen verfügen wir im Bereich der mechanischen und elektrischen Bedien- und Regelvorgän­ge über umfangreiche. gesicherte Erkenntnisse, wie durch die formale Gestaltung von Bedienelementen ihre Funktionsweise und Handha­bung visualisiert werden kann (vgl. Fischer/Mikosch 1984).

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Die technische Entwicklung der letzten zwei Dekaden hatte aber auch hier gravierende Folgen, denn mit der zugrunde liegenden Technik wandelte sich die Funktionsweise der Bedienelemente und somit auch die Bedienungsanzeichen. Tendenziell wurden die Bedienvorgänge zunehmend leichtgängiger und indirekter: Mechanische Hebeltasten wichen zunächst den Hubtasten, die wiederum durch Folien· oder Sen­sortasten und schließlich durch Touch-Screen-Menüs ersetzt wurden. Hier stellt sich uns heute die Aufgabe, sinnfällige Bedienungsanzeichen für elektronische Geräte und deren Anwendungen wie Computer-Soft­ware, Web-Sites oder CD-ROM zu entwerfen. Die Bedien- und Funkti­onsvorgänge haben sich ins Immaterielle verlagert, dennoch hat sich an der logischen Beziehung zwischen den Bedienelementen und den durch sie ausgelösten Vorgängen nichts Prinzipielles geändert - inso­fern überschneidet sich der Bereich der Anzeichenfunktionen zumin­dest teilweise mit dem Bereich des Interface-Design.

Oftmals finden sich auf Touch-Screen-Menüs „Drucktasten", die von einer Linie klar umgrenzt oder sogar dreidimensional dargestellt sind. Durch ikonografische Ähnlichkeit verweisen sie auf reale Drucktasten und signalisieren dem Benutzer „Hier drücken!" zweifellos ist die pro­blemlose Verständlichkeit solcher ikonografischen Zeichen ein wichti­ger Vorteil - zumindest so lange, wie sich noch keine andere, sinnfälli· ge Konvention etabliert hat. Da andererseits bei einem Touch-Screen keine „Taste" zu 11drücken", sondern - wie der Name bereits aussagt - lediglich der Bildschirm leicht zu berühren ist, stellt sich die Frage nach einem Anzeichen, das diesen Bedienvorgang sinnfälliger zum Ausdruck bringen könnte. Hellen Kleine. Katja Schmitt, Christian Treu­mann und Matthias Willken gestalteten in einem Seminar an der HfG­O ein Touch-Screen-Menü für einen Fahrkartenautomat, bei dem die Berührungszone durch ein sich zur Mitte hin verdichtendes Punkte­raster angezeigt wird. Darüber hinaus wurde die Benutzerführung sorgfältig analysiert und so gestaltet. dass sich auch Ortsunkundige leicht orientieren können. Nach Eingabe des Straßennamens ermittelt der Automat zum Beispiel nicht nur den entsprechenden Fahrpreis, sondern nennt auch die Zielhaltestelle.

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Auf haptische Erfassbarkeit wurden die Bedienungsanzeichen bei einem Heizkissen-Thermostat der Firma Beurer (um 1970) ausgelegt: Ist der Schieberegler auf eine hohe Temperatur eingestellt, kann man seit­lich größere Vertiefungen fühlen, zum Bereich niedrigerer Temperatur hin werden die Vertiefungen - entsprechend der stufenlosen Regulier­barkeit - kontinuierlich kleiner. Etwas widersprüchlich erscheint es,

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dass gleichzeitig auch ihre Anzahl zunimmt, denn „mehr Mulden" könnten auch als „mehr Wärme" interpretiert werden. Synchron mit dem Ein- und Ausschalten des Heizkissens wird eine kleine Leuchte in dem Bedienelement geschaltet - ein künstliches Anzeichen, das gera­de im Dunkeln gut wahrnehmbar ist.

Flügelmuttern sind ein bekanntes Anzeichen für Schraubverbindun­gen. die mit bloßer Hand angezogen und gelöst werden können. Bei der Pfeffermühle von Michael Graves (um 1986) wurde die Flügel­schraube - ins überdimensionale vergrößert und in griffsympathischem Kunststoff ausgeführt - als ikonisches Anzeichen für den drehbaren Mahlwerkgriff verwendet. Zwar wird sie als Zeichen für „Drehen" kaum fehlinterpretiert, dennoch ist die Flügelschraube hier nur bedingt funktional: Da man nach jeder halben Drehung neu zugreifen muss, ist weder ein kontinuierlicher Mahlvorgang möglich, noch ein rasches Vor­und Zurückdrehen wie bei herkömmlichen Mühlen. Die Popularität des Produktes dürfte vor allem von der Symbolik herrühren. die durch die Flügelschraube in diesem Kontext hervorgerufen wird: Die Übertra­gung vom Werkzeug- in den Table-Top-Bereich wirkt überraschend, durch den Farb- und Größenkontrast bekommt sie eine witzig-ironi­sche Komponente, und als Zitat einer veralteten Technik ist sie ein Bei­spiel für das zur Zeit aktuelle „Retro-Design". Weiterhin visualisiert der sich nach unten trichterförmig verbreiternde Schaft der Mühle sehr gut die Stand- und Aktionsfläche. Indessen erfüllt die Perforation am Schaft der Mühle, ein Merkmal, das in den letzten Jahren häufig an Schreibgeräten, Kochtopfgriffen etc. als Anzeichen für Griffigkeit auf­tritt, hier - wie auch bei anderen Anwendungen -weniger eine prak­tische Funktion; als Funktionsornament wirkt die Perforation vornehm­lich als Schmuckelement.

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Körperbezug (Handlichkeit etc.) Während sich die Ergonomen damit befassen, wie Produkte unter anthropometrischen Gesichtspunkten hinsichtlich ihrer Abmessungen. Neigungswinkel etc. am besten an den menschlichen Körper angepasst werden können, konzentrieren wir uns auf die Frage, wie etwa bei Werkzeugen, diversen Griffen, Schaltern und Sitzen der Körperbezug anzeichenhaft und assoziativ zum Ausdruck gebracht werden kann. Dass die naheliegende Möglichkeit, nämlich mit Negativformen von Körperteilen zu arbeiten, wenig praktikabel ist, da dies beispielsweise eine bestimmte Zugriffsweise der Hand zu stark vorgäbe, wurde bereits am Beispiel der Türdrücker von Braun-Feldweg diskutiert (s. S. 60/61) Geeigneter erscheinen minimale Gestaltungsmaßnahmen wie leichte Wölbungen, Vertiefungen und abgerundete Kanten -womit aber kei­nesfalls völlig undifferenzierte „ verlutschte" Formen gerechtfertigt werden dürfen. Auch Oberflächenstrukturen, Riffelungen, Rändelun­gen oder Aufrauhungen, wie man sie an Griffzonen findet, sowie kör­perfreundliche Materialien weisen auf einen Körperbezug hin.

Bei der Zangenserie Kraftgripp von Hardy Kolloch (um 1974) wurden die Anzeichen für Griffigkeit/Handlichkeit sehr gut umgesetzt. Durch den Materialkontrast zwischen Stahl und Kunststoff erfolgt eine deut­lich Trennung zwischen Arbeits- und Griffbereich. Die Kunststoff­Ummantelung der Griffe wird - im Gegensatz zum harten und kalten Metall - als griffsympathisch empfunden. und da diese Werkzeuge viel­fach im Elektrobereich eingesetzt werden, ist sie auch als Anzeichen für Isolierung anzusehen. Auch die Gestaltung der Griffteile entspricht dem Zugriff der Hand: Zum einen vermittelt die weiche, gerundete Form zeichenhaft den Bezug zur Hand. Zum anderen ist die Form auch ergonomisch handgerecht, zumal durch die Kunststoffummantelung eine Vergrößerung der Oberfläche und eine bessere Verteilung des Drucks auf die Handfläche erreicht wird. Schließlich visualisiert der gerundete obere Abschluss des Griffs einen Schutz der Hand, bei­spielsweise bei versehentlichem Ausrutschen.

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Freilich lässt sich auch ein flach auf dem Papier liegendes Lineal auf­greifen - ein Griff ist dazu keineswegs notwendig. Insofern ist die spar­same, integrale Griffgestaltung bei dem Lineal von Ninaber/Peters/ Krouwel (1991) als einladende Geste zum Zugreifen zu verstehen. Um das Produkt aus der Masse ähnlicher Objekte herauszuheben, wurde

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ein praktischer Zusatznutzen eingeführt, ein Anzeichen. das die Hand­habung des Objektes erläutern und angenehmer machen soll. Inwie­weit das bei diesem Beispiel gelungen ist, sei dahingestellt, denn -auch dies gehört zur Dialektik von Anzeichen - dem Nutzer wird damit gewissermaßen auch vorgeschrieben, wo und wie er dieses Gerät anzufassen hat.

In hohem Maße körpergerecht wirkt der Sessel Wink von Toshiyuki Kita (1980). Durch die plastische Wölbung von Sitz und Rückenlehne sowie durch die kompakte, straffe Polsterung wird der Körper großflächig aufgenommen und gut abgestützt. Anders als bei einem ungepolster­ten Brett- oder Drahtgitterstuhl kann man sich weder Druckstellen zuziehen, noch „versinkt" man wie in einem weichen Schaumstoffses­sel. Der wie bei einem Autositz verstellbare Neigungswinkel der Lehne, die beweglichen Kopfstützen und die ausklappbare Beinauflage erlau­ben eine Anpassung des Sessels an verschiedene Sitz- und Liegeposi­tionen. Da der Körper nicht in eine bestimmte Haltung gezwungen wird, ist ein Wechsel der Position leicht möglich. Durch die relativ nied­rige Sitzhöhe erscheint der Sessel jedoch für ältere Menschen, denen das Aufstehen daraus schwer fallen dürfte, wenig geeignet.

Beweglichkeit (Einstellbarkeit etc.) Von vielen Gebrauchsgegenständen wird erwartet, dass sie sich flexibel an verschiedene Bedürfnisse anpassen. Der Esstisch soll entsprechend dem Platzbedarf ausziehbar sein, die Schreibtischleuchte so einstellbar, dass sie den Arbeitsbereich optimal ausleuchtet. Bei der Anzeichenge­staltung konzentrieren wir uns hier auf mehrere Aspekte. Für den Nut­zer soll erkennbar sein, welche Veränderungen an einem Produkt aus­geführt werden können und auf welchem Mechanismus sie beruhen. In Betracht kommen drei Bewegungsarten: radial (z.B. bei einem Drehge­lenk), radial-räumlich (z.B. bei einem Kugelgelenk oder einem so

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genannten „Schwanenhals") oder linear (z.B. bei Teleskop oder Sche­rengitter). Da diese technischen Prinzipien weitgehend bekannt und selbsterklärend sind, wissen die Nutzer schließlich, auf welche Weise sie die Veränderung vornehmen können. Besondere Bedeutung gewinnt die Gestaltung von Anzeichen erst. wenn der Verstellmechanismus ver­deckt ist oder indirekt durch eine Taste ausgelöst wird. Darüber hinaus sollte für die Nutzer aber auch erkennbar sein, in welchen räumlichen Grenzen sie den Gegenstand verändern können, ob die Bewegung stu­fenlos möglich oder durch bestimmte Einrastpunkte vorgegeben ist, ob großer oder geringer Kraftaufwand erforderlich und vorher eventuell eine Sperre zu lösen und später wieder zu arretieren ist.

Bei dem Balgenschrank Harmonika von Kurt Thut (1998} ist die Verän­derbareit im doppelten Wortsinn leicht „durchschaubar": die transpa­rente Kunststoffolie auf der Frontseite zeigt die dahinterliegenden Sche­rengitter - das lässt keinen Zweifel, wie der Schrank zu öffnen ist. Zudem wirken sie als ein interessantes Komplexitätselement beziehungsweise Funktionsornament. Eine variierbare Tiefe erhält der Schrank durch den rundumlaufenden Faltenbalg, ein Prinzip, das ursprünglich aus dem technischen Bereich - etwa von zusammenfaltbaren Balgenkameras, von Stoßdämpfern oder Werkzeugmaschinen - bekannt ist; er zeigt die Flexibilität des Möbels und die Bewegungsrichtung an.

Auch bei dem Dental-Röntgenapparat Heliodent von Siemens Design (1995) dienen Faltenbalge als Anzeichen für die Verstellbarkeit des Gerätes. Während bei dem Schrank die Veränderungsmöglichkeit durch den Faltenbalg aber eindeutig zu erschließen ist. löst bei dem Röntgengerät die Verkleidung der drei Tragarmgelenke Verunsiche­rung aus. Unklar ist, ob darunter in einer Ebene verstellbare Drehge­lenke oder räumlich verstellbare Kugelgelenke verborgen sind. Auch das runde Rohr erlaubt keinen Rückschluss auf den Gelenktyp - ein Vierkantrohr würde zumindest eine Verstellbarkeit in der Horizontalen oder in der Vertikalen nahelegen. Im Gegensatz zu der augenfälligen Inszenierung der Tragarmgelenke ist das Drehgelenk am Ausgang der wandmontierten Röntgenbox indessen nicht anzeichenhaft gestaltet; hier ist lediglich eine Anschlussfuge sichtbar.

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Unverkennbar sind die Anzeichen bei der Kosmetikdose von Max Fac­tor (1986): Das schwarze Kunststoffscharnier, das sich durch Größe und Farbkontrast deutlich vom gebürsteten Aluminuimkörper abhebt, der gegenüberliegende Schnappverschluss sowie der auf dem Deckel ein­geprägte Name der Kosmetikserie „fec." weisen eindeutig darauf hin, wie die Dose zu öffnen und welche Seite dabei nach oben zu halten ist. Durch seine übergroße Dimensionierung und die sorgfältig gestaltete Verbindung mit dem Deckel ist das Scharnier aber weit mehr als ledig­lich anzeichenhaftes Funktionselement - es wurde zum uneigentlichen Ornament überhöht. das schmuckhafte und spielerische Qualitäten entfaltet. So belegt das Beispiel, dass Anzeichen, insbesondere durch Übertreibung, eine glaubhafte Reizvielfalt erzeugen können, denen über die Vermittlung des Praktischen hinaus symbolische Qualitäten zukommen.

Beliebige Schwenk· und Positionierbarkeit vermittelt die Gestaltung der Schreibtischleuchte Kobra von Masayuki Kurokawa (1973). Dem gerippten Gummihals liegt das technische Prinzip des sogenannten Schwanenhalses zugrunde, das vor allem bei leichten Objekten wie zum Beispiel Linsen Anwendung findet. Im Unterschied zu diesem zwar sehr flexiblen, aber nicht einstellbaren Typ, wurde bei dem Leuchten­hals der Reibungswiderstand vergrößert, worauf die grobe Rippen­struktur anzeichenhaft hinweist. Dadurch wird der Leuchtenkopf in jeder Position gehalten, ohne dass seine Veränderbarkeit einge­schränkt würde. Die schlangenhafte Beweglichkeit des Leuchtenhalses, der sich in guter Fortsetzung anschließende Leuchtenkopf sowie die an eine Wirbelsäule erinnernde Rippenstruktur lassen den Namen „Kob­ra" sehr sinnfällig erscheinen.

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Stabilität Bei der anzeichenhaften Gestaltung von Stabilität richtet sich unsere Aufmerksamkeit im Wesentlichen auf typische Belastungen. die beim Gebrauch von Gegenständen wie Möbeln, Sportgeräten, Werkzeugen etc. auftreten: auf Flächen, Kanten, Knotenpunkte, Verbindungs- und Trägerelemente wirken Zug-. Druck- oder Biegekräfte ein. Intelligenter als durch Überdimensionierung und verschwenderischen Einsatz von Material kann Stabilität und Vertrauen in die Haltbarkeit durch die Anwendung und anzeichenhafte Darstellung der physikalisch Kräfte­gesetzmäßigkeiten erreicht werden. Dabei handelt es sich immer um natürliche Anzeichen, da sie selbst zur Stabilitätserzeugung beitragen und somit Teil der Sachlage sind, die sie signalisieren. Entsprechend den jeweiligen Anwendungsbereichen sowie den unterschiedlichen physikalisch-technischen Eigenschaften der verschiedenen Materialien, ihrer materialgerechten Konstruktion und Verarbeitung gibt es freilich eine Vielzahl an Möglichkeiten, um Stabilität zu erzeugen und anzu­zeigen. Beispielsweise wird eine höhere Kantenstabilität durch Maß­nahmen wie Abkantung, Einfassung, Umbörtelung, Wülste oder Falze erzielt; und um größere Flächen wie etwa eine Blechverkleidung zu sta· bilisieren, bieten sich Prinzipien wie Rippen, Sicken oder Doppelsteg­platten an.

Bei dem Baukasten-Regalsystem Leitner 6 System von Burkhardt Leitner (1980) wird mit minimalem Aufwand ein Maximum an Wirkung erzielt. Die vertikalen Elemente entsprechen in ihrer Dimensionierung der auf­tretenden Druckbelastung, die Diagonalverstrebungen nehmen die Zugkräfte auf. Sie sind nach Susanne Langer natürliche Anzeichen für Stabilität. Trotz seiner filigranen Erscheinung wird das System auch von Laien als stabil empfunden. da sein Konstruktionsprinzip als Anzeichen für Stabilität bekannt ist. Gleichzeitig dienen die technisch notwendi­gen Diagonalverstrebungen auch als Funktionsornamente.

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Bei dem Regal zoll-d von Lukas Buol und Marco Zünd (1993) wird Sta­bilität durch die Faltung von Aluminiumblech erzielt: Um die bei einer Länge von fast zwei Metern auftretenden Biegekräfte aufzunehmen, haben die Tablare in Längsrichtung zwei nach unten gerichtete Dop· pelfaltungen, zudem wurden die Längskanten umgekantet. Auch die Boxen, die als Abstandstücke zwischen den Tablaren dienen und die Druckkräfte auffangen, erhalten ihre Stabilität durch zweifaches recht­winkliges Abkanten.

Offensichtlich sind die Auslegerarme der Straßenleuchte 8823 von Bega-Design (1992) mit einer vielfachen Sicherheit berechnet; darauf lässt nicht nur die kräftige Dimensionierung des Vierkantrohres schließen. sondern auch seine Hochkant-Stellung. Um den Eindruck von Sicherheit und Stabilität weiter zu erhöhen, wurden die Ausleger­arme außerdem mit Streben vom Leuchtenmast „abgehängt". Dabei vermittelt das Zwischenstück zwischen Trägern und Streben den Ein­druck einer sehr soliden, fachgerechten Ausführung. Da die Verbin­dung zwischen Mast und Auslegern aber bereits durch die breite Muf­fenverbindung ausreichend stabil sein dürfte, haben die Querstreben eher die Funktion. die statischen Kräfte auf eine reizvolle Weise sicht­bar zu machen und die Komplexität der Leuchte zu erhöhen.

Standfunktion Technisch-physikalisch wird die Standsicherheit von Gegenständen wesentlich durch drei Faktoren bestimmt, nämlich die Lage des Schwerpunktes, die Größe der Standfläche und die Einwirkung äuße­rer Kräfte. Doch den Gesetzen der Statik zum Trotz, kann ein standfes­ter Gegenstand auf die Nutzer wenig Vertrauen erweckend wirken (und umgekehrt). Unter dem Gesichtspunkt der anzeichenhaften Aus­bildung der Standfunktion befassen wir uns vor allem damit, wie durch

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Gestaltungsmaßnahmen verschiedene Anmutungen erzeugt werden können, etwa die eines „bodenständigen". sicher stehenden Gegen­standes oder die eines scheinbar schwebenden oder „auf den Spitzen tänzelnden" Objektes. Beispielsweise wirken dunkle Farben schwerer als helle Farben. Metall und Stein wirken schwerer als Kunststoff oder Holz; transparente Materialien muten leichter an als undurchsichtige. Doch auch die formale Ausbildung der Kippkante beziehungsweise der Füße beeinflusst den Eindruck der Standsicherheit eines Objektes.

Das Spiel mit dem Gleichgewicht. das bei manchen Produkten reizvoll sein kann (s. S. 52), erscheint bei den Vasen Genova von Claus J. Rie­del, die 1984 mit dem Bundespreis „Gute Form" ausgezeichnet wur­den, sehr unangebracht. Das Vertrauen in die Standsicherheit der Vasen wird zum einen durch das Verhältnis von sehr kleiner Grund­fläche und relativer Höhe irritiert; der Schwerpunkt des Körpers liegt dadurch hoch, und durch einen üppigen Blumenstrauß verschiebt er sich noch weiter nach oben. Zusätzlich kippgefährdet wirken die Vasen. da die Standfläche nicht durch eine präzise, möglichst weit außen liegende. sichtbare Kippkante vom Schaft abgegrenzt ist. Durch die großen Radien wird die gute Fortsetzung nicht deutlich durch eine Standfläche unterbrochen. Die tatsächliche Größe der vorhandenen Standfläche ist schwer abzuschätzen.

Obwohl der Bistrotisch Servobar von Achille Castiglioni (1985) keinen ausladenden Fuß hat, wirkt er standfest. Dieser Eindruck wird durch einen relativ massigen, kegelförmigen Fuß und eine dünne Tischplatte hervorgerufen. Das Farbkonzept - schwarzer Fuß und weiße Platte -verlagert den Schwerpunkt optisch ebenfalls nach unten.

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Zum Stellenwert von Anzeichen Wie die vorausgehenden Produktbeispiele unter anderem verdeutli­chen sollten, trägt eine gelungene Anzeichengestaltung dazu bei, den Nutzern die praktischen Produktfunktionen zeichenhaft zu vermitteln und Vertrauen in Zuverlässigkeit, Sicherheit und Bedienungskomfort der Produkte zu erzeugen. Dabei können gegebene Funktionen und Eigenschaften gut oder schlecht - das heißt für die Nutzer verständlich oder auch zweideutig - zum Ausdruck gebracht werden. Doch neben der Entscheidung darüber. welche Produktfunktionen im jeweiligen Fall besonders wichtig und durch eine anzeichenhafte Gestaltung her­vorzuheben sind und welche gestalterischen Mittel hierfür vornehmlich geeignet wären, darf nicht übersehen werden, dass dies den gesamten produktsprachlichen Ausdruck entscheidend mitprägen wird. Die Anzeichengestaltung darf nicht isoliert betrachtet, sondern muss in ihrer Wechselwirkung mit den formalästhetischen Mitteln sowie der Produktsymbolik gesehen werden.

Nehmen wir die Armbanduhr als Beispiel: Zunächst einmal ist jede Uhr ein Messinstrument, das die Zeit anzeigt. Über eine entsprechende Gestaltung kann ein minutengenaues Ablesen unterstützt werden -etwa durch die Wahl einer digitalen Anzeige oder, bei einer Analogan­zeige, durch die Art der Gestaltung von Zifferblatt und Uhrzeigern (feingliedrige Strichskala mit prägnant hervorgehobener Markierung der Stunden, dünnarmige Zeiger. die sich dennoch deutlich vom Ziffer­blatt abheben etc.). Bereits diese Entscheidung prägt die Symbolik des Produkts gravierend. Nicht nur. dass die Wahl einer Digital- oder Ana­loganzeige weitreichend symbolisch interpretiert werden kann, etwa in dem Sinne. dass die Anatoganzeige den kontinuierlichen „Lauf der Zeit" veranschaulicht, während die Digitalanzeige das Zeitkontinuum im Sekundentakt segmentiert. Darüber hinaus kommt auch zum Aus­druck. dass der praktischen Funktion, nämlich dem präzisen Ablesen der Uhrzeit, ein die gesamte Gestaltung prägender Stellenwert einge­räumt wurde. Dies hatten im übrigen viele Vertreter der Modernen Avantgarde, unter anderem der amerikanische Architekt Louis Sullivan, gefordert: In seinem Text Das große Bürogebäude, künstlerisch be­trachtet plädierte er dafür, .,dass Gestalt, Form und Äußeres ... nach Art aller Dinge sich den Funktionen ... anpassen müssen" - der Haupt­eingang eines Gebäudes beispielsweise den Blick auf sich ziehen, Erd­geschoss und erster Stock großzügig und den praktischen Notwendig­keiten entsprechend, alle übrigen Geschosse als gleichartige Bürozellen und das Dachgeschoss als markanter Abschluss ausgebildet sein sollen (1896, S. 146). Gemäß einem moralischen Prinzip der Ehrlichkeit sollten alle Dinge so aussehen, wie sie wirklich sind.

Doch wer kann schon sagen, was und wie die Dinge „wirklich" sind? Um nochmal das Beispiel der Armbanduhr aufzugreifen: Entge­gen der funktionalistisch orientierten Werthaltung, der zufolge eine Uhr in erster Linie ein Zeitmessgerät beziehungsweise „ Werkzeug" sei, kann eine Armbanduhr mit gleicher Berechtigung auch als modi­sches Accessoire, als Schmuckstück oder Statussymbol angesehen wer­den, das außerdem noch die Zeit anzeigt. Unter dieser Prämisse rela­tiviert sich dann freilich auch der Stellenwert der Anzeichenfunktion; gegenüber der gestalterischen Umsetzung modischer und schmücken­der Attribute kann die präzise Zeitanzeige unter Umständen völlig in den Hintergrund treten, wie zum Beispiel Uhren mit zifferlosem Blatt

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von dem holländischen Designer Bruno Ninaber sowie viele Swatch­Modelle bewiesen.

Gleichwohl wäre es völlig falsch, anzeichenhafte und symbolhafte Gestaltung als sich ausschließende Gegenpole anzusehen. So ist seit Jahren in der Architektur wie auch im Design die Tendenz zu beob­achten, Funktionsanzeichen überdeutlich herauszustellen und zu überzeichnen. Gemeint sind etwa Gebäude wie das Centre Pompidou oder das Institut du Monde Arab in Paris, bei denen die verschiedenen offen liegenden Versorgungskanäle bzw. die Sonnenblenden zugleich auch eine schmuckhaft-expressive Wirkung entfalten; oder Produkte wie der Balgenschrank Harmonika von Kurt Thut, die Max-Factor-Kos­metikdose, die Bega-Straßenleuchte oder Michael Graves Pfeffermüh­le: Gemeinsam ist diesen Produkten, dass bei ihnen die Anzeichen für Beweglichkeit. Öffnen/Schließen, Stabilität oder angenehmes Greifen über ihre anzeichenhafte Funktion hinaus einen schmuckhaft orna­mentalen Ausdruck haben. Die Anzeichengestaltung. die -wie bereits gezeigt - grundsätzlich auf der Erhöhung von formalästhetischer Komplexität beruht, wurde genutzt, um diese Produkte komplexer beziehungsweise „reizvoller" zu machen. Vielleicht bot die Visualisie­rung der praktischen Funktionen den Gestaltern sogar ein hochwill­kommenes Motiv oder gar einen Vorwand zur ornamenthaften Aus­gestaltung der Produkte. Da diese Art der Ornamentik auf einer praktischen Notwendigkeit beruht, ist sie heute eher konsensfähig als andere scheinbar „willkürliche" Ornamentmotive. Richard Fischer bezeichnet derartige. ornamental gestaltete Anzeichen auch als „Funktionsornamente", die durch ihre Reizvielfalt auf zwei Ebenen der Gestaltung wichtige Funktionen übernehmen würden: .,nämlich das Darstellen der praktischen Funktionen auf der rationalen Ebene, und das Ornamentale, Schmuckhafte auf der emotionalen Ebene" (2000). Jutta Brandlhuber sprach bei einer solchen „Sichtbarmachung von ohnehin vorhandenen Produkt- oder Materialeigenschaften, die schmückende Wirkung besitzen", von einem „uneigentlichen Orna­ment" (1992, S. 158).

Ganz anders liegt der Fall freilich. wenn Anzeichen dazu eingesetzt werden, um nicht vorhandene Funktionen. Leistungs- und Qualitäts­merkmale oder höherwertige Materialien lediglich vorzutäuschen. Während Funktionsornamente nämlich sowohl als Anzeichen von prak­tischen Funktionen wie auch als Schmuckelemente „funktionieren". können Nutzer durch das Vortäuschen von ,,Anzeichen" auch bewusst in die Irre geführt werden: So kann etwa die mattsilbrige Lackierung eines Kunststoffgehäuses ein Aluminiumgehäuse vorgeben. oder bewusst überdimensionierte Bauteile lassen einen 12 Ser-Chopper zumindest auf den ersten Blick als PS-starkes Motorrad erscheinen. Bei­spiele wie diese machen deutlich. dass Anzeichen nicht immer zu trau­en ist. sondern - nach dem Prinzip der Mogelpackung - auch unlauter genutzt werden können. Mit anderen Worten: Anzeichen sind keine Garanten dafür. dass die angezeigten Funktionen oder Qualitäten auch tatsächlich vorhanden sind.

Differenzierter zu bewerten ist indessen der bewusste Verzicht auf eine anzeichenhafte Gestaltung bei gegebenen praktischen Funktio­nen. Bei alten Sekretären beispielsweise wurde selbstverständlich pein­lich darauf geachtet, dass keinerlei Anzeichen - seien es Scharniere, Griffe, ein Schlüsselloch oder eine breite Fuge - auf das Vorhandensein

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eines Geheimfaches hinweisen. Ebenso wie beim bereits diskutierten Brillenetui Air Titanium Case bedeutet der bewusste Verzicht auf Anzeichen bei technisch niederkomplexen Produkten für den persönli­chen Gebrauch zumeist keine Nutzungseinschränkung. Hingegen kön­nen bei Produkten, die wie beispielsweise das Lkht-Schaltersystem von Odo Klose (s. S. 45) auch im halböffentlichen Bereich eingesetzt wer­den, Fehlbedienungen nicht ausgeschlossen werden. Die Gestaltung dieses Produktes ist zweifellos ein weiteres Beispiel für den „Sieg der Guten Form" (Ludus Burckhardt), der im Formalismus endet; die Vor­liebe für einfache geometrische Grundformen und formale Einheitlich­keit hatte auch hier Priorität vor einer nüchternen Analyse der prakti­schen Funktionen.

2.3 Symbolfunktionen Während Anzeichenfunktionen auf die zeichenhafte Umsetzung von praktisch-funktionalen Produkteigenschaften verweisen. umfas~t der Bereich der Symbolfunktionen die komplexen kulturellen, sozialen, technologischen, ökonomischen und ökologischen Bedeutungen u~d Vorstellungen, die mit Produkten verbunden werden. Symbolfunktio­nen erklären nicht das Produkt und seine Handhabung, sondern ver­weisen auf die Vielfalt der Kontexte. Einzelne Produkte, Produktfamili­en oder das gesamte Erscheiungsbild eines Unternehmens werden als Zeichen/Zeichensystem aufgefasst, die vom Betrachter beziehungs­weise Benutzer gedeutet werden. Dabei befinden wir uns mit der Pro­duktsymbolik auf einer Ebene, mit der sich je_der bei ganz alltäglichen Entscheidungen fast ständig mehr oder weniger bewusst oder unbe­wusst auseinandersetzt; denn wie die Psychologin Ute Ritterfeld (1996) nachwies, gründen sich spontan gefällte Geschmacksurteile zuallererst auf die Produktsymbolik, die uns unmittelbar emotional anspricht. So können die meisten sehr schnell sagen, ob ihnen ein Auto wie der Ford Ka oder der Smart gefällt, ob sie es vollkommen ablehnen oder ihm vielleicht indifferent gegenüberstehen. Um eine Beurteilung der Pro­duktsymbolik geht es aber auch, wenn wir uns beispielsweise bei einer Kaufentscheidung fragen, ob diese Armbanduhr nicht doch etwas zu billig oder jenes Modell zu protzig wirkt; wenn wir eine bestimmte Wohnungseinrichtung als „kleinbürgerlich", .. modern" oder als ,.avantgardistisch" einschätzen; oder wenn wir angesic~ts einer beson­ders teuren, konservativen Büroausstattung darauf schließen, dass dies das Arbeitszimmer des Chefs eines hierarchisch geführten Unterneh­mens ist. Doch vor dem tieferen Einstieg in die Symbolbetrachtung von Produkten soll zunächst der zugrunde liegende Symbolbegriff genauer betrachtet werden.

Zum Symbolbegriff Von den verschiedenen Disziplinen, die sich mit dem Thema der Sym­bolik befasst haben, und selbst innerhalb der einzelnen Bereiche, wur­den recht gegensätzliche Auffassungen über den Begriff entwickelt. Der im folgenden bei der produktsprachlichen Interpretation verwen­dete Symbolbegriff gründet sich im Wesentlichen auf drei mit~inander verwandte Denkschulen: die von den Philosophen Ernst Cassirer und Susanne Langer repräsentierte Schule des Symbolismus; die Wahrneh­mungspsychologie Rudolf Arnheims sowie den von Alfred Lorenzer weiterentwickelten psychoanalytischen Symbolbegriff.

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Im Unterschied zu den Symbolbegriffen, die etwa in der Mathema­tik, Psychologie, Semiotik oder Ästhetik begründet wurden, vertraten Cassirer und langer die Auffassung, dass der Mensch in einer Welt von symbolischen Formen und Bedeutungen lebt. lange r beschrieb alle kulturellen Äußerungen, etwa Sprache, Riten, Religion, Träume, Kunst oder Musik, als Symbolschöpfungen, die mit Bedeutungen be.legt sei­en. Dieser Symbolismus we rde den „Schlüssel zu einem spezifisch menschlichen, das heißt oberhalb der Ebene rein animalischer Bewus­stheit liegenden Geistesleben" bilden (1984, S. 35). Während schon Tiere auf Anzeichen reagieren, sei die Symbolbildung dem Menschen vorbeha lten . Im Gegensatz zum Anzeichen, das . .,das (vergangene, gegenwärtige oder zukünftige) Vorhandensein eines Dinges, eines Ereignisses oder einer Sachlage an(zeigt)" (o.c., S. 65), dienten Symbo­le als Repräsentanten von Vorstellungen, die wir mit den Dingen ver­bänden . .,Symbole sind nicht Stellvertretung ihrer Gegenstände, son­dern Vehikel für die Vorstellung von Gegenständen . Ein Ding oder eine Situation sich vorstellen, ist nicht das Gleiche w ie sichtbar ,darauf reagieren' oder ihrer Gegenwart gewahr sein. Wenn wir über Dinge sprechen. so besitzen wir Vorstellungen von ihnen, nicht aber die Din­ge selber, und die Vorstellungen, nicht die Dinge sind das, was Symbo­le direkt ,meinen"' (o.c., S. 69).

In diesem Sinne ist beispielsweise der Thronsessel des Pharao Tutanchamun ein Symbol aus der frühen ober ägyptischen Hochkultur, des von den Göttern geweihten Königtums, von Autorität und Würde. Der Thron ruft, je nach Vorbildung, mehr oder weniger präzise Vor­stellungen über die „a lten Ägypter" hervo r; wir „denken an" sie, ,.beziehen" uns auf sie in dem Sinne, wie es langer ausführte. Wir wer­den aber nicht, wie es bei einem Anzeichen der Fall wäre, zu einem Verhalten animiert, als würde der König im nächsten Moment erwar­tet. noch werden wir es wagen, den in einem Museum ausgestellten Thron als willkommene Sitzgelegenheit zu benutzen.

Wie das Beispiel zeigt, kann ein Gegenstand beziehungsweise ein bestimmtes Zeichen sowohl als Anzeichen w ie auch als Symbol interpre­tie rt werden (vgl. o.c., S. 65). In der Regel w irken alltägliche Gebrauchs­gegenstände gleichzeitig als Anzeichen und Symbol: Betritt man eine Hotellobby, so werden die bereitstehenden Sessel sowohl als Sitzgele­genheit und als Ort des Sich-Treffens und -Niederlassens wahrgenom­men, wie auch als Mobiliar, das Vorstellungen Ober den Stil und Rang des Hauses hervorruft . Die jeweilige Deutung wi rd zum einen durch den Kon­text geprägt, zum anderen von den Interessen des deutenden Subjekts.

Nach langer besteht der grundlegende Unterschied zwischen einer Anzeich en- oder Symbolfunktion in den assoziierten Vorstellungen, die mit einem Symbol verbunden werden. Während Anzeichen und Objekt in einer direkten Beziehung (Signifikat ion) zueinander stehen, verwei­sen Symbole nicht nur auf ein konkretes Objekt (Denotation), sondern auch auf die mit dem Objekt verbun denen Vorstellungen (Konnot atio­nen). Besteht die Anzeichenfunktio n aus nur drei Elementen - dem wahrnehmenden Subjekt, dem Anzeichen und dem angezeigten Objekt-, so ist die Symbolfunktion durch vier Elemente charakterisiert: durch das wahrnehmende Subjekt, das Symbol (z.B. das Wort „Was­ser"), das Objekt (die tatsächliche Substanz) und die damit verbunde­nen Vorstellungen (z.B. fließen, Fluß, Meer, Regenwolken, trinken ... ). Das Symbol denotiert die reale Substanz, gleichzeit ig konnotiert es ein

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Bündel von Vorstellungen und Ideen. Die spezifische Qualität von Sym­bolen liegt im Bereich der Konnotationen (vgl. Ritterfeld, S. 203). Durch sie unterscheidet sich das Symbol vom Anzeichen, das lediglich auf eine Sachlage hinweisen will. In diesem Sinne signalisieren zum Beispiel die Tasten von Mario Bellinis Rechenmaschine Divisumma auf der Anzei­chenebene lediglich „hier drücken"; wer die Betätigung der unter einer elastischen Gummihaut liegenden Tasten allerdings wie Gert Sei­le als erotisierend erlebt (1997) und assoziativ in Lust-und Latexwelten abschweift, begibt sich auf die Symbolebene.

An- Signlflkatlo n Tche ~ • ObJekt

Bezugssystem einer Anzeichenfunktion (nach Mikosch, 1979/80)

Sulfekt

Bezugssystem einer Symbolfunktion

Im Hinblick auf unser Metier Design ist weiterhin Langers Unterschei­dung zwischen diskursiven und präsentativen Symbolen von Interesse. Die Sprache sei das Ergebnis einer Art von symbolischem Prozess, bei dem die Worte und unsere Ideen notwe ndigerweise diskursiv. das heißt nacheinander aufgereiht werden müssten, damit sie ihre Bedeutung erhielten. Doch seien die Grenzen der diskursiven Sprache nicht auch die Grenzen der Semantik, denn das „Unsagbare" könne ebenfalls arti­kuliert werden. ,,Visuelle Formen - Linien, Farben, Proportionen usw. -sind ebenso der Artikulation, d.h. der komplexen Kombination fähig wie Wörter. Aber die Gesetze, die diese Art von Artikulation regieren, sind von denen der Syntax, die die Sprache regieren, grundverschieden. Der radikalste Unterschied ist der, dass visuelle Formen nicht diskursiv sind. Sie bieten ihre Bestandteile nicht nacheinander, sondern gleich­zeitig dar ... " (o.c., S. 99), führt die Philosophin aus. Dabei stützt sie ihre These unter anderem auf die Erkenntnisse der Gestaltpsychologen Wertheimer, Köhler und Koffka, die dargelegt hatten, dass „Sehen" kein passiver Vorgang sei, bei dem äußere Eindrücke von den Sinnes­organen zunächst gesammelt und da nn vom Geist geordnet und gedeutet würden. Nicht einzelne Sinnesdaten, sondern ganzheitliche Gebilde, die sogenannten .,,Gestalten", seien das Resultat des Wahr­nehmungsprozesses. Dieser Sachverhalt prägt aber nicht nur, wie bereits im Kapitel über die fo rmalästheti schen Funktionen dargelegt wurde, die Art und Weise. wie Auge oder Ohr Bilder, Gegenstände oder Klänge als Ganzheiten wahrnehmen . Er ist auch bestimmend dafür, dass sich ein präsentativer Symbolismus „nic ht in Grundeinheiten auf­brechen lässt", wie langer ausführt. Zwar sei ein diskursives Symbol, etwa ein Bild, wie die Sprache aus Elementen zusammengesetzt, doch

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stellen ~ies~ Elemente keine Ein.heiten mit unabhängigen Bedeutungen dar. ,,Wir konnen zwar irgendeine Linie herausgreifen, eine bestimmte Ku~ve etwa. in einem Bilde ... an anderer Stelle würde die gleiche Kur­ve Jedoch eine ganz andere Bedeutung haben. Sie besitzt keine festge­legte Bedeutung außerhalb ihres Kontextes" (o.c., s. 101).

Wie für di.~ künstli~hen Anzei:he~ gilt auch für die Symbolik: Sym­bolgehalte konnen mit unterschiedlichen gestalterischen Mitteln zum Ausdruck gebracht werden. Gleichwohl ist die Symbolik einzelner ~estaltungsel~mente wie Farbe, Form oder Material abhängig vom 1ewe1hgen ObJekt. an dem sie auftreten. Beispielsweise hat die Farbe Rot bei einer antiken Königsrobe einen anderen Symbolgehalt als beim Feuerlöscher oder bei der Schreibmaschine Valentine von Ettore Sott­~ass .. ~arüber hinaus wird die Symbolik eines Produktes durch seinen Jeweiligen Kontext geprägt: Die Mickey Mouse im Kinderzimmer spricht eine andere Symbolsprache als die Mickey Mouse auf der Sei­denkrawatte des Managers; und der Symbolgehalt der Bauhaus-Leuch­te von Jucker und Wagenfeld ist heute ein anderer als zu ihrer Entste­hungszeit Mitte der zwanziger Jahre; ein weiteres Beispiel für die Kontextabhängigkeit von Symboldeutungen wird anhand des Hewi­Türdrückers an anderer Stelle ausführlich diskutiert (s. S. 104). Doch noch einmal zurück zum Symbolbegriff: Die Entwicklung eines n~uen Symbolverständnisses durch Cassirer und langer hatte auch auf die psychoanalytische Theoriebildung Auswirkungen. Als einer ihrer Vertreter for.mulierte Alfred Lorenzer eine Kritik des psychoanalytischen ~ymbolbegrdfs (1970), der zu einer wesentlichen Erweiterung gegen­uber dem zuvor verwendeten Begriffsverständnis führte und Be­rührungspunkte zur Philosophie des Symbolismus freilegte. Wie langer sieh~ auch Lorenzer die Symbolbildung als eine rationale Aktivität des ~ub1ekts a~ und charakterisiert Symbole als „psychische Gebilde, die a~ßere Objekte un_d Vorg~nge oder innere Vorgänge repräsentieren, die von ~1esen ObJekten 1m Wahrnehmungs- bzw. Erkenntnisprozess unterschieden werden können und die als selbständige Einheiten Gege~stand .. der Denk- und Erkenntnisprozesse werden" (o.c., s. 91). D.abe1 verknu_~ft Lorenzer die neue Symbolauffassung mit der psycholo­gischen Reprasentanzenlehre. Repräsentanzen, das heißt die mit einem Objekt verbundenen Bilder, Gedanken, Vorstellungen etc., bestimmen die Beziehung zwischen Mensch und Objekt und machen eine emotio­nale Besetzung des Objekts erst möglich. Von besonderem Interesse für ein tieferes yerständnis der Produktkultur ist die Unterscheidung, die Lorenzer zwischen Symbol. Klischee und Zeichen vornimmt. Als Reprä­sentanzen ständ~n sie in einem genetischen Zusammenhang, wobei S~mbole und Zeichen bewusste Repräsentanzen darstellen, Klischees hingegen unbewusste Repräsentanzen. Durch den Abwehrmechanis­~us d7r Verdrängung, der nur die Bewusstseinsfähigkeit, nicht jedoch die Wirks?mke1t von Repräsentanzen einschränke, verwandeln sich Symbole in Klischees und wirken als unbewusste Motive weiter. Während das Subj_ekt bei symbolischen Strukturen zwischen Objekt und Symbol unterscheiden könne, fehle beim Klischee diese Autonomie.

Zur Veranschaulichung, wie sich symbolvermittelte und klischeehaf­t~ Bezieh~ngen in der Produktkultur niederschlagen können, sei auf e1.ne. Arbeit von Gerda Mikosch (1980) zum Thema Jeans verwiesen. Hierin beschreibt sie ausführlich, wie und warum Bluejeans von der Jugendkultur in den sechziger Jahren zum Symbol einer neuen Wert-

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,.....

haltung und Lebensform wurden. Während die gesellschaftliche Auto­rität und die Eltern erwarteten, dass die nächste Generation die vorge­lebten Werte wie Ordnung, Sauberkeit. Fleiß, Anpassung etc. über­nimmt und sich „anständig" kleidet. kritisierten viele Jugendliche nicht nur diese Werte, sondern verliehen ihrer Antihaltung auch äußerlich sichtbar, symbolischen Ausdruck. Sie setzten der korrekten, sauberen, modischen Hose oder dem adretten Rock die äußerst robusten, lang­lebigen Unisex-Jeans entgegen, die gammelig, ausgewaschen und ge­flickt nur umso besser waren. Dabei diente ihnen die Jeans auch als Identifikationssymbol, denn bei anderen Jeansträgern wurden ähnliche Werte, Vorstellungen und Bedürfnisse erwartet. Wichtig ist, dass hier zwischen Objekt und Symbol unterschieden werden konnte. Die Inhal­te und Probleme waren den Jugendlichen bewusst und gegenwärtig, und sie wurden in der Jeans symbolisch ausgedrückt; sie hätten aber auch in einer anderen Hose dargestellt werden können. Später, als die Modemacher dann die Jeans für sich entdeckten, und Designer-Jeans in allen möglichen Varianten auf den Markt brachten, wurde die Hose für die neuen Käuferkreise freilich zum Klischee. Kaufmotiv dürfte für sie nicht das bewusste Streben nach der Artikulation einer neuen Werthal­tung gewesen sein. sondern der Wunsch nach Teilhabe am modisch Aktuellen und an den von den Medien hochstilisierten Leitbildern wie Jugendlichkeit, Freiheit etc. Dabei ist der klischeehafte Bezug nun nicht unbedingt an der neuen Gestaltung des Gegenstandes, am anderen Schnitt oder am Designer-Label, festzumachen - auch die originale Bluejeans kann für den einen oder anderen Klischee gewesen sein -, sondern an der Verdrängung der ursprünglichen Motive und dem hier von Werbung und Medien unterstützten „szenischen Arrangement", dessen - nach Lorenzer - Klischees bedürfen. Erfährt der Klischeebegriff bereits in der Alltagssprache als „Abklatsch" oder „eingefahrene Vor­stellung" eine negative Bewertung, so ist es aus einer psychoanalytisch emanzipatorischen Sicht vor allem bedenklich, dass sich klischeebezo­gene Impulse hinter dem Rücken des Subjekts mit einer gewissen Starr­heit, Zwangsläufigkeit und Abhängigkeit vom szenischen Arrangement durchsetzen. Während Lorenzer beim symbolvermittelten Verhalten von 11Handeln" spricht ordnet er dem klischeebestimmten Verhalten das „Reagieren" zu (o.c., S. 105). Gerade bei Klischees, die Warenform angenommen haben, liegt Manipulationsverdacht im Herstellerinteres­se nahe - und bei kritischer Betrachtung fallen Design-und Marketing­konzepte auf, die auf Klischees beruhen: etwa der Traum vom Easy­Rider-Leben bei Harley Davidson oder der Wunsch nach Unverfälscht­heit und Geruhsamkeit wie zu alten Zeiten bei Jack Daniels· Whisky.

Wie die von Lorenzer beschriebene Linie „Klischee-Symbol-Zeichen" (o.c., S. 111) nahelegt, können Symbole aber nicht nur in Klischees, sondern auch in Zeichen verwandelt werden. Dabei bleibt beim Über­gang vom Symbol zum Klischee die dynamische Funktion der emotio­nalen Besetzung erhalten, aber die Reflexionsfähigkeit geht, wie bereits beschrieben. verloren. Andersherum findet bei der Verwand­lung von Symbolen in Zeichen durch lntellektualisierung eine Entlee­rung von emotionaler Besetzung statt; gleichzeitig reduziert sich das weite Feld der Konnotationen in fest umrissene Denotationen. Zur Ver­deutlichung erläutert Lorenzer am Beispiel der „ Verfallsform des bloßen Dekors". wie sich Ornamente, in denen einstmals emotional wie kognitiv stimmige Symbolgehalte zum Ausdruck kamen, mit der

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Zeit zu affektiv entleerten Zeichen wurden: ,,Dekor ist eine künstleri­sche Produktion, die sich zwar noch auf der Ebene der präsentativen Symbole abspielt, aber dort mit fixen Schablonen, das heißt mit ver­steinerten Zeichen, die längst ihre Konnotationen in Denotation unge­wandelt haben, arbeitet. Ein Teil dieses Dekors verrät solchen Tatbe­stand schon allein dadurch, dass sein Gehalt herabgesunken ist zu einer leicht verständlichen, emotional gehaltlosen Allegorik, deren Sinn völlig mit Sprachzeichen im Rahmen einer diskursiven Sprache auszuschöpfen ist. Aber auch dort wo der Gehalt nicht ins Diskursive übersetzbar ist, verrät schon die Besonderheit der Handhabung die Veränderung der Symbolqualität und den Verfall der Symbolorganisa­tion dadurch, dass solche Ornamente sich zum gebrauchsfertigen Vokabular verformt haben. Die Symbolformationen sind an Stelle der nichtdiskursiven Geschlossenheit der Gestalt zu einer Reihung von For­meln nach Art von Vokabeln geraten" (o.c., S. 83). Tatsächlich gehören derartige „ Verfallsformen" wohl unvermeidlich zur kulturellen Ent­wicklung, und es bedarf immer wieder der Aktualisierung, um der .,Versteinerung" symbolischer Ausdrucksformen zu entgehen.

Symbolische Funktionen der Produktsprache Jochen Gros Wenn Symbole den Kontext der Produkte beschreiben, dann stellt sich nicht nur die Frage nach ihrer Bedeutung, sondern auch nach ihrem Gewicht. Wie wichtig nehmen wir die symbolische Repräsentanz indi­vidueller und sozialer, technologischer und kultureller Hintergründe? Am einfachsten wirken die Verhältnisse im Bereich der Kleidung. Hier steht. wenn uns nicht gerade die Not regiert. fast immer die Symbolik im Vordergrund. Jeder kennt die weit über den Warmhalteeffekt hin­ausgehende Bedeutung der Kleidersprache, beispielsweise wenn wir uns um einen Job bemühen oder vor einer Disco stehen. Aber das gilt mehr oder weniger generell: Wo uns Produkte im sozialen und ideel­len Raum positionieren, erscheinen Symbole zumeist wichtiger als die Anzeichen einer mehr oder weniger optimierten Technik. Produkte mit der „falschen" Symbolik können ebenso unverkäuflich sein wie solche, die praktisch nicht funktionieren. Design, das über einen gewissen Toleranzbereich hinaus semantisch von einem sozialen, geistigen oder subkulturellen Korridor abweicht, ist genauso out, als ob es technisch unbrauchbar wäre.

Aber warum haben wir das unter dem Vorzeichen der „Guten Form" noch ganz anders gesehen? Weshalb sollte man unter der Paro­le „weniger ist mehr" auch die Vielfalt der individuellen und kulturel­len Kontexte verschweigen? Da ist zunächst einmal die wechselnde Hierarchie unserer Bedürfnisse. Nachdem das Massenelend der frühen Industrialisierung überwunden ist und sich immer mehr Produkte ihrem technischen Grenzwertnutzen annähern. gewinnen die weniger überlebensnotwendigen Bedürfnisse an subjektiver Bedeutung. In Anlehnung an Bert Brecht: Nachdem wir satt und mit durchschnittlich 10.000 gut funktionierenden Produkten ausgerüstet sind, kommt die Symbolik. Zusätzliche Bedeutung gewinnt die ästhetische Reflexion der Kontexte aber auch durch ihren Schwierigkeitsgrad. So erscheint es auf dem Stand der Technik zumeist weniger problematisch, ein funkti­onstüchtiges Produkt zu konstruieren und seine Handhabung anzuzei­gen, als dieses Produkt mit immer differenzierteren und unübersichtli­cheren Herkunfts- und Zielkulturen zu assoziieren.

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In der funktionalistischen Designpraxis wurden die symbolischen Funk­tionen der Produktsprache jedoch aus einem anderen Grund übergan­gen. Solange die „Gute Form" Allgemeingültigkeit beanspruchen konnte, wurde zwar jede stilistische Abweichung entschieden ausge­grenzt und ausjuriert, aber in der konkreten Entwurfspraxis brauchte imgrunde niemand mehr über Symbolik nachzudenken. Ihre Bedeu­tung zeigte sich nur in Grenzfällen, etwa bei stilistischen Abweichun­gen. wie dem Styling. Ähnliches gilt für jeden Stil in der Periode seiner Allgemeingültigkeit. Denn was für alle gleichermaßen verbindlich ist. hat keine differenzierende Bedeutung mehr.

Während die Moderne Avantgarde mit der Ornamentlosigkeit zu ihrer Zeit noch Zeichen setzen konnte, erschien dieses gestalterische Merkmal in den sechziger Jahren nicht mehr der Rede wert - etwas anderes als das ornamentlose Industrie-Design war nicht mehr vor­stellbar. Wenn aber der Konsens die Symbolik diktiert, entzieht sich dieser Teil der Produktsprache der gestalterischen Freiheit und die Designpraxis verliert ihr Interesse daran. Sobald dieser Konsens jedoch aufbricht, kommt auch das Gewicht der Symbolik wieder zum Vor­schein. Individualisierung, subkulturelle Zersplitterung oder am Ende sogar ein erneuter Stilwandel bringen die Symbolgestaltung ins theo­retische und praktische Interesse zurück. Das scheint heute zuneh­mend der Fall: Gutes Design ist nicht mehr bloß sachlich, überindivi­duell, sozial unterschiedslos, herkunftsunabhängig und ahistorisch zu begreifen - das heißt symbolisch unbedeutend. Wenn, wie alle Welt behauptet, Design an Bedeutung gewinnt, dann gilt das in erster Linie für die Symbolik.

Ein weiteres Indiz für das zunehmende Gewicht der Symbolik ist die Renaissance des Stilbegriffs. So betrachtet beispielsweise Christoph Herrmann Design-Management, man könnte aber auch sagen die konzeptionelle Ausrichtung des Design. primär als „ Stilarbeit" und versucht damit erneut. eine „Lanze für den Stilbegriff" zu brechen, ~.weil der Sti1begriff zwar kein neuer, aber ein wichtiger alter Katego­riebegriff ist, den es neu zu entdecken gilt" (1998, S. 28) . .,Für den Designer bedeutet dies, dass er nicht nur verstehen muss, wie Pro­dukte funktionieren und was Konsumenten an ihnen attraktiv finden könnten. sondern auch, dass er die möglichen Stilwelten identifizieren muss, in denen ein Produkt potentiell zu verorten ist. Das Stiluniver­sum. in dem wir uns heute bewegen, ist nämlich keineswegs völlig unstrukturiert. Es ist vielmehr durchzogen von zahlreichen Stilprinzipi­en. die sich in völlig unterschiedlichen Kontexten (Architektur. Pro­duktgestaltung, Kunst, Medien etc.) wiederfinden lassen. Derartige Stilprinzipen übernehmen nicht selten eine Leitbildfunktion für den Konsumenten. Sie prägen unsere Wahrnehmungsmuster und geben kulturellen wie technologischen Entwicklungen ein zeitgemäßes Gesicht" (o.c., S. 32).

Zur genaueren Betrachtung wird im folgenden differenziert zwi­schen Symbolkomplexen und vereinzelten Assoziationen, die wir gewöhnlich mit Worten wie „dynamisch", .. lustig", ,.weiblich", ,.teu­er", .. jung", .. sexy" usw. interpretieren. Und um den Stil begriff nicht im Marketing-Deutsch zu trivialisieren oder als Lifestyle zu banalisieren. werden die Semantik der Stilgeschichte einerseits und die konkreten Analysen der einzelnen Partialstile andererseits begrifflich unterschie­den (vgl. hierzu das Begriffssystem auf S. 94/95).

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Stilgeschichte Erst seit wir nicht mehr an die „zeitlose Überwindung von Stil" glau­ben, werden Stilfragen wieder aktuell. Und wie immer in Zeiten des Wandels befragen wir die Stilgeschichte, um in den überlieferten Erfahrungen mit der ästhetischen Reflexion von technologischen und sozialen Umbrüchen nach Anhaltspunkten für die Bewältigung ähnlich gelagerter Zukunftsprobleme zu suchen. Unsere immer noch von der Ideologie der „Guten Form" durchdrungene Designgeschichte ist dafür jedoch kaum geeignet. Sie klammert den vorindustriellen Stilbegriff nahezu aus. bezieht ihn fast ausschließlich auf die Überwindung von Historismus und Jugendstil und leugnet schließlich sogar, dass sich auch die Ornamentlosigkeit als stilprägend erwiesen hat. So gilt es, die Designgeschichte ideologisch zu entrümpeln. Erst wenn wir die Fakten der Funktionalismusgeschichte unter dem Blickwinkel des Stils neu interpretieren, erscheint auch das Leitbild der „Guten Form" nicht mehr als zeitlos, sondern in einem historischen Kontinuum. Der Stilbe­griff öffnet unseren Blick für den Stilwandel. Wir sehen, dass die Geschichte der Produktsprache nicht erst mit der Industrialisierung beginnt und sich nicht für alle Zeit als Industrie-Design begründen kann. Etwas grundsätzlich Neues wird denkbar.

Zur Geschichte des Stilwandels gehört auch die Verlaufsgestalt der einzelnen Stile. So erzählt ja auch die bald 100-jährige und durchaus wechselvolle Geschichte des Funktionalismus im laufe der Zeit recht unterschiedliche Geschichten. Dabei sagte beispielsweise die Orna­mentlosigkeit im Kontext vom proletarischen Elend etwas ganz ande­res als in der heutigen „Überflussgesellschaft"; schwindender Fort­schrittsglaube entzieht der ehemals Neuen Sachlichkeit ihre utopische Bedeutung; nach den Stilrevolten des Neuen Design und der Postmo­derne gewinnt der Funktionalismus als Neofunktionalismus zuneh­mend konservative und reaktionäre Züge; Mikroelektronik und .,nachindustrielle Produktion" (Gros 1997a) entwerten die semanti­schen Grundsätze, die sich in vielfacher Weise noch auf den Übergang vom Handwerk zur Industrie berufen u.v.a.m. Das alles erweitert nicht nur unseren Blickwinkel von der Produktsemantik zur Stilsemantik (Gros 1997b). Wir stellen auch fest, dass die Geschichte der Produkt­sprache lange vor der Designgeschichte beginnt und unseren Blick auch noch weit über deren ideologische Blockaden hinaus lenkt.

Ein Kernproblem der Stilgeschichte sind von je her die herstellungs­technischen Anzeichen und sozialen Bedeutungen des Ornaments -beziehungsweise der Ornamentlosigkeit. So war die Ornamentfrage nicht nur für die Herausbildung des Funktionalismus entscheidend, sie wird auch bei allen Tendenzen der Stildifferenzierung sowie bei jedem erneuten Stilwandel unweigerlich wieder mit hoher Priorität auftau­chen. Genau genommen befindet sich sogar das gegenwärtige Design schon wieder in einem mehr oder weniger verdeckten Vorstadium der Reornamentierung. Zur seiner Wahrnehmung benötigen wir jedoch den Begriff des uneigentlichen Ornaments, der bereits unter dem Gesichtspunkt der Anzeichenfunktion betrachtet wurde (s. S. 81). An dieser Stelle erscheint die uneigentliche Ornamentik jedoch als Indiz des Stilwandels. Zunächst mag der damit gemeinte Trend. Entwürfe mit Faltenbalg. Scherengitter, Noppen (.,Designerpickel") oder Loch­blech formal anzureichern und ästhetisch auszureizen noch als kleiner Schritt erscheinen. Unter dem Blickwinkel des uneigentlichen Orna-

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ments gewinnt das ästhetisch motivierte Spiel mit komplexitätserzeu­genden Funktionselementen aber eine viel weitreichendere Bedeu­tung. Anders als der provokative Antifunktionalismus des Neuen Design umgeht der Trend zum uneigentlichen Ornament einfach klammheimlich, dafür aber auf breiter Front, die Grundsätze der alten Sachlichkeit und den Geist der Ornamentlosigkeit.

Adolf Loos würde heute wohl auch das uneigentliche Ornament aufs Korn nehmen. Denn überflüssig erscheinen nicht nur die sinn­entleerten Verzierungen der Gründerjahre, sondern auch die sinnlo­sen Funktion und Zusatzfunktion, mit denen die heutige Produktent· wicklung über unscharfe Grenzen der Nützlichkeit hinausgeht. Was unterscheidet den technischen Schnickschnack eigentlich vom orna­mentalen Schnickschnack? Zumindest wo Zusatzfunktionen und Scheinfunktionen das Produkt verschnörkeln, mutiert die Funktion selbst zum Ornament. Gewiss. noch werden die meisten Produkte nicht so sehr mit technisch-funktionalen Reizen überladen, wie der Historismus mit Stuck. Aber die Tendenz ist unübersehbar. Denkbar erscheint bereits, dass der Funktionalismus - auf seine Weise - genau­so überladen endet wie die meisten Stile zuvor: als Technobarock oder Funktionsbarock.

Vor diesem Hintergrund wirkt auch der weitere Schritt zum eigentli­chen Ornament kaum noch als Tabubruch. Erich und Susanne Küthe (1998) beschreiben diesen Übergang ganz offen und pragmatisch als realen Trend und verlangen daraufhin ein neues Marketing mit Mustern. Zugleich kritisieren sie Designer. die sich darauf noch viel zu wenig einstellten und kaum etwas von Ornamentik verständen. Ihnen vermitteln die Küthes, als Marketingexperten, einen kompakten Nach­hilfeunterricht in klassischer Ornament- beziehungsweise Stilgeschichte.

Die volle Bedeutung der aktuellen Ornamentfrage erschließt sich aber erst in Verbindung mit den neuen Schwerpunkten im Begriff der Produktsprache (s .S. 15). Wenn wir Design nämlich nicht nur als drei­dimensionale „ Verkörperung" von Bedeutung, sondern zunehmend auch als zweidimensionale „Bezeichnung" der Benutzer-und Betrach­teroberfläche begreifen, und dies mit computergesteuerten Maschinen in Einzelstückfertigung realisieren. dann erfährt die Aussicht auf ein ,.neues Ornament" nicht nur eine ästhetisch. sondern auch eine tech­nologisch und ökonomisch neue Begründung.

Partialstile Indem der Funktionalismus mit der zeitlos „Guten Form" das Ende der Stilgeschichte behauptete, untersagte er natürlich auch die vielen Geschichten, durch die sich Stile in Stilsegmente und Partialstile unter­gliedern. Doch gerade diese Partialstile haben sich in den letzten Jahr­zehnten in besonderer Weise wieder entfaltet: Designerstile, Firmensti­le und Looks auf der einen Seite und die Symbolik unterschiedlicher Lebensstile auf der andern. Solche nur noch als postfunktionalistisch zu bezeichnende Partialstile gelten inzwischen als ausschlaggebend für konzeptionelles Design. Und weil jede Kaufentscheidung auf Unter­scheidbarkeit und auf der Qualität von Unterschieden beruht. bilden Partialstile heute bereits die entscheidende Nachricht, mit der sich die Designpraxis an das Publikum wendet. Produktsprachliche Konzepte entwickeln sich vor allem als Ausdruck einer (partial-)stilprägenden Designerpersönlichkeit, als veranschaulichte Firmenphilosophie, als

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Look oder als Bekenntnis zu einem bestimmten Lebensstil. Praxisbezo­gene Designforschung konzentriert sich folglich heute vor allem auf die Semantik der Partialstile.

In Deutschland begann diese Entwicklung mit Luigi Colani, dessen Ausdrucksformen wir heute als Autorendesign oder Designerstil bezeichnen. Trotz aller Kritik am schwachen Sinn seiner gestalterischen Sinnlichkeit hat Colani nicht nur den ersten Stein auf die „Gute Form" geworfen, sondern damit auch eine erhebliche Resonanz erzielt. Um 1980 wirkte schließlich schon fast die gesamte japanische Unterhal­tungselektronik wie „colanisiert". Seitdem hat sich aber nicht nur ein breites Spektrum von Designerstilen entwickelt (vgl. Albus/Fischer 1995). Dieses vielfältige Autorendesign bildet zugleich ein herausra­gendes Orientierungsmuster für die symbolischen Möglichkeiten im Kontext unserer zeitgenössischen Produktkultur und damit auch die Erfahrungsgrundlage für eine entsprechende Begrifflichkeit im Rah­men unserer Theorie der Produktsprache.

Gewichtiger ist der Firmenstil. Hier hat unter anderem Olivetti Pio­nierarbeit geleistet. Olivetti gehört jedoch insofern gar nicht zu den typischen Präzedenzfällen für Firmenstil, da es anfänglich eher eine Vielfalt gestalterischer Ausdrucksformen zu einem patchworkartigen Corporate Design zusammenfügte. Nach dem gleichen Muster agieren heute noch Firmen wie FSB oder Ritzenhoff (s. S. 128). überwiegend wird im Firmenstil jedoch ein durchgehend einheitliches Erscheinungs­bild als Ausdruck einer klar entschiedenen Firmenphilosophie ange­strebt, wie etwa bei der Lufthansa oder bei Hewi (s. S. 106). Frage ist nun aber: Wie entstehen Firmenstile, und was ist die Rolle des Desi­gners dabei? Den höchsten Anspruch setzte Otl Aicher. Er verlangte von seinen Auftraggebern, zunächst ein Buch über die eigene Firmen­philosophie und Firmengeschichte zu schreiben. Dann erst hielt er es für wirklich sinnvoll, den ausgedachten und verbal formulierten Text in Form von Gestaltung zu verdichten. Im Gegensatz zum Autorendesign fungiert der Designer hier aber offensichtlich „nur" als Übersetzer.

Im Look begegnet uns eine besondere Art von Partialstil. Beim Eth­no-Look. Landhaus-Look, Profi-Look, Retro-Look usw. wird eine bestimmte Produktsprache übernommen, aber ohne ihre Verbindlich­keit, ohne ihre Verankerung im jeweils zugrunde liegenden Produkti· ons- und Lebensstil. Looks sind daher so etwas wie Spielgeld oder ungedeckte Schecks. Gleichwohl ist die semantische Interpretation die­ser Pseudostile nicht nur für die Designpraxis von Belang. In Form von Looks können sich durchaus grundlegende Verschiebungen im Zeit­geist andeuten, ernstzunehmende Stilkritik kann aufbrechen, und selbst bestimmte Aspekte des Stilwandels können sich als marginale Looks ankündigen. Zudem erinnert uns die heutige Stilverwirrung im Nebeneinander der verschiedensten Looks immer deutlicher an ein für Übergangszeiten und Stilbrüche typisches Phänomen, das wir gewöhn­lich als Eklektizismus beschreiben. Beispiel dafür ist nicht nur die zusammengewürfelte Ornamentik des Historismus, sondern auch das Sammelsurium anschaulicher Zitate der postmodernen Architektur.

Durch die fortschreitende Ausprägung unterschiedlicher Lebensstile wächst schließlich auch das Zielgruppen-Design zu einem Bündel immer neuer Partialstile heran. Diese Perspektive zeichnete sich bereits vor etwa zwei Jahrzehnten ab, als die bis dahin übliche Zielgruppen­differenzierung nach Alter, Geschlecht, Bildungsgrad und Einkommen

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nicht mehr ausreichte und durch sogenannte Milieustudien ersetzt wurde (vgl. Becker/Nowak 1985). Allerdings verlieren inzwischen auch die anfänglichen Milieubegriffe wie konservatives, alternatives oder Aufsteiger-Milieu ihre Trennschärte. Zur Betrachtung hochgradig diffe­renzierter Lebensentwürfe empfiehlt es sich daher, entsprechende Gruppierungen nicht nur als Milieus, sondern als partielle Lebensstile zu begreifen - und damit auch ihre ästhetische Entsprechung als Parti­alstil. Zudem können wir uns mit dieser Begrifflichkeit auch besser dar­auf einstellen, dass sich infolge der digitalen Revolution nicht nur bestimmte Milieus verändern, sondern auch ganz andere und grundle­gend veränderte Lebensstile auftauchen.

Assoziationen Nach der großen historischen Erzählung, die sich in der Abfolge von Stilen reflektiert, und den vielen kleinen Geschichten, bei denen wir Produkte wie eine Designermonografie lesen, als anschauliche Firmen­philosophie betrachten oder als Lebensstilbekenntnisse wahrnehmen, kommen wir zu den einzelnen Assoziationen. Sie bilden den Grund­stock jeder komplexen Symbolgeschichte, gewissermaßen das semanti­sche Vokabular, das in der Stil· und Partialstilbildung verschmilzt.

Noch in den sechziger Jahren erschien die explizit gestaltete Sym­bolik des modernen Industrie-Designs nahezu vollständig auf die Asso­ziation von Preisvorstellungen reduziert. In der betriebswirtschaftlichen Literatur tauchte Design, wenn überhaupt, nur als „Geltungsnutzen" auf. Denn selbst in den Hochzeiten des „Stummen Dieners" war eine Symbolik gar nicht zu unterdrücken: die Statussymbolik, die vor allem über Zeichen des Geldwerts vermittelt wurde. Und was die Designer eher zu verdrängen suchten, erschien dem Betriebswirt hochwillkom­men. Denn jedes Produkt, das teurer aussieht, als es ist, erbringt einen zusätzlichen Gewinn. Die Symbolik von „teuer" gehörte und gehört daher zu den praxisrelevantesten Vokabeln der Produktsprache. Sie korrespondiert aber nicht nur mit dem menschlichen Statusbedürfnis, sondern auch mit einer Massengesellschaft, die den sozialen Rang des Einzelnen weitgehend nur noch mit der Preis-Symbolik vorzeigbarer Produkte verbindet. Ein immer wiederkehrender Anlass zu grundle­gender Produkt- und Gesellschaftskritik.

Ohne die Bedeutung der geldwertbedingten Statussymbolik zu unterschätzen, stellt sich die Frage nach den einzelnen Assoziationen, die das Design auslöst, heute jedoch weitaus komplexer. Swatch· Uhren haben die alte Form des „Geltungsnutzens" erfolgreich mit Assoziationen wie „lustig", .,lässig", .,modisch" usw. kompensiert. Produkte, die „jugendlich" wirken, kommen gelegentlich besser an, als ihre vergoldete Variante. Subkulturelle Zugehörigkeit vermag ansprechender .zu wirken als die Insignien des Erfolgs. Ökosignale übertrumpfen in bestimmten Marktsegmenten die statusträchtige Verchromung u.v.a.m. Kurz gesagt: Die elementare Symbolik des De­signs reduziert sich heute nicht nur auf die Semantik der Wertsteige­rung, sondern versucht den Produkten eine Vielfalt weiterer Assozia­tionen einzuschreiben.

Design-Theorie muss sich daraufhin allerdings fragen, wie wir ent­sprechende Erkenntnisse über den Zusammenhang von Produktmerk­malen und ihre assoziative Bedeutung gewinnen. Lassen sich über­haupt klare Zuordnungen erforschen und verallgemeinern? Leider

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nein. Auch die Psychologie der Traumdeutung hat das verführerische Projekt eines „Wörterbuchs der Symbolbedeutungen" längst aufgege­ben. Wäre es gelungen, könnten wir nicht nur Träume per Handbuch dechiffrieren, sondern auch die Produktsprache mit dem Computer generieren. In Wirklichkeit ist die Symbolik der Träume jedoch, wie jede Gestaltwahrnehmung, in zu hohem Maße kontextabhängig, um ein­zelne Merkmale semantisch zu definieren. Jede Symboldeutung gilt daher grundsätzlich nur für den Einzelfall (der allerdings als Präze­denzfall zur Beurteilung ähnlich gelagerter Fälle herangezogen werden kann). Ein Computerprogramm, das alphabetischen Text in produkt· sprachliche Symbolik übersetzt, oder umgekehrt, wird es folglich nie geben.

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Grundbegriffe der Theorie der Produktsprache Aprll 1999, G~o$/.SteffeA

Körpersprache (dreidimensional)

Mensch - Objekt - Relation

1

Produktsprachliche Funktionen

Oberflächensprache (zweidimensional, z.B.

Typografie, Logografie,

Piktografie)

Lautsprache (akustisch)

Zeichenhafte Funktionen

Formalästhetische Funktionen

Symbolfunktionen Anzeichenfunktionen

Reduktion

Gesta ltrein heit

Ordnung

einfach geschlossen

T

tdurch Nähe durch gute Fortsetzung

einheitlich symmetrisch deutlich im Raster im Gleichgewicht

bekannt passend

Gestalt höhe

Komplexität

vielfältig Reizquellen offen

tdurch Distanz durch Unter­brechung

unterschied I ich asymmetrisch undeutlich aus dem Raster aus dem Gleich­gewicht neu kontrastrierend

Gestaltreinheit = maximale Ordnung und minimale Komplexität Gestalthöhe = hohe Ordnung und hohe Komplexität

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Wesensanzeichen

Identifikation

Eals Handy als Fernbedienung als Stuhl etc.

Eigenart

EHerstel I ungstechn ik Material Gebrauchspatina etc.

Funktionsanzeichen

- Ausrichtung - Bedienung - Körperbezug - Beweglichkeit - Stabilität

Standfunktion Stapelbarkeit etc.

Symbolkomplexe 1

Epochenstil

Barock Klassizismus Biedermeier Historismus Jugendstil Funktionalismus/ Modeme ., Postmoderne"

zukünftige Stil­bildung, die von Partialstilen wie öko-Design oder Digitalem Design genährt wird, sofern diese mit den maßgebli­chen kulturellen Kontexten in Einklang stehen.

Partialstil

Look

EEthno-, Highte ch-, Retrö-, etc.

National-/ Regionalstil

E German Design ltalian Design Skandinav. Design etc.

Konzeptdesign

rStyling/Stromlin ie Neues Design Metaphern Design Öko-Design etc.

Firmenstil

t ~f,~~I t swatch

etc. Designerstil rColani cstarck

etc. Zielgruppendesign

t;~~i~!n · Milieus lt. Sinus­Studie etc.

etc.

Sowohl Wesensanzeichen

als auch Funktionsanzei­

chen können entweder als natürliche oder als künstli­

che (grafische) Anzeichen

gestaltet sein.

Assoziationen

1 män nl ich/weibt ich jung/alt heiter/traurig stark/schwach emotional/rational weich/hart aktiv/passiv spielerisch/sachlich offen/verschlossen friedlich/aggressiv geordnet/zerfahren robust/zart laut/leise frisch/müde starr /beweg! ich kindlich/erwachsen langweilig/interessant wild/sanft nüchtern/verträumt etc.

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3. Kapitel Produktinterpretation als Kulturstudie

Bislang stand bei der Entwicklung der Theorie der Produktsprache und ihrer Darstellung in den vorausgehenden Kapiteln vor allem der kon­krete designorientierte Praxisbezug im Vordergrund. Allerdings - und das steht damit keineswegs im Widerspruch - klang auch schon an. dass sich mittels Produktsprache auch die gesellschaftlichen und kultu­rellen Kontexte des Design reflektieren lassen: Zeichenhaft können sich in der materiellen Kultur der Produkte soziale Bezüge, technologische Möglichkeiten, ökonomische Erfordernisse, ökologische Rahmenbedin­gungen sowie die geistig-mentale Situation einer Gesellschaft. ihre Werte und Leitbilder manifestieren. Pars pro toto kann in der verdich­teten Symbolik von Produkten eine ganze Weltanschauung codiert sein; sie kann sich affirmativ geben oder provokativ von neuen Ideen und Zukunftsperspektiven „erzählen" und - von einem Tag zum ande­ren oder allmählich im laufe der Jahrzehnte - sich semantisch in ihr Gegenteil verkehren. Exemplarisch für den Wechselbezug zwischen materieller und immaterieller Kultur sei hier etwa an die Modeme Avantgarde der zwanziger Jahre erinnert. die mit der industriellen Massenproduktion die Chance zu sozialem Ausgleich verband und mit sachlich-nüchternen, typisierten Produktformen sowohl die Idee einer klassenlosen. demokratischen Gesellschaft wie auch das Wesen der maschinellen Fertigung zum Ausdruck bringen wollte (vgl. Steffen, 1987). Doch nicht nur. dass dieses Ideal der Normierung von Produkten und Lebensstilen heute von dem Leitbild allseitiger Individualisierung abgelöst wurde; entgegen den damaligen Intentionen avancierten die Produkte aus der Frühzeit der Neuen Sachlichkeit inzwischen zu teuren Statussymbolen.

Bezeichnend dafür, wie die unserer Gesellschaft zugrunde liegen­den Werte sich in der materiellen Kultur bis ins Detail niederschlagen, ist auch, dass der Soziologe Gerhard Schulze seine Studie Die Erlebnis­gese/lschaft. Kultursoziologie der Gegenwart (1992) mit einer Produkt­interpretation einleitet. Anhand des Geländesautos, .. mit verchromten Stoßstangen armiert", und derbem Schuhwerk, .,mit empfindlichem verschiedenfarbigem Wildleder verarbeitet", stellt er dar, wie der Gebrauchswert der Produkte gegenwärtig ihrem Erlebniswert weiche und Robustheit vorrangig als „ästhetisches Attribut" gefragt sei. Unter dem kritischen Blick des Soziologen gibt die materielle Kultur, genau­er: die Gestaltung der Produkte, Auskunft über seinen primären For­schungs- und Erkenntnisgegenstand, nämlich die immaterielle Kultur. Schulze resümiert: .,All diese Ästhetisierung und Pseudo-Entästhetisie­rung von Produkten ist Teil eines umfassenden Wandels, der nicht auf den Markt der Güter und Dienstleistungen beschränkt bleibt. Das Leben schlechthin ist zum Erlebnisprojekt geworden" (o.c., S. 13).

Wenn sich die immaterielle Kultur aber derart zeichenhaft in den Produkten niederschlägt, dann ist es nur folgerichtig, produktsprachli­che Interpretationen - über ihren unmittelbaren Nutzen in der Design­praxis hinausgehend - als eine Zugangsmöglichkeit zu Kulturgeschich­te und Gegenwartskultur zu begreifen. Im Unterschied zu den kulturgeschichtlichen Studien von Wolfgang Schivelbusch etwa über die künstliche Beleuchtung oder die von Wolfgang Ruppert (1993 a, b) zusammengetragenen Essays über das Fahrrad, das Automobil, den Fernseher oder das Radio, werden aber zunächst einmal nicht die Ent-

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wicklung ganzer Produktgattun gen und die „ vielschichtigen Bezie­hungsgefl echte der Menschen mit ihren Dingen" (Ruppett) fok ussiert; Ausgangspunkt der Arbeit ist nicht wie bei Historikern.das trad itionel­le Quellenstudium. Stattdessen konzentriert sich die produktsprachli­che Hermeneutik zunächst auf einen konkreten Untersuchungsgegen­stand, den sie im Hinblick auf seine forma lästhetischen, Anzeichen­und Symbolfunktionen deutet; dabei sind Quellen, die zur Er­schließung des komplexen geistigen, sozialen, ökonomischen, ökologi­schen und technischen Kontextes beitragen, nicht per se von Interesse, sondern nur Insofern, als sie auf die aus dem Gegenstand „ herausge­lesenen" Bedeutungsstrukturen - bestätigend oder negierend - rück­bezogen werden können.

Exemplarisch wird diese Arbeitsmethode im Folgenden an einem Dutzend Produkten demonstriert, die; von zwei Ausnahmen abgese­hen, in den letzten Jahren auf den Markt kamen. Es lag nahe, die Tex­te mehrere n Themenfeldern zuzuordnen, nämlich „Funk tio nalismus gestern und heute" , .. Neue Hüllen und Oberflächen ", ,.Zeitgeistig~s" und „ Design für die digita le Technologie". Dabei zeigte sich, dass schon anhand weniger Produkt interpre tationen ein verdichtetes Bild einer spezifischen historischen und kulturellen Figuration entsteht. So geben die ersten drei Produkte, das Service mit Bodenschliff von Adolf Loos, der Türdrücker Hewi Nr. 111 und der Braun Rasierer Flex Integral, beispielsweise Aufschluss über ursprüngliche Motive funktionalisti­scher Gestaltung und ihre Widersprüche im heutigen kulturellen Kon­text. In den übrigen Produktinterpretationen kristallisieren sich The­men, die den Designdiskurs der neunziger Jahre prägen: einen Zeitabschnitt, der von Überproduktion und scharfem Verdrängungs­wettbewerb zwischen den Unternehmen gekennzeichnet ist; in dem eine Vielzahl von Partialstilen nebeneinander bestehen und Unterneh­men die semantisch-symbolische Diffe renzierung der Produkte zur Abgr enzung von Mit bewerbern wi e auch als Angebot an die verschie­denen Lebensstil-Gruppierungen erkann t haben; In dem eine Bevölke­rungsmehrheit das „Projekt des schönen Lebens" (Schulze) verfolgt und mit Konsumgütern die Erwartung verknüpft, dass diese Unterhal­tung und Abwechslung bieten und zur demonstrativen Identitätsbe­stimmung taugen; in dem die ökologische Herausforderung hinläng­lich bekannt ist, das Konsumverha·lten und der Umgang mit Produkten sich aber noch nicht im woh l erforder lichen Ausmaß verändert haben; und In dem sich schließlich die digitale Technologie unübersehbar über­all einnistet und die Art, wie wir arbeiten, wohnen, einkaufen, kom­munizieren und produzieren zunehmend bestimmt.

Zwar schlagen sich diese Momente nicht in jedem einzelnen Produkt, im Elektrorasierer, im Kleinwagen oder im Büromöbelsystem, umfassend nieder; nichtsdestoweniger aber sind die diesen Produkten zugrunde lie­genden Gestaltungskonzepte und ihre Produktästhetik symptomatisch für die Kontextbedingungen, unter denen und auf die hin sie ent­wicke lt, gestaltet, produziert, vermarktet, genutzt und entsorgt werden. Zieht man mehrere Produkte heran und stellt sie in den geistigen, sozia­len, ökonomischen, ökologischen und technischen Kontext der Zeit, so entsteht ein übergreifendes Kulturporträt. Wenn man will, kann man diese Interpretationsebene auch in Analogie zu jener setzen, die in der Kunstgeschichte als „ikonologische Interpretation" (Panofsky) bezeich­net wird. Das heißt, wir beschäftigen uns hierbei mit dem Produkt - ähn-

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......

lieh wie es der Kunsthistoriker Erwin Panofsky im Hinblick auf das Kunst­werk beschrieb - ,.als einem Symptom von etwas anderem, das sich in einer unabsehbaren Vielfalt anderer Symptome artikuliert, und wir inter­pretieren seine kompositionellen und ikonographischen Züge als spezi­fischere Zeugnisse für dieses ,andere'. Die Entdeckung und die Interpre­tation dieser ,symbolischen' Werte (die dem Künstler selber häufig unbekannt sind und die sogar entschieden von dem abweichen können, was er bewusst auszudrücken suchte) ist der Gegenstand dessen, was wir, im Gegensatz zur ,Ikonografie', ,Ikonologie' nennen können" (Panofsky 1975, S. 41). Erinnern wir uns nochmal an die beiden Pro­duktbeispiele von Schulze, so dürfte auch seine quasi „ikonologische" Interpretation von dem abweichen, was Designer, Marketing und Rezi­pienten in Geländeautos und Wanderschuhen verkörpert sehen dürften .

Bleibt festzuhalten, dass die produktsprachliche Theorie einerseits, Ikonographie und Ikonologie andererseits an ihren jeweiligen Erkennt­nisgegenstand ähnliche Fragen stellen, nämlich solche nach seinem Sinn und Gehalt, und sich dabei strukturell auf vergleichbaren Analyse­und Interpretationsebenen bewegen. Ob deswegen aber mit Friedrich Möbius (1996) eine Ikonologie des Design ausgerufen werden sollte, erscheint indessen fraglich, denn schließlich rekurrieren produkt­sprachliche und kunsthistorische Hermeneutik auf einen differenten Theoriehintergrund und verschiedene Wissensbereiche.

3.1 Funktionalismus - gestern und heute zweifellos ist der Funktionalismus als der wichtigste Gestaltungsstil in der Architektur und Produktgestaltung des 20. Jahrhunderts anzuse­hen - obgleich wichtige Vertreter der Modernen Avantgarde, einem weitverbreiteten Selbstmissverständnis erliegend, ihn niemals als einen zeit - und kulturgebundenen Stil, sondern vielmehr als „Überwindung von Stil" begriffen hat ten. Im Unterschied zur funktiona len Gestal­tung, einem überzeitlichen, inte rku lture llen Gestaltungsprinzip, das nicht an eine typische und klar abgren.zbare Formensprache gebunden ist. schlug sich der stark in der deutschen Gestaltungstradition verwur­zelte, moderne Funktionalismus als symbolischer Ausdruck des Indu­striezeitalters auch ästhetisch nieder: in einer hochgradig geordneten Formensprache, die sich an stereometrischen Grundfor men orien tierte. Unter Berufung auf Louis Sulllvans meist verkürzt zitierte These „ form follow s function " wurde die Funktion zum Schlüsselbegriff des Funk­tionalismus erhoben, und mancher Gestalter glaubte, aus den Funktio­nen mit Hilfe wissenschaftlich „objektiver" Methoden eine eindeutige, „logische" Produktform ableiten zu können; gleichsam das „Ding an sich", die stil-und zeitlose Zweckform, die - entsprechend Walter Gro­pius· Postulat von der Gleichartigkeit der Lebensbedürfnisse der Mehr­zahl der Menschen - auch für jedermann angemessen sei. Statt von Formgebung, der eine gewisse Subjektivität anzuhaften schien, sprach man lieber von Formfindung. Denkt man diese Haltung konsequent zu Ende, so darf sich die Form eines Gegenstandes freilich nur dann ändern, wenn sich auch seine Funktion, die gebrauchs- oder herstel­lungstechnischen Bedingungen oder die Materialien verändern. Es liegt auf der Hand, dass diese Gestaltungsauffassung unweigerlich an ihren selbstgesetzten Grenzen scheitern muss in einer Gesellschaft, in der einerseits die Unternehmen in einem starken Verdrängungswettbe­werb stehen, andererseits Produkte über ihre unmittelbare praktische

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Funktion hinaus als Mittel zur Selbstdarstellung und Artikulation unter­schiedlicher Wertorientierungen und Identitäten dienen. Zwei der fol­genden Produktinterpretationen zeigen auf, dass Unternehmen, die den Funktionalismus bereits vor Jahrzehnten zu ihrer Gestaltungsphi­losophie erhoben und damit auch große Markterfolge erzielten, heute zwar noch daran festhalten mögen, doch mit der „reinen Lehre" in Widerspruch geraten. Die Interpretation eines historischen Produktes belegt nicht nur, wie anhand einzelner Gegenstände und zeitgenössi­scher Quellen allgemeine Aussagen etwa über einen Epochenstil oder eine Entwerferpersönlichkeit induziert werden können, sondern lenkt den Blick zugleich auf die Zeitgebundenheit jeder Interpretation.

Das Service mit Bodenschliff von Adolf Loos für J. & L. Lobmeyr (1)

Die Firma J. & L. Lobmeyr, 1822 von Josef Lobmeyr in Wien gegründet, ab 1860 „K. u. k. Hofglaser und Hofglaswarenhändler" des Wiener Hofes und bis heute als Familienbetrieb geführt, war über viele Jahr­zehnte führend im Bereich von hochwertigen Glaserzeugnissen, die für handwerkliches Können wie auch für zeitgemäße Gestaltung stan­den. In den 1920er Jahren entwarfen bekannte Gestalter und Lehrer der Wiener Kunstgewerbeschule wie Josef Hoffmann und Oskar Str­nad für das Unternehmen. (2} Auch den Wiener Architekten Adolf Loos (1870 - 1933) versuchte man für einen Entwurf zu gewinnen. Zunächst soll Loos abgelehnt haben, da er sich nicht mit der Gestal­tung von Kleinobjekten befasste. Dann kam es aber doch zur Zusam­menarbeit, da Loos bei der Internationalen Raumausstellung in Köln im Juli 1931 für das Berliner Möbelhaus Gebrüder Schurmann ein Esszimmer präsentierte {3) und bei dieser Gelegenheit auch zeigen wollte, wie ein „zeitgemäß gedeckter Tisch ausschauen sollte". (4) Er nahm nun seinerseits mit Lobmeyr Kontakt auf und sandte im Februar 1931 von seinem damaligen Aufenthaltsort in Südfrankfreich aus Ent­wurfsskizzen per Post an die Firma nach Wien. Auch lud er Stefan Rath, den Enkel des Firmengründers und damaligen Geschäftsführer von J. & L. Lobmeyr, zu sich nach Juan-les-Pins ein. Da Rath die weite Reise jedoch scheute, retournierte er die nach Loos' Maßgabe gefer­tigten Mustergläser ebenfalls per Post. Der begleitende Briefwechsel zwischen beiden gibt Einblick in den Entstehungsprozess des Trink­glasservices, das zunächst fünf dünnwandige, formgeblasene Kristall­gläser in zylindrischer Gefäßform mit Bodenschliff umfasste (5) und internationale Anerkennung fand. Das Service, das Hans Harald Rath, Sohn des Stefan Rath, später durch einen Krug, eine Weinflasche sowie eine Fingerschale mit Unterteller ergänzte, wird von J. & L. Lob­rneyr bis heute hergestellt und zählt zu den erfolgreichsten Produkten des Hauses.

1. Durch seine zylindrische Gefäßform weist das Becherglas einen hohen Grad an Ordnung auf: Die Form ist einfach und geschlossen, sie ist symmetrisch, im Gleichgewicht und folgt - zumindest optisch - dem Horizontal-Vertikal-Raster. Obwohl sich der Glaszylinder aus produkti­onstechnischen Gründen nach oben minimal konisch weitet, wird der von Loos beabsichtigte Eindruck: .,Genau senkrechte Seite, welche mit der Bodenfläche einen rechten Winkel und daher eine starke Kante

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....

bildet" (6), erzielt. Die leichte Abweichung von der Vertikalen ist durch die Proportionen des Gefäßes für das Auge nicht wahrnehmbar.

Kontrapunktisch zu der hohen Ordnun~ der Zylinderfo rm verleiht ein feiner Diamantschliff am Boden dem Glas Komplexität. Zwar wur­de ein regelmäßiger, quadratischer Facettenschliff, ein sogenannter Steindelschliff gewählt, der selbst wiederum ein hohes Maß an Ord­nung besitzt. Bedingt durch den starken Glasboden, der innen konvex geformt ist, entfaltet dieser allerdings die Wirkung einer optischen Lin­se. So entsteht ein recht komplexes Interferenzmuster, das sich zudem bei Veränderung des Blickpunktes des Betrachters verschiebt und ver­zerrt. Füllt man das Glas mit einer (klaren) Flüssigkeit, wird dieser Effekt nochmals verstärkt, da das Interferenzmuster sich nun auch an ihrer Oberfläche abzeichnet. Adolf Loos' Kalkül „Der Schliff wirkt als Ueber­raschung ... " (7) erfüllt sich. Im Ganzen zeichnet sich der Entwurf durch die Integration von Ordnung und Komplexität aus. Die hohe Ordnung des Zylindergefäßes wird durch den Bodenschliff auf eine reizvolle Art und Weise durchbrochen.

2. Im Gegensatz zu traditionellen Trinkglasgarnituren lassen die Becher­gläser von Loos wesentliche Funktio nsanzeichen vermissen. Besitzen herkömmliche Trinkgläser spezifische Gefäßformen, die nicht nur dem Charakter und den Eigenschaften der Getränke entsprechen, sondern die umgekehrt auch erkennen lassen, für welches Getränk sie bestimmt sind - man denke etwa an bauchige Cognac-Schwenker, die die Aromaentfaltung unterstützen -, so verzichtet Loos auf diese Anzeichengestaltung zugunsten seiner Formidee völlig. Einzig durch einen Vergleich der Größen und der Proportionen der verschiedenen Zylindergläser kann man Rückschlüsse ziehen, ob es sich um einen Champagner-, Bier-. Wein-. Wasser-oder Likörbecher handeln mag.

Darüber hinaus fehlen den Trinkgläsern typische Handhabungsan­zeichen wie Stiel oder Greifzonen, die darauf hinweisen, wo und wie das Glas anzufassen ist, und die im übrigen auch den praktischen Sinn haben, eine Erwärmung des Getränks durch die Hand zu verhindern.

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Lediglich der massive Glasboden, der den Schwerpunkt des Gefäßes nach unten verlagert, sowie der strukturartige Bodenschliff, der sozu­sagen „Bodenhaftung" und einen sicheren Stand assoziieren lässt betonten die ~tandfläche der Gläser zeichenhaft. Doch ungeachtet dessen, dass ein konkav gewölbter Boden, der nur am äußeren Rand aufsteht, statisch günstiger wäre, forderte Loos von Rath: .,Die Boden­fläche möglichst eben und nicht konkav." {8) Formale Motive domi­nierten auch hier vor praktischen Erwägungen.

Insgesamt legt die Gestaltung der Gläser den Schluss nahe, dass sich Loos zugunsten der konsequenten Umsetzung einer formalen Idee über funktionale Anforderungen wie produktionstechnische und gebrauchspraktische Gesichtspunkte sowie ihre anzeichenhafte Umset­zung hinwegsetzte. Kann man ihm in dieser Hinsicht mit Recht Forma­lismus unterstellen, so belegen seine zahlreichen Aufsätze und Vorträ­g~ über Architektur und alltägliche Gebrauchsgegenstände. dass er sich m,t der praktischen Funktion von Objekten sowie ihrer sinnlichen Anmutung eingehend befasste. Über Trinkgläser räsonierte er bei­spielsweise in seinem 1904 publizierten Text Keramika: ,.Dasselbe was­ser kann in einem glase schal und matt, in einem andern frisch wie aus der bergquelle aussehen. Das kann man durch gutes material oder du.rch den schliff erreichen." Und mit Kritik an den „Künstlern" der Wiener Sezession fuhr er fort: ., ... das getränk soll nicht nur gut ausse­hen, es soll auch gut getrunken werden .... unseren künstlern war es vorbehalten, außer unappetitlichem dekor auch noch glasformen zu erfinden'. aus denen man nicht trinken kann. Es gibt wassergläser, aus denen einem das wasser rechts und links bei den mundwinkeln her­ausrinnt. Es gibt liqueurgläser, die nur zur hälfte geleert werden kön­nen." (9) Beide Aspekte -sowohl das gute Trinken wie auch die Anmu­tung von Frische und Reinheit, die das Getränk durch die Lichtbrechungen im Bodenschliff erhält - werden von seinem Trink­glasservice sehr wohl eingelöst. Auch kann man nicht behaupten, dass die Zylindergläser aufgrund ihrer Form tatsächlich unpraktisch oder dis­fu~ktional wären. Im Gegenteil: Als potentielles Universalglas mag ein Zylinderglas mittlerer Größe sogar eine vielseitigere Nützlichkeit entfal­ten als die üblichen Spezialgläser. Denn obgleich Loos dies damals nicht beabsichtigte, wäre es durchaus vorstellbar, verschiedene Getränke aus ein und demselben Becherglas zu trinken. Den Intentionen eines Funk­tionalismus, der mit wenig Aufwand ein Maximum an Effizienz und Nützlichkeit anstrebt. würde dies durchaus entsprechen. und in Laos' sogenanntem „Raumplan"-Konzept. das gemäß der Funktion der Räu­me unterschiedliche Raumhöhen im Hause vorsieht, findet ein solches funktionalistisches Denken exemplarisch Niederschlag. Die unter ande­rem von Walter Gropius erhobene Forderung nach „Schaffung von Typen für die nützlichen Gegenstände des täglichen Gebrauchs" (10) scheint mit der Becherform der Gläser beispielhaft eingelöst.

Wiederholt finden sich in den Schriften von Loos Thesen über den Zusammenhang zwischen dem Praktischen und dem Schönen: ,,Der moderne geist verlangt vor allem, dass der gebrauchsgegenstand prak­tisch sei. Für ihn bedeutet schönheit die höchste vollkommenheit. Und da das unpraktische niemals vollkommen ist. so kann es auch nicht schön sein." (11) In diesem Sinne strebte Loos selbstverständlich nach dem Praktisch-Funktionalen. das nach seiner Überzeugung zugleich auch Schönheit verbürgte - eine Position, die Loos, den frühen Funk-

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tionalisten des 20. Jahrhunderts, mit Gestaltern der jüngeren Genera­tion verbindet.

3. zweifellos stellten die Becher von Loos Anfang der dreißiger Jahre auf dem festlich gedeckten Tisch ein Aufsehen erregendes Novum dar. da die äußerst konsequente formale Reduktion von Trinkgläsern auf eine streng geometrische Zylinderform damals beispiellos war. Selbst heute, fast 70 Jahre später, wirken sie in diesem Kontext noch ungewöhnlich, da sich ihre Form nicht im Bereich von Trinkglasservicen für den gehobenen Bedarf, sondern eher bei billiger Massenware durchgesetzt hat. Da die Gläser ihre hochwertige Qualität - die Brillanz des Kristallglases, die Dünnwandigkeit des Schaftes im Kontrast zum massiven Boden und die Präzision des Bodenschliffs - aber erst bei genauerer Betrachtung erken­nen lassen, wirken sie auf den ersten Blick. der lediglich die Form er­fasst, wie durchschnittliche Maschinenware. Im Widerspruch zu dieser Anmutung hatte sie Loos jedoch von Anfang an für die hochwertige, manufakturelle Fertigung durch Lobmeyr {12) konzipiert. Dass Loos mit seinem Entwurf an der Grenze des Understatements operierte, belegt nicht zuletzt ein Einwand von Stefan Rath: .,Die Ausführung müsste mei­ner Meinung nach ... eine ziemlich exquisite sein. Andernfalls müsste man diese Gläser in Pressglas ausführen, was aber kaum mehr in das Gebiet unserer Erzeugung fallen könnte und womit unseren, wie Sie ganz mit Recht sagen, sehr zu beklagenden Glasschleifern nicht gehol­fen wäre." (13) Außer ästhetischen Gründen waren für Loos damals zwei weitere Motive bei der Entscheidung für den Bodenschliff ausschlagge­bend: Zum einen schätzte er die um die Jahrhundertwende fortschrittli­che englische Handwerkskultur und den von dort kommenden „neue(n) glasschliff, den wir steindlschliff nennen". (14) Und zum anderen sprach er in einem Brief an Rath die „böse Zeit für die Glasschleifer" an; da „der Glasschliff droht, aus der Mode zu kommen", wollte er „wie schon ein­mal in die Glasindustrie rettend" eingreifen. (15)

Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass sein Entwurf im offensicht­lichen Widerspruch mit seinen Thesen steht. die er 1908 in dem berühmten Aufsatz Ornament und verbrechen dargelegt hatte. Dort behauptete er ., ... evolution der kultur ist gleichbedeutend mit dem entfernen des ornaments aus dem gebrauchsgegenstande". (16) Mag es noch eine Interpretationsfrage sein, ob es sich bei dem Steindel­schliff im Boden um ein reines Schmuckornament oder auch um ein Anzeichen zur Betonung der Standsicherheit des Glases und somit um ein uneigentliches Ornament (17) handelt, so fiele die Entscheidung bei dem von Loos alternativ vorgeschlagenen Schliff von kleinen Motiven wie Schmetterlingen oder Aktdarstellungen (vgl. Anm. 4) eindeutig zugunsten des schmückenden Ornaments aus. Darüber hinaus dürfte sich seine Polemik in genanntem Aufsatz insbesondere gegen das handwerklich gefertigte Ornament gerichtet haben, das er für „ver­geudete arbeitskraft und dadurch vergeudete gesundheit" (18) verant­wortlich machte. Zur Erhaltung von Arbeitsplätzen setzt er es indessen bei dem Entwurf selbst ein.

Jahre später präzisiert Loos zwar seine vermeindlich missverstande­ne Position in der Ornamentfrage und rechtfertigt sich in dem Aufsatz Ornament und erziehung: .. Vor sechsundzwanzig jahren habe ich behauptet, dass mit der entwicklung der menschheit das ornament

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am gebrauchsgegenstande verschwinde ... Ich habe aber damit nie­mals gemeint, was die puristen ad absurdum getrieben haben. dass das ornament systematisch und konsequent abzuschaffen sein. Nur da, wo es einmal zeitnotwendig verschwunden ist, kann man es nicht wieder anbringen." (19) Doch das war inzwischen schon eingetreten. Die moderne Zeit hatte ihren Vordenker in diesem Moment bereits ein-. wenn nicht gar überholt, denn Loos· Denken und Wirken hatte auf die Architekten und Designer der jüngeren Generation eine nach­haltige Wirkung ausgeübt. So richtete etwa der Deutsche Werkbund 1924 die Ausstellung Form ohne Ornament aus, deren Titel, wie Mia Seeger sich erinnert, auf Loos zurückging. (20) Und um 1930 hatten maschinell gefertige Serienprodukte, die eine sachlich-funktionale, reduzierte Formensprache aufwiesen und auf Dekor und bürgerliche Statussymbolik verzichteten, durchaus auch den Bereich des gedeck­ten Tisches erreicht - man denke etwa an die schlichten. dekorlosen Gildegläser, die der Holländer Andries D. Copier für die Glasfabrik Leerdam 1930 entwarf (21). an das Urbino-Tafelservice von Trude Petri (1931) oder das Teeservice von Wilhelm Wagenfeld (1930/34), alle­samt Prototypen für eine industrielle Fertigung. Im Vergleich mit diesen Produkten muss Loos' Absicht. mit dem Becherglas „einer neu­en Weltanschauung in den Trinkgefässen eine adäquate Form zu geben" (22) als unzureichend umgesetzt erscheinen. Zwar kündigen sie durch ihre streng formalistische Formensprache als provokante Symbole von Modernität „amerikanische Trinksitten und das maschi­nelle Glas" (23) an; zwar verzichten sie auf eine von Loos wie von den meisten Funktionalisten verabscheute augenfällige Repräsentations­gebärde. Dennoch sind die Bechergläser teure, nur für eine kleine Kli­entel erschwingliche Luxusgüter; und als handwerklich gefertigte Pro­dukte sind sie in einer Zeit. in der das Handwerk zunehmend von einer aufstrebenden Industrie verdrängt wird, noch der Vergangenheit ver­haftet.

Resümee Beispielhaft zeigt sich in dem Glasservice die Ambivalenz und Wider­sprüchlichkeit, die das gesamte Werk des frühen Funktionalisten prägt. Einerseits propagierte Loos eine Kulturerneuerung, schockierte seine Zeitgenossen in Wien und darüber hinaus mit Bauten mit ornamentlo­ser Fassade und mit Vorträgen, in denen er Forderungen nach „neuen, der Zeit entsprechenden Lebensformen, nach dem ,neuen menschen' mit den ,modernen nerven"' (24) erhob. Andererseits zeigte sich Loos in Traditionen verwurzelt, wie beispielsweise seine Liebe zum Hand­werk belegt. So focht er zugleich an mehreren Fronten, nicht nur gegen die Historisten alter Schule und die vermeindlichen Neuerer, die Wiener Sezessionisten, sondern auch gegen die fortschrittlichen Kräfte des Werkbundes, von denen er sich ebenfalls falsch verstanden fühlte. Eine Notiz des Laos-Schülers Y. Kurt Unger illustriert exemplarisch jene Ambivalenz, die in den Arbeiten von Loos durch die ,.Gegenüber­stellung von Alt und Sehr-neu" sichtbar wurde; er erinnert sich an das Wohnhaus von Hans und Johanna Brummei in Pilsen von 1928: .,Hier sah ich etwas mir völlig Neues: ein Haus war z. B. von außen ganz glatt und schmucklos, aber im Innern gab es nicht nüchterne Spitalzimmer, sondern Räume, deren Wände mit Edelholz verkleidet waren, ein geräumiges Wohnzimmer hatte einen großen offenen Kamin, der eine

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in Stein gearbeitete Kopie eines Renaissance-Kamins war, und die Bal­lustrade im Stiegenhaus war eine Kopie aus dem Goethe-Haus in Wei­mar." (25) Zwischen den Traditionen des 19. Jahrhunderts und dem Aufbruch in die Modeme des 20. Jahrhunders stehend, manifestiert sich in Loos· Werk die Widersprüchkeit der Zeit. in der er lebte, deutli­cher als anderswo. Dass sein Trinkglasservice bis heute bei Kennern gefragt ist - übrigens ohne von der Firma Lobmeyr als „Design-Klassi­ker" oder „Loos Edition" öffentlichkeitswirksam lanciert zu werden-, dürfte nicht zuletzt auf die zentrale Bedeutung zurückzuführen sein, die Adolf Loos in der modernen Architektur- und Designgeschichte zukommt.

Anmerkungen (1} Das Service mit Bodenschliff wurde bereits von Markus Frenzl und

Claudia von Hansemann in einer unveröffentlichten Seminararbeit zur Design-Theorie an der Hochschule für Gestaltung Offenbach produktsprachlich interpretiert. Ihr verdankt der folgende Text wesentliche Aspekte.

(2) Glas aus Wien, J. & L. Lobmeyr, Vom Biedermeier bis zur Gegenwart, Ausstellungskatalog Museum Bellerive, Zürich 1979

(3) Burkhard Rukschcio, Roland Schachei, Adolf Laos, Leben und Werk, Salzburg, Wien 1982

(4) Vera J. Behalova, Das Loos-Service von J. & L. Lobmeyr, in: bauforum, Fachzeitschrift für Architektur, Bautechnik, Bauwirtschaft, 1ndustrial Design, Nr. 39, 1973, 6. Jahrgang, Wien, S. 48

(5} Vier Briefe der Korrespondenz zwischen Loos und Rath vom 13., 18., 22. und 26. Mai 1931 sind in dem Beitrag von Vera J. Nehalova,

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a.a.O., wiedergegeben. Daraus geht hervor, dass die ersten Mustergläser einen viereckigen Facettenschliff trugen und Loos später sechs· und achteckige Facetten sowie Böden mit gefärbtem Überfangglas - weiß für Champagner, feueropal für Rotwein und lichtgrün für Weißwein -vorschlug. Auch sprach er von „eingeschliffenen kleinen Motiven: Schmetterling, Fliege, menschliche nackte Figur, kleine Tiere usw.". In der weiteren Literatur finden sich widersprüchliche Angaben. In der Publikati­on von Stefan Rath „Lobmeyr, Vom Adel des Handwerks", Wien, München 1962, schreibt Hermann Fillitz im Vorwort, dass Loos „ein Blatt Papier mit den knapp hingeworfenen Aufrisszeichnungen einer Gläser-

reihe, nichts anderes als fünf Rechtecke, darunter die Unterschrift des Architekten" an Stefan Rath gesandt habe. Weiter führt Fillitz aus: „Während aber Loos zuerst daran gedacht hatte, den Boden durch einen aufwändigen Glasschnitt mit Pflanzen-und Insektendarstellungen als wir­kungsvollen Kontrast zu der strengen Form der Becher zu schmücken, willigte er dann in den Vorschlag Stefan Raths ein, in den Boden nur jenen einfachen, dichten Raster zu schneiden, der bei den Gläsern der Loos-Bar in Wien erstmals verwendet worden war ... ". In derselben Publi­kation behauptet Hans Harald Rath in der Bildunterschrift des Abbildungs­teils, dass die gerade Becherform von Oskar Strnad geschaffen wurde, während Loos die Idee der Bodenverzierung einbrachte.

(6) Brief von Adolf Loos an Stefan Rath vom 22. V. 1931, zit. nach Vera J. Behatova, a.a.O., S. 49

(7) Brief von Adolf Loos an Stefan Rath vom 13. Mai 1931, ebenda (8) Brief von Adolf Loos an Stefan Rath vom 22. V. 1931, ebenda (9) Adolf Loos, Keramika, in: Sämtliche Schriften in zwei Bänden, hg. von

Franz Glück, Wien 1962, S. 253 {10) Walter Gropius, Grundsätze der Bauhausproduktion, in: Programme und

Manifeste zur Architektur des 20. Jahrhunderts, hg. von Ulrich Conrads, Braunschweig 1981, S. 91

(11) Adolf Laos, Weihnachtsausstellung im Österreichischen Museum, in: Sämtliche Schriften, a.a.O., S. 152

(12) Stefan Rath über das Unternehmen: .. Mir genügt es, der Leiter eines vorbildlichen Handwerksbetriebes gewesen zu sein ... Unsere Glasindustrie ist gar keine Industrie, sie ist nur ein manchmal in gigantischem Ausmass industrialisiertes Handwerk.", in: Glas aus Wien, J. & L. Lobmeyr, Ausstellungskatalog, a.a.O., S. 19

(13) Brief von Stefan Rath an Adolf Loos vom 18. Mai 1931, zit. nach vera J. Behalova, a.a.O., S. 49

(14) Adolf Loos. Glas und ton, in: Sämtliche Schriften, a.a.O., S. 59 (1S) Brief von Adolf Loos an Stefan Rath vom 13. Mai 1931, zit. nach

Vera J. Behalova, a.a.0., S. 48 (16) Adolf Loos, Ornament und verbrechen, in: Sämtliche Schriften, a.a.O.,

s. 277 (17) ebenda, S. 282 (18) Zur Definition der Begriffe Ornament, uneigentliches Ornament, Dekor

und Muster vgl. Jutta Brandlhuber, Industrie-Design und Ornament, München 1992, 5. 66 f.

(19) Adolf Loos, Ornament und Erziehung, in: Sämtliche Schriften, a.a.O., S.395

(20) Mia Seeger, Eine Propagandistin der modernen Formgebung, in: Walter Scheiffele, Wilhelm Wagenfeld und die moderne Glasindustrie, Stuttgart 1994, S. 211

(21} Vgl. ebenda, S. 27 (22) Brief von Adolf Loos an Stefan Rath vom 13. Mai 1931, zit. nach

Vera J. Behalova, a.a.O., S. 48 (23) Walter Scheiffele, Wilhelm Wagenfeld und die moderne Glasindustrie,

a.a.0., s. 27 (24) Lore und Ferdinand Kramer, Hommage a Loos - Begegnungen mit ihm,

in: Lore Kramer, Texte, Zur aktuellen Geschichte von Architektur und Design, Walldorf 1993, S. 94 ·

(25) Y. Kurt Unger, Meine Lehre bei Adolf Loos, in: Bauwelt, Nr. 42, 6. 11. 1981, 72. Jahrgang, Gütersloh

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Der Türdrücker Hewi Nr. 111 Der Türdrücker Nr. 111 von Hewi wurde 1969 von Firmeninhaber Rudolf Wilke entwickelt und ist seit 1970 ununterbrochen in Pro­duktion. Seine zweimal rechtwinklig gebogene Form geht auf den so genannten „ Sicherheits-" bezi ehu ng sweise „ Pferd esta 11-Türdrücker" aus dem 19. Jahrhundert zurück. ein einfacher. winklinger Eisenstab, der gerne an Stalltüren angebracht wurde, da das zum Türblatt hin geschlossene Griffende verhinderte, dass die Führungsleine der Pferde hängenbleibt. (1) Aufgegriffen und für ein umfangreicheres Baube­schlägesystem adaptiert wurde diese Form zunächst von den beiden Architekten Knud Holscher und Alan Tye, die bereits Mitte der sechzi­ger Jahre ein umfangreiches Beschlägesystem entwickelten, dessen Tei­le - Sicherheitsdrücker mit Schildern oder Rosetten, Türschoner. Brief­kasten, Klingel. Tür- und Schrankknöpfe. Wandascher etc. - auf dem modularen Raster eines 3 x 3 Inch großen Aluminiumschildes aufbau­ten. Modri<:, der spätere Name des Systems, wurde von „modular geo­metric" abgeleitet und verweist auf diesen Ursprung. (2)

Im Gegensatz zum Modric-System liegt das spezifische Charakter­istikum des Hewi-Programms in der vielfältigen Anwendung des naht­losen Nylon-Rundrohrs, das das Unternehmen aus farbigem Kunst­stoffgranulat mit aufwändigen Spritzgussmaschinen aus eigener Produktion herstellt. (3) Bereits Mitte der dreißiger Jahre wurde mit der Kunststoffverarbeitung begonnen, und 1957 produzierte Hewi den ersten Nylon-Türdrücker Nr. 101, der mit einem Stahlkern

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verstärkt wurde. Noch stand der Nachweis aus, dass der Thermoplast für eine Anwendung in diesem Produktbereich überhaupt geeignet ist. Lehnten sich die ersten Türdrücker aus Nylon formal noch an den damals üblichen organischen Drückertormen an, so gelang dem Unter­nehmen der Durchbruch erst mit jenem U-förmigen Drücker Nr. 111 von Rudolf Wilke. Das nahtlose Nylonrohr wurde zum Grundelement des Hewi-Beschlägesystems, aus dem Wilke -seit den achtziger Jahren in Zusammenarbeit mit dem Architekten Winfried Scholl - eine formal einheitliche Produktpalette entwickelte. Im Laufe der Jahre wurde das Baubeschlägeprogramm um Stangen­systeme, ein Sanitärprogramm, Produkte für Kinder, Ausstattungen für ein barrierefreies Wohnumfeld von älteren und behinderten Menschen sowie ein Rundmöbelprogramm erweitert. Insgesamt umfasst das Pro­duktprogramm heute über 5000 Einzelprodukte in zwölf Farben.

1. Der Hewi-Türdrücker Nr. 111 zeichnet sich durch ein Höchstmaß an Ordnung aus. Das zweimal rechtwinklig gebogene, zylindrische Stan­genprofil mündet direkt in eine kreisrunde Türrosette. Seine stereo­metrische Form ist einfach, weitgehend symmetrisch, geschlossen durch eine gute Fortsetzung, im Raster und im Gleichgewicht.

Eine Undeutlichkeit löst bei genauer Betrachtung jedoch eine Irri­tation aus. Das umlaufende Rohr ist im Radius stärker als in der Geraden. Um einen konstanten Durchmesser bzw. einen parallelen Verlauf von Außen- und Innenradius zu erreichen, wäre eine optische Korrektur durch Vergrößerung des Innenradius notwendig. Die starke Lichtreflektion verstärkt zusätzlich den optischen Eindruck, das Rohr sei in der Geraden eingefallen.

2. Durch das der Hand ergonomisch angemessene Greifvolumen, seine großen Radien, die Geschlossenheit der Form sowie den Verzicht auf scharfe Kanten und Ecken besitzt der Türdrücker Nr. 111 durchaus haptische Qualität. Auch fühlt sich seine glatte Nylon-Oberfläche angenehm an und gibt dem Drücker im Unterschied zu Metall einen warmen Griff. Dennoch erlaubt es das äußerst reduzierte Ge­staltungskonzept nicht, einen Bezug zum menschlichen Körper durch Anzeichengestaltung zu visualisieren. Es wird nicht mit gestalterischen Mitteln - etwa durch eine Differenzierung des Volumens von Hand­habe und Drückerhals oder durch die Verwendung unterschiedlicher Materialien wie etwa bei den rgs-Drückern von Dieter Rams für das Unternehmen FSB Aluminium für die tragenden Teile und Kunststoff für die Griffflächen - ein Körperbezug assoziativ hergestellt. Die ein­fache, stereometrische Form des Drückers weist - im Gegensatz zu den organisch-amorph geformten sogenannten „ Handform-Griffen". die unter anderem Wilhelm Braun-Feldweg in den fünfziger Jahren mit Hilfe von Negativ-Handabdruckformen aus Plastelin entwickelt hatte (4) - keine expliziten Anzeichen für Handlichkeit auf. Zwar haben ergonomische Untersuchungen wiederholt ergeben, dass eine zu enge Orientierung von Türdrückern oder Werkzeuggriffen an der Handform mitnichten in einer griffigen Form resultieren, da sie beispielsweise die Zugriffsrichtung der Hand oder die Position der Finger zu genau vor­geben und den sehr unterschiedlichen Handgrößen der Menschen

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nicht entsprechen würden. Dennoch werden organisch geschwungene Formen eher als ein Anzeichen für den Zugriff durch die Hand ange­sehen als geometrische Formen.

Ein weiterer funktionaler Aspekt wird von dem Drücker Nr. 111 -ebenfalls im Gegensatz zum rgs-Drücker von Rams - nicht anzeichen­haft umgesetzt: Der Drehpunkt, den der Drückerhals zwischen Hand­habe und Schlossnuss bildet, wird durch die gute Fortsetzung des umlaufenden Rohres nicht visualisiert.

3. zweifellos kann der Türdrücker Nr. 111 als Inbegriff des „Internationa­len Stils" oder der „Guten Form" bezeichnet werden, der in der Tradi­tion des Gropius-Drückers, der Standard-Türbeschläge von Ferdinand Kramer für das Neue Frankfurt und des Türdrückers aus dem Haus Wittgenstein steht. Wie diese ist seine Form auf stereometrische Grundformen wrückzuführen und - entsprechend der Maxime von Mies van der Rohe „weniger ist mehr" - auf das Äußerste reduziert. Auch löst der Drücker die Forderung der Modeme nach Rationalität ein: Es muss nur eine Version hergestellt werden, da der Drücker für den Rechts-und Linksanschlag an einer Tür geeignet ist.

Entsprechend dem Selbstmissverständnis des tnternat_ionalen Stils, der kein historischer Stil sein wollte, sondern sich als Uberwindung von Stil begriff und Anspruch auf „zeitlose" Gestaltung erhob, beruft sich auch das Unternehmen Hewi auf eine „langfristig gültige Form". (5) Nicht zuletzt entspricht diese Designauffassung den produktions­ökonomischen Erfordernissen, denn Spritzgusswerkzeuge bedingen sehr hohe Investitionskosten, die sich bei kurzlebigen modischen Pro­dukten nicht amortisieren würden.

Eine gewisse Ambivalenz kennzeichnet indessen die Farbpalette. Zielte moderne Gestaltung darauf ab, dass sich die täglichen Gebrauchsgegenstände möglichst unauffällig im Hintergrund halten und durch ein hohes Maß an Ordnung und Neutralität wenig Auf­merksamkeit beanspruchen, so kommen die angebotenen unbunten Farbtöne Weiß, Lichtgrau, Grau und Schwarz dieser Forderung entge­gen. In einem gewissen Widerspruch hierzu scheinen jedoch die far­benfrohen, leuchtenden Töne Gelb, Rot, Blau und Grün zu stehen, die an Eingängen und Zimmertüren deutliche Akzente setzen. Sie stellen die Sachlichkeit der äußerst rationalen Form in Frage und wecken Asso­ziationen wie Heiterkeit, Kindlichkeit oder Spielzeug.

Da Baubeschläge lange Jahre eine vernachlässigte Produktgruppe waren und kein deutscher Hersteller ein umfassendes, formal einheitli­ches Produktsystem - vom Türdrücker und Fenstergriff über Wandha­ken, Garderobe und Stangensysteme bis hin zu Handtuch- und Toilet­tenpapierhalter - anbieten konnte, errang Hewi in den siebziger Jahren eine Monopolstellung am Markt. Der Türdrücker Nr. 111 sowie die zahlreichen weiteren Elemente dieser Produktlinie wurden von Architekten und Bauherren, die sich der Modeme verpflichtet fühlten, fast alternativenlos im privaten wie auch im öffentlichen Bereich ein­gesetzt. Anfangs war er ein elitäres und neuartiges Produkt. Gestalte­rische Konsequenz. gepaart mit der innovativen Anwendung eines in diesem Produktbereich ungewöhnlichen Materials, hoben die gesamte Produktlinie von Konkurrenzprodukten unverkennbar ab. Auch dürfte die „Kunststoff-Euphorie der sechziger und frühen siebziger Jahre" (6)

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den Erfolg der Produktlinie beflügelt haben. Nylon galt damals als ein modernes Material, das durch die für Hewi charakteristische, hochwer­tige Oberflächenbearbeitung den ihm eigenen ästhetischen Reiz ent­faltete. Sein hoher Glanz war in diesen Jahren positiv besetzt. überra­schenderweise überstanden die Hewi-Produkte den Werte- und Geschmackswandel, der Mitte der siebziger Jahre durch die Ölkrise und die Kritik an der verschwenderischen Konsumgesellschaft ausgelöst wurde. zunächst relativ unbeschadet. Während Kunststoff bald als bil­liger, minderwertiger, kurzlebiger und ökologisch problematischer Werkstoff in Misskredit geriet und beispielsweise im Möbelbereich. in dem die Designer in den sechziger Jahren begeistert damit experimen­tiert hatten, plötzlich völlig „out" war, bot der hochwertige, materiell und ästhetisch langlebige Türdrücker der Kritik zunächst wenig Angriffsfläche. Sein Erfolg war ungebrochen. und das Hewi-Konzept wurde von Konkurrenten plagiiert.

Ob es um die Ausstattung von Bürogebäuden, Schulen, Kindergär­ten, Krankenhäuser. Altenheime und sonstige öffentliche Gebäude oder um den privaten Bereich ging - überall boten sich die langlebi­gen, witterungsbeständigen, vandalismussicheren und problemlos zu reinigenden Produkte an. Durch diesen universellen Einsatz veränderte sich freilich im Laute der Jahre der Kontext, und ein gewisser Übersät­tigungseffekt trat ein. Verstärkt wurde diese Wirkung noch dadurch, dass der Drücker Nr. 111 beziehungsweise das hochglänzende Nylon­rohr in standardisierten Durchmessern den Grundbaustein der formal einheitlichen Produktlinie darstellt. Durch die formalistische Übertra­gung eines Formenkonzepts auf die gesamte Produktpalette entstand der Eindruck, dass Hewi im Grunde nur „ein einziges Produkt" für die unterschiedlichsten Funktionen anbieten würde; hinzu kommt, dass die verschiedenen Produkte assoziativ aufeinander verweisen. Vor allem die massive Anwendung im öffentlichen Bereich dürfte dazu geführt haben, dass auch die einstigen Befürworter mittlererweile einen gewissen Überdruss empfinden. Zum einen werden die Produkte als zu wenig individuell für den privaten Bereich angesehen; zum ande­ren haftete sich ihnen durch die komplette Ausstattung von Kranken­häusern und Altenheimen ein negatives Image an.

Resümee Beispielhaft lässt sich an der Hewi Produktlinie Nr. 111 belegen, wie sich die Bewertung gut gestalteter und bis heute funktionsgerechter Produkte durch ein sich veränderndes Umfeld wandelt. Zugespitzt könnte man sagen, dass der Türdrücker gewissermaßen am eigenen Erfolg scheiterte. Um seine nach wie vor gegebenen Qualitäten erneut wahrnehmen und wertschätzen zu können, wäre es notwendig, die allgemeine Präsenz des seit über 25 Jahren unverändert am Markt angebotenen Produktes zunächst zurückzunehmen. So belegen ver­schiedene Aktivitäten des Unternehmens in den letzten Jahren den Beginn einer Neuorientierung. 1994 wurde bei einigen Produkten der Werkstoff Holz eingesetzt, im folgenden Jahr erweiterte Hewi seine Kompetenz in der Edelstahlverarbeitung durch die Kooperation mit dem Unternehmen Hagri. Darauf aufbauend ist das Projekt „Hewi Manufactur" geplant; auf Kundenwunsch will das Unternehmen spe­zielle Kleinserien ab 200 Stück fertigen, beispielsweise wenn Architekt und Bauherr ein Gebäude mit eigens dafür entworfenen Baubeschlä-

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gen ausstatten möchten. Alle diese Anstrengungen deuten darauf hin, dass Hewi nun - ähnlich wie der erfolgreiche Konkurrent FSB. der seit dem vielbeachteten Workshop 1986 mit international bekannten Architekten und Designern wie Hans Hollein, Mario Botta, Peter Eisen­mann. Alessandro Mendini und Dieter Rams konsequent eine stilistisch breit gefächerte Produktpalette aufbaute - auf Individualisierung und Vielfalt setzt. (7) Könnte es ein deutlicheres Signal dafür geben, dass der Funktionalismus der Moderne seinen einstigen Alleinvertretungs­anspruch aufgibt und auf den Rang eines Partialstils neben anderen stilistischen Richtungen verwiesen ist?

Anmerkungen: (1) Siegfried Gronert, Türdrücker der Moderne, Eine Designgeschichte,

Hg. FSB, Franz Schneider Brakel, Köln 1991, S. 68 (2) Ebenda, S. 70 (3) Ebenda, S. 74 (4} Ebenda, S. 47 f. {5} Designkultur, 1953 - 1993, Philosophie, Strategie, Prozess,

Hg. Rat für Formgebung, Frankfurt am Main 1993, S. 123 {6) Plastics+ Design, Ausstellungskatalog, Museum Künstlerkolonie

Darmstadt, Stuttgart 1997, S. 78 f. {7) Vgl. Otl Aicher, Jürgen W. Braun, Siegfried Gronert,

Türklinken. Workshop in Brakel, Brakel 1987

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Der Elektrorasierer Flex Integral 5550 von Braun Der Flex Integral 5550 wurde 1995 als neues Spitzenmodell der Braun AG auf dem Markt eingeführt. Er löst den fünf Jahre älteren Vorläufer Flex controf ab und soll - glaubt man den Verlautbarungen des Her­stellers - durch eine innovative Schertechnik verbesserte Rasierleistung, besonders in den Problemzonen, bringen: Der flexible Schwingkopf setzt sich aus zwei federnd gelagerten Klingenblöcken mit platinver­edelten Scherfolien sowie einem dazwischen angeordneten lntegral­schneider zusammen; insgesamt 25 Patente zeichnen das neue Modell aus, das je nach Ausstattung bis zu 370 DM kostet.

Der weltweite Erfolg, den Braun bis heute nicht nur mit seinen Elek­trorasierern, sondern mit seiner gesamten Produktpalette hat, ist frei­lich nicht alleine auf technische Innovationen und Gebrauchskomfort zurückzuführen. Internationale Anerkennung, die Aufnahme seiner Produkte in die Sammlung des Museum of Modern Art, New York, errang das Unternehmen vor allem durch sein Design-Konzept, das Mitte der fünfziger Jahre in Zusammenarbeit mit Hans Gugelot und Otl Aicher von der Hochschule für Gestaltung Ulm entwickelt wurde. Pro­dukte für den „modernen Lebensstil", die einfach, ehrlich, praktisch und unaufdringlich sind - dies war das erklärte Ziel. Diesem Ansatz fühlt sich die Designabteilung, die Dieter Rams fast vier Jahrzehnte lei­tete, auch noch Mitte der neunziger Jahre verpflichtet. .,Gebrauchs­geräte sind Werkzeuge und sollen es bleiben. Sie sollen zurücktreten, wenn sie nicht gebraucht werden, und dem Menschen Platz lassen für eine individuelle, selbstbestimmte und lebendige Gestaltung seiner Umwelt. Sie sind weder Kunstwerke, noch Kultobjekte, weder Status­symbol noch Staffage", fordert Dieter Rams. (1)

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Dementsprechend verstehen sich Braun-Designer nicht als „Formkünst­ler" oder „Verpackungsstylisten", sondern als „Gestalt-Ingenieure", die sich der Idee der „Optimierung des Gebrauchswerts der Produkte" ver­schrieben haben. Dabei wird Gebrauchsqualität zunächst ganz unmit­telbar definiert „Ein Braun-Gerät ... muss funktionieren, seinen Zweck erfüllen" (2) - womit zunächst sein praktisch-funktionaler Zweck gemeint ist. Darüber hinaus umfasse die funktionale Qualität Aspekte wie einfache Handhabung und leicht verständliche Bedienung der Geräte, Sicherheit beim Gebrauch, materielle und ästhetische Langle­bigkeit der Produkte sowie Herstelll!ngsgerechigkeit. (3) Doch trotz jahrzehntelanger Detailarbeit an der Verbesserung der Gebrauchs­qualität. ist ein Optimum bislang offenbar nicht erreicht. ,.Bei keinem Produkt. bei keinem Detail haben wir die frappante Zweckmäßigkeit der ,Werkzeuge· erreicht ... " (4), resümiert Rams. Für die Zukunft sehe es Braun als seine Aufgabe an, ,,die technische Entwicklung, aber auch das immer genauere Verständnis der Bedürfnisse der Verwender zu nutzen, um die Produkte Schritt für Schritt weiter zu verbessern." (S)

1. Im Unterschied zu den Rasierermodellen der ersten Jahre ist der Flex Integral - hauptsächlich bedingt durch die Vielzahl der Funktions-, Bedien-und Anzeigeelemente - formalästhetisch relativ komplex. Den­noch ist das Bemühen um Ordnung und Reduktion der Wahrneh­mungselemente unübersehbar, so dass von einer polaren Integration von Ordnung und Komplexität gesprochen werden kann. Die Gehäu­seform ist einfach und geschlossen: ein flacher, langgezogener Quader mit weichen umlaufenden Radien sowie einem an der Flachseite umlaufenden, ebenfalls gerundeten Band. Alle Bedien- und Anzeigen­elemente - der große, flächige Schalter, die Griffnoppen sowie die LCD-Funktionsanzeige, die die Frontseite definieren - ordnen sich streng einem Horizontal-Vertikal-Raster unter. Einzige Abweichung von dem Raster ist die kelchartige Erweiterung des Triple-Schermaga­zins zum Aktionsbereich. Weiterhin wurden die Bedien- und Anzei­genelemente einschließlich Produktgrafik symmetrisch angeordnet; eine Ausnahme machen lediglich die Entriegelungstaste für das Scher­magazin sowie die Einschaltsperre, die sich auf der rechten Gehäuse­seite befinden. jedoch das Gleichgewicht nicht stören. Die an der Gehäuseunterseite mittig plazierte Steckerbuchse für das Netzkabel hat die gleiche Ausrichtung wie das Gehäuse.

Einziger formal undeutlich gestalteter Bereich ist der obere Abschluss des an der Gehäuseseite umlaufenden Bandes. Anstatt eines Kugelradienabschnittes wurde ein kleinerer, verzogener Radius gewählt, der eine undeutliche Lichtkante erzeugt.

Eine gewisse materiale Komplexität erhält das Gerät durch das sei­denmatt verchromte Gehäuse, von dem sich die mattgrauen Kunst­stoffelemente abheben. Kleine Weichplastiknoppen, die auf Front- und Rückseite durch die Gehäuseschale hindurchtretenden, schließen sich nach dem Gesetz der Nähe zu vier vertikalen Reihen zusammen.

Gemäß dem Grundsatz „Konstanz in der Grundform, Änderung in Details. dem Stand der Technik entsprechend'' (6), ist der Flex Integral 5550 eine formale Weiterentwicklung des Vorläufermodells Flex con­trol 4550. Bereits bekannte Merkmale wie beispielsweise Gehäusedi­mensionierung, Griffnoppen oder der relativ große, flächige Schalter

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auf der Frontseite wurden in modifizierter Form beibehalten. Dennoch hebt sich das neue Gerät deutlich von seinem Vorläufer ab.

2. Der flexibler Schwenkkopf und das Dreifach-Schersystem visualisieren überlegene Rasurleistung, Die präzise Passung aller Bauteile sowie die perfekte Ausführung der Oberflächen lassen auf ein qualitativ hoch­wertiges, solides und langlebiges Gerät schließen. Das relativ hohe Gewicht bestätigt diesen Eindruck. das Gehäuse ist keine „Mogel­packung", sondern vollgepackt mit hochwertiger Technik.

Durch seine Proportionen und die großzügigen umlaufenden Radi­en liegt der Rasierer angenehm in der Hand. Der Schiebeschalter auf der Frontseite ist mit einer Hand ergonomisch bequem zu bedienen, eine waagerecht verlaufende Rippe bietet dem Daumen Widerstand und verweist auf die Schieberichtung. Die aus Symmetriegründen rechts und links am Schalter angeordneten Ziffern 0, 1, 2 und 3 zeigen an, dass der Schiebeschalter vier Schaltstufen hat. Erkennbar ist jedoch nicht, dass dadurch unterschiedliche Funktionen ausgelöst werden, nämlich „aus", ,.rasieren mit beweglichem Schwingkopf", ,.rasieren mit arretiertem Schwingkopf" und „zuschalten des Lang­haarschneiders".

Unvereinbar mit der Design-Philosophie erscheint indessen, dass einige Anzeichen irreführend gestaltet sind und von den Nutzern mit Sicherheit falsch „gelesen" werden. Getäuscht dürften sich etwa die meisten fühlen, die das seidenmatt verchromte Gehäuse für ein Metall­gehäuse gehalten hatten - denn tatsächlich handelt sich um ein (hoch­wertiges) Kunststoffgehäuse. Auch die Idee des seitlich umlaufenden Bandes legt die Fehlinterpretation nahe, dass dies ein Chassis für die Technik sei. Das Gehäuse ist jedoch nicht in Schalenbauweise, sondern als Hülse gebaut. Insofern ist das umlaufende Band mit den beiden deutlichen Absätzen nicht als Anzeichen für konstruktiv bedingte Trennfugen zu interpretieren, sondern als ein rein formalästhetisch motiviertes Zeichen. welches das Gehäusevolumen gliedert. streckt und flacher erscheinen lässt.

Bemerkenswert ist darüber hinaus die Anordnung der kleinen Weichplastiknoppen auf dem Gehäuse: Während sie bei älteren Rasie­rertypen wie dem micron plus oder dem Flex control relativ dicht auf der Greiffläche plaziert waren und - neben ihrer Wirkung als „unei­gentliches Ornament" - die Griffigkeit der Geräte tatsächlich erhöh­ten, wurden bei dem Flex Integral die Abstände zwischen den Punkte­reihen auf fingerbreite vergrößert. Dadurch bieten die Noppen der Hand kaum noch Halt, sie werden zu dekorativen Punkten. zu einem wirklichen Ornament.

Unbefriedigend sind auch zwei weitere Details; zum einen die Gestaltung der Einschaltsperre gegen unbeabsichtigtes Einschalten auf der rechten Gehäuseseite. Ausgeschaltet bildet sie mit dem umlaufenden Band eine gute Fortsetzung, so dass nicht deutlich wird, dass es sich um ein Bedienelement handelt. Im eingeschalteten Zustand hingegen entsteht ein Formsprung, der Unbehagen hervor­ruft. Der senkrecht durchgehende Markierungsstrich auf der Taste, der entsprechend der Kennzeichnung auf dem Gehäuse anzeigt. ob die Sperre ein- oder ausgeschaltet ist. wirkt in seiner formalen Ausprä­gung wie eine Trennfuge.

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Eine weitere Irritation löst die runde Entriegelungstaste für das Scher­magazin auf der rechten Geräteseite aus. Nahe dem Schwenkkopf­Drehpunkt plaziert, wird sie als Anzeichen für diesen Drehpunkt gehal­ten; ein Missverständnis, das bei einer länglichen Tastenform nicht entstände.

3. Technische Innovationen wie zum Beispiel das aufwändige Dreifach­Schersystem und die automatische Akku-Pflege, das trotz funktionaler Komplexität verhältnismäßig hohe Maß an gestalterischer Or~nung und Übersichtlichkeit sowie die hohe Fertigungsqualität vermitteln. dass es sich um ein leistungsfähiges Spitzengerät für anspruchsvolle Nutzer handelt. Der Flex Integral ist ein Gerät für Männer, für die ,, technische Führerschaft" (Braun) ein erstrebenswertes Ziel darstellt. Er ist ein hochwertiges, modernes Werkzeug, von dem man beste Resultate erwarten darf, und ruft Assoziationen wie Wertigkeit, Lang· lebigkeit, Sachlichkeit. Präzision und Eleganz hervor. Entgegen dem Anspruch, keine Prestigeobjekte anzubieten, ist der Rasierer -. nicht zuletzt aufgrund seines Preises - ein Statussymbol. Im Unterschied zu den deutlich kleineren und leichteren Lady-braun-style-und Silk-epil­Damenrasierern mit mattiertem weißem Kunststoffgehäuse, erwecken die silbermetalligen und schwarzen Herrenmodelle eine maskuline und technisch kühle Materialanmutung.

Entsprechend der funktionalistischen Gestaltungsauffassung, a_uf die sich Braun offiziell seit Jahrzehnten beruft, sind Veränderungen Im Design vor allem von technischen Innovationen oder Ideen zur_verbes­serung des praktischen Gebrauchsnutzens der Geräte abzuleiten. So stellt sich die Frage, inwiefern beim Flex Integral die funktionale Qua­lität wirklich weiterentwickelt wurde. Was dürfen die Nutzer von der neuen Schertechnik erwarten, die Anlass für den Modellwechsel gab? Führt die ,.permanente Combi-Rasur" (Braun) wirklich zu besseren Resultaten, die die Anschaffung des Rasierers rechtfertigen würden?

Die Stiftung Warentest. die regelmäßig vergleichende Warentests durchführt und durch aufwändige technische Untersuchungen selbst minimale Qualitätsunterschiede bei den Rasierergebnissen aufzu­spüren versucht. kommt bei ihrem 1995 durchgeführten Test, an dem unter anderem das Braun-Spitzenmodell teilnahm, zu einem Ergebnis. das durch das subjektive Urteil der Probanden bestätigt wurde: Die handelsüblichen Rasierapparate der verschiedenen Hersteller nehmen sich in der Qualität nicht viel. der Flex Integral rasiert nicht gründlicher oder anhaltender als ein weitaus billigerer No-Name-Rasierer. In tech· nischer Hinsicht bestehe zwischen den verschiedenen Konkurrenzmo­dellen sogar schon seit Jahren Patt-Stellung. (7) Braun Technikvorstand Bernhard Wild sieht das freilich anders. Da die Rasierer heute im Wesentlichen gleich gut seien, plädiert er für größere Versuchsgrup­pen, um die minimalen Differenzen statistisch signifikant herauszuar­beiten. In einem sechswöchigen Blindversuch habe man im Unterneh­men gerade ermittelt, dass der neue Braun-Rasierer die Rasierzeit mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit im Durchschnitt um 3,6 Sekunden verkürze. (8) Wie in vielen anderen Produktbereichen, scheint auch bei den elektrischen Rasierern ein Grenznutzen erreicht; um nicht mehr wahrnehmbare „Qualitätssteigerungen" zu erzielen, müssen Investi­tionen in Millionenhöhe aufgebracht werden. Der größte Vorteil des

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Mehrfach-Schersystems dürfte darin liegen, dass es sich in der Wer­bung besonders überzeugend darstellen lässt; oder andersherum for­muliert: Die Techniker entwickelten das, was sich als Werbeargument gut darstellen ließ.

Resümee Wie die produl<,tsprachliche Ana lyse des Flex Integral zeigt und wie auch aus den Äußerungen von Dieter Rams beziehungsweise der Braun AG hervorgeht, bemüht sich das Unterne hmen, die Produktge­staltung in der Kont inuität der frühen Anfänge fortzuführen . .,Gutes Design ist" , wie Rams postuliert , ,,möglichst wenig Design", es ist ruhig, leise und rational nachvollziehbar. Gestalterische Inkonsequen­zen wie etwa die Vortäuschung eines anderen Gehäusematerials 0der das Noppenornament fallen erst bei genauerer Untersuchung auf.

Als fragwürdig erscheint das Beharren auf der Idee rationaler Gestaltung aus anderen Gründen. Da das neue Mehrfach-Schersystem nicht besser. sondern nur anders ist als das alte, entpuppt sich die neue Technik als „Scheintechnik" , die darau f abzielt, .,nicht den Nutzen des Produkts zu erhöhen, sondern für den Moment des Verkaufs Illusionen zu erzeugen" (9) : Die Illusion, den besten Rasierer aller Zeiten „für das schwierigste Gelände der Welt" (Braun-Anzeige) zu E!rWerben. Die ver­meindliche technische Innovation steht somit auf der gleichen Stufe wie das aus funktionalistischer Sicht streng verpönte Styling. Nicht eine neue „Reizästhetik" (Rams), sondern die vorgeblich bessere Technik wird hier zum Mittel, die Vorgängergeräte veraltet erscheinen zu las­sen und den Modellwechsel zu forcieren. Und dafür hat Braun ebenso wie die Konkurrenz gute Gründe, denn in gesättigten Märkten kann die Branche nicht allein vom Ersatzbedarf defekter Geräte leben. „Gew inn bringen jene Kunden, die sich, koste es, was es wolle, stets mit dem neuesten Modell rasieren wolle n." (10) Nach Schätzung von Braun werden heute für zehn neue Rasierer etwa vier funk tionstüchti· ge Geräte aussortiert. Das Unternehmen müsste es wissen, schaltete es doch beispielsweise im Spiegel (Heft 18/1996) die Anzeige: , Wer ist schon scharf auf Ihren alten Rasierer?' - ,Wir. Aktion Alt gegen neu. Wer jetzt einen Braun Flex Integra l kauft, spart Geld. Denn bis zum 31. 8. 96 ist Ihr alter Elektrorasierer Geld wert - egal, von welcher Marke und wie alt er ist.' .,Angesichts solcher Werbemethoden scheinen auch die in der Design-Philosophie verankerten Prinzipien Wahrheit und Seriosität, der Vorsatz, ,.in den Verbrauchern ein Gegenüber mit Ver­nunft und Anspruch auf Respekt und kein Objekt für Manipulation" (11) zu sehen, ins Wanken geraten zu sein.

Fazit: In einer Marktsituation, in der durch den hohen Wettbe­werbsdruck ein Unternehmen in der Größe der Braun AG mit schlicht funktionstüchtigen Geräten seine Marktanteile nicht halten, geschwei­ge denn weitere hinzugewinnen kann, hat sich eine Gestaltungsphilo­sophie, die von der reinen, rationalen Funktion und einem eindeutigen Mittel-Zweck-Verhältnis ausgeht, überlebt . Wird dennoch an ihr fest­geha lten, so wird sie durch die Macht des Faktischen k0nte rkariert So war die Überraschung auch nicht mehr allz_u groß, als im Sommer 1997 im Rahmen einer Sonderakt ion ein vielfarbiges Modell des Flex Integral im „Sport ler-Look" angeboten wurde - der bislang nach außen sorg­fältig aufrec hte rhaltene Anschein von Traditionspfl~ge beginnt zu bröcke ln. Mit dem Ausscheiden von Dieter Rams aus der Leitung der

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Abteilung Produktgestaltung bei der Firma Braun scheint eine der letz­ten Festungen der „Guten Form" unsicher geworden.

Anmerkungen (1) Dieter Rams, funktionales Design ist eine Zukunftsaufgabe, in:

Design - Dasein, Ausstellungskatalog Hamburg 1987, S. 158 (2) Designkultur, 1953 - 1993, Philosophie, Strategie, Prozess, hg. vom Rat

für Formgebung, Frankfurt am Main 1993, S. 83 f. (3} Ebenda {4) Dieter Rams, Produkt-Design in den sechziger Jahren, in:

Deutsches Design 1950 - 1990, hg. von Michael Erlhoff für den Rat für Formgebung, München 1990

(5) Designkultur, s. Anm. 2 (6) Franc;ois Burkhardt, lnez Franksen (Hg.), Design: Dieter Rams &,

Berlin 1980, S. 193 (7) Test, Stiftung Warentest, Heft 12/1995 (8) Frank Drieschner, Der Bart ist längst ab, in: Die Zeit, Nr. 17, 19. 4.

1996, s. 79 (9) Wolfgang Pauser, Scheintechnik, in: Welche Dinge braucht der Mensch?

hg. von Dagmar Steffen, Gießen 1995 (10) Frank Drieschner, s. Anm. 8 (11) Christian Deutsch, Ab.schied vom Wegwerfprinzip, Die Wende zur

Langlebigkeit in der industriellen Produktion, Stuttgart 1994, S. 119

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3.2 Neue Hüllen und Oberflächen Für Jahrzehnte galt Designern, die in der Tradition der funktionalen Gestaltung oder der „Guten Form" standen, Styling als Inbegriff des Verwerflichen. Während sie sich bei der Gestaltung von Industriepro­dukten vor allem Werten wie materieller und ästhetischer Langlebig­keit sowie der Erhöhung des Gebrauchswertes verpflichtet fühlten, sahen sie das Tun mancher Kollegen als „Hüllenmacherei für Maschi­nen, Apparate und Öfen", als „dekoratives Variieren von Bestecken, Gläsern. Porzellan, Möbeln und anderem Hausrat", als „kosmetische Faltenglättung" (Wagenfeld) oder als „Face-Lifting" an. Statt Produkte in enger Zusammenarbeit mit den Ingenieuren als integrale Einheit von neuer. fortschrittlicher Technik, verbesserten praktischen Gebrauchs­funktionen und äußerer Form zu entwickeln. würden die Stylisten lediglich gefällige, formale Überarbeitungen von bereits bestehenden Produkten entwerten. Motiv seien rein ästhetische und marketingori­entierte Aspekte, um die Produkte für Konsumenten attraktiver zu machen und beständig neue Kaufanreize zu schaffen. Ob diese Vor­würfe immer gerechtfertigt waren oder nicht auch manches Mal gegen Produkte und Entwerfer vorgebracht wurden, die sich nicht dem Stil­diktat der „Guten Form" fügten, sei dahingestellt. Fest steht aber, dass Styling-Maßnahmen, vor allem das Streamlining, nach der Wirtschafts­krise von 1929 in den USA erstmals gezielt - und auch mit Erfolg -angewendet wurden, um den Konsum anzukurbeln und die Wirtschaft zu beleben. Und spätestens seit die europäischen Märkte in den sech­ziger Jahren von Überproduktion gekennzeichnet sind, gibt es auch für hiesige Unternehmen Motive, statt kosten- und zeitintensive Neuen_t­wicklungen zu betreiben, ein bereits existierendes Produkt bloß in

einer neuen Hülle auf den Markt zu bringen. Nach der Postmoderne-Diskussion und der Zäsur. die die italieni­

schen Gruppen Alc:himia und Memphis für das Design in den achtziger Jahren brachten, ist die alte Polarität zwischen „Guter Form" und „Sty­ling", die ein Drittes nicht zuließ, inzwischen nicht mehr haltbar. Eine gruppenspezifische Produktsymbolik wurde bei Konsumgütern und Accessoires mindestens so wichtig wie der praktisch-funktionale Gebrauchswert, so dass bereits von einem „Positionstausch zwischen ... Ware und Verpackung, Sein und Schein" (Welsch 1993) die Rede ist. Die Nachfrage der Konsumenten nach stilistisch differenzierten Produkten. mit denen in der sozialen Kommunikation Zeichen gesetzt werden kön­nen, sowie die von einigen Unternehmen erfolgreich praktizierte Stra­tegie, dem beschleunigten Wettbewerb am Markt durch ständig wech­selnde Dekore flexibel und kostengünstig Rechnung zu tragen. begünstigen eine neue „Dominanz der Oberfläche" (Buck 1998). In Verbindung mit der digitalen Technologie ist zu erwarten, dass dekora­tiv-narrativ gestaltete Betrachter-Oberflächen auch bei bisher vernach­lässigten Produktgruppen an Relevanz gewinnen werden. Selbst eine neue Ornamentik wird denkbar und mit ihrer Bedeutung für die emo­tionale Zuwendung und soziale Kommunikation begründbar.

Das Dampfbügeleisen Surfline II von Rowenta Das Rowenta-Bügeleisen Surfline II wurde 1994 als ein Nachfolgemo­dell des Gerätes Surfline Titan Plus auf dem Markt eingeführt und erhielt von der Stiftung Warentest - ebenso wie 14 technisch-funktio­nal vergleichbare Dampfbügler - das Qualitätsurteil „gut". Mit einem

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nehmen. Obwohl die Anzeichengestaltung des Sehaltersystems insge­samt nicht optimal ist, werden Handhabung und Bedienbarkeit nach Ansicht der Stiftung Warentest dadurch kaum eingeschränkt; sie bewertete die Handhabung immerhin mit „gut".

Ein gut gestaltetes Detail ist schließlich die bewegliche Kabelschutz­tülle. Der runde Drehpunkt und das trichterförmige Ende der Tülle betonen die Beweglichkeit des Kabels und signalisieren wirkungsvollen Schutz vor Kabelbruch. Da der Drehpunkt jedoch nicht vollständig in das Heck eingebettet ist, liegt das Bügeleisen irritierenderweise teil­weise auf dem Gelenk auf, wenn man es bei Nichtgebrauch auf dem Heck senkrecht aufstellt.

3. Auf den ersten Blick wirkt das Dampfbügeleisen „overdesigned". Der türkisgrüne, transparente Gerätekorpus, der - abgesehen von der Heckpartie - mit dem Modell Delphino weitgehend identisch ist, evo­ziert Assoziationen an Wasser, Wellen, tropische Meere (so, wie sie in der Werbung dargestellt werden) und Delphine, der Produktname ver­weist auf den Trendsport Windsurfen. Offensichtlich stellt sich Surfline II als ein Gerät für Nutzer dar, die sich durch derartige Assoziationen gerne von langweiliger Bügelarbeit ablenken lassen, beim kompensa­torischen „Wellenreiten auf dem Bügelbrett" von größeren Abenteu­ern tagträumen und im Übrigen die Hausarbeit nicht mehr so ernst nehmen. Gemessen an anderen heute im Handel befindlichen Bügelei­sen, die produktsprachlich in der Tradition der sachlich-funktionalen .,Guten Form" stehen und durch ihren Arbeits· und Werkzeugcharak­ter geprägt sind, wirkt die Aufladung von Surf/ine II mit derartigen Tier- und Surfassoziationen sehr willkürlich und auf einem niedrigen Niveau; die aktuelle Tendenz. über ein Produkt einen bestimmten ,.Lifestyle" zu verkaufen, erscheint überzogen.

Erst bei genauerer Betrachtung treten die etwas subtileren Gestal­tungsmerkmale hervor. Die türkisgrüne Farbe suggeriert zum einen Fri­sche, Sauberkeit und Hygiene - Vorstellungen. die eine Affinität zur frisch gewaschenen Wäsche aufweisen. Auch der symbolische Anklang an Wasser zeigt einen sinnvollen Bezug zum Objekt Dampfbügeleisen. das ja mit Wasser betrieben wird. Durch die Wahl von transluzentem Kunststoff, der den Blick in den Tank freigibt, wirkt das Produkt zum einen angenehm leicht und wendig. Zum anderen wird damit ein von der Firma Authentics angeführter Trend aufgegriffen: Durch die Ober­flächenveredelung des transparenten Kunststoffes werden Assoziation an sandgestrahltes Glas geweckt. die dem Material eine höhere Wer­tigkeit verleihen.

Gleichwohl dominiert die eher plumpe Lifestyle-Anspielung, die Surfline II zu einem Paradebeispiel für Styling macht, jene „Manipula­tion und besondere Aufmachung der Erscheinung bzw. der Oberfläche eines Produkts, dessen Gebrauchswert dadurch nicht verbessert wird" (3), vergleichbar etwa mit dem von Raimund Loewy Mitte der dreißiger Jahre gestalteten stromlinienförmigen Bleistiftanspitzer. Das auffallend modisch gestylte Produkt steht somit in Widerspruch zum Markeni­mage von Rowenta, das bislang durch Sachlichkeit, Seriosität und hohe Qualitätserwartungen geprägt ist. Und es widerlegt ebenfalls das Rowenta-Designverständnis: .,Somit betrachten wir unsere Erzeugnisse auch als ,Haushaltswerkzeuge'. von denen erwartet werden kann, dass

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sie arbeitserleichternd und funktionalistisch sind. Unser Ziel ist es, lang­lebige Design- und Produktzyklen zu schaffen." (4)

So stellt sich die Frage. welche Firmenstrategie mit der neuen Pro­duktlinie verbunden ist. Wie Alban Stützer pragmatisch betont. dürfe Design niemals „ Selbstzweck" sein, sondern habe den übergeordneten Unternehmenszielen wie Wachstumsorientierung und Kundenzufrie­denheit zu dienen. Entsprechend rangieren bei Rowenta in einem drei­zehn Punkte umfassenden Anforderungsprofil an die gestalterische Arbeit nach Kriterien wie „durch humane, verständliche Technik die Erklärungsbedürftigkeit der Erzeugnisse reduzieren", .,erhöhten Nut­zen bieten (technisch, ökonomisch und psychologisch)" sowie „das Preis-Leistungsverhältnis für den Verbraucher und letztlich auch für Rowenta optimieren" bereits an vierter und fünfter Stelle „gewinn­und renditebringend sowie liquiditätsfördernd sein'' und „bestehende Marktanteile festigen und ausbauen". (5)

Heute beträgt der Marktanteil von Rowenta und Tefal am deut­schen Bügeleisenmarkt etwa 30 Prozent. Da die Möglichkeiten von technischen Verbesserungen oder Preisvorteilen weitgehend ausge­schöpft sind, kommt dem Design als entscheidendem Wettbewerbs· faktor ein hoher Stellenwert zu. Dass sich in dieser Situation durch Beharren auf dem alten Konzept sachlich-funktionaler Gestaltung, dem überdies die meisten Marktkonkurrenten folgen, kaum neue Marktanteile hinzugewinnen lassen, liegt auf der Hand. Auch elitäre Gestaltungskonzepte, die von anderen Unternehmen konsequent ver­folgt werden, dürften bei der Eroberung von internationalen Massen­märkten ausscheiden. Ziel der Designabteilung war es daher, die Einen­gung durch sachliche Gestaltung aufzubrechen und die gewachsene Marke unter „Wahrung und Beachtung der Identität unserer Firmen­kultur" (6) um neue Qualitäten zu bereichern. ,.Jung, innovativ, aktu­ell" (7)- diese Felder sollten durch Surfline II besetzt werden, um „mit den Mitteln der Gestaltung ... eine sinnvolle und behutsame Weiter­entwicklung des Rowenta-lmages" (8) zu bewirken.

Resümee Der schwierige Spagat zwischen trendorientiertem und somit eher kurzlebigem Design einerseits und langlebiger Technik andererseits scheint zunächst gelungen. Unterstützt von massiver Fernsehwerbung auf sieben Kanälen. avancierte Surfline II mit über einer Million abge­setzten Geräten zum meistverkauften Dampfbügeleisen in Deutsch­land. (9) Die ungewöhnliche Gestaltung traf offenbar spontan das Lebensgefühl jüngerer Menschen und all jener, die sich für junggeblie­ben halten. Äußerst zweifelhaft ist jedoch, inwiefern Rowenta mit die­sem Gerät seinem Anspruch „langlebige Design- und Produktzyklen schaffen" zu wollen, gerecht wird. Vielmehr scheint der von Gerda Tor­nieporth, Professorin für Fachdidaktik Haushalt/Arbeitslehre an der TU Berlin. reklamierten „Wegwertmentalität" im Bereich der Elektroklein­geräte weiterer Vorschub geleistet worden zu sein. Rückgreifend auf die jährlichen Erhebungen der Hauptberatungsstelle für Elektrizitäts­anwendung (HEA), stellte Tornieporth fest, dass zwar seit mehreren Jahren fast hundert Prozent aller bundesdeutschen Haushalte ein Bügeleisen besitzen, dennoch zwischen 1985 und 1992 jedes Jahr vier Millionen Bügeleisen verkauft wurden. ,,Das normale Bügeleisen wur­de durch ein Dampfbügeleisen ersetzt, dieses durch eines mit ,Dampf-

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stoss', mit ,Sprühvorrichtung gegen Knitterbehandlung', mit elektroni­scher Abschaltautomatik, mit transparentem Wassertank; der neueste Hit sind kabellose Geräte mit separatem Aufheizsockel." (10) Ähnlich wie bei elektronischen Geräten die „ featuritis" (Norman), greift hier die Ausstattung neuer Produkte mit technischen Zusatzfunktionen um sich. und noch gebrauchsfähige, ältere Geräte erscheinen plötzlich als überholt und veraltet. Doch wie Surfline II einmal mehr zeigt, kann die­ser Effekt ebenso durch ästhetische Obsoleszenz erzielt werden. Inso­fern bleibt abzuwarten, wie der Versuch einer Aussöhnung von jun­gem. trendigem Styling und traditionellen Qualitätsansprüchen das Markenimage von Rowenta längerfristig prägen wird. Abzuwarten bleibt darüber hinaus, wie die stilistische Varianz in der Rowenta-Pro­duktpalette sich auf das Image auswirkten wird; denn um seine tradi­tionellen Kundengruppen nicht zu verlieren, wird - neben den Trend­produkten Surfline II und Delphino - eine breite Palette weiterer Produkte für die unterschiedlichsten Ansprüche und Vorstellungen angeboten: für ehrgeizige Büglerinnen beispielsweise der sachlich­funktionale airopress Bügelarbeitsplatz mit Dampfgenerator, für tradi· tionellere Märkte das Rowenta professional mit Chromhaube, für Män­ner, die selbst zum Bügeleisen greifen, das Modell Power Injektion, für gelegentliche Bügler das Trockenbügeleisen Avantgarde - um nur eini­ge zu nennen.

Anmerkungen (1) Knackpunkt Kalk, in: test, Stiftung Warentest, Heft 8/1996 (2) Franz Alban Stützer, Weder Handwerker noch Bastler: Der Designer als

Generalist, Produktgestaltung und Management bei Rowe<lta, in: Brigitte Wolf (Hg.), Design-Management in der Industrie, Gießen 1994, s. 130

(3) Gert Selle, Die Geschichte des Design in Deutschland von 1870 bis heute, Köln 1978, S. 223

(4) Franz Alban Stützer, a.a.0., S. 140 (5) Ebenda (6) Ebenda (7) Franz Alban Stützer in einem persönlichen Gespräch am 23.4.1997 (8) Franz Alban Stützer, a.a.O., S. 138 (9) Franz Alban Stützer in einem persönlichen Gespräch am 23.4.1997 (10) Gerda Tornieporth, Technik im Haushalt: Knopfdruck - Arbeit weg?, in:

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Dagmar Steffen (Hg.), Welche Dinge braucht der Mensch?, Gießen, Frankfurt 1996, S. 57

Der Kleinwagen Ka von Ford Als der Kleinwagen Ford Ka im Oktober 1996 auf dem Markt einge­führt wurde, eilte dem aus einer Designstudie des jungen Briten Chris Svensson hervorgegangenen Auto der Ruf voraus, es sei „mutig, unverwechselbar, charaktervoll. revolutionär, subtil ... ". ja sogar ein ,.Meilenstein des 90er Jahre Car Styling in der Kompaktklasse". {1) Auch marketingstrategisch war es geschickt plaziert: Als billigstes Automobil der Ford Werke AG - rund 18.000 DM kostet es mit Basis­ausstattung - wurde der Ka zielgerichtet unterhalb des Ford Fiesta, des bislang kleinsten Wagens des Herstellers. angesiedelt, denn dieser fiel in den letzten Jahren wie die Automobile aller Klassen stetig größer und komfortabler aus und hatte sich als ein vollwertiges Fahrzeug der B-Klasse etabliert.

Indessen eröffnete sich im Segment der kleineren und kleinsten Fahrzeuge seit einigen Jahren ein wachsender Markt. Beispielsweise verkaufte sich der bereits 1993 eingeführte Renault Twingo, ein typi­scher Vertreter der sogenannten Sub-8-Klasse, sehr erfolgreich. Da bereits im nächsten Jahr weitere Fahrzeuge dieser Klasse von Opel, VW und Mercedes erwartet wurden. wollte sich Ford seinen Anteil an diesem Marktsegment mit der Positionierung des Ka rechtzeitig sichern. In Abgrenzung zu A-Klasse-Fahrzeugen, etwa dem Fiat Cin­quecento oder dem Rover Mini, die als Basis-Transportmittel für den Stadtverkehr gelten und Abstriche an Fahrkomfort und Sicherheit erfordern, ist der Anspruch bei Sub-B-Ktasse-Fahrzeugen höher. Ka wurde als vollwertiges Fahrzeug für Nutzer konzipiert. die sich mit dem Platzangebot eines Kleinwagens begnügen, jedoch Wert auf Fahrdynamik. Sicherheit und Komfort legen. Angeboten wird er in zwei Versionen, mit 50 oder 60 PS, letztere sind serienmäßig mit Servolenkung, optional mit Klimaanlage, Zentralverriegelung und elektrischen Fensterhebern ausgestattet. Das passive Sicherheitskon­zept des Wagens entspricht dem von größeren Wagen. Die großen, unlackierten Kunststoff-Stoßfänger sind unempfindlich gegen Kratzer und nach Kollisionen kostengünstig auszutauschen. Entsprechend niedrig ist die Einstufung bei der Haftpflichtversicherung. Mit einem Benzinverbrauch von 7,4 Litern Super bleifrei im Gesamtschnitt. der bei forscherer Fahrweise oder im Stadtverkehr auf bis zu 8,8 Liter ansteigt, gehört das Modell allerdings nicht zu den sparsamsten. Autokritiker Peter Klingenberg zufolge ist er „heutzutage für ein sol-

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ches Kompaktauto indiskutabel". Das Auto müsste möglichst rasch mit einem sparsameren Motor ausgestattet werden. (2)

1. Die gesamte Fahrzeugkarosserie wird durch großzügige, plastisch gespannte Flächen bestimmt. Die Form wirkt einfach und durch gute Fortsetzung geschlossen, die Konturen sind in der Front-. Seiten- und Rückansicht stark gerundet. Elemente wie Fenster und Scheinwerfer wurden bündig mit geringem Versatz zur Oberfläche eingepasst, auch die großen Kunststoff-Stoßflächen sind formal in die gesamte Karosse­rie integriert, nur der Material- und Farbkontrast verleiht ihnen einen additiven Charakter. Undeutlich ist der Verlauf der seitlichen Lichtkan­te; sie verläuft zunächst markant und leicht ansteigend vom vorderen Stoßfänger über die Tür, wird dann aber zunehmend flacher und endet unbestimmt.

Ein hohes Maß an Spannung erhält die integrale Fahrzeugform durch eine schwungvolle, elliptische Linienführung. Da die überge­ordnete Linienführung der Karosserie die Position und Form von Funktionselementen wie Frontscheinwerfer und Rückleuchten maß­geblich bestimmt. haben diese nicht mehr den Charakter von formal eigenständig ausgebildeten Komponenten und erhalten eine relativ willkürlich wirkende Form. So ergibt sich etwa die Ausbildung der Frontblinker durch die verlängerte Linienführung des ovalen Kühler­grills, und die spitzwinkelige, dreieckige Form der Frontscheinwerfer wird durch die Begrenzung der Motorhaube vorgegeben. Ebenso definiert die Linienführung der hinteren Stoßfänger die Ausbildung der Rückleuchten. Der Hersteller bezeichnet diese Linienführung als „New Edge"-Design. ,,Diese Art des Designs vereint Flächen und Winkel in einer bisher noch nicht gekannten Weise. Insgesamt wirkt der Ka zwar rund, aber viele Karosserieelemente sind spitz oder win­kelig gestaltet." (3) Durch diese im Automobilbereich ungewohnte Formensprache kann der Ka mit Recht Neuigkeitskomplexität bean­spruchen.

2. Insgesamt visualisiert die gerundete, integrative Fahrzeugform die Schutzfunktion des Fahrgastraumes sehr gut. Die gespannten Flächen signalisieren Stabilität, und im Vergleich zu anderen Fahrzeugen der gleichen Klasse wurden Zeichen für Aerodynamik zurückgenommen. Somit kommt der Anspruch eines kleinen, dennoch sicheren Autos in der Gesamtgestalt glaubhaft zum Ausdruck. Durch die rein formal motivierte, kompositorische Linienführung des „New-Edge"-Design werden allerdings Funktionselemente wie Scheinwerfer, Rückleuchten, Blinker oder Stoßfänger in Formen gezwungen, die auf ihre eigentliche Aufgabe keinerlei Rücksicht neh­men. Beispielsweise sind die keilförmigen Scheinwerfer kein adäqua­tes Anzeichen für ihre Aufgabe; ihrer Form liegt weder ein lichtbün­delnder runder Parabolspiegel noch ein die Straße ausleuchtender Breitstrahler zugrunde. Ebenso haben die Stoßfänger eine eigenstän­dige, ihrer Funktion entsprechende Form eingebüßt. Durch ihre inte­grative Konzeption wurden sie gewissermaßen zu Karosserieteilen, die sich lediglich durch Farbe und Struktur abheben. Die Entwicklung eines technisch sinnvolleren Konzeptes, nämlich die wuchtigen Front-

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und Heckstoßfänger miteinander zu verbinden und als Fahrwerk­Chassis auszubilden, wurde somit versäumt.

3. .,Ungewöhnlich eigenständig im Design" (4} und „bewusst anders" (5) - mit diesen Begriffen charakterisiert Ford in verschiedenen Bro­schüren sein neues „zukunftsweisendes Automobil". In der Tat ist es gelungen, den Ka von der Vielzahl sich formal ähnelnder Fahrzeuge deutlich abzuheben. Durch seine eigenwillige Formensprache hat er einen unterscheidbaren Charakter und kann bislang Alleinstellung beanspruchen.

Der Ka ist ein Kleinwagen, der gerne groß auftritt. Durch seine dynamisierte Linienführung grenzt er sich deutlich ab von kindlich-lieb anmutenden „Straßenhopplern" wie Twingo, Cinquecento oder Smart. Sein Vorbild sind die größeren Limousinen, gegen die er sich als Klein­wagen durch selbstbewusstes Auftreten freilich behaupten will: Der Radstand, der durch den sich nach oben stark verjüngenden Fahr­gastraum relativ breit wirkt, vermittelt Standhaftigkeit; und die spitzen Frontleuchten, mit denen er seine „Gegner" scharf anblickt wie der Bösewicht im Comic, signalisieren kalkulierte Aggressivität. Auch die Farbpalette - ,.dezente, eher seriös wirkende Farben" wie Dunkelblau, Schwarz, Grau, Dunkelgrün, Rot, Braunrot oder Violett - wurde be­wusst so gewählt, dass sie die Positionierung von Ka als ein „ernstzu­nehmendes Fahrzeug und kein Spielzeugauto" unterstreicht. (6}

Der „designorientierte" Ansatz des Automobils wird in der Käufer­broschüre sowohl verbal als auch visuell deutlich herausgekehrt. Zur Einstimmung steht der Ka im Zentrum einer „Ahnenreihe", die von der Treppenspirale des New Yorker Guggenheim Museums über Kreatio­nen von Philippe Starck, Andrea Branzi und Georg Jensen bis hin zu renommierten Marken wie Giorgio Armani oder Bang & Olufsen reicht. Die Absicht dieser Collage ist durchschaubar: Image-Transfer. Es folgen einige Renderings von Ka-Details auf Transparentpapier, die nochmals den Hautgout des kreativen Geniestreichs unterstreichen sollen; dann erfährt der Leser: ,.Immer wieder ist es Künstlern und Designern gelun­gen, mit ihren Werken ein neues Formenverständnis zu schaffen. Mit dieser Vision hat Ford ein zukunftsweisendes Automobil entwickelt. Das Ergebnis ist Ka." Er wird hoch gelobt als „ein Pendant der gestal­tenden Kräfte unserer Zeit - von der modernen Architektur bis zur Kunst" (7) - und als solches wird er, wie der umworbene Käufer glau­ben soll, schon bald in den Himmel der Designikonen aufsteigen, denn ..... gutes Design und echte Qualität setzen sich immer durch. Und das auf Dauer". (8)

Selbstverständlich hat ein Hersteller, der sein Produkt so explizit mit Design und „Styling bis ins Detail" (9) in Zusammenhang bringt, präzise Vorstellungen von seiner anvisierten Zielgruppe: Ford zählt zunächst vor allem auf die sogenannten „ Trendsetter" und Multi-Car­Haushalte, zwischen 30 und 45 Jahre alt, über ein höheres Einkom­men und eine gute Ausbildung verfügend; Personen, für die ein Kleinwagen mehr ist als nur ein einfaches Transportmittel, die ein Auto mit Charakter suchen und dieses als Teil der Persönlichkeit anse­hen. Danach soll er dann bis zur „breiten Masse" vordringen. (10) Die Verkaufsbroschüre bestärkt die umworbenen Trendies: .. Das Bekenntnis zu ungewöhnlichem Design legt Zeugnis ab über die per-

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sönliche Identität. Ka verkörpert diese Lebenseinstellung - voller Esprit, Frische und Innovationsfreude." (11}

Kongenial entsprechen die Eigenschaften des Automobils - seine extrovertierte Formensprache, seine agilen Fahreigenschaften und sein Sicherheitskonzept - der heute angesagten Verkaufsstrategie, der zufolge die meisten Hersteller wieder Lust am Autofahren wecken wollen: ,.Auto - echt gut!" (12} lautete schon vor ein paar Jahren das Motto der IAA (Internationale Automobil Ausstellung) in Frankfurt am Main; .. Emotionalisierung ist das Credo der Branche, Lust aufs Auto wecken ihr erklärtes Ziel", hieß die Bilanz des Genfer Salons '97. „Nicht mehr auf den Kopf, sondern aufs Gefühl" (13) werde heute gezielt. Denn laut Umfragen stehe bei den Bundesbürgern (West) beim Kauf eines neuen Autos „das Aussehen (Design) mit 81 Prozent der Nennungen an erster Stelle, vor dem Wiederverkaufswert (Wert­stabilität) mit 79 Prozent und dem Kaufpreis mit 75 Prozent." (14) Ausschlaggebend sind also emotionale Motive; vernünftige Argumen­te wie hohe Sicherheit, niedriger Verbrauch etc. dienen oftmals ledig­lich als Rechtfertigungsargumente.

Entwickelt wurde der Ka kostengünstig auf der Grundlage des Fies­ta. Bodenplattform, Armaturenbrett und viele weitere Fahrwerkskom­ponenten wurden einfach übernommen und entsprechend angepasst. Insofern beruht der Wagen auf einem gängigen Mechanismus der Pro­duktdifferenzierung: Technisch mehr oder weniger identische Produk­te werden durch Design diversifiziert, um verschiedene Zielgruppen anzusprechen. So können die Absatzzahlen erhöht und gleichzeit die Entwicklungs- und Produktionskosten reduziert werden. Besonders nachteilig ist diese Vorgehensweise in diesem Fall, da eine zeitgemäße Weiterentwicklung der Technik im Hinblick auf die Umweltverträglich­keit des Fahrzeugs unterblieb. Zwar erklärt die Käuferbroschüre: „Umweltbewusstsein spielte bei der Entwicklung des Ka eine sehr wichtige Rolle" (15)-wie jedoch das relativ hohe Gewicht des Wagens und sein stattlicher Benzinverbrauch belegen dürften, ist dies eher als ein beschwichtigendes Lippenbekenntnis zu werten. Eine deutlichere Sprache, welchen Stellenwert das Unternehmen Umweltbelangen ein­räumt, war auf der IAA '95 zu hören; dort wurde verkündet, Ford wolle „lieber viele Vier-Liter-Autos bauen als ein teures Drei-Liter­Auto" (16). Mit anderen Worten: Absatz und Umsatz gehen vor Umweltschutzforderungen.

Resümee Kritisch hinterfragen und kontrovers diskutieren kann man gewiss die Rolle des Design bei dieser Produktentwicklung. Hat das Design bei diesem Produkt „Alibi-Funktion", insofern es davon ablenkt, dass der Ka - mangels zukunftsweisender technologischer Innovationen wie geringer Benzinverbrauch, Langlebigkeit etc. - eigentlich kaum mehr bietet als der alte Fiesta? Denn im Grunde täuscht der Hersteller mit einem für ihn kostengünstigen Re-Design, kombiniert mit einer auf­wändig betriebenen PR-Aktion, darüber hinweg, dass er Kosten und Mühe scheute beziehungsweise andere Prioritäten setzte, als die Ent­wicklung eines wirklich zeitgemäßen, langlebigen und sparsamen Automobils. Und die Botschaften des Ka, ,.attraktiv gestyltes Auftre­ten" und „Spaß am Fahren", machen das Auto zu einem Modeartikel und leisten der kollektiven Verdrängung der nüchternen Realität -

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stockender Verkehr und Parkplatznot in den Städten, Umweltbelas­tung, Ressourcen-und Energieknappheit - Vorschub.

Dieser Position entgegenzuhalten wäre. dass dies eine frühfunktio­nalistische Argumentation ist. die - gemäß der Forderung „form fol­lows function" - eine neue Gestaltung nur unter der Prämisse techni­scher Innovationen anerkennt. einer lediglich formalen Neuinter­pretation des Produkts jedoch die Berechtigung abspricht. Tatsächlich reflektiere die stilistische Differenzierung von Produkten die Globalisie­rung des Marktes einerseits, die sozio-kulturellen Bedingungen ande­rerseits. Denn in einer hochdifferenzierten Kulturgesellschaft, in der die Menschen zur Selbstdarstellung und Identitätssicherung auf ein bestimmtes Set von Produkten zurückgreifen, spielen verschiedene Sti­listiken, Moden und Geschmäcker eine wichtige Rolle als symbolisches Steuerungs- und Kommunikationsmittel. Diesen Motiven kommt die Entwicklung des Ka gewiss entgegen.

Anmerkungen (1) Winfried Scheuer, Fahrzeugdesign als hohe Kunst, in: Highlights, Design

aus Großbritannien, hg. von Gabriele Lueg, Tübingen 1997 (2) Peter Klingenberg, Zwei runde Sachen mit ein paar Webfehlern, in:

Frankfurter Rundschau vom 15. März 1997, Auto, Motor, Verkehr, S. M 10 (3) Händlerbroschüre, ,.Produkt-Information: Der neue Ka", hg. von der

Ford-Werke AG, Produktmarketing Kleine und Mittlere PKW; Oktober 1996. S. 7

(4} Verkaufsprospekt. hg. von der Ford-Werke AG. S. 3 (S) Händlerbroschüre, S. 7

(6) Ebenda, S. 9 (7) Verkaufsprospekt, S. 16 (8) Ebenda (9) Ebenda, S. 15 (10) Händlerbroschüre, S. 5 f. (11) Verkaufsprospekt, S. 16 (12) Mobile Zeiten, in: form 151/1995, S. 19 (13) Benno Pidol, Die Entdeckung der Gefühle, in: Frankfurter Rundschau vom

15. März 1997, Auto, Motor, Verkehr, S. M 10 (14) .. Aussehen/Design" steht an erster Stelle beim Autokauf, in:

form 152/1995. S. 87 (1S) Verkaufsprospekt, S. 20 (16) Michael Stirm, Das Wolfsburger Sparwunder, Politiker und Verbraucher

fordern das Drei-Liter·Serienauto - wie aber könnte es aussehen? in: form Nr. 151 /1995, S. 26

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Die Milchgläser von Ritzenhoff Volker Fischer Das traditionsreiche Familienunternehmen. welches heute als Marsber­ger Glaswerke Ritzenhoff GmbH firmiert, hat sich seit dem 18. Jahr­hundert von einer Manufaktur zu einer der renommiertesten High­tech-Glashütten Deutschlands entwickelt. In vollautomatischer Fertigung werden in dem Werk im Sauerland über 120.000 Gläser am Tag produziert. Mehr als 600 Brauereien in Europa zählen zu den Kun­den des Unternehmens, dessen Produkte durch eingebrannte kerami­sche Bilder, durch aufgedruckte Motive oder Echtgold-Verzierungen veredelt und mit Signets versehen werden. Daneben produziert Rit­zenhoff aber auch technisches Glas für Autohersteller und die Sanitär­industrie. Vor allem aber beherrschen wie nur noch wenige Hersteller in Deutschland die bei Ritzenhoff oft in der dritten und vierten Gene­ration tätigen Glasbläser und -schleifer das traditionelle, jahrhunder­tealte Herstellungsverfahren mundgeblasener Einzelstücke. Flüssiges, farbiges Glas wird zu oft filigranen Objekten, vor allem Vasen und Tischobjekten wie Obstschalen und Etageren, geformt.

Am Anfang der neunziger Jahre erkannte oder akzeptierte Ritzen­hoff die Notwendigkeit einer neuen. zeitgemäßen Interpretat ion die­ser Kompetenz. Da kam eine Anfrage der deutschen Mi lchwi rtschaft an das Unternehmen gerade recht. die sich, da der Milchkonsum in Deutschland seit Jahren kontinuierlich abgenommen hatte, ein Trink­glas mit optimistischer Pro-Milch-Werbebotschaft wünschte, möglichst mit einem Fuß in Form des Buchstabens M. Ritzenhoff beauftragte das Designbü.ro Sieger mit der Erarbeitung eines Konzeptes. Nach ein paar Tagen schon war klar, dass ein Milchglas nur eine einfache, elementare Becherform haben kann, denn für ein Grundnahrungsmittel wie Milch schied eine spezielle, zeichenhafte Glasform wie für Sekt, Bier, Cognac oder Wein aus. Da der Milchverband an seiner Vorstellung festhielt, realisierten Ritzenhoff und Sieger in eigener Regie ihr Projekt. (1)

Neben der Veredelung einer Produktpalette durch Autorendesign und Limitierung stand schon immer und steht neuerdings spätestens seit den Swatch-Uhren wieder verstärkt die Möglichkeit einer zeitgeis­tig genau positionierten, saisonal jeweils wechselnden Oberflächenbe­handlung der dreidimensionalen Gebrauchsgüter. Seit den Dekor- und Ornamentvariationen des Schweizer Uhrenherstellers werden analoge Kollektionen unter dem eine solchen Strategie verallgemeinernden Begriff einer „Swatchisierung" beschrieben und definiert. Zusatzbegrif­fe wie „Image-Transfer" und „Lifestyle-Segmentierung" unterstreichen diesen zunächst unter Marketinggesichtspunkten entwickelten Ansatz. Innerhalb von acht Jahren avancierten die Swatch-Uhren zu einem der am meisten verkauften Produkte der Industriegeschichte. über 80 Millionen verkaufte Exemplare beweisen, dass es äußerst profitabel sein kann. Gebrauchsgegenstände „wie T-Shirts zu behandeln und wie Pop­Songs zu handeln". Uhren als Projektionsfläche für modische, werbliche oder gar künstlerische Aussagen - das Beispiel macht Schule. längst werden nicht nur in Europa, sondern auch in den USA Leuchten, Teller, Vasen, Möbel und sogar Armaturen von Stardesignern fleißig orna­mentiert und mit Erfolg vermarktet: ob Teppichböden (Vorwerk), Tür­klinken (FSB). Keramikprodukte (Wächtersbach), Tabie-Top-Porzellane und Kerzenleuchter (Swid Powell). Thermoskannen (Alfi), Wandleuch­ten (Copy Light). Vorlageteller (Piatto Fax von Fine Factory), Aschenbe­cher und Bonbonieren (Stars Edition). Stühle (Copy Chair. Lisar), Vasen

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(Serie 100% Make-Up, Alessi Tendentse), Küchenschränke (Binova), Armaturen (Dornbracht) etc. Schon Swatch distribuierte wechselnde Jahreszeiten-Kollektionen, aber auch sogenannte „Special Editions" oder „Art Editions". (2) Verschiedene Art Direktoren. zum Beispiel Alessandro Mendini oder Matteo Thun, zeichneten für die Auswahl und den Charakter der einzelnen Swatch-Editionen verantwortlich. Hier wie bei den anderen erwähnten Beispielen bleiben durch die extreme Diver­sifizierung trotz der industriellen Großserienproduktion die jeweiligen Einzelserien klein und bestimmte Entwürfe nur relativ kurz im Markt, was bei einigen Exemplaren zu extremen Wertsteigerungen geführt hat. zum Beispiel bei manchen Swatch-Uhren mit Margen bis zu 1000 Prozent. Inzwischen gibt es Tausende von Swatch-Sammlern, renom­mierte Auktionshäuser wie Sotheby's oder Christie's veranstalten Sw~tch-Auktionen, es gibt privat organisierte Tauschbörsen, ein reges Kleinanzeigengeschäft in Zeitungen und Magazinen und selbstver­ständlich eingetragene Sammlerclubs mit speziellen Magazinen.

Der immense Erfolg dieser Strategie einer „Swatchisierung", eben­so aber sicherlich seine Begeisterung für Alchimia und Memphis. die bereits Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre saisonal wech­selnde Kollektionen von Möbeln kreierten sowie die generelle Akzep­tanz von „Autorendesign" in jeweils umfangreichen Kollektionen spielten wohl mit eine Rolle dabei, dass das Sieger-Team Designkolle­gen um ihre Interpretation des Themas „Milch" in Form von Dekoren bat. Ab 1992 beteiligten sich Architekten. Designer und Künstler aus Europa und Amerika. aus dem Nahen und dem Femen Osten mit jeweils individuellen persönlichen Dekor-Entwürfen an dem von Sieger iniitierten Milchglas-Projekt. Manchmal lediglich per Fax übermittelt, werden diese Entwürfe im Sieger-Büro zunächst designästhetisch begutachtet und geprüft und dann bei Ritzenhotf auf ihre Produkti­onsmachbarkeit hin umgesetzt. Die erste Milchglaskollektion umfasste 20 Motive. mit Entwürfen von Volker Albus und Andrea Branzi, Coop Himmelblau und Michael Graves, Alessandro Mendini und Jasper Mor­rison, Paolo Portoghesi und Shigeru Uchida, um nur einige zu nennen. Inzwischen gibt es zweimal im Jahr fünf neue Motive, und da die im Markt verfügbare Gesamtkollektion auf 40 Gläser begrenzt ist. werden gleichzeitig jeweils fünf Motive herausgenommen. Dieser Mechanis-

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mus der bewussten Produktverknappung, bei dem offenbar jeweils die in einem bestimmten Zeitraum am geringsten nachgefragten Motiv­gläser aus der Produktion genommen werden, erhöht ihre Seltenheit. damit ihren Wert und macht sie zu besonderen Sammlungsobjekten. Daneben gab es zusätzlich von Anfang an ebenso wie bei Swatch limi­tierte Editionen sowie für die Sammlergemeinde sogenannte jährlich wechselnde „Collectors-Glasses". die nur den IVlitgliedern des eigens gegründeten „Collectors-Club" vorbehalten bleiben. Diese sind damit von vornherein bereits „gesuchte Objekte der Begierde".

Das Designbüro Sieger gestaltet den gesamten Marktauftritt der MIichgiasserie, das Marketing, die textliche Darstellung, die Ver­packungen; es kümmert sich um den Collectors-Club, und nicht zuletzt wäh lt es selbst die Gestalter aus. Zu ihnen gehören inzwischen neben den über 70 renommierten Architekten, Designern, Graphikern und Künstlern auch Graffiti-Sprayer. Der entsprechende Werbetext aus dem Designbüro verweist in seinem bemühten, mit Anglizismen durchsetz­ten Szene-Slang auf das angestrebte Käuferp rofil : .,The Milk Bomb Sattle. In der Ritzenhoff Mil k Kollekti on spiegelt sich das Design der Zeit ... Nur die Kunst der Straße fehlte - obwohl ihre Bilder unsere Städte prägen: Aerosol-Art, oder vulgo: Graffiti. Für diese Kollektion hat Ritzenhoff die Besten unter den Besten der Spayer eingeladen, einen Sattle auf dem Michglas auszutragen - so haben Scum, Pete, Mate, Bomber, Loomit, Neon und Daim ihre Bombs geschüttelt und ein Piece der Milch gewidmet. So fern liegt das nicht - der brave Schluck wird von der Szene bei der nächtl ichen Arbeit sehr geschätzt, um ein­geatmete Aerosol-Nebel -zu neutra lisieren. Die Kollekt ion gibt einen repräsentativen Überblick über die zeitgenössische ·Sprühkunst ... " (3)

überhaupt die Sprache. Zur Markteinführung hieß.es mit dem typi ­schen Understatement unternehmensberaterischer Kompetenz: .. Mi lch ist das ursprünglichste Lebensmittel der Menschheit: als Mutterm ilch war es für je.den von uns die erste Mahlzeit, als Milch domestizierter Ziegen, Schafe und Rinder für die Völker der Welt ist sie wichtiger Bestandteil der Ernährung. Milch ist die ausgewogenste Zusammenset­zung aller nötigen Nährstoff e in einem einzigen Nahrungsmittel. ... Mit diesem Projekt unterstützt Ritzenhoff eine Grenzen übergreife nde Interpretat ion zu einem natürlichen Produkt, _das in allen Ländern der Welt einen wichtigen Platz in der täglichen Ernährung einnimmt . Die Realisation eines einfachen Trinkglases, versehen mit einem Dekor von Designern aus den verschiedensten Kulturkreisen, soll erreichen, dass dieses Projekt die Möglichkeit zur Konfrontation und Diskussion mit den Ideen dieser Gestalter für viele, vor allem für junge Menschen bietet." (4)

Angetan von dem sich schnell einstellend en Markterfo lg dieses Milch-Projektes, beauftragte Ritzen hoff Dieter Sieger 1993 auch mit dem Entwurf und der Ausführung eines neuen Verwaltungsgebäudes. Für die autorisierten Vertragshändler der Milchgläser - ausgewählte Fachgeschäfte in inzw ischer:, über 25 Ländern - hat Sieger Verkaufs­Displays kreiert: eine archaisierend funktionale Präsentatl onsstele in Tiefblau, der Cl-Farbe des Unternehmens, auf der nicht nur die 20 aktuellen Gläser arrangiert werden können, sondern auch der Begriff Milch in sieben verschiedenen Sprachen aufgedruckt ist. Dieses lexika­lische Ensemble wurde in seiner typographischen Gestalt später von Jasper Morrison für die Nr. 15 der ersten Milchglas-Kollektion über-

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nommen. Mit diesem Display ist das Angebot einer kleinen Wander­ausstellung verbunden. die nicht nur die Gläser, sondern auch Kurz­biographien der Entwerfer enthält und mit der Option vertrieben wird, möglicherweise eine Vernissage mit einem Gast aus eben der Reihe der Gestalter zu eröffnen. Den Vertragshändlern wird empfohlen: ,,Spre­chen Sie mit ihrem Verkaufsberater, wie Sie mit der Milk-Wanderaus­stellung kurzfristig zum Milk-Museumsdirektor werden können." (S) Neben dieser 2,2 Meter hohen Holzsäule gibt es ein knapp halben quadratmeter großes Pappdisplay, naturfarben im Recycling-Touch, eine „ Milk-Club-News" -Zeitung für Mltg lieder und ein Display-Glas mit Kuhmotiven, welches man behalten darf . wenn man es in einem Zug leert. Inzwischen gesellen. sich passende Milchflaschen, Serien von Milchkaraffen, Bier-, Schnaps-und Sektgläsern hinzu, die ebenfalls von Jahr zu Jahr aktualisiert werden, neuerdings auch spezielle Kinder­milchgläser. Die Biergläser werden in röhrenförmigen. kurzen bedruck­ten Plakatrollen verkauft und partizipieren damit schon durch die Ver­packungsform am Status von Graphikern und Künstlern. Das nämliche Morrison-Logo ziert als gespraytes. verräumlichtes Graffiti-Motiv die Displays der Straßenkunst-Gläser, während es bei den Kindergläsern als noch unsichere Krakel-Druckschrift daherkommt. Als Entwerfer der Kindermilchgläser konnten „Familienexperten und führende Kinder­buchautoren" gewonnen werden. Dabei ersetzen die mit grellfarbigen Kunststoffdeckeln verschlossenen „schwappdichten" Behälter „bei richtiger Anwendung der Dekore mit erläuternden Geschichten auch den stundenlangen Konsum fragwürdiger Fernsehprogramme." {6) Der Imagetransfer von Formulierung und Produkt überblendet den Topos des pädagogisch Wertvollen mit dem Kunststoff-Kindchen­schema junger Alessi-Produkte ebenso gekonnt wie mit der Figuren­manie der Kindereier von Ferrero oder der Regenbogen-Buntheit von Smarties. Was solchermaßen als gruppenspezifische Lifestyle-Segmen­tierung sich verfeinert, war bei der lnitierung der eigentlichen, ersten Milchglaskollektion in Hinsicht auf das Marketing noch allgemeiner positioniert. So werden die eigentlichen Milchgläser immer als Paar angeboten, verpackt in einem Geschenkkarton, dessen „reduzierte Muh-Kuh-Gestaltung rustikalen Recycling-Chic mit dem diskreten Charme einer Chanel-Verpackung verbindet". {7)

Produktsprachlich bemerkenswert ist vor allem, dass diese Milch­glas-Serie als Gesamtkollektion einen pseudo-enzyklopädischen. fast lexikalischen Charakter und Anspruch hat. Selbstverständlich steht jedes Motiv für die Design-Auffassung des jeweiligen Entwerfers und wird als für jedermann erschwingliche Gebrauchskunst für den Alltag beworben . .,Was fällt den besten Gestaltern aus aller Welt ein, um der Milch weiße Unschuld mit Dekaren zu zieren ... und dem jungfräuli­chen Weiß zu mehr Pep zu verhelfen?", fragt in ebensolcher Unschuld das Unternehmen seine Kunden. (8}

Denn an keiner Stelle werden die Auswahlkriterien genannt, die zur Teilnahme eines Entwerfers führen. Ist es die persönliche Bekannt­schaft mit den „Siegern" (Dieter Sieger führt sein Büro mit seinen bei­den Söhnen und residiert auf Schloss Harkotten, dem ehemaligen Refugium von Luigi Colani), ist es der Bekanntheitsgrad der Entwerfer, ihre Marktgängigkeit, ihr Renommee, ihre designhistorische Bedeu­tung? Eine wie auch immer positionierte stilistische Richtung oder bestimmte Entwurfshaltung wird nicht favorisiert: Neben klassischen

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Entwerfern wie dem Rationalisten Oswald Matthias Ungers. den Mini­malisten Jasper Morrison und Konstantin Grcic oder dem Ready-Made­Papst Achille Castiglioni finden sich neo-moderne Entwerfer wie Alessandro Mendini oder Alessandro Guerriero, Memphis-Entwerfer wie Natalie Du Pasquier, postmoderne Architekten wie Michael Gra­ves, Zeitgeist-Strategen wie Massimo losa Ghini oder Miki Meire, Neo­Romantiker wie Ricardo Dalisi, aber auch so unterschiedliche Künstler wie Arman oder Err6, Modemacher wie Anna Gili, Graphiker und Typographen wie Seymour Chwast oder Dan Friedman. Daneben ste­hen eher unbekannte exotische Dekorlieferanten, die im üblichen .. Who is who" des Designerkarusells bisher(?) keine Rolle spielten.

zweifellos jedoch ist mit dieser Kollektion, die wegen ihres Erfolges wohl auf absehbare Zeit wachsen wird, doch so etwas wie ein Kalei­doskop zeitgenössischer Entwurfshaltungen entstanden, vergleichbar den erwähnten Table-Top-Kollektionen von Swid Powell oder der Piat­to-Fax-Serie von Fine Factory. Mit schöner Offenheit beschreibt Sieger­Design in der Händlerbroschüre die Distributions- und Wertbildungs­mechanismen der Serie: .,Die Milk-Gläser finden sich aber nicht nur auf den Tischen aller Welt. sondern auch in den Vitrinen der großen Museen. Ausstellungen. Auszeichnungen und Preise haben das Milch­glas zum Kunstgegenstand gemacht. So ist ,Milch, Leche, Milk" ... ein Stück zeitgenössischer Kulturgeschichte geworden." (9)

Jenes modische Make-up, welches einerseits die Designer zu Deko­rateuren, zu bloßen Oberflächengestaltern degradiert, ist andererseits unter produktionswirtschaftlichen Gesichtspunkten äußerst attraktiv. Nüchterne Gebrauchsgegenstände erhalten attraktive Kleider oder wie Gottfried Sem per schon wusste. ,.aktualisierte Häute". die die Pro­duktzyklen verkürzen. Für die Hersteller und den Handel ist dies posi­tiv, weil nicht unterschiedliche Gegenstände eine solche Serie definie­ren, sondern unterschiedliche Dekore. Ornamente, dies liegt auf der Hand, lassen sich preiswerter entwickeln als Gegenstände; die Produk­tionskosten sinken, die Konkurrenzfähigkeit wächst. Dabei entspricht dem ökonomischen Vorteil auch noch ein Bedürfnis des Marktes nach lndivid ua 1-Differenzi erun g.

Das Gebrauchswertversprechen eines Produktes definiert sich spä­testens seit Alchimia und Memphis nicht mehr nur über die Funktiona­lität, sondern ebenso über die semantische, symbolische Signifikanz. Dinge werden zu Botschaften persönlicher Befindlichkeiten und Stim­mungen, sie signalisieren Emotionen, Auffassungen, Gruppenzu­gehörigkeiten. ln-Group- und Out-Group-Mechanismen. Die kommu­nikativen Funktionen von Dingen und Gegenständen leisten aber auch und zunächst ihre Oberflächen, wie jedes Software-Programm und jedes TV-Bild tagtäglich beweisen. Insofern kommt der „ Trend zum Ornament" dem Stand der Produktionsverhältnisse nicht nur subjektiv, sondern auch objektiv entgegen. Die teilweise berechtigte Kritik am Starkult und am Modefetischismus sowie am wertkonservativen Sam­meltassen-Psychogramm enthusiasmierter Käufer übersieht, dass die Berechtigung der frühfunktionalistischen Maxime „Ornament und ver­brechen'' des Jahres 1908 objektiv obsolet geworden ist. Ornament heute ist weder bloß eine Frage des in ein Produkt eingehenden Mehr­aufwandes an Arbeit noch eine Frage der „Guten Form" oder der ,.Moral der Gegenstände". Die multiplen Persönlichkeiten, die orna­mentierte, dekorierte Produkte bieten. entsprechen damit nicht nur

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der Bedürfnislage breiter Käuferschichten. sondern sind auch design­theoretisch sowohl ästhetisch als auch produktionstechnisch zumindest ambivalent. Die emotionale Ablösung der Oberfläche vom Produktkör­per und die Konzentration der Marketinganstrengungen wie auch der Wertschöpfungsmechanismen allein auf diese Oberflächen hin sind ein Vorgang von sowohl designtheoretischer wie designhistorischer Bedeutung. Von hier bis zu den graphischen Benutzeroberflächen, zum Interface-Design der elektronischen Medien ist es nur ein kleiner, eher quantitativer als qualitativer Schritt. Zwar haben die Ornamente auf den Gläsern eine ästhetisch-schmückende Funktion und demgegenü­ber die Icons auf dem Computer-Interface eher eine dominant prakti­sche Funktion und sind insofern künstliche Anzeichen, doch ist nicht zu übersehen, dass zunehmend auch produktsprachliche Kriterien, etwa bei den Web-Sites, als Differenzierungsinstrument eine Rolle spielen. Insofern haben solche Strategien der „Swatchisierung" durchaus im Sinne Blochs einen „ Vorschein-Charakter" und verweisen bereits heu­te, wenn auch sicherlich noch warenästhetisch deformiert. auf eine der virulentesten Veränderungsparameter der Gattung Formgestaltung überhaupt.

Anmerkungen (1) Vgl. zur Entwicklung des Projektes: Christian W. Thomsen: Dieter Sieger.

Architekt. Schiffsbauer. Designer, Tübingen/Berlin 1994, bes.: Design-Fallstudie 5. Milch, Milk ... Ritzenhoff 1992 f., s. 254-267

(2) Vgl. Klaus Meyer: Der Trend zum Ornament, in: Design Report Nr. 6/1995, S. 32-39, hier S. 34

(3) Ritzenhoff. The Story. Display-Broschüre, 1994 (deutsch/englisch). Gestaltet von Sieger-Design

(4) Ritzenhotf. Milch. Leporello zur Markteinführung der Milchglasserie, 1991 (sechssprachig). Gestaltet von Sieger Consulting für Marsberger Glaswerke Ritzenhoff GmbH

(5} Ritzenhotf. DinA 4 Broschüre für Händler und Kunden, März 1995, S. 22. Gestaltet von Sieger Consulting

(6) Ritzenhoff. Leporello zur Markteinführung der Kindermilchgläser, 1998 (7) Klaus Meyer, a.a.O., s. 34 (8) Ritzenhoff, The Story. a.a.O., s. 2 (9) Ritzenhoff. DinA 4 Broschüre, S. 12

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3.3 Zeitgeistiges ,.Man kann sich die Trends einer Zeit als Vektoren eines Kräfteparalle­logramms vorstellen. dessen Resultante dann ,Zeitgeist' heißt" - mit diesem Bild veranschaulichte Norbert Bolz (1998) das Zusammenspiel zwischen den kleineren Trendströmungen und den langen Wellen des vielzitierten Zeitgeistes. Dabei ist unter einem Trend - im Unterschied zur kurzfristigeren Mode, die eine Saison, vielleicht auch ein Jahr anhält - eine längerfristige Entwicklungsrichtung oder Tendenz in der Wirtschaft, Gesellschaft oder Politik zu verstehen, die die Gesellschaft oder Teile von ihr, einzelne Scenes, für mindestens ein Jahrzehnt nach­haltig berührt, dabei auch Fluktuationen unterliegen kann, aber ihre Richtung nicht plötzlich ändert. Nolens volens, ganz unvermeidlich spiegeln sich die technischen und ökonomischen Trends sowie die sozialen und geistigen Trends einer Zeit auch in der Alltagskultur und in den Produkten wider. Sichtbar werden sie in Verhaltens- und Umgangsformen, in sich herausbildenden sozialen Gruppierungen bzw. Zielgruppen - man kann auch sagen, im Lebensstil - sowie in der Produktsemantik. Doch während bei sehr langandauernden Trends die zeitgebundenen Bedingungsfaktoren wie auch ihr produktsprachlicher Ausdruck gelegentlich fast schon als unverrückbare Selbstverständlich­keiten angesehen werden - ein Beispiel wäre etwa die „Gute Form" als Inbegriff moderner Industriekultur - gerät das Trendgeschehen und seine semantische Reflexion vor allem dann verstärkt ins Blickfeld, wenn sich neue Trends ankündigen. Ausgangspunkt der produkt­sprachtichen Artikulation von Trends sind freilich immer deren Inhalte und Bedingungsfaktoren: beispielsweise die ökologischen Grundlagen, die in der letzten Dekade verstärkt ins Blickfeld gerieten und im so genannten „Öko-Design" Niederschlag fanden; beispielsweise die fort­schreitende Polarisierung der Gesellschaft in Wohlsituierte und Mittel­lose, die gleichzeitig zu einer verstärkten Nachfrage nach teuren Luxusgütern und preisgünstigen No-Name-Artikeln führte; oder bei­spielsweise die Durchsetzung der flexiblen, digitalen Technologie sowie der Wunsch der Konsumenten nach Individualität und Einzigartigkeit, der die Hersteller dazu veranlasste, Produkte in zahlreichen Varianten, in limitierten Kleinserien oder gar als maßgeschneiderte Einzelstücke anzubieten. Anhand der folgenden Produktinterpretationen soll exem­plarisch aktuellen Design-Trends und den ihnen zugrunde liegenden ökonomischen. sozialen und technischen Entwicklungen nachgespürt werden.

Die Armbanduhr Lange 1 von A. Lange & Söhne Die Herren-Armbanduhr Lange 1 aus dem einstmals weltbekannten Traditionsunternehmen A. Lange & Söhne im sächsischen Glashütte wurde 1994 als „erste Lange-Uhr der Neuzeit" auf dem Markt einge­führt. 1990, im Jahr der deutschen Wiedervereinigung, hatte Walter Lange, der Urenkel des Firmengründers Adolph Lange, unterstützt von der Mannesmann-Uhrenholding LMH, zu der bereits die Schweizer Nobelmarken Jaeger-Le Coultre und IWC gehören, die Lange Uhren GmbH wieder aufgebaut. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren A. Lan­ge & Söhne wie auch die anderen ortsansässigen Uhrenhersteller ent­eigent und zum VEB Glashütter Uhrenbetriebe zusammengefasst worden. Jahrzehntelang entstanden dort fast ausschließlich Ge­brauchsuhren in Großserie, denn in einem sozialistisch geführten Land

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gab es für Luxusuhren aus der Manufaktur wahrlich keinen Bedarf. Nach der Wende zeigte sich allerdings, dass die Quarzuhren, die inzwi­schen dort gefertigt wurden, mit den ungleich billigeren Modellen aus Fernost nicht konkurrieren konnten. In dieser Phase besann man sich in Glashütte auf die rund 150-jährige Tradition des Standortes und den einstigen Weltruf der deutschen Uhrmacherstadt, der dem der Schwei­zer Konkurrenz keineswegs nachstand. Der vor allem in Japan und Hongkong, aber auch in der Schweiz, Deutschland, Frankreich und Ita­lien anhaltende Trend zu mechanischen Luxusuhren, der bei einem Schweizer Hersteller in den letzten zehn Jahren zu einer sechsfachen Umsatzsteigerung führte, kam begünstigend hinzu. (1) So etablierten sich in Glashütte wieder vier kleinere Uhrenfirmen. War A. Lange & Söhne schon vormals Primus inter pares, so verpflichtete der Name das neu gegründete Unternehmen. wieder eine Spitzenposition anzustre­ben. Nach einer Entwicklungs- und Aufbauzeit von mehr als drei Jah­ren konnte die erste Kollektion vorgelegt werden: drei Herren- und eine Damenarmbanduhr, ausgestattet mit neu entwickelten mechani­schen Uhrwerken in der Preisklasse zwischen 16.000 bis 148.000 DM.

Die Lange 1 ist eine der Herrenuhren mit Gehäuse aus massivem Gold oder Platin und einem Sichtboden aus Saphirglas. Das Zifferblatt ist massiv Silber, die Zeiger wahlweise aus Gold oder gebläutem Stahl. Beim Armband kann man zwischen Krokoleder mit massiver Edelme­tall-Schließe oder einem handgearbeiteten Edelmetallarmband wählen. Der Preis liegt je nach Ausführung zwischen 28.500 DM bis über 40.000 DM.

1. Auf den ersten Btick überrascht das kreisrunde Zifferblatt der Lange 1 durch Neuigkeitskomplexität, da die wichtigste Anzeige, nämlich die Stunden- und Minutenanzeige, nicht wie üblich mittig angeordnet und die bei komplizierten Uhren üblichen kleineren Hilfszifferblätter eben-

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falls nicht achsensymmetrisch platziert sind. Stattdessen wurden die diversen Anzeigenfelder, die sich nicht überlagern, asymmetrisch auf dem runden Blatt arrangiert. Erhöht wird die Komplexität auch durch die unterschiedlichen Formen der Anzeigen - zwei vertieft liegende runde Zifferblätter unterschiedlichen Durchmessers, eine Anzeige, die ein Kreissegment beschreibt, sowie ein rechteckiges Doppelfenster. Darüber hinaus wurden unterschiedliche Ziffertypen und Zeigerformen gewählt.

Erst bei genauerer Analyse werden Ordnungskriterien erkennbar. Auf der Horizontalachse befinden sich außer der Aufzugskrone die Drehpunkte von Stunden- und Minutenzeiger sowie Gangreserve­Anzeige. Ebenso wurden die Datumsanzeige, die Zeigerdrehpunkte für die Gangreserve-Anzeige und für die „kleine Sekunde" auf einer Ver­tikalachse angeordnet; diese findet sich um das gleiche Maß aus der Mitte nach rechts gerückt. wie der Drehpunkt der Stunden- und Minu­tenzeiger nach links verschoben wurde. Schließlich bilden der Schrift­zug „A. Lange & Söhne", die Skalenbeschriftung „Auf ... Ab" sowie die Typenbezeichnung „Doppelfederhaus" eine gute Fortsetzung und ver­laufen auf einem Kreisbogen parallel zum Gehäuserand.

2. Insgesamt signalisieren die solide Dimensionierung des Uhrengehäuses mit einer relativ breiten Lünette, tadellos polierte Oberflächen, das passgenau eingesetzte Saphirgtas, das stabile Krokoleder-Armband und sorgfältig ausgearbeitete Details wie etwa der geprägte Namens­Schriftzug auf Aufzugskrone und Armbandschließe höchste Verarbei­tungsqualität und Wertigkeit der Lange 1. Größe und Gewicht weisen sie eindeutig als Herrenuhr aus, sie ist „etwas für ein kräftigeres Hand­gelenk". (2)

Durch die vier Anzeigenfelder auf dem Zifferblatt wird die Multi· funktionalität der Uhr anzeichenhaft dargestellt und hohe Erwartun­gen an ihre Leistungsfähigkeit aufgebaut. Gemessen an der Vielzahl dl:t t„rhn;:;.;:h möglichen Komplikationen - unter Komplikationen ver­steht der Uhrmacher zusätzliche Funktionen wie die Anzeige von Tag, Monat und Mondphasen, den ewigen Kalender, der automatisch die Monatslänge und das Schaltjahr berücksichtigt. oder die Möglichkeit zur Zeitmessung durch einen Chronographenmechanismus u.a.m. -bietet die Lange 1 im Grunde aber lediglich Basisfunktionen an. Sie zeigt die Uhrzeit sowie das Tagesdatum an; bei Monaten mit weniger als 31 Tagen muss der Kalender allerdings manuell auf den Monatsers­ten weitergestellt werden. Mit dem ständig mitlaufenden Sekunden­zeiger lässt sich auch die Zeitdauer von Vorgängen messen; dauern die­se aber länger als eine Minute, so muß man die vollen Minuten im Kopf mitzählen, da ja keine Chronographenfunktion eingerichtet wurde. Schließlich gibt die Gangreserve-Anzeige noch an, ob die Uhr dem­nächst aufgezogen werden muss. Insbesondere durch das kleine Hilfs­zifferblatt für die Sekundenanzeige wirkt die Uhr zunächst wie ein Chronograph; sie scheint mehr zu „können", als sie letztlich an Funk­tionen bereithält.

Während die patentierte Großdatums-Anzeige schnell und mühelos abzulesen ist. kann man das vom Hauptzifferblatt nicht unbedingt behaupten. Da das Zifferblatt wie gesagt aus der Mitte nach links gerückt wurde, ist das spontane Erfassen der Uhrzeit anhand der Zei-

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gerstellung zumindest gewöhnungsbedüftig. Zwar versprechen die fein zugespitzten Uhrzeiger Präzision, doch sind die Indexe der Minu­tenskala so klein und eng zusammenstehend, dass ein minutengenau­es Ablesen schwerfällt; auch haben die römischen Ziffern drei, sechs, neuen und zwölf eher eine dekorative Funktion, als dass sie das genaue Erfassen der Uhrzeit erleichtern würden, da sie relativ breit aus­geführt sind und vor den Minutenindexen angeordnet wurden.

Die für eine Handaufzugsuhr wichtige Krone ist durch die feine Rän­delung nicht nur griffig, sie verweist auch zeichenhaft auf die Drehbe­wegung beim Aufziehen und Stellen der Uhr. Eindeutig weist auch der links oben aus dem Gehäuse leicht herausragende längliche Drücker zum Einstellen des Datums auf seine Betätigungsart hin.

Betrachtet man schließlich das durch den Saphirglasboden sichtba­re mechanische Uhrwerk, das mit aufwändigen Gravuren wie dem Glashütter Band- beziehungsweise Sonnenschliff verziert und mit in Goldchatons gefassten Rubin-Lagersteinen und gebläuten Schrauben aufwändig konstruiert und dekorativ gestaltet ist, so kommt darin zweifellos höhere Uhrmacherkunst zum Ausdruck.

3. Durch die Wahl und Ausführung der Materialien - glänzend poliertes Goldgehäuse und Kroko-Armband -, die Zifferblatt-Grafik mit nostal­gischer Serifenschrift. die römischen Ziffern sowie die geschwungenen Zeiger erhält die Lange 1 eine sehr konservative, gediegene Anmu­tung. Die Material- und Formensprache orientiert sich an den im Marktsegment mechanischer Luxusuhren heute üblichen „klassisch" traditonellen Gestaltungsmerkmalen; die stilistische Anlehnung an alte Taschenuhren ist offensichtlich. Dabei werden diese Stilmerkmale aber nicht in einer postmodernen Art und Weise zitiert und mit gestalteri­schen und technischen Merkmalen der Gegenwart collagiert, die die Distanz zu jener vergangenen Zeit verdeutlichen. Statt postmoderner Ironie zeigt sich eine historistische Ernsthaftigkeit, die den ästhetischen Ausdruck der „guten, alten Zeit" als unübertroffen anerkennt und konservieren will. Insofern verkörpert die Uhr ein Konzept von „zeitlo­ser" Beständigkeit, das der modernen Auffassung von „Zeitlosigkeit" allerdings diametral entgegensteht.

Bar jeder schmückenden Verzierung wie aufwändigen Kannelierun­gen, demonstriert die Lange 1 eher eine schlichte Eleganz. Gleichwohl ist es keine Uhr, die durch Understatement über ihren Wert dezent hin­wegtäuschen würde, sondern zweifellos ein augenfälliges Statussym­bol, das das Selbstwertgefühl des Trägers effektiv und für jedermann sichtbar zur Schau stellt. Die ungewöhnliche asymmetrische Gestaltung des Zifferblattes kennzeichnet die Uhr als eine Spezialität; die Wertig­keit der Materialien, die klassischen Anleihen der Zifferblatt-Grafik sowie die durch den Glasboden sichtbare Mechanik versprechen Wert­beständigkeit und materiale Langlebigket der Uhr.

Entsprechend dieser Symbolik werden in Anzeigen und im Firmen­katalog der Lange Uhren GmbH die bis zum Hofe August des Starken, Kurfürst von Sachsen, zurückreichende Tradition der „Uhrmacher­Dynastie Schumann - Gutkaes - Lange" betont. .. Wollen Sie die ganze 200-jährige Geschichte der sächsischen Uhrmacherei? Oder lieber eine Zusammenfassung?", fragt beispielsweise die Headline einer doppel­seitigen Anzeige, die im Sommer 1998 in Zeitschriften wie der Frank-

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furter Al/gemeine Zeitung und Der Spiegel geschaltet wurde, und prä­sentiert darunter die Lange 1 sowie die neu erschienene, rund 400 Sei­ten starke Publikation A. Lange & Söhne, Eine Uhrmacher-Dynastie aus Dresden von Reinhard Meis. (3) Offensichtlich wird hier nicht nur eine hochwertige mechanische Armbanduhr verkauft, sondern weit mehr: der Name und die Firmengeschichte von „A. Lange & Söhne" sowie eine jahrhundertealte deutsche Tradition, eine Legende. In diesem Sin­ne verkündet die Firmenbroschüre den Interessenten schon auf der Titelseite: ,, Die Legende ist wieder Uhr geworden". (4) Da Mythen und Legenden aber davon leben, dass sie bekannt sind und weitererzählt werden. ist es für das Produktmarketing essenziell, die in den letzten fünfzig Jahren in Vergessenheit geratenen Namen A. Lange & Söhne und Glashütte bei der Zielgruppe wieder bekannt zu machen. Der geschichtsträchtige Mythos um die Renommiermarke muss wiederbe­lebt und das Image des Standortes Glashütte neu aufgebaut werden. Besteht in dieser Hinsicht bei den Glashütter Manufakturen noch Nach­holbedarf, so geizen freilich auch die seit langem bekannten Nobel­manufakturen wie Jaeger-Le Coultre, Patek Philippe oder Rolex nicht bei der Werbung. ,,Zehn Prozent vom Umsatz", recherchierte Jörg Alb­recht und kam zu der ganz subjektiven Schlussfolgerung: ,.Stete Wer­bung höhlt den Stein. Die Regel lautet, dass je überflüssiger das Pro­dukt, desto mehr Reklame geschaltet werden muss. So gesehen, gehören teure Uhren zum überflüssigsten auf dieser Welt." (5)

Stimmt man Albrecht nicht sofort zu, so stellt sich die Frage nach den weiteren Motiven der Käuferschaft. Ob unübertreffliche Funktio­nalität für die Uhr spricht? Die Lange-Uhren werden schließlich „ange­trieben von neuentwickelten mechanischen Meisterwerken, die mit technischen und funktionalen Merkmalen aufwarten, wie sie in Arm­banduhren so noch nie zur Anwendung kamen." (6} Mechanik hin, Meisterwerk her - fest steht, dass die Lange 1 kein Chronometer ist; das heißt keine Uhr, ,,die bei einer Gangprüfung eine vorgegebene Genauigkeit bewiesen hat und deshalb als ,Chronometer' bezeichnet werden darf". (7) Tatsächlich hat ein Mechanik- gegenüber einem Quarzwerk in funktionaler Hinsicht kaum Vorteile, wenn man von den umweltbelastenden Batterien letzterer einmal absieht. So stellte bei­spielsweise das Uhren Magazin in seinem „Ratgeber Kaufberatung Uhrenwissen" nüchtern fest: ,.Quarzuhren sind relativ wartungs­freundlich, gehen genauer als jede mechanische Uhr und werden preis­günstig angeboten ... Mechanikuhren erfordern kurze Wartungsinter­valle. verursachen dabei recht hohe Kosten und gehen auch noch ungenau - gemessen an den Möglichkeiten der heutigen Zeit." (8) War die Uhrmacherkunst einstmals darauf gerichtet, durch Verfeinerung der Mechanik die Uhr auf Taschenformat zu verkleinern und durch wei­tere Komplikationen ihren praktischen Nutzen zu erhöhen, so muss man heute das Gegenteil behaupten. Geringe Abmessungen, Leichtig­keit, Ganggenauigkeit und viele Komplikationen - ein Quarzwerk erfüllt diese Anforderungen effizienter als ein mechanisches.

Nüchtern betrachtet dürften sich also gerade die besten handgefer­tigten Mechanikwerke als ein Anachronismus entpuppen: Die zah­lungskräftige Kundschaft, die bei Fahrzeug- oder Medizintechnik selbstverständlich auf die neuesten Errungenschaften der Elektronik vertrauen dürfte, frönt hier handgearbeiteter Mechanik wie vor hun­dert Jahren und beschwört die „Seele", die nur das Mechanikwerk

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haben könne. Ist es die Faszination der Anschaulichkeit mechanischer Abläufe, für die die Uhrenliebhaber ihr Vermögen ausgeben? Nobelju­welier Hellmut Wernpe meint: ,.Sie bezahlen für das Gefühl, eine Uhr zu tragen, die aus menschlicher Hand entstand." (9) Das ist zwar nur partiell richtig, denn die aufwändige Handarbeit wird längst durch Präzisions-NC-Maschinen ergänzt. (10) Der Bereitschaft, hohe und höchste Preise für mechanische Uhren zu bezahlen, liegen offenbar rational schwerlich nachvollziehbare Motive zugrunde. Dürften sich auf Kundenwunsch maßgeschneiderte Schuhe, Bekleidung oder Möbel noch durch einen Zugewinn an Passgenauigkeit oder ästhetischer Indi­vidualität auszeichnen, so gilt das für die in Serie gefertigten Uhren nicht. Der Kunde kann bei A. Lange & Söhne lediglich zwischen verschiedenen standardisierten Modellen in verschiedenen Ausführun­gen wählen.

Das zentrale Kaufmotiv dürfte darin liegen, dass sich mit Armband­uhren wie mit wenigen anderen Dingen immer und überall jener „demonstrative Konsum" zelebrieren lässt. den der Nationalökonom und Soziologe Thorstein Veblen bereits 1899 in seiner Theorie der fei­nen Leute pointiert charakterisierte. Reiche Leute würden teure Dinge nicht wegen ihres Gebrauchswerts kaufen und nutzen, sondern um Prestige zu gewinnen und sich von anderen abzugrenzen durch Dinge, die diese sich nicht leisten können. (11) Diese traditionelle Form von Prestigestreben erlebte - beflügelt von günstigen ökonomischen Rah­menbedingungen - seit Mitte der achtziger Yuppie-Jahre einen vorläu­figen Höhepunkt. Vor dem Hintergrund, dass eine kleine Gruppe gesuchter Fach-und Führungskräfte nach wie vor gute Chancen hat, „in bislang ungeahnte Einkommenskategorien" vorzurücken und der Börsenboom „die Reichen ... ständig reicher - auch zahlreicher" wer­den lässt (12}, hält dieser Trend auch gegenwärtig an; nicht zu verges­sen die Asiaten, die Genuss und Luxus in Gestalt ostensibler Edelpro­dukte, zumindest bis zur Wirtschaftskrise 1997/98, mit Enthusiasmus nacherlebten. (13)

Dennoch ist Vorsicht geboten. So notierte Der Spiegel auch, dass in Deutschland die „Lust am Luxus nachgelassen hat" (14). und die Wirt­schaftwoche warnte: ,,Selbst in den Lifestyle-Nischen müssen deutsche oder Schweizer Hersteller mit Überraschungen rechnen ... die Edelher­steller tanzen auf dünnem Eis. Uhren gelten als Modeartikel, der Hang zur kostbaren mechanischen Herrenuhr ist gerade mal ein Dutzend Jahre alt. Branchenkenner befürchten, dass der Kult am Männerarm jäh abbrechen könnte." (15} Intellektuelle wie Hans Magnus Enzens­berger sinnieren indessen bereits über eine Neudefinition dessen, was Luxus zukünftig sein könnte: ,.Knapp, selten, teuer und begehrenswert sind im Zeichen des wuchernden Konsums nicht schnelle Automobile und goldene Armbanduhren, Champagnerkisten und Parfüms, Dinge, die an jeder Straßenecke zu haben sind, sondern elementare Lebens­voraussetzungen wie Ruhe. gutes Wasser und genügend Platz." (16)

Resümee Obgleich die Armbanduhren von A. Lange & Söhne in ihrer betont ,,klassisch zeitlosen" Gestaltung gleichsam im Kostüm alter Taschenuh­ren daherkommen, kann dies dennoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Bedeutung von Uhren inzwischen gründlich verändert hat. Uhren, noch vor ein oder zwei Generationen als Symbol der Initiation

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ins Erwachsenenleben verschenkt, sind spätestens seit dem Siegeszug der Quarzuhren zu Mode-Accessoires und Insignien von Lebensstil und Status geworden. Der Markt ist fein segmentiert und hält für jeden das Gewünschte bereit: Für die einen eine breite Palette schnell wechseln­der Modeuhren a la Swatch, für die anderen Luxusuhren, die Prestige, Wertbeständigkeit und Langlebigkeit versprechen; und für nicht weni­ge, je nach Anlass, mal das eine, mal das andere. Auch die Lange 1 hat nicht mehr unangefochten den Stellenwert einer „Uhr für's Leben", der ihr einstmals zugekommen wäre. hebt doch schon die Firmenbro­schüre die dreitägige Gangreserve hervor, die „beim heute vielfach üblichen Wechseln seiner Uhren eine willkommene Ausstattung für den Uhrenliebhaber" (17) darstelle. Nicht auszuschließen, dass dieser die edle Armbanduhr für eine noch viel längere Zeit ablegen wird, wenn der Zeitgeist sich von derartigen demonstrativen Symbolen von Luxus, Prestige und Macht wieder abwendet. Spätestens dann könnte offenbar werden, dass auch eine vermeindlich „zeitlose" Gestaltung und materielle Langlebigkeit keine hinreichenden Bedingungen für eine lange Nutzung sind.

Indessen ist nicht zu bestreiten, dass die einstmals so bekannte Uhr­macherstadt Glashütte und die dort neu gegründeten Manufakturen das Kapital ihrer Tradition gut eingesetzt haben, wusste doch schon Montesquieu: ,,Ohne Luxus geht es nicht. Wenn die Reichen nicht reichlich ausgeben, werden die Armen Hungers sterben." (18) Heute droht ihnen zwar nicht mehr der Hungertod, dennoch ist eine privat­wirtschaftliche „Umverteilung" der staatlichen Subventionierung des ostdeutschen Standortes vorzuziehen.

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Anmerkungen (1) Mit Luxu~uhren den Umsatz versechsfacht, in: Frankfurter Allgemeine

Zeitung vom 11. 9. 1998, S. 25 (2) Gerd Gregor Feth, feinmechanischer Luxus aus dem Erzgebirge, in:

Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 248, vom 25. 10. 1994 (3) Reinhard Meis, A. Lange & Söhne, Eine Uhrmacher-Dynastie aus Dresden,

München 1998 (4) Firmenkatalog „A. lange & Söhne", Edition 1997/98,

Glashütte in Sachsen (5) Jörg Albrecht, Der teure Tick, in: Die Zeit, Nr. 50, vom 5. 12. 1997, S. 92 (6) Firmenkatalog „A. Lange & Söhne", Edition 1997/98,

Glashütte in Sachsen

(7) Gerd-R. Lang, Reinhard Meis, Chronographen, Armbanduhren, Die Zeit zum Anhalten, München 1992

(8) Uhren-Magazin, Die Zeitschrift für den Uhren-Liebhaber. Heh 1/2 - 1999,

S.28 (9) Ulrike Meyer-Timpe, Zurück in die Zukunh, in: Die Zeit, Nr. 2, vom

7. 1. 1999, s. 19 (10) Firmenkatalog „A. Lange & Söhne", Edition 1997/98,

Glashütte in Sachsen (11) Thorstein Veblen, Theorie der feinen Leute, Eine ökonomische

Untersuchung der Institutionen, hg. von Peter v. Haselberg und Suzanne Heintz, München 1971. Siehe auch: Lore Kramer, Das Streben nach Prestige - eine elementare Antriebskrah. Zu aktuellen Aspekten in Thorstein Veblens „ Theorie der feinen Leute". in: Dagmar Steffen (Hg.), Welche Dinge braucht der Mensch?, Gießen 1995, Frankfurt 1996

(12) Die gespaltene Gesellschaft, in: Der Spiegel, Nr. 40/1997, S. 86 f. (13) Vgl. Wolfgang Joop im „Spiegel-Streitgespräche", in: Der Spiegel,

Nr. 51/1996, S. 123 . (14) Die Luxus-Falle, in: Der Spiegel, Nr. 51/1996, S. 106 (15) Kult am Arm, in: Wirtschahswoche, Nr. 17, 18. 4. 1996, S. 82 f. (16) Hans Magnus Enzensberger, Reminiszenzen an den Überfluß, in:

Der Spiegel, Nr. 5 1/1996, S. 117 (17) Firmenkatalog „A. Lange & Söhne", Edition 1997/98,

Glashütte in Sachsen (18) Zit. n. Hans Magnus Enzensberger, a.a.O.

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Das Büromöbelsystem Ad Hoc. von Vitra Das Büromöbelsystem Ad Hoc wurde 1994 von Antonio Citterio und Gien Oliver Löw für Vitra entwickelt und zwei Jahre später durch eini­ge wesentliche, qualitativ neue Elemente erweitert. Der Produktent­wicklung ging das zweijährige experimentelle Projekt Citizen Office voraus, an dem Andrea Branzi, Michele De Lucchi und Ettore Sottsass auf Einladung von Vitra-Firmenchef Rolf Fehlbaum teilnahmen und sich unbeschwert von den Einschränkungen einer späteren kommerzi­ellen Verwertbarkeit Gedanken über das Büro der Zukunft machten. Ausgangspunkt war die ständig sich weiterentwickelnde, immer leis­tungsfähigere, kleinere und mobilere Informations- und Kommunikati­onstechnologie, die nicht nur einen tiefgreifenden Umbruch in der Büroarbeitswelt. sondern auch soziale und gesellschaftliche Verände­rungen zur Folge hat. So ermöglicht die neue Technologie bekanntlich eine Dezentralisierung sowie räumliche und zeitliche Flexibilisierung der Büroarbeit. Die bislang scharfe Abgrenzung zwischen Arbeits- und Freizeit wird durchlässiger. Gleichzeitig verändern sich auch die Inhalte und Anforderungen der Arbeit. Mechanisch-ausführende „bürokrati­sche" Verrichtungen nehmen ab, die Hierarchien in den Unternehmen werden flacher. Zunehmend werden Eigeninitiative, -verantwortung und Kommunikationsfähigkeit erwartet. im Gegenzug werden den Arbeitskräften aber auch mehr Freiheit und Individualität zugestanden.

Erste gestalterische Annäherungen von Branzi, De Lucchi und Sott­sass, die diese neuen Bedingungen reflektieren, wurden im Frühjahr 1993 dreidimensional umgesetzt und zu einer Ausstellung im Vitra Design Museum zusammengefasst. freilich, für einen Einzug in die rea­le Bürowelt eigneten sich die dort präsentierten Szenarios kaum (1) -das war ja auch nicht Ziel des Projektes. Doch der scharfe Kontrast zur heute noch vielfach üblichen Ausstattung der Büros ließ deren Defizite umso deutlicher hervortreten. So bescheinigten Ausstellungsbesucher, die mit einem Fragebogen zu Vergleich und Kritik aufgefordert waren, den heutigen Büros einen „emotionalen (kein Platz für individuelle Bedürfnisse) sowie einen atmosphärischen und sachlichen Mangel (Ein­richtung nimmt nicht genug Rücksicht auf die unterschiedlichen Arbeitssituationen)"; häufig gefordert wurde „ mehr Selbstbestim­mung bei der Einrichtung des Arbeitsplatzes" innerhalb eines vorgege­benen Rahmens. (2) Unverkennbar gingen diese Analysen und Impulse aus dem Citizen Offi­ce-Projekt in das neue System Ad Hoc ein. Antonio Citterio erläuterte, dass Ad Hoc als ein „offenes" System entworfen wurde. (3) Durch ein System unterschiedlicher Komponenten, die je nach Bedarf kombiniert werden können. soll es gleichermaßen für Großraum-, Kombi- und Ein­zelbüros, für territoriale und nichtterritoriale Büros, für Teamarbeit, Besprechungen oder für das Horne Office geeignet sein. (4)

1. Ad Hoc zeichnet sich durch eine hohe Komplexität aus, da es aus einer Reihe formal sehr unterschiedlicher Elemente besteht. So kann zwi­schen Tischplatten in mehr als zehn verschiedenen Formen und Größen gewählt werden; es gibt einige einfache, symmetrische, aber auch viel­fältige, asymmetrisch angeschnittene, abgewinkelte sowie organisch gerundete Plattenformen, die einzeln stehen oder in verschiedenen Formationen zu einer komplexen Tischlandschaft angebaut werden

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können. Auch die verschiedenen alternativen Beingestelle tragen zur Komplexitätssteigerung bei; zum einen verlassen sie durch Schrägen das Horizontal-Vertikal-Raster, zum anderen erhöhen die Metallbeine im Kontrast mit den warmgrauen beziehungsweise ahorn- oder eichenfurnierten Tischplatten die materiale Komplexität.

Von großer Prägnanz sind weiterhin die CPU-Boxen, die mit satten, leuchtenden Farben wie Grün, Orange und Blau starke Farbakzente setzen. Betont werden sie zusätzlich durch eine auffällige Perforation der äußeren Wangen mit großen runden Löchern, die allerdings streng dem Raster folgen. Dieses formal neuartige Gestaltungsmerkmal wird auch bei den Stehpultaufsätzen sowie bei den Rückwänden der Schrankelemente wiederholt. Geordneter und ruhiger als das Lochor­nament wirken die alternativ angebotenen textilbespannten Rückwän­de und solche mit kleinen, plastisch erhabenen Noppen. die ebenfalls dem Raster folgen. Auch das „Mono"-Wandelement zeichnet sich durch hohe Ordnung aus.

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2. Während bei anderen Büro-. Möbel- oder Gerätesystemen der System­gedanke meist sehr offensichtlich durch formale Einheitlichkeit, Wie­derholung gleicher Elemente und Anschlussteile zur Erweiterung des Systems angezeigt wird, verweisen bei Ad Hoc viele Gestaltungsele­mente auf Alleinstellung. Beispielsweise haben die Tische, die als Schreib- und Besprechungstische multifunktional genutzt werden können, große Eckradien. Werden mehrere dieser Tische zusammen­gestellt, so werden die einzelnen Tische dennoch als solche wahrge­nommen, da die großen Radien die gute Fortsetzung zum Nachbar­tisch stören. Auch die ovalen und asymmetrisch-organisch geformten Tischplatten. die aus dem Raster fallenden Beingestelle sowie die nicht funktional bedingte Kombination unterschiedlicher Materialien -Tischplatten mit Hartbelag oder Holzfunier; Boxen, Abschirmungen und Rollcontainer aus lackiertem Blech etc. - deuten auf den eigenen Charakter der Systemkomponenten hin. Lediglich die Schrankelernen-

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wird, er sei „sexy wie eine Signorina im Stretch-Kleid" (8) - Individua­lität und wohnliche Qualitäten.

Als Option auf Büroformen der Zukunft präsentieren sich darüber hinaus die verschließbaren Rollcontainer für persönliche Arbeitsunter­lagen. Die Chicagoer Unternehmensberatung Andersen Consulting war eines der ersten Unternehmen. die derartiges Mobiliar nutzte. Bei der Errichtung ihrer Westeuropa-Zentrale in der Pariser Innenstadt gewährte sie keinem ihrer Angestellten, die ohnehin drei Viertel ihrer Arbeitszeit bei Kunden verbringen, einen eigenen Büroraum. Entspre­chend einem „Space-Time"-Konzept - ,.the space you need for the time you need it" - buchen die Mitarbeiter über das Empfangsterminal je nach Bedarf einen Arbeitspl atz oder einen Besprechungsraum. Wenn sie dann an ihrem zugewiese nen Platz erscheinen, steht das persönli­che Rollschränkchen schon für sie bereit. Motiv für diese Form der Büroorganisation war die Beobachtung, dass konventionelle Büros sel­ten ausgelastet und somit relativ teuer sind; nach dem neuen Konzept können die Büroarbeitsplätze weitaus effizienter genutzt und Kosten eingespart werden - mag auch der Architekt Fram;ois Lottie vor den ,.Obdachlosen" in der Firma warnen: .. Es ist wichtig, dass die Ange­stellten ihr Territorium markieren können." (9)

Resümee zweifellos ist Ad Hoc eine Büromöbelfamilie, die sich durch ihre for­male Ausgestaltung, aber auch hinsichtlich der antizipier ten Nutzungs ­spielräume v.om gängige n Mainstream entfe rnt. Auch wenn man übe r einige formale und f unkt iona le Ideen gewiss streiten kann, so erscheint die zugrunde liegende Struktur dennoch schlüssig. Das Design nimmt sowohl auf den technischen Fortschritt wie auch auf Veränderungen im Bereich der gesellschaftlichen Arbeitsorganisation Bezug. Mit gestalterischen Mitteln wird eine konkrete Antwort auf bereits erkenn­bare Entwicklungen gegeben. Ob der Wandel der Arbeitswelt sich schließlich in einer wachsenden Zahl von Horne Offices für Telearbeiter oder im Desk-Sharing für Kundenberater und Halbtagskräfte nieder­schlagen wird - diktiert werden die neuen Arbeitsformen wohl in erster Linie von der Ökonomie. Doch während Wirtschaftswissen­schaftler. Soziologen und Psychologen die verschiedenen Konzepte der Arbeitsorganisation und der Arbeitsplatzgestaltung lediglich erörtern können, obliegt es den gestalterischen Disziplinen Design und Archi­tektur, mit Entwürfen und Modellen dreidimensionale Diskussionsan­gebote zu schaffen, anhand derer verschiedene Szenarien und mögli­che Alternativen praktisch erprobt werden können. Mit konkreten Entwürfen vor Augen dürfte die Entscheidung, wie und in welcher Umgebung wir zukünftig arbeiten und leben wollen, leichter fallen.

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Anmerkungen (1) Vgl. hierzu: Alexander von Vegesack (Hg.), Citizen Office, Ideen und

Notizen zu einer neuen Bürowelt, Göttingen 1994 (2) Uta Brandes, Empirische Spuren, in: ebenda. S. 76 f. (3) Antonio Citterio, Terry Dwan: Ten years of architecture and design,

written by Pippo Ciorra, Basel, Bosten. Berlin 1995, S. 26 (4) Magazin „workspirit S", 1996, der Vitra GmbH (5) Ebenda (6) Vgl. hierzu: Rat für Formgebung, Lars Müller Publishers (Hg.),

Chairman Rolf Fehlbaum, Baden/Schweiz 1997 (7} Uta Brandes, Kommunikation, in: Alexander von Vegesack. a.a.O., S. 70 f. (8) Elke Trappschuh, Das wohnliche Büro, in: form, Zeitschrift für Gestaltung,

Heft 148, 1994, S. 57 (9) vgl. Fredy Gsteiger, Nomaden im Büro, in: Die Zeit, Nr. 20, vom

10.5.1996, sowie: Space-Net, Touch Screens und Rollcontainer, in: Bauwelt, Nr. 21, vom 30. 5.1997, S. 1200

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Der Mail-Order-Katalog ikarus design katalog Mit Trend-Produkten wie der Wanduhr Momento von Aldo Rossi, Miss Trip-Stühlen von Philippe Starck und einem giftgrünen Medizin­schränkchen, dessen Form verblüffend an das Rote-Kreuz-Logo erin­nert - mit diesen drei „gestalterisch anspruchsvollen" Produkten, aus­gewählt für den ersten virtuellen Ikarus-Museumsshop im Museum für Kunsthandwerk in Frankfurt von einer selbstverständli<:h renommier­ten Jury, der die Gestalter Konstantin Grcic, Tom Dixon, Matteo Thun sowie die Journalistin Elke Trappschuh, der (damalige) Museumsdirek­tor Arnulf Herbst und der Leiter der Designabteilung Volker Fischer angehörten - mit diesen Gegenständen also, ,.die aufgrund ihrer Bedeutung und ihrer ästhetischen Qualität auch zur Designsammlung des Frankfurter Museums gehören könnten" {1) und sowohl über den Museumsshop wie auch „direkt über diesen Katalog" zu bestellen sind, mit diesen und mit einer Reihe weiterer, allerdings nur briefmarken­groß abgebildeter Produkte, die momentan „in" sind, wirbt die Titel­seite vom ikarus design katalog 1997 um ein wachsendes Marktseg­ment. Geboten werden „Über 1500 Produkte", und es ist „Alles zum Bestellen! "

Der ikarus design katalog, der im folgenden wie ein Produkt betrachtet und produktsprachlich interpretiert werden soll, ist einer von über 2.000 Versandhauskatalogen, die ihre Dienste auf dem deut­schen Markt offerieren. Er gehört zur Gruppe jener Spezialversender, die in den letzten Jahren zweistellige Umsatzsteigerungen erzielen konnten - während die großen Sortimentsversandhäuser wie Otto, Quelle und Neckermann, die die breite Bevölkerung seit Jahrzehnten mit Basisprodukten aller Art versorgen, entsprechende Umsatzrück­gänge zu verzeichnen haben. Bereits einen Marktanteil von insgesamt rund 40 Prozent konnten sie den Großen der Branche abtrotzen, und dem derzeit eher mäßigen Konsumklima trotzend, melden sie sogar weiteres Wachstum. (2}

Der Erfolg der Spezialversender beruht vor allem auf der profilierten Zusammenstellung und Inszenierung ihres Produktangebotes, verbun­den mit einer Spezialisierung auf bestimmte Marktsegmente: beispiels­weise auf die Zielgruppe der Ökobewussten wie der waschbär Umwelt­produkt-Versand oder Memo, Der Firmenausstatter für Umweltbe­wußte; auf Wertkonservative wie Manufaetum und land's End; oder auf die Design- und Trendorientierten wie der Marlboro Design Shop, interform, MOMS (Mail Order Museums Shop), ikarus design katalog und andere mehr. Sie alle profitieren von einer sich differenzierenden Kundenstruktur, die nicht irgendwelche, hauptsächlich funktionale, gebrauchstüchtige Gegenstände erwerben möchte, sondern nuancier­te Ansprüche an Image, Stil und Qualität der Produkte stellt. Fällt es in den Großstädten nicht allzu schwer, das jeweils Richtige zu erstehen, so hält sich die Angebotsvielfalt auf dem Land freilich in engen Gren­zen. Wer dort seinen Lebensstil mit den entsprechenden Objekten pflegen will, muss entweder in die nächste größere Stadt fahren oder zum Versandkatalog greifen - tatsächlich leben zwei Drittel der ikarus­Kunden in kleinen und mittelgroßen Städten. (3)

Etwa zehn Jahre liegt es zurück, dass die ersten designorientierten Special lnterest-Versandkataloge auf dem deutschen Markt angeboten wurden. Durch die nicht zuletzt von den Medien beförderte allgemei­ne Popularität, die das Design Ende der achtziger Jahre erlangt hatte

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und den hohen Bekanntheitsgrad, den einzelne Gestalter inzwischen genossen, entwickelte sich eine Nachfrage nach jenen Produkten, die in den Zeitschriften und Magazinen, im Fernsehen und in Ausstellun­gen präsentiert wurden. Einige der Design-Versender bemühten sich von Anfang an, sich durch die Entwicklung eines eigenständigen Pro­fils von anderen abzugrenzen. Dies zeigt sich zum einen in einem dif­ferenzierten Grafik-Design der Kataloge, zum anderen lagen beim Auf­bau der Warensortimente unterschiedliche ästhetische, ethische und ökonomische Auswahlkriterien zugrunde.

Im scharfen Kontrast beispielsweise zum Katalog von teunen und teunen, der nüchtern schwarz-weiß daherkommt, sein Sortiment ledig­lich mit winzigen Piktogrammen vorstellend, bei den Kunden dezidier­te Produktkenntnis voraussetzt und stilistisch einen asketischen Mini­malismus vertritt, steht die Corporate ldentity vom ikarus design katalog. Das Titelblatt präsentiert sich nicht in minimalistischer Ord-

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nung. sondern erreicht fast schon die Komplexität eines Boulevard­blattes. Alle im Katalog angebotenen Produkte werden mit einem Farbfoto vorgestellt, Produktname, Angaben zu Hersteller, Designer, Material, Farbe, Maße, Bestellnummer und Preis geben genauere Aus­künfte; fast durchgängig berichtet ein Kurztext über besondere Eigen­schaften des Produktes oder die ihm zugrunde liegende Idee oder Geschichte. Die Katalogseiten selbst schwelgen in zurückhaltend gefäl-1 igen Pastellfarben. Texte, Produktinformationen und freigestellte Fotos sind mit Farbfeldern in Hellblau, Zartviolett. Mintgrün, Sand, Apricot sowie einigen kräftigeren Akzenten in Türkis oder Gelbgrün hinterlegt; die meisten Seiten sind in zwei bis drei Farbfonds angelegt. Weder für die Abbildungen, noch für die Texte gibt es einheitliche Spaltenbreiten und -höhen. Gezügelt wird die Komplexität lediglich durch die konsequente Einhaltung eines Horizontal-Vertikal-Rasters, durchgängige Rastermaße auf gegenüberliegenden Seiten sowie ein­heitliche Schriftgrößen.

Ein Spezifikum vom ikarus design katalog, der 1994 mit einer Start­auflage von 200.000 Exemplaren auf dem Markt eingeführt wurde, sieht Inhaber Volker Hohmann in der breiten Produktpalette von über 1500 Artikeln. Ohne Beschränkung hinsichtlich Größe oder Preis wer­den Wohn- und Kindermöbel, Leuchten, Geschirre, Textilien, Küchen­geräte. Badezimmerutensilien. Büroartikel und Accessoires angeboten. Bewusst sei eine „konsumige" Mischung von hochpreisigen und kostengünstigen Erzeugnissen in Absprache mit den Herstellern ausge­wählt worden. Produkte von Philippe Starck, Antonio Citterio. BoYek Sipek oder Jasper Morrison würden imagebildend wirken, doch auf­grund ihrer zum Teil hohen Preise nur geringen Umsatz einbringen. Gleichwohl würden sie im Katalog gebraucht, um die weniger teuren und weniger elitären Produkte. die die Hauptumsatzträger seien, mas­senhaft verkaufen zu können, erläutert Hohmann das Marketingkon­zept. (4) Doch schauen wir uns den kalkulierten Grenzgang zwischen .,gutem Design" und „Kommerz" genauer an.

Durch die einheitliche Präsentationsweise im Katalog werden alle Produkte - gleichgültig, ob es sich um gut gestaltete, hochwertige Markenprodukte oder No-Name-Erzeugnisse von fragwürdiger gestal­terischer Qualität handelt - auf eine Ebene gehoben. Ob es um die Freischwinger von den Gebrüdern Heinz und Bodo Rasch aus einer Re­Edition der Firma L&C Arnold Stendal geht - die Stühle wurden hier den wohl eher rudimentären Designkenntnissen der Leser entspre­chend kurzweg Bauhaus getauft - um ein Bookworm-Regal von Ron Arad für Kartell oder um einen F/ex-Kerzenständer, gestaltet und her­gestellt von Bernd Jornitz - bei ikarus sind alle gleichgestellt. ,.Jedes Exemplar ist durch die Verwendung unterschiedlicher Zahnräder ein Unikat und zudem signiert ... ". erläutert der Katalogtext zum Kerzen­ständer. Und über eine kleine Tischuhr heißt es: ,.Das ausgefallene, abgerundete Design ist das Kennzeichen dieser einzigartigen Objektuhr; die Signierung jedes Exemplares nur eine logische Konse­quenz." (5) So klangvoll werden also Produkte offeriert, die eher als ein müder Abklatsch aus dem Hobbykeller, denn als überzeugende, kreati­ve Leistung erscheinen. Tatsächlich finden sich eine ganze Reihe derar­tiger als „Design" verbrämter Schnickschnack-Produkte im Katalog, seien es diverse Zahnstocherspender aus „massivem Alu, poliert und verchromt" für 89 DM, die gerade mal ein Dutzend Hölzchen halten

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können, ein „formschönes" Spagettimaß aus geöltem Buchenholz o.?er ein Trockenstän~er für Spültuc~ und Bürste. Sinnigerweise wird fur derartiges dann ein 48-Stunden-Liefer- und Geschenkservice - ver­packt im exklusiven Michele-De-Lucchi-Geschenkpapier - angeboten. Wer hat nicht schon selbst solche Verlegenheitsgeschenke erhalten, mit denen er nur eines anfangen konnte: sie bei nächster Gelegenheit weiterverschenken?

Nicht allzu hoch dürften indessen auch die Qualitätsanforderungen an die Produkte sein, wie beispielsweise Küchengeräte mit der Materi­alangabe „Kunststoff verchromt" vermuten lassen. Das Gleiche gilt für den Anspruch an ihre Originalität. So ist bei den Dosen Micky- und Bunny-Box oder der Schale Fruit Monsters von sks design die Inspirati­on von Produkten. mit denen der italienische Haushaltswarenhersteller Alessi Anfang der 1990er Jahre Erfolg hatte, nicht zu übersehen. Und das fünfteilige Kaffee- und Teeservice Neue Klassik von dem Architek­ten Oswald Mathias Ungers für Wilkens entworfen und in einer auf 101 Exemplare limitierten Edition für rund 20.000 DM vertrieben - das erinnert haarscharf an das legendäre Projekt der Tea-und Coffee Pi­azzas, das 1979 von Alessandro Mendini für Alessi initiiert wurde; Men­dini lud damals elf international renommierte Architekten ein, vier Jah­re später erhielten die Piazzas bei der öffentlichen Vorstellung in einer von Hans Hollein inszenierten Ausstellung in der Kirche von San Car­poforo gleichsam höhere Weihen und wurden in einer 99er Auflage zum Preis von circa 35.000 DM angeboten. Nun, das Set von Ungers gehörte damals nicht dazu, es wurde später sozusagen „nachempfun­den".

Man fragt sich freilich, welches Designverständnis durch dieses Kon­zept en passant bestätigt und zugleich auch vermittelt wird. Von einem traditionellen Selbstverständnis des Designs. das sich als ein ethisches Prinzip begriff und an Kriterien wie Funktionalität, Nützlichkeit. Dau­erhaftigkeit und „Schönheit". kurz am Gebrauchswert der Produkte orientierte, ist es ebenso weit entfernt, wie von einer eindeutigen sti­listischen Haltung; bietet der Katalog doch Produkte an, in denen sich so gegensätzliche Gestaltungsauffassungen niederschlagen wie die von Antonio Citterio, Bo'fek Sipek, lnflate oder Stiletto. Noch ist der ikarus design katalog ein Sammelbecken für vielerlei Design und vieles, was Design sein möchte. Kein Wunder, denn motiviert wird die Pro­duktauswahl nicht durch ehr-, streit- und begründbare Qualitätsmaß­stäbe, durch eine dezidierte Design-Philosophie oder Begeisterung für die Sache, sondern vielmehr durch eine ökonomisch klug kalkulierte Marketingstrategie und nüchterne Verkaufsstatistik. Nicht anders als jener Bestseller des Versandhauses N. in Frankfurt am Main, den Hans Magnus Enzensberger Anfang der sechziger Jahre vernichtend rezen­sierte. ist auch das ikarus-Sortiment „das Resultat einer normalen kauf­männischen Kalkulation" und somit zugleich „ das Resultat eines unsichtbaren Plebiszits". (6) In diesem Sinne hat das Versandunterneh­men ein Auge auf den Jahresumsatz pro Katalogseite; und um den nicht zu gefährden, werden bei der jährlichen Neuauflage des Katalo­ges weniger gefragte Artikel gegen andere ausgetauscht, womit zugleich auch die „Aktualität" des Angebots gewahrt werde. (7)

Doch welche Rückschlüsse lassen sich aus den Kaufentscheidungen ziehen? Vorrangig dürfte der Katalog Menschen ansprechen, die sich mit Gestaltung nicht allzu intensiv befasst haben, keine präzisen stilisti-

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sehen Erwartungen an das Produktangebot haben und den Image­Transfer von einigen „Design-Klassikern" auf das übrige Sortiment nicht wahrnehmen. Eher dürften sie Design als einen aktuellen Trend verste­hen, und sich mit Produkten wie beispielsweise der Fruit-Monster-Scha­le - .. monströs gut und ein absoluter Leckerbissen für Insider und Trend­setter", versichert der Begleittext - ein paar „Design-Objekte" zulegen wollen, mit denen sie Geschmack und Zugehörigkeit zu einer vermeind­lichen „ln-Group" demonstrieren können. Diese Haltung mag zumin­dest teilweise die an sich verwunderlich hohe Bereitschaft der Kunden erklären, dem inszenierten Schein der Produktpräsentation im Katalog zu vertrauen und Dinge auf Distanz zu kaufen. Denn ikarus vertreibt ja keineswegs nur Markenprodukte, die man schon vorher in Geschäften oder bei Bekannten im Original begutachten konnte und bei denen der Herstellername für Qualität bürgt. Auch handelt es sich nicht um irgend­welche technischen Güter, deren Funktionsmerkmale mit Textangaben hinreichend spezifiziert wären, sondern eben um Einrichtungsgegen­stände und persönliche Accessoires; Produkte also, bei denen Anmu­tungsqualitäten wie eine angenehme Haptik, sorgfältige Verarbeitung, hochwertige Materialien oder kleine Farbnuancen oft eine entscheiden­de Rolle spielen, und Qualitäten, die sich nicht über Abbildungen oder beschreibende Texte vermitteln lassen, da sie nur eigenen Auges und mit eigenen Händen sinnlich erfahren werden können.

Eine weitere Besonderheit, durch die sich ikarus von anderen Design-Katalogen abhebt, dürfte dieser Zielgruppe in idealer Weise entgegenkommen. Gemeint ist der von der d ... c Unternehmensbera­tung, Frankfurt, betreute redaktionelle Teil des Kataloges . Die Beiträge, die die einzelnen Produktgruppen einleiten, berichten über aktuelle Trends, Produktlinien und Designer wie etwa „Homeoffice - Arbeiten in den eigenen vier Wänden", ,.Droog Design auf Erfolgskurs" oder „ Kristallklar - Neuheiten von Botek Sipek für Swarovski". (8) Einerseits mag das für die Leser, die nur sporadisch in Design- und Einrichtungs­Magazinen blättern. durchaus informativ sein; andererseits unterstüt­zen die Katalogbeiträge auch das Interesse und die Kaufbereitschaft. Denn wer beispielsweise mit der Kistallschale Apollo eine kleine Geschichte über den „wichtigsten Vertreter des Neo-Barock" und die mehr als 100-jährige Tradition des österreichischen Unternehmens Swarovski verbinden kann, ist wahrscheinlich eher geneigt, dafür den stolzen Preis von fast eintausend Mark zu bezahlen.

Im übrigen rechtfertigt diese geschickte Kombination aus Katalog und Magazin auch den Vertrieb über den Buch- und Zeitschriftenhan­del. Zwischen 25 und 30 Prozent der Katalogauflage werden für 7,80 DM auf diesem Wege abgesetzt; nur Kunden erhalten den Katalog später kostenlos zugestellt. (9) Zudem finden sich in dem Katalog Wer­beanzeigen von Design- und Lifestyle-Magazinen, und auch die Her­steller, deren Produkte von ikarus vertrieben werden, zahlen für die Erstellungskosten. Die Katalogkosten, die andere Versandhändler oft­mals selbst tragen, werden somit geschickt auf andere umgelegt.

Imagevorteile und Vertrauen bei den Kunden dürfte schließlich auch die Kooperation mit dem Frankfurter Museum für Kunsthand­werk eingebracht haben. (10) Nicht nur, dass die Auswahl von zunächst 20 Produkten durch eine Expertenjury als ein „Grundstein für ein Qua­litätssiegel" (11) angesehen wird. Auch konnte das Versandhaus mit dem virtuellen Museumsshop erste Erfahrungen mit der Online-

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Warenorder sammeln, die beim Aufbau der eigenen Internetseite hilf­reich gewesen sein dürften. Zwar ist bislang erst ein kleiner Teil des gesamten Sortiments im Netz präsent. gleichwohl weist der Ansatz auf einen wesentlichen Trend hin: Der virtuelle Einkauf wird in Zukunft weiter zunehmen. So sagt beispielsweise eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (ifo) aufgrund des Aufschwungs, den der Absatz per Internet bringen wird, einen Anstieg des Versandhandelsanteils am gesamten Einzelhandel von heute 5,6 auf 10 Prozent im Jahr 2010 vor­her. (12) Ob und welche Auswirkungen der virtuelle Kauf letztlich auf den Umgang mit den Dingen haben wird - ob die Realität die skepti­sche Erwartung des Designhistorikers Heinz Hirdina bestätigen wird, der bei der Online-Bestellung „kein Erwägen, sondern rasches Reagie­ren wie im Verkehrsgewühl. Wieder ... ein Terrain von der Beschleuni­gung erfasst" (13) sieht und mit verkürzten Produktlebenszyklen rech­net, oder ob die optimistische Vermutung des Designberaters Peter Zec eintreten wird, der kritische Käufer könne sich im virtuellen Kaufhaus „unter Umständen ... ein besseres Urteil ... bilden als bei einem realen Einkaufsbummel", da er hier die „Möglichkeit hat, zahlreiche Zusatz­informationen abzurufen, die ihm die Kaufentscheidung erleichtern könnten" (14) - das sei zunächst dahingestellt.

Anmerkungen (1) ikarus design katalog 1997, Editorial (2) Versandhandel hofft auf virtuelle Anprobe, in: Süddeutsche Zeitung,

12. S. 1998 (3) Volker Hohmann bei einem Gespräch an der Hochschule für Gestaltung

Offenbach am 30. 4. 1997 (4} Volker Hohmann bei einem Gespräch an der Hochschule für Gestaltung

Offenbach am 30. 4. 1997 {5) ikarus design katalog 1997, S. 105 {6) Ham Magnus Enzensberger, Das Plebiszit der Verbraucher, in: Einzel­

heiten 1, Frankfurt/Main 1962, S. 137 f. {7) Volker Hohmann bei einem Gespräch an der Hochschule für Gestaltung

Offenbach am 30. 4. 1997 (8) ikarus design katalog 1997 (9) Volker Hohmann bei einem Gespräch an der Hochschule für Gestaltung

Offenbach am 30. 4. 1997 (10) Die Kooperation zwischen ikarus und dem Museum für Kunsthandwerk

wurde von dem Unternehmen aufgrund geringer Bestellzahlen nach zwei Jahren beendet. Als Qualitätsgarant bietet der Katalog nun auf einigen Sonderseiten Produkte an, die bei dem alljährlich veranstalteten Design-Wettbewerb der Frankfurter Messen Premiere und Ambiente mit dem Prädikat „Design Plus" ausgezeichnet wurden.

(11) ikarus design katalog 1997 (12) Versandhandel hofft auf virtuelle Anprobe, in: Süddeutsche Zeitung, 12.

5. 1998 (13} Heinz Hirdina, Design auf Bestellung?, in: Design Report, Nr. 2/1993, S. 56 f . (14) Peter Zec, Design goes virtual!, in: md, moebel interior design,

Nr. 9/1995, S. 28 f.

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~I 1 1

3.4 Design für die digitale Technologie Gegenwärtig verändert die Mikroelektronik durch ihre direkten wie durch ihre indirekten Folgen die Arbeit des Designers so gravierend. dass die gesamte Reichweite noch kaum abzuschätzen ist. Unter pro­duktsprachlichen Aspekten interessiert hier zunächst, dass das Innenle­ben vieler Produkte auf Mikrochip-Format geschrumpft ist, so dass das funktionalistische Credo, die Form eines Gegenstandes solle die in ihm organisierten Funktionselemente reflektieren, längst nicht mehr greift und die Gestaltung sich bestenfalls noch an ergonomischen und her­stellungstechnischen Einschränkungen orientieren kann. Gleichzeitig hat sich die Benutzerführung zu einem wichtigen Bereich gestalteri­scher Praxis entwickelt. Durch den Preisverfall der Chips werden viele Produkte mit immer mehr Funktionen ausgestattet - und es sollte für die Nutzer erkennbar werden, was das Gerät alles kann und wie ihm diese Funktionen zu entlocken sind; ob dies nun auf Hardware- oder Software-Ebene oder in Kombination beider geschieht - die Heraus­forderung der produktsprachlichen Vermittlung stellt sich in jedem Fall. Wie die Fallbeispiele eines Handy und einer CD-ROM belegen, ist hier­bei die Kompetenz von Produkt- und Informationsdesign gefordert, die entsprechenden sich selbst erklärenden Funktionsanzeichen zu gestal­ten.

Doch nicht nur das elektronische Innenleben von Produkten stellt die Designer vor neue Aufgaben. Durch den Verbund von digitalisier­ten Fertigungsprogrammen und elektronisch gesteuerten Werkzeug­maschinen verändert sich auch der Entwurfs- und Produktionsprozess. CNC-Fräsen und Laserschneider ermöglichen eine ökonomische Klein­serien- und Einzelstückfertigung, die der industriellen Großserie Kon­kurrenz macht und in zweifacher Hinsicht eine radikale Wende einlei­ten könnte, die der Ersten industriellen Revolution vor hundert Jahren nicht nachstehen dürfte. Zum einen bedingt der neue Produktionsstil -ebenso wie der handwerkliche und der industrielle - seinen spezifi­schen produktsprachlichen Ausdruck; und zum anderen könnte sich die Rolle der Designer, die sie im industriellen Produktentwicklungs­prozess einnahmen, unter anderem durch die stärkere Position des Kunden verändern. Diese Perspektiven werden anhand des Fallbei­spiels C-Hocker beschrieben.

Das Handy One touch PRO von Alcatel Bernhard E. Bürdek Mit drei ganzseitigen Anzeigen in der Tagespresse wurde im Sommer 1997 ein neues Produkt vorgestellt, das unsere Aufmerksamkeit weck­te: .. 115 Funktionen und nur 15 mm dünn. Damit sind Ihre Finger blitz­schnell am Drücker". ,.Verlieren Sie keine Zeit mehr am Telefon" oder „ Vergessen Sie die Suche nach der Gebrauchsanweisung. Sie haben den Finger drauf" - so warben die Headlines. Alle Anzeigen zeigten an ihrem rechten Rand ein Band von sogenannten „Icons", das sich auf den ersten Blick als Verweis auf den High-Tech-Charakter des Produk­tes deuten lässt. Bei genauerem Hinsehen merkt man jedoch schnell. dass sich nur ganz wenige dieser „Icons" wirklich selbst erklären, so dass das Band zu einem graphischen Superzeichen oder gar zur Orna­mentierung eines mikroelektronischen Produktes wird. Nur der wahre Experte versteht so etwas - oder kann vielleicht erahnen, mit welch intelligentem Produkt er es zu tun hat. So heißt es dann auch im Text einer der Anzeigen: ,,Fortschrittlich, extra-flach. ultra-leicht und super-

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benutzerfreundlich ... Das Alcatel One Touch PRO TM ist der Inbegriff eines GSM Handys der neuesten Generation. 11 S Funktionen und Fea­tures, 3 Tage Stand-by, 3 Telefon-Ver zeichnisse, Zugang zu Online Diensten. Taschenrechner ... In Nullkommanichts zu bedienen. Denn einfacher geht einfach schneller." Insbesondere der letzte Satz steht im eklatanten Widerspruch zum Gerät selbst: Denn wenn man nur mal schnell jemand anrufen will, muss man sich gleichwohl erst durch das .,Menü" quälen - aber darüber später mehr.

1. Formalästhetisch betrachtet ist das One Touch PRO ein undefinierbares Teil. Die einzelnen Elemente eines Telefons wie etwa Tastatur, Display oder der Hör- und Sprechbereich gehen nahtlos ineinander über, das Mikrophon schrumpft auf zwei stecknadelgroße Öffnungen in einer winzigen Mulde, die formalistisch an die derzeit üblichen weichen Tastenformen angeglichen wurde; eine Bedeutungsdifferenzierung fin­det hier nicht statt. Etwas deutlicher gestaltet ist die Hörzone: sieben punktförmige Öffnungen werden durch eine sanft geschwungene Kur­ve umfasst, die wohl die Assoziation zum ehemaligen Hörer wecken soll. Es dominiert die Tastatur mit einer großen Cursortaste, die zur Steuerung der „kinderleichten Menüsteuerung" dient. Darüber ange­ordnet ein „extragroßes hochauflösendes LCD-Grafikdisplay", das wie bei vielen anderen Produkten zum zentralen Bedienelement mutiert und als „das" Zeichen für fortgeschrittene Technologie heute wahrlich zum Alltag unserer dinglichen Umwelt gehört.

Das Gerät selbst verjüngt sich leicht nach unten, so dass das .,In-die­Tasche-Stecken" erleichtert wird, nach oben hin fungiert es jedoch als „Hand-Ding". Aber auch dieser Übergang ist eher undeutlich, allein der kurze Zipfel der ausziehbaren Antenne gibt dem Gerät eine Ausrich­tung. Von der Seite betrachtet bildet die leicht geschwungene Form des Gerätes durchaus eine gute Fortsetzung. Da es sich jedoch um ein

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„Taschending" handelt, durfte die Krümmung nicht zu stark sein, denn sonst würde sich ja die Sakkotasche unangenehm ausbeulen.

2. Der Verlust des Wesensanzeichens „ Telefon" ist offensichtlich: Das Pro­dukt selbst ist kein „Hör-Sprech-Gerät", wie man das Telefon einmal bezeichnen konnte. Vielmehr wird dem potenziellen Nutzer eine geballte Ladung Technik suggeriert- und natürlich auch geboten. Man will ihm - ganz im Trend der Zeit - eine „Dienstleistung" bereitstellen: Er soll überall dort, wo er sich befindet, Informationen abrufen und weiterleiten können. Dies ist ein Produkt für Nutzer, die immer und überall erreichbar sein müssen, um Anweisungen erteilen und Dinge in Bewegung setzen zu können. Mit solch einem Gerät zieht man sich nicht gemütlich zum plaudern zurück, es dient nur noch dem Aus­tausch von Informationen. Die durchschnittliche Gesprächszeit bei Handys soll übrigens circa 1,5 Minuten betragen, was ja letztlich den ,,kommunikativen" Charakter des Produktes belegt.

Mit einem Telefonhörer konnte man noch spielerisch umgehen, ihn zwischen Schulter und Kopf klemmen, nebenher irgend etwas anderes tun, ihn distanziert halten oder anschmiegsam hineinflüstern; der Hörer war der Mittler zwischen den Telefonierenden selbst. Wutent­brannt konnte man ihn bei Bedarf auch auf die Gabel werten - ein Handy indes kann man gerade noch auf den Boden oder in die Ecke werfen.

Das One Touch PRO ähnelt eher einem Cockpit oder Laptop. So gesehen verkörpert es die gefrorene Mobilität der urbanen Nomaden, denn die wirklichen Nomaden sind ja erstaunlich sesshaft, sie bewegen sich in eng definierten Territorien - und so werden die Produkte letzt­lich zum Surrogat einer verlorengegangenen Freiheit: ,, Dialog und Teil­habe sind nicht mehr raumgebunden. Der französische Präsidentenbe­rater und jetzige Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, Jacques Attali, nennt die Konsumgüter der Zukunft kurz und treffend ,objects nomades' - ,nomadische Gegenstände', Geräte, die man am Körper trägt, gleich, wo man sich bewegt. Zu den traditionellen ,Geräten' wie Waffen, Kleidung, Schmuck und Uhr tre­ten Walkman, tragbares Telefon, Kreditkarte und neuerdings Fax, Laptop und Herzschrittmacher. Eine Gemeinsamkeit der sich abzeich­nenden ,Revolution' der neuen Technologien scheint zu sein, dass sie, ganz allgemein gesprochen, die Ortsbindung aufheben und Teilhabe ohne Anwesenheit ermöglichen" (1).

Und um noch einmal auf das Wesen des One Touch PRO zurückzu­kommen: es ist ein exzellentes Beispiel für die immer rasanter zuneh­mende Elektronisierung der Welt. in dem sich kritiklos die Fortschritts­euphorie des ausgehenden 20. Jahrhunderts manifestiert- aber welchen Komfort bietet es dem Nutzer wirklich? Die Frage des Benutzens, die bekanntermaßen bereits in den Anfängen der Disziplin, am Bauhaus, an der HfG Ulm sowie an der HfG-Offenbach unter dem Stichwort „Anzei­chenfunktionen" zentral war, rückt derzeit wieder in den Vordergrund des Erkenntnisinteresses. Zwischen Nutzer und Produkt schiebt sich im Zeitalter der Elektronisierung immer mehr das Interface und die dazu­gehörige Anleitung, die wegen der mangelnden Selbsterklärung des lntertaces, nicht zuletzt aber auch aus juristischen Gründen notwendig ist (siehe etwa die VDI-Richtlinie 4500 „Technische Dokumentation").

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Das One Touch PRO gibt nunmehr vor, dass jede Funktion sofort erreichbar sei, mit einem Fingerdruck könne alles abgerufen werden -sogar die Gebrauchsanleitung: Online-Dokumentation nennt man so etwas, was gestalterisch zweifellos der richtige Weg sein könnte, nur wie stellt sich diese dem Nutzer dar? Aus der Sicht des Interface-Design stellt das One Touch PRO auf den ersten Blick eines jener „gelunge­nen" Beispiele dar, die Donald A. Norman mit seinem Wort von der ,,featuritis" wohl meinte: .,Die schleichende Seuche der Leistungs­merkmale - das ist die Tendenz, die Zahl der Funktionen, die ein Gerät erfüllen kann, immer weiter zu erhöhen und bis ins Irrsinnige zu stei­gern"; und weiter: ,,Dabei scheinen neue Leistungsmerkmale allen das Leben leichter zu machen. Doch mit zusätzlichen Leistungsmerkmalen geht auch zusätzliche Komplexität einher. Jedes neue Leistungsmerk­mal bedeutet noch eine zusätzliche Steuervorrichtung, Anzeige oder Anweisung. Die Komplexität nimmt wahrscheinlich exponentiell zu der Zahl der Leistungsmerkmale zu: Verdoppelt sich die Zahl der Leistungs­merkmale, so vervierfacht sich die Komplexität. Und bei zehnmal so vielen Leistungsmerkmalen kann man die Komplexität mit hundert multiplizieren" (2).

Der Grund für die immer rascher steigende Komplexität mikroelek­tronischer Produkte ist recht einfach: Die Leistungsfähigkeit der Chips nimmt sprunghaft zu, ihr Preis im gleichen Maße ab. Für Produktent­wickler ein wahrhaft paradiesischer Zustand: Immer mehr Leistung für immer weniger Geld. Also gilt das Nachdenken insbesondere der Fra­ge, welche Leistungsmerkmale in ein Produkt noch integriert werden können. Was im mechanisch-elektrischen Zeitalter mit erheblichem Aufwand an Konstruktion und Fertigung (sprich Kosten) verbunden war, lässt sich heute eben recht einfach in die Chips implantieren. Und so bewahrheitet sich die Norman·sche Prognose aus den ausgehenden achtziger Jahren an dem One Touch PRO erst zehn Jahre später: ,. 115 Funktionen und nur 15 mm dünn" - ein Geniestreich an Innovation.

Wie steht es nun um Bedienung und Selbsterklärungsqualität des One Touch PRO? Der so vielgerühmte „intuitive Umgang" mittels GUI (Graphical User Interfaces), wie sie insbesondere aus der Apple- und Windows-Welt bekannt sind, funktioniert nur eingeschränkt. So war es recht beeindruckend, wie eine zufällige studentische Probanden­gruppe sich mühte, überhaupt auch nur eine Verbindung herzustel­len. Immerhin gibt es eine 30-seitige gedruckte Anleitung, die man sicherheitshalber schon einmal studieren sollte. wobei das ständige Mitführen natürlich unsinnig wäre, denn dafür gibt es ja die Online­Version.

Die Bedienung des Gerätes selbst erfolgt über drei verschiedene Ele­mentegruppen: Die als Zwölferblock ausgebildete Zifferntasten von 1 bis O inklusive der Sonderzeichen * und #; den schon erwähnten Cur­sorblock zur horizontalen und vertikalen Navigation im Menü des Dis­plays; und drei sogenannte „Softkeys", die in direkter Verbindung mit dem Menü mit wechselnden Funktionen zu belegen sind.

Diesen funktionalen Unterschieden wird die formale Gestaltung indes nicht gerecht, denn die elliptische Form der Zwölferblock-Tasten setzt sich beim Cursorblock fort. Allein die Softkeys sind als runde Tasten ausgeführt. Ihre Zuordnung zu den jeweiligen Icons ist eindeu­tig und klar ablesbar, die Navigation recht eindeutig; so dient die linke Taste immer dem „Löschen", die mittlere der Funktion „Ändern" und

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die rechte der Funktion „Wählen". Sofwareergonomisch wird dieses Prinzip zwar konsistent durchgehalten. Beim weiteren Analysieren der Funktionalität sowie des Interface-Design-Konzepts gerät man indes ins Stocken, was folgendes Beispiel zeigen soll. Ein bekanntes „feature" digitaler Telefone ist das „Makeln", das heißt man kann abwechselnd mit zwei Partnern telefonieren. Das Prozedere beim One Touch PRO wird wie folgt beschrieben:

Anklopfen Zur Aktivierung des Anklopfsignals eines eingehenden Anrufs drücken Sie die Tasten 54. Geht während eines Telefongesprächs ein Anruf ein, wird ein „Piepten" abgegeben. 1. Den neuen Anruf entgegennehmen und das aktuelle Gespräch auf Halten schalten oder 2. Den neuen Anruf entgegennehmen und das aktuelle Gespräch beenden. 3. Den Anruf ablehnen und weiter mit dem ersten Gesprächspartner telefonieren oder 4. Beide Anrufer halten und von einem zum anderen Gesprächspartner wechseln.

Auf Halten schalten Wenn Sie einen zweiten Anruf tätigen möchten, müssen Sie zunächst den ersten Gesprächspartner auf Halten schalten. 1. Schalten Sie den ersten Gesprächspartner auf Halten 2. Wählen Sie die Nummer des zweiten Gesprächspartners.

Diese durchaus nicht einfachen Routinen sind für den Laien praktisch kaum nachzuvollziehen. Nur der Profi - etwa eben jene berühmten Börsenmakler, die mit mehreren Telefonen gleichzeitig hantieren -werden dieses Leistungsmerkmal zu schätzen wissen. Aber auch für sie wird es in der Praxis einfacher sein, mit mehreren Apparaten gleichzei­tig zu hantieren, als dies alles mit einem winzigen Handy bewältigen zu wollen. Denn jede noch so kleine Fehleingabe führt ins Nirwana -und dann hat es sich einfach ausgemakelt.

Der eingangs erwähnte Hinweis auf die ornamentierende Wirkung der „Icons" in den Anzeigen kann somit auf das gesamte Produkt aus­gedehnt werden: Es ist ein Superzeichen der technologischen Moder­ne, das sich schon recht weit von den Bedürfnissen der Benutzer ent­fernt hat. Das oft bemühte Schlagwort von der „intuitiven Bedienbarkeit" elektronischer Produkte wird zur Worthülse der neun­ziger Jahre, wie es der Begriff „ formschön" in den sechziger und sieb­ziger Jahren einst war.

überhaupt sind heute die Bedienstrukturen mikroelektronischer Produkte zu einem gravierenden Problem geworden. Ob Telefon, Fax, Hi-Fi, Heizungssteuerung oder Bürogeräte - die Anwender können kei­ne generellen Nutzungsroutinen aufbauen, wie etwa beim Auto, das man - gleich welchen Fabrikats - schon irgendwie fahren konnte. Statt dessen müssen heute immer wieder neue Icons gelernt werden. Selbst für elementare Funktionen wie Einschalten, Eingabe, Abrufen, Spei­chern etc. fehlen Standards, was letztlich Ausdruck der derzeit herr­schenden Kämpfe der Hersteller um Marktanteile ist. Normen wie DIN oder ISO werden zudem nicht branchenübergreifend entwickelt, son-

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dern nur für die jeweiligen Produktkategorien. Ein Manko, das wir im tagtäglichen Umgang mit Produkten spüren.

Ein anderer Weg, wirklich einmal „intelligentes Design" in einem Produkt zu realisieren, könnte bei den Handys darin bestehen, dem potenziellen Benutzer die gewünschten „ features" nur nach Bedarf zur Verfügung zu stellen. sprich zu verkaufen. So könnte auf der SIM-Kar­te gespeichert werden, welche der gewünschten Funktionen dem Benutzer zur Verfügung stehen. Wenn dieser später über weitere ver­fügen möchte, so könnte dies ja einfach auf der Karte neu abgespei­chert werden. Im Softwaredesign ist es beispielsweise schon lange üblich, sogenannte „User-Level'' bereitzustellen, etwa für die Anfänger (Novizen). für die gelegentlichen Nutzer und sodann für die Experten. Damit kann sichergestellt werden, dass der Laie nicht über-, und der Experte nicht unterfordert wird.

3. Jenseits dieser Aspekte stellt sich aber bei dem One Touch PRO natür­lich sehr rasch die Sinnfrage. Welchen Sinn macht es überhaupt, ein Produkt, dessen Nutzen in der Übermittlung von kurzen Informationen liegt, mit so vielen „features" (inklusive einem Taschenrechner) zu überfrachten? Der Gedanke des „universellen Kommunikators", der vielleicht dahinter steht (Telefon. Fax. Zugang zum Internet usw.). kann so nicht gelöst werden.

Die Anbieter der Handys haben ja ihre Zielgruppen klar im Auge, was man am besten dort beobachten kann, wo sich die potenzielle Kli­entel trifft. In den wie Pilze aus dem Boden schießenden Läden der Netzbetreiber (D1. D2, E plus) in den Innenstädten: Da sind zunächst einmal die Jugendlichen (18 - 30-Jährige, vornehmlich männlichen Geschlechts. die von morgens bis abends wichtige „dates" auszuma­chen haben und deren permanente Erreichbarkeit unbedingt sicherge­stellt sein muss), sodann die Business-Manager, die Hehler und die Lover natürlich. Dass die Service-Leute, die immer zu Diensten zu sein haben, ein Handy wirklich benötigen - genauso wie die Ärzte, die Bereitschaftsdienst haben, ist fast nicht mehr erwähnenswert.

Aus sozio-psychologischer Sicht ist das Handy eines der interessan­ten Objekte der Gegenwart, so dass bereits eine Vielzahl von Essays (3) und sogar Bücher (4) darüber geschrieben wurden - und ganz beson­ders sind es die Witze. die über die Handys und deren Besitzer gemacht werden. In den Anfangszeiten der Handys war es peinlich ein solches zu besitzen - und dann nicht einmal angerufen zu werden, so dass es spezielle Dienstleister gab (und gibt?), die dann anrufen, wenn man es vereinbart hat. Und um so peinlicher ist es heute, wenn mitten in einer Konferenz das Handy summt. da der Besitzer vergaß, es abzu­stellen. Ja hat die/der denn kein Sekretariat oder zumindest einen Anrufbeantworter! Selbst die Netzbetreiber bieten doch die Nutzung von so genannten Mailboxen an, in denen ankommende Gespräche gespeichert werden können. Die vermeintliche Zugehörigkeit zur mobilen, dynamischen Gesellschaft kehrt sich rasch ins Gegenteil. Anstelle sozialer Integration erscheint der Handy-Besitz heute fast schon ächtend. Manche Unternehmen, so auch Alcatel, haben dieses Manko rasch erkannt und bieten Geräte an, die mit einem „Vibrator" versehen sind. Bei eingehendem Anruf wird das Gerät in leichte Schwingungen versetzt, so dass man immer noch ohne Aufhebens zu

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machen den Ausschalter bedienen kann - so man diesen eben in der Eile findet - oder sich zum Telefonieren diskret an einen ungestörten Ort begeben kann. Und so hat es dann auch etwas Lächerliches, wenn in der mittäglichen Business-Konferenzpause nicht gerade wenige der Teilnehmer sogleich nach draußen stürmen, um endlich ihre Handys wieder in Betrieb nehmen zu können. Die Raucher und die Telefonierer nach draußen - besser kann man eigentlich die soziale Diskriminierung kaum darstellen.

Der ADAC startete gerade eine äußerst nützliche Aktion. Da die Anzahl der gekündigten Verträge bei den Netzbetreibern extrem hoch ist, wird empfohlen, die alten Handys als kostenlose Notfallmelder ins Auto zu legen {5}. Das Absetzen des Notrufs funktioniere nämlich auch ohne SIM-Karte, die erst den Zugang zum jeweiligen Netz ermöglicht. Ja man könne sich sogar ein gebrauchtes Mobiltelefon ohne Vertrag und Karte zulegen, um im Notfall kommunikationsfähig zu sein. Nach dem Aufladen des Akkus erscheint beim One Touch PRO sodann auch gleich das SOS-Icon im Display - und es funktioniert sogar. Selbst aus­rangierte Handys können also einen wirklichen Nutzen besitzen. zusammengenommen scheint die symbolische Interpretation bei die­sem Produkt das wohl interessanteste Feld produktsprachlicher Analy­se zu sein, die mit diesen Hinweisen wahrlich nur angedeutet werden konnte.

Anmerkungen (1) Bernd Guggenberger. Zuvielisation. Beobachtungen zu einer post­

modernen Wirklichkeit, in: B. Guggenberger, D. Janson, J. Leser (Hg.): Postmoderne oder Das Ende des Suchens? Eine Zwischenbilanz, Eggingen 1992, S. 56

{2) Donald A. Norman: Dinge des Alltags. Gutes Design und Psychologie für Gebrauchsgegenstände, Frankfurt/New York 1989, 5. 204

{3) Aus der Sicht des Design gehören dazu beispielsweise: B.E. Bürdek, Mobilität im Stau. über den zweifelhaften Nutzen von Mobiltelefonen im Alltag, in: design report 3/1995 Volker Albus. Handycap, in: design report 10/1996

Gert Selle: Das Handy, in: ders., Siebensachen - Ein Buch über die Dinge, FrankfurVNew York 1997, sowie zur geschichtlichen Entwicklung des Telefons: Reinhard Kiehl, Designgeschichten. Telegraf, Telefon, in: Franz Schneider Brakel (Hg.): Vom Mythos des Funktionalismus. Brakel 1997, S. 30-34, und unter sozial-psychologischen Aspekten: Umberto Eco, Wie man das „Händi" nicht benutzt, in: ders., Wie man mit einem Lachs verreist. München/Wien 1993, nachgedruckt in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 137, 17. Juni 1997, Verlagsbeilage Italien, Seite 83

(4) Hellmuth Karasek, Hand in Handy. Hamburg 1997 (S) In: ADAC motorwelt 10/97, S. 28

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Die CD-ROM AUTENTIC - The Techno Reference Bernhard E. Bürdek

Seit Ende der achtziger Jahre - also mit dem Beginn der sich sodann rasch und massenhaft verbreitenden Mikroelektronik - eröffneten sich für das Design eine Reihe neuer Aufgabenfe lder, die im Bereich der Gestaltung so genannter „immater ieller Produkte" angesiedelt sind . Dazu zählen all jene Themen, die mit dem Begriff des .,Interface und/oder lnteraction Design" bezeichnet werden (siehe dazu den Bei­trag über das One Touch PRO Handy). Aber nicht nur die Software bei Geräten wurde zum Gegenstand des Design, vielmehr sind es inzwischen komplette Software-Produkte selbst. Dazu zählen Anwenderprogramme unter den diversen Standards wie Windows, MAC OS, UNIX u.a.m.

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Mit dem Aufkommen der CD-ROM (zu Beginn) und der graphisch ori ­entierten Web-Site-Anwendu ngen (in der Mitte der neunziger Jahre) erweiterte sich das Tätigkeitsfe ld von Designern erheblich. Heute wird deutlich , dass sich die Grenzen zwischen zwei - und dreidimensionaler Gestaltung zunehmend verwischen - ja genau genommen sich im Begriff der Design-Kommunikation endgültig auflösen. (1) Darüber herrscht auch in der Industrie weitgehend Konsens, werden doch dort zu einem großen Teil diejenigen Anwendungen realisiert, von denen hier die Rede ist: ,,Ob Spiegelreflexkamera, Hi-Fl-Turm oder PC: Bei Geräten der Elektrotechnik und der Elektronik nimmt der Anteil der Display-Flächen zu. Die grafi sche Gestaltung dieser Oberflächen gehört künftig zu unseren w ichtigsten Aufga ben. Damit wird die alte Tren­nung von Industr ie- und Grafik-Design obsolet, und dem Kommunika ­tionsdesign kommt eine immer größere Bedeutung zu. In wenigen Jah­ren werden Designer in erster Linie Software entwickeln . Hier kündigt sich eine neue Epoche an. Ich denke, viel.e von uns Altherre n-Designern ahnen noch gar nicht, was sich im Zusammenhang mit der elektroni­schen Kommunikation alles ändert: von den Vertriebs- und Entschei­dungsprozessen ang_efangen bis hin zu den Lebensgewohnheiten der Verbrau cher. Noch ist Zeit, sich darauf einzustellen" (2).

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Der gegenwärtige Boom multimedialer Technolo gien muss deshalb auch im Kontext produktsprachlicher Ana lysen ber ücksichtigt werden, gilt es doch der Frage nachzugehen. ob sich die gesicherten Erkennt­nisse aus der bekannten dreidimensionalen Gerätewelt auch auf zweidimensionale Software-Produkte anwenden beziehungsweise übertragen lassen. Inwieweit dabei die bekannten produktsprach­lichen Kategorien möglicherweise zu erweitern sind, dies soll an die­sem Beispiel diskutiert werden.

Aus der Vielzahl der Möglichkeiten haben wir uns für einen der schrillsten Bereiche entschieden - der aber gleichwohl das Lebensge­fühl einer großen Gruppe jugend liche r Konsumenten prägen: die Tech­no-Bewegung . Die CD-ROM AUTHENTIC (verö f fentl icht im Herbst 1996) stellt dazu eine Sammlung dar, die in die „Szene" einführt und vielfä ltige Hinweise über diese selbst liefert . Die inhaltliche Gliederung umfasst im Einzelnen folgende Bereiche:

- disc/1iveacts - drugs - events - fashion/style - labels - locations - message - movements/sounds - technicals - visuals

Dieses ,Inhaltsverzeichnis" - auch Index genannt - lässt sich einer­seits durch direktes Anklicken des Begriffs oder durch eine visualisierte Darstellung erschließen. Die jeweiligen Unterkapitel werden dabei angezeigt und können direkt akt ivlert werden . lm Ber~ich „locations" wird aufgeführt , wo sich wie die „Techno -Szene" entw ickelt hat , etwa in Bayern und Baden-Württemberg, Thüringen, Ruhr Area, Nord ­deutschland , Berlin, Rhein/Main, Dresden/Leipzig und im „E-Werk" -aber wa rum soll das gerade der Nabe l der Szene sein1 Dies.e Aufzäh ­lung hat noch ein weiter es Ma nko. ma_n kann nur die jew~iligE;n Berei­che ank licken, es führen aber keine „ links " zu den dann Im Einzelnen erwähnten Clubs, Discos etc.

Ein spezielles Problem wird bei dieser Art medialer Produkte schnell deutlich: nämlich das der Aktualität. So wie Printmedien regelmäßig erscheinen (Zeitschriften, Jahrbücher etc.), so leidet eine solche CD­ROM an ihrer eigenen Veralterung: Die Halbwertszeit beträgt bei der ­artigen Produkten heute gerade noch ein halbes Jahr, spätestens dann müsse ein Update folgen . (3) So sind die unter der Rubrik „ fashion/sty ­le" erwähnten Namen wie „bording" , ,,groop ie deluxe" , 1,linda har­per", .,shoot" oder „thatchers" bei Erscheinen dieses Textes sicherlich schon mega-mega-out.

Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist die Koppelung der CD-ROM mit Daten die via Internet eingespielt werden können und somit für die notw~ndlge Aktualisierung sorgen. Das derzeit wo hl gelungenste Bei­spiel ist die Encarta von Microsoft, eine Enzyklopädie des Wisse~s, die auch aus Expertensicht sicherlich einen neuen Standard elektronischen Publizierens darsteJlt. Dieser funktiona l-praktische Einwand muss deut-

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lieh gemacht werden, stellt er doch ein zentrales Problem multimedialer Produktionen dar. Dies ist übrigens mit ein Grund dafür, warum nach der anfänglichen Euphorie (also ca. von 1993- 1996) im Jahr 1997 für zahlreiche Unternehmen (insbesondere die sogenannten Content -Provi­der, d.h. ~leine und mit~lere Verlage) ein deutliche r Rückschlag in die ­sem Bereich erfolg t e. Die Entstehungs· und Weiterentwicklungskosten für CD-ROM stehen übrigens derze it in de n meisten Fällen in keiner ver­nünftigen Relation zu den auf dem Markt zu erlösenden Preisen.

Nun aber zu den produktsprachlichen Kategorien . Formalästhetisch gesehen_ biete t die AUTHENTIC eine hoh e Komplexität , die durch die ~roße Vielfalt d_er Beträge geprägt ist : viele eingescannte Beispiele gra­fischer Produktionen (Flyer, Cover, Events etc .), bewegt e Bilder (Video­sequenzen von Events), erläuternde Texte und Musik. Dem Anspruch, multimed ial zu sein, wird AUTHENTIC einerseits also durchaus gerecht, andererseits stellt sich die Frage, wie das Info rmationsa ngebot präsen­tiert wird und ob sich unsere Wahrnehmungsfähigkeit durch das Medi­um wirklich erweitert.

Gegenwärtig lässt sich ein neuer Trend zum „Bilderlesen" beobach­ten . Nun sind Bildschirme ja bekanntermaßen zum Lesen von Texten immer noch recht ungeeignet. Hinzu kommt. dass das knappe, bild­schirmgerechte Schreiben (in der Regel werden 20 Zeilen a 50 Zeichen pro Bildschirmseite als Maximum angenommen) eine Atomisierung des Wissens befördert. Das Denken in Bildern scheint somit dem Medium viel besser gerecht zu werden . Dies würde aber auch bedeuten. dass Bil­der nicht mehr als „Stimmungsbilder" rein konnotativ eingesetzt, son­dern wie die Heraldik durch Bilder Inhalte und Sinn transportiert werden - _so hatten etwa Lilien, Löwen usw. früher festgelegte Bedeutungen. Die BIider werden heute also wieder aufgewertet, bildhaftes Denken wird gefordert und gefördert - ein Bild sa-gt mehr als tausend Worte -so heißt es. A ls Fortschritt wäre nunmehr ein intelligenter Umgang mit den Bildern einzuforcjern . Hinter den Bildern schimmert aber auch eine Herrschaftsfrage durch: Bill Gates kauft beispielsweise in großem Maße B!ldrechte auf , um diese dann In seinen mu ltimedia len Anwend ungen einsetzen zu können. Früher wurd e mit Worten und um die Wort rechte gestritten. heute dominieren wieder die Bilder.

In der Filmgeschichte gibt es eine interessante Parallele: In den Anfängen mussten die Kritiker die Filme mehrm ·als ansehen, um das Fi!msp~zifische (im Gegensatz zum Buch) erfassen zu können; diese Praxis soll übrigens in Italien noch heute bestehen. Eine zentrale Frage ist also, wie begrenzt unsere Wahrnehmungs - und Reflexionsfähigkei ­ten im Hinblick auf multimediale Produktionen sind, we nn man bereits durch den Film (mit Bild und Ton) schon derartig gefordert ist. über ­haupt scheint das Prinzip der Komplexitätsr eduktio n (4), das sich bei der Gestalt ung von benutzerorient ierten Interfaces als sinnvoll erw ie­sen hat, bei AUTHENTIC bewusst auf den Kopf gestellt zu sein.

Das Gleiche gilt sodann auch für diejenigen Aspekt e, die man tradi­tionel l den Anzeichenfunktionen zuordnen würde : Navigation und Interaktion . So wird den Benutze rn die Orientierung wahr lich nicht leicht gemacht, aber auch dies ist gestalterische Intention . Es wird zwar an eine den Benutzern vertraute Zeichenspr ache angeknüp ft, so findet man etwa pseudo-dreid imensionale „Druck knöpfe" (die mit der Maus zu aktivie ren sind, obwo hl auf ein em Bildschirm bekan ntermaßen nichts gedrückt werden kann) oder „Schiebeschalter" zur Regulierung

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der Lautstärke, die aus dem klassischen Tonstud io sta1!1m~n. Auf neue, medlenspezifische Zeichen wur de somit verzichtet v1elle1cht u~ dem Benutzer noch etwas Orientierung beziehungsw eise Halt zu bieten, wie es Walter Bauer-Wabnegg treffend beschrieben hat: .,~ec~ner und deren Benut zeroberflä chen sollen möglichst bekannte W 1rkl1ch~e1ten w iedergeben und so gut es geht analoge k_leine Welten abbilden. Wenn uns angesichts der medialen Beschleunigung schon Hören und Sehen vergeht und nichts als Schwindel bleibt. ~uch~n wir Halt wen~g­stens an einem virtuell en Laternenm ast. Wobei ein Imag1narer Terner nach Wh iteheads Diktum aber bekanntlich keine reale Ratte fängt". (5) Und erst sehr zaghaf t beginnt sich eine neue visuell~ Sprache, bei_­spielsweise eine Grammatik der Bedienung hera~.szub1lden : Der. Pfeil wird zum Händchen, man kann einen „button anklicken, mittels

scroll-bar" kann man in Textblöcken weiterlesen usw. " Ein beliebtes gesta lter isches Prinzip ist gegen_wärtig das _der Unschärfe: Durch den „Roll-Over-Eff ekt u - also das Uberfahre n eines Begriffes via Maus - wird dieser scharf, das ~eißt le~bar_ und_ per Ma_us­klick aktivi erbar. Noch viel weiter geht die Nav1gat1on 1m Kapitel

labels": Dort müssen die einzelnen Gruppen quasi durch Einfangen ;;,ittels Mausklick akti viert werden, sodann eröffnen sich Kurzinforma~ tio nen über diese Gruppen. Dieses explorative Moment ist übr lg_ens bei der gesamten CD-ROM domini erend. Und ?am it werden auch die s?n~t üblichen benutzerfreundlichen" Nav1gat1ons-und lnterakt1onspnnz1-pien qua ;i auf den Kopf gestellt, aber_ ~er ade_ deshalb ist AUT~ENTIC so spannend gemacht und für die anv1s1erte Z_1elgrupp e_ sicherhch ~er­vorragend konzip iert . So ist es insbesondere die symbolische Funktion, die bei der CD-ROM zum Tragen kommt. die Identität von ~rod~kt_ und Zielgrupp e erscheint mir hochgradig stimm_ig zu sein, was Ja bei_ v1el~n anderen Beispielen selten genug der Fall ist. So gesehen 1st dies ein überaus beachtli ches Beispiel medialer Entwicklung.

Nur zur Erinnerung sei an dieser Stelle erwäh nt : Die Entwicklung des Mediums Buch verlief viel, viel langsamer, als es uns heute noch bewusst ist. Erst rund dreißig Jahre nach der Erfindung des Buchdru:ks durch Johannes Gensfleisch zur Laden (genannt Gutenberg) ,.erfan d man die durchgehende Nummerierung der Buchsei!en, ~tellte an dE:m Anfang eines Buches ein Inhaltsverzeichnis etc . Mult 1med1ale Produktionen ke~­nen wir indes erst seit wen igen Jahren, und es wird sicherlich noch etli­che Zeit dauern, bis wir analog zum gedruckten Buch zu neue_~· eigen­ständigen Medienform aten (6) gelangen werd en. Dazu gehort auch, dass sich Standards und Normen erst sukzessive herausbilden. .

So genannte „Style-Guldes" oder „Guidel ines" (7) werden derzeit von den Software-Her stellern entwic kelt und gerne als verb1ndl1ch erklärt. Solche Standards sind natürli ch dort sinnvoll, wo beispielsweise in einer Büroum gebung unterschiedliche Software-Pak~te tagtäg lich benutzt werden; hier ist die Vereinheitlichung der Bedienung unv~r­zichtbar . Das Gleiche gilt übrigens für Selbstbed ienungsautomaten 1~ öffentlich en oder halböffe ntlichen Bereich. Wer wüsste nicht ui:n d!e Probleme in einer fremden Stadt einen Fahrscheinautoma ten ncht1g und schn'etl zu bedienen. Eigenständig e Produk te indes, wie es die AUTHENTIC eben auch ist, können jedoch durchaus eine sin~uläre .,visuelle Sprache" (auch für die Navigatio~ und lntera.~tion) entw1Ckeln. Die Benutzer sollen ja an das Produkt quasi „gef esselt werden, Neugier entfalten, Funktionen und Inhalte „ent decken" - und damit so lange

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wie m~glich an das Produkt gebunden werden. Der Vorspann der CD­ROM gibt dazu auch deutlic he Hinweise:

., ... ein paar grundsätzliche tips: - in den verschiedenen Hauptmenues kannst du unten

links in der ecke ein menue aufklappen _ ueber dieses menue kommst du zu allen anderen themenl

- klicke auf alles was dir einfaellt - manchmal ist der weg ein wenig verworren ...

- no doppe lklicks - ein einfacher klick reicht aus! ... Ansonsten : viel spaß! "

Schon die Sprache ist so gewählt, dass sie Ihre potenziellen Adressa­ten ganz direkt anspricht. Form (das Interface des Produktes) und Kon­text (die Benutzer) sollen so weit als möglich zur Deckung gebracht wer­den, deshalb kann eben auch „der weg ein wenig verworren# sein.

Oberhaupt ist der Aspekt der „Individualisierung" ein zentrales Thema des Software-Design. Jenseits der Standards also Freiräume zu entdecken und gestalter isch umzusetzen, damit Produkte eben nicht nach APPLE, Windows oder UNIX aussehen - dies ist zugleich eine der neuen Herausforderungen und Chancen für das Design. Auch Software­Hersteller haben inzwischen erkannt, dass es notwendig sein kann, sich mit eigenständigen Lösungen auf dem Markt zu diffe renzieren - auch jenseits von Microsoft gibt es noch genügend Bereiche, die gestalterisch zu bearbeiten sich wirklich lohnt. Mir scheint, einen Weg haben die Gestalter und Entwickler der CD-ROM AUTHENTIC dafür sicherlich auf­gezeigt; dass dieser nicht direkt Obertragbar sein kann, versteht sich von selbst. Als Reflexionsobjekt für das Thema „Gestaltung interaktiver Medien" ist sie schon recht gut geeignet, befördert sie doch jene Dis­kurse, derer die Produktsprache für ihre Weiterentwicklung so dringend bedarf: von der Hardware Ober die Software hin zur Dienstleistung.

Anmerkungen (1) Siehe dazu z.B. Bernhard E. Bürdek, Über Sprache. Gegenständ e und

Design, in: formd iskurs 3, IV1997 (2) Herbert H. Schultes: Hard and Sott, in: fo rm 160,. 4/1997, S. 11 (3) Arnd Rühle, Der Zwang zum Update, in: Frankfu rter Allgemeine Zeitung,

Nr. 240, 16. Oktob er 1997, S. 62

(4) Siehe dazu z.B. Bernhard E. Bürdek, Oberflächendes ign. Displays eröffnen den Weg zur Maschine. Softwa re ruckt ins Zentrum der Gestaltung, in: VDI nachricht en, Nr. 25, 20. Juni 1997 (Beilage Industrie Design '97}

(5) Walt er Bauer-Wabnegg. Kleine Welten. Design muß auch in Zukunft Geschichten erzählen können, in: formdi skurs, Nr. 3, 11/1997, S. 100

(6) Volker R. Grassmuck, Die Turing -Galaxis. Das Universal-Mediu m auf dem Weg zur Weltsimulati on, in : Lettre Internationa l No. 28, 1/1995, S. 48 f.

(7) siehe z. B. APPLE Compute r lnc., Macintosh Human Inter face Guideline s, Reading, Ma. 1992

IBM Corporation , Object-O rienta ted Interface Design: IBM Common User Acce>S Guidelines, New York 1992 Microsoft Corporati on, The Windows Interface Guidelines for Sof twa re Design, Redmond 1995

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Der Offenbacher C-Hocker Erste Beispiele des C-Hockers entstanden bereits 1994/95 im C ... Labor der HfG-Offenbach, welches gegründet wurde, um die Auswirkungen der computergesteuerten Produktion auf die Produktentwicklung zu untersuchen. Dabei diente der Hocker als Experimentierobjekt für ein Planspiel in einem Designtheorie-Seminar, das die Perspektive einer zukünftigen „virtuellen Produktion" (1) auf den Möbelbau übertrug. Im Mittelpunkt der Überlegungen stand zum einen die Entwicklung eines kompletten Szenarios der virtuellen Produktion, denn man ging von der Annahme aus, dass die neue Technologie nicht nur den Her­stellungsprozess verändern, sondern auch das Zusammenspiel von Industriedesigner, Industriebetrieb, Handel und Konsument, das sich infolge der Industrialisierung vor hundert Jahren herausgebildet hatte, revolutionieren wird. Darüber hinaus ging es bei der Entwicklung des (-Hockers um die alte, neue Frage nach einer herstellungsgerechten Gestaltung - jenes Thema, das der Werkbund bereits an der Schwelle von der handwerklichen zur industriellen Fertigung aufgeworfen hatte und das heute - beim Übergang von der industriellen zur virtuellen Produktion - erneut zu überdenken ist.

Unverkennbar geht der (-Hocker von Jochen Gros auf ein histori­sches Vorbild zurück: den berühmten Ulmer Hocker, den Max Bill, der erste Rektor der Hochschule für Gestaltung Ulm, in Zusammenarbeit mit dem Dozenten Hans Gugelot und dem Werkstattmeister Paul Hil­dinger 1954 für die Inneneinrichtung der HfG Ulm entwickelt hatte. Die Idee, einen Stuhl aus drei Brettern zusammenzusetzen, war damals zwar schon nicht neu (2). Dennoch sollte die Fortentwicklung des Ulmer Teams zu einer Ikone der Design-Geschichte werden, die schon mehrfach zu Interpretationen herausfordert hatte (3). Bedeu­tend ist der Ulmer Hocker in vielfacher Hinsicht - nicht zuletzt als Ver­körpen.mg der „ Guten Form", als ästhetisches Leitbild des Industrie­zeitalters und als Sinnbild des Rationalismus der Ulmer Hochschule. Ein wesentliches Merkmal hierfür sind die maschinelle Produktions­weise und das Fehlen handwerklicher Verarbeitungsspuren. Waren damals bei der Einzelanfertigung von Möbeln von Hand ausgeführte Schwalbenschwanz-Verbindungen noch durchaus üblich, so reflektier­te der Entwurf des Ulmer Hockers die technischen Möglichkeiten der maschinellen Verzinkung. Die begradigten Fingerzinken von Sitzbrett und Stützbrettern erforderten höhere Präzision, sie setzten ein Spe­zialwerkzeug sowie eine Arbeitsvorbereitung voraus, die sich erst in der Kleinserie lohnt. Insofern signalisierte die Zinkenverbindung den Übergang vom handwerklichen Einzelstück zum industriellen Serien­produkt. Ein wesentlicher Aspekt war es zudem, die konstruktive Ver­bindung der Holzteile offen zu zeigen; für Max Bill waren sie Ausdruck „für den Beginn des neuen Schönheitsideals. Diese Verbindung von ingenieurmäßigem Rationalismus und konstruktiver Schönheit, ... das ist das Signum, unter dem wir die Produktion von heute betrachten müssen" (4).

Die damalige Frage nach den ästhetischen Leitbildern des technolo­gischen Wandels wiederholt der C-Hocker - und im Hinblick auf die Möglichkeiten der digitalen Technologie sucht er auch nach neuen Antworten. Ebenso wie der Ulmer Hocker den Aufbruch in die In­dustriekultur verkörpert, kann der C-Hocker als ein frühes Symbol einer nachindustriellen Produktions- und Produktkultur gelesen werden .

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Nicht verschwiegen sei aber, dass auc:h ganz praktische Grü d A _ s~hlag gaben für die Wahl des Ulmer Hockers als Ausgangs~ikt ~~ die Experimente des C. .. Labors. Wie Margit Weinberg-Staber · ~ bemerkte, verdankte das Ulmer „ Minimaldesign" ., ... seine Existe~~~a akuten finanziellen Mangelsituation, die die HfG von Ihrer Gründ er bis zu ihrer Schließung begleitet hat" (5). Ironie der Geschichte dung d. h' II , ass 1e masc ,ne e Ausstattung des Offenbacher C...Labors zum dam 1'-gen Zeitpunkt ebenfalls nicht mehr als ein Minimalprodukt erlaub:e\ Jedenfalls geriet man mit den Maßen des Hockers bereits hart an di~ Grenze dessen, was mit einer nummerisch gesteuerten Gravier(!)fräse gerade noch in Originalgröße gefertigt werden konnte .

1. Formal tradiert der C-Hocker die klassische Form des Ulmer Hockers, der geradezu als Inbegriff des sprichwörtlichen „ Ulmer Würfels" gelten kann - jenes Gestaltungskonzepts, das maximale Ordnung anstrebte, indem es einfache, geomet rische Grundformen, Geschlossenheit durch g~te Fortsetz.ung, Einheitlichkeit, Deutlichkeit, Symmetrie, Gleichge­wicht, Rasterordnung, Kontextordnung und materiale Ordnung bevor­zugte. Insofern wahrt der C-Hocker in seiner Grundform die hohe Ord­nung seines Vorbildes. ·

Augenfälligstes, herstellungsbedingtes Unterscheidungsmerkmal der beiden Objekte ist die Art der Zinkenverbindung zwischen Sitzfläche und Stützbrettern: Während sich die gesägten Fingerlinken des Ulmer Hockers passgenau zusammenfügen und lediglich durch die andere Far­bigkeit und Struktur von Längs- und Hirnho lz als „ Element der forma­len Gliederung" (6) wirken, zeichnet sich die Verzinkung des C-Hockers durch eine weitaus höhere Komplexität aus. Die Zinken sind sehr viel tiefer in die Bretter eingefräst als es die Materialstärke erfordern würde und verschränken sich nur an ihren Enden mit denen des Gegenstücks; zudem wird die Symmetrie der Zinkenreihe dadurch gestört, dass an beiden Enden jeweils zwei Zinken als Abstandhalter von halber Länge und dreifacher Breite ausgebildet wurden. Formal verursacht diese Ver­zinkung durch Asymmetrie und Durchbrüche eine erheblich höhere Komplexität. insbesondere dann, wenn die Durchbrüche, im Gegenlicht betrachtet, zudem noch Lichtstreifen hervorrufen.

2. Besondere Aufmerksamkeit verdienen bei dem C-Hocker zunächst die Wesensanzeichen seiner Herstellungsweise, die so neu sind wie der

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Versuch, eine dem digitalen Werkzeug adäquate Formensprache zu entwickeln und daher der Erläuterung bedürften. Anders als bei her­kömmlichen Maschinen können Bretter auf den handelsüblichen CNC­Fräsen nicht hochkant. sondern nur liegend bearbeitet werden; infol­gedessen entsteht ein halbrunder Zinkengrund in der Größe des Fräserdurchmessers. Fügt man nun zwei Bretter zusammen, so bleibt am Zinkengrund ein halbmondartiger Spalt stehen - ein Umstand, der eine technische und eine ästhetische Konsequenz bedingte. Da beim Zusammenbau der Anschlag nicht mehr eindeutig durch einen geraden Zinkengrund definiert war, wurden die Abstandhalter ausgebildet. Und für den Spalt galt es eine gestalterische Lösung zu finden, weil er for­mal undeutlich erschiene und zudem leicht als Anzeichen für eine feh­lerhafte Ausführung interpretiert werde. Da er aber nicht zu vermeiden war, wurde aus der Not eine Tugend gemacht: Die Zinken wurden tie­fer als erforderlich eingefräst und der undeutliche Spalt zu einem klar gewollten Zeichen seiner Notwendigkeit überhöht Aus der Fingerver­zinkung wurde eine Art „Fingerspitzen-Verzinkung". Dieses unver­wechselbare Merkmal verweist eindeutig auf die Herstellungsweise des Möbels und kann somit als Wesensanzeichen der computergesteuerten Produktion - jedenfalls der CNC-Fräse - gelesen werden. (Würde der Hocker beispielsweise mit einem CNC-gesteuerten Laserschneider gefertigt, so würde dies in anderen produktionsspezifischen Wesensanzeichen. etwa schwarz angebrannten Schnittkanten, resul­tieren.)

Aber auch die Anzeichen der praktischen Funktionen des Hockers verdienen Beachtung. Stabilität traut man ihm zu. Dies kommt sowohl in den breiten Seitenbrettern, die die Last gut auf den Boden ableiten können, in der sichtbar soliden Verbindung der Teile sowie in der sta­bilisierenden Funktion der Querverstrebung im unteren Bereich zum Ausdruck. Indessen sind durch die Reduzierung auf die kubische Form weder beim Ulmer Hocker noch beim C-Hocker Anzeichen für beque­mes Sitzen auszumachen. Dass die Hocker dennoch als Sitzgelegenheit wahrgenommen werden. erklärt sich zum einen aus ihrer Dimensio­nierung, die sich an den ergonomischen Maßen für Stühle orientiert. zum anderen aus der menschlichen Fähigkeit zur Projektion. die, wie Julius Posener einmal bemerkte. sehr vieles zum „Sitz" machen kann: „Sitzen wird nicht vom Stuhl produziert. sondern vom menschlichen Körper. Es gibt Menschen. die sich auf eine Holzstufe setzen, und in dem Augenblick ist die Holzstufe ein Sessel." (7) Gleichwohl erweist sich die Zurücknahme von eindeutigen Funktionsanzeichen, die bei anderen Produkten durchaus problematisch sein kann, hier als beson­derer Vorteil. Max Bill hatte den U/mer Hocker als multifunktionales Möbel konzipiert, das den Studenten und Dozenten der HfG als Arbeitsstuhl und Beistelltisch. auf die Seite gelegt als Rednerpult und umgekippt für den Transport von Büchern dienen sollte. Unterstützt wird diese multifunktionale Nutzung gerade durch die Einheitlichkeit von Sitzfläche und Seitenteilen.

Im Kontext des Szenarios der virtuellen Produktion sollte sich die geringe funktionale Spezifität der kubischen Form zufälligerweise ebenfalls als Chance erweisen: Das Denkmodell geht davon aus. dass Produkte zunächst nur „ virtuell". das heißt der Möglichkeit nach, existieren - und zwar als digitaler Datensatz, der über die Blaupause hinaus das komplette Herstellungsprogramm des Produktes für die

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computerunterstützte Fertigung enthält. Der Datensatz des C-Hockers würde demnach als „virtuelles Produkt'' gelten, das dann In dieser Form oder auch in Varianten per CNC-Technik materialisiert werden kann. Der Code würde per Diskette oder Internet global vertrieben und erst vor Ort- im Auftrag und entsprechend den besonderen Wünschen des Kunden - in ein reales Produkt umgesetzt. Jede „Technofaktur;, _ gemeint ist ein Herstellungsbetrieb, der einerseits mit CNC-Technik ausgestattet Ist, and~rerseits aber nach dem alten Muster des Hand­werks beziehungsweise der Manufaktur Einzelstücke und Kleinserien herstellt - wäre dazu in der Lage. Da wäre es problemlos möglich die Konstruktionsdaten des Basisprodukts zu modifizieren; durch Ä~de­rung der Maßangaben könnte der C-Hocker beispielsweise auf die Länge einer Bank, auf die Höhe eines Stehpultes oder auf die Größe eines Tisches wachsen. Eine Anzeichengestaltung, die die praktische Funktion des Hockers visualisiert, stände diesen vielseitigen Anwen­dungsmöglichkeiten nur im Wege.

3. Ebenso wie der Mythos der HfG Ulm den Ulmer Hocker ganz entschei­dend symbolisch auflud und ihm eine Bedeutung verlieh, die er als „normales" marktgängiges Serienprodukt wohl nie erlangt hätte, so wird auch die Symbolik des C-Hockers wesentlich durch den Kontext und die damit verbundenen Perspektiven, Ideen, Anschauungen und Erfahrungen geprägt. Insofern ist das Objekt der anschauliche Teil einer Geschichte. die sichtbare Manifestation eines Denkmodells. das die Erkundung der Möglichkeiten der virtuellen Produktion zum Gegen­stand hat. Ausgangspunkt der Überlegungen war das von den ameri­kanischen Ökonomen Michael Piere und Charles F. Sabel schon vor 15 Jahren angekündigte „Ende der Massenproduktion (8}, das mit dem Einzug von computergesteuerten Produktionsmaschinen in die Indu­strie, aber auch in die mittelständischen Handwerksbetriebe zusehends näher rückt. Schon heute sind circa. 15 Prozent der Schreinereien mit CNC-Maschinen ausgerüstet, die damit ebenso kostengünstig produ ­zieren können wie die Industrie und nach jahrzehntelangen Rückzugs­gefechten erstmals wieder vor einer historischen Chance stehen. (9)

These der Seminargruppe war nun, dass die neuen Werkzeuge so lange nicht richtig genutzt werden, wie sie lediglich dazu dienen, die gegenwärtige Produktion weiter zu rationalisieren. Die spezifische Stärke der CNC-gesteuerten Fertigung liegt doch darin, dass sie flexibel, dezentral und - wenn der digitale Datensatz erst einmal erstellt ist -mit der industriellen Serienproduktion auch ökonomisch konkurrenz­fähig ist. Haupthemmnisse sind die zur Zeit noch fehlenden Organisa­tionsmodelle sowie geeignete Produkte - eine Lücke, die die Seminar­gruppe mit dem Produktentwurf sowie mit dem bereits erwähnten Szenario der virtuellen Produktion exemplarisch füllte. Statt „Indu­strie ", .. Industriedesigner". .. Handel" und „ Konsument" wären die wichtigsten Bausteine des Modells nun: der „ Produktverlag". der zukünftig die virtuellen Produkte entwickeln und vertreiben würde; die ,,Prosumenten", die die virtuellen Produkte vom Produktverlag be· ziehen würden und als Ko-Designer ihre ergonomisch maßgeschnei­derten und ästhetisch individualisierten Endprodukt in Absprache mit den jeweiligen Herstellern maßgeblich mitbestimmen könnten; die „Designgalerie", die Muster und Materialien ausstellen und beraten

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würde; und die „Technofaktur", die dezentral mit neuer Technologie fertigen und direkt an den Kunden liefern würde. (10) Auch die Rolle der Designer würde sich in diesem Szenario entscheidend verändern. Ihre Aufgabe würde sich auf den Entwurf von Basisprodukten, Proto­typen und Mustervorlagen reduzieren; sie wären vor allem Ideengeber und Musterentwerfer, hätten aber nur noch begrenzt die Kontrolle, wie ihre Angebote von anderen modifiziert und genutzt würden. Die Bandbreite der Möglichkeiten deutet sich bereits in den Varianten des C-Hockers an, die von der C-Bank über den C-Tisch bis hin zum Täto­wierten Bill, einen Hocker mit eingravierten Ornamenten, reichen. Die neue Technologie ermöglicht es nämlich auch, Datenbanken mit Orna­mentvorlagen aufzubauen, die dann im selben Arbeitsgang mit der Fertigung der Teile direkt vom Bildschirm aus in das Material eingra­viert oder eingelasert werden können. In letzter Konsequenz stellt sich im Rahmen der C-Technologie also auch die Ornamentfrage neu. (11)

Resümee ,. Wer auf dem Ulmer Hocker sitzt. der sitzt auf einer Design-Utopie ... " hieß das Fazit von Margit Weinberg-Staber, als sie den Hocker 1983 in der Ausstellung Design - Formgebung für jedermann des Museums für Gestaltung Zürich als Anschauungsobjekt fOr „Motivationen in der Nachkriegszeit" auswählte (12). Vielleicht darf diese Aussage mit ähn­lichem Anspruch auf den C-Hocker übertragen werden. Auch er steht für eine Design-Utopie, für übergeordnete Perspektiven, die bis hin zu Fragen des zukünftigen Lebens- und Produktionsstils in einer nachin­dustriellen Gesellschaft reichen. Nicht spartanisch-schlichte Massenpro­dukte, die vom Industrie-Designer für anonyme Nutzer entworfen, in zentralisierten Industriebetrieben hergestellt und flächendeckend dis­tributiert werden, sondern eine bunte Vielfalt von sinnlich ansprechen­den Produkten, die für den Nutzer individuell in dezentralen Betrieben gefertigt werden, sind das Leitmotiv. Hierbei konvergiert das Modell der „virtuellen Produktion" sogar mit der ökologisch begründeten For­derung nach Dezentalisierung (13). Stehen die Produkte dieses Szena­rios, für das der C-Hocker exemplarisches Anschauungsmodell ist, mit dem Ulrner Funktionalismus semantisch in einem denkbar großen Kon­trast. so wird dennoch an die Ulmer Tradition angeknüpft: nicht durch die epigonenhafte Übernahme damaliger Errungenschaften, sondern durch die Suche, wonach auch damals gesucht wurde.

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Anmerkungen (1) William H. Davidow, Michael S. Malone, Das virtuelle Unternehmen.

Der Kunde als Co-Produzent, Frankurt 1993 (2) Eva von Seckendorf, Die Hochschule für Gestaltung in Ulm, Marburg

1989, s. 123 (3) Vgl. Thomas Hauffe, Sitzen und Design - Der Stuhl als Maifest, in:

Hajo Eickhoff (Hg.), sitzen. Eine Betrachtung der bestuhlten Gesellschaft, Frankfurt 1997

(4) Zitiert nach von Seckendorf, a.a.O., S. 125 (6) Margit Weinberg-Staber, Design - Formgebung für jedermann. Typen

und Prototypen. Kat. Ausstell. Zürich 1983, S. 155 (7) Zitiert nach von Seckendorf, a.a.O., S. 126 (8) Michael Piore/Charles F. Sabel, Das Ende der Massenproduktion,

Berlin 1985 (9) Vgl. Jochen Gros, CD-ROM als Musterbuch, in: Politische Ökologie,

Sonderheft 9, Januar/Februar 1997 (10) Vgl. Martin Krautter, Mit „online.produkt" im Internet. Die Möglich­

keiten der „virtuellen Produktion" werden erprobt, form 151, 3/1995, S. 80, sowie: Jochen Gros, Virtuelle Alternativen?, in: Dagmar Steffen (Hg.), Welche Dinge braucht der Mensch 7, Gießen 1995

(11) Vgl. Jochen Gros, Der neue Produktionsstil - und sein Stil?, in: Bauwelt, Heft 45, 28.11.1997

(12) Margit Weinberg-Staber, a.a.O., S. 159 (13} Vgl. Jochen Gros. Virtuelle Alternativen?, in: Dagmar Steffen (Hg.),

Welche Dinge braucht der Mensch 7, Gießen 1995

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Die mit * gekennzeichneten Buchtitel werden als Basislektüre zur Ver­tiefung des „Offenbacher Ansatzes" empfohlen.

Abbildungsnachweise

Grafik S. 40 unten, S. 42 links, S. 44 links, S. 53 links Schwabe Ver­lag, Basel; Grafik S. 42 rechts, S. 44 rechts, S. 46 links, S. 47, S. 49 Verlag Dr. Waldemar Kramer, Frankfurt am Main Abb. S. 45 Mitte, S. 47, 2. Abb. von oben, s. 50 oben Kunstgewer­bemuseum Berlin; Abb. S. 45 oben, S. 52 unten Dagmar Steffen, Frankfurt am Main; Abb. S. 39 Mitte, S. 40 Mitte, S. 42 oben. S. 47. S. 51 oben/Mitte, Verlag form, Frankfurt am Main; Abb. S. 46 oben Gruner + Jahr, _Hamburg/ Itzehoe; Abb. S. 48 oben/Mitte Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln; Abb. S. 49 unten Braun + Design, Hamburg; Abb. S. 51 unten Arnolds.ehe, Stuttgart; Abb. S. 52 oben Museum für angewandte Kunst Köln; Abb. S. 54 Prestel Verlag, Mün­chen; Abb. S. 76 unten Die Neue Sammlung, München; Abb. S. 71, S. 72 oben, S. 100 HfG-Offenbach am Main; Abb. S. 73, 79 oben Rat für Formgebung, Frankfurt am Main; S. 77 oben Wasmuth Verlag, Tübingen; Abb. S. 143 Vitra AG, Foto Hans Hansen; Abb. S. 161 vgs Verlagsgesellschaft, Köln Alle übrigen Abbildungen mit freundlicher Unterstützung der beteilig­ten Hersteller und Designer.

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