"Wir erwarten nun, selbst diesem Holocaust anheim zu fallen". Die Opferzahlen der Bartholomäusnacht...

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1Gar/off/Steiner "Wir erwarlen nun, selbst diesem Holocaust anheim zu follen u !ea.,; a

Die Legendenbildung hoher Opferzahlen durch englische Parnphletisten gipfelt in Edward pelinierc neu formiertc, gab es mehrere Versuche, historische Information nach wissenschaft­Clarks Angabe von 300.000 Hugenotten, die in ganz Frankreich innerhalb weniger MOnate er­ lichen Kriterien zu behandeln." Geschichte wurde zwar genauer und zuverlassiger von pro­mordet worden seien." Der Text The Protestant School-Master, eigentlich ein Leselehrbuch fessionellen Historikern beschrieben, doch immer wieder auch fur Erklarungen, Rechtferti ­fur Kinder, beinhaltet im Anhang einen "Brief and True Account of the Bloody Persecutions, Massacres, Plots, Treasons, and most inhumane Tortures commited by the Papists upon Pro­testants", der nicht nur das Massaker der Bartholornausnacht, sondern auch die Grausamkei­ten der Inquisition in Italien, Spanien, Portugal und in den Niederlanden sowie die Pogrome in Irland, Schottland und England, die von den Papisten an den Protestanten begangen worden waren, in drastischer, teilweise bildlich illustrierter Weise darstellt. Hier tragt die Nennung ei­ner sehr hohen lahl der beabsichtigten Diffamierung der Katholiken bei, deren Grausamkeit Clark den Kindern gleichzeitig mit dem Erlernen des Lesens einzupragen gedenkt."

Die Darstellung der ganzen Geschichte der Massaker an Protestanten und die Verglei­che der Ausmalie mit fruheren oder spateren Grausamkeiten, wie etwa mit der Sizilianischen Vesper oder dem Massaker in Irland, sind typisch fur die Versuche der protestantischen Au­toren, sowohl die historiographische als auch die moralische Deutungshoheit uber die Erin­nerung an soIehe traumatisierenden Ereignisse wie die Bartholomausnachr zu erlangen. Ge­rade das letzte Beispiel des Protestant School-Masters zeigt, wie sehr Texte und lahlen dabei helfen, das Geschehen auf eine vorgeblich objektive Weise zu vergegenwartigen, Gerichtet ist die Darstellung jedoch immer eindeutig gegen die aus der Sicht der engJischen Pamphletisten stets potentiell grausame papistische Partei.

Die katholische Kirche in Rom bediente sich in ihrer historiographischen Deutung der Ge­schichte der Bartholomausnacht weniger textueller und numerischer Argumentationsstrate­gien, sondern eher bildhafter Inszenierungen. So lief Papst Gregor XIII. nach der Bartho­lomausnacht eine Gedenkmunze pragen und erteilte Giorgio Vasari den Auftrag, durch ein Fresko in der Sala Regia das Ereignis zu verewigen. SoIehe Ausdriicke des Siegesgefuhls der ka­tholischen Kirche gegcnuber dem Protestantismus, den man nun in Frankreich wieder in seine Schranken gewiesen sah, beschrankren sich jedoch im Wesentlichen auf eine kleine Teilotfent­lichkeit innerhalb des Kirchenstaates. Die rornische Bildpropaganda war nicht gegen die pro­testantische lahlenpamphletistik gerichtet, sondern versuchte vielmehr, das Selbstverstandnis der katholischen Kirche damit zu retten, indem man das Geschehen der Bartholomausnacht in­sofern idealisierte, dass darin weniger der grauliche Massenmord an Menschen als ein existenti­ell notwendiger, strategischer Sieg gegen die Protestantengefahr gesehen wurde."

3. Die Historiographie des 16. bis 18. Jahrhunderts

Bei der Lektiire der historiographischen DarsteJlungen zur Bartholornausnachr stellt sich die Frage, ob Historiker seit dem spaten 16. Jahrhundert einen objektiveren Umgang mit lahlen pflegten oder ob sie ihren eigenen, vom Geschehen gepragtcn Eindriicken bei der Beschrei­bung des Ausmabes folgten. Denn innerhalb der Historiographie, die sich im Frankreich des 16. jahrhunderts durch methodische Werke von Autoren wie Jean Bodin oder Henri La Po­

51 Vgl, Edward Clark: The Protestant School-Master [... ] Together with A Brief and True Account of the Bloody Persecutions, Massacres, Plots, Treasons, and most inhumane Tortures commited by the Papists upon Protestants [... ]. London 1680,S. 130. 52 Vgl. ebd., S. [A 6a]. 53 Diese Interpretation legt noch Ludwig von Pastor zugunsten der katholischen Kirche aus: Man muss "s!ch vcrgegenwartigen, welche Gefahren allen Katholiken, vom.einfachs~en Mo~ch bis hinauf zum Papst, seitens der Hugenotten drohten, denn neben den Tiirken hatte die katholische Klrche keinen grimmigeren und blutgierigeren Feind als die Calvinisten" (Pastor: Geschichte der Papste (Anm. 14),S.372).

gungen und Kritik innerhalb der religiosen und politischen Kontrovcrsen eingesetzt." Die Geschichtswerke, die noch im 16. Jahrhundert entstanden sind und von der Bartho­

;~ lornausnacht berichten, besitzen den Vorteil, zeitlich naher am Geschehen zu sein und sich }' unter U mstanden auf Information aus erster oder zweiter Hand berufen zu konnen, Eng ver­

wandt mit diesen Werken sind auch Memoiren, deren Autoren darin ihre Augenzeugenschaft der Bartholornausnacht verarbeiten. Der zur leit des Massakers in Paris studierende Tiro­ler Protestant Lucas Geizkofler (1550-1620) geht in seiner Selbstbiographie mit 10.000 Op­fern von einer ahnlich hohen lahl wie der katholische Kleriker Claude Haton (1534-1605) aus, der von mehr als 7.000 getoteten Hugenotten spricht." Der sparer als Herzog von Sully und Minister Heinrichs IV. bekannte Maximilien de Bethune (1559-1641) berichtet in seinen Memoiren, dass "innerhalb von acht Tagen im ganzen Konigreich 70.000 Protestanten massa­kriert" worden seien." Pierre de Brantome (1540-1614) erzahlt davon, wie Karl IX. sehr gro­£es Vergniigen daran fand, "zu sehen, wie unter seinem Fenster mehr als 4.000 Leiber von er­schlagenen und ertrankten Menschen in dem Flussbett der Seine vorbeischwomrnen" .58

Der Historiker und Rechtsgelehrte Papire Masson (1544-1611), der wie Brantorne wahrend des Massakers dem Umfeld des Hofes angenorte und als "Lobredner" der Bartholornausnachr die lahl der Opfer noch fur zu gering hielt," geht fur Paris von 2.000 und fur ganz Frank­reich von 10.000 Toten aus." Andere Historiker schatzen die lahl der getoteten Hugenot­ten deutlich hohcr ein. Henri Lancelot de la Popelinierc (1541-1608) geht zwar nur von 1.000 Opfern in Paris aus, kommt aber fur die ubrigen Provinzen auf 20.000. Eine Reihe von His­torikern, wie Jean de Serres (1540-1598) und Jean Crespin (1520-1572), be ides Protcstanten, sowie der moderate Katholik Jacques-Auguste de Thou (1553-1617), der gleichwohl vor ei­ner Dbertreibung warnt, schatzen fur ganz Frankreich eine lahl von 30.000 Opfern." Eine

54 Vgl.]ean Bodin: Methodus ad facilem historiarum cognitionern. Paris 1566; Henri Lancelot du Voisin de la Popelinere: L'Histoire des histoires. Paris 1599; dazu George Huppert: The idea of perfect histo­ry. Historical erudition and historical philosophy in RenaissanceFrance. Urbana/Chicago/London 1970, S. 9f.; Claude Gilbert Dubois: La Conception de l'histoire en France au XVIe siecle (1560-1610). Paris 1977. 55 Vgl. Donald R. Kelley: Johann Sieidan and the Origins of History as a Profession. In: Journal of Modern History 52, 1980, S. 573-598, hier S. 581, 585; Pontien Polman: L'Elernent historique dans la controverse religieuse au XVIe siecle.Gembloux 1932. 56 Vgl. Lucas Geizkof/er: Lucas Geizkofler und seine Selbstbiographie, 1550-1620. Hrsg. v. Adam Wolf. Wien 1873, S.48;Claude Haton: Mernoiresde Claude Haton, Hrsg. v.Laurent Bourquin. Paris 2003, S.460. 57 Maximilien de Bethune, due de Sully: Mernoires de Maximilien de Bethune, due de Sully, principal ministre de Henry Ie Grand. Mis en ordre: avec des remarques, par M.L.D.L.D.L. Nouv, ed., rev. & corr. 8 Bde. London 1747,S. 75. 58 Vgl.Pierre de Bourdeille de Brantome: Les vies des grands capitaines du siecledernier. In: Prosper Me­rimee/Louis Lacour (Hrsg.): (Euvres completes de Pierre Branthorne. Paris 1878,S. 270: "Car il [Charles IX] prit fort grand plaisir de voyer de passer soubz ses fenetres, par la riviere, plus de quatre mille corps, ou se noyans ou tuez." 59 Vgl.Felix Rocquain: La France et Rome pendant les guerres de religion. Paris 1924,S. 132. 60 Vgl. Papire Masson: Histoire de Charles IX. In: CimberiDanjou (Hrsg.): Archives curieuses. Paris 1836,S. 333-352, bes. 336 und 337, auch mit der fur protestantische Texte iiblichen Formel: "plus de dix mille personnes, sans aucun egard de l'aage ny de sexe", 61 Vgl.]ean Crespin: Histoire des martyrs. Persecutez ct mis a mort pour la verite de l'Evangile. Depuis Ie temps des Apostres iusques it present. Genf 1619,S. 801;]ean Serres: Inventaire general de I'Histoire de France. Volume quatrierne. Depuis Henri II. iusques it la fin. Paris 1600,S. 418;]acques Auguste de Thou: Historiae sui temporis Libri VI. 3 Bde. Paris 1604-1607, III, S. 25.

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