«Er denke wol der leidige Sadtan hab es ihmme allso in Sinn gegeben»: Selbst- und Fremdbilder...

105
Lizentiatsarbeit der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich «Er denke wol der leidige Sadtan hab es ihmme allso in Sinn gegeben» Selbst- und Fremdbilder jugendlicher Sexualstraftäter im Zürich des frühen 18. Jahrhunderts Referent: Prof. Dr. Bernd Roeck Verfasserin: Sylvie Fee Matter Oktober 2014

Transcript of «Er denke wol der leidige Sadtan hab es ihmme allso in Sinn gegeben»: Selbst- und Fremdbilder...

Lizentiatsarbeit der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich

«Er denke wol der leidige Sadtan hab esihmme allso in Sinn gegeben»

Selbst- und Fremdbilder jugendlicher Sexualstraftäter im Zürich desfrühen 18. Jahrhunderts

Referent: Prof. Dr. Bernd Roeck

Verfasserin: Sylvie Fee Matter

Oktober 2014

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 11.1 Reizwort «Jugendkriminalität» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Untersuchungsraum und -zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.3 Jugend, Kriminalität und Sexualdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

2 Jugend im frühneuzeitlichen Zürich 62.1 Wann endet die Jugend? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62.2 Jugend und Sexualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Exkurs: Sozialdisziplinierung 10

3 Sexualdelikte, Normen und Sanktionen 123.1 Strafrecht im frühneuzeitlichen Zürich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

3.1.1 Der Strafprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133.1.2 Die Bestrafung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163.1.3 Die Rolle der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

3.2 Sexualstraftaten und ihre Bestrafung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

4 Quellen 304.1 Gerichtsakten als Ego-Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314.2 Quellensample . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

4.2.1 Auswahlkriterien und Zusammensetzung des Sample . . . . . . . . 384.2.2 Die einzelnen Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

5 Fremdbilder 505.1 Obrigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

5.1.1 Die Nachgänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515.1.2 Die Ratsherren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545.1.3 Die Vögte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

i

ii Inhaltsverzeichnis

5.2 Geistliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575.2.1 Die Dorfpfarrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575.2.2 Die Geistlichen des Grossmünsters . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

5.3 Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655.3.1 Die Augenzeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665.3.2 Die Leumundszeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

6 Selbstbilder 706.1 Sonderfall Haagen: Der Fremde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 706.2 Warum er hier in verhafft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 726.3 Ob er gewüsst was dis für ein grosse Sünd seye? . . . . . . . . . . . . . . . 796.4 Was ihn solches vorzunehmen veranlasset? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

6.4.1 Kein Erfolg bei Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 826.4.2 Nicht ganz bei Sinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 826.4.3 Sexualverkehr von Tieren beobachtet . . . . . . . . . . . . . . . . . 846.4.4 Unzüchtige Reden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 866.4.5 Verführung durch den Teufel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

7 Schlusswort 90

Abbildungsverzeichnis 95

Bibliographie 961 Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 962 Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 963 Darstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

1 Einleitung

1.1 Reizwort «Jugendkriminalität»

Jugendkriminalität ist ein Reizwort, eine Schlagzeile die immer funktioniert. Ungeachtetob die Zahl der jugendlichen Delinquenten zu- oder abnimmt, mit Artikeln über Ju-gendkriminalität lassen sich Zeitungen verkaufen. Insbesondere von Jugendlichen verübteSexualdelikte lösen oft ein Medieninteresse weit über den Boulevard hinaus aus. DieDelinquenten, ihre Motive, Geschichte, Herkunft etc. stehen bei der Berichterstattungim Zentrum. Es werden Bilder der Delinquenten gezeichnet, von Prozessbeobachtern,Bekannten, Familienangehörigen. Oft gibt es auch «Jetzt rede ich»-Artikel der straffälligenJugendlichen selbst, in welchen sie ihr Selbstbild öffentlich darlegen können, sich erklären,verteidigen oder entschuldigen. In jüngster Vergangenheit hat der sogenannte Fall Seebachvon 2006 ein solches Medieninteresse ausgelöst. Zu der angeblichen Massenvergewaltigunggab es Schlagzeilen in renomierten Tageszeitungen wie der «NZZ»1 Berichte im SchweizerFernsehen2 und Interviews der Täter im «Blick»3

Die Zitate der grossen griechischen Philosophen Platon, Sokrates und Aristoteles überdas schlechte Verhalten der heutigen Jugend werden häufig aufgeworfen, doch auch ausanderen Epochen sind solche bekannt. Denn jede Gesellschaft hat ihre Normen und ihreVorstellungen davon, welches Verhalten erlaubt, welches verboten ist und Jugendliche,die gegen diese Normen verstossen, geben in jeder Gesellschaft zu reden. In der «Enzy-klopädie der Neuzeit» wird im Artikel über Jugendkriminalität festgehalten: «Städtischeund territoriale Obrigkeiten verfolgten seit dem Spätmittelalter ein weites Spektrum

117.11.2006: «13-Jährige von Jugendlichen mehrfach vergewaltigt»:http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/articleEO3ZF-1.76375 (15.8.2014) und 4.4.2008: «Jugendlicheim ‹Fall Seebach› verurteilt»: http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/fall-seebach-urteil-1.701344(15.8.2014)

217.11.2001: «Schweiz Aktuell: Fassungslosigkeit nach Vergewaltigung einer 13-jährigen»:http://www.srf.ch/player/tv/schweiz-aktuell/video/fassungslosigkeit-nach-vergewa ltigung-einer-13-jaehrigen?id=a277e8b9-51ae-44fa-8543-b6161cacb2db (15.8.2014)

310.11.2007: «Miladin T. (19):‹So lief es wirklich ab›»: http://www.blick.ch/news/schweiz/vergewaltigung-von-seebach-miladin-t-19-so-lief -es-wirklich-ab-id146311.html (15.8.2014)

1

2 1 Einleitung

normabweichenden jugendlichen Verhaltens.»4 Da stellt sich für mich die Frage, wie inder Frühen Neuzeit, der Zeit der Sozialdisziplinierung, mit jugendlichen Delinquentenverfahren wurde. Welche Bilder wurden von ihnen gezeichnet und an sie heran getragen?Wurden sie als abschreckendes Beispiel genutzt? Oder wurden die Delinquenten mit einerAussenansicht auf sich und ihre Tat konfrontiert, um sie zu einem Geständnis zu bewegen?Welche Bilder zeichneten die jugendlichen Straftäter von sich selbst? Versuchten sie, sichselbst oder den Tathergang so zu schildern, dass die Strafe milder wird? Passten sie ihreSelbstbilder im Lauf des Prozesses an und wenn dem so war, was veranlasste sie zu einersolchen Anpassung? Auf diese Fragen möchte ich in meiner Untersuchung Anworten finden.Ich erwarte dabei zum Schluss zu kommen, dass sich die Selbstbilder der jugendlichenStraftäter, die sie als Verteidigungsstrategien verwendeten, relativ ähnlich sind. Dies, weilich davon ausgehe, dass sie wussten, wie welches Verbrechen geahndet wird, bzw. wannein Verbrechen die Todesstrafe nach sich zieht und wann nicht, und das Bild, dass sievon sich zeichneten, dementsprechend anpassten. Zudem nehme ich an, dass sich dieseSelbstbilder durch die Zuschreibungen von Aussen veränderten und an die Fremdbilderangepasst wurden. Zum dritten erwarte ich dass sich die Fremdbilder, welche verschiedenePersonengruppen von den Delinquenten zeichneten, gegenseitig beeinflussten. Ob ich mitdiesen Thesen richtig liege, wird meine Untersuchung zeigen.

1.2 Untersuchungsraum und -zeit

Der kleine Rat in Zürich war, in seiner Funktion als Malefizgericht, Gerichtsinstanz fürdie zwanzig, in der näheren Umgebung der Stadt gelegenen, inneren Obervogteien. Auchdie Blutgerichtsbarkeit der Landvogteien, die beiden bedeutensten Landvogteien Kyburgund Grüningen ausgenommen, ging im Lauf des 16. und 17. Jahrhunderts an die StadtZürich über5. Die Akten zu verhandelten Kapitaldelikten, sowohl Gerichtsbeschlüsseals auch Vernehmungsprotokolle und Briefe, sind fast für das ganze heutige Kantonsge-biet umfangreich und aus einer Hand überliefert, was das alte Zürich zu einem gutenUntersuchungsraum für kriminalitätshistorische Fragestellungen macht.Der Umfang dieser Arbeit lässt es nicht zu, alle Akten aus der Frühen Neuzeit zu

berücksichtigen und macht eine zeitliche Einschränkung notwendig. Da ich nach denSelbstbilder der Jugendlichen frage, ist es notwendig, möglichst direkte Aussagen ihrerseitszu haben. Auch wenn noch zu diskutieren sein wird, ob Gerichtsakten überhaupt alsQuellen für solche Aussagen dienen können, steht fest, dass Vernehmungen, die in einemFrage-Antwort-Stil festgehalten werden, Aussagen direkter überliefern, als Vernehmungen,die nur als Zusammenfassung festgehalten sind. In den Zürcher Gerichtsakten hält derFrage-Antwort-Stil erst mit dem 18. Jahrhundert Einzug, ihre Analyse ist für meineFragestellung daher erst ab 1700 sinnvoll.

4Wettmann-Jungblut: Jugendkriminalität, S. 172.5Vgl. Wettstein: Die Geschichte der Todesstrafe im Kanton Zürich, S. 60.

1.3 Jugend, Kriminalität und Sexualdelikte 3

Ob eine Thematik in seiner Zeit von Relevanz ist, zeigt sich auch darin, wie oft etwasErwähnung findet. Heute in Google-Suchbegriffen oder als Hashtag auf Twitter, früher aufFlugblättern oder, bei Straftaten, in Mandaten und Ordnungen. Wenn ein Verbot immerwiederholt wird, ist dies sowohl ein Anzeichen dafür, dass die Tat als besonders schlimmerachtet wird, als auch dafür, dass die Tat immer wieder vollzogen wird. In den ZürcherMandaten tauchen von den Sexualdelikten hauptsächlich Unzucht und Blutschande auf.Nach 1739 wird die Blutschande in keinem Mandat mehr erwähnt; Unzucht wird bis 1785erwähnt, danach auch nicht mehr. Die Häufigkeit der Erwähnungen betrachtend zeigtsich, dass von den insgesammt dreissig Erwähnungen von Unzucht im 18. Jahrhundert 24aus den ersten 35 Jahren sind, und nur sieben aus der Zeit nach 1735.6 Die Thematik derSexualdelikte scheint daher im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts von höherer Relevanzgewesen zu sein als danach, was für eine Untersuchung des frühen 18. Jahrhunderts spricht.Da ich erwarte bei einem Untersuchungszeitraum von 35 Jahren ein Quellensample vonzehn bis fünfzehn Fällen zu erhalten, was für eine Arbeit dieses Umfangs angemessen ist,ergibt eine Einschränkung auf die Jahre 1700-1735 Sinn.

1.3 Jugend, Kriminalität und Sexualdelikte

Neben Untersuchungsraum und -zeitraum gilt es in einer wissenschatlichen Arbeit auchden Untersuchungsgegenstand näher zu definieren. Was ist Jugend in der Frühen Neuzeit?Welche Delikte sollen untersucht werden? Was galt als verbotenes sexuelles Verhalten?Durch welche Normen wurde festgelegt, was verboten ist? Waren diese Normen bekanntund wie wurde die Nichteinhaltung sanktioniert? Diese Fragen müssen vor der Beschäf-tigung mit den Quellen geklärt werden. Und auch bei den Quellen gilt es, wie bereitserwähnt, erst zu diskutieren, ob Gerichtsakten als Ego-Dokumente gelten können undwelche Probleme berücksichtigt werden müssen.

Im ersten Teil meiner Arbeit werde ich mich mit der Jugend in der Frühen Neuzeit, sowie ihrem Verhältnis zur Sexualität, beschäftigen. Dass Jugend bereits im Mittelalter «undverstärkt in der Frühen Neuzeit als eigene Lebensphase (. . . ) wahrgenommen»7 wurde,sich die Theorie ihrer Entdeckung zu Beginn der Neuzeit somit als unhaltbar erwiesenhat, gilt als unbestritten. Von welchem Alter wir bei Jugendlichen genau sprechen ist,wie das untenstehende Zitat von Maria Crespo erklärt, nicht definiert:

Die Vorstellungen über die Altersphasen Kindheit und Jugendzeit und dieBeziehungen, welche die Erwachsenen zu ihren Nachkommen pflegen, unter-schieden sich je nach Gesellschaft und Zeitepoche. Sozialisation und Erziehungvon Kindern sind historischen Veränderungen unterworfen und werden von

6Einen Überblick über die Inhalte der Zürcher Mandate im 18. Jahrhundert findet sich bei: Schott-Volm:Orte der Schweizer Eidgenossenschaft, S. 936-1052.

7Speitkamp: Jugend in der Neuzeit, S. 24.

4 1 Einleitung

ethnospezifischen und soziokulturellen Faktoren beeinflusst. Innerhalb dersel-ben Gesellschaft wiederum differiert die Kindheit des einzelnen Menschen jenach Schichtzugehörigkeit, Geschlecht und Wohnort.8

Darum ist es für meine Arbeit notwendig Jugendlich spezifisch für Zürich im 18. Jahrhun-dert zu definieren. Da die Definition für eine Untersuchung von Gerichtsakten verwendetwird, werde ich mich für die Definition auch an der Gerichtspraxis orientieren.

Der zweite Teil meiner Arbeit wird den Fragen nach Delikten, Normen und Sanktionennachgehen. Howard S. Becker schrieb in seiner berühmten Abhandlung über Aussen-seiter: «abweichendes Verhalten ist Verhalten, das Menschen als solches bezeichnen.» DieBezeichnung des Verhaltens, insbesondere wenn man nach Selbst- und Fremdbildern –somit nach Bezeichnungen – fragt, ist darum auch ein wichtiger Teil der Untersuchung.Daher halte ich mich bei der Bezeichung der Delikte an die Quellenbegriffe.9 Da ich michmit den Akten des Malefizgerichtes befasse, behandle ich nur Kapitalverbrechen undkeine geringen Leichtfertigkeiten. Die untersuchten Delikte beschränken sich daher aufSodomiterei (homosexueller Sexualkontakt) und Bestialität (Sexualkontakt mit Tieren),die oft auch gemeinsam als widernatürliche Unzucht bezeichnet werden, sowie Blutschande(Inzest), Notzucht (Vergewaltigung) und Unzucht (unerlaubter Sexualkontakt). Hurereiund Ehebruch habe ich aus unterschiedlichen Gründen nicht ins Sample aufgenommen.Bei der Hurerei ist in Zürich für das 18. Jahrhundert kein Fall überliefert, in den Ju-gendliche involviert gewesen wären. Ehebruch ist als Delikt ausgeschlossen, weil er nichtvon Jugendlichen begangen werden kann. Denn: «Das Konzept von Jugend war (. . . ) inEuropa stark mit dem Ledigen-status verbunden. Unabhängig vom Heiratsalter endetedie Jugend mit dem Tag der Hochzeit.»10

Laut des bereits zitieren Werkes von Becker wird deviantes Verhalten von der Gesell-schaft dadurch geschaffen, dass «sie Regeln aufstellen, deren Verletzung abweichendesVerhalten konstituiert»11 Darum muss die Betrachtung der Normen, ihrer Verbeitungund Sanktion teil einer Arbeit über deviantes Verhalten sein. Zürich kannte kein Straf-rechtsbuch, die berühmte «Constitutio Criminalis Carolina» hat seit dem WestfälischenFrieden von 1648 in der Eidgenossenschaft formell keine Gültigkeit mehr. Die Normenorientierten sich einerseits an den bereits erwähnten Mandaten, die regelmässig im ganzenHerrschaftsgebiet verlesen wurden, und andererseits an der Bibel. Die Pfarrpersonen, dieauch für das Verlesen der Mandate in den Gemeinden zuständig waren, hatten im ZürcherRechtssytem eine tragende Rolle. Was die Verbreitung der Normen im speziellen in Bezugauf die Jugend betrifft, verlasen sie nicht nur die Mandate, sondern waren gemäss dem25. Kapitel des zweiten helvetischen Bekenntnis auch für die Unterweisung der Jugend zu-ständig. Bei dieser Unterweisung galt es insbesondere in die zehn Gebote, das apostolische

8Crespo: Verwalten und Erziehen, S. 21.9Für die Erläuterung von Quellenbegriffen verwende ich das schweizerische Idiotikon und das Wörterbuchder Gebrüder Grimm.

10Gestrich: Jugend, S. 165.11Becker: Aussenseiter, S. 31.

1.3 Jugend, Kriminalität und Sexualdelikte 5

Glaubensbekenntnis, das Herrengebet, die Sakramente und die wichtigsten Hauptpunkteder Religion einzuweisen. Zu letzteren gehörte, wie auch die Briefe der Pfarrer in denGerichtsakten belegen, der Katechismus. Die in diesen Schriften vermittelten Normenkönnen für das alte Zürich als gültig angesehen werden.Den Pfarrpersonen kamen neben dem Verbreiten der Normen weitere Aufgaben im

Strafprozess zu. Sie waren auch Auskunftsperson für den Rat, insbesondere was dasAlter und bisherige Verhalten der Delinquenten anbelangte und die Geistlichen desGrossmünsters begleiteten die Gefangenen in ihrer Haftzeit. Um ihre Aussagen, diejenigender Delinquenten und anderer in den Akten auftauchenden Personengruppen bessereinordnen zu können, wird in diesem Teil der Arbeit auch der typische Ablauf einesGerichtsprozesses in Zürich nachzuzeichen sein.

Vor dem eigentlichen Hauptteil kläre ich im dritten Kapitel die Frage nach den Quellen.Gerichtsakten sind bei einer solchen Untersuchung die naheliegendsten Quellen, sie sindjedoch in ihrer Verwendung als Ego-Dokumente nicht unbestritten. Ich werde daher aufdie Einwände gegen und Probleme mit dieser Quellengattung eingehen und erläutern,warum ich sie für meine Untersuchung als geeignet erachte. In diesem Kapitel werde ichauch auf die Auswahlkriterien und die Zusammensetzung meines Quellensample eingehensowie die einzelnen Fälle kurz zusammenfassen.

«Abweichung ist keine Qualität, die im Verhalten selbst liegt, sondern in der Interaktionzwischen einem Menschen, der eine Handlung begeht und jenen, die darauf reagieren.»12

Dies ist ein Grund, warum es wichtig ist, in einer solchen Arbeit nicht nur die Selbstbilderund Verteidigungsversuche der Delinquenten anzuschauen, sondern auch die Fremdbilder.Neben den Straftätern kann man in den Gerichtsakten drei Personengruppen identifizieren,deren Bilder und Beschreibungen der Straftäter ich gesondert von einander betrachtenwerde. Dies sind als erste Gruppe die Vertreter der Obrigkeit: der als Gerichtsinstanzfungierende Rat, die Vögte und die Nachgänger – zwei Ratsmitglieder welche die Befra-gungen durchführen. Die zweite Personengruppe sind die Geistlichen, welche, wie bereitserwähnt, für die Seelsorge zuständig – in der Gemeinde und im Gefängnis – aber auchAuskunftspersonen des Rates sind. Als eine letzte Gruppe können die Zeugen aufgefasstwerden. Personen, welche die Straftäter im Akt überraschten oder Auskunft über ihrVerhalten geben. Letzteres können Familienangehörige sein, Arbeitsgeber, aber auchNachbaren. Anschliessend betrachte ich die Selbstbilder der jugendlichen Sexualstraftäterbevor ich im abschliessenden Fazit zur Überprüfung meiner These komme.

12Ebd., S. 36.

Jugend ist ein historisches Phänomen, einerseitsständigem Wandel unterworfen, andererseits selbstMotor von Wandel. Jugend ist insofern der Garantdafür, dass auch Gesellschaft wandelbar bleibt,dass es Geschichte gibt.13

(Winfried Speitkamp)

2 Jugend im frühneuzeitlichen Zürich

Crespo schreibt in «Verwalten und Erziehen», wie sich die Perzeption der Kindheitunbestrittener massen verändert hat, obwohl erwiesen ist, dass die «Entdeckung derKindheit» nicht erst zu Beginn der Neuzeit gewesen war. In der «alten traditionalenGesellschaft» seien Kinder früher Teil der Welt der Erwachsenen geworden.14 Der heutigeBegriff Kindheit wie folglich auch der heutige Begriff Jugend bzw. jugendlich kann somitnicht direkt auf die Frühe Neuzeit übertragen werden. Die Grenzen zwischen Kindheit,Jugend und Erwachsenenalter waren andere als heute. Die Jugend hatte aber auch andereFunktion und Form, wie Speitkamp feststellt. Die Jugendlichen verliessen das Elternhausfrüher als Heute; sie zogen für ihre Ausbildung aus und umher. Ziel der Jugend «war dieEingliederung in den Wirtschafts- und Arbeitsprozess, nicht, wie heute, die Ausreifungder Individuellen Persönlichkeit.»15

Um über Jugendkriminalität in der Frühen Neuzeit zu schreiben muss daher zwingendzuerst über Jugend in der Frühen Neuzeit geschrieben werden. Dies soll nachfolgendspezifisch für Zürich geschehen, denn wie ich bereits einleitend festgehalten habe, unter-scheiden sich die Dauer von Altersphasen «je nach Schichtzugehörigkeit, Geschlecht undWohnort.»16

2.1 Wann endet die Jugend?

Da wir für das alte Zürich kein Strafrechtsbuch haben, wo festgelegt ist, in welchem Alterdie Strafmündigkeit beginnt und bis wann jemand als jugendlich gilt, müssen andereWege gesucht werden, um die Grenzen fest zu legen. Eine Festlegung der Untergrenzeerübrigt sich, denn wer noch nicht Strafmündig ist, gegen den wird auch kein Prozessgeführt. Darum beschränke ich mich auf die Festlegung der Obergrenze; auf die Frage,wann die Jugend endet.13Speitkamp: Jugend in der Neuzeit, S. 714Vgl. Crespo: Verwalten und Erziehen, S. 24.15Speitkamp: Jugend in der Neuzeit, S. 24.16Crespo: Verwalten und Erziehen, S. 21.

6

2.2 Jugend und Sexualität 7

Heute gilt das Verlassen des Elternhauses als Indikator für das Eintreten ins Erwach-senenleben, weil die Mehrheit der Jugendlichen erst nach Beendigung der Berufslehreoder des Gymnasiums zu Hause auszieht. Wie zuvor erwähnt gilt dies für die FrüheNeuzeit nicht. Kinder und Jugendliche verliessen das Elternhaus früher, lebten oft beiihrem Lehrmeister bzw. Arbeitgeber. Das Verlassen des Elternhauses kann daher nichtals Indikator für das Ende der Jugend gesehen werden.Jedoch war, wie einleitend bereits erwähnt, Jugend «stark mit dem Ledigen-status

verbunden. Unabhängig vom Heiratsalter endete die Jugend mit dem Tag der Hochzeit.»17

Das Heiratsalter dürfte uns daher eine grundsätzliche Idee für das Ende der Jugend geben.Speitkamp setzt dieses ähnlich hoch an wie heute, wenn er davon ausgeht, dass es imausgehenden 17. jahrhundert für Frauen bei bis zu 25 Jahren und bei Männern zwischen26 und 30 Jahren lag.18

Diese Eingrenzung bestätigt und konkretisiert sich auch in der Gerichtspraxis, auchwenn da ebenso keine einheitlichen Regeln festgelegt sind. Die dennoch sehr allgemeineFormulierung von Andreas Gestrich, dass «das Volljährigkeitsalter (. . . ) in Preussen,Österreich und der Schweiz bei 24 Jahren»19 lag lässt sich für Zürich durch die Gerichtsak-ten so bestätigen. Sowohl bei Meret Zürcher als auch bei Crespo ist festgehalten, dassdas Gericht in Zürich seine Urteile auf die körperliche und geistige Reife abstellte, Kinderunter 14 Jahren nicht hingerichtet wurden, «ausser wenn Bösheit nach Meinung desRichters das Alter erfüllte,»20 und das bis ungefähr 24 Jahren die Jugend strafmilderndberücksichtigt wurde. Dies hiess u.a. dass «die Todesstrafe durch Strafen an Haut undHaar, an Ehre oder Vermögen ersetzt wurden.»21 oder zumindest dass an die Stelle vonqualifizierten Todesstrafen die Enthauptung trat.22

Ein Blick in die Gerichtsakten zeigt dass Jugendliche auch als Kinder bzw. Knabe oderMädchen bezeichnet wurden.23 Die Grenze zum Erwachsenenalter scheint somit nicht nurjuristisch, sondern auch im alltäglichen Leben bei Mitte Zwanzig gelegen zu haben.

2.2 Jugend und Sexualität

Die Jugend als Zeit zwischen Kindheit und Erwachsensein ist auch die Phase der Ent-deckung der Sexualität, der persönlichen Reifung. Diese Zeit verbrachten in der FrühenNeuzeit viele «in einem fremden Haushalt, auf engstem Raum zusammenlebend mit

17Gestrich: Jugend, S. 165.18Vgl. Speitkamp: Jugend in der Neuzeit, S. 16.19Gestrich: Jugend, S. 165.20Crespo: Verwalten und Erziehen, S. 65.21Zürcher: Die Behandlung jugendlicher Delinquenten, S.25.22Ganzer Abschnitt nach: Crespo: Verwalten und Erziehen, S. 64f. und Zürcher: Die Behandlung

jugendlicher Delinquenten, S. 5, 25, 27.23Vgl. z.B. die Briefe des Pfarrers im Fall Maag (S.47), einen 20jährigen und eine 23jährige betreffend:

Blutschande, A 11.

8 2 Jugend im frühneuzeitlichen Zürich

anderen Jugendlichen beiderlei Geschlechts.»24 Dies war auch dem Zürcher Rat nichtentgangen. Im «Regenten-Kräntzlein» von 1733, einer Art Leitfaden für Ratsherren, istfestgehalten:

dass die Regenten so dem gemeinen Nutz wohl wollen vorstehen, die sollenfürnehmlich sehen, dass die Jugend in allen Tugenden wohl unterwiesen, undzu Arbeit und Mässigkeit gewöhnt, und wohl auferzogen werden25

Um das Zürcher Volk zur Einhaltung der Sitten zu mahnen und die Jugend zu schützen,hatte der Rat in seinem «Mandat der Statt Zürich wider die Hurey und Ehebruch,unzeitigen Ehen, frühzeitigen Beyschläffe und andere Leichtfertigkeiten» unter anderembestimmte:

Ins gemein lassen wir ernstlich ermahnen und verwahrnen / dass alle vorstherder haushaltungen / vätter und müteren / meister und frauen / ihnen angelegenseyn lassen / ihre angehörigen / söhne und töchteren / knecht und mägd /nicht zusamen in ein gemach / kammer oder gaden / sonder das weibervolkabsonderlich und an wol verwahrte / und beschlossene ohrte schlaffen legen.26

Jugendliche lebten nicht nur in demjenigen Haushalt, in dem sie auch arbeiteten, siewaren auch unter der Hausherrengewalt, einerlei, ob der Hausvorstand der eigene Vateroder der Lehrmeister war.27 Darum richtet sich das Zürcher Mandat in diesem Punkt andie Eltern und Dienstherren. Sie hatten für sittsames und ehrbares Leben in ihrem Hauszu sorgen und konntenbei Nichteinhaltung auch bestraft werden.Doch das Mandat, welches jeweils zwischen Ostern und Pfingsten «ab offner Kanzel

verkündet»28 werden sollte, richtete sich auch an «unser junges volk»29 und stellte dennächtlichen Aufenthalt im Freien unter Straffe, «alss dadurch vil leichtfertigkeit undallerley ungutes veranlasset wird.»30 Diese Bestimmungen zielten gegen das sogenannteNachtfreien, d.h. nächtlichen Besuchen von Männer bei Frauen, was laut Richard vanDülmen in ländlichen Gesellschaften toleriert wurde, auch wenn es die Kirche undObrigkeit kriminalisierte.31

Als weitere verbotene Handlungen werden im Mandat das gemeinsame nackte badenvon Knaben und Mädchen und das «zusamen lauffen des jungen volks von knaben undtöchtern / und anderem jungen gesind in die hölzer und auf die allmenten»32 Durch solche

24Speitkamp: Jugend in der Neuzeit, S. 23.25Heidegger: Regenten-Kräntzlein, S. 78.26Mandat wider Leichtfertigkeiten, S. 12.27Vgl. Dülmen: Das Haus und seine Menschen, S. 122f.28Mandat wider Leichtfertigkeiten, S. 14.29Ebd., S. 4.30Ebd., S. 5.31Vgl. Dülmen: Das Haus und seine Menschen, S. 187.32Mandat wider Leichtfertigkeiten, S. 7.

2.2 Jugend und Sexualität 9

Bestimmungen sollte nicht nur verhindert werden, dass «Gottes grosse straaff und ungnadüber ein Land gezogen wird»33 sondern auch, dass durch voreheliche Schwangerschaftendie Ehe zwischen zwei Personen notwendig wird, welche

beyderseits weder mit erdienten / noch ererbten unterhaltungsmitteln versehen/ in der Religion wenig / ja etwann gar keine wüssnhaft haben: oft nur nichtrecht betten / und also weder sich selbst nich eine haushaltung regieren undführen können34

und dadurch dann «das Allmosenamt eben heftig überlestiget» Der Zweck dieses Mandatesist also auch ein wirtschaftlicher. Ehen sollten nur zwischen Personen geschlossen werden,die sich und ihre Familie selber ernähren können, um das Allmosenamt nicht so zubelasten «dass den rechtwürdigen armen daraus nicht mehr nach nohtdurft begegnetwerden mag.»35

Unter diesen Bedingungen ist klar: Weil Sexualverkehr zu einer Schwangerschaftenführen kann, gehört er nur in die zuvor staatlich bewilligte Ehe, jegliche andere Möglichkeitdem anderen Geschlecht nahe zu kommen muss unterbunden werden. «Das Interesse ander Kontrolle der Jugend hatte nicht zuletzt mit der Steuerung von Familiengründungund Fortpflanzung zu tun.»36 Diese Feststellung zeigt sich auch deutlich im zitiertenZürcher Mandat. Dass solche Mandate immer wieder erlassen und verlesen wurden37 zeigtauch, dass sich nicht alle an diese Vorschriften hielten.

Sowohl Speitkamp als auch Dülmen sprechen von einer zunehmenden Tabuisierungund Unterdrückung alles Sexuellen durch die «sozialdisziplinierende Moralpolitik desfrühmodernen Staates.»38 Sexualität sei auf die Fortpflanzung reduziert worden und alleausser- und voreheliche Sexualität kriminalisiert.39 Diese Auffassung der Entwicklungverweist auf die Theorie der Sozialdisziplinierung von Gerhard Oestreich, die in einemfolgenden kurzen Exkurs umrissen werden soll.In Bezug auf die Jugend im Zürich des 18. Jahrhunderts lässt sich auf Grund des

«Mandat der Statt Zürich wider die Hurey und Ehebruch, unzeitigen Ehen, frühzeitigenBeyschläffe und andere Leichtfertigkeiten» und der Theorie der zunehmenden Unter-drückung sagen, dass diese die Zeit der experimentellen und suchenden Sexualität ineinem Umfeld erlebten, welches dieses Suchen und Experimentieren tabuisierte und garkriminalisierte.

33Ebd., S. 4.34Ebd., S. 8.35Ganzer Abschnitt nach: Ebd., S. 8f.36Speitkamp: Jugend in der Neuzeit, S. 30.37Vgl. für die Jahre 1700-1735: Schott-Volm: Orte der Schweizer Eidgenossenschaft, S. 936-987.38Dülmen: Das Haus und seine Menschen, S. 185.39Vgl.Speitkamp: Jugend in der Neuzeit, S. 30f. und Dülmen: Das Haus und seine Menschen, S. 185, 196f.

Sozialdisziplinierung ist ein säkularer Prozess, derdurch religiöse Disziplinierung unterstützt, abernicht bestimmt wird.40

(Winfried Schulze)

Exkurs: Sozialdisziplinierung

In seinem Aufsatz «Strukturprobleme des europäischen Absolutismus» entwickelte Oe-streich ausgehend von einem Vergleich zwischen absolutistischen und totalitären Staateneine Disziplinierungstheorie. Der Absolutismus hätte nicht die gleichen Möglichkeitenzur «Meinungs- und Stimmungslenkung im Sinne einer einheitlichen offiziellen Staats-und Parteiideologie»41 gehabt wie die totalitären Staaten des 20. Jahrhunderts. Es hät-te aber dennoch ein Eingriff ins private Leben statt gefunden, durch den Prozess derDisziplinierung. Seine Theorie einer Sozialdisziplinierung ordnete er der Rationalisierungs-theorie Max Webers zu, wollte aber noch einen Schritt weiter gehen als dieser: Erbegriff die «soziale Veränderungen von Staat, Gesellschaft und Volk»42 als strukturellesPhänomen, das auch einen geistig-moralischen Wandel beinhaltet und nicht nur einenpolitsch-administrativen.43

Verschiedene neue Bewegungen der Zeit, wie den Bürokratismus, den Militarismus undden Merkantilismus, sieht er als Erscheinungsformen dieser Sozialdisziplinierung. Hinterihnen allen stünde letztlich eine strenge Ordnung und Disziplin. Diese hätte auch vor demAlltag der einfachen Bürger keinen Halt gemacht, was man an den unzähligen Ordnungenund Anweisungen erkenne, welche in den Jahrhunderten des Früh- und Hochabsolutismuserlassen wurden. Hier sei festgelgt, wie man sich in der Öffentlichkeit, aber auch imPrivaten Leben zu verhalten habe.44

Der Mensch wurde in seinem Wollen und seiner Äusserung diszipliniert. Ersuchte die Selbstbeherrschung als höchstes Ziel zu erreichen. Und er diszipli-nierte sogar die Natur in den kunstvoll beschnittenen Hecken und Bäumender barocken Schlossparkanlagen und Gärten.45

40Schulze: Oestreichs Begriff ”Sozialdisziplinierung”, S. 27941Oestreich: Strukturprobleme des europäischen Absolutismus, S. 180f.42Ebd., S. 187.43Ganzer Abschnitt nach: Ebd., S. 179-188.44Vgl. ebd., S. 192.45Ebd., S. 193.

10

11

Für Schulze fasst Oestreich unter dem Begriff der Sozialdisziplinierung verschiedenebekannte Erscheinungen zusammen, die er als Varianten eines Gesamtphänomens be-trachtet.46 Die Sozialdisziplinierung beruhe «auf der Tatsache, dass bei Nichtbefolgungder Vorschriften nicht mehr gesellschaftliche Sanktionen, sondern rechtlich(-gesetzliche)Zwangsmassnahmen eintreten.»47 Darum nehmen die in der Frühen Neuzeit aufkommen-den Policey-Ordnungen eine wichtige Position in der Theorie ein.

Oestreich geht in einem Artikel von 1974 von dieser Thematik aus und stellt fest, dassPolicey soviel bedeute wie «Regiment, das ein gut geordnetes städtisches oder territorialesGemeinwesen bewirken soll.»48 Durch die Policey hätte man versucht, die Misstände,welche in den stark wachsenden Städten des 15. und 16. Jahrhunderts entstanden seien,zu ordnen, Regeln für das gesellschaftliche Verhalten festzulegen. Diese Entwicklungin den Städten bezeichnete Oestreich als Sozialregulierung, welche als Vorstufe derSozialdisziplinierung zu verstehen ist. Leitend in beiden Entwicklungen sei «der Gedankeder Zucht und der Ordnung.»49 Schulze zeichnet die Unterscheidung der beiden Begriffewie folgt nach:

Sozialregulierung will die negativen Umweltbedingungen durch Einübungüberwinden helfen und das gesellschaftliche Leben ordnen. Sozialdisziplinierungwill das geordnete Leben in der Gesellschaft im Blick auf den Staat stärken undhierfür das menschliche Verhalten in Beruf und Lebensmoral disziplinieren.50

Quellen für diese Disziplinierungsbemühungen sind Ordnungen und Mandate, in welchenbis ins Private hinein das Leben der Menschen reguliert wurde. Mandate wie das aufSeite 8 angeführte, aber auch Mandate dazu, wie oft und in welcher Kleidung man denGottesdienst besuchen sollte, darüber welche Geschenke zu einer Taufe schicklich sind undwen man dazu einladen darf. Ordnungen zum Münzwesen, zu Preisen und Warenqualitätin verschiedenen Branchen. Mandate zum Kriegslaufen und Auswandern. Ordnungen undMandate sind zu jedem Lebensbereich verfasst worden. Für das 16. Jahrhundert sind inZürich 548 Mandate überliefert, für das 17. Jahrhundert 731 und für das 18. Jahrhundertnoch immer 690.51 Hier von einer sehr grossen Zahl zu sprechen ist durchaus berechtigt.Dass auch durch diese sehr grossen Bemühungen keine Gesellschaft geformt wurde, dieabsolut und bis ins kleinste Glied diszipliniert ist, versteht sich schon alleine dadurch,dass es zu Gerichtsverfahren, somit zu Verstössen gegen die festgelgeten Normen kam.Dies spricht jedoch nicht gegen Oestreichs Theorie, denn die Sozialsdisziplinierungist als Prozess zu verstehen, in den verschiedene soziale Gruppen involviert waren – alsDisziplinierte, aber auch als Disziplinierende.46Vgl. Schulze: Oestreichs Begriff ”Sozialdisziplinierung”, S. 266.47Ebd., S. 276.48Oestreich: Policey und Prudentia civilis, S. 368.49Ebd., S. 371.50Schulze: Oestreichs Begriff ”Sozialdisziplinierung”, S. 273.51Einen Überblick über alle Ordnungen und Mandate liefert:Schott-Volm: Orte der Schweizer Eidgenos-

senschaft, S. 751-1052

Kriminalität ist historisch variabel.52

(Gerd Schwerhoff)

3 Sexualdelikte, Normen und Sanktionen

Was Verboten und was erlaubt ist wird über Normen definiert. Diese werden laufendan die Gesellschaft angepasst, die sich ihrerseits in einem ständigen Wandel befindet.In der Einleitung zu seinem Übersichtswerk «Historische Kriminalitätsforschung» stelltSchwerhoff fest:

Jenseits der Geltungsbehauptung überzeitlicher, gleichsam anthropologischerNormen («Du sollst nicht töten!», «Du sollst nicht stehlen!») lassen sich kaumuniverseller gültige Regeln dafür aufstellen, ob ein bestimmtes Verhalten alskriminell gelten soll.53

Für eine kriminalitätshistorische Arbeit ist es daher unumgänglich, die Handlungenzu benennen, die im Untersuchungszeitraum als kriminell galten und die Normen zubetrachten, die dieser Zuschreibungen zu Grunde liegen. Aber auch die Verbreitung undUmsetzung der Normen, der Ablauf eines Strafverfahrens und die Sanktionen dürfen nichtausser Acht gelassen werden. Dies ist der Kontext, in welchem die Gerichtsakten, dieich als Quellen untersuchen möchte, entstanden sind und nach meiner Ansicht ist eineUntersuchung ohne diesen Kontext nicht zielführend.54

In diesem Kapitel werde ich darum zuerst auf das Strafrecht im frühneuzeitlichenZürich eingehen und anschliessend auf die Bestrafung von Sexualstraftaten. Dabei sollimmer auch ein Augenmerk auf die Behandlung von Jugendlichen in Strafprozessen gelegtwerden.

3.1 Strafrecht im frühneuzeitlichen Zürich

Zürich besass, wie ich bereits in der Einleitung erwähnte, keine Strafgesetzbuch und auchdie «Constitution Criminalis Carolina» hatte im 18. Jahrhundert in Zürich keine Gültigkeitmehr. Erich Wettstein geht sogar davon aus, dass sie, im Gegensatz zu Basel und der52Schwerhoff: Historische Kriminalitätsforschung, S. 953Ebd., S.9.54Vergleiche hierzu: Schnabel-Schüle: Ego-Dokumente im frühneuzeitlichen Strafprozess, S. 298.

12

3.1 Strafrecht im frühneuzeitlichen Zürich 13

Fürstabtei St. Gallen, die «Strafrechtspflege nur in geringem Masse»55 beeinflusste. DieStrafen wurden bei jedem Prozess durch den kleinen Rat, als zuständige Gerichtsinstanz,festgelegt, wobei meiner Ansicht nach durchaus eine gewisse Einheitlichkeit zu erkennenist. Darauf werde ich im Abschnitt 3.1.2 näher eingehen.

Je nachdem ob eine Strafe an Haut und Haaren oder eine Todesstrafe verhängt wurde,waren der alte und der neue Rat56 gemeinsam zuständig, oder nur der neue Rat. Dasheisst bei Todesurteilen wurde von den beiden Räten kein Urteil gefällt, sondern der Fallfür das Urteil an das Malefizgericht übergeben, welches das Urteil fällte und die Art derTodesstrafe festlegte. Für das Malefizgericht war ausschliesslich der neue Rat zuständig.57

3.1.1 Der Strafprozess

Eine Strafuntersuchung im alten Zürich wurde meistens durch eine Anzeige ausgelöst.Diese wurde beim Dorfpfarrer oder direkt beim Vogt erstattet, welche versuchten, denDelinquenten festzusetzen und nach Zürich zu überstellen. Oftmals wurden bereits vorOrt erste Verhöre vorgenommen und zusammen mit dem Verhafteten dem kleinen Ratzugestellt.58 Bei mehreren Tätern aus verschiednen Vogteien war manchmal auch etwasmehr Schriftverkehr notwendig, bis alle Verdächtigen bei der gleichen Instanz in Haftsassen.59

In Zürich angekommen wurden die Verdächtigen, je nach schwere der vorgeworfenenTat, in eines der drei Gefängnisse gesperrt.60 Wie die Akten zeigen, wurden Häftlingeauch, je nach Aussagen in den Verhören, in ein anderes Gefängnis verlegt. Zum Beispiel,wenn im Lauf der Untersuchung aus einer tentierten (d.h. versuchten) eine vollzogeneBestialität wurde, erfolgte die Verlegung in den Wellenberg61 Die Folterung wurde imWellenberg vorgenommen.

Für die Folter, die als Teil des Verhörs vom Rat angeordnet werden konnte, war imWellenberg eine Folterkammer eingerichtet. Laut Wettstein war in Zürich die Streckfolterdiejenige, die am meisten vollzogen wurde.62 Bei dieser Form der Folter werden demAngeklagten die gestreckten Arme hinter dem Rücken gebunden und er an diesen miteinem Seil aufgezogen, so dass er frei und gestreckt hängt – je nach Grad der Folter55Wettstein: Die Geschichte der Todesstrafe im Kanton Zürich, S. 104.56Der kleine Rat in Zürich setzte sich zusammen aus zwei Bürgermeistern, 24 Ratsherren und 24

Zunftmeister und teilte sich in zwei Ratsrotten, die ursprünglich für ein halbes Jahr im Amt waren.Der neu Rat, d.h. die amtierende Ratsrotte, zog für gewöhnlich den alten Rat zur Beratung bei, wasab 1654 auch im geschworenen Brief so festgehalten wurde. Weiterführendes hierzu kann in: Guyer:Verfassungszustände der Stadt Zürich, S. 29-46 nachgelesen werden.

57Vgl. Wettstein: Die Geschichte der Todesstrafe im Kanton Zürich, S. 103.58Solche Verhöre finden sich unter anderem beim Fall Bär (S.44) und beim Fall Hess (S.45).59Ein Beispiel hierfür findet sich beim Fall Landis (S.45).60Das ehemalige Kloster Ötenbach, das auch als Zucht- und Waisenhaus diente, bei leichteren, der neue

Turm und der Wellenberg bei schweren Verbrechen.61Zum Beispiel im Fall Vögeli (S.41).62Vgl. ebd., S. 113.

14 3 Sexualdelikte, Normen und Sanktionen

werden dem Delinquenten dabei verschieden schwere Gewichte an den Füssen befestigt.Zürcher fand keine Belege, dass Kinder unter zehn Jahren dieser Folter unterzogenwurden, der jüngste auf diese Weise gefolterte Verdächtige im Raum Zürich war 1565 derelfjährige Christian Knupp von Brütten.63 In meinem Quellensample wird diese Folternur bei einem verdächtigen Jugendlichen angewendet64

Eine weitere Form der Folter war das Däumeleisen. Es werden der Daumen oder andereFinger in eine Zwinge gespannt und Druck darauf ausgeübt. Laut Franz Gut galtDäumeln als leichte Folter, die auch bei Schwangeren angewendet wurde.65 Für Zürich istin Bezug auf Jugendliche einzig der Fall des 14jährigen Hans Egg66 bekannt, der 1735dieser Folter unterzogen wurde. Als weitere, besonders bei Jugendlichen oft angewendeteFolltermethode nennt Zürcher noch Rutenstreiche.67 Diese kommt in meinem Samplejedoch bei keinem Fall als Folter vor, sondern nur als Bestrafung. Möglicherweise wurdesie lediglich bei geringeren Delikten als Folter eingesetzt.Eine Foltermethode die jedoch in den Fällen meines Samples vergleichsweise häufig

angewendet wird und weder bei Zürcher, noch bei Gut und auch nicht bei Wettsteinbeschrieben ist, wird in den Anordnungen des Rates als Benklisetzen und binden bezeichnet.Höchst wahrscheinlich handelt es sich dabei um eine Foltermethode, die 1660 beimHexenprozess gegen Catharina Bumann neu eingeführt wurde und wie folgt beschriebenwird:

Nota: die neue Tortur sind zwei Bretter ungefähr drei Schuh lang, da aufbeiden Seiten zwei hölzerne Nägel [sind], daneben beide Füsse mit Strickenhart zugebunden, die Knie auch mit einem Strick hart zugezogen, die Händeauf den Rücken gebunden und die Augen vermacht werden; und auf einemStöckli sitzen lassen, bis der Krampf durch alle Adern grossen Schmerzenverursacht. Welches ohne Gefahr [des] Lebens und der Glieder zugeht, nurallein mit Geduld lange Obwart erfordert.68

Laut Otto Sigg wurde diese Foltermethode eingeführt, nachdem die der Hexerei ver-dächtigte Elisabeth Bünzli 1656 beinahe zu Tode gefoltert worden wäre.69 In meinemSample wird diese Form der Folter in drei Fällen angeordnet70

Als weitere Form der Folter wurde in Zürich auch ein Methode angewandt, die keinekörperlichen Schmerzen verursachte. Der Verdächtige wurde in einem kleinen Holzhausinnerhalb des Wellenbergs eingesperrt und für eine festgelegte Zeitspanne allein gelassen.

63Vgl. Zürcher: Die Behandlung jugendlicher Delinquenten, S. 201f.64Vergleiche hierzu den Fall Spillmann (S.40).65Vgl. Gut: Die Übeltat und ihre Wahrheit, S. 142.66Vergleiche hierzu den Fall Egg (S.43).67Vgl. Zürcher: Die Behandlung jugendlicher Delinquenten, S. 203.68Kundschaften und Nachgänge, A27.162.69Vgl. Sigg: Hexenprozesse mit Todesurteil, S.225.70Vergleiche hierzu die Fälle Vögeli (S.41), Schmid (S.43) und Bär (S.44).

3.1 Strafrecht im frühneuzeitlichen Zürich 15

Auch die Geistlichen aus dem Grossmünster durften ihn in dieser Zeit nicht besuchen.Der 19jährigen Joseph Schmid71 wurde so eine Woche allein gelassen.

Eine oft verwendete leichte Massnahme war das «Schrecken». Der Scharfrichter war beimVerhör zugegen, zeigte seine Instrumente, fügte dem Delinquenten aber keine Schmerzenzu. In einigen Fällen72 wurde diese vom Rat bereits als ausreichend betrachtet. In anderenFällen war es nur die Vorstufe zu einer der bereits erwähnten Foltermethoden.In einigen Fällen73 wurde vom Rat angeordnet jemanden auf den Tod vorzubereiten,

dessen Delikt eigentlich nicht Todeswürdig war. Ob dies als Druckmittel, ähnlich demSchrecken, gesehen werden muss, oder ob wirklich in Betracht gezogen wurde den Ange-klagten hinzurichten und im letzten Moment eine andere Entscheidung fiel, ist wohl vonFall zu Fall unterschiedlich.Gewalt anzuwenden um jemanden zu einer Aussage zu bewegen scheint auch in der

Bevölkerung nicht unüblich gewesen zu sein. In mehreren Fällen meines Samples wird vonZeugen oder Familienangehörigen noch vor der Anzeige Gewalt angewendet: Der 12jährigeCaspar Franck wurde von seiner Mutter mit der Rute gezüchtigt, damit er ihr sagt waser mit den anderen Knaben und dem Bedtli gemacht hat74; Regula Hasler, die Muttervon Heinrich Hoffmeister züchtigte ihren Lehrbuben Caspar Hess ebenfalls mit einerRute, noch bevor sie die Obrigkeit informiert, dass sie die beiden zusammen erwischte.75

Heinrich Weydmann, der Joseph Schmid bei der Tat überraschte, verprügelte diesenzusammen mit einem anderen Knecht, bis er sich habe «vernemmen lassen, er müssebekennen, er habe im Sinn gehabt etwas böses mit dem Mudter-Pferdt vorzunemmen.»76

Es ist darum anzunehmen, dass die Folter in der Bevölkerung nicht als etwas Falschesangesehen wurde.

Die Verhöre mit den Verdächtigen und die Befragungen der Zeugen führten die Nachgän-ger durch. Das waren zwei Ratsmitglieder, welche diese Aufgabe jeweils für ein halbes Jahrübernahmen. In einem zwischen 1428 und 1443 verfassten Schreiben über die Rechtspflegein Zürich ist festgehalten, dass die Aussagen der Gefangenen bei den Verhören durch dieNachgänger sehr genau aufgeschrieben werden sollen, da sie als Entscheidungsgrundlagefür den Rat diensten. Die Angeklagten standen nie direkt vor ihren Richtern. Der Ratfällte seine Entscheidungen nur auf Grund von Schriftstücken. Der Auftrag zur Befragungder Gefangenen wurde, obwohl auch die Nachgänger Ratsmitglieder waren, zumindestteilweise schriftlich erteilt. In der Akte zum Fall Landis77 sind solche Anweisungen, wieauch diejenigen an den Diakon der Leutpriestertei des Grossmünsters, überliefert.78

71Vergleiche hierzu S.4372zum Beispiel im Fall Merki (S.42) und beim Fall Hess (S.45)73Vergleiche hierzu die Fälle Egg (S.43) und Landis (S.45).74Vgl. S. 48.75Vgl. S. 45.76Vgl. S. 43.77Vergleiche hierzu die Ausführungen auf S.45.78Ganzer Abschnitt nach: Ruoff: Der Blut- oder Malefizrat in Zürich, S. 579 und Wettstein: Die Geschichte

der Todesstrafe im Kanton Zürich, S.106.

16 3 Sexualdelikte, Normen und Sanktionen

Für die Entscheidungsfindung ordnete der Rat oft die Einvernahme von Zeugen an.Als solche konnten Personen einvernommen werden, welche die Tat in irgend einer Weisemitbekommen hatten, oder Personen, die nähere Auskunft zu den Verdächtigen gebenkonnten. Laut Wettstein erfuhren Angeklagte nicht, wer gegen sie ausgesagt hatteund konnten die vorgebrachten Vorwürfe nicht entkräften. In meinem Sample kommte esjedoch zu Gegenüberstellungen, was dem widerspricht. Wahrscheinlich war es sehr Delikt-und Fallabhängig, ob einem Verdächtigen mitgeteilt wurde, wer gegen ihn ausgesagthatte.79

Bereits einleitend erwähnte ich, dass der Rat auch bei den Geistlichen Informationeneinforderte. Diesen Aspekt des Strafprozesses und die spezielle Rolle der Geistlichen indemselben behandle ich gesondert im Abschnitt 3.1.3.

Wenn der Rat der Ansicht war, dass alles gestanden ist, was es zu gestehen gibt, fällteer sein Urteil. Ausser in denjenigen Fällen, in welchen er zum Schluss kam, dass derVerdächtige ein Todeswürdiges Delikt begangen hatte. In diesen Fällen ordnete er einFinalexamina an, bei welchem keine Folter angewendet werden durfte, sowie die Vorberei-tung auf den Tod durch die Geistlichen. Dies geschah teilweise auch in Fällen, in welchennachher kein Todesurteil ausgesprochen wurde. Nach dem Verlesen des Finalexaminawurde über das Weiterreichen des Falles an das Malefizgericht abgestimmt. Diese Abstim-mungen waren in allen Fällen meines Samples einstimmig. Das Malefizgericht war im 15.Jahrhundert noch ein Schauprozess, in welchem der Bürgermeister als Ankläger auftratund der Vogt den Vorsitz übernahm. Bis ins 18. Jahrhundert hatte es diverse Änderungendurchlaufen. Es gab keinen Vogt mehr, weil Zürich keine Reichsstadt mehr war und dasFühren der Anklage im Stehen wurde als unwürdig für den Bürgermeister empfunden, umnur zwei zu nennen. Die Sitzung des Malefizgerichtes wurde so mit der Zeit ein Teil derRatssitzung. Nach dem Entschluss, den Fall zu überweisen geht das Ratsprotokoll nahtloszum Protokoll des Malefizgerichtes über. Als anwesend werden in den Ratsmanualen dieneuen Räte und der Seckelmeister aufgeführt. Höchst wahrscheinlich verliess die andereRatsrotte und der Bürgermeister den Saal für diese Zeit. Das Malefizgericht legte dieTodesart fest, stimmte über die Todesstrafe ab, und die normale Ratssitzung nahm wiederihren Lauf.80

3.1.2 Die Bestrafung

Im Mittelalter und der Frühen Neuzeit kannte man viele Arten der Todesstrafe. Im 18.Jahrhundert und insbesondere bei Jugendlichen, ist jedoch nur noch die Enthauptungrelevant. Laut Wettstein wurden im 17. und 18. Jahrhundert 88% der Todesstrafendurch Enthauptung oder Enthauptung mit anschliessendem Verbrennen bzw. andererStrafschärfung wie öffentlichem Ausstellen des Leichnams, vorgenommen.81

79Vgl. Wettstein: Die Geschichte der Todesstrafe im Kanton Zürich, S. 115.80Vergleiche hierzu Ruoff: Der Blut- oder Malefizrat in Zürich, S. 578f., 584-586.81Vgl. Wettstein: Die Geschichte der Todesstrafe im Kanton Zürich, S. 120.

3.1 Strafrecht im frühneuzeitlichen Zürich 17

Bei den Jugendlichen war der Anteil derjenigen, die zu einer sogenannt qualifiziertenTodesstrafe verurteilt wurden, noch viel geringer. Von den über hundert Jugendlichen diezwischen 1400 und 1798 hingerichtet wurde, wurden lediglich sieben nicht enthauptet.82

Keiner dieser Fälle ereignete sich im 18. Jahrhundert83 Drei Fünftel der zur Enthauptungverurteilten wurde danach verbrannt. Bis auf einen, ein etwa 14jähriger Brandstifter, der1560 verurteilt wurde, waren sie alle wegen widernatürlicher Unzucht verurteilt worden.Die Enthauptung vor dem Verbrennen ist in diesen Fällen als Gnadenstrafe, an Stelle desLebendigverbrennens, zu werten.84

«Es sollen auch neben der Gerechtigkeit solche Bestraffungen auf den gemeinen Nutzgerichtet syn: Also dass durch das Exempel der Straff andere gebesseret werden undabgeschreckt.»85 Damit das Exempel der Straff auch gesehen wurde, wurden die Hinrich-tungen öffentlich vollzogen. Den Verurteilten wurden vor dem Ratshaus ihre Verbrechennochmals vorgelesen, bevor sie mit dem Scharfrichter ihren letzten Gang antraten. DieStrehlgasse hinauf, den Rennweg hinab zum Rennwegtor, wo der letzte Trunk gerichtwurde, und von da zur Sihl an die jeweilige Richtstätte. Die Glocken läuteten zu Beginndes letzten Ganges drei Mal, damit jeder wusste, dass jetzt jemand hingerichtet wird undzur Hinrichtungsstätte eilen konnte, um zuzusehen.86

Neben der Todesstrafe kannte man auch andere schwere Strafen. Zum Beispiel diekörperliche Züchtigungen, die häufigste Strafe bei Kinder und Jugendlichen. Die Züchti-gung war auch bei den jüngsten in Zürich verurteilten Straftätern angeordnet worden. Siealle wurden wegen Verbrechen verurteilt, die zu den schwersten gehören. Unter anderemauch Blutschande, Sodomiterei und Bestialität. Die Züchtigung wurde in diesen Fällenangeordnet, weil nur die vollzogene Tat mit dem Tod bestraft wird und man bei Kindernvon acht oder neun Jahren nicht davon ausgehen kann, dass diese die Geschlechtsreifebereits besitzen, sie die Tat somit nicht vollziehen konnten. Darum bestrafte man sie auchnicht mit dem Tod. In meinem Sample kommt diese Bestrafung auch in mehreren Fällenvor87 Dabei handelt es sich jedoch immer um Fälle, in welchen die Tat nicht vollendetwurde, d.h. es zu keinem Samenerguss kam. Andere Strafen an Haut und Haaren, wieVerstümmelungen, waren in Zürich bei Jugendlichen nicht üblich. Überliefert ist nur eineinziger Fall aus dem 15. Jahrhundert.88

Eine weitere Strafe, die bei schweren Verbrechen angewendet wurde, war die Verbannung.Sie gehört zu den verbreitetesten Strafen in der Frühen Neuzeit. Schwerhoff geht davon

82Von diesen starb ein Knabe während der Folter, einer wurde bei lebendigem Leib verbrannt, zwei ander Stud erwürgt, zwei Mädchen ertränkt und ein Knabe, der eigentlich zum Schwert verurteilt wordewäre, jedoch in Graubünden im Kriegsdienst war und kein Scharfrichter zugegen, wurde arkebusiert.

83Vier Fälle sind aus dem 17., drei aus dem 16. Jahrhundert.84Ganzer Abschnitt nach: Zürcher: Die Behandlung jugendlicher Delinquenten, S. 49-53.85Heidegger: Regenten-Kräntzlein, S. 90.86Ganzer Abschnitt nach: Wettstein: Die Geschichte der Todesstrafe im Kanton Zürich, S. 133.87Vergleiche hierzu die Fälle Schmid (S.43), Egg (S.43) Bär (S.44), Hess (S.45), Baumann (S.46) Haagen

(S.48) und Franck (S.48).88Ganzer Abschnitt nach: Zürcher: Die Behandlung jugendlicher Delinquenten, S. 8, 15, 54f.

18 3 Sexualdelikte, Normen und Sanktionen

aus, dass in Augsburg in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts über 50% der Verurteilteneinen Stadtverweis erhielten. In Frankfurt am Main seien im 18. Jahrhundert ein Viertelder ausgesprochenen Strafen Verbannungen gewesen.89 Auch in Zürich war es eine beliebteStrafe, die oft gegen Kinder und Jugendliche ausgesprochen wurde, meist in Verbindungmit einer anderen Strafe. Rund ein Viertel aller verurteilten Jugendlichen im altenZürich wurde verbannt.90 Schwerhoff bezweifelt die Wirksamkeit dieser Strafe. DieStädischen Mauern seine in der Frühen Neuzeit durchlässig gewesen und «wie begrenztdie Möglichkeiten zur Durchsetzung einer Verbannung für ein ländliches Gebiet aussahen,wird man sich leicht ausmalen können.»91 Seine Untersuchung der Kölner Turmbücher hatdenn auch gezeigt, dass dort häufig Verstösse gegen die Verbannung eingetragen sind.92

In meinem Sample werden in sechs Fällen Landesverweise ausgesprochen. Einzig im FallHiltebrand93 gibt es keine zusätzlichen Strafen zur Verbannung, in allen anderen Fällenwird zusätzlich eine körperliche Züchtigung ausgesprochen und/oder eine Ehrenstrafe,auf die ich im Folgenden noch zu sprechen kommen werde. In drei Fällen94 wurde dieVerbannung für ewig ausgesprochen, in den anderen drei Fällen95 wurde die Verbannungfür einen begrenzten Zeitraum ausgesprochen. Nach diesem durfte der Verurteilte, beigutem Führungszeugnis, wieder zurück kommen.Eine Varation der Landesverweisung war die Verdingung «an einen ehrlichen dienste»

wie im Fall Baumann96, wo bei Stiefgeschwistern wegen versuchter Blutschande angeordnetwurde, dass sie beide verdingt werden. Der 16jährige Knabe sofort, das 11jährige Mädchensobald sie dazu im Stande sei. Eine solche Bestrafung zielte natürlich auch gegen dieEltern, da man diese offensichtlich nicht dazu in der Lage sah, ihre Kinder angemessen zuerziehen.

Die vorhin erwähnten Ehrenstrafen gehörten zu den leichteren Strafen, die angeordnetwerden konnten. Beim Stehen am Halseisen, am Pranger oder in der Trülle konnte manvon den Verbeigehenden beschimpft werden, bespuckt oder schlimmeres. Das Vergehenwurde öffentlich, die Ehre dadurch verletzt. Oft wurde diese Strafe in Verbindung mit einerkörperlichen Züchtigung ausgesprochen, meist bei Dieben und Landstreichern. In meinemSample werden drei Ehrenstrafen verhängt. Eine davon gegen den Ortsfremden JohannHaagen, den man auch der Landstreicherei verdächtigte.97 Dieser wurde am Pranger mitRuten gezüchtigt, bevor er auf ewig des Landes verwiesen wurde. Auch in den anderen

89Vgl Schwerhoff: Vertreibung als Strafe, S. 53.90Vgl. Zürcher: Die Behandlung jugendlicher Delinquenten, S. 82.91Schwerhoff: Vertreibung als Strafe, S. 63.92Vgl ebd., S. 49.93Vergleiche hierzu die Ausführungen zum Fall auf S.40.94Die Ewige verbannung wurde ausgesprochen in den Fällen Haagen (S.48), Egg (S.43) und Hess (S.45).95Bei den zeitlich Begrenzten Verbannungen handelt es sich um den bereits zitierten Fall Hiltebrand,

sowie die Fälle Landis (s.45) und Schmid (S.43).96Vergleiche hierzu die Ausführungen auf S.46.97Vergleiche hierzu die Ausführungen auf S.48.

3.1 Strafrecht im frühneuzeitlichen Zürich 19

zwei Fällen98 wurde die Ehrenstrafe, beide Male das Stehen am Halseisen, mit einemLandesverweis zusammen ausgesprochen.Die letzte Strafart zu der Jugendliche verurteilt wurden, waren Freiheitsstrafen. Bei

Freiheitsstrafen schwang immer auch der Gedanke mit, einen Delinquenten mit genügendgeistiger Unterweisung und Arbeit bessern zu können und wieder zu einem nützlichen Gliedder Gesellschaft zu machen. Die mildeste Form der Freiheitsstrafe war der Hausarrest, wiesie auf Bitte des Pfarrers im Fall Bär99 angeordnet wurde. Strenger war die Versorgungim Spital. Dort wurden die Verurteilten abgesondert von den anderen Personen verwahrtund erhielten geistigen Unterricht.100

Zusätzlich mit körperlicher Arbeit verbunden war der Aufenthalt in einem Zuchthaus.Die Zucht- und Waisenhäuser des 17. und 18. Jahrhunderts waren ein neuer Anstaltstyp,der nicht mehr allein der Versorgung und Absonderung diente.

Die modernen Zwangsarbeitsanstalten hingegen verfolgten pädagogische, so-zialpolitische und wirtschaftliche Ziele, die auf die Interessen des modernen,merkantilistischen Staates und des privaten, frühkapitalistischen Unterneh-mertums ausgerichtet waren.101

Zürich eröffnete 1637 im ehemaligen Kloster Ötenbach das Erste Zucht- und Waisenhausder deutschsprachigen Eidgenossenschaft. Der Ötenbach war Zwangsarbeitsanstalt, öffent-liche Kinderfürsorge und Untersuchungsgefängnis. Es war der Ort, wo Personen, die gegendie Normen verstiessen, egal ob Erwachsene, Jugendliche oder Kinder, wieder auf denrechten Weg gebracht werden sollten. Durch die Züchtigung an der Stud, harter Arbeit,geistiger Unterweisung und bescheidene Ernährung.102

In meinem Sample wird in zwei Fällen eine Versorgung im Ötenbach angeordnet. ImFall Hess für acht Tage,103 im Fall Baumann bis ein Dienstherr gefunden ist.104

Zusammenfassend lässt sich zur Bestrafung von Jugendlichen sagen, dass die häufigs-ten Strafen gegenüber Jugendlichen, Zuchthausstrafen, Züchtigungen, Ehrenstrafen amPranger und Landesverweise waren. Im allgemeinen wurden jugendliche Delinquentenmilder bestraft als Erwachsene, gingen aber nicht Straffrei aus. Todesstrafen wurdenauch gegenüber Jugendlichen ausgesprochen, wobei der jüngste zum Tode Verurteilte einzehnjähriger war, der 1696 wegen Sodomiterei verurteilt wurde. Wie er, war der überwie-genden Teil der zum Tode verurteilten Jugendlichen wegen Bestialität oder Sodomitereiverurteilt worden. Der letzte Jugendliche wurde 1749 wegen mehrfacher Bestialität undUnzucht mit dem Tod bestraft.98Vergleiche hierzu die Fälle Egg (S.43) und Landis (S. 45)99Vergleiche hierzu die Ausführungen auf S.44.

100Vgl. Zürcher: Die Behandlung jugendlicher Delinquenten, S. 75, 81.101Crespo: Verwalten und Erziehen, S. 37.102Ganzer Abschnitt nach: Ebd., S. 37f., 64.103Vergleiche hierzu die Ausführungen auf S.45.104Vergleiche hierzu die Ausführungen auf S.46.

20 3 Sexualdelikte, Normen und Sanktionen

Das Todesurteil wurde aber nur ausgesprochen, wenn der Delinquent den tatsächlichenVollzug der widernatürlichen Unzucht zugegeben hatte. Ohne das Geständnis, einenSamenerguss gehabt zu haben, wurde nicht hingerichtet. Insofern kann auch von einergewissen Einheitlichkeit gesprochen werden. Auch was die Schwere der Strafen anbelangt,kann ein Stück weite eine Korrelation zur Schwere der zugegebenen Tag gesehen werden.So gestand beispielsweise Egg, zwei Mal versucht zu haben, sich einer Stute zu nähern, seidabei entblöst gewesen und in das Tier eingedrungen. Er wurde ans Halseisen gestellt, andiesem mit Ruten gestrichen und auf ewig des Landes verwiesen. Die Strafe von Schmidwar eine geringere. Er wurde drei Tage lange sechs mal mit der Rute geschlagen unddanach für acht Jahre verbannt. Er hatte aber auch nur zugegeben, sich einmal einer Stutegenähert zu haben, er sei dabei entblöst gewesen, hatte aber nicht eindringen können.Damit war auch sein Vergehen ein geringeres als dasjenige von Egg. Und vergleichtman dies noch mit dem Fall Hiltebrand, der ohne körperliche Züchtigung für sechs Jahreverbannt wurde, so hat dieser lediglich zugegeben, die Tat vorgehabt zu haben. Er sei nichtentblöst gewesen, somit konnte er auch nicht in die Stute eingedrungen sein. Natürlichtrifft dieser Zusammenhang von Schwere der Tat und Härte der Strafe nicht auf jedenFall zu. Auch haben Briefe von Pfarrpersonen und Angehörigen sowie das Verhalten inder Haft einen Einfluss auf das Urteil, aber vom Fehlen einer einheitlichen Beurteilungder Jugendlichen, wie dies Wettstein tut, würde ich auf Grundlage meines Samplesnicht sprechen.105

3.1.3 Die Rolle der Kirche

«Der Pfarrer ist ein Glied des Staatskörpers»106 notierte der Pfarrer Leonhard Brennwald1795 in seinem Tagebuch. Geistliche und weltliche Obrigkeiten arbeiteten im frühneuzeit-lichen Zürich eng zusammen.

Weltliche und kirchliche Interessen, Einflusssphären und Strategien liessen sichim nachreformatorischen Zeitalter kaum mehr trennen. Als Gelenkstelle oderVerbindungsglied zwischen Kirche und Staat fungierte der einzelne Pfarrer,dem in diesem symbiotischen Verhältnis eine wichtige Machtposition zukam.107

Pfarrer waren für die Angehörigen ihrer Kirchgemeinde zuständig – wie Hirten für ihreSchäfchen. Wobei der Hirte als Wächter verstanden wurde. Ein Wächter über Sitte undMoral. Dem Pfarrer oblag jedoch nicht alleine «die Überwachung des sittlichen Zustandesder Gemeinde»108 Dies war Aufgabe der Stillstände, einer Gemeindebehörde, welcher derPfarrer vorstand und der alle Beamten angehörten, über welche die Gemeinde verfügte.109

105Ganzer Abschnitt nach: Wettstein: Die Geschichte der Todesstrafe im Kanton Zürich, S. 40f. undZürcher: Die Behandlung jugendlicher Delinquenten, S. 3, 47-49

106zitiert nach: Gugerli: Zwischen Pfrund und Predigt, S. 76.107Ebd., S. 76.108Kunz: Die Gemeindefreiheit im alten Zürich, S. 60.109Ausführliche Informationen zu den Stillständen finden sich bei: ebd., S. 59-67.

3.1 Strafrecht im frühneuzeitlichen Zürich 21

Leichte Verstösse wurden von dieser Behörde in der Gemeinde geregelt. Da der Pfarrernicht nur Wächter war, nicht nur lehren und trösten sollte, sondern auch «Irrende ermahnenund Lasterhafte strafen»,110 wurde die Kirche selbst zum Gerichtsort. Personen, die sichetwas hatten zu Schulden kommen lassen, wurden vor versammelter Kirchgemeinde gerügt.David Gugerli schliesst daraus, dass diese öffentliche Rüge «einen Sünder nicht nur vonder religiösen Gemeinschaft, sondern auch – und vor allem – von der ganzen Gesellschaftaus[schloss], da beide Bereiche deckungsgleich waren.»111

Schlimmere Vergehen wurden, wie bereits auf S.13 geschildert, nach Zürich gemeldet,die Delinqueten dorthin überstellt. In diesen Fällen wurden die Dorfpfarrer zu Auskunfts-personen für den Rat. Sie bestätigten das Alter der Delinquenten – das heisst sie gabenan, wann diese getauft wurden – meldeten ob sie die Schule und die Kirche besucht hatten,und wie ihr Betragen in der Gemeinde war. Diese Briefe werde ich im Abschnitt 5.2.1näher beleuchten.

Den Geistlichen des Grossmünsters kam eine weitere Aufgabe zu. Sie wurden vom Ratjeweils gebeten, die Delinquenten zu besuchen und zu einem Bekenntnis zu bewegen. DieAnweisungen im Fall Merki lauten beispielsweise:

Mithin solle derselbe von nun an durch die Herren Geistlichen fleissig besuchet,in dem Handel des Heils unterwisen,zu Bekantnuss der Wahrheit angetribenund zu einem seligen Reüen vorbereitet112

Auch die Verurteilten auf den Tod vorzubereiten war Aufgabe der Geistlichen. Beim FallLandis113 sind, wie bereits erwähnt, Anweisungen an die Nachgänger und die Geistlichenüberliefert. Diejenige für die Geistlichen ist adressiert an den «Leüthpriester Hottinger»und weist diesen an:

Der annach gefangen Sitzende Peter landis soll von dennen Herren Geistlichen/: wie es Gott und meine gnädigen Herren leithen möchten:/ zum Tod vor-bereithet, und auff nächstkünfftigen Sammstag den Thurm gewohnter weisebestellet werden114

Der erwähnte Johann Jakob Hotting, an welchen der Rat seinen Auftrag richteteund von dem auch ein Grossteil der Briefe über das Verhalten der Verdächtigen inHaft verfasst sind, war 1715 – 1731 Diakon in der Leutpriestertei des Grossmünsters.Laut Hans Rudolf von Grebel war aber nicht er selbst zuständig für eine «derallerschwersten seelsorgerischen Aufgaben (. . . ), die es überhaupt für einen Pfarrer gebenkann: die Seelsorge an den Kriminellen und Malefikanten»,115 sondern die Exspektanten.110Heiligensetzer: Getreue Kirchendiener - gefährdete Pfarrherren, S. 21.111Gugerli: Zwischen Pfrund und Predigt, S. 79.112Ratsmanuale, B II 778, S. 51.113Vergleiche hierzu die Ausführungen auf S.45.114Bestialität und Sodomiterei, A 10.115Grebel: Kirche und Unterricht, S. 117.

22 3 Sexualdelikte, Normen und Sanktionen

Abbildung 3.1: Anweisung des Rates an Johann Jakob Hottinger vom 19. Oktober 1729.

3.1 Strafrecht im frühneuzeitlichen Zürich 23

Ordinierte Verbi Divini Ministri116 die noch auf eine Pfarrstelle warteten und für dieLeutpriestertei arbeiteten.

Als besonders wichtig empfand man ihre Arbeit bei denjenigen Verdächtigen, die eineTodesstrafe zu erwarten hatten. Diese wollte man zu Reue und einem vollen Geständnisbewegen, weil man ihre Seelen dem Bösen entreissen wollte, sie «wenigstens für denHimmel zu retten, wenn auf Erden nichts mehr zu hoffen war.»117 Dass die Bemühungender Geistlichen manchmal mehr Geständnisse hervorzwingen konnten als die Folter, zeigtzum Beispiel der Fall Vögeli,118 bei welchem der Verhaftete unter der Folter keine weiterenEingeständnisse macht, im Gespräch mit dem Geistlichen jedoch plötzlich weitere Tatengesteht.

Die Pfarrer waren aber nicht nur ein Glied des Staatskörpers weil sie bei Strafuntersu-chung und Prozess Unterstützung leisteten, sie waren auch für die Verbreitung der Normenzuständig. Wie bereits auf S.8, in Bezug auf das Mandat wider Leichtfertigkeiten erwähnt,wurden die Mandate und Ordnungen von den Pfarrern während der Predigt verlesen.Sie waren aber auch für die Unterweisung der Jugendlichen zuständig, und somit dafür,ihnen die Normen des christlichen Glaubens zu vermitteln. Im «Bekanntnuss dess waarenGloubens unnd einfalte Erlüterung der rächten allgemeinen Leer und Houptarticklen derreinen christlichen Religion» von Heinrich Bullinger heisst es dazu:

So tuond die pfarrer in den kyrchen fast wysslich und wol / dass sy by guoterzyt und mit flyss / die jugend in ersten anfaengen unserer religion anfürendunn underrichtend / in dem sy die ersten gründ unseres gloubens rächt legend/ und inen flyssig usslegend / und zuoverston gäbend / das gsatze Gottes / inzähen gebotten begriffen / die zwölff artickel unsers waaren uralten heyligenChristenlichen gloubens / das heylig gebätt unsers Herren Christi / das Vatterunser / und wie es mit den heyligen Sacramenten ein gstallt habe / samptanderen derglychen stucken / die zuo den anfängen und houptstucken unsereswaaren gloubens dienend.119

Als eines dieser «anderen derglychen stucken» muss sicher der «Catechismus» gezähltwerden. In dem aus Fragen und Antworten aufgebauten Werk heisst es:

Koennen denn die nicht selig werden, die auch von irem undanckbaren un-bussfertigen wandel zu Gott nicht bekehren?Keineswegs: denn, wie die schrifft saget: Kein Unkeuscher, Abgoettischer,Ehebracher, Dieb, Geiziger, Trunckenplotz, Lesterer, Rauber und dergleichen,wird das reich Gottes erben120

116«Diener am Göttlichen Wort», Zürcher Titel für Pfarrpersonen.117Ruoff: Staat, Kirche und Strafrecht im Alten Zürich, S. 79.118Vergleiche hierzu die Ausführungen auf S.41.119Bullinger: Zweites Helvetisches Bekenntnis, S. 61f.120Johann Mayer (Hrsg.): Catechismus, S. 60.

24 3 Sexualdelikte, Normen und Sanktionen

Diese Antwort werden die Geistlichen aus dem Grossmünster den Verhafteten vermutlichauch öfters vorgelesen haben, wenn sie sie «in dem handel dess heils underwisen, zurbekentnus der wahrheit angetriben und zu einer seligen Reüen möglichst vorbereitet»121

haben.Der Heidelberger Katechismus geht auch auf die Auslegung der Zehn Gebote ein, die

Bullinger für die Unterweisung der Jugend ebenfalls fordert. Dabei heisst es in Bezugauf das für diese Untersuchung relevante Siebte Gebot (Du sollst nicht ehebrechen) :

Was wil das siebende Gebot?Das alle unkeuscheit von Gott vermaledeyet sey, und dass wir darumb ihrvon herzen feind sein, und keusch und züchtig leben, sollen es sey im heiligenEhestandt oder ausserhalb desselben.Verbeut Gott in diesem gebot nichts mehr denn Ehebruch und dergleichenSchand?Dieweil beyde unser leib und seel tempel des heiligen Geistes sein, so wil er,dass wir sie beyde sauber und heilig bewaren. Verbeut derhalbe alle unkeuschethaten, geberden, wort, gedancken, lust, und was den menschen darzu reizenmag.122

Die Pfarrer waren somit verpflichtet, die Jugendlichen in allen wichtigen Schriften desChristentums zu unterrichten und ihnen dabei auch die zehn Gebote auszulegen. Dabeimussten sie zwingender Massen auch über die verbotenen Unkeuschheiten reden. Eineder Bibelstellen, die im «Catechismus» dafür vorgeschlagen wird, ist Leviticus 18, wounter anderem auf Sodomiterei, Bestialität, aber auch Blutschande eingegangen wird.Die Bestrafung für diese Taten nennt die Bibel ebenfalls, in Leviticus 20, worauf ich imfolgenden Kapitel eingehen werde.Der Dorfpfarrer war für einen Jugendlichen im 18. Jahrhundert Lehrer, Polizist und

Richter. Er lehrte, welches Verhalten das Richtige, sehligmachende ist und welche Tatenverboten sind. Er bestrafte, wenn man sich nicht daran hielt, hatte das Recht, einen vor derganzen Kirchgemeinde abzukanzeln – im ursprünglichen Sinn des Wortes. Und er war es,der einen der Obrigkeit meldete, wenn das Vergehen zu gross war, um es in der Gemeindezu strafen. Der Pfarrer war eine Respektsperson, eine Instanz. Da die hauptsächlichenBezugspersonen der jugendlichen Straftäter, die sie teilweise mehrmals täglich besuchten,ebenfalls Geistliche waren, kann angenommen werden, dass sie diese ebenso wahr nahmen,wie die Dorfpfarrer. Die Aussagen der Kirchendiener des Grossmünster, ihre Bilder, diesie von den Delinquenten hatten und mit denen sie diese konfrontierten, um sie zu Reuezu bewegen, müssen daher auf die Jugendlichen grossen Einfluss gehabt haben.

121Kundschaften und Nachgänge, A 27.138.122Johann Mayer (Hrsg.): Catechismus, S. 73f.

3.2 Sexualstraftaten und ihre Bestrafung 25

3.2 Sexualstraftaten und ihre Bestrafung

Bereits einleitend nannte ich die fünf Delikte die ich in meinem Sample berücksichtigthabe. Es sind diejenigen Sexualstraftaten, welche unter die Gerichtsbarkeit des kleinenRates fallen und von Jugendlichen begangen werden können: Bestialität, Sodomiterei,Blutschande, Notzucht und Unzucht. Besonders Bestialität und Sodomiterei, zusammenals widernatürliche Unzucht bezeichnet, waren bei Jugendlichen sehr häufige Delikte.Laut Zürcher wurde rund ein Fünftel aller verurteilten Jugendlichen wegen diesenDelikten angeklagt, bei den hingerichteten Jugendlichen sind es gar zwei Drittel, die einsolches Vergehen zugegeben hatten. Alle Todesurteile betrachtend war die widernatürlicheUnzucht gemäss Wettstein die dritt häufigste Ursache für eine Hinrichtung. Über dieHälfte der 1424 Todesurteile im alten Zürich wurden wegen Diebstahl ausgesprochen, 193wegen Tötungsdelikte und 179 wegen widernatürlicher Unzucht. Somit wurde nur rundein Achtel aller zum Tode verurteilten wegen Bestialität oder Sodomiterei hingerichtet.Diese Taten waren somit unter Jugendlichen verbreiteter, als bei Erwachsenen.123

Eine der normativen Grundlagen für die Verurteilung von Notzucht und Unzucht istdas bereits aus Seite 8 zitierte Sittenmandat:

Dann wofehrn in das künftig ein lediges mensch (. . . ) eine mannsperson zuihr in ihre kammer kommen oder steigen (. . . ) oder gar zu ihro unter diedecke (. . . ) sie aber einem solchen leichtfertigen gesellen nicht alsobald dieaussweisung mit ernst geben (. . . ) um hülff anrüffe und schreyen thete / sollenein solcher und eine solche nicht mehr für ehrliche menschen (. . . ) sondern fürein gesind / so die ehr vermuthwillet / gehalten124

Für Unzucht ist in diesem Mandat somit keine Strafe gegen Leib und Leben oder Hautund Harr vorgesehen. Strenger sind die Bestimmungen bei Nothzucht:

Fals aber einer so frech und leichtfertig were / und sich unversehens zu einerledigen tochter / dienstmagd / oder wittfrauen / obvermelter massen verfüge /und dieselbige ihrer ehren verfellen wurde / dass sie sich seiner nicht erwehren/ noch um hülff schreyen möchte / sol ein solcher gesell für einen rechtenehrenschänder und nothzwenger erkleret seyn / und um solchen nothzwang jenach beschaffenheit der sach / ohne alle gnad an ehr und gut / ja an leib undleben gar abgestraft werden.125

Ansonsten ist im Mandat nur von «grobe Sünden,» von «vil übles und unheils» daserwache könnte und «Gottes grosse straaf und ungnad» nach sich ziehen die Rede.

123Ganzer Abschnitt nach: Wettstein: Die Geschichte der Todesstrafe im Kanton Zürich, S. 62 und Zürcher:Die Behandlung jugendlicher Delinquenten, S. 48, 158.

124Mandat wider Leichtfertigkeiten, S. 5.125Ebd., S. 6.

26 3 Sexualdelikte, Normen und Sanktionen

Im Vorangehenden Kapitel habe ich auf Leviticus 20 als weitere normative Grundlageverwiesen. Die Bibel kann, ja muss nach meiner Ansicht als normative Grundlage auchin rechtlichen Fragen gesehen werden, weil sich der Rat als «Christliche Obrigkeit»126

definierte. Im «Regenten-Kräntzlein» ist die Regierung gar als Vertretung Gottes beschrie-ben: «Ein Regent und Oberer aber sitzt an Gottes statt, dessen ausdrucklichen Befehl ersoll statt thun, und ins Werck richten.»127 Die benannte Bibelstelle ist in Bezug auf dieBestrafung von Bestialität und Sodomiterei sehr deutlich:

Und wenn jemand mit einem Mann schläft, wie man mit einer Frau schläft, sohaben beide einen Greuel verübt. Sie müssen getötet werden, auf ihnen lastetBlutschuldUnd wenn jemand eine Frau nimmt und ihre Mutter, so ist das eine Schandtat.Man soll ihn und die beiden Frauen im Feuer verbrennen, und es soll keineSchandtaten geben bei euch.Und wenn jemand mit einem Tier den Beischlaf vollzieht, muss er getötetwerden, und auch das Tier sollt ihr töten.Und wenn eine Frau einem Tier nahe kommt, damit es sie begatte, sollst dudie Frau und das Tier töten. Sie müssen getötet werden, auf ihnen lastet dieBlutschuld.Und wenn jemand seine Schwester, die Tochter seines Vaters oder die Tochterseiner Mutter, nimmt und ihre Scham sieht, und sie sieht seine Scham, so istdas eine Schande, und sie soll vor den Augen der Angehörigen ihres Volkesgetilgt werden. Er hat die Scham seiner Schwester entblösst, er muss seineSchuld tragen.128

Für die widernatürliche Unzucht wird hier die Todesstrafe für alle am Akt beteiligtengefordert. Bei der Blutschande ist die Formulierung offener. Eine Schande zu tilgen undseine Schuld zu tragen heisst nicht zwingendermassen, dass die Blutschänder hingerichtetwerden müssen. Dies war in Zürich, zumindest im 18. Jahrhundert, auch nicht der Fall,sondern wurde je nach Verwandtschaftsgrad und schwere der Tat entschieden. Um daraufgenauer einzugehen, solle im Folgenden auf die einzelnen Taten und ihre Bestrafung inZürich eingegangen werden.Widernatürliche Unzucht wurde im alten Zürich ursprünglich mit Verbrennen bei

lebendigem Leib bestraft, jedoch kam man gegen Ende des 16. Jahrhunderts immer mehrdavon ab und ging dazu über, die Delinquenten zu enthauptet, ihre Leichen zu verbrennenund die Asche in fliessendes Wasser zu werfen. Die Strafe des Lebendigverbrennens wurdenur noch bei sehr schweren Fällen ausgesprochen und auch dies nur noch bis Mitte 17.Jahrhundert.129

126Mandat wider Leichtfertigkeiten, S. 4.127Heidegger: Regenten-Kräntzlein, S. 105.128Leviticus 20, 13-17129Ganzer Abschnitt nach: Wettstein: Die Geschichte der Todesstrafe im Kanton Zürich, S. 82.

3.2 Sexualstraftaten und ihre Bestrafung 27

Wie ich bereits auf Seite 20 erwähnt habe, gab es Milderungsgründe bei widernatürlicherUnzucht, bei welchen die Todesstrafe nicht ausgesprochen wurde. Wenn Jugendliche ihresodomitische oder bestialische Tat nicht vollenden konnten und es beim Versuch blieb,wurden sie nicht hingerichtet. Massgeblich war dabei nicht, ob sie die Tat aus eigenemAntrieb nicht vollendeten oder weil sie gestört worden waren, sondern lediglich derUmstand, dass die Tat nicht vollzogen wurde. Bei Sodomiterei wurde die Strafe desjenigengemildert, der zur Tat verführt worden war, der sie nicht verübt, sondern erlitten hatte.Ein Beispiel für ein solches Urteil ist der Fall Landis.130 Die gemilderte Strafe bestand inden meisten Fällen aus einer körperlichen Züchtigung – im Innenhof des Ötenbach an derStud, oder öffentlich am Pranger oder Halseisen – und einem Landesverweise.131

Von den jugendlichen Sodomiten war seit Ende des 17. Jahrhunderts keiner mehrhingerichtet worden, Todesurteile wurde nur noch wegen Bestialität ausgesprochen. Dieletzte Hinrichtungen wegen widernatürlicher Unzucht – überhaupt die letzte Hinrichtungeines Jugendlichen im alten Zürich – war diejenige von Jacob Boller 1749.132

Neben der Tötung der menschlichen Beteiligten an einer widernatürlichen Unzuchtwird in Leviticus 20.15-16 auch die Tötung der beteiligten Tiere gefordert. Auch in Zürichwurde dies so gehandhabt. Dülmen schreibt dazu: «Bei Bestialität wurde das Tier, mitdem Unzucht getrieben wurde, ebenfalls verbrannt, um alle Schande auszulöschen.»133

Neben der Auslöschung der Schande könnte hinter der Tötung der Tiere auch die Furchtstehen, dass aus der Vereinigung von Mensch und Tier ein Halbwesen entstehen könnte,das Unheil über die Menschen bringt. «Die Wickiana» enthält zwei Berichte über solcheHalbwesen. Einerseits über ein Wesen halb Schwein halb Mensch, das im Dezember 1568in Venedig geboren als Vorbote des Venezianischen Türkenkrieges und der EroberungZyperns gesehen wurde.134 Andererseits ein Bericht «einer selzamer geburt von einemross» aus dem Juli 1569:

Wüss das im land Wirtenberg in einem closer ein ross zwey knäbli gebrachthatt; sind aller dingen gestaltet wie andere kind, onacht das sy uff dem ruggengehaaret sind wie das ross. Darnoch sind ettlich uss dem closter gwichen,die in argwon kommen, als ob sy mitt dem ross sölliche unnatürliche dingzeschaffen ghept.135

In diesem Bericht ist der Verdacht genannt, dass dieses Wesen entstanden, weil einige mitdem Pferd «unnatürliche ding zeschaffen ghept». Die Geburt eines solchen Monstrumskonnte durch die Tötung des geschändeten Tieres verhindert werden.

130Vergleiche herzu die Ausführungen auf S.45.131Ganzer Abschnitt nach: Zürcher: Die Behandlung jugendlicher Delinquenten, S. 159f.132Vgl. ebd., S. 47, 165.133Dülmen: Dorf und Stadt, S. 268.134Vgl. Matthias Senn (Hrsg.): Die Wickiana, S. 182f.135Ebd., S. 152.

28 3 Sexualdelikte, Normen und Sanktionen

Bei der Blutschande lässt Leviticus 20.17 das Urteil offen. Es soll die Schande getilgtwerden. Entscheidend für die Schwere der Strafe war hier die Schwere der Tat, wobeisich das nicht nur auf den tatsächlichen Vollzug des Sexualaktes bezieht wie bei derwidernatürlichen Unzucht, sondern auch auf den Verwandtschaftsgrad. Der Begriff derBlutschande war ein sehr viel weiterer, als der heutige Inzuchtsbegriff. Er bezog sich aufalle sexuellen Kontakte zwischen Verwandten, unabhängig, ob sie blutsverwandt warenoder beispielsweise nur verschwägert.136

Auch wenn zwei blutsverwandten Personen unabhängig von einander mit einer Drittper-son Verkehr hatten, galt dies als Blutschande. So wurden im Februar 1729 die SchwesternAnna und Dorothea Huser verhaftet, weil sie beide von Caspar Fridrich Schrämmerschwanger waren. Verheiratet war keine der beiden mit ihm, auch wenn er es beidenversprochen hatte. Nachdem sie den Nachgängern jedoch in mehreren Verhören versichernkonnten, dass sie jeweils nichts von der Beziehung der Anderen zu Schrämmer gewussthatten, überwies der Rat den Fall ans Ehegericht.137 Das Vergehen war zu wenig schwer,dass es eine Strafe an Leib und Leben oder Haut und Haar nach sich gezogen hätte. Mitdem Tod wurden nur noch die schweren Fälle bestraft: Die Unzucht zwischen direktenBlutsverwandten. Und auch bei diesen Fällen wurden die Hinrichtungen im 18. Jahrhun-dert seltener. Die 1734 als letzte wegen Blutschande hingerichtete Frau hatte neben ihrerSchandtat auch noch das von ihrem Bruder empfangene Kind abgetrieben. Und auch beiVeronica Maag138 hat die Verheimlichung der Schwangerschaft sicher auch ihren Teil zumTodesurteil beigetragen.139

In Bezug auf Jugendliche sind nur sehr wenig Todesurteile bekannt. Meistens wurdenEhrenstrafen verhängt, Knaben wurden oft wehrlos erklärt, das heisst sie durften alsErwachsene keine Waffe tragen, aber auch Geldstrafen konnten angeordnet werden. DieUnterbringung ausserhalb des Elternhauses wie es im Fall Baumann140 angeordnet wird,erwähnt Zürcher nicht.141 Im «Mandat wider Leichtfertigkeiten» ist festgelegt, dassdie Notzucht an Leib und Leben gestraft werden kann. Todesstrafen wurden jedoch nurin schweren Fällen verhängt. Denn Notzucht galt als ehrliches Delikt, da sie mit offenerGewalt verübt wurde. Als schwerer Fall von Notzucht wurde zum Beispiel ein gewaltsamerMissbrauch einer unbescholteten Jungfrau oder von Kindern betrachtet. Wenn die Fraueinen schlechten Ruf hatte, wurde das Verbrechen weniger schwer eingestuft. Analog zurwidernatürlichen Unzucht fiel die Strafe milder aus, wenn die Notzucht nicht vollzogenwerden konnte. Wenn es beim Versuch blieb, weil das Opfer sich stark genug wehrte, odereine Drittperson dazwischen treten konnte.142

136Ganzer Abschnitt nach: Jarzebowski: Inzest, S. 65.137Vergleiche hierzu: Kundschaften und Nachgänge, A 27.140 und Ratsmanuale, B II 784 S. 28f. 33, 37.138Vergleich hierzu die Ausführungen auf S.47.139Ganzer Abschnitt nach: Wettstein: Die Geschichte der Todesstrafe im Kanton Zürich, S. 84f.140Vergleiche hierzu die Ausführungen auf S.46.141Ganzer Abschnitt nach: Zürcher: Die Behandlung jugendlicher Delinquenten, S. 168f.142Ganzer Abschnitt nach: Wettstein: Die Geschichte der Todesstrafe im Kanton Zürich, S. 79f.

3.2 Sexualstraftaten und ihre Bestrafung 29

Jugendliche Notzüchter wurden meistens mit Geld- und Ehrenstrafen gebüsst, wobeiin einzelnen Fällen auch Verbannungen ausgesprochen wurden. Der einzige Notzüchter,der in Zürich zum Tode verurteilt wurde, war der zwölfjährige Conrad Wirtz, der 1636hingerichtet wurde, er soll jedoch neben einem achtjährigen Mädchen auch zwei Kälbermissbraucht haben. Das Todesurteil wurde vermutlich wegen der widernatürlichen Unzuchtausgesprochen und nicht wegen der Notzucht.143

Das geringste Delikt in meinem Sample ist die Unzucht, das heisst der ausser- oderim Fall von Jugendlichen voreheliche Sexualverkehr. Dies wurde üblicherweise mit Rutenbestraft, in schwereren Fällen auch mit Verbannung, Kriegsdienst oder Verdingung.Bei Unzucht zwischen jungen Mädchen und erwachsenen Männern wurde dies wie eineNotzucht behandelt und die Mädchen nicht bestraft.144

143Ganzer Abschnitt nach: Zürcher: Die Behandlung jugendlicher Delinquenten, S. 156f.144Ganzer Abschnitt nach: Wettstein: Die Geschichte der Todesstrafe im Kanton Zürich, S. 79 und Zürcher:

Die Behandlung jugendlicher Delinquenten, S. 153-156.

Ungeachtet dieser Bedenken müssen die Aussagendieser Dokumente unser Interesse erregen, weil sie -wenn auch verhüllt und durch administrativeFormelsprache verfremdet - Menschen dieGelegenheit geben, sich überhaupt - in einemhistorischen konstatierbaren Sinne - zu äussern.145

(Schulze)

4 Quellen

Wer nach Selbstbildern fragt, nach Bildern die andere sich von einem Straftäter gemachthaben, fragt nach Quellen, «die Auskunft über die Selbstsicht eines Menschen geben»146

Natürlich denkt man dabei als erstes an autobiographische Texte. Als «egodocumen-te» bezeichnete Jacob Presser bereits 1958 Texte in welchen «ein ego sich absichtlichoder unabsichtlich enthüllt oder verbirgt.»147 Die heutige Forschung versteht unter Ego-Dokumenten Quellen, «in denen ein Mensch Auskunft über sich selbst gibt, unabhängigdavon, ob dies freiwillig (. . . ) oder durch andere Umstände bedingt geschieht»148. Sozumindest lautet die Definition von Schulze der die Debatte um diese Quellengattungentscheidend mitgeprägt hat. Gemeinsames Kriterium aller als Ego-Dokument definiertenTexte ist für ihn, dass sie:

über die freiwillige oder erzwungene Selbstwahrnehmung eines Menschen inseiner Familie, seiner Gemeinde, seinem Land oder seiner sozialen SchichtAuskunft geben oder menschliches Verhalten rechtfertigen, Ängste offenbaren,Wissensbestände darlegen, Wertvorstellungen beleuchten, Lebenserfahrungenund -Erwartungen widerspiegeln.149

Dieser Definition von Schulze gemäss sind Gerichtsakten ebenso Ego-Dokumente wieklassische Selbstzeugnisse – Tagebücher, Briefe und ähnliches – aber auch Steuererhebun-gen, Kaufmannsbücher oder Testamente können so zu dieser Quellengattung dazu gezähltwerden.

Die Definition ist jedoch nicht unbestritten. Benigna von Krusenstjern beispielswei-se bemängelt, dass dieser Begriff wegen seiner Nichtbegrenzbarkeit für eine systematischeQuellenerfassung ungeeignet sei.150 Die «Erweiterung der Quellenbasis» durch die vieloffenere Definition von Ego-Dokumenten als von Selbstzeugnissen, begrüsst Kaspar von145Schulze: Ego-Dokumente, S. 24146Ebd., S. 14.147Zitiert nach: Ebd., S. 14f.148Ebd., S. 21.149Ebd., S. 28.150Vgl. Krusenstjern: Buchhalter ihres Lebens, S. 145.

30

4.1 Gerichtsakten als Ego-Dokumente 31

Greyerz. Er verweist jedoch darauf, dass diese Erweiterung durch die seiner Ansichtnach «methodisch fragwürdige kategorielle Vermischung freiwilliger und unfreiwilligerAussagen erkauft»151 ist. Da es jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, alleKritikpunkte an der Definition von Schulze zu behandeln, gehe ich in diesem Kapitelauf die Einwände gegen die Gerichtsakten als Ego-Dokumente ein und begründe, warumich sie für meine Arbeit als die richtigen Quellen erachte. Im zweiten Teil des Kapitelsstelle ich mein Quellensample vor – die Auswahlkriterien, die Zusammensetzung und dieeinzelnen Fälle.

4.1 Gerichtsakten als Ego-Dokumente

Gerichtsprotokolle enthalten neben Angaben zur Tat, zur Person, den Gründen undähnlichem meistens auch Aussagen der verhörten Person zur Welt, in der sie lebt, zuihren Erfahrungen, zeigt ihre Überlebensstrategien. In diesen Schriftstücken äussernsich, wenn auch gezwungener massen, diejenigen, deren Stimme sonst selten überliefertsind. Gerichtsakten sind eine sehr vielfältige Quellengattung. Sie enthalten nicht nurVerhörprotokolle mit den Verdächtigen, sondern auch Briefe von verschiedenen Personen,Zeugenaussagen, Anweisungen, Zusammenfassungen und teilweise auch medizinische,juristische oder religiöse Gutachten. Verschiedenartige Dokumente, die es erlauben Einsichtzu nehmen in die Art und Weise der Prozessführung, der Handlungsstrategien im Umgangmit Konflikten aber auch der Lebenswelten verschiedener sozialer Schichten.152

Die Gerichtsakten sind aber nicht nur vielfälltig, sie bringen auch einige Problematikenmit sich, welchen Beachtung geschenkt werden muss. Die Problematiken lassen sichGrundsätzlich in zwei Gruppen einteilen: Einerseits sind dies die Probleme, die durch dieVerhörsituation bedingt sind. Andererseits diejenigen, die durch die Produktion auftretenkönnen. Diese beiden Problembereiche werde ich in diesem Abschnitt näher betrachten.

Verhörprotokolle wirken wie Interviews, besonders wenn sie in einem Frage-Antwort-Stilnotiert sind. Diese Ähnlichkeit ist aber nur eine oberflächliche. Zwischen Verhörenden undVerhörten besteht eine Kluft, wie sie bei Interviews nicht besteht. Die Verhörenden warenTeil der städtischen Oberschicht, Ratsmitglieder. Ihr Bildungs- und Erfahrungshorizontwar ein ganz anderer als derjenige der Verhörten. Diese gehörten oftmals der Unterschichtan. In meinem Sample sind zudem alle aus ländlichen Gemeinden und – bedingt durchdas Thema meiner Untersuchung – alle viel jünger als die Verhörenden. Doch nicht nurdieses Machtgefälle allein macht die Kluft zwischen ihnen aus. Den Verhördenden standendiverse Zwangsmittel zur Verfügung, was eine angstfreie Interaktion unmöglich machte.Alle getätigten Aussagen müssen vor diesem Hintergrund gesehen werden.153 Martin151Greyerz: Deutschschweizerische Selbstzeugnisse (1500-1800) als Quellen der Mentalitätsgeschichte,

S. 150.152Ganzer Abschnitt nach:Schulze: Ego-Dokumente, S. 24, 27 und Schnabel-Schüle: Ego-Dokumente im

frühneuzeitlichen Strafprozess, S.297.153Ganzer Abschnitt nach: Behringer: Gegenreformation als Generationenkonflikt, S. 282.

32 4 Quellen

Scheutz vertritt die Ansicht, dass die Akten nur ein obrigkeitlich geprägtes Bild derVerhörten wiedergeben können, weil alle Angaben «unfreiwillig und in Reaktion auf gezielteFragen des Protokollführers»154 entstanden seien. Diese Fragen oder zumindest ein Teilvon ihnen, waren vorbereitet und folgten dem immer gleichen Muster, was von Scheutzebenfalls bemängelt wird.155 Dadurch entstehen zum Teil stereotype Aussagen. Diesemüssen aber nicht als Problem gesehen werden. Rollenspezifische, stereotype Aussagensind ein Beleg dafür, dass es Rollenbilder gab und dass diese Rollenbilder bekannt waren.Wenn mehrere Bestiarier ihre Tat auf die gleiche Weise zu begründen versuchen, diegleiche Situation als Auslöser angeben, verweist das auch darauf, dass sie ihnen bekanntenHandlungsstrategien folgten. Dass sie versuchten ein Bild von sich zu zeichnen, von demsie annahmen, es könne ihnen das Leben retten.

Diese teilweise erfundenen Selbstbilder um sich zu retten, diese Aussagen aus «gerichtss-trategischen Gründen»156 sind das zweite «methodische Problem», dass Scheutz sieht:«Viele der Verhörten oder auch der Zeugen gaben bewusst unrichtige Angaben zu Protokollund verweigerten damit den obrigkeitlichen Zugriff auf ihr Alltagsleben.»157 Diese seienmit dem strategischen Interesse in die Verhöre gegangen, möglichst wenig über sich undihre Tat auszusagen, möglichst wenig aus ihrer Lebenswelt preis zu geben. Daraus zieht erden Schluss:«‹Wirklichkeit› wird vor Gericht bzw. in Gerichtsakten, anders als der wenigdifferenzierende Begriff ‹Ego›-Dokument zu implizieren scheint, nur sehr schemenhaftund verzerrt abgebildet.»158 Abgesehen davon, dass auch klassische Selbstzeugnisse wieTagebücher, Autobiographien und Briefe die «Wirklichkeit» nur verzerrt wiedergeben,da der Schreibende meist versucht, sich selbst so darzustellen, dass es ihm zum Vorteilgereicht, ist dies nur ein Problem, wenn nach eben dieser Wirklichkeit gefragt wird. Wennes aber, wie in meiner Fragestellung, um die Bilder geht, welche von den Angeklagtengezeichnet wurden, durch sie selbst, oder durch andere, ist es zweitrangig, ob diese einerWirklichkeit entsprechen oder nicht.

Das heisst jedoch nicht, dass die Verhörsituation ausser acht gelassen werden darf. Diesebeeinflusst ihrerseits das Selbstbild der Verhörten. Bereits der Haft- und Verhörort habeneinen Einfluss auf die Aussagen, weil sie ihrerseits Ausdruck des Fremdbildes der Obrigkeitauf den Verhafteten sind, auf welches er, bewusst oder unbewusst, reagiert. Ebensoverhält es sich mit der Folter. Wie Lyndal Roper feststellt, war die «weit verbreiteteÜberzeugung, Schmerz löse die Zunge des Verbrechers (. . . ) ein Grundpfeiler (. . . ) desgesamten Rechtsgebäudes jener Zeit.»159 Dies, obwohl sich die Obrigkeit bewusst war, dassdie Folter Falschaussagen hervorbringen konnte. Dass sich die Obrigkeit dessen bewusstwar, zeigt sich auch im «Regenten-Kräntzlein», das diesem Thema ein ganzes Kapitel

154Scheutz: Frühneuzeitliche Gerichtsakten als ”Ego”-Dokumente, S. 100.155Vgl. ebd., S. 99.156Ebd., S. 104.157Ebd., S. 100.158Ebd., S. 131f.159Roper: Hexenwahn, S. 73.

4.1 Gerichtsakten als Ego-Dokumente 33

widmet. Dabei wird dem guten Ratsherren geraten, die Folter mit Vorsicht anzuwendenund sich Zeit zu lassen beim Urteil, um nicht Schuld auf sich selbst zu laden.160 LautGut stand derselbe Ratschlag auch bereits im «Regenten-Kräntzlein» von 1632. Obwohlsich die Ratsherren der Problematik dieser Verhörpraxis bewusst waren, liessen sie foltern.Die so entstandenen Protokolle berichten, wie Roper festhält, keine historischen Fakten,aber sie «helfen uns zu verstehen»161, weil sie das wiedergeben, was der damalige Zuhörerhören wollte.Gerichtsakten können trotz der Situation in der sie entstanden sind Ego-Dokument

sein, man muss sich jedoch bewusst sein, unter welchen Bedingungen sie entstanden sind,weshalb ich im Abschnitt 3.1 auf die Umstände und die Zwangsmittel näher eingegangenbin. Zudem muss man bedenken, welche Informationen man durch diese Quellengattungerhalten kann und welche nicht.Zu den Problematiken bei der Produktion von Verhörprotokollen schreibtWolfgang

Behringer:

Schliesslich muss man sich auch darüber im klaren sein, dass Verhörsprotokolleallein schon formal und in Bezug auf die verschiedenen Zeitebenen eine hoch-komplexe Quellengattung darstellt. Was der Leser als scheinbar einheitlichesSchriftstück im Archiv vorfindet, beinhaltet mindestens vier Zeitebenen: Dieder Vorformulierung der Fragen, die des Verhörbeginns mit der Niederlegungder äusseren Umstände, die der Verschriftlichung des Gehörten, die einesanschliessenden Kommentars.162

Weiter verweist er darauf, dass möglicher Weise mit einer fünften Zeitebene, der Reinschrift,gerechnet werden müsse. Diese fünfte Ebene kann in Zürich für die Protokolle ausserAcht gelassen werden, da die vielen Streichungen und Einfügungen, die immer wiederanzutreffen sind,163 gegen Reinschriften sprechen.

Auch der vierten Ebene, dem anschliessenden Kommentar bin ich in den Zürcher Akten,zumindest innerhalb der Protokolle im Frage-Antwort-Stil, nicht begegnet. Jedoch bleibendie Ebene der Vorformulierung der Fragen, oder zumindest eines Teiles der Fragen, sowiedie Zeitebenden von Verhörbeginn und Verschriftlichung. Wobei die Verschriftlichungselbst auch ihre Problematiken mit sich bringt.

Wie bereits erwähnt, wurden die Fragen nach vorgefertigten Rastern gestellt. So bildetendie Frage nach Name, Alter, Herkunft, Arbeitsort und Grund der Verhaftung im Normalfallden Anfang des ersten Verhörs. Aber auch im Verlauf des Verhörs wurden zentrale Fragenjedes Mal gestellt, teilweise in jedem Verhör. Dies waren zum Beispiel diejenigen Fragen,die über Todesstrafe oder nicht entschieden, das heisst die Frage nach dem Eindringenund die Frage nach einem erfolgten Samenerguss. Auch die Frage wer ihn oder sie dazu160Vgl. Heidegger: Regenten-Kräntzlein, S.92-98.161Roper: Hexenwahn, S. 72.162Behringer: Gegenreformation als Generationenkonflikt, S. 283.163Vergleiche zum Beispiel Abbildung 4.1.

34 4 Quellen

Abbildung 4.1: Auszug aus der Zeugenbefragung mit Rudi Lüti vom 19. Oktober 1718

4.1 Gerichtsakten als Ego-Dokumente 35

verleitete kam bei jedem Prozess. Die Antworten auf diese Frageraster können ebensostereotyp sein wie die Raster, oder sie können aus dem Rahmen fallen. Und beides,der Versuch einem Rollenbild zu entsprechen, wie auch das Brechen dieser Rolle, sindMöglichkeiten der Selbstdarstellung, welche die Delinquenten hatten.

Die Feststellung von Behringer dass der Schreiber die äusseren Umstände – wie Datum,Anwesende oder besondere Vorfälle – zu Beginn der Vernehmung festhielt,164 lässt sich fürZürich so bestätigen. Die Vernehmungsprotokolle, sowohl von Tatverdächtigen wie auchvon Zeugen, beginnen immer mit dem Datum, den Namen der anwesenden Nachgängerund einer kurzen Einleitung, auf Grund welches Befehls wer in welchem Gefängnisüber welches Delikt befragt werden soll und ob vorgesehen ist, die Folter anzuwenden,eine Gegenüberstellung geplant ist oder andere Besonderheiten. Über die Schreibenden,ihre Ansichten und Lebensumstände, die sie möglicherweise in die Zusammenfassungeneinfliessen liessen, weiss man relativ wenig. So sind wohl die Unterschreiber bekannt, welchejene Kanzlei leiteten, die Kirchen-, Rechts-, Polizei-, und Militärsachen ausfertigten, undeiner von ihnen, Johann Jacob Leu, hinterliess uns auch einen autobiographischen Text,was jedoch nicht mehr Licht ins Dunkel bringt. Denn erstens leiteten die Unterschreiber dieKanzlei und verfassten nicht jedes Verhörprotokoll selbst, weshalb seine Lebensumständezu kennen noch nicht heisst, diejenigen derer zu kennen, welche die Protokolle schrieben.Und zweitens schweigt sich Leu über seine Tätigkeit in diesem Amt aus. Er berichtetlediglich über drei kleinere Dienstreisen.165

Behringer nimmt nicht nur an, dass eine Reinschrift der Verhöre zu einem separatenZeitpunkt vorgenommen wurde, sondern auch, dass die Verschriftlichung des gehörten eineeigene Zeitebene darstellt. Dies trifft meiner Ansicht nach nur bei zusammenfassendenDarstellungen der Befragungen zu und nicht bei den Protokollen im Frage-Antwort-Stil.Mit ihren Streichungen, Einfügungen und Flüchtigkeitsfehlern scheinen diese zumindestdirekt beim Verhör entstanden zu sein. Als Beispiel sei hier auf den Auszug aus derZeugenbefragung mit Rudi Lüti vom 19. Oktober 1718 verwiesen (Abbildung 4.1). Aberdennoch gilt zum Gesagten und dessen Verschriftlichung einige Punkte zu bemerken.

Carried out under the threat of torture, in council territory, the language menand women use in criminal trials is clearly forced discourse. In other contexts,men and women would have spoken differently about sexuality166

Die Feststellung von Roper, dass in einem anderen Kontext nicht in der gleichen Weiseüber Sexualität und vor allem sexuelle Handlungen gesprochen wurde, wie vor Gericht,ist sicherlich korrekt. Jedoch ist kaum festzustellen, wie von Jugendlichen in anderenKontexten – der Familie, den Arbeitskollegen, dem Dorffest – über Sexualität gesprochenwurde. Gudrun Piller, die Selbstzeugnisse auf ihre Aussagen zu Körpern erforscht hat,164Vgl. Behringer: Gegenreformation als Generationenkonflikt, S. 278.165Vgl. Vogt: Johann Jacob Leu, S. 105.166Roper: Oedipus and the Devil, S. 55.

36 4 Quellen

stellt fest, dass «das Schreiben über den Körper sprachlich codiert und an zeitspezifischeDiskurse gebunden ist.»167 Eine Form dieser Codierung zeigt sich zum Beispiel imTagebuch von Johann Rudolf Huber, einem siebzehnjährigen Gymnasiasten aus Basel,das er zwischen 1783 und 1784 verfasste. Das Tagebuch enthält an verschiednen StellenZeichenabfolgen wie: «+ + - - - ! – !» welche, laut Piller als Zeichen für Onanie zu lesensind.168 Wir haben hier nicht andere Worte für sexuelle Handlungen, sondern gar keineWorte.

Noch schwerer die herauszufinden welche Worte ausserhalb des Gerichts benutzt wurden,ist es bei bei Personen, die eine Sexualität ausserhalb der Norm ausgelebt haben. BerndRoeck verweist darauf, dass bei diesen Randgruppen «meist nur die Funken, die aus Streitund Konflikt stieben, ihre Schlaglichter in ein fast undurchdingliches Dunkel»169 werfen.Womit wir als Quellengrundlage wieder bei den Gerichtsakten wären. Da die Suche nachQuellen für das Sprechen von Jugendlichen über Sexualität ausserhalb der Möglichkeitendieser Arbeit liegen, muss es an dieser Stelle bei der Feststellung bleiben, dass dieverwendeten Worte beim Bezeichnen der sexuellen Handlungen nicht Alltagssprachewaren und dementsprechend gelesen werden müssen.

Doch es wurden nicht nur von den Sprechenden andere Worte gewählt, als sie sonstim Alltag benutzen wurden, die in Mundart gesprochenen Aussagen wurden von denSchreibern auch in eine Schriftsprache übersetzt. Wie können wir uns da sicher sein,dass das, was geschrieben steht, auch das ist, was gesagt wurde, was gemeint war? WieBehringer richtiger Weise feststellt, war und ist die Qualität des Protokolls abhängigvom Protokollführer. Wie wir jedoch bereits im Abschnitt 3.1.1 auf Seite 15 gesehen haben,wurden die Protokollanten angewiesen, das gehörte möglichst genau zu verschriftlichen,weil diese Schriftstücke Grundlage für den Gerichtsentscheid waren. Die Protokolle derKundschafter, die Zeugenbefragungen in den Gemeinden durchführten, betreffend hältFrancisca Loetz fest, dass wir, weil diese dem Rat «als schriftliche und rechtsver-bindliche Grundlage für ein Urteil dienten (. . . ) davon ausgehen [können], dass sich dieKundschafter eng an die Aussagen der Befragten hielten, um alles Rechtsrelevante festzu-halten.»170 Diese Feststellung gilt auch für die Verhörprotokolle, da auch sie Grundlagefür die Entscheidung des Rates waren.

Kommt hinzu, dass die Schreiber vereinzelt die wörtliche, mundartliche Rede übernah-men und dies im Text kennzeichneten. Einerseits durch eine Art Klammer, wie wir sie auchin der auf Seite 21 zitierten Anweisung an Hottinger sehen – wobei diese Klammer teilweiseauch wirklich als Klammer mit einer Anmerkung zu verstehen ist – andereseits durchAbkürzungen wie rev., s.v. oder s.h. David Warren Sabean zeigt in seinem Aufsatz«Soziale Distanzierungen», dass die Protokollanten die Gewohnheit hatten «abscheuliche,skurrile, unflätige, blasphemische oder auch nur unfeine Ausdrücke besonders zu kenn-167Piller: Private Körper, S. 60.168Vgl. dies.: Private Körper, S. 190f.169Roeck: Aussenseiter, Randgruppen, Minderheiten, S. 119.170Loetz: Sexualisierte Gewalt, S. 24.

4.1 Gerichtsakten als Ego-Dokumente 37

zeichnen». Dies geschah, um «den zukünfigten Leser schon im vorhinen um Erlaubnisund Entschuldigung [zu]bitten, es in den Text einfügen zu können.»171 Von den von ihmangeführten Abkürzungen sind in den Zürcher Akten vor allem die Folgenden zu finden:

• rev. = reverenter «ehrerbietig, achtungsvoll» – auch synonym zu cum venia «mitihrer Erlaubnis» verwendet

• s.v. = salva Venia «bitte um Entschuldigung» oder sit venia «mit Verlaub»

• s.h. = salvo honore «ohne die Ehre zu verletzen»

Diese Übernahme von wörtlicher Rede zeigt meiner Ansicht nach, dass die Schreiberbemüht waren, das tatsächlich Gesagte wieder zu geben. Aber dennoch begegnen unsin den Akten Stellen, von welchen wir annehmen müssen, dass die Schreiber die Wortegeändert haben – wenn zum Beispiel der sechzehnjährige Rudi Lüti gesagt haben soll:«es habe Herr Pfarrer den Spillmann gleich darüber Examiniert»172 ist es doch eherfraglich, ob ein Ausdruck wie Examiniert tatsächlich von ihm stammt, oder ob der nichtvom Schreiber eingesetzt wurde.173 Auf diese Veränderungen gilt es zu achten, wobeidavon auszugehen ist, dass der Sinn der Aussage durch sie nicht verändert wurde. DieAnnahme von Loetz, dass die Protokolle in der Regel nach den Verhören vorgelesen undvon den Verhörten bestätigt wurden,174 zeigt sich auch in den vielfach vorkommendenStreichungen und Einfügungen, wie wir sie beispielsweise bei den Aussagen des ebenerwähnten Rudi Lüti im Fall Spillmann sehen.175

Eine weitere Auffäligkeit, die vor allem die Briefe und zusammengefassten Aussagenbetrifft, aber auch in Protokollen im Frage-Antwort-Stil vorkommen kann, ist eine sehrformalisierte Sprache. In vielen Schriftstücken kommen die immer gleichen Formulierungenvor, wie zum Beispiel: «Bedte Godt um verzeihung seiner schweren und grossen Sünden,Euch aber meine gnädigen Herren um ein gnädig Urteil und Gnaad.»176

Abbildung 4.2: Gandenformel im Extract der Verhöre von Hans Caspar Vögeli, erstellt am 15.März 1727.

171Sabean: Soziale Distanzierung, S. 216.172Kundschaften und Nachgänge, A 27.132.173Vergleiche zu dieser Problematik auch Schwerhoff: Historische Kriminalitätsforschung, S. 67.174Vgl. Loetz: Mit Gott handeln, S. 104.175Vergleiche Abbildung 4.1176Hier zitiert aus der Akte Vögeli Kundschaften und Nachgänge, A 27.138, siehe auch Abbildung 4.2.

38 4 Quellen

Mit dieser Formel schliessen die meisten Verhöre, insbesondere die Endexamina die zurVorbereitung auf ein Todesurteil durchgeführt wurden. Doch auch diese Formel wird ineinzelnen Fällen durchbrochen und dieses Brechen der Formel ist für mich ein Zeichenfür eine individuelle Aussage. Auf solche Brüche gilt es in der formalisierten Sprache zuachten.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Gerichtsakten eine Vielzahl ver-schiedener Schriftstücke umfassen können, bei welchen wir uns – wie bei jeder Quelle –fragen müssen, von wem es für welchen Zweck und unter welchen Bedingungen angefertigtwurden. Bei Verhörprotokollen muss zusätzlich bedacht werden, dass sie keine Interviewssind, sondern Befragungen, die in einem Akt der Herrschaftsausübung entstanden sind, beiwelchen zwischen den Akteuren ein grosses soziales Gefälle bestand und bei welchen zumTeil Zwangsmassnahmen eingesetzt wurden. Zudem wurden sie bei der Verschriftlichungin eine Schriftsprache übersetzt, teilweise auch zusammengefasst und dadurch verändert.Auch wenn die Schreiber verpflichtet waren, das Gesagte möglichst genau wieder zugeben, wir Anzeichen für diese Bemühungen haben und die Protokolle von den Befragtenabgenommen wurde, dürfen diese Punkte bei der Arbeit mit diesen Quellen nicht ver-gessen werden. Man muss sich bewusst sein, auf welche Fragen diese Quellen Antwortengeben können und auf welche nicht. So wird einem keine dieser Quellen die Wirklichkeitwiedergeben, wir werden bei keinem der Fälle je erfahren, ob die Verurteilten das, wassie in den Verhören zugaben, wirklich getan hatten. Aber wir bekommen unter anderemEinblicke in Lebenswelten, in Ansichten über richtiges und falsches Verhalten und wirkönnen nachvollziehen, welche Strategien die Verurteilten verfolgten, um sich zu retten,sich zu erklären. Diese Quellen können Antworten liefern über die Selbst- und Fremdbilderjugendlicher Sexualstraftäter, darum sind sie als Quellen für meine Untersuchung geeignet.

4.2 Quellensample

4.2.1 Auswahlkriterien und Zusammensetzung des Sample

Ein Teil der Auswahlkriterien für mein Quellensample sind durch meine Fragestellungbedingt. Selbstverständlich kommen nur Fälle zu einer der gewählten Straftaten inFrage, wobei ich versuchte, von jedem Delikt einen Fall ins Sample aufzunehmen. DieFälle müssen innerhalb des festgelegten Zeitraum liegen und die Täter müssen, bzw.mindestens ein Täter muss, unter Vierundzwanzig Jahre alt und unverheiratet sein,um als jugendlich gelten zu können. Da ich, wie mehrfach erwähnt, davon ausgehe,dass die Aussagen in Protokollen im Frage-Antwort-Stil besser das tatsächlich gesagtewiedergeben als Zusammenfassungen, habe ich nur Akten ins Sample aufgenommen, inwelchen mindestens ein Verhör in dieser Art und Weise festgehalten ist. Des weiteren habeich darauf geachtet, dass die Akten nicht nur die Protokolle umfassen, sondern auch nochweitere Schriftstücke, wie Briefe von Vögten und Pfarrpersonen, enthalten, die mir alsQuellen für die Fremdbilder nutzen können. Dies war leider bei einzelnen Delikten nicht

4.2 Quellensample 39

möglich, da bei diesen für den gewählten Zeitraum nur ein Fall in Frage kam. Darum sindauch einzelne Fälle im Sample bei welchen es keine Dokumente ausser den Befragungendurch die Nachgänger gibt.

Durch diese Kriterien konnte ich ein Sample mit vierzehn Fällen bilden. Darin enthaltensind acht Fälle von Bestialität, je zwei Fälle von Sodomiterei und Blutschande und je einFall von Notzucht und Unzucht. Von den zwanzig in diese Fälle involvierten Jugendlichenwaren lediglich drei weiblich und nur einer stammte aus dem Ausland. Die Verurteilten sindzwischen sechs und dreiundzwanzig Jahre alt, wobei knapp die hälfte zwischen sechzehn-und neunzehnjährig ist. Die Angeklagten unter zwölf jahren waren selten die treibendeKraft hinter den Vergehen. Die Fälle sind über den ganzen Untersuchungszeitraum verteilt,wobei sich gut die Hälfte der Fälle in den 1720er Jahren ereignete.

Im Folgenden Abschnitt gebe ich zu jedem Fall eine kurze Zusammenfassung zu denangeklagten Personen, dem Fallverlauf, dem Urteil und den in der Akte enthaltenenSchriftstücke. Bei der Arbeit mit diesen Fällen hat sich die Schreibweise der Namen alsbesondere Schwierigkeit erwiesen. Diese scheint in der Frühen Neuzeit nicht festgelegtgewesen zu sein. Namen können, vom selben Schreiber, am gleichen Tag, teilweise sogar imgleichen Verhör, unterschiedlich geschrieben werden. Ich habe daher bei jedem Fall versucht,die häufigste Schreibweise ausfindig zu machen und mich, in meinen Ausführungen überdie Fälle, an diese zu halten. Bei Quellenzitaten übernehme ich jeweils die Schreibweisewie sie in der Quelle auftaucht.

Die Nachgänger, aber auch Pfarrer und andere Vertreter der Obrigkeit sind oft nur mitNachnamen genannt. So weit möglich, habe ich diese mit den verfügbaren, editierten Listenabgeglichen, die zu den jeweiligen Personengruppen verfügbar sind. Dies sind: «Die ZürcherRatslisten 1225-1798», das «Zürcher Pfarrerbuch 1519-1952» und das «Verzeichnis derzürcherischen Land- und Obervögte 1391-1798» sowie die Liste zu den Untervogtswahlen imKanton Zürich während des 18. Jahrhunderts, die Erwin W. Kunz seiner Dissertation alsAnhang beigefügt hat. Da sich jedoch auch hier die Schreibweisen teilweise unterscheiden(Joh./Johann/Hans; Fries/Friess/Frieß), orientiere ich mich auch hier an der häufigsten.

4.2.2 Die einzelnen Fälle

Die Fälle sind im Folgenden nach Delikten, entsprechend ihrer Häufigkeit und Schwere– in der Reihenfolge wie ich sie auch bisher aufgezählt hatte: Bestialität, Sodomiterei,Blutschande, Notzucht und Unzucht – und anschliessend chronologisch geordnet. Bei denFällen sind jeweils die Fundstellen in den Ratsmanualen sowie die einzelne Archivkisteaus dem untersuchten Quellenbestand genannt, in welcher die Akte zu finden ist. Bei derAnschliessenden Quellenanalyse werde ich, der Lesbarkeit halber, diese Hinweise nicht beijedem Quellenzitat nochmals wiederholen.

40 4 Quellen

Der Fall Hiltebrand

Der etwa achzehnjährige Hans Heinrich Hiltebrand wurde im Sommer 1703 von seinemMeister dabei überrascht, wie er versuchte, mit einer Stute sexuelle Handlungen vor-zunehmen. Er war dabei jedoch nicht entblöst, sondern hatte sich lediglich, mit Hilfevon Melchstuhl und Türschwelle, hinter der Kuh aufgestellt. Der Meister meldete dieVorkommnisse rund acht Wochen später dem Vogt. Hiltebrand wurde nach Zürich gebrachtund dort zwei Mal verhört, ohne geschreckt oder gar gefolter zu werden, bevor der Rat seinUrteil fällte. Beim Urteil argumentierte der Rat, dass er ihn mit mehreren Leibesstrafenhätte belegen können, dies jedoch nicht tue, weil Hiltebrand grosse Reue zeige. Er wurdedaher mit einem sechsjährigen Landesverweis bestraft.177

Die Akte zum Fall umfasst den Brief des Vogtes von Eglisau, Hans Heinrich Hirzel, miteiner Zusammenfassung dessen, was ihm Hiltebrands Meister eröffnete und Hiltebrandselbst ihm gestanden hatte, so wie die zwei Verhöre mit Hiltebrand, das erste im neuenTurm, das zweite im Wellenberg durchgeführt. Zum Fall gehört ausserdem ein Brief vonDiakon Wilhelm Hofmeister, der zwischen 1698 und 1706 Diakon der Leutpriesterteiwar.178

Der Fall Spillmann

Im Oktober 1718 verhandelte der Rat den Fall des siebzehnjährigen Hans Jakob Spillmann.Dieser war von Rudi Lüti dabei überrascht worden, wie er in einer Hohlgasse sexuelleHandlungen mit einer Kuh vollzog. Lüti meldete ihn bei seinem Meister, welcher denPfarrer informierte. Spillmann wurde nach Zürich überführt. Bereits in der ersten Beratungbeschloss der Rat, ihn der Streckfolter zu unterziehen, was jedoch nicht direkt vollzogenwurde. Erst beim dritten Verhör, nach der zweiten Anweisung des Rates, die Folterungvorzunehmen, wurde Spillmann ein Mal ohne Stein aufgezogen. Auch für das vierte Verhörwar die Folter vorgesehen, Spillmann gab jedoch weitere Vergehen zu, ohne dass sie zurAnwendung kam. Am 27. Oktober fällte der neue Rat unter Vorsitz des SeckelmeistersHans Conrad Escher das Todesurteil. Bis dahin hatte sich der Rat fünf Mal mit dem Fallbefasst.179

Die Akte zum Fall Spillmann ist sehr umfangreich. Dennoch ist anzunehmen, dass vonJohann Jacob Zimmermann, dem Pfarrer von Egg, ursprünglich zwei Briefe verfasst wordenwaren. Überliefert ist nur einer, der jedoch einen Hinweis auf den anderen enthält. Diesemzu Folge war der erste Brief das übliche Begleitschreiben bei der Gefangenenüberstellung,mit einer Zusammenfassung des bisher Bekannten. Die Akte umfasst neben dem Brief desPfarrers zu Egg ein Schreiben von Wilhelm Frey, dem Pfarrer von Uster, und zwei Briefevon Johann Jacob Hottinger, dem Diakon der Leutpriesterei 1715-1731. Zudem sind in

177Die Beratungen im Rat zu diesem Fall finden sich in: Ratsmanuale, B II 683 S. 65f., 72, 78.178Die Akten finden sich in: Kundschaften und Nachgänge, A 27.123.179Die Beratungen im Rat zu diesem Fall finden sich in: Ratsmanuale, B II 742 S. 89, 95, 99, 103-105.

4.2 Quellensample 41

der Akte zwei Zeugenaussagen von Ruedi Lüti überliefert und fünf Verhöre mit Spillmann.Eines im Ötenbach, vier im Wellenberg. Das dritte wie erwähnt mit Streckfolter. Dasfünfte Verhör ist das Endexamina. Auffällig in der Akte sind die sehr umfangreichenStreichungen in der Befragungen, insbesondere bei den Zeugenaussagen von Lüti.180

Der Fall Stolz

Hans Stolz wurde Ende Juni 1725 von einem Knecht gesehen, wie er aus dem Stall kam,wo er die Kuh mit einem Bein angebunden stehen liess. Daraufhin wurde er vom Meisterbefragt und weil man aus seiner Antwort «nichts guthes [hätte] schliessen können», wurdeer verwahrt und Hartmann Heidegger, der Vogt von Andelfingen, informiert. Stolz wurdenach Zürich in den neuen Turm gebracht, wo er bereits im ersten Verhör zugab, die Tatzwei Mal vollzogen zu haben. Nach der Verlegung in den Wellenberg gab er das selbe zuProtokoll, worauf der Rat das Endexamina ansetzte, ohne die Folter anzuordnen. Am 7.Juli verurteilte ihn das Malefizgericht, unter Vorsitz des Seckelmeisters Johannes Friess,zum Tod.181

Die Akten zum Fall Stolz umfassen die erwähnten zwei Verhöre und das Endexamina,sowie ein Extract – eine Zusammenfassung der ersten zwei Verhöre. Dieses wurde ver-mutlich dem Rat als Übersicht vorgelegt um zu entscheiden, ob weiter verhört, oder dasEndexamina vorgenommen werden soll. Weiter sind drei Breife in dieser Akte enthalten,einer vom Andelfinger Vogt mit einer Zusammenfassung des bis dahin Bekannten, und zweivon Johann Jacob Hottinger. Vogt Heidegger erwähnt in seinem Brief ein Protokoll derBefragung, die er in der Vogtei vorgenommen hat. Dieses ist jedoch nicht überliefert.182

Der Fall Vögeli

Der siebzehnjährige Hans Caspar Vögeli wurde Ende Februar 1727 vom gleichaltrigenHeinrich Meyer gesehen, wie er sich im Stall hinter einer Kuh auf eine Taufe183 stellte.Meyer lief sogleich zu seiner Mutter, welche nachsehen wollte, Vögeli jedoch nicht mehrim Stall antraf. Sie informierte den Patenonkel ihres Sohnes, Heinrich Schmid, undihren Mann. Heinrich Schmid versuchte, mit Vögeli zu reden, der ihm gegenüber nichtszugeben wollte. Junghans Meyer eröffnete die Sache am nächsten Tag Heinrich Maag,dem Amtsweibel von Niederglatt, welcher dann wohl das Verfahren einleitete. Vögeliwurde nach Zürich überstellt. Im ersten Verhör gab er zu, sich entblöst zu haben, jedochnicht in die Kuh eingedrungen zu sein. Beim zweiten Verhör wurde er vom Scharfrichtergeschreckt und gab zu, dass er in die Kuh eingedrungen sei und einen Samenergussgehabt hätte. Gegenüber dem Hartmann Wäber, dem Geistlichen aus dem Grossmünster,

180Die Akten finden sich in: Kundschaften und Nachgänge, A 27.132.181Die Beratungen im Rat zu diesem Fall finden sich in: Ratsmanuale, B II 770 S. 7, 12, 14.182Die Akten finden sich in: Kundschaften und Nachgänge, A 27.136.183Die Taufe ist ein Trog für (Regen-)Wasser.

42 4 Quellen

der ihn besuchte, gab er zwei Tage später zu, er hätte bereits zuvor mit einer Geiss zuschaffen gehabt. Dieses Geständnis wiederholte er im nächsten Verhör, bei welchem er aufdas Benkli gesetzt und gebunden wurde. Vier Tage später gab er, wiederum gegenüberHartmann Wäber zu, dass er bereits zwei Jahre früher mit einer Stute und einer Kuhsexuelle Handlungen vorgenommen hätte, dabei aber nie einen Samenerguss gehabt habe.Einen Tag nach diesem letzten Geständnis, am 15. März, überwies der Rat den Fall andas Malefizgericht, welches unter dem Vorsitz des Seckelmeisters Hans Jacob Ulrich dieTodesstrafe ausprach.184

Neben den fünf Verhören mit Vögeli, eines im Neuen Turm, die anderen im Wellenbergdurchgeführt, ist in der Akte auch ein Extract mit der Zusammenfassung der ersten dreiVerhöre enthalten, die Aussagen von fünf Personen aus Niederhasli und zwei Befragungenmit Hartmann Wäber. Weiter sind in der Akte fünf Briefe zu finden. Einen von HeinrichVögeli, dem Amtsundervogt von Metmenhasli, und Heinrich Maag, dem Amtsweibelvon Niederglatt, mit der Anzeige und einer Zusammenfassung der bis dahin bekanntenGeschehnisse. Zudem ein Brief des Dorfpfarrer Johann Heinrich Wolff zu Vögelis Verhaltenin der Gemeinde und drei Briefe von Diakon Hottinger.185

Der Fall Merki

Der etwa achzehnjährige Jacob Merki wurde Anfang September 1727 von der DienstmagdRegula Kräb erwischt, als er hinter einer Kuh auf einem Melkstuhl stand und sich andieser zu schaffen machte. Kräb meldete es am nächsten Morgen dem gemeinsamenDienstherren. Als Jacob Merki dies merkte, versuchte er zu fliehen, wurde von seinemDienstherren erwischt und zum Vogt gebracht. In der Vogtei gab Merki lediglich einetentierte Bestialität zu, jedoch bereits beim ersten Verhör im Ötenbach, gestand erdie Tat vier mal innerhalb der letzten drei Wochen vollzogen zu haben. Beim zweitenVerhör – Merki war unterdessen in den Wellenberg verlegt worden – wurde er durch denScharfrichter geschreckt, gestand aber nicht mehr als davor. Am 8. September überwiesder Rat das Geschäft an das Malefizgericht, das unter dem Vorsitz des SeckelmeistersJohannes Friess das Todesurteil aussprach.186

In der Akte zu Merki finden wir die Protokolle von drei Verhören – die beiden erwähntensowie das Endexamina – ein Extract mit der Zusammenfassung der beiden ersten Verhöreund die protokollierte Zeugenaussage von Regula Kräb. Zudem den Brief von LudwigMeyer von Knonau, dem Vogt von Regensperg, mit der Schilderung der Umstände, die zurVerhaftung Merkis führten und einer Zusammenfassung von dessen erster Einvernahme.Auch in der Akte enthalten ist ein Brief von Diakon Hottinger.187

184Die Beratungen im Rat zu diesem Fall finden sich in: Ratsmanuale, B II 776 S. 45, 49, 56f., 59, 61f.185Die Akten finden sich in: Kundschaften und Nachgänge, A 27.138.186Die Beratungen im Rat zu diesem Fall finden sich in: Ratsmanuale, B II 778 S. 51, 53, 55.187Die Akten finden sich in: Kundschaften und Nachgänge, A 27.138.

4.2 Quellensample 43

Der Fall Schmid

Mitte Februar 1730 wurde der gut neunzehnjährig Joseph Schmid von seinem NebenknechtHeinrich Weydmann erwischt, wie er sich am Abend im Stell an einer Stute zu schaffenmachte. Nach dem Nachtessen stellte dieser den Schmid zusammen mit einem weiterenKnecht zur Rede und verprügelte ihn, bis er zugab, «er habe im Sinn gehabt etwas böses mitdem Mudter-Pferdt vorzunemmen.» Weydmann informierte Hans Conrad Ritzmann, ihrenArbeitgeber. Dieser veranlasste die Verhaftung von Schmid und informierte HartmannHeidegger, den Landvogt von Andelfingen. Beim ersten Verhör im Ötenbach, wie bereitszuvor in der Vogtei, gestand Schmid eine tentierte Bestialität. Beim zweiten Verhör, nunim Wellenberg, das mit Benklisetzen und Binden durchgeführt wurde, sagte er das Gleicheaus, worauf der Rat beschloss, ihn eine Woche in einem Häuslin innerhalb des Wellenbergsallein zu lassen und danach wieder zu befragen. Als er auch danach nur eine tentierteBestialität zugabe, verurteilte ihn der Rat zu einer körperlichen Züchtigung – 3 Tagehinter einander 6 Rutenstreiche an der Stud – und verbannte ihn für acht Jahre.188

Die Akte zum Fall Schmid umfasst neben dem Protokoll der Zeugenaussage vonWeydmann und denjenigen der drei Verhöre mit Schmid zwei Briefe. Einen von HartmannHeidegger, mit der Zusammenfassung des bei der Verhaftung bekannten und eines erstenVerhörs mit Schmid, sowie einen von Johann Heinrich Lavater, dem Pfarrer von Glattfelden.Dieser wurde aber nicht auf Forderung des Rates verfasst, sondern auf Bitten des Vaters,der für seinen Sohn um Gnade bittet.189

Der Fall Egg

Der vierzehnjährige Hans Egg wurde Ende Mai 1735 von Jacob Zollinger beim Schützen-haus und von Heinrich Fischer in einer hohlen Gasse gesehen, wie er versuchte, sexuelleHandlungen mit einer Stute vorzunehmen. Beide meldeten es seinem Dienstherren, woraufdieser den Vogt Melchior Wolf in Greiffensee informierte. Egg wurde nach Zürich inden neuen Turm gebracht, wo er zwei Mal verhört wurde. Der Rat beschloss dann seineÜberführung in den Wellenberg, wo er einmal mit Schrecken und Benklisetzen mit Bindenverhört wurde und einmal mit Daumenschrauben. Egg gab bei jedem dieser Verhöre zu,zwei Mal versucht zu haben, sexuelle Handlungen mit dem Pferd zu vollziehen, es seiaber beide Male nicht gelungen. Daraufhin liess ihn der Rat auf den Tod vorbereitenund zwei Endexamina durchführen. Dennoch gab Egg weiterhin nur die Versuche zu undkeine vollzogene Tat. Der Rat entschied darum, ihn ans Halseisen zu stellen, mit Rutenschlagen zu lassen und auf ewig zu verbannen.190

In der Akte zum Fall Egg enthalten sind die vier Verhöre und zwei Finalexamina, diemit ihm in Zürich durchgeführt wurden. Im ebenfalls überlieferten Brief von Melchior188Die Beratungen im Rat zu diesem Fall finden sich in: Ratsmanuale, B II 788 S. 56, 60, 69, 79.189Die Akten finden sich in: Kundschaften und Nachgänge, A 27.141.190Die Beratungen im Rat zu diesem Fall finden sich in: Ratsmanuale, B II 808 S. 167, 170, 175, 184 und

B II 810 S. 8.

44 4 Quellen

Wolf, dem Vogt von Greiffensee, mit der Anzeige, ist von einem weiteren Verhörprotokolldie Rede, das nicht erhalten ist. Überliefert sind jedoch die Aussagen der beiden Zeugen sowie eine seines Meisters. Auch in der Akte zu finden ist ein Brief von den «Kirchendienernzum Grossen Münster», vermutlich von Johannes Müller verfasst, der 1731-1751 Diakonder Leutpriesterei war.191

Der Fall Bär

Ende Juli 1735 wurde der etwa fünfzehnjährige Heinrich Bär von einem anderen Knabengesehen, wie er den Stall von dessen Meister verliess und seine Hände reinigte. Dieseretwa dreizehnjährige Knabe rief daraufhin seinen Meister Jacob Guntert, Bär versuchtezu flüchten, Guntert setzte ihm nach und versuchte herauszufinden, was er im Stall getanhatte. Als Bär nichts dazu sagte, nahm er ihm seinen Sack weg, um ihn zu zwingenmit dem Vater wieder zu kommen. Dies tat Bär aber nicht, darum passte er ihn dasnächste Mal ab, als er am Hof vorbei ging und hielt ihn fest, bis Bär in der Kücheanderen Angestellten von Guntert erzählte, dass er versucht hatte, an einer Kuh sexuelleHandlungen vorzunehmen. Er sei jedoch gestürzt, bevor er etwas hätte verrichten können,und habe sich die Hände schmutzig gemacht. Bär wurde zum Landvogt gebracht unddort ein erstes Mal verhört wo er zugab, bereits vor einem Jahr die gleiche Tat versuchtzu haben, es sei jedoch auch da misslungen. Bär wurde in den Ötenbach gebracht, vomRat aber noch vor der ersten Befragung durch die Nachgänger in den Wellenberg verlegt.Dort wurde er drei Mal verhört, beim zweiten Mal mit Schrecken, beim dritten Mal mitBenklisetzen und Binden. Er blieb bei allen Verhören bei seiner Aussage. In dem vom Ratangeforderten Bericht über den Verhafteten bat der Rifferschweiler Pfarrer Johann JakobHartmann, dass die Zucht von Bär in der Gemeinde vollzogen wird. Der Rat entsprachdieser Bitte. Er verurteilte Bär zu dreimaliger Züchtigung an der Stud, ohne Zuschauer,und anschliessendem dreijährigen Hausarrest, wo er vom Pfarrer fleissig besucht werdensoll.192

Bei der Akte Bär ist nicht nur das Schreiben des Knonauer Landvogt Hans JacobScheuchzer überliefert, sondern auch das in der Landvogtei gehaltene Verhör. Weiterfinden sich in der Akte die drei im Wellenberg gehaltenen Verhöre und die Zeugenaussagevon Jakob Guntert. Weiter überliefert sind der erwähnte Brief des Dorfpfarrers so wie einSchreiben der «Kirchendienern zum Grossen Münster», das ich wie im Fall Egg JohannesMüller zuschreibe.193

191Die Akten finden sich in: Kundschaften und Nachgänge, A 27.144.192Die Beratungen im Rat zu diesem Fall finden sich in: Ratsmanuale, B II 810 S. 38, 40, 46, 49.193Die Akten finden sich in: Kundschaften und Nachgänge, A 27.144.

4.2 Quellensample 45

Der Fall Hess

Regula Hassler erwischte an Pfingsten 1725 ihren sechzehnjährigen Lehrbuben Caspar Hess,wie er ohne Hemd auf ihrem achtjährigen Sohn Heinrich Hoffmeister lag. Sie informierteeinen Stillständer, die Knaben wurden befragt und Hess, nachdem er gestand, die Tat dreiMal mit dem Hoffmeister verübt zu haben, ins Waschhaus des Wirtshauses gesperrt. DerObervogt von Männedorf, Johann Rudolf Lavater, wurde informiert und die Mutter sowiedie zwei Knaben noch in Männedorf von Obervogt und Nachgängern befragt. Hess undHoffmeister sagten beide aus, dass Hess drei Mal versucht hatte von hinten in Hoffmeistereinzudringen, es aber nicht gelang und er auch keinen Samenerguss hatte. Daraufhinwurde Hoffmeister in den Ötenbach und Hess in den Wellenberg gebracht. Dort wurdensie beide noch zwei Mal befagt; Hess wurde beim zweiten Mal durch den Scharfrichtergeschreckt. Da Hess angab, ein Gewisser Caspar Brennwald hätte ihm «Unkeusches»erzählt, wurde auch dieser noch zu einem Verhör geholt. Am 24. Juni beschloss der Rat,dass Hess acht Tage im Ötenbach bleiben muss, während dieser Zeit drei Mal an derStud gezüchtigt wird und vom Pfarrer besucht. Danach soll er für ewig verbannt werden.Hoffmeister soll ein Mal gezüchtigt werden, jedoch nur durch den Schulmeister. Auchwurde eine Unterredung der Eltern mit den Nachgängern angeordnet.194

In der Akte überliefert sind die Protokolle der drei Verhöre aus Männedorf, so wie dieVerhörprotokolle aus Zürich: Je zwei mit Hess und Hoffmeister und eines mit Brennwald.Briefe sind in dieser Akte keine überliefert. Bei diesem Fall ist auffällig, dass bei denNachgängern Ratmitglieder von beiden Ratsrotten dabei sind und nicht nur von deramtierenden, wie sonst üblich. Da das Amtshalbjahr jeweils am 24. Juni und am 24.Dezember wechselte, ist anzunehmen, dass Fälle, die in diese Zeit fallen, von Mitgliedernbeider Rotten behandlet wurden, um den Wissenstransfer zu gewährleisten.195

Der Fall Landis

Anfang Oktober 1729 informiert der Ehegaumer Heinrich Huber196 Johann HeinrichZeller, den Pfarrer von Hirzel, dass er gesehen hat, wie sich der neunzehnjährig PeterLandis und den 42jährigen Heinrich Sudter auf offenem Feld die Hosen anzogen, wasvermuten liesse, dass sich die beiden mit Sodomiterei versündigt hätten. Zeller bestellteLandis zu sich und informierte Hans Jakob Esslinger, den Pfarrer von Kappel, dass erdasselbe mit Sudter tue – dieser wohnte in der Kirchgemeinde Kappel. Auch schrieb eran den Obervogt Hans Leonhard Greuter, um ihn ins Bild zu setzten. Esslinger wiederumschrieb nach der Befragung von Sudter, bei welcher dieser alles leugnete, an den LandvogtJohann Heinrich Friess. Zeller fügte diesem Brief eine Notiz bei, dass Landis ihm die Tat194Die Beratungen im Rat zu diesem Fall finden sich in: Ratsmanuale, B II 729 S. 211, 213, 218.195Die Akten finden sich in: Kundschaften und Nachgänge, A 27.130.196Gaumer ist die substantivierte Form von gaumen, gäumen und meint Wächter oder Aufpasser. Der

Ehegaumer ist Teil des Stillstandes. Näheres zum Amt des Ehegaumers kann nachgelesen werden bei:Kunz: Die Gemeindefreiheit im alten Zürich, S. 67.

46 4 Quellen

gestanden hätte. Sudter wurde, mit den beiden Briefen, zum Landvogt gebracht. WeilLandis jedoch von Zeller zum Obervogt geschickt worden war, schrieb der Landvogt demObervogt und überstellte ihm Sudter, bevor beide nach Zürich gebracht wurden. Dortwurden beide fünf Mal befragt.

Die erste Befragung von Landis fand im Ötenbach statt, danach wurde er in den neuenTurm gebracht. Beim letzten Verhör ist kein Ort angegeben. Da jedoch der Schrafrichteranwesend war und der Rat angeordnet hatte ihn aufs Benkli zu setzten und zu binden,was nicht gemacht wurde, ist anzunehmen, dass das fünfte Verhör im Wellenberg stattfand. Landis gestand vom ersten Verhör an mehrfach von Sudter zu sexuellen Handlungenverführt worden zu sein. Namentlich zu oraler und manueller Befriedigung. Sudter habeauch versucht in ihn einzudringen. Sudter gestand beim ersten Verhör im neuen Turmnichts. Auch beim zweiten Verhör im Wellenberg leugnete er alles, was ihm vorgeworfenwurde, bis man ihn mit Landis konfrontiert. Danach sagte er, dass alles wahr sei, wasLandis sage. Beim dritten Verhör von Sudter wäre vom Rat die Streckfolter angeordnetgewesen. Jedoch war der Scharfrichter nur anwesend beim Verhör, hat aber nicht gefoltert.Dies tat er erst beim vierten Verhör, dafür sowohl mit Benklisetzten als auch mit derStreckfolter. Nach der Streckfolter gestand Sudter einen Samenerguss gehabt zu haben,als er versuchte in Landis einzudringen. Die Folter wurde im fünften Verhör fortgesetzt,wo Sudter diese Aussage wiederholte. Bei beiden ordnete der Rat an, die Endexaminavorzunehmen und sie auf den Tod vorzubereiten. Die Todesstrafe wurde jedoch nur beiSudter ausgesprochen. Landis wurde eine Stunde ans Halseisen gestellt und für zehn Jahreverbannt.197

In den Akten überliefert ist der ganze erwähnte Schriftverkehr zwischen den Pfarrer undVögten, sowie die Protokolle der je fünf Verhöre die mit Sudter und Landis durchgeführtwurden. Zudem sind in der Akte Extracte zu den Aussagen von beiden zu finden undihre Endexamina. Neben dem Brief von Diakon Hottinger sind zudem zwei schriftlicheAnweisungen an den Nachgänger Hans Caspar Hess, jeweils mit dem Auftrag das Endexa-mina vorzunehmen, sowie die schriftliche Anweisung an Hottinger (Vgl. Abbildung 3.1),Landis auf den Tod vorzubereiten, überliefert.198

Der Fall Baumann

Im Mai 1723 bat Johann Heinrich Heidegger, der Vogt der Landvogtei Grüningen, denZürcher Rat um Hilfe. Grüningen hatte selber die Blutgerichtsbarkeit inne, wollte aber imFall der Geschwister Baumann nicht selbst entscheiden. Die Mutter, bzw. Stiefmutter derKinder hatte den Grüninger Pfarrer informiert, dass sich ihr sechzehnjähriger StiefsohnJacobli Baumann an ihrer elfjährigen Tochter Magdalena vergangen hätte. Der Vogtbefragt beide Kinder. Magdalena sagte sofort aus, dass der Bruder vier Mal auf ihr gelgensei. Jacobli gestand dies erst im dritten Verhör, spricht jedoch nur von zwei sexuellen197Die Beratungen im Rat zu diesem Fall finden sich in: Ratsmanuale, B II 786 S. 76f., 79f., 82-84, 86f.198Die Akten finden sich in: Bestialität und Sodomiterei, A 10.

4.2 Quellensample 47

Kontakten, nicht von vier. Wobei das zweite Mal auf Aufforderung Magdalenas geschehensei. Der Rat liess den Knaben nach Zürich in den Ötenbach bingen, das Mädchen sollin der Landvogtei verwahrt und verhört werden. Bevor er sein Urteil fällt, fordert derRat jeweils ein zweites Verhör, überliefert ist jedoch nur das Verhörprotokoll aus demÖtenbach. Ob Magdalena ein weiteres Mal in Grüningen verhört wurde, kann nicht gesagtwerden. Protokolle oder Briefe liegen keine mehr vor. Elf Tage nach dem Hilferuf aus derLandvogtei beschliesst der Rat, dass Jacobli durch den Profossen drei Mal gezüchtigtwerden soll und danach vom Landvogt von Grüningen an einen guten Dienst ausserhalbvon Grüningen verdingt werden soll. Auch Magdalena soll drei Mal gezüchtigt werden undverdingt, sobald sie dazu in der Lage sei. Den Eltern soll das «Erforderliche» nachdrücklichgesagt werden.199

Die Akte zum Fall Baumann ist von geringem Umfang. Sie enthält das Schreibenaus Grüningen, die zwei Verhöre mit Jacobli im Ötenbach und ein Verhörprotokoll ausGrüningen von Magdalena.200

Der Fall Maag

Am 20. März 1731 wandte sich der Bülacher Pfarrer Salomon Fäsi «in höchster eil»an den Bülacher Obervogt Hans Heinrich Landolt. Die ledige, dreiundzwanzigjährigeVeronica Maag hatte ein Kind geboren und den eignen Bruder als Vater genannt. Dieserwar geflohen, als die Wehen einsetzten. Fäsi bat den Landolt um Anweisungen. Veronicasei verwahrt, das Kind noch nicht getauft. Wie wir dem zweiten Brief von Fäsi anden Vogt entnehmen, konnte er dann doch den Befehl nicht abwarten und taufte dasKind. Magdalena wurde nach Zürich gebracht, jedoch in das Spital und nicht in einesder Gefängnisse. Im Spital wird sie ein erstes Mal befragt, wo sie angibt, der Bruder,mit dem sie sich wegen fehlender Betten ein Strohsack teilen müsse, sei «ihro teilhaftworden», aber nur einmal. Die Schwangerschaft habe sie, bis zur Niederkunft, vor allengeheim gehalten. Auch die Eltern wurden nach Zürich beordert und befragt, vorallem dieMutter, welcher von Pfarrer und Zeugen ein sehr schlechter Leumund ausgestellt wurde.Veronica wurde ein zweites Mal im Spital verhört, bevor sie, für ein weiteres Verhör, inden Wellenberg gebracht wurde. Sie blieb die ganze Zeit über bei ihrer Aussage. DieMutter wurde ebenfalls verhaftet, im Ötenbach untergebracht und zwei Mal verhört. Am18. April ordnete der Rat das Endexamina mit Veronica an, am 21. April überwies er denFall ans Malefizgericht, das unter dem Vorsitz von Seckelmeister Hans Rudolf Ulrich dasTodesurteil aussprach. Die Mutter wurde nochmals verhört, bevor der Rat beschloss, sieim Ötenbach zu züchtigen und sie für zwei Jahre unter Hausarrest zu stellen.201

199Die Beratungen im Rat zu diesem Fall finden sich in: Ratsmanuale, B II 760 S. 96, 100, 103f.200Die Akten finden sich in: Kundschaften und Nachgänge, A 27.135.201Die Beratungen im Rat zu diesem Fall finden sich in: Ratsmanuale, B II 792 S. 81, 88, 95, 98, 103,

105f., 112.

48 4 Quellen

Beim Fall Maag sind drei Briefe des Pfarrer Fäsi an den Obervogt überliefert, so wiejeweils ein Brief vom Pfarrer und ein Brief vom Obervogt mit Zeugenaussagen an denRat. Weiter finden sich in der Akte die erwähnten drei Verhöre und das Endexamina mitVeronica, sowie das Verhör beider Eltern und zwei Verhöre mit der Mutter.202

Der Fall Haagen

Der Fall des zwanzigjährigen Johann Adam Haagen war dem Rat nicht von einem Vogt,sondern vom Ehegericht gemeldet worden. Dieses bat am 13. Juni 1724 um Hilfe, weil sienicht weiter wussten mit dem Metzgersknecht, der seinen Kleidern nach zu urteilen mehrwie ein «verdechtiger landtsreicher» aussah und im Ötenbach sass, weil er an einigenFrauen «Frechheiten» verübt hätte. Unter anderem an der achzehnjährigen LisabethBoshardt. Der Rat liess Haagen in den Wellenberg verlegen und sowohl ihn, als auchZeugen, einvernehmen. Haagen gab mehrfach an, dass sein Verhalten den Frauen gegenüberbei ihnen normal sei, er habe nur Kurzweil mit ihnen haben wollen. Erst nach mehrmaligemNachhaken sagt er in Bezug auf Lisabeth dass er «sein willen mit dem menschen thunwollen», wenn er nicht gestört worden wäre. Bereits zwei Tage später beschliesst der RatHaagen am Pranger mit Ruten zu schlagen und danach auf Ewig zu verbannen.203

Neben dem erwähnte Brief des Ehegerichts und dem Verhörprotokoll zur Aussage vonHaagen ist in der Akte lediglich noch die Zeugenaussage von Jacob Schleiffer enthalten,der die Notzucht verhindert hatte.204

Der Fall Franck

Am 8. November 1724 beauftrage der Rat Ester Rüpschin und ihren zwölfjährigen SohnCaspar Franck zu verhören, die zu dieser Zeit schon im Ötenbach sassen. Auf wessenBefehl hin sie dort verwahrt wurden ist leider nicht bekannt. Ester Rüpschin gab in ihremVerhör an, dass sich ihr Sohn, zusammen mit Jacobli Schmid und Wilhelm Kraut, beideetwa zehnjährig, an Wilhelms Schwester, der sechsjährigen Bedtli vergangen hätte. Dazuseien sie von David Lindinner verführt worden. Dies hätte er ihr unter Züchtigungenoffenbart. Anschliessend wurde Caspar Franck verhört, der gestand, dass er, Jacobli undWilhelm ihr «Glid in des Kindes gehalten». David Lindinner hätte ihnen gezeigt wie dasgehe. Zwei Tage nach ihm wurden auch die beiden anderen Knaben verhört, die das selbeaussagten, nur war es bei jeder Aussage ein anderer, der sich als erster auf das Mädchengelegt hatte. Lindinner wurde ebenfalls einvernommen und gab zu, den Jacobli Schmidam Glied berührt zu haben. Am 15. November entschied der Rat, Caspar Franck undDavid Lindinner im Ötenbach vier Mal durch den Schulmeister züchtigen zu lassen, dieanderen zwei Knaben und das Mädchen sollen ebenfalls zwei Mal mit Ruten gezüchtigt

202Die Akten finden sich in: Blutschande, A 11.203Die Beratungen im Rat zu diesem Fall finden sich in: Ratsmanuale, B II 764 S. 139, 142.204Die Akten finden sich in: Kundschaften und Nachgänge, A 27.135a.

4.2 Quellensample 49

werden, den Ort durften jedoch die Obervögte Johannes Friess und Hans Heinrich Meyerbestimmen.205

Die Akte zu diesem Fall von Unzucht umfasst lediglich die erwähnten Verhöre mit derMutter und den vier Knaben.206

205Die Beratungen im Rat zu diesem Fall finden sich in: Ratsmanuale, B II 766 S. 95f., 98.206Die Akten finden sich in: Kundschaften und Nachgänge, A 27.135a.

Aller Weisheit Fundament und Anfang istGottesforcht und Beschirmung der wahrenReligion, daraus dann Fromkeit und gehorsameUnterthanen erfolgt.207

(Hans Conrad Heidegger)

5 Fremdbilder

Ich begründete bereits in der Einleitung, dass Fremdbilder, also die Aussagen von Drittper-sonen über die Delinquenten, auch darum interessant sind, weil abweichendes Verhaltenals solches definiert wird und nicht von sich aus ein solches ist. Die Abweichung entstehtdurch die Zuschreibung anderer, durch ihre Reaktion auf das Verhalten.208 Diese anderen,welche in den Gerichtsakten in Erscheinung treten, können in drei Gruppen eingeteiltwerden, die ich gesondert voneinander betrachten werde: Die Vertreter der Obrigkeit –der Rat, die Vögte und die Nachgänger – die Geistlichen und die Zeugen. Als Zeuge kannvernommen werden, wer etwas zur Tat oder zum Delinqueten aussagen kann, wie zumBeispiel der Arbeitgeber oder auch ein Ehegaumer209.

Die Dorfpfarrer sind bei dieser Aufteilung nur schwer einzuordnen. Wie ich im Abschnitt3.1.3 gezeigt habe, vertreten sie die Obrigkeit in ihrer Gemeinde, vollziehen Bestrafungund stehen dem Stillstand vor, dem eigentlichen Aufsichtsorgan der Gemeinde. Betrachtetman nur diese Funktion, sollte man sie zur Gruppe der Obrigkeit zählen. Gleichzeitiggeben sie dem Rat Auskunft über die Delinquenten, ihr Verhalten, ihren Bildungsstand,ihren familiären Hintergrund. Diese Aufgabe lässt sie ein Teil der Zeugen werden, wobei siediese Funktion nur übernehmen können, weil sie in der Gemeinde Teil der Obrigkeit sind,Hausbesuche machen, Taufbuch führen und ähnliches und darum über die gefordertenInformationen verfügen. Zu guter Letzt sind sie aber auch Pfarrer, Geistliche, wie dieGeistlichen des Grossmünsters, welche die Gefangenen besuchen und zu einem Bekenntnisbringen wollen. Ein Teil der Dorfpfarrer war sicher in ihrer Zeit als Exspektanten in derLeutpriesterei des Grossmünsters beschäftigt und somit Seelsorger der Häftlinge. Ich habemich entschieden, die Dorfpfarrer den Geistlichen und nur den Geistlichen zuzuordnen,weil sie auch die Tätigkeiten, welche sie für diejenigen Rollen ausüben, die eine Zuteilungin eine andere Gruppe erlauben würde, vor dem Hintergrund ihrer Ausbildung und ihresStandes, ausüben und dieser Hintergrund in ihre Stellungnahmen einfliesst.

207Heidegger: Regenten-Kräntzlein, S. 5f.208Vgl. Becker: Aussenseiter, S. 36.209Der Ehegaumer ist das Mitglied der Gemeindeobrigkeit, das über Zucht und Sitte in der Gemeinde

wacht.

50

5.1 Obrigkeiten 51

Für dieses wie auch das folgende Kapitel ist zudem festzuhalten, dass die Fremd- undSelbstbilder, welche ich aufspüren will, nicht alle Folge einer bewussten Handlung sind. Eskann die Absicht dahinter stehen, sich selbst oder jemand anderen in einem bestimmtenLicht darzustellen, eine solche Darstellung kann aber auch Produkt eines unbewusstenProzesses sein. Es geht mir nicht darum zu sagen, was wirklich war und was die richtige,wahre Darstellung der Delinquenten ist oder wer sich hier anders zeigt, als er ist – ichglaube auch nicht, dass dies möglich ist – sondern nur darum festzuhalten, welche Fremd-und Selbstbilder der jugendlichen Sexualstraftäter gezeichnet wurden.

5.1 Obrigkeiten

Die Briefe der Vögte an den Rat, die Erkenntnisse des Rates in den Ratsmanualen desUnterschreibers – die keine Diskussionen der Ratsherren, sondern nur ihre Beschlüssefesthalten – und die Fragen der Nachgänger an die Delinquenten und Zeugen, sie alle sindmeist sachlich und knapp gehalten. Nur an einigen Stellen lässt sich hinter den Wortendas Bild der Vertreter der Obrigkeit auf die jugendlichen Sexualstraftäter vermuten. Jenach dem in welchen Schriftstücken sich diese Stellen befinden, muss man sich jedochfragen, für welchen Adressaten das in diesen Stellen vermittelte Bild bestimmt ist.

5.1.1 Die Nachgänger

Auch bei den Verhörprotokollen im Frage-Antwort-Stil gibt es, vor allem am Anfangder Verhöre und bei der Anwendung der Folter, manchmal kurze Zusammenfassungenund Anmerkungen nicht nur darüber, was ausgesagt wurde, sondern auch darüber, werdies in welcher Art und Weise tat. Im Gegensatz zu Bemerkungen in den Fragen, dieals Konfrontation der Delinquenten mit ihrem Fremdbild verstanden werden könnenund auf die ich anschliessend zu sprechen komme, sind die Anmerkungen in den Zu-sammenfassungen wohl an den Rat und nicht an die zu verhörende Person gerichtet.Die Bemerkungen zur Folterung betrachtend, zeigen sich nicht nur Unterschiede in derBeschreibung der Reaktion auf die Folter, sondern auch, dass bei einigen Delinquenten dieReaktion nicht vermerkt wurde. So ist beispielsweise beim Verhör mit Hans Egg vom 10.Juni 1735, bei welchem er geschreckt und gebunden wurde, keine Reaktion seinerseits aufdie Folterung vermerkt. Beim nächsten Verhör acht Tage später wurde angemerkt, dasser «auch würklich unter heftigem weinen und rufen / könne niemahl mehres nichts sagen/ durch den Scharfrichter hingsetzt und mit dem Däumeleysen ersucht» wurde. Nachdiesem Verhör fällt der Rat sein Urteil. Ein ähnliches Bild zeigt sich im Fall Schmid. Beimzweiten Verhör, dass mit Benklisetzen durchgeführt wurde, ist keine Reaktion auf dieFolter erwähnt. Der Rat ordnete die früher bereits erwähnte Woche im Häuslein innerhalbdes Wellenbergs und ein weiteres Verhör an, bei welchem der Scharfrichter anwesend sein,aber nicht foltern soll. Im Protokolle dieses Verhörs vom 11. März 1730 ist notiert, dass

52 5 Fremdbilder

Schmid «nebst vilem weinen anders nichts gestehen wollen, als was allbereit beschahen» –nach diesem Verhör fällte der Rat sein Urteil.

Ebenso wird vom Rat der Termin des Endurteils bei Vögeli und bei Landis festgesetzt,nachdem die Nachgänger dem Rat Beschreibungen von Gefühlsausdrücken schickten.Vögeli habe beim dritten Verhör «so wol vor als wehrend und auch nach beschechnembenckli sezen und Hand binden folgendes mit vilem weinen und bezeügtem leidwesenverdeütet». Bei Landis ist im Verhör vom 13. Oktober 1729, bei welchem der Scharfrichteranwesend war, bemerkt, dass er «folgende Expression in forcht und schrecken» machte.210

Im Gegensatz dazu wird bei Spillmann, bei welchem bei der Folterung vom 19. Oktober

Abbildung 5.1: Auszug aus dem Verhör mit Peter Landis vom 13. Oktober 1729.

1718 über keine Gefühlsregung berichtet wird, vom Rat drei Tage später eine zweiteStreckfolter mit mehr Gewicht angeordnet. Auch wenn der Fall Bär, bei welchem dasUrteil gefällt wurde, obwohl keine Reaktion auf die Folter notiert ist, hier aus der Reihetanzt, können wir folgendes festhalten: Das Bild des weinenden, schreienden, erschrecktenKnaben, des Knaben der weint, weil er nichts Weiteres mehr beifügen kann, als er bereitszugegeben hat, scheint dem Rat Anlass gewesen zu sein anzunehmen, dass die Wahrheitentdeckt wurde und der Fall abgeschlossen werden kann.

Die Nachgänger hielten sich bei ihren Fragen, wie bereits erwähnt, an eine vorbereiteteListe. In mehreren Fällen wird in der Einleitung zum ersten Verhör erwähnt, dass diesesnach Anleitung des anzeigenden Berichts verfasst ist. So zum Beispiel im Fall Merki, wobeim Verhör vom 1. September 1727 im Ötenbach festgehalten ist:

Auf gutachten und geheiss Ihro Gnaden (. . . ) haben eingangs wolehren ge-dachte Herren Nachgänger, den (. . . ) jungen Knaben von Schöfflistorff, nachanleitung des von dem Junker Landvogt Meyer von Rägensperg abgelassenenbericht-schreibens des näheren examiniert.

Es kann daher angenommen werden, dass ein Teil der Fragen jeweils auf Grund derInformationen, die der Rat bei der Überstellung nach Zürich erhielt, vorbereitet wurde.Ein weiterer Teil der Fragen gehörte zum Standard: Die Fragen nach Name, Alter,Herkunft, Eltern, Dienststellen und ähnlichem. Jedoch kommen auch Abweichungen vondiesen vorbereiteten Fragen vor, etwa wenn die Nachgänger glauben, dass die verhörte

210Vgl. Abbildung 5.1.

5.1 Obrigkeiten 53

Person lügt bzw. dieser das Gefühl geben wollen, dass sie als Lügnerin gesehen wird. Soauch im eben erwähnten Verhör mit Spillmann. Dieser will oder kann nicht sagen, was ihnauf die Idee brachte, sexuelle Handlungen mit einer Kuh vorzunehmen, trotz mehrmaligenNachfragen. Die Nachgänger machen ihm klar, dass sie ihn als Lügner sehen und drohenmit der Folter:

Es scheine er wolle die Wahrheit hinderhalten, er sehe wohl das der Scharf-richter hier, wan er nicht bekenne werde er an die Folter müssen er solle ihmeselbsten vor Pein sein, es könne nicht anderst sein den es habe ihne etwasdazu getrieben oder er habe solches auch schon gesehen.

Spillmann bleibt jedoch bei seiner Aussage. Dennoch wiederholen die Nachgänger dieseArt der Frage, jedoch bleibt es diesmal nicht bei der Androhung der Folter: «Weillen erdie Wahrheit nicht bekennen wolle solle er aber auff das Folterbänkli sitzen, den mankönne ihme seine aussagen nach nicht abnemmen.»

Auch Vögeli werfen die Nachgänger mehrfach vor ein Lügner zu sein. Er versucht sichbeim ersten Verhör am 3. März 1727 damit zu erklären, dass ihm der böse Geist in Gestalteine Mannes erschienen sei und die Bestialität befahl – eine Erklärungsstrategie, auf dieich bei den Selbstbildern noch eingehen werde – worauf ihm die Nachgänger antworteten:

6.Q. Es seye ungläüblich und nur eine erdichtete Sach, das ihmme ein Mannerschinen; solle desswegen mit der Wahrheit umgehen, und nichts mehr auchnicht weniger /: als was an der Sach :/ eröffnen?Rx. Er Vögeli müsse bekennen dass ihme nichts erschinen; auch niemandengehört reden, sondern der böse Geist habe ihmme (. . . ) dergleichen zu thunin Sinn gegeben, habe aber gedacht, die Sach werd ihmme dann besser undglinder ablauffen, wenn er vorgebe der böse sey ihmme erschinnen bedtheallso dises faltschen und erdichtete vorgaben ihmme Vögeli nicht in üblenaufzunemmen7.Q. Er solle denn hinkönfftig Godt die Ehr geben, die Wahrheit bekennen,sein gewüssen entladen und wie alles her und zugegangen eigentlich eröffnen?

Das Bild des Delinquenten als Lügner, das die Nachgänger zeichneten um den Jugendli-chen damit zu konfrontieren, welches Fremdbild sie durch seine Aussagen von ihm habenund ihn dadurch zu weiteren Geständnissen zu bewegen, ist eines der wenigen Bilder dasssich aus den Fragen der Nachgänger hinaus kristallisieren lässt.Ein weiteres finden wir im Fall Haagen. Diesem wird neben der vorgeworfenen Tat

zusätzlich unterstellt ein Landstreicher zu sein. So wird er in der Einleitung zum Verhör alsfrömder Kerl bezeichnet und als er auf die Frage, was er genau mit dem Mädchen gemachthabe, nachdem er es zu Boden warf, antwortete: «Das mensch werd selbst vorhandenseyn, und solches am besten verdeüten können» wurde er zurecht gewiesen: «Er habesich bis dato bey seiner verantwortung frech und unverschammt aufgeführt, solle nun

54 5 Fremdbilder

mehr mit der wahrheit umgehen». Neben dem Vorwurf ein Lügner zu sein, wird hier dasBild eines frechen, unverschämten Fremden gezeichnet, das am Ende des Verhörs in derVermutung mündet:

Man sehe theils aus seiner frechen aufführung und verandtwortung, theils aberaus seinen schlechten kleidern, dass er nicht ein solcher Handwerks Gesell fürden er sich ausgebe sondern etwas anderes.

Dieser Vermutung scheint auch der restliche Rat gefolgt zu sein. Am 14. Juni 1724, nach derÜberweisung vom Ehegericht, wird Haagen in den Ratsmanualen als Strolch211 bezeichnet.Im Beschluss zum Urteil heisst es: «Auf die angehörte Aussagen Hans Adam Hagen vonMayla aus dem Bareitischen eines Lanstreichers (. . . )». Diesen Verdacht äusserten schondie Eherichter, die ihn überstellt hatten: «Er [Haagen] der in zerfätzten kleidern allen anschein nach kein handtwerchs gesell, sondern ein verdechtiger landtstreicher [sei]» Haagenverweist mehrfach auf seinen Lehrbrief und «zwey ehrliche abscheid von meistern» dieer mit sich führe um zu beweisen, dass er ein Handwerksgesell sei. Doch die ZürcherObrigkeit schenkt diesem Bild, das er von sich zeichnet, keinen Glauben und konfrontiertihn mit demjenigen, das sie von ihm haben: Der zerlumpte, freche Landstreicher.

5.1.2 Die Ratsherren

Die Bezeichnung von Franck als Strolch bei der ersten Besprechung seines Falles im Ratsticht hervor. Eine solche kommt in keinem anderen Fall vor. In der Hälfte der Fälle wirdbei der ersten Nennung das vermutete Delikt explizit genannt. So zum Beispiel bei dem«wäg verdachts begangener greülen der Bestialität (. . . ) gefangen ligende Hans HeinrichHiltebrand» oder auch dem «wegen Bestialischen Greülen gefangen gesetzte Hans JagliSpielmann». Ebenso die Tat benannt wird bei Vögeli, bei Bär und bei der «BlutschänderinVeronica Maagin». Bei Hess und Hoffmeister wird das Delikt genannt, jedoch nicht, wieman ewarten würde, als Sodomiterei bezeichnet, sondern als «ohnflättiges Unterfangen».Nicht direkt genannt wird das Delikt bei Landis und Sudter, diese seien «beyde aus dennein den acti enthaltenen ursachen hirhergebracht worden». Nicht genannt wird das Deliktin den übrigen fünf Fällen. Diese werden beispielsweise als der «eingeschikte», der «imWellenberg verhafte» oder auch als der «gefänglich hergesandte» bezeichnet. Ein Muster,wie etwa, dass das Delikt bei denjenigen genannt wird, die länger verhört und gefoltertwurden, oder bei denjenigen die mit dem Tod bestraft wurden, ist nicht zu erkennen.

Relativ einheitlich sind die Anweisungen an die Geistlichen des Grossmünsters gehalten.Meist soll der Gefangene fleissig besucht und «in erkantnuss und bereüung vorghabtergreüel-That verleitet»212 sowie im «Handel des Heils best möglich unterrichte[t]»213

211Strolch wird synonym zu Bezeichnungen wie Landstreicher, Vagant, Nichtsnutz und Schurke verwendet.212Vgl. Ratsmanuale, B II 683 S. 72.213Vgl. ebd., B II 792 S. 88.

5.1 Obrigkeiten 55

werden oder, bei geplantem Todesurteil, «einem seligen Tod zugerüstet»214 bzw. «einemseligen Reüen vorbereitet»215 werden. Eine Ausnahme bildet hier der Fall Spillmann.Hans Jacob Spillmann, bei welchem der Rat bereits in der ersten Behandlung im Rat dieTortur anordnet, soll nicht «verleitet» oder «unterrichtet» werden, er soll: «zu raumungseines gewüssens durch die Herren Geistlichen nachtruksam angemannet werden».216 Esscheint, als hätten ihm die Ratsherren von Beginn weg vermitteln wollen, welches Bild sievon ihm haben, dass er ein Schwerverbrecher sei und als solcher behandelt wird. Dazupasst auch, dass der Rat bei der nächsten Beratung am 22. Oktober 1718 beschliesst, «derin dem Wellenberg verhaffte Jagli Spillmann solle durch die Herren Geistlichen hinkönfftigtäglich 2 mahl besucht, zur bekentnus eingemannet» werden. Dass diese Aufträge nichtnur auf diese Weise im Ratsmanual festgehalten, sondern auch den Geistlichen mit diesenWorten aufgetragen wurden, zeigt der Brief von Johann Jacob Hottinger vom 22. Oktober,in welchem er bestätigt, dass

der in dem Wellenberg verhaffte Hans Joggeli Spilmann von Riedikon, vondem Kirchendieneren zum grossen Münster besucht, ihme seine begangengreüel beweglich217 vorgehalten, und er zu runder bekantnuss derselbigen undentladen seines gewüssens nachtrüklich angemahnet worden.218

Die nachdrückliche Anmahnung zeigte ihre Wirkung. Nach den Besuchen der Geistlichengestand Spillmann den Nachgängern neben der bisher bekannten Tat drei weitere undgab zu, dass er bei allen vier einen Samenerguss gehabt hatte.Auch bei der Urteilsverkündung sticht Spillmann hervor. Seine Tat wird nicht wie

bei Vögeli als «Greüel der Bestalitet» oder noch einfacher wie bei Stolz als «begangeneBestalitet» bezeichnet. Bei Spillmann erkennt der Rat nach der Verlesung des Endexamina«wormit der Abscheülichen That der Bestialite er bekennet, dass er sich mit begehungder Abscheülichen That der Bestialitet schwerlich versündiget». Die Schwere der Tat wirdbei ihm stärker heraus gestrichen als bei allen anderen Verurteilten. Das Bild, welches derRat von ihm hatte, scheint ein schlechteres gewesen zu sein, als dasjenige der anderenSexualstraftäter.214Vgl. ebd., B II 770 S. 12.215Vgl. ebd., B II 778 S. 51.216Vgl. ebd., B II 742 S. 95.217Beweglich ist hier Synonym zu eindringlich, nachdrücklich oder inständig.218Dieses Übernehmen der Worte aus dem Ratsbeschluss in den Brief des Diakons der Leutpriesterei sieht

man auch in anderen Fällen. So zum Beispiel bei Merki. Der Rat beschliesst am 3. September 1727:«Mithin solle derselbe von nun an durch die Herren Geistlichen fleissig besuchet, in dem Handel desHeils unterwisen, zu Bekantnuss der Wahrheit angetriben und zu einem seligen Reüen vorbereitet.» ImBrief von Diakon Hottinger vom 5. September 1727 heisst es: «der (. . . ) Jacob Merki von Schöfflistorfist auf der hohen befehl gestern und heüt von dem Kirchendieneren zum grossen münster besucht, indem handel dess heils underwisen, zur bekentnus der wahrheit angetriben und zu einer seligen Reüenmöglichst vorbereitet worden.» Die Wiederholung ist so augenfällig, dass der Auftrag mit den imRatsmanual festgehaltenen Worten erteilt worden sein muss.

56 5 Fremdbilder

Eine auffällige Bezeichnung der Tat ist auch bei Merkis Urteil zu finden, wo der Raterkennt, er habe «widerhohlet den Greüel der Stummen Sünden begangen». Mit derstummen Sünde ist meist die Sodomiterei gemeint,219 da jedoch auch beim ersten Verhörvon Joseph Schmid in der Einleitung steht: «(. . . ) mit dem wegen tentirter Stummer Sündmit einem Mudter-Pferd (. . . )» ist anzunehmen, dass in Zürich beide widernatürlichenUnzuchtsarten damit bezeichnet wurden.

In Bezug auf meine Fragestellung ist jedoch die Bezeichnung der Tat im Urteil derjenigen,die nicht zum Tode verurteilt wurden, interessanter. Mit ihr wird ihnen nochmals einSpiegel vorgehalten, gezeigt, welches Bild die Zürcher Obrigkeit von ihnen hat. So wirdbei Hiltebrand, dessen Strafe, wie ich auf Seite 40 gezeigt habe, wegen «seines hierüberbezeügenden grossen reüwens» gemildert wurde, das Delikt im Urteil nicht genannt. Esheisst lediglich, dass er «wägen vorgehabten ohnchristlichen Actus» verurteilt werde. Auchist seine Verbannung auf Zeit die einzige, die mit dem Satz abgeschlossen wird: «Ihme dergnadenthür nicht gänzlich verschlossen sein solle.» Das hier gezeichnete Bild ist ein ganzanderes, als dasjenige von Spillmann. Hiltebrand wird vermittelt, dass sein Verbrechen soschlimm nicht war und er mit genügend Reue und gutem Verhalten wieder ein Teil derGesellschaft werden kann.

Die Tat von Hess und Hoffmeister wird, wie bereits in der ersten Beratung der Tatim Rat, im Urteil als «ohnflättig Unternehmungen» bezeichnet. Auch sind neben derkörperlichen Züchtigung und, im Falle von Hesse Verbannung, weitere Belehrungen durchGeistliche vorgesehen. Das vermittelte Bild zeigt sich auch hier: Die Tat ist nicht ganzso schlimm, ihre Seele nicht für immer verloren. Notwendig ist das Bereuen des Fehlers,um wieder auf den rechten Weg zu gelangen. Bei Landis lautet das Urteil ebenfalls nichtauf Sodomiterei, sondern auf «sodomitische Geilheiten» im Gegensatz zu Sudter, derwegen dem «greüel der Sodomiterey» verurteilt wurde. Die Milderung in der Bezeichnungkommt hier jedoch vermutlich dadurch zustande, dass die sexuellen Handlungen nicht vonLandis ausgingen, was, wie ich im Abschnitt 3.2 aufzeigte, weniger hart bestraft wurde.

Wie bei Hoffmeister und Hess ist auch bei den anderen Fällen mit jüngeren Jugendli-chen und Kindern eine abgemilderte Bezeichnung für die Tat zu erkennen. Die versuchteBlutschande der Geschwister Baumann wird als «unzüchtigen Wessen»220 bezeichnet, diesexuellen Handlungen von Franck und seinen Kollegen mit dem Bethli Kraut als «leicht-fertige Unternehmungen». Die Bezeichnungen generieren ein anderes Bild als Blutschandeund Unzucht und geben den Verurteilten dadurch mehr Hoffnung auf Vergebung undResozialisierung.

219Die Bezeichnung stammt aus der Bibelübersetzung von Luther. Dort findet sich im Buch der Weisheiteine Aufzählung von Sünden und anderem Übel: «(14,25) und gehet bei ihnen unter einander herBlut, Mord, Diebstahl, Falsch, Betrug, Untreue, Pocken, Meineid, Unruhe der Frommen, (26) Undank,der jungen Herzen Ärgernis, stumme Sünden, Blutschande, Ehebruch, Unzucht.»

220Wessen wurde auch im Sinne von (anstössigem) Benehmen oder Unfug verwendet.

5.2 Geistliche 57

5.1.3 Die Vögte

Wie erwähnt schickten die Vögte bei der Überstellung eines Gefangenen meist einen Briefund, wenn vorhanden, Verhörprotokolle mit nach Zürich. Auch in diesen Briefen findensich ein paar wenige Anmerkungen zu den Delinquenten. Es wird ein erstes Bild gezeichnet,das für den Rat, als Adressaten des Briefes, gedacht ist. Besonders ausführlich ist dieseAnmerkung im Fall Baumann. Der Landvogt, der selbst über den Fall urteilen durfte,bittet den Rat von Zürich um Hilfe, weil «der Knab annoch impotens und unwüssend, zugleich kleiner {starken}221 statur, und das Meitlin annoch jung und sehr klein» sei. Demeigentlich schweren Verbrechen steht das Erscheinungsbild der Geschwister gegenüber:klein und ungebildet. Der Rat folgt mit seinem Urteil dem Bild des Vogtes, das Verbrechenwird im Urteil, wie vorangehend gezeigt, nicht einmal benannt.

Eine solch ausführliche Beschreibung finden wir sonst in keinem der Fälle. Meistbeschränken sich die Vögte auf die Nennung des Namens, nur selten, zum Beispiel bei Bär,wird das Alter genannt oder der Verhaftete als Knabe oder Bub bezeichnet. Bei Stolzfindet sich die Anmerkung, dass er ein elender Mensch sei, wobei elend hier wohl in derBedeutung von sittlich schlecht oder charakterlos verstanden werden kann. Eine ähnlicheAnmerkung findet sich im Brief zu Merki vom Regensberger Vogt Ludwig Meyer vonKnonau. Dieser bezeichnet Merki erst als Verbrecher und anschliessend als unglücklichenMenschen. Unglücklich war, wie im Schweizerischen Idiotikon nachgelesen werden kann,ein «Epitheton eines Malefikanten vor und besonders nach der Hinrichtung».222 Mit dieserAnmerkung zeigt der Vogt dem Rat bereits bei der Überstellung von Merki, wo er diesenenden sieht.

Die Analyse der Briefe, Beschlussprotokolle und Anmerkungen in Verhören hat gezeigt,dass diese, trotz ihrer knappen und sachlichen Darstellung, Hinweise auf die Bilder derObrigkeit auf die jugendlichen Delinquenten enthalten. Wie ich insbesondere an der sehrunterschiedlichen Darstellung von Hiltebrand und Spillmann gezeigt habe, ist dieses Bildkein einheitliches, sondern unterscheidet sich je nach Fall und Täter stark.

5.2 Geistliche

5.2.1 Die Dorfpfarrer

Wortbildungen mit Unglück findet man nicht nur im Brief von Meyer von Knonau, sondernauch bei Geistlichen. Sehr häufig kommen sie im Brief des Bülacher Pfarrer Salomon Fäsivor, der 1731 insgesamt vier Briefe zum Fall Maag schrieb und in diesen kein gutes Haar anVeronica, ihrer Mutter und ihrem Bruder lässt.223 Veronica nennt er in den Briefen zwei

221Mit {xy} werden Einschübe in den Text erkenntlich gemacht.222Schweizerisches Idiotikon, Band 2, Spalte 624.223Einen Auszug aus einem der Briefe zeigt die Abbildung 5.2.

58 5 Fremdbilder

Mal einen «ohnglückaften224 Menschen» und ein Mal die «ohnglückhafte Tochter». Sieund ihren Bruder bezeichnet er als «ohnglückhafte Kinder» bzw. «Geschöster», wie auchdie «höchst ohnglükhafte Hausshaltung Johannes Maagen». Doch nicht nur ohnglückaftist die Familie Maag-Morschin, sowohl Eltern als auch Kinder bezeichnet Fäsi weiter als«ohnglücksellige»225, die «Zweyen Kinderen» auch als «verunglükete». Veronica bezeichneter zudem als «ellende Schwöster», «ellende Tochter» und «ellende[n] mensch», den Bruderals der «böse Bub» und die Mutter als «leichtfertige». Die ganze Famile als «ellendeLeüthen», die Eltern hätten ein «ohnfriedliches Eheleben» gehabt und die Haushaltung istnicht nur ein ohnglückhafte, sondern auch eine «verböste». Etwas das verböst ist, machtnicht zwingend selbst Böses, sondern kann auch etwas böse oder schlimm machen. Somitnimmt Fäsi in seinem Brief vom 9. April 1731 den Kindern einen Teil der Schuld ab, undbürdet ihn den Eltern auf. Die Kinder seien böse wegen der schlechten Haushaltführungund den Streitgkeiten zwischen den Eltern. Dies sei ihm jedoch von den Nachbaren «erstjetz bey diseren Trauer-Fahl eröfnet worden». Das vernichtende Bild, das er von dieserFamilie zeichnet, rundet Fäsi damit ab, dass wohl bei dem alten Mann und den Jungenein «wüssenschafft in Religions und glaubens sachen» vorhanden wäre, sagt zu diesemWissen jedoch: «Also wol etwas wüssens, aber darbey kein gewüssen!»

Bei der Mutter, so macht Fäsi den Rat glauben, ist keine «wüssenschafft in Religionsund glaubens sachen» vorhanden. Auch schiebt er explizit ihr die den Eltern angelasteteSchuld zu. Fäsi nennt Anna Maria Morschin ein «gewüssen lose[s] Weib» und sagt, dieKinder seinen «durch Mudter Schuld» verunglückt. Sie hätte den Mann schlecht behandeltund die Kinder in einem Bett schlafen lassen. Morschin hätte sich von der Schuld «nurmit der Armudth excuhieren226 wollen». Das vom Dorfpfarrer gezeichnete Familienbildnahmen die Ratsherren auf. Wie ich bereits auf Seite 47 bei der Beschreibung des Fallesgeschrieben habe, wurde die Mutter ebenfalls verhört und auch bestraft – im Gegensatzzum Vater, der nach einem Verhör wieder nach Hause durfte.

Nicht nur Veronica und ihr Bruder wurden vom Dorfpfarrer als elend bezeichnet. AuchJohann Heinrich Lavater schreibt als Pfarrer von Glattfelden am 24. Februar 1730 denJoseph Schmid betreffend: «Godt und eine Gnädige Hohe Landes-Obrigkeit wolle sichdises elenden {Menschen} in Gnaden erbarmen!» Auch Johann Jacob Zimmermann, derPfarrer von Egg, bedient sich am 18. Oktober 1718 bei der Beschreibung von Hans JagliSpillmann dem Wort elend. Er beschreibt diesen als

diser ellende junge knab der sonsten jederman die beste zeugnuss gehäbt,und in seiner jugent ellend und gebrochen227 {ge}wesen, und bey seinemgedenken soll geschanten228 worden sein, mit solcher erschrokenlicher thatübereilt worden.

224Unglückhaft meint sowohl vom Unglück verfolgt als auch Unglück bringen.225Unglücksellig meint Unglücklich, bedauernswert oder verhängnisvoll.226Excuhieren ist gleichbedeutend mit exkludieren und meint ausschliessen.227Gebrochen meint hier Hodenbrüchig.228Geschanten meint vermutlich Geschändet.

5.2 Geistliche 59

An diesen beiden Stellen kann elend nicht mit der im letzten Abschnitt beigezogenenDefinition229 erklärt werden. Elend meint hier eher arm, verlassen, verloren oder hilflos.

Abbildung 5.2: Auszug aus einem Brief von Salomon Fäsi vom 22. März 1731, der seineBenutzung des Wortes elend zeigt. Im Gegensatz zur Bedeutung z.B. bei Johann Heinrich Lavaterim Brief vom 24. Februar 1730 (Siehe dazu Abbildung 5.3).

Das Bild, welches die Dorfpfarrer von diesen beiden Delinquenten zeichnen, ist ein ganzanderes als dasjenige von Pfarrer Fäsi zur Familie Maag-Morschin, auch wenn sie siemit den gleichen Worten beschreiben.230 Sowohl bei Schmid als auch bei Spillmann gibtes weitere Beschreibungen in den Briefen der Dorfpfarrer. Bei Spillmann (von dem ichim Abschnitt 5.1 beschrieben habe, welches Bild der Rat von ihm zeichnet) ist nebendem Brief von Zimmermann auch ein Brief von Wilhelm Frey, dem Pfarrer von Uster,überliefert. Diesen hatte der Rat am 22. Oktober 1718 angefordert, weil die Ratsherrennach der Information, dass Spillmann einen Hodenbruch gehabt hatte, wissen wollten, ober «geschnitten»231 sei, da dies für die Frage nach der vollzogenen oder nur versuchtenBestialitet von zentraler Bedeutung ist. Frey beschreibt in diesem Brief, unter Berufungauf Informationen des Vaters, «dass da er [Spillmann] 3 bis 4 jahr alt gewesen, habe sichbey ihm eim steinbruch232 erzeigt», der Vater brachte ihn zu einem Meister, der ihn «einjahr lang midt allerhand midtlen und einen bruchband tractirt» und «under hunden»gehalten habe. Die Eltern hätten ihn dann einem «Bruchschnider»233 übergeben, «der

229Elend in der Bedeutung von sittlich schlecht oder charakterlos.230Die Abbildungen 5.2 und 5.3 zeigen jeweils einen Auszug der Briefe von Fäsi und Lavater, mit der

Benutzung des Wortes elend im Kontext.231Geschnitten wird bei Tieren für kastriert verwendet und kann hier wohl ebenso verstanden werden.232Steine ist eine Bezeichnung für Hoden, so dass Steinbruch einen Hodenbruch bezeichnet.233Bruchschnider bezeichnet ein Chirurg, der die Erlaubnis hat, Unterleibsbrüche zu operieren.

60 5 Fremdbilder

Ihn glücklich geschnidten (. . . ) und ein stein von ihm genommen». Das durch die beidenDorfpfarrer Zimmermann und Frey vermittelte Bild ist ein anderes, als dasjenige derRatsherren. Spillmann ist hier der Knabe, der krank war, gequält wurde, der operiertwerden musste und sich erinnert, geschändet worden zu sein. Im Brief von Zimmermannwird er zudem als einer benannt, «der sonsten jederman die beste zeugnuss gehäbt». Fürden Rat wog dies jedoch nicht die Schwere der Tat auf und da nur ein Hoden entferntworden war, war der tatsächliche Vollzug der Bestialität noch immer möglich. Deshalbwurde weiter verhört, auch wenn nach dem Brief des Ustermer Pfarrers auf die zweiteangeordnete Streckfolter verzichtet wurde.

Auch im Fall Schmid stammen die zusätzlichen Beschreibungen vom Vater des Beschul-digten. Wie Lavater schreibt, wurde er von seinem Pfarrangehörigen gebeten den Brief anden Rat zu verfassen und um Gnade zu bitten für «sein[en] ohnglückhafte[n] jüngste[n]Sohn Joseph Schmidd». Lavater tut dies

midt nichten aber in der Meinung dem delinquenten zum vorschub an demedie höthige Justiz wird ausgeübt werden, sondern dem alten betrübten Vadterzum trost, der disen verohnglünthaften sohn fleissig allhier und anderswo zurKirchen und schuhlen geschickt und vertischgeltet234 hat.

Dort hätte Schmid wohl den Schulstoff gelernt, er hätte jedoch

wj ich aufrichtig bekennen muss allezeit eine mehrere frischheit und froh-müthigkeit erzeigt, als ich gehrn gesehen, und seinem Vadter und mir liebgewesen235

Abbildung 5.3: Auszug aus dem Brief von Johann Heinrich Lavater vom 24. Februar 1730

234Vertischgelten heisst jemanden in Kost geben.235Den entsprechenden Auszug zu den Ziteten aus dem Brief von Pfarrer Lavater zeigt die Abbildung 5.3.

5.2 Geistliche 61

Trotz der Bitte um Erbarmen, trotz des Bildes des lernbegierigen, wenn auch etwaszu aufgestellten Knaben, trotz des sehr guten Zeugnisses, welches Lavater der Familieausstellte, hatte der Rat zwei weitere Verhöre, eines davon mit Benklisetzen und Binden,angeordnet. Auch in diesem Fall scheint der Brief des Dorfpfarrers wenig Einfluss auf dieRatsbeschlüsse gehabt zu haben.

Wie mehrfach erwähnt, schickten die Dorfgeistlichen die Mehrheit der Briefe nicht, weilsie von Familienangehörigen darum gebeten wurden, sondern um einem Befehl des Ratesnachzukommen. Wie zum Beispiel Hans Heinrich Wolff, der am 6. März 1727 an den Ratschrieb:

demnach von Euch (. . . ) an mich ein schriftlichen Befehl vom Frütig datoergang und durch eine expresse überbracht auch desswegen des (. . . ) verhaffte-ten Hans Caspar Vögelis, alter so wol als bisherig verhalten einen schriftlichenund gründlichen bericht, durch gedachte expressen einhänden soll

Im Folgenden bestätigt Wolff, dass Vögeli ehelich gezeugt und geboren wurde und gibtdas Taufdatum an. Anschliessend beschreibt er Vögelis Verhalten in der Gemeinde,wobei er ihm kein gutes Zeugnis ausstellt. Schon früh hätte sich «eine böse wurtzen desungehorsams, und muthwillens an ihm» gezeigt. Wenn er ihm «seine Jugendtthorheitenund bosheiten» vorgehalten habe, habe Vögeli «mich zwar angehört besserung versprochenaber nit ghalten».

Ebenfalls einen Bericht einreichen musste Johann Jakob Hartmann am 18. August 1735,um über Heinrich Bär zu berichten. Hartmann meldet, Bär sei «von Christlichen Ehrlichenund Hauslichen Eltern» ehelich gezeugt und geboren und auch das Taufdatum gibt er an.Zudem sei er «fleissig zur Schul, beten, arbeiten, uffsagen in der Cathechisationen vonseinen Eltern gehalten worden». Im Unterschied zu Vögeli erhält Bär ein gutes Leumunds-zeugnis. Der Pfarrer gibt an, «von dem auch niemahl nichts bösses oder verdächtiges (alsowas insgemein von einem frischen jungen bueben geredet wird) vernohmen» zu haben.

Eine Gemeinsamkeit, neben der Erfüllung des obrigkeitlichen Befehls, haben die beidenBriefe dennoch. In beiden wird die Schuld an der Tat dem Teufel zugesprochen. Hartmannstellt diese Thematik an den Anfang seines Schreibens:

Dass der aller Orten un der welt herumlauffende höllische böse feind, denenmenschen auch den under dem Volk Gotes gebohrnen und ufferzognen Sohnuffsätzige Seye, die in Schwehre Sünden zuverfällen und in seine mordklau-wen zuerhaschen, zeigt sich leider auch an dem uss hiesiger gemeind OberRifferschweil in hochoberkeitlichen verhafft von hohem Herren Landvogt zuKnonau, eingeschikten armen Knaben, heinrich Bär236

Nach dem Bericht über Herkunft, Taufe und Verhalten ergänzt Hartmann: «sein unglüknicht vom müssigang, oder vorher an ihme verpührter veruchtheit, sondern von verborgnen236Siehe auch Abbildung 5.4

62 5 Fremdbilder

Abbildung 5.4: Einleitung des Briefes von Pfarrer Johann Jakob Hartmann zu Heinrich Bärvom 18. August 1735.

versuchungen des Satans an sein noch unwüssend jugend herrührende erachtet». Hartmannbittet um Gnade für Bär, die «bus und lebens verbesserung ihme auch wol gonnen mochte»und ersucht darum, dass er die Zucht in der Gemeinde verlesen darf, denn «bei derenunderlassung und ohngescheüten daherfahren, vil schande Ärgernusse by jungen Leüthenund kindern aufstehen thun». Bär soll ihm wohl in der Gemeide als Beispiel dienen, dassauch ein guter Junge von Satan verführt werden kann, durch die Kirche aber auch wiedererrettet wird. Abschreckung und Vorbild in einem. Wie bereits erwähnt, kam der Ratdieser Bitte nach. Bär wurde mit Hausarrest bestraft.

Wolff kommt erst gegen Ende seines Briefes zu Vögeli auf Satan zu sprechen. Ervermutet, dass es dieser war, der dem «elenden jüngling»

ohr und hertz von der wahrheit abgewendet, und seinen eigenen bösen be-gierden gefolget, in mehr und mehr in lügen und irrweg zuverwilen, aus einersunden in die andere zustürzen bis er ihne endtens zu abscheülichen dingenverleitet

Anders als bei Hartmann führt bei Wolff die Vermutung, dass Vögeli vom Teufel verführtwurde, jedoch nicht zu einer Bitte um Gnade. Wolff wünscht, «ihm einen mit der grösseseiner sünden proportionnierten schmertzen». Für Vögelis Seele hofft er auf Rettungdurch Gottes Gnade und dass Jesus sie «aus des Satans stricken loos machen» könne,aber «den sündhaften leib dieseres miserablen Jünglings überlaste billig der gerechtenZüchtigung meiner Hochgeehren Herren nach befindtniss der Schuld». Nur die Seele mussfür ihn von Satan befreit werden, wofür die himmlischen Mächte zuständig sind, diekörperliche Existenz von Vögeli auf Erden muss, nach Wolffs Ansicht, gezüchtigt werden.Das durch den Dorfpfarrer gezeichnete Bild von Vögeli ist eindeutig: Vögeli ist verdorbenund verkommen, verspricht Besserung und bessert sich nicht. Errettet werden kann nurnoch die Seele.

5.2 Geistliche 63

5.2.2 Die Geistlichen des Grossmünsters

Einen Tag nach Wolff verfasst auch Diakon Hottinger einen Brief an den Rat. Vögelihätte «den greüel Sünden mit vilen Trähnen beweinet». Die Briefe lagen wahrscheinlichbeide an der Ratssitzung vom 10. März vor, als der Rat beschloss, dass Vögeli unterBenklisetzen und Binden nochmals befragt wird. Nicht das Bild Hottingers, das desreumütigen, weinenden Knaben, hatte sich durchgesetzt, sondern das Bild, welches Wolffgezeichnet hatte. Auch nach dem Verhör unter der Folter besuchen die Geistlichen Vögeliwieder, Hottinger schreibt am 11. März einen zweiten Brief. Sie hätten ihm «den greüelseiner Sünden zu gemüth geführet, welchen er auch erkennet, und mit vilen Trähnenbeweinet» und versichert, «dass ihme nunmehr in senem Hertzen besser seye, nach demEr selbiges völlig geraumet und seye ihme nicht das geringste mehr in wüssen». Zudemreue ihn, dass «er sein junges leben so früh endigen müsse». Hottinger zeichnet wiederdas Bild des reumütigen, weinenden Knaben, der zugab, was er zugeben kann und weiss,welche Strafe ihn nun erwartet. Dieses Bild zeichneten, wie auf Seite 52 gezeigt, auch dieNachgänger im Protokoll des Verhörs unter der Folter.

Der Rat folgte offenbar diesem Bild und ordnete das Endexamina an. Doch Hottingermusste das von ihm gezeichnete Bild revidieren, noch bevor das abschliessende Verhördurchgeführt werden konnte. «Gleich er denn auch mit Worten und vilen Trähnen solcherdermassen bezeüget, dass man allerseits die Hoffnung gehabt er habe sein hertz völliglichgeraumt», habe er nun doch noch mehr Greueltaten bekannt und auf die Frage, warumer dies nicht schon unter der Folter gestanden habe, geantwortet, «dass er noch allezeitvermeint sein leben zueredten, wann er biss dahin verschwigenes fehrner hinderhalte».Die Tränen Vögelis waren kein Beweis dafür, dass er alles gesagt hatte, zumindest hater danach noch mehr gestanden. Aber auch wenn in diesem Fall nach dem Weinen nochmehr Taten zugegeben wurden, kann man den Worten Hottingers doch entnehmen, dasssie wegen der vielen Tränen annahmen, er habe alles bekannt. Dieses Schema, das ichbereits bei den Folterungen festgestellt hatte, zeigt sich auch im Fall Hiltebrand. WilhelmHofmeister, Diakon in der Leutpriesterei 1698-1706, schreibt in seinem Brief vom 29.August 1703 an den Rat, dass «der arme iunge mensch (. . . ) mit vielem weinen undreühen die Wort gebrummet (. . . ) er kenn die lag seines leben». Bei der nächsten Beratungdes Falles fällte der Rat das bekannte, sehr milde Urteil.

Doch nicht nur wenn der Delinquent weinte, auch sonst berichteten die Geistlichen desGrossmünsters darüber, ob ihre Belehrungen und Unterweisung angenommen wurden.Schliesslich war es zentral, dass die Seele der Delinquenten gerettet werden konnte.Bei Spillmann berichtet Hottinger im zweiten zu diesem Fall verfassten Brief, dass derverhaftete

alles willig, und mit begird angenommen, so dass er verhoffendlich mit gedult,die heilige verhängnuss Godtes, und Eüer unser Gnädig Herren gnädige Urtheilüber Ihn, darum Er denmuthig bidtet, erwarten wird, bezeüget auch, dassihm, sint dem Er sein gewüssen entladen, gantz wol seye.

64 5 Fremdbilder

Die Vorbereitung auf den Tod, zu «einem selligen reüwen und end», wie es der Ratangeordnet hatte, war damit abgeschlossen, die Hinrichtung wurde noch am gleichen Tagbeschlossen und vollstreckt.

Ebenfalls am Tag des Urteils schreibt der jeweilige Diakon der Leutpriesterei die Briefein den Fällen Egg und Landis. Bei beiden hatte der Rat die Vorbereitung auf den Todangeordnet und nachher ein milderes Urteil gesprochen. Im Brief zu Landis schreibtHottinger dazu, er sei «allen fahls zu einem seligen End vorbereitet worden». Ein solches«allen fahls» findet sich sonst in keinem von Hottingers Briefen vor Todesurteilen, erwusste, dass die Tat von Landis nicht für ein Todesurteil reicht und das Ansetzen vonEndexamina und Vorbereitung auf den Tod nur ein Mittel war, um mögliche letzteGeheimnisse offen zu legen.Im Brief zu Egg schreibt der «Kirchendiener zum grossen Münster», von dem ich

annehme, dass es der Diakon Johannes Müller ist, nichts über die Vorbereitung auf denTod. Er schreibt, Egg erkenne «ins besonders die grösse und schwehre seiner Sünden»und zeige sich ihretwegen «demüthig und zerschlagen». Er sei willig

sich dem von seinen hohen gnädigen Richten über ihn zuergehendem urtheilin standhafter buss und gehorsam zuunterwerffen, nur saufzet und bidtet erdenmuthigst um ein gnädiges wozu er auch Eure gnädigen herren in aller unterthänigkeit wird empfohlen

Müller empfiehlt Gnade walten zu lassen beim Urteil über Egg, da er dieser wisse, welcheschwerwiegende Tat er hatte vollziehen wollen und dies bereue. Interessant an diesemBrief ist, dass Müller schreibt, Egg habe nach den Belehrungen «von den hauptwahrheitendes sehligmachenden glaubens einen ziemlich guten begriff (. . . ) so viel es nemlich seinesstands und alters fähigkeit zugiebt». Er verweist darauf, dass ein Knabe von 14 Jahrennoch nicht dieselben Begriffe und das gleiche Verständnis von Glauben haben kann wieein Erwachsener.Auf diesen Umstand hatte er bereits in seinem ersten Brief zu Egg hingewiesen. In

diesem hatte er festgehalten, dass Egg «in den Anfängen der christlichen religion so garunwissend nicht» sei, er jedoch in der «erkäntnis seines fehlens (. . . ) von dem gefühlder grösse desselbigen so viel nicht wisse». Er lasse «sich aber dennoch nach und nachin desselbigen einleiten und zeiget sich nach der sehligkeit seines alters und verstandsdarüber auch zimlich reüend». Müller beschreibt Egg als einen Jugendlichen, der bereitsin den Anfängen der Religion unterwiesen wurde und fähig ist, sich in das Wissen darübereinführen zu lassen, was er falsch gemacht hat. Er kann belehrt und somit gebessertwerden, jedoch nur im Rahmen der durch sein junges Alter bedingten Fähigkeiten.

Auch Hottinger beschreibt in einigen Briefen das bereits vorhandene Wissen bzw. dieFähigkeit, sich in neue Erkenntnisse einführen zu lassen. So schreibt er, bei Stolz «befindetsich (. . . ) eine feine wüssenschafft und gibet er auch das so mit ihme geredete wirdgute achtung». Er zeigt Stolz nicht nur als intelligenten, sondern auch wissbegierigenJungen, der bereuen und auf sein Ende vorbereitet werden will. Denn Stolz sei, auf

5.3 Zeugen 65

Befehl des Rates, «von den Kirchendienern zu dem grossen Münster täglich, und zwahrseit vergangenen Montag auf sein begehren des tags zwei mahl besucht» worden. Nocham gleichen Tag wie Hottinger seinen Brief schrieb, setzte der Rat den Termin für dasEndurteil fest.

Zu Spillmann, zu welchem wir von den Dorfpfarrern das Bild einer unschönen Kindheitvermittelt bekommen haben, schreibt Hottinger: «Übrigens ist er ein armer, unwüssenderund einfaltiger Mensch, welcher die underichtungen sehr gemach237 fasset». Er maltedem Rat das Bild des schlichten, ungebildeten Jugen, der etwas schwer von Begriff ist.Ebenfalls im Brief vom 22. Oktober schreibt Hottinger, dass Spillmann «denn anfänglichsich damit in etwas zu entschuldigen vermeint, dass er nichts gewüsst, dass dises eineso schwehre Sünd seye». Er beschreibt einen naiven Versuch Spillmanns, seinen Kopfzu retten und rundet damit das Bild, das er von ihm zeichnet ab. Dieses Bild, wie dieBemerkung in Hottingers Brief, Spillmann bezeuge sein Gewissen und Herz geräumt zuhaben, beeindruckte die Ratsherren nicht. An diesem Tag ordneten sie die Streckfolter mitmehr Gewicht an, auf welche dann doch verzichtet wurde, wie ich vorangehend beschriebenhabe.

Einen Versuch, den eigenen Kopf zu retten, beschreibt Hottinger auch im Brief vom 5.September 1727 zum Fall Merki. Dieser sei «in etwas bestürzt(. . . ) und zimlich erschroken»,was jedoch, wie der Diakon in einer Klammer anmerkt, «bey dergleichen umständenzugeschehen pflegt». Trotz dieses Zustandes gebe er «vernügliche238 antworten», wobei er«die Schuld seiner greulen auf den Teuffel [wirft,] der Ihne verführet.» Wie wir bereitsauf Seite 53 im Ausschnitt aus dem ersten Verhör mit Vögeli gesehen haben, ist dieseVerteidigungsstrategie mehrfach vorgekommen. Ich werde im Kapitel 6, in welchem ichmich mit den Selbstbildern befasse, näher auf diese Strategie eingehen, komme nun jedochzuerst noch auf die Bilder zu sprechen, die in den Zeugenaussagen vermittelt werden.

5.3 Zeugen

Als Zeugen konnten sehr verschiedene Personen, aus unterschiedlichen Gründen, einver-nommen werden. Befragungen von Augenzeugen erfolgten, um mehr über die Tat undden Tathergang aufzudecken, zum Beispiel ob der Delinquent die Hosen runter gelassenhatte, ob der Zeuge das Glied gesehen hatte und ähnliches. Familienangehörige oderAmtspersonen der Gemeinde wurden befragt um mehr über das allgemeine Verhalten derAngeklagten zu erfahren.

237Gemach versteht sich in diesem Zusammenhang als gemächlich, langsam und nicht als zahm, zutraulich.238Vernüglich meint zufrieden, vergnügt.

66 5 Fremdbilder

5.3.1 Die Augenzeugen

Wie bereits bei den Fremdbildern der Obrigkeit sticht auch hier der Fall Haagen heraus.Als Zeuge wird am 15. Juni 1724 Jacob Schleiffer befragt, der Augenzeuge, der die Tatunterbrochen und Haagen von dem Mädchen weggezerrt hat. Die Aussage ist nicht imFrage-Antwort-Stil überliefert, sondern als Zusammenfassung. Laut dieser beschreibtSchleiffer, wie er im Wald durch Schreie von der Schwester der Überfallenen auf die Tataufmerksam wurde und sah, dass da «ein unbekanter frömder kerli vorhanden». Er hätteihn vom Mädchen weggezerrt, verprügelt und angesprochen:

du Lump, du Schelm, was machst du mit dem Menschen? (. . . ) der Kerlin aberhabe zur Antwort geben, ach mein lieber Landsmann lass mich gehen, es istja nichts böses, schleiffer hingegen geandtwortet, du Schelm, du bernheüter239

ich bin nit dein Landsmann und du nicht der meinig, und harauf selbigemeins ins Maul geschlagen.

Wie schon bei dem Fremdbild der Obrigkeit spielt auch bei dieser Zeugenaussage dasAlter von Haagen keine Rolle. Im Zentrum des Bildes steht, dass Haagen ein Fremder ist,kein Landsmann.Ebenfalls in flagranti erwischt wurde Hans Jagli Spillmann. Rudi Lüti, selber erst

sechzehnjährig, sah ihn, wie er hinter einer Kuh stehend «sein gemäch widerum in dieHossen stossen». In beiden Zeugenaussagen gibt er an, er hätte ihn zur Rede gestellt, aberSpillmann habe drei mal geleugnet, die Tat begangen zu haben. Erst als er ihm gesagthabe, dass er es gesehen hätte und «das solches eine himmelschreyende Sünd seye», habeer gestanden. Als Lüti fragte, wer er sei, hätte er ihm einen falschen Namen genannt undals er ihn doch bei seinem Meister aufspühren konnte, hätte er versucht sein Schweigenmit einem Schilling zu erkaufen.240 Weiter schildert Lüti, wie er Spillmanns Arbeitgeber,während dieser in der Kirche war, informierte und Spillmann nach der Predigt abgefangenund vor versammeltem «Haussvolcks wie auch Schulmeister Bachoffners» durch denPfarrer befragt wurde. Dabei hätte er wiederum die Tat geleugnet und erst gestanden, alser mit ihm, Lüti, konfrontiert worden sei. Lüti zeichnet hier das Bild eines Lügners, der erstZugeständnisse macht, wenn er merkt, dass er der Lüge überführt ist. Der aber auch dannnoch versucht, mit Lügen und Bestechung, seinen Kopf zu retten. Diese Beschreibungkönnte ein Grund sein, weshalb die Ratsherren bei Spillmann sehr schnell die Folteranordneten und von ihm ein sehr negatives Bild hatten.Auch von einem etwa Gleichaltrigen erwischt wurde Vögeli. Er wurde vom siebzehn-

jährigen Heinrich Meyer gesehen, wie er im Stall «von hinden zu an das Rind wie es dieHünd machind gestossen». Dabei habe Vögeli «zum Maul aus recht geschaumet»241. Mehr239Die Bezeichnung Berneuter kommt in Verbindung mit Ausdrücken wie Memme oder forchtsamer Hase

vor und hat wohl eine ähnliche Bedeutung.240Im Herbst 1718 kostete ein Brot 3 Schilling und 4 Haller (Vgl. Sarah Biäsch (Hrsg.): Die Beder-Chronik,

S. 138). Das Bestechungsgeld war somit nicht sehr hoch.241Vergleiche hierzu den Auszug aus der Befragung in Abbildung 5.5.

5.3 Zeugen 67

Abbildung 5.5: Auszug aus der Zeugenbefragung mit Heinrich Meyer vom 3. März 1727.

als dieses Bild des sich wie ein geiferndes Tier aufführenden Bestiarier ist an Angabenzu Vögelis Person dieser Zeugenaussage vom 3. März 1727 nicht zu entnehmen. Jedochzeigen die beiden Aussagen von Meyer und Lüti, dass Jugendliche durchaus über dasVerbot von Sexualverkehr mit Tieren informiert waren bzw. sein konnten.

Etwas älter als Meyer und Lüti war der als gegen dreissigjährig bezeichnete HeinrichWeydmann, der Mit-Knecht von Joseph Schmid, der nachsehen wollte, was dieser so langeim Stall machte, statt zum Abendessen zu kommen. Das Alter ist nur bei ihm und denbeiden erwähnten Knechten angegeben. Bei den anderen Tatzeugen gibt es dazu keineAngaben. Anzunehmen, dass nur bei den jüngeren Zeugen das Alter genannt wurde, umzu zeigen, dass sich diese trotz ihres Alters der Schwere der gesehenen Tat bewusst waren,und bei den älteren Zeugen nicht, wäre auf Grund von drei Fällen rein spekulativ. DieseThese müsste man durch den Zuzug von weiteren Quellen überprüfen.

Sowohl aus der Zeugenaussage von Weydmann zu Schmid, als auch aus derjenigen vonRegula Kräb, die Jacob Merki bei der Tat erwischte, ist wenig über die Delinquenten zuerfahren. Kräb gibt an, Merki beschimpft zu haben, als sie ihn hinter de Kuh auf einemStuhl stehend vorfand. Er hätte kein Wort gesagt und sei zuerst nur still da gestanden,bevor er weggerannt sei. Einzig der Nebensatz, dass er danach «mit allen wie zuvorzu nachtgessen» habe, ist eine kleine Information zu seiner Person und vermittelt dasBild eines Jungen, der sich keiner Schuld bewusst ist und weiter macht, als sei nichtsgewesen. Fast identisch ist die Information von Weydmann zu Schmid. Als er diesen imStall vorfand, dachte er erst, «verhafftetr habe wollen daselbst sein nothdurfft verrichten,dessnahen er ihn mit disen worten angeredt und gesagt, du wüester g’sell». Dieser seiwortlos zwischen die Tiere geflohen und er habe erst da, als er das Brett und den Holzblockhinter der Kuh liegen sah, gemerkt, was Schmid vorgehabt habe. Da hat auch er ihnbeschimpft: «darüberhin sey Schmid in die Stuben zum Nachtessen gegangen; und nachdergleichen gethan als wenn ihn die Sach nichts angienge.» Im Gegensatz zu Kräb gingWeydmann danach aber nicht zum Meister, sondern hat Schmid erst zusammen miteinem zweiten Knecht verprügelt um zu erfahren, was er genau getan hat. Das Motivdes schweigenden Jungen, der versucht zu tun, als sei nichts gewesen, ist das gleiche wiezuvor.Der Ablauf ist auch bei den zwei Malen, bei denen Hans Egg in flagranti erwischt

wurde der gleiche. Beide Male wird die Tat unterbrochen durch jemanden, der vorbei

68 5 Fremdbilder

kommt, beide Male beschmipft der Zeuge den Delinquenten. Von diesem wird jeweilsnicht angegeben, ob er eine Reaktion gezeigt hat, oder nicht. Auch geben beide Zeugen an,dass die selbst «in entsetzlichen schrecken gerathen» seien bzw. «vor forcht und entsetzengleich einem betrunkenen gewässen seye.» Die Zeugen verdeutlichen so, dass sie sich derSchwere der Tat bewusst waren. Mehr über das Fremdbild des Täters ist jedoch diesenAussagen nicht zu entnehmen.

5.3.2 Die Leumundszeugen

Mitteilsamer sind hier die Angehörigen, die auch als Zeugen vernommen wurden. EsterRüpschin erwähnt gleich am Anfang der Befragung, dass ihr Sohn Caspar Franck ein«noch minder jährigen Knab» sei und von Dövelin Lindinner zur Tat verführt wordensei. Sie zeichnet das Bild eines kleinen, verführten Jungen und betont «selbiger könebedten, lesen und schreiben». Gleichzeitig zeigt ihre Vernehmung, dass sie als Mutter einesverhafteten Kindes unter Verdacht stand, ihre Pflicht als Mutter verletzt zu haben. DieAussage über den Wissensstand des Sohnes kann auch als Selbstverteidigung ihrerseitsverstanden werden: Sie hat ihre Pflicht erfüllt und den Sohn in die Schule geschickt. Indie gleiche Richtung läuft ihre Antwort auf die Frage, was sich zugetragen hätte. Siesagt nicht direkt aus, was ihr Sohn ihr erzählte, sondern erwähnt erst, dass er dies unterder «Ruthen-Züchtigung» tat. Auch auf die Frage, ob sie dies auch dem Pfarrer bekannthabe, antwortet sie, dass sie diesem erzählt hätte, «was ihr Knab unter der Züchtigunggeoffenbahret.» Das vermittelte Bild ist klar: Sie als Mutter ist eingeschritten, hat denKnaben gezüchtigt und die Wahrheit ans Licht gebracht. Ihr ist nichts vorzuwerfen. AmEnde des Verhörs wiederholt sie, dass sie froh sei, dass die Sache ausgekommen sei undnun «sammtliche Kinder dergleichen fehrners zu thun kömen durch ernstliche Züchtigungabgehalten werden; wie sie denn solches ihres Knaben halbben zu beschehen anhalte». Siedrückt damit nicht nur aus, dass sie die Züchtigung für die richtige, als Abschreckunggedachte Strafe für die Kinder erachtet, sondern auch, dass sie ihren Knaben bereitsbestraft hat und dies weiterhin tut. Sie bittet eigentlich um Gnade für den Sohn - dieStrafe würde er durch sie empfangen. Bekanntermassen wurde der Bitte nicht stattgegeben:Alle Kinder wurden zu Rutenschlägen verurteilt, auch ihr Sohn. Das Urteil schliesst aberauch sie mit ein. Die Ratsherren scheinen zum Schluss gekommen zu sein, dass sie alsMutter eine Mitschuld trägt, darum wurde ihr «die nothdurfft untersagt». Notdurft isthier wohl im Sinne von das zum Überleben notwendige zu verstehen, was heisst, dass ihrder Gang zum Almosenamt verboten wurde.

Eine schwerere Strafe erwartete am Ende des Verfahrens die Mutter von Veronica Maag.Anna Maria Morschin beschreibt ihre Tochter bei ihrer ersten Aussage am 2. April 1731sehr ausführlich. Diese hätte

jeder zeit einen stillen und eingezogenen wandel geführet; auch zu keinen

5.3 Zeugen 69

liechtstubeten242, oder zu jungen g’sellen gegangen, und keine dergleichenzu iohro jns haus kommen, so dass als die sach auskommen, sich jedermanndessen verwunderet.

Sie beschreibt ihre Tochter als ein braves, züchtiges Mädchen, das sich nie liederlichverhalten hätte. Durch den Verweis, dass jedermann verwundert gewesen sei, betontsie, dass nicht nur sie als Mutter ihre Tochter für gut und brav hält, sondern auch alleanderen in der Gemeinde. Veronica habe aber auch «sonsten fleissig gearbeitet so woltags als nachts, wie nicht weniger den Elteren gehorsamm, folgsamm jeder Zeit ein liebesund treüwes Kind gewesen; auch fleissig gebedtet, und die Kirch besucht». Das Bild,das die Mutter von ihrer Tochter zeichnet, könnte nicht besser sein. Das Bild, das dieGemeindeoberen von der Mutter zeichnen, nicht schlechter.

Nach den erwähnten Briefen des Pfarrers243 über diese «ellenden Leüthen» forderte derRat weitere Berichte aus der Gemeinde über die Familie an. Diese werden erstattet vonDorfmeyer, Kirchenmeyer und Ehegaumer. Es «sey ihnen leyd dass sie mehr böses als gutsvon diser Maagischen Haushaltung, sonderheitliche der alten Frauen und ausgetredtenenbuben des Heinrich Maagen halben eröffnen müssen». Diese beiden hätten dem Vaterübel mitgespielt und weil die Frau so zänkisch sei, hätte niemand in der Gemeinde sichmit der Sache befassen wollen. Dem Mädchen stellen aber auch die Gemeindeoberen eingutes Zeugnis aus. Man könne «nichts (. . . ) von ihro böses nachreden, angesehen selbigeimmerhin, so will ihnen in wüssen ganz still und eingezogen verhalten; auch fleissig diekirchen besuchet». Die Tat wog bei ihr schlussendlich für die Ratsherren schwerer alsdie guten Zeugnisse, die ihr ausgestellt worden waren. Die Mutter wurde wie erwähntebenfalls bestraft, mit Rutenschlägen und zweijährigem Hausarrest. Ob der Umstand, dasssie keine Einheimische war, sondern, wie sie selbst angab, «eigentlich von Esslingen, ausseinem 2 Stund ob Stuggart gelegenen ohrt» kam, zu ihrem negativen Ruf beitrug, kannnicht gesagt werden. Sicher wäre aber auch dies eine Spur in den Zürcher Gerichtsakten,die zu verfolgen interessant wäre.

Den Zeugenaussagen sind nur wenige Fremdbilder zu entnehmen. Neben den sachlichenAngaben zur Tat wird meisten nur angegeben, wie man sich selbst verhalten hat. DieZeugen zeichnen ein Bild von sich selbst und nur selten von den Delinquenten. Es wirdgezeigt, dass man wusste, wie schlimm die Tat ist, dass man entsetzt war, dass manhandelte. Bei diesen Aussagen schimmert immer auch eine Verteidigungsstrategie durch,die daher kommen kann, dass die Zeugen für die Aussagen oft in die Stadt gerufen wurdenund vor den Nachgängern, also vor zwei Ratsherren, aussagen mussten. Der Unterschieddes sozialen Standes, den man auch bei den Verhören mit den Delinquenten nicht ausserAcht lassen darf, ist auch hier gegeben.

242Bei Liechtstubeten trafen sich die Jugendlichen nach dem Nachtessen, was der Obrigkeit, wie alleZusammenkünfte von Jugendlichen ohne Trennung nach Geschlecht, ein Dorn im Auge war.

243Vergleiche die Ausführungen auf Seite 57.

Er habe von solcher greüelthat sein lebtag nichtsgehört reden, noch von jemandem etwasdergleichen gesehen, sondern sein bös hertzs undbös gemüth habe ihne zu solch unchristlicherSündenthadt verleithet.244

(Hans Jagli Spillmann)

6 Selbstbilder

Zu den Bildern der Obrigkeit, der Zeugen und der Geistlichen hinzu kommen die Selbstbil-der der Delinquenten. Sie ergänzen die Fremdbilder, widersprechen ihnen und manchmalgleichen sie sich im Laufe des Prozesses an. Im Frageraster der Nachgänger gab es einigeFragen, die uns heute Einblick in Selbstbild bzw. Selbstdarstellung der Delinquenten geben.Diese Fragen geben die Struktur für das Kapitel vor, welches nunmehr die Selbstbilderins Zentrum rückt.Da sich der Fall Haagen auch hier als Sonderfall zeigt, gehe ich zuerst auf diesen ein,

bevor ich mich den anderen Fällen zuwende.

6.1 Sonderfall Haagen: Der Fremde

Ich habe im vorangehenden Kapitel gezeigt, dass Haagen von Obrigkeit und Zeugenals frömder Kerli, Schelm und Landstreicher dargestellt und ihm von den Nachgängerneine freche Aufführung vorgeworfen wurde. Er selbst gab sich bei seiner Befragung alsUnschuldiger. Auf die Standardfrage, warum er in Haft sitze, antwortete er:

Dis wüsse er nit, bewundere sich selbst, das er in diesen Kerker kommenmüssen, da er doch weder ein schelm, dieb, nach mörder, sondern jeder zeit,so lang er von Haus, sich ehrlich und redlich verhalten, auch seiner Professionnach gereiset.

Viele Jugendliche gaben bei dieser Frage die ihnen zur Last gelegte Tat zumindest teilweisezu, – darauf werde ich im nächsten Abschnitt näher eingehen – doch Haagen bezeichnetesich als ehrlichen und redlichen Arbeitssuchenden. Dies, obwohl er in flagranti erwischtwurde, wie er versuchte, sich an einem Mädchen zu vergehen. Die Tat jedoch, bei der ererwischt wurde, ist für ihn keine, oder er sagt zumindest, dass sie für ihn kein Verbrechenist:

244Endexamina vom 26.10.1718: Kundschaften und Nachgänge, A 27.132.

70

6.1 Sonderfall Haagen: Der Fremde 71

9.Q. Was er mit selbigem Mensch wollen vornemmen?Rx. Er habs nit aus ernst gethan10.Q. Was dann nit aus ernst gethan? Was er so nenne?Rx. Er habs nit wollen ermorden oder um das Leben bringen11.Q. Was er dann eigentlich willens gewesen mit ihmme zu thun?Rx. Man nenne solches si er zu thun in vorhaben gehabt in seinem Vadterlandein wenig kurzweilen, oder vexieren245 und spass anstellen12.Q. Was dis sagen wolle, und wie er es mit dem Menschen gemacht?Rx. Er habs zwahr auf den boden nidergelegt, aber er habe ihme kein leidwollen an thun.13.Q. Was beschehen da er selbiges am boden gehabt?(. . . )Rx. Er sey auf das Mensch gelegen, darzu aber seye ein baur kommen derihnne von dem Mensch herunter geschmeissen und geschlagen, wann selbigernit kommen were so hedte er sein willen mit dem menschen thun wollen.

Obwohl er bei der letzten Frage zugibt, dass er das Mädchen vergewaltigen wollte (seinenwillen mit dem Menschen thun), argumentiert er, dass dies in seinem Vaterland etwasLustiges sei, ein Spass. Er wollte sie nicht ermorden, ihr somit kein Leid antun, es warnichts ernstes. Ebenso argumentiert er bei einem zweiten sexuellen Übergriff, der ihm zurLast gelegt wurde:

15.Q. Ob er nit eben an dem Montag, und auch um selbiger gegen oder nitweit darvon, ein ander weibsbild angetastet?Rx. Er hab sich nur zu selbigem Menschen gesetzt und mit ihme geredet.16.Q. Was er mit ihmme geredet, und begehrt zu thun?Rx. Er könne sich anjetzo nicht besinnen, man heiss es nur bey ihmme spässigund kurzweilen17. Q. Was er dem mensch anerbodten, und geben wollenRx. Nichts, als, er habe selbigem ein lustiges Lied gewisen18.Q. Ob nit gelt anerbodten, damit er mit ihro zuhalten könne?Rx. Er habe zu dem Menschen g’sagt, solle bey ihmme verbleiben, woll einwenig spässig mit ihm seyn; auch hab er Ihro gelt geben wollen damit er auchsein willen vollführen könne, sey aber nichts aus der Sach worden

Haagen zieht sein Bild des lustigen Wandersmann auf der Suche nach Arbeit, der nuretwas Spass haben und eine lustige Zeit verbringen will, durch. Auch bei diesem Vorwurfgibt er zu, dass es ihm schlussendlich um den Sexualverkehr ging – er wollte dafür auchzahlen – aber da auch immer wieder das Motiv Spass haben mit einfliesst, zeigt er, dasser dies nicht für ein Verbrechen hält. Es sei nichts Ernstes gewesen.245Vexieren bedeutet spassen, scherzen, nur dergleichen tun.

72 6 Selbstbilder

Ob es sein Äusseres war, das zuvor von Zeugen und dem Ehegericht übermittelte Bildoder ob seine Selbstdarstellung anders bei den Nachgängern ankam, als er vermutlichdachte: Die Nachgänger empfanden ihn nicht als lustigen Arbeitssuchenden, der etwasSpass haben will, sondern als frechen Landstreicher, der sich an mehreren Frauen zuvergreifen versucht hatte. Als solchen verurteilten sie ihn auch.

6.2 Warum er hier in verhafft?

Wie bereits erwähnt, gehörte die Frage, warum die verhaftete Person hier sei, zu denStandardfragen. Der Befragte sollte selber die Tat benennen, die Nachgänger wolltennicht etwas vorsagen, das dann nur wiederholt wird. Deutlich wird dies im Fall Merkigesagt. Merki ziert sich im ersten Verhör, die Tat zu benennen, sagt, «wüss nit wie er dieSach fürbringen solle». Darauf hin wird er von den Nachgängern angewiesen: «Er sollesein Hertz und gewüssen raumen und offenbahren wie alles her und zu gegangen, dannman ihmme nicht das geringste auf den Mund legen werde sondern sole selbst die Sacheröffnen».246 Ob es nur darum ging, sich abzusichern und vor dem Vorwurf zu schützen,man hätte dem Delinquenten etwas vorgesagt oder auch darum, eine unchristliche Tatnicht benennen zu müssen, ist auf Grund dieser einen Aussage nicht beurteilbar.Klar ist, dass die Befragten bereits direkt nach der Verhaftung ein erstes Mal verhört

worden waren und darum wussten, was ihnen zur Last gelegt wird. Oder sie waren, wie dieMehrheit der Bestiarier in meinem Sample, in actu erwischt worden und wussten daher,dass ein totales Leugnen der Tat nicht mehr förderlich ist. So ist erklärbar, warum fast alleVerhafteten in meinem Sample bei dieser Frage eine Straftat zugeben – wenn auch nichtzwingendermassen diejenige, für die sie schlussendlich verurteilt werden. Neben Haagen,der jedoch die Meinung zu vertreten scheint, dass die versuchte Nothzucht keine Straftatwar, ist der einzige, der verscuht die Tat zu leugnen Heinrich Sudter, der mit Peter LandisSexualverkehr hatte. Er leugnet zwei Verhöre lang, bis es zur Gegenüberstellung mitLandis kommt. Dann beginnt er zuzugeben, was Landis den Nachgängern bereits erzählthat. Sudter ist aber nicht nur der einzige, der bei dieser Frage jegliche Tat abstreitet,er ist auch der einzige erwachsene Täter im Sample. Ob tatsächlich das Alter hier denUnterschied macht, ob jemand versucht, die ihm vorgeworfenen Tat abzustreiten odervon Anfang an etwas gesteht, kann aufgrund dieser Auffälligkeit in meinem Sample nichtgesagt werden. Dafür müssten mehr Akten aus den Zürcher Gerichtsquellen untersuchtwerden.

Landis seinerseits leugnet die Tat nicht, er benennt sie im ersten Verhör vom 5. Oktober1729 aber auch nicht gleich bei der ersten Frage:

5.q. Warum er hier im Ödtenbach im Verhafft?Rx. Weilen einer aus dem so genannten Ammt kommen, und etwas mit ihmme

246Vergleiche hierzu den Auszug aus dem Verhör mit Merki in Abbildung 6.1.

6.2 Warum er hier in verhafft? 73

gemacht, welches /: wie ihmme Landis sein Herr Pfarrer im Hirzel hernachgesagt :/ ein grosse Sünd seye.6.q. Wer aber der jennige si zu ihmme Landis kommen?Rx. der Heinrich Sudter von Äbertschweil7.q. Was selbiger dann mit ihmme verübet?Rx: Er seye verschinen Freytag Abends wol bereüscht zu ihmme kommen (. . . ),und harauf geheissen seinen Hosenknopf auf thun, welches er Landis gethan,Sudter harauf sein dess Landissen Sach erstlich in die Hand genommen, haraufaber ins maul und darmit hindersich und fürsich gemacht, und ihmme Landisdie Sach wol gethan

Nach dem ersten Zögern und Umschreiben gesteht Landis auf relativ sachliche Art, dassSudter ihn oral befriedigt habe und gesteht dabei auch eine Mitschuld ein. Er hat denKnopf aufgemacht und es hat ihm wohl getan. Landis zeigt sich einsichtig, reumütig undkooperativ. Durch den Einschub wie ihmme Landis sein Herr Pfarrer im Hirzel hernachgesagt unterstreicht er, dass er nicht gewusst hat, dass Sünde ist, was Sudter mit ihmmachte. Bereits sein erstes Verhör endet mit einem Teil der Gnadenformel: «bezeügteherzlichen reüen bidtet Godt um verzeihung, Eüch aber meine gnädigen Herren um Gnad».Er bittet nicht um ein gnädiges Urteil, wie dies bei todeswürdigen Verbrechen üblich ist,sondern nur um Gnade.

Dass die Tat nicht gleich benannt wird, sondern erst eine Umschreibung wie ein grosseSünde, ein grosser Fehler oder etwas böses ist nicht unüblich. Bereits in der Einleitungzu diesem Abschnitt erwähne ich, dass Merki im Verhör vom 1. September 1727 die Tatzuerst nicht klar benennen wollte.247 Er sagt er sei hier, «[w]eil er leider! Einen grossenfehler begangen und so zu reden unchristlich gehandelt». Auf die Nachfrage, was er getanhabe, antwortet er: «Er dörff es schier nit sagen, und wüss nit wie er die Sach fürbringensolle». Erst nach der oben angeführten Zurechtweisung, dass man ihm nichts in den Mundlegen wolle, wird er klarer: «Es habe ihn verschienen Samstag abends des meisters magdtim Stahl bey einer Kuh erwüschet, mit welch letzteren er sen Sach verrichten wollen.»Danach gesteht er sogleich, dass er die Tat insgesamt vier Mal begangen hat und jedesmaleinen Samenerguss hatte. Dieses anfängliche Zögern, welches, eine Verteidigungsstrategiesein kann, aber auch mit Scham zu tun haben könnte, weil ihm nicht wohl dabei war, miterwachsenen Würdenträger über diese verbotene, unchristliche Tat zu sprechen, lässt ihnschüchtern, schamhaft, fast kindlich erscheinen – er weiss nicht recht, wie er über sexuelleThemen sprechen soll. Auch sein Verhör endet mit der Gnadenformel. Im Gegensatz zuderjenigen von Landis ist sie komplett, das heisst, er bittet nicht nur um Gnade, sondernauch um ein gnädiges Urteil. Da er, wie er sagte, wusste, welches Urteil bei seiner Tatausgesprochen wird, ist es möglich, dass das schnelle und umfassende Geständnis ihn nichtals kooperativen, reumütigen Knaben zeigen soll, sondern, dass er den ganzen Prozess soschnell und mit so wenig Folter wie möglich hinter sich bringen wollte.247Vergleiche hierzu den Auszug aus dem Verhör in Abbildung 6.1.

74 6 Selbstbilder

Abbildung 6.1: Auszug aus dem Verhör mit Jacob Merki vom 1. September 1727.

Ähnlich zögerlich antwortete Hiltebrand am 25. August 1703 auf die Frage, warum erverhaftet worden sei:

Rx: (. . . ) weil er wollen aus der Christenheit handeln(. . . )Q: Wan es geschehen, umd wie ers gemacht habe?Rx: Geschen seye es 8 Wochen gsyn, wie er aufkommen seye er in dem Stahlrv: gangen, umd dan vieh für gebe, die Studt s:v: gestrigelt und unbegestellt,ein Stühlin genommen, mit dem einten beyn darauff und mit dem anderemauf de Schwellen gestanden {wollen auf der Christlichkeit handlen} habe aberdas Thier nit angerührt noch sich entblösst, den der Meister darzu kommen,und gfraget, was er mache, dann er umb den hals gefallen, Godt lob und dankgseidt, und bedten niemanden zu sagen, den er ihme alles bekannt.

Hiltebrand benennt die Tat auch nicht wirklich, als er sagt, was er getan hat. Er bleibt beider Umschreibung aus der Christenheit handeln. Jedoch nutzt er gleich die Gelegenheitnicht nur zu sagen, was er Böses getan hat, sondern auch um zu unterstreichen, wie froher war, als er unterbrochen wurde. Er zeigt, dass er eigentlich ein guter Junge sei. Dieszeigt sich auch bei der Antwort auf die Frage nach den bisherigen Arbeitsstellen. DieNennung der Arbeitgeber ergänzt er mit dem Zusatz: «verhofte er habe sich aller orthenwolen verhalten, man stelle nachfragen, er seye so lieb gseye als die gut Stund.» Obwohl

6.2 Warum er hier in verhafft? 75

er weiss, was ihm vorgeworfen wird und er die versuchte Bestialität auch bereits in derLandvogtei Eglisau zugegeben hat, bezeichnet er sich als lieb als die gute Stund. Er stelltsich so gut dar, wie in dieser Situation möglich. Da seine Strafe sehr mild ausfiel undbei ihm betont wurde, dass die Gnadentür nicht verschlossen sein soll, kam dieses Bildoffenbar auch so bei den Geistlichen und Ratsherren an.Auch Schmid beantwortet im ersten Verhör vom 24. Februar 1730 die Frage nach der

Ursache seiner Verhaftung nur sehr wage: «dass er leider ein trauriges Exempel und garleidiges wesen müssen erfahren!» Erst auf die Nachfrage «was denn?» antwortet er: «Habeleider heüt 8. Nächt ein Sach thun wollen, die nicht christlich wenn selbige geschehenwere, und dis mit einer Studt». Er betont in seiner ersten Antwort, dass er hatte erfahrenmüssen, was er für ein leidiges Wesen sei und beantwortet die eigentliche Frage erst aufnachhaken. Und auch da verdeutlicht er, dass er die Tat nicht begangen hat. Er zeichnetvon sich das Bild des Unschuldigen, der von sich selbst enttäuscht ist, weil er eine solcheTat hatte begehen wollen.

Alle anderen Verhörten sagen auf die erste Frage nach dem Haftgrund zumindest mitwem sie etwas hatten tun wollen, auch wenn die Tat selbst auch bei ihnen nicht immergleich klar benannt wird. So zum Beispiel von Jacobli Baumann. Bei seinem ersten Verhörim Ötenbach sagt er zuerst nur: «Das er mit seinem Stiff-Schwösterlein etwas gethan»und erst auf Nachfrage konkretisiert: «Sey {nach} letzteren Ostern am ersten Sonntag /:auf sein des Stiffschwösterlis geheiss:/ auf selbiges gelegen, sein {Gmächtli} in die Handgnommen, und zwüschent des Kinds bein nur ä kli in sein Scham gethan.» Obwohl er klarsagt, dass er etwas getan hat, betont er auch, dass es auf Aufforderung der Schwester war.Im zweiten Verhör bezeichnet er die Elfjährige als «ein muthwilliges und meisterlosigesKind, thühe was es wolle, und habe niemand nichts auf ihmme denn es zenne248 sozu reden alle Leüth an. Er hingegen seye verachtet, wenn man ihnne wüss nit wohinbringen könnte wurde man solches nicht spahren.» Diesen Aussagen ist zu entnehmen,dass sich Jacobli eigentlich als Opfer sieht: Seine Stiefschwester, die sich alles erlaubenkann, der niemand etwas übel nimmt, wollte, dass er auf sie liegt und darum ist er nunim Zuchthaus. Er ist derjenige, den niemand will, der verachtet ist, den man loswerdenwill. Ob er dieses negative Selbstbild schon vor dem Prozess hatte, oder ob dieses durchdie nicht überlieferten Verhöre in der Landvogtei beinflusst wurde, kann auf Grund derfehlenden Akten nicht gesagt werden.Bemerkenswert ist auch die Antwort auf die Haftgrund-Frage und die anschliessende

erste Schilderung der Tat von Bär am 16. August 1735:

Warum hier in Verhaft seye?Er seye letsten Samstag vor 3 wochen in einem Stahl bey einer Kuh gewäsenWas er da selbst verrichten wolle?Er habe ein Stöklin249 genommen hinter die Kuh drauf hin gestanden weilen

248Zennen heisst reizen, locken oder necken.249Ein Stöcklin ist ein Holzblock nicht ein Stecken.

76 6 Selbstbilder

aber die Kuh aussgangen habe er von dam stöcklin herunter fallen müssen, und(sich mit)250 seinen Händ übel besudelt. Deswegen er unverrichteter sachenwiderum aus dem Stahl raus hin gegangen um die Hände zu waschen, (. . . )Ob Er hinter der Kuh stehend entblösst gewäsen?Nein habe die Hosen (zu gehabt) nicht runter gelassenOb sein glid hart gewäsen seye?(Nein) Ja

Abbildung 6.2: Auszug aus dem Verhör mit Heinrich Bär vom 16. August 1735. Die Fragensind jeweils auf der linken, die Antworten auf der rechten Seite aufgeführt. Sowohl das zugehabtbei der ersten Antwort als auch das Nein in der zweiten sind durchgestrichen.

Interesannt ist bei dieser Aussage nicht nur das erste, sehr unschuldig klingende ineinem Stahl bey einer Kuh gewäsen, sondern auch, dass er die weiteren Tatbeschreibungenimmer revidieren muss – dies implizieren zumindest die Streichungen. Auf die Frage, ober entblöst war, antwortet er zuerst mit «Nein habe die Hosen zu gehabt» und ändertdieses zu gehabt auf nicht runter gelassen.251 Und auch die Antwort auf die Frage, ob ereine Erektion hatte, passt er an. Das erste, noch fast unschuldige Bild muss er korrigieren.Was zu diesen Streichungen und Neubeantwortungen geführt hat, kann dem Protokollnicht entnommen werden. Als Anwesende werden neben Bär nur die Nachgänger HansConrad Meyer und Adrain Ziegler genannt. Das Verhör fand ohne Scharfrichter statt. ObMeyer und Ziegler weitere Fragen stellten, ihn zum Bekennen der Wahrheit anmahntenoder ob Bär von sich aus sein Selbstbild anpasste, kann nicht mehr eruiert werden.Ein ähnlicher Bruch ist im Verhör von Egg zu erkennen. Als Antwort auf die Frage:

«Warum hier in Gefangenschaft gekommen?» ist als Antwort notiert: «Wüsse es selbernicht : Habe vor 3 oder 4 wochen hinden an dem Schützenhaus zu Muhr mit des Müllerszu Üesikon seinem Muterpferd disern schwehren Sünd begangen (. . . ).» Wie es vomNicht wissen zum diese Sünde begangen gekommen ist, oder anders gesagt, was derDoppelpunkt252 meint, kann nicht (mehr) gesagt werden. Vielleicht hat er auch tatsächlichso geantwortet, weil er nicht wusste, wie es so weit kommen konnte, dass er nun im250Mit (xxx) wird innerhalb der Transkription eine Streichung angezeigt.251Vergleiche hierzu den Auszug aus dem Verhör in Abbildung 6.2.252Vergleich hierzu den Auszug aus dem Verhör in Abbildung 6.3.

6.2 Warum er hier in verhafft? 77

Abbildung 6.3: Auzug aus dem Verhör mit Hans Egg vom 1. Juni 1735 mit auffälliger Änderungin der Aussage, getrennt durch einen Doppelpunkt.

Gefängnis sass und selbst nicht begreifen konnte, was er getan hat. Vielleicht merkte erauch einfach, dass es zu spät zum Leugnen ist und gab nach einer kurzen Denkpause,symbolisiert durch den Doppelpunkt, alles zu. Möglich wären verschiedene Varianten.Ebenfalls zu bemerken ist die erste Antwort von Hess zur Tat. Er wird nicht gefragt,

warum er in Haft sitze, sondern direkter:

Q: Was er mit seines Meisters Knaben dem heinrichli verrichtet?R: Er habe vergangenen Auffahrt, den Heinrichli auf den bauch heissen liggen,und darauf sich auf ihne gelegt. Um sein glid selbigem s:v: per posteriora inden leib zu stossen , aber vor diss malen nichts gethan. Den Sontag darnachhabe er gleiches zu thun underfangen allein allein wider unverrichteter sachensich von selbigen gemachet. Verwichenen Pffingsten aber seye er nachmalenauf ihm gelegen, und habe sein Membrum selbigen s:v: Per pedem einesgleiches lang in den Leib gestossen. Jedoch ohne verschüdtung des Saamens,der Heinrechli auch nie kein schmerzen zu empfinden von sich spüren lassen.

Auffällig sind hier die beiden lateinischen Ausdrücke per posteriora und per pedem. Dass einsiebzehnjähriger Verdingbub die beiden Ausdrücke kannte, halte ich für fraglich. Entwederwurden sie durch den Schreiber eingefügt - wogegen das jeweils davor stehende s:v:253

sprechen würde – oder die beiden Ausdrücke wurden von Hess tatsächlich genannt, weiler sie bereits aus der ersten Befragung mit Züchtigung durch die Lehrmeisterin gekannthatte und übernommen hat. Auch in diesem Fall kann nur spekuliert werden, wobeiich, wegen des eingefügten s:v:, zur zweiten Variante tendiere. Da uns meist die erstenBefragungen fehlen, ist es schwer zu sagen, wie sehr die Verhafteten bei der Befragung inZürich bereits ihr Selbstbild angepasst hatten.

253Vergleiche hierzu die Ausführungen auf S. 37.

78 6 Selbstbilder

Zu Beginn dieses Kapitels erwähnte ich, dass die Verhafteten bei der Frage, warumsie im Gefängnis seien, nicht zwingendermassen das Verbrechen zugaben, für welches sieletzten Endes verurteilt wurden. Meistens lag der Unterschied darin, ob die Tat wirklichvollzogen worden war, oder nur versucht – einer Frage, die über Leben und Tod entschied.Sehr gross ist der Unterschied zwischen der ersten und der letzten Aussage bei Vögeli. ZuBeginn sagt er, dass er «etwas böses mit einem 2 Jährigen Kühli begehen wollen; doch seynichts thädtliches aus der Sach worden». Dass nicht geschehen sei, betont er auch immerwieder während des ersten Verhörs und erzählt, dass er nach der versuchten Tat erst aufZürich zugegangen sei, um im Krieg zu dienen, aber er «habe der Sach recht nachgedacht,man möchte etwann meinen er thühe diss auss Forcht weil er etwas böses begangen daer aber desshalben ein gudtes gewüssen gehabt, als sey er widerum zurück nacher Hausgekehrt». Er zeichnet von sich das Bild eines Unschuldigen, der kein schlechtes Gewissenhaben muss, weil nichts geschehen ist.Bereits beim zweiten Verhör, das uns leider nur als Zusammenfassung vorliegt und

bei welchem der Scharfrichter anwesend war, gibt er zu: «dass sein Glid im Leib dessKühlis gewesen, ja nach mehr, und zwahren, es seye ihmme damahls als sein Glid imLeib dess Kühlis gewesen etwas entgangen, wüss aber nit eigentlich was es gewesen.»Am Ende dieses Verhörs bittet er noch nicht, wie bei todeswürdigen Verbrechen üblich,um ein gnädiges Urteil, sondern um Gnade und Barmherzigkeit, was zu dem von ihmvermittelten Bild des unwissenden, unerfahrenen Jungen passt, der glaubt, dass er derTodesstrafe entgeht. Auch dass er, nachdem er erst eine versuchte Tat mit einer Geiss undspäter noch je ein Versuch mit einer Kuh und einer Stute zugibt, dem Pfarrer gegenübersagt, er hätte gedacht, er könne sein Leben noch retten, wenn er nicht alle Taten zugibt,passt in dieses Bild. Dass er geglaubt hat, er werde nicht hingerichtet und der Umstand,dass er angibt, er hätte von einem gehört, der «dergleichen verübter böser that willen inverhafft gethan und an Leben gestrafft worden» sei, widersprechen sich. Ob er seine Lageso falsch einschätzte oder tatsächlich hoffte, sich durch das Bild des naiven, unwissendenJungen zu retten, kann nicht gesagt werden.

Auch Spillmann streitet anfangs ab, einen Samenerguss gehabt zu haben. Zudem seisein Glied nicht hart gewesen. Auch im dritten Verhör vom 19. Oktober 1718 bleibt ererst bei dieser Aussage:

Q: Wie sein glid den auch gseinR: Das wüsse er nicht wie es gsein(. . . )Q: Weillen er das glid mit seinen Händen in die Kuh gethan so werde er wohlwüssen wie es gseinR: Es seye lind gsein wie zuvorQ: Wie es ihme auch gsein da er das glid in der Kuh gehabt. Ob er nichtsgespührtR: Nein es habe nichts gespührt seye ihme gewesen wie zuvor

6.3 Ob er gewüsst was dis für ein grosse Sünd seye? 79

Anschliessend werfen ihm die Nachgänger – wie ich bereits in Abschnitt 5.1.1 gezeigt habe –vor, ein Lügner zu sein und erinnern ihn daran, dass er ja auch schon als er erwischt wurde,erst drei Mal log, bevor er die Tat zugab. Als er noch immer nicht mehr zugibt, wird eraufgezogen. Spillmann gesteht, dass sein Glied hart gewesen sei, einen Samenerguss gibter jedoch noch immer nicht zu. Diesen, sowie drei weitere vollzogene Taten, gesteht er erstnach dem Besuch der Geistlichen – die ihrerseits den Nachgängern berichtet hatten, «dasder im Wellenberg gefangen sitzende Jagli Spillmann den völligen Actum der Greüllthadtgestehe».254 Dieses vierte Verhör, in welchem er alles zugibt, was er soll, endet mit demSatz: «Er befinde sein gewüssen nun gants erleichter das er bekannt, verhoffe das er nunmehrs auch ein Kind der hälligkeit werden könne, den die hoh. Geistlichen unterweisindihne sehr wohl.» Diesen Wunsch wiederholt er im Endexamina: «Er verhoffe in dennen ersein gewüssen durch bekanthuns seiner schwehren sünden entleichteret, auch an nach einkind der seeligkeit zu werden, bethe meine gnädigen Herren um ein gnädig urtheil.» DenBegriff des Kindes der Helligkeit, bzw. Kindes der Seligkeit wird von den Geistlichensehr oft verwendet. Spillmann hat den Begriff übernommen. Mit dem Begriff übernahmer möglicherweise auch den Wunsch, diesen Zustand zu erreichen, indem er zugibt, was erzugeben soll. Dass das vollständige Geständnis mit der Übernahme dieses Begriffes undnicht mit der Folterung zusammenhängt, spricht für diese Möglichkeit.

6.3 Ob er gewüsst was dis für ein grosse Sünd seye?

Obwohl gleichaltrige Zeugen wissen, dass die gesehenen Taten verboten sind, obwohl dieOrdnungen und Mandate in den Kirchen verlesen wurden und obwohl in allen Fällen, indenen ein Bericht des Dorfpfarrers vorliegt, bestätigt wird, dass der Delinquent mit demKatechismus vertraut ist, behaupteten die meisten geständigen Verdächtigen, sie hättennicht gewusst, dass ihre Tat eine Sünde sei. Diese Aussage macht unter anderem auchEgg. Er beantwortet im ersten Verhör die Frage: «Ob er nicht auss Gottes worth und dernatur gelehrt das solches sein That sündlich seye?» ganz klar:

Wüsse nicht wie ihm solches zu thun in den Sinn gekommen, habe von diserSünd sein Lebtag nichts gehört, auch nie gewüsst dass es Sünd seye, Ach dassEr gewusst oder ihm der Erstere gesagt hädte dass solches schwehre Sündseye häte er es wohlen underlassen.

Bemerkenswert ist hier, dass er Jacob Zollinger, der ihn beim Schützenhaus von Maurmit dem Pferd erwischt hatte, eine Mitschuld an der zweiten Tat zuschreibt. Wenn dieseres ihm gesagt hätte, dann hätte er es unterlassen. Zollinger gibt in seiner Aussage vom 3.Juni 1735 an, dass er Egg hinterher gerufen hätte «du bist ein schöner Beckersbub, will es254Dass ein zusätzliches Geständnis erst gegenüber den Geistlichen gemacht wird und diese die Nachgänger

darüber informieren, ist auch im Fall Vögeli zu sehen. Es scheint nicht unüblich gewesen zu sein, dassdie Belehrungen der Geistlichen mehr erreichen konnten als die Folter des Scharfrichters.

80 6 Selbstbilder

deinem Meister sagen». Gesagt, dass die Tat, bei der er ihn unterbrochen hat, Sünde ist,hat er demnach tatsächlich nicht. Dennoch scheint Eggs Bild des unwissenden, reumütigenJungen keinen Einfluss auf die Ratsherren gehabt zu haben. Wie bereits erwähnt wird erals einziger mit Daumenschrauben gefoltert. Zudem wird er zwei Finalexamina unterzogenund auf den Tod vorbereitet, obwohl er danach keine Todesstrafe erhält.

«Ob er nicht gwüsst, dass diss Sünd, und nicht recht gethan?» wird auch Baumann inseinem Verhör vom 20. Mai 1723 gefragt. «Das Godt erbarm! Diss hab er wol nicht gwüsst,sonst wolt er es lang nicht gethan haben», lautet auch seine Antwort. Da in diesem Falldie Eltern die Kinder nicht mit zur Kirche genommen hatten – den Angaben Jacobliszufolge, weil er keine Schuhe anzuziehen hatte – könnten die Ratsherren bei ihm demArgument Glauben geschenkt haben. Dass der Rat bei beiden Kindern eine Verdingungals das Richtige erachtete und auch beschloss, dass Jacobli aus dem Almosenamt dienotwendigen Kleider erhalten soll, zeigt, dass sie die Eltern als nicht fähig erachteten, ihreKinder ordentlich zu erziehen und zu versorgen.Im Falle von Landis betont dieser mehrmals, dass er Sudter gefragt habe, ob es denn

nicht Sünde sei, dieser habe aber immer mit «Nein» geantwortet: «Sudter habe ihmmewie schon verdütet verführt, und gsagt sey nit sünd, und thü einem wol.» Mit der Angabe,dass er bei jedem Sexualkontakt gefragt und Sudter jedesmal verneint habe, verdeutlichter das Motiv des guten Jungen, der verführt wurde. Dieses unterstreicht er auch in seinerBitte um Gnade nach dem fünften Verhör, bei welchem der Scharfrichter anwesend war:

Was er Landis aber übels gethan, darfür bedte er Godt um verzeihung, unddiss von eingrund seines Herzens; Euch aber meine gnädigen Herren um eingnädig Urtheil und gnaad, denn er noch ein junger verführter Bub seye.

Einen solchen Zusatz zur Gnadenformel findet sich sonst in keinem Fall meines Samples.Dieser Bruch mit der sonst üblichen Formel weist darauf hin, dass er das tatsächlich soformuliert hat und es nicht nur das formelle Ende des Verhörs ist, dass der Schreibermöglicherweise von sich aus hinzugefügt hat.

Beim Lesen der Befragungsprotokolle im Fall Stolz scheint es, dass dieser sich verhält,als hätte man ihn bei einer Lüge ertappt. Bei der ersten Vernehmung fragen ihn dieNachgänger erst, ob er lesen könne. Er bejaht die Frage. Sie fragen, ob er gewusst habe,dass es Sünde sei, was er getan hat. Er verneint, ohne weiteren Zusatz und Ausführungen,wie dies sonst die meisten machen. Danach fragen die Nachgänger: «Ob er aber niemahlengelesen, dass solches ein grosse und schwere Sünd seye?» und als Reaktion auf diese Frageist notiert: «Hierüber erstunete und seüffzete er; endtliche sagte er, dis sey ihmme vonGrund seines Hertzens leid, bedte den erzürnten Godt um verzeihung seiner grossen undschwehren Sünd so er begangen.» Die Frage beantwortet er nicht. Die Bemerkung endtlichesagte er verweist darauf, dass er länger schwieg, nachdachte, bevor er sein Bedauernausspricht und Gott um Verzeihung bittet. Der Verdacht liegt nahe, dass er überlegenmusste, ob er weiterhin versuchen soll zu sagen, er hätte nicht gewusst, dass man keinenSexualkontakt zu Tieren haben darf. Nach dieser Antwort wird das Verhör beendet.

6.3 Ob er gewüsst was dis für ein grosse Sünd seye? 81

Vögeli und Merki behaupten gar nicht erst, nicht gewusst zu haben, was sie Schlimmestun. Vögeli wird interessanter weise die Frage, ob er nicht gewusst habe, dass es Sündesei, nicht gestellt. Jedoch erzählt er in seinem zweiten Verhör, dass «Leüthen, und unteranderem von seiner eignen Mudter gehört sagen, wann man der gleichen mit einem Viechmache, so müsse einer sterben». Im dritten Verhör erzählt er genauer: «Man habe zu vorvon der gleichen Sachen in einer so genannten hofstubeten zu dielstorff geredt, und unteranderem verdeütet, wie dass unlengst einer von Rümlingen um dergleichen verübter böserthat willen in verhafft gethan und an Leben gestrafft worden.» Er wusste somit nicht nur,dass verboten ist was er tut, er wusste auch, welche Strafe ihn erwartet. Indem er dieszugibt, macht er die Tat schlimmer: Er tat es trotz dieses Wissens. Er erfüllt damit fürden Rat das Bild, das der Pfarrer von ihm gezeichnet hat: der verdorbene, verkommeneJunge, der sich nicht bessert, der nicht mehr gerettet werden kann. Auch wenn er ausseiner Sicht wohl eher der arme, unschuldige Junge ist, der durch diese Reden verführtwurde. Nach diesem dritten Verhör wird das Endexamina angeordnet.

Im Gegensatz zu Vögeli wird Merki im ersten Verhör die Frage nach dem Wissen überdie Sünde gestellt:

17.q. Ob er auch wüsse was diss für ein grosse und schwehre Sünd; und wormitsie auszuruefen und ab zu straffen?Rx. Ja diss wüss er sol, nammlich mit Feür; sy ihmme von Grund seinesHertzens leid was er gethan, bädte Godt um verzeihung seiner schwehren undgrossen Sünd, Eüch aber meine gnädigen Herren um ein gnädig Urtheil undGnaad

Merki hatte bereits in seinem ersten Verhör vier vollendete Bestialitäten zugegeben,dennoch lassen ihn die Ratsherren ein weiteres Mal befragen, bevor sie das Endexaminaanordnen. Bei diesem zweiten Verhör ergänzt er seine Aussage nur in einem Punkt: «undaber gehört das der Vögeli von dielstorff auch dergleichen gethan, und gedacht, wols leiderauch probieren.» Wie Vögeli gibt er an, dass die Kenntnis über einen anderen Fall ihn aufdie Idee brachte, die Tat zu versuchen. Von der Tat gehört zu haben ist eines von mehrerenMotiven, die bei der Frage auftauchen, was der Anlass zur Tat gewesen sei. Diese Motivewerden Gegenstand des nächsten Abschnittes sein. Die Aussagen von Vögeli und Merkizeigen aber auch, dass die Information über Straffälle durchaus verbreitet waren. Dies kannman unter anderem auch der vor kurzem veröffentlichten «Beder-Chronik» entnehmen.Wenn auch das Interesse der Familie Beder mehr bei Finanz- und Kirchenfragen lag,so finden sich doch zwischen den laufend festgehaltenen Brotpreisen und vereinzeltenAnekdoten Hinweise wie denjenigen vom Januar 1717: «In dissem monat hat man einkerli gehenckt von 25 Jahren (. . . ). Hat 111 einbrüche begangen.»255 Dies zeigt, dass dasWissen darüber, was verboten ist und wie es geahndet wird, durchaus vorhanden undlandläufig bekannt war.255Sarah Biäsch (Hrsg.): Die Beder-Chronik, S. 136.

82 6 Selbstbilder

6.4 Was ihn solches vorzunehmen veranlasset?

Was oder wer die Tat veranlasst hat, war ebenfalls eine regelmässig gestellte Frage, dieimmer wieder mit den gleichen Motiven beantwortet wurde.

6.4.1 Kein Erfolg bei Frauen

Kein Erfolg bei Frauen ist ein Motiv, das in meinem Sample bei zwei Fällen von Bestialitätgenannt wird. Hiltebrand gibt an, er hätte die Tat vorgehabt, weil «[d]ie Meitlin habenihn veracht, und er wollen lugen ob ers auch könne, habe vermeint es seye kein Sünd»Auf die Nachfrage, ob er denn auch bei Mädchen gewesen sei, antwortete er: «Er habeeinmahlen zu Nacht einem Meitlin gerüfft, welches ihme geantwortet, was es bey ihmthun wolle, er habe ja nichts.» Hiltebrand hatte in diesem Verhör vom 25. August 1703,wie ich im Abschnitt 6.2 gezeigt habe, von Anfang an ein sehr gutes Bild von sich selbstpräsentiert. Er verwies darauf, dass man Zeugnisse einholen könne und betonte, wie froher war, dass sein Meister ihn erwischte. Das Bild des guten Jungen wird nun ergänzt,durch dasjenige des armen Jungen, der keine Braut findet, weil er nichts hat; dem Jungen,welcher von den Mädchen verachtet wird.

Auch als erfolglos bei den Frauen zeigt sich Schmid bei seiner dritten Vernehmung.Jedoch hat er, gemäss seiner Darstellung, nicht versucht einem Mädchen zu rufen, sondernvergeblich versuchte sie zu brauchen:

dass als er zuvor bekanntermassen bey einigen bauern wein getrunken, haraufheim kommen ein Weiber Volck angetroffen, die er brauchen wollen, und alser solches nit verrichten können, sey er in Stahl gegangen; und als die Studtihr Wasser lauffen lassen, sey ihmme leider ein glust ankommen etwas mit derStudt zu thun

Dass er betrunken war, hatte er bereits in seinem ersten Verhör erwähnt und auchdies ist ein Motiv, auf das ich nachfolgend noch eingehen werde. Jedoch erwähnt erhier relativ beiläufig, dass er ein Weibervolk hatte brauchen wollen, dieses jedoch nichtverrichten konnte. Warum dieser Sexualkontakt nicht geklappt hat und ob er die Fraunur angesprochen hat, oder ob er versuchte, sie zu vergewaltigen, ist nicht erwähnt.Diesbezüglich wurde nicht nachgefragt und später auch nicht weiter untersucht. DasUrteil – 18 Rutenstreiche und acht Jahre Verbannung – wurde noch am gleichen Tagausgesprochen. Diese neue Schattierung in seinem Bild scheint keinen Einfluss mehrgehabt zu haben.

6.4.2 Nicht ganz bei Sinnen

Wie eben angemerkt, war auch das Berauschtsein eine Erklärungsstrategie für eine Straftat.Schmid erklärt nicht erst im dritten Verhör, dass er betrunken war, sondern bereits imersten:

6.4 Was ihn solches vorzunehmen veranlasset? 83

11.q. Was ihn solches vorzunemmen veranlaaset?Rx. Habe ein Räuschli gehabt12.q. Wo er so getrunken?Rx. Bey verschiedenen Bauern zu berg, denen er Meehl bringen müssen.

Wie ich in Abschnitt 6.2 gezeigt habe, vermittelt Schmid durch seine Aussagen das Bildvon sich als ein Unschuldiger, der von sich selbst enttäuscht ist, weil er eine solche Tatbegehen wollte. Mit dieser zusätzlichen Angabe liefert er die Erklärung, wie es dazuhatte kommen können. Er hatte zu viel getrunken, war nicht bei Sinnen. Mit dem Zusatz,dass er bei den verschiedenen Bauern, denen er das Mehl gebracht hat, getrunken habe,vermittelt er das Bild des jungen Knechts, der von Hof zu Hof geht, die Lieferungenbringt, jedesmal einen Schnaps oder sauren Most angeboten bekommt und nie nein sagenkann. Der höfliche Junge, der die Gastfreundschaft nicht ablehnen will und dadurch auchfür seinen Rausch letzten Endes nichts kann.Auch bei Sudter und Landis spielt der Alkohol eine Rolle, auch wenn Landis dies nur

am Rande erwähnt. Den ersten Kontakt der beiden hat, gemäss seiner Schilderung vom5. Oktober 1729, stattgefunden, weil er bei Sudter und einem anderen Knecht im Bettschlief und nicht in der Kammer des Vaters.

28.q. Warum er denn nicht auch diss mahlen in seines Vadter Kammer gegan-gen?Rx. Habe nicht mehr dörffen, denn es zimmlich spaht gewesen und sie 2 nebstanderen jungen gsellen zu vor im wirthshaus getrunken, hernach sie beydemit einanderen nacher haus gegangen.

Der Grund, weshalb er sich überhaupt zu Sudter legte, war das gemeinsame Trinken. Dasssie zumindest angetrunken waren liegt nun wie ein Filter auf dem von ihm vermitteltenBild des verführten Jungen. Und dies mussten sie gewesen sein, wenn sie so spät aus demWirtshaus kamen, dass er nicht mehr in die Kammer des Vaters gehen konnte. Dass derdoppelt so alte Sudter mit drei jungen Knechten trinken ging, wirft ein noch schlechteresLicht auf ihn.

Bär wiederum sagt, dass er berauscht war, jedoch wird der Fünfzehnjährige im Gegensatzzum neunzehnjährigen Schmid nicht gefagt, wo er getrunken hat. Bär erzählt bei seinerersten Befragung in Zürich, dass er bereits zuvor schon einmal versucht hatte, sich einerKuh zu nähern, jedoch auch da erfolglos. Die Nachgänger fragen:

Von wem er harzu so in ersteen als zweiten mahl veranlaast worden?Von dem ersten Mahl her, habe er einen Stier im Kuh besteigen gesehen,von welchen Zeit es ihm öffters zu Sinn gekommen, jedoch habe er disernGedanken alle Zeit wider stehen können aussert disern letzten mahl, da eretwas beraüscht gleichsam wie bezaubert, dem Stahl haben zu gehen müssen

Er hatte diese Gedanken, konnte ihnen jedoch widerstehen, solange er nüchtern war.Doch nun wurde er von dem Stall wie magisch angezogen. Wir haben von ihm bisher

84 6 Selbstbilder

gesehen, dass er seine Aussagen mehrfach anpassen musste – auch wenn der Grund fürdiese Anpassungen nicht erkennbar ist. Dass er nun sagt, er sei berauscht gewesen eröffneteine weitere Erklärungsmöglichkeit: Er weiss nicht mehr genau, wie alles ablief, er warberauscht, verzaubert, nicht ganz bei Sinnen.

6.4.3 Sexualverkehr von Tieren beobachtet

Bär nennt neben dem Rausch noch einen weiteren Auslöser für die Tat: Er hatte einenStier eine Kuh besteigen sehen. Verkehr zwischen Tieren beobachtet zu haben, wird auchvon anderen Bestiariern als Auslöser der Tat genannt. Jugendliche, die sozusagen keineSexualität haben dürfen, sehen, dass Tiere diesen haben und kommen so auf die Idee,dass dies der Weg sein könnte, sich auszuprobieren im Sinne des lugen wollen ob ersauch könne, das Hiltebrand, wie anfangs dieses Kapitels zitiert, als ein Motiv nennt. DieBegegnung mit dem Mädchen ist aber nicht der einzige Auslöser, den Hiltebrand erwähnt.Zum Schluss des ersten Verhörs in Zürich erzählt er:

Bloss 3. oder 4. Tag eh er die Unzhat verzieten wollen seye er mit dieser Studts.v. Auf der Weid gewesen und sollen hüeten. Selbe aber weile sie Rössig rev:war zu einem Lybhengst gelofen, welcher auf ihro umen gridten; und diesesseye auch der gröste Anläss zu seinem verfluchten vorhaben gewesen.

Der gute Junge, der von den Mädchen verachtet wird, der nichts hat und darum nichtdarf, sieht, wie der Hengst und die Stute dürfen. Dieses Bild hat Hiltebrand am Ende desersten Verhörs von sich gezeichnet und schliesst dieses mit den Worten:

Danke Godt höchlich, das solches vermeidten bleiben, habe ein gut gwüssenkönnen nichts anderes sagen, mann möge mit ihm machen wa mann wolle;das begangene seye ihme hertzlich leid, bedte Godt umd ein hohe Obrigkeitdermüthig umb Gnad und verzeihung.

Er bittet nicht um ein gnädiges Urteil, wie dies bei todeswürdigen Verbrechen üblich ist -es ist somit durchaus möglich, dass er weiss, dass ihm nicht die Todesstrafe droht, weil erdie Tat nicht ganz vollzogen hat. In seiner zweiten Befragung bringt er noch ein weiteresMotiv ins Spiel, so dass der Fall uns zu einem späteren Zeitpunkt nochmals beschäftigenwird.

Dass Beobachten von Sexualverkehr zwischen Tieren offenbar ein bekanntes Motiv war,um eigene sexuelle Lust zu begründen, zeigt das dritte Verhör mit Egg. Dieser wirdgefragt, «Ob Er den irgendwo von solchen sachen gehört?» und verneint: «auch seye ihmeder sinn nie dran gekommen». Die Nachgänger haken nach, weil sie wissen wollen, weroder was ihn auf die Idee brachte, diese Tat begehen zu wollen: «Ob Er denn irgendwoein solches von menschen oder Veeh gewahret?» Egg antwortet darauf: «Einmahl habe erein Kuh und Stiern beysammen gesehen /:(. . . . . . . . . ):/ doch seye ihm damahls der Sinnnicht dran gekommen.» Leider kann nicht mehr gelesen werden, was in der /: :/ -Klammer

6.4 Was ihn solches vorzunehmen veranlasset? 85

der Antwort beigefügt war, die drei Worte sind so gut gestrichen, dass man sie nicht mehrentziffern kann. Möglicherweise ist es eine Konkretisierung dessen, was Kuh und Stiergemacht haben. Interessant ist auch der letzte Satz: Es habe ihn damals nicht auf dieIdee gebracht. Dieser Satz sagt uns, dass er weiss, dass mit Beobachten von Sex zwischenTieren die Idee, sexuellen Handlungen auszuführen, begründet werden kann. Egg kanntesomit dieses Motiv.

Auch Stolz nimmt dieses Motiv auf, auch wenn man beim Lesen seiner zwei Verhöre dasGefühl bekommt, dass er mit diesem Motiv von jemandem ablenken wollte. Die Frage derNachgänger zielt nicht nur darauf ab, was einen Täter auf die Idee brachte, sondern mehrauf das wer. Denn hat jemand einen anderen zu einer solchen Sünde verführt, so mussauch dieser bestraft werden. Bereits im ersten Verhör – bei dem er sofort zwei vollzogeneBestialitäten gesteht – antwortet Stolz auf die Frage «Woher er den Anlas genommen diezu thun?», die mehr auf eine Situation denn auf eine Person bezogen scheint: «Er habe esaus ihmme selbsten, ohne veranlassung anderer gethan.» Er antwortet somit, dass keinePerson ihn dazu veranlasst hat, nicht keine Situation. Aufgrund der Stresssituation, die erbei diesem Verhör ausgesetzt ist, könnte diese Antwort aber auch Zufall sein. Die Fragekommt im zweiten Verhör vom 2. Juli 1725 nochmals auf:

Abbildung 6.4: Auszug aus dem Verhör mit Hans Stolz vom 2. Juli 1725 mit deutlich unterstri-chenem nichts.

1.Q. Wie es ihmme in Sinn kommen disere Unthat zu begehen?Rx. Es hab ihnne nichts256 niemand nichts darvon gesagt2.Q. Wie er gewüsst ein solche Schandthat zu thun?Rx. Er wüss es selbsten nit3.Q. Wo er dergleichen Sachen gesehen?Rx. Vom viech und nit von Leuthen4.Q. Ob er denn dem Viech gehütet?Rx. Nein, sondern denn zu mahlen wenn man zu Acker gesehen(. . . )7.q. ob ihmme niemand Anlaas darzu gegeben?Rx. Nein nicht ein Mensch

Stolz hat das nichts offenbar derart stark betont, dass es der Gerichtsschreiber unterstri-chen hat257. In Zusammenhang mit der leichten Auffäligkeit im ersten Verhör sticht hier256Unterstreichung gemäss Gerichtsschreiber.257Vergleiche hierzu den Auszug aus dem Verhör in Abbildung 6.4.

86 6 Selbstbilder

zudem hervor, dass er nicht nur sagt, er habe es bei den Tieren gesehen, sondern auchnoch ein nit von Leuthen anhängt. Ich hatte im Abschnitt 6.3 bezüglich der vermutlicheingelegten Denkpause den Schluss gezogen, dass er möglicherweise darüber nachdenkenmusste, ob er weiterhin behaupten soll, er habe nicht gewusst, dass es Sünde ist, odereingestehen, dass er es wusste. Vielleicht musste er aber auch über den Anlass zur Tatnachdenken. Die Akten zeigen uns das Bild eines Knaben, der den Prozess möglichstschnell hinter sich bringen will, sehr schnell alles zugibt und nach dem zweiten Verhörselbst darum bittet, dass die Geistlichen ihn zweimal täglich besuchen. Da Hottinger,wie ich im entsprechenden Kapitel gezeigt habe, ihn als intelligent und wissbegierigdarstellt, ist anzunehmen, dass er wusste, was einen Bestiarier erwartet, aber auch, dasser gefoltert wird, wenn er leugnet. Dies wäre Grund genug, um einen Abschluss des Fallesvoranzutreiben. Ob er um mehr Besuche von den Geistlichen gebeten hat, um in dieserZeit nicht alleine zu sein, oder weil er etwas nicht gestehen wollte und sich quälte, entziehtsich unserer Kenntnis. Das Bild, dass er von sich durch seine Anworten zeigt, hinterlässtjedoch Fragezeichen.

6.4.4 Unzüchtige Reden

Wie ich in Abschnitt 6.3 erwähne, geben Vögeli und Merki an, dass sie durch Gesprächeüber das von ihnen später auch vollführte Verbrechen, auf die Idee zur Tat gekommensind. Ähnlich ist das Motiv, das Hess bereits bei seinem ersten Verhör in der Vogtei heranzieht. Wohl hat er nicht Reden über die Tat gelauscht, aber ein anderer Knabe hat ihmDinge erzählt, die für ihn Anlass zur Tat waren:

Er seye mit einem gewüssen buben in dass holtz gegangen, der ihme erzelt,dass ein mal ein Knab u. ein Meidli bey einanderen gewesen da habe dasMeidli gesagt rühred es mir an und ich will es dirs angreifen thu du mir esin mein Ding, da habe es beyde wohl gethann, dardurch seye er disseres zuunderfangen bewegt worden.

Überführt in den Wellenberg konkretisiert er das Gehörte und nennt den Namen desjenigen,der ihm die «unzüchtigen Reden» erzählt haben soll:

dass der Casperli Brenwald, (. . . ), als sein verwichenen Generalmusterungstagszu Meilen, mit einanderen in das Holz gegangen, ihne erzellet wie dass einKnab und ein Meidtlin bey einaderen gewesen, der Knab das Meidteli angeredtob es nicht sein ding behauen möcht er welte ihne dass seinige auch besichtigen,der auf das Meidtlin, mit dermelden er soll es ihme in sein ding thun mit jabeantwortet, da habe sich dass Meidtlin von grund seines bauchs gefreut. Einanderes Kind habe die Jüppen aufgehabt und der Mudter gesagt es wachsenihme Haar an dem bauch, darauf die Mudter versetzt es solle schweigen seyeso Godt will, hernach habe das Meidtlin dem schneider gesagt es wachsen

6.4 Was ihn solches vorzunehmen veranlasset? 87

ihme Godts will am bauch. Hierdrauf er veranlasset, dissers zu probieren,derohalben er dem Heinrichlin Hoffmeister an der Aufahrts nacht auf denBauch zu ligen gestossen, auf ihne gesessen und ihme sein Glid in dem S.V.Hinderen zu Stossen getrachtet

Hess zeigt sich als verleiteter, durch solches Gerede in Versuchung gebrachten Knaben.Er ist nicht von sich aus auf diese Idee gekommen, sondern nur durch die Reden desCaspar Brennwald. Der Rat ordnet auch die Befragung von Brennwald an, der zugibt, dieGeschichten dem Hess erzählt zu haben. Er selber habe sie von zwei Bauern gehört. Daer in dem Urteil nicht erwähnt ist, ist nicht davon auszugehen, dass das Weitererzählenvon unzüchtigen Reden eine Straftat war.

Eine ähnliche Rolle wie Caspar Brennwald spiel im Fall Franck David Lindinner. Wiebereits auf Seite 68 erwähnt, gab Ester Rüpschin, die Mutter von Franck an, dass Lindinnerdie Knaben verführt hätte. Im Gegensatz zu Brennwald, hatte Lindinner jedoch nicht nurGeschichten erzählt, wie Franck bei seinem Verhör am 11. November 1724 im Ötenbachangibt:

12.q. Ob er Frank nit den anlas zu diser Sach gemacht?Rx. Neine, sondern wie schon vermeldt der Schmidli, mit fehrnerem verdeüten,wollen es machen wie der Stier mit der Kuh, und hab er ihnne Schmidlinder Dövelin Lindinger(. . . ) allso zu thun gelehrt. Dann also er Schmid undLindingers um letsten Verena Tag da man auf der Allment (. . . ) beysammengewesen, seyen sie beyde unweit von ein anderen gewesen und einanderen beyeinem bach die glider gezeigt, jedoch niemahlen auf einanderen gelegen.

Franck beteuert, dass dies die Wahrheit sei, dass die Idee zur Tat von Schmidli kam, derwiederum von Lindinner verführt worden war, sie also eigentlich alle unschuldig waren.Auch zeigt er, dass er genau weiss, was ihnen droht, wenn sie tun, was Lindinner tat:«als der Schmidli obiges vom Dövelin Lindinner gesagt; er Franck zur antwort geben,müsste in den Ödtenbach, wenn er es so machen thete.» Die Knaben waren sich somitdurchaus bewusst, was sie tun und welche Folgen dies haben kann. Schmid und Lindinnerbestätigen die Aussage von Franck insofern, dass sie zugeben, einander angefasst zu haben.Die Unzucht mit dem Bethli sei jedoch von Franck ausgegangen. Die Ratsherren sahendies offenbar auch so, denn die strengste Strafe bekammen Franck und Lindinner, diebeiden Verführer, die anderen wurden alle leichter bestraft.

6.4.5 Verführung durch den Teufel

Bereits in Kapitel 5.1.1 auf Seite 53 zitierte ich den Verteidigungsversuch Vögelis: Derböse Geist in Gestalt eines Mannes habe ihn verführt. Auch wenn er diese Aussage sogleichrevidieren muss, und zugibt, dass ihm niemand erschienen sei, so bleibt Vögeli währenddes ganzen ersten Verhörs bei der Aussage, dass er von einem bösen Geist verführt worden

88 6 Selbstbilder

sei: «Er wüss es selbsten nicht mehr was ihmme der böse Geist in Sinn gegeben das erVögeli machen solle» antwortet er auf die Frage «Was er aber eigentlich in sinn gehabtgegen dem häübtlein viech zu thun?» Auch auf die Frage, ob er mit seinem Gleid dasTier berührt habe antwortet er: «Müsse bekennen dass er anfangs auf des bösen Geistseingaben ein Glust gehabt etwas böses gegen dem Küehli zu thun;» ebenso auf die Frage,ob er schon einmal so etwas getan habe: «diss das aller erste Mahl gewesen, das ihmme derböse Geist leider in Sinn geben solches zu thun.» Beim zweiten Verhör vier Tage später,welches leider nur als Zusammenfassung vorliegt, scheint der böse Geist keine Rolle mehrgespielt zu haben. Wie bereits erwähnt, gibt er hier Erzählungen über Bestiarier, unteranderem von seiner Mutter, als Auslöser für seine Tat an.

Warum er das Motiv, dass er von Satan verführt wurde – was ja auch sein Dorfpfarrerso schreibt – aufgibt und zu einem anderen wechselt, kann nicht gesagt werden. SeinemEndexamina vom 14. März 1727 ist zu entnehmen, dass er mit einem anderen Häftling,Heinrich zur Linden von Wiedikon, über seinen Fall gesprochen habe. Dieser soll gesagthaben: «er Vögeli komme um sein Leben, wenn er alles so er gethan bekenne». Dies nennter als Begründung, warum er nicht von Anfang an alle Taten zugabe, sondern erst, als ermerkte, dass er auch hingerichet wird, wenn er nicht alles bekennt. Es ist aber auch sehrgut möglich, dass ihm dieser zur Linden sagte, wie gefährlich die Begründung Verführungdurch den Teufel sein konnte. Kam der Verdacht auf, dass der Angeklagte mit dem Teufelim Bunde steht, konnte es auch zu einem Hexenprozess kommen. Auch wenn in Zürichinsgesammt ‹nur› 79 Personen wegen Hexerei hingerichtet worden waren, so war dasletzte Aufflackern des Hexenwahns, die sogenannten Wasterkinger Hexenprozesse 1701,noch nicht so lange her, dass sie den älteren Zürchern nicht mehr im Gedächtnis gewesenwären – vor allem, weil eine der Frauen bei lebendigem Leib verbrannt worden war, wasim 18. Jahrhundert, wie bereits erwähnt, nicht mehr üblich war.258 Ob Vögeli von einemMithäftling gewarnt wurde oder von sich aus das Motiv wechselte: Im ersten Verhör warer noch der arme Junge, der vom bösen Geist verführt worden war, im zweiten wurde erdurch die unzüchtigen Reden der anderen zu den Taten verleitet.

Wie zu Beginn dieses Kapitels gezeigt wurde, tauchen bei Hiltbrand mehrere Motive auf.Der gute, arme Junge, der von den Mädchen verachtet wird, weil er nichts hat und darumkeine sexuellen Erfahungen machen kann, aber sieht, wie die Tiere ihrer Lust nachgehendürfen. Dieses Bild des ersten Verhörs wird im zweiten durch das Motiv der Verführungdurch den Teufel ergänzt. Bereits im ersten Verhör antwortete er auf die Fragen, was ihnzur Tat veranlasst habe zuerst mit: «Er denk, er hab nit recht bedet, weil ihme an selbigernacht alzeit vom gelt gebrumet: dan er ein wullhemb und hosen kaufft, und nachgezimetwie ers zahlen können». Die Geldsorgen haben ihn vom ordentlichen Beten abgehalten, erhat den Glauben vernachlässigt, was ihn zur Sünde führte. Im zweiten Verhör ergänzt er:

dass an der Nacht wie ihme vom gelt geträumt vermeint es komme ein Mannstadtelecht bekleidt, der rede zu ihm er solle die thadt verrichten so wolle er

258Vgl. Sigg: Hexenprozesse mit Todesurteil, S. 227.

6.4 Was ihn solches vorzunehmen veranlasset? 89

ihm 50 Schillinge259 geben, dan er gfraget, ob es nit Sünd? Selbiger geantwortet,Nein es seye nit Sünd, schade nichts, solle es nur thun; so er leider am morgen,als er dem Vieh rev. fürgeben260 und die Studt s.v. Gestrigel, verrichten wollen,habe aber alzeit gezidtert, und von dem Meister verhindert worden.

Die Nachgänger fragen nach, ob ihm der Mann ein weiteres mal erschienen sei, was erverneint. Danach gehen sie nicht weiter darauf ein. Zum Glück für Hiltebrand, dennnach seiner Schilderung hat er sich vom Teufel verführen lassen, nur das Auftauchen desMeisters hat die Tat verhindert. Der Diakon der Leutpriesterei gab ihm ein gutes Zeugnis,so dass es zu keinen weiteren Befragungen oder Folterungen kam und er schlussendlichsehr mild bestraft wurde. Die Wasterkinger Prozesse blieben die letzten Hexenprozesse inZürich.

Bei Merki, der offenbar den Geistlichen gegenüber angab, dass er vom Teufel verführtworden sei261, ist in den Verhörakten keine entsprechende Aussage zu finden.

«[D]enke wol der leidige Sadtan hab es ihmme allso in Sinn gegeben» erklärt auchSudter im zweiten und dritten Verhör, als er gefragt wird, wo er «die Sachen glehrt undgesehen?». Erst nach der Tortur nennt er den Namen desjenigen, mit dem er das ersteMal Verkehr hatte - dieser ist in der Akte jedoch gestrichen. Dies zeigt, dass nicht nurJugendliche versuchten, sich mit einer Verführung durch den Teufel zu erklären. Auch derzweiundvierzigjährige Sudter versuchte diesen Weg.

259Im September 1703 kostete ein Brot 3 Schilling und 8 Haller. 50 Schillinge waren für einen Knecht,der nicht wusste wie seine Kleider zahlen, viel Geld. Vergleiche hierzu: Sarah Biäsch (Hrsg.): DieBeder-Chronik, S. 128

260Fürgeben kann unter anderem dem Vieh Futter in die Krippe stecken heissen.261Vergleich hierzu die Ausführungen auf Seite 65.

7 Schlusswort

Ich habe am Anfang dieser Arbeit erwartet zum Schluss zu kommen, dass sich dieSelbstbilder der jugendlichen Straftäter, die sie als Verteidigungsstrategien verwendeten,relativ ähnlich sind. Dies, weil ich davon ausging, dass sie wussten, wie welches Verbrechengeahndet wird bzw. wann ein Verbrechen die Todesstrafe nach sich zieht und wann nicht,und sie das Bild, dass sie von sich zeichneten, dementsprechend anpassten. Zudem nahmich an, dass sich diese Selbstbilder durch die Zuschreibungen von aussen veränderten undan die Fremdbilder angepasst wurden, und zum dritten erwartete ich, dass sich auch dieseFremdbilder gegenseitig beeinflussten.Im Folgenden gehe ich nun zuerst auf den zweiten und dritten Teil dieser These ein.

In einem zweiten Schritt betrachte ich die Gültigkeit des ersten Teils. Meine Ausführun-gen in dieser Arbeit haben gezeigt, dass die Gerichtsakten, so sachlich und knapp dieMehrheit der Schriftstücke auch verfasst ist, doch immer wieder Selbst- und Fremdbilderdurchschimmern lassen. Auffällig ist dies besonders im Fall Haagen, der von Anfang anvon Seiten der Obrigkeit und des Zeugen als Fremder, als Strolch und Landstreicherbezeichnet wird, ungeachtet der Lehrbriefe, die er mit sich zu führen behauptet. Haagenübernimmt dieses Fremdbild nicht. Er betont seinerseits immer wieder, dass das, was ertat, nur lustig gemeint war, in seinem Vaterland nur ein Spass sei. Damit zementiert eraber das Bild der Ratsherren. Er ist ein Fremder, mit fremden Sitten. Dadurch wird erzu einem Sonderfall, der sich von den anderen Fällen in meinem Sample abhebt.Aus den Fragen der Nachgänger lassen sich kaum Fremdbilder herausfiltern. Einzig

der Vorwurf gegenüber einigen Verdächtigen Lügner zu sein kann als Zuschreibung einesFremdbildes gesehen werden. Dieses Label Lügner wurde jedoch, wie ich auf Seite 53gezeigt habe, nicht von allen übernommen.In Bezug auf die Obrigkeit und die Geistlichen zeigen die Quellen, dass das Bild des

weinenden Jungen oftmals dahingehend interpretiert wird, dass dieser weint, weil ernichts Zusätzliches mehr gestehen kann, dass er gebrochen ist. Ein Gefühlsausbruch desVerhafteten ist durch diese Interpretation für den Rat oft der Auslöser, um das Urteilzu fällen bzw. das Datum für das Todesurteil festzulegen. Besonders gut zu erkennenist diese Interpretation im Brief von Hottinger vom 14. März 1727 zum Fall Vögeli, in

90

91

welchem er schreibt, dass dieser sein Geständnis «mit Worten und vilen Trähnen solcherdermassen bezeüget, dass man allerseits die Hoffnung gehabt er habe sein hertz völliglichgeraumt». Die Annahme, dass er alles zugegeben hat, wurde auf Grund der vielen Tränengetroffen.Die Ratsprotokolle lassen auf keinen einheitlichen Blick der Ratsherren auf die ju-

gendlichen Sexualstraftäter schliessen. In den Details der Beschlüsse lassen sich sehrunterschiedliche Bilder erkennen, die auch zu unterschiedlichen Behandlungen – nichtnur bei der Bestrafung, sondern auch bei der Befragung – geführt haben. Dies zeigt sichzum Beispiel in den sehr unterschiedlichen Verfahren von Spillmann und von Hiltebrand.Spillmann zeichnet zu Beginn des Prozesses von sich das Bild des unwissenden, unschul-digen Knaben: Er betont in den ersten drei Verhören immer wieder, nicht gewusst zuhaben, dass es Sünde sei und dass er die Tat nur versucht, aber nicht vollzogen habe. ImEndexamina sagt er, «sein bös hertzs und bös gemüth habe ihne zu solch unchrislicherSündenthadt verleithet». Er übernahm das Fremdbild der Obrigkeit und der Geistlichendes Grossmünsters und passte sein Selbstbild im Laufe des Prozesses an ihr Bild von ihman.Eine Einheitlichkeit in den Ratsprotokollen lässt sich bei den sehr jungen Straftätern

erkennen. Ihre Straftaten werden meist mit abgemilderten Bezeichnungen genannt undauch ihre Bestrafungen sind vergleichsweise mild. Sie lassen meist Hoffnung auf eineResozialisierung. Bei ihnen wurde oft nur eine Befragung in Zürich durchgeführt, so dassnicht gesagt werden kann, ob eine Übernahme des Fremdbildes stattgefunden hat. BeiHess war jedoch zu sehen, dass er vermutlich Ausdrücke aus der nicht überlieferten erstenBefragung durch die Meisterin übernommen hat. Eine Übernahme weiterer Aspekte ihresBildes von ihm ist nicht auszuschliessen.

Auch bei den Dorfpfarrern ist kein einheitliches Bild auszumachen: Einige Delinquenten,wie die Familie Maag-Morschin oder Vögeli, erhalten von ihrem Dorfpfarrer ein sehrschlechtes Zeugnis, andere, wie Schmid, Spillmann und Bär, ein gutes. Wie ich gezeigthabe, wird von ihnen teilweise sogar mit den gleichen, mehrdeutigen Worten ein sehrunterschiedliches Bild abgegeben.262 Doch nicht nur mit den gleichen Worten konntenunterschiedliche Bilder gemalt werden: Die Pfarrer Hartmann und Wolff geben beide an,dass ihr verhafteter Gemeindeangehöriger vom Teufel verführt worden sei. Die Schlüssedie sie daraus ziehen, sind jedoch sehr unterschiedliche.Die Berichte der Dorfpfarrer scheren wie die Ratsprotokolle nicht alle jugendlichen

Sexualstraftäter über einen Kamm. Die Berichte zum familiären Hintergrund, dem bisheri-gen Verhalten und dem Wissensstand in Religionssachen, wurden individuell recherchiertund angefertigt. Teilweise bezogen sie auch Äusserungen der Familie mit ein. Das derWissensstand in religiösen Belangen meist als gut oder genügend angegeben wird, hatmeiner Meinung nach auch mit Selbstschutz zu tun: Die Pfarrer sind verantwortlich fürdie Unterweisung in diesen Angelegenheiten, wäre bei den Delinquenten hier keine Bildung

262Vergleiche hierzu die Auszüge aus den Briefen von Fäsi und Lavater, Abbildung 5.2 und 5.3.

92 7 Schlusswort

vorhanden, wäre die Pfarrperson, die den Bericht verfasst, dafür verantwortlich. Da dieBriefe der Gemeindegeistlichen an die Ratsherren gerichtet waren, konnten die darinenthaltenen Fremdbilder von den Delinquenten nicht übernommen werden und in ihrSelbstbild einfliessen.Der Einfluss dieser Berichte auf die Entschiedung der Ratsherren war sehr gering. Je

nach Schwere der Tat scheinen sie nicht beachtet oder berücksichtigt worden zu sein. Sozum Beispiel im Fall Spillmann, bei welchem die Ratsherren die Streckfolter mit mehrGewicht anordneten, trotz des sehr guten Zeugnisses des Dorfpfarrers. Die Geistlichendes Grossmünsters waren dafür verantwortlich, bei den Delinquenten Erkenntnis überdie Schwere ihrer Sünde und Bereuung derselben herbei zu führen. Sie halfen dabei, dieVerhafteten zu einem Geständnis zu bewegen und bereiteten sie, falls notwendig, aufden Tod vor. Entsprechend enthalten ihre Angaben zu den Delinquenten hauptsächlichInformationen darüber, ob sie die Tat erkennen und bereuen und wie sie die Belehrungdurch die Geistlichen aufnehmen. Interessant ist hier der Hinweis bei Egg, dass dieserdie Unterweisung im Rahmen seines Alters und seiner Fähigkeiten gut aufnimmt. Müllerweist somit darauf hin, dass Jugendliche nicht den gleichen Wissensstand haben, und auchnicht haben können, wie Erwachsene. Die Angaben der Geistlichen des Grossmünsterssind sehr unterschiedlich. Eine Gleichförmigkeit ist auch hier nur insofern zu entdecken,dass alle zum gleichen Ziel gebracht werden sollten.Bezüglich der Arbeit der Geistlichen des Grossmünsters ist auffällig, dass sowohl

Spillmann als auch Vögeli in ihren Verhören angeben, ein Kind der Seligkeit werden zuwollen.263 Bei Stolz erwähnt Hottinger in seinem Schreiben vom 4. Juli 1725: «Er [Stolz]auch hoffet gnad zuerlangen, und ein Kind der Seligkeit zu werden». Drei der vier zum Todverurteilten Bestiarier benutzten dieselbe Formulierung. Der Begriff Kind der Seligkeitkommt in keinem Verhör vor und er wird nur von den Todeskandidaten verwendet, sodass anzunehmen ist, dass von den Geistlichen in Aussicht gestellt wurde, dass ein solchesKind der Seligkeit werden kann, wer alles gesteht, sein Herz gänzlich räumt und Reuezeigt. Dieses Label wurde von den Jugendlichen im Laufe des Prozesses übernommen.264

Die Zeugenbefragungen geben nur wenig Hinweise auf das Bild der Zeugen von demTäter bzw. der Täterin, dafür enthalten sie viele Hinweise auf das Selbstbild der Zeugen.Diese versuchten sich selbst in einem guten Licht darzustellen, zu zeigen, dass sie wissen,was richtig und falsch ist und dass sie einschreiten, wenn sie eine schwere Sünde sehen.Diese Selbstbilder haben meiner Ansicht nach auch damit zu tun, dass nicht nur zwischenAngeklagten und Nachgängern das Machtgefälle sehr gross war, sondern auch zwischenZeugen und Nachgängern, so dass diese eingeschüchtert waren, vielleicht Angst hattenselbst in die Mühlen der Justiz zu geraten. Einfluss von diesen Zeugenaussagen auf dieSelbstbilder der Jugendlichen ist kaum zu erkennen.263Spielmann im Endexamina vom 26. Oktober 1718, Vögeli im dritten Verhör vom 10. März 1727.264Im Verhör vom 24. Oktober 1718, nach seinem umfassenden Geständnis, spricht Spillmann davon,

ein Kind der Hälligkeit werden zu wollen. Ich gehe davon aus, dass hier auch das Kind der Seligkeitgemeint ist, jedoch er den Pfarrer oder der Schreiber ihn nicht richtig verstanden hat.

93

Zusammengefasst kann bezüglich des Einflusses der Fremdbilder auf die Selbstbilderder Delinquenten gesagt werden, dass solche durchaus zu erkennen sind und dieser Teilmeiner These für einen Teil der Fälle bestätigt werden kann. So passen Spillmann undVögeli ihr Selbstbild nach Gesprächen mit den Geistlichen an, übernehmen den Wunschein Kind der Seligkeit zu werden. Andere, wie Stolz und Merki, gestehen von Anfangan alles, was ihnen vorgeworfen wird. Unklar ist, ob sie dies auch bereits in der Vogteigetan haben, oder ob sie das ihnen dort vermittelte Fremdbild für die Verhöre in Zürichübernommen hatten. Bei beiden ist anzunehmen, dass sie wussten, welches Urteil sieerwartet – Merki sagt dies auch aus – und dass leugnen Folterungen nach sich ziehenkann. Beiden war somit klar, dass ein schnelles Geständnis einen schnelleren, wenigerschmerzvollen Prozess bedeutet. Da die Verhöre aus den Vogteien nicht überliefert sind,wissen wir nicht, ob sie Fremdbilder aus diesen für ihr Geständnis übernommen haben.In Bezug auf meine These kann bei diesen Fällen keine Aussage gemacht werden, wieauch bei denjenigen Fällen, wo nur ein Verhör vorliegt. Daher müsste das Quellensamplevergrösster werden, um zu sehen, ob der Einfluss der Fremdbilder auf die Selbstbilder nurin einem kleinen Teil der Fälle vorkam oder tatsächlich ein gängiger Vorgang war. AufGrund meiner Quellenbasis kann hierzu keine gesicherte Aussage gemacht werden.Um fundiertere Aussagen über die Fremdbilder treffen zu können, wäre auch die Aus-

weitung auf weitere Quellenbestände möglich. So wären in Hinsicht auf Sexualstraftäterdie Protokolle der Ehegerichte und der Stillstände interessant sowie die «Fürträge undBedenken der Geistlichkeit», die auch im Staatsarchiv Zürich überliefert sind. Im Rahmendieser Schriften äusserten sich Vertreter der Kirche von sich aus oder auf Anfrage desRates zum aktuellen politischen Geschehen und zu Gerichtsfällen. Laut Wilhelm Bal-tischweiler wurde 1727 gar festgelegt, dass in zweifelhaften Malefizfällen die Geistlichenmit einzubeziehen sind.265 Die in diesen Schriften übermittelten Bilder der Delinquentenund ihr Einfluss auf die Bilder der Ratsherren, an welche diese Schriften gerichtet waren,wäre eine spannende Ergänzung meiner Untersuchung.

Im ersten Teil meiner These ging ich davon aus, dass sich die Selbstbilder der jugend-lichen Straftäter, die sie als Verteidigungsstrategien verwendeten, relativ ähnlich sind.Ich glaube im Kapitel über die Selbstbilder, insbesondere in Abschnitt 6.4, gezeigt zuhaben, dass bei den Selbstbildern und Verteidigungsstrategien Motive erkennbar sind, dieimmer wieder verwendet wurden. Die meisten geben an, auf irgendeine Weise verführtworden zu sein: Durch Erzählungen von anderen, durch Alkohol, durch Handlungen, diesie gesehen haben, durch den Teufel. Dahinter steht immer die Aussage: «Ich bin eigentlichunschuldig, ich wurde verleitet».Auch wenn die meisten eine Straftat als Begründung für ihre Verhaftung angaben, so

habe ich im Abschnitt 6.2 auch gezeigt, dass durch die Art der Antwort oftmals versuchtwurde, das Bild des schamhaften, eigentlich braven und darum jetzt auch kooperativen

265Baltischweiler: Die Institutionen der Evangelisch-Reformierten Landeskirche des Kantons Zürich inihrer geschichtlichen Entwicklung, S. 109.

94 7 Schlusswort

Jungen zu zeichen. Zudem konnte ich in diesem Kapitel an zwei Fällen darlegen, dasversucht wurde, nur ein Teil der Tat zuzugeben, so dass sie kein Todesurteil nach sichgezogen hätte. Spillmann konnte an dieser Aussage mehrere Verhöre lang festhalten. Esist daher anzunehmen, dass die Jugendlichen gewusst haben, dass ein Todesurteil nurausgesprochen wird, wenn ein Samenerguss zugegeben wird.

Im darauf folgenden Abschnitt zeigte sich, dass ein Grossteil der Delinquenten versuchthatte, sich als unwissend darzustellen. Ob sie tatsächlich nicht gewusst hatten, dass sieeine Sünde begehen – was ich mir kaum vorstellen kann – oder ob dies die erste, einfachsteVerteidigungsstrategie war, welche die meisten anzuwenden versuchten, kann nicht gesagtwerden. Dies wussten letzten Endes nur sie. Für meine These kann aus dem letzten Kapitelüber die Selbstbilder das Fazit gezogen werden, dass die Annahmen, die ich zu Beginnder Arbeit getroffen habe, durchaus zutreffend sind.Solche Strategien sind sicherlich nicht nur bei Sexualdelikten zu erkennen, so dass

es sicher lohnenswert wäre der Frage nachzugehen, welche Strategien sich bei anderenDelikten finden, ob zum Teil die selben verwendet wurden oder wodurch sich die Motiveunterscheiden. Schliesslich hat sich bei der Befragung von Sudter gezeigt, dass er, dereinzige Erwachsene im Sample, zuerst jegliche Tat abstritt. Diese Verteidigungsstrategie istsonst bei keinem Delinquenten in meinem Sample zu sehen. Eine Erweiterung der Quellen-basis auf weitere erwachsene Straftäter, um zu sehen, ob sich ihre Strategien und Motivevon denjenigen der Jugendlichen unterscheiden, wäre auch ein Ansatz, der verfolgt werdenkönnte. Ein Vergleich der Selbstbilder von erwachsenen und jugendlichen Delinquentenwürde Aussagen darüber ermöglichen, was allgemein übliche Verteidigungsstrategienwaren und welche Begründung und Bilder nur von Jugendlichen verwendet wurden. Einesolche Untersuchung würde uns einen differenzierteren Blick in die Lebenswelten undSelbstbilder einer Gruppe geben, welche in der Forschung bislang wenig Beachtung fand.

Abbildungsverzeichnis

3.1 Anweisung des Rates an J. J. Hottinger, 19.10.1729. Foto: S. F. Matter . . 22

4.1 Auszug aus der Zeugenbefragung mit R. Lüti, 19.10.1718. Foto: S. F. Matter 344.2 Auszug aus dem Extract der Verhöre von H. C. Vögeli, 15.3.1727. Foto: S.

F. Matter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

5.1 Auszug aus dem Verhör mit P. Landis, 13.10.1729. Foto: S. F. Matter . . . 525.2 Auszug aus dem Brief von S. Fäsi, 22.3.1731. Foto: S. F. Matter . . . . . . 595.3 Auszug aus dem Brief von J. H. Lavater, 24.2.1730. Foto: S. F. Matter . . 605.4 Einleitung des Briefes von Pfarrer J. J. Hartmann zu H. Bär, 18.8.1735.

Foto: S. F. Matter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625.5 Auszug aus der Zeugenbefragung mit H. Meyer, 3.3.1727. Foto: S. F. Matter 67

6.1 Auszug aus dem Verhör mit J. Merki, 1.9.1727. Foto: S. F. Matter . . . . 746.2 Auszug aus dem Verhör mit H. Bär, 16.8.1735. Foto: S. F. Matter . . . . . 766.3 Auszug aus dem Verhör mit H. Egg, 1.7.1735. Foto: S. F. Matter . . . . . 776.4 Auszug aus dem Verhör mit H. Stolz, 2.7.1725. Foto: S. F. Matter . . . . . 85

95

Bibliographie

1 Ungedruckte Quellen

Bestialität und Sodomiterei. Staatsarchiv Zürich: A 10, 1561-1765.Blutschande. Staatsarchiv Zürich: A 11, 1579-1790.Kundschaften und Nachgänge. Staatsarchiv Zürich: A 27.122-144, 1700-1735.Ratsmanuale. Staatsarchiv Zürich: B II 668-810, 1700-1735.

2 Gedruckte Quellen

Bullinger, Heinrich: Bekanntnuss dess waaren Gloubens unnd einfalte Erlüterung derrächten allgemeinen Leer und Houptarticklen der reinen christlichen Religion, Zürich1566.

Emanuel Dejung und Willy Wuhrmann (Hrsg.): Zürcher Pfarrerbuch 1519-1952, Zürich1953.

Heidegger, Hans Conrad: Alt und neues Regenten-Kräntzlein, wie sich ein Regent undOberer im Regimenr und in seiner Regierung verhalten soll. Zentralbibliothek Zürich:6.224,3, Zürich 1733.

Johann Mayer (Hrsg.): Catechismus. Oder Christlicher Underricht / wie der in Kirchenund Schulen der Churfürstlichen Pfalz getrieben wird, Heydelberg 1563.

M. Spörri (Hrsg.): Verzeichnis der zürcherischen Land- und Obervögte 1391-1798, Zürich1943.

Mandat der Statt Zürich wider die Hurey und Ehebruch, unzeitigen Ehen, frühzeitigenBeyschläffe und andere Leichtfertigkeiten. Zentralbibliothek Zürich: 6.134,11, Zürich1668.

Matthias Senn (Hrsg.): Die Wickiana. Johann Jakob Wicks Nachrichtensammlung ausdem 16. Jahrhundert, Küsnacht-Zürich 1975.

Sarah Biäsch (Hrsg.): Die Beder-Chronik. Aufzeichungen einer Familie aus der ZürcherVorstadtgemeinde Enge über vier Generationen (1620-1772), Zürich 2014.

96

Darstellungen 97

Schott-Volm, Claudia: Orte der Schweizer Eidgenossenschaft. Bern und Zürich (Reperto-rium der Policeyordnungen der frühen Neuzeit 7), Frankfurt am Main 2006.

Staatsarchiv des Kanton Zürich (Hrsg.): Die Zürcher Ratslisten 1225-1798, Zürich 1962.

3 Darstellungen

Baltischweiler, Wilhelm: Die Institutionen der Evangelisch-Reformierten Landeskirchedes Kantons Zürich in ihrer geschichtlichen Entwicklung, Zürich 1904.

Becker, Howard S.: Aussenseiter. Zur Soziologie abweichenden Verhaltens, hrsg. v. MichaelDellwing, Wiesbaden 2014.

Behringer, Wolfgang: Gegenreformation als Generationenkonflikt oder: Verhörsprotokolleund andere administrative Quellen zur Mentalitätsgeschichte, in: Ego-Dokumente. An-näherung an den Menschen in der Geschichte, hrsg. v. Winfried Schulze (Selbstzeugnisseder Neuzeit 2), Berlin 1996, S. 275–293.

Crespo, Maria: Verwalten und Erziehen. Die Entwicklung des Zürcher Waisenhauses 1637-1837, Bd. 68 (Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich 165. Neujahrsblatt),Zürich 2001.

Dülmen, Richard van: Das Haus und seine Menschen 16.-18. Jahrhundert, Bd. 1 (Kulturund Alltag in der Frühen Neuzeit), München 1990.

Ders.: Dorf und Stadt 16.-18. Jahrhundert, Bd. 2 (Kultur und Alltag in der frühenNeuzeit), München 1992.

Gestrich, Andreas: Jugend, in: Enzyklopädie der Neuzeit, hrsg. v. Friedrich Jaeger imAuftrag des Kulturwissenschaftlichen Institut Essen, Bd. 6, Stuttgart 2007, S. 163–169.

Grebel, Hans Rudolf von: Kirche und Unterricht, in: Zürich im 18. Jahrhundert, hrsg. v.Hans Wysling, Zürich 1983, S. 111–129.

Greyerz, Kaspar von: Deutschschweizerische Selbstzeugnisse (1500-1800) als Quellen derMentalitätsgeschichte. Bericht über ein Forschungsprojekt, in: Das dargestellte Ich:Studien zu Selbstzeugnissen des späteren Mittelalters und der frühen Neuzeit, hrsg. v.Klaus Arnold, Sabine Schmolinsky und Urs Martin Zahnd, Bochum 1999, S. 147–163.

Gugerli, David: Zwischen Pfrund und Predigt. Die protestantische Pfarrfamilie auf derZürcher Landschaft im ausgehenden 18. Jahrhundert, Zürich 1988.

Gut, Franz: Die Übeltat und ihre Wahrheit. Straftäter und Strafverfolgung vom Spätmittel-alter bis zur neusten Zeit - ein Beitrag zur Winterthurer Rechtsgeschichte (Neujahrsblattder Stadtbibliothek Winterthur 326), Winterthur / Zürich 1995.

Guyer, Paul: Verfassungszustände der Stadt Zürich im 16., 17. und 18. Jahrhundert. Unterder Einwirkung der sozialen Umschichtung der Bevölkerung, Zürich 1943.

Heiligensetzer, Lorenz: Getreue Kirchendiener - gefährdete Pfarrherren. DeutschschweizerPrädikanten des 17. Jahrhunderts in ihren Lebensbeschreibungen, hrsg. v. Kaspar vonGreyerz u. a., Bd. 15 (Selbstzeugnisse der Neuzeit), Köln 2006.

98 Bibliographie

Jarzebowski, Claudia: Inzest. Verwandschaft und Sexualität im 18. Jahrhundert (L’HommeSchriften. Reihe zur Feministischen Geschichtswissenschaft 12), Köln, Weimar, Wien2006.

Krusenstjern, Benigna von: Buchhalter ihres Lebens. Über Selbstzeugnisse aus dem17. Jahrhundert, in: Das dargestellte Ich: Studien zu Selbstzeugnissen des späterenMittelalters und der frühen Neuzeit, hrsg. v. Klaus Arnold, Sabine Schmolinsky undUrs Martin Zahnd, Bochum 1999, S. 139–146.

Kunz, Erwin W.: Die Gemeindefreiheit im alten Zürich, Zürich 1948.Loetz, Francisca: Mit Gott handeln. Von den Zürcher Gotteslästerern der Frühen Neuzeit

zu einer Kulturgeschichte des Religiösen (Veröffentlichungen des Max-Planck-Institutsfür Geschichte 177), Göttingen 2002.

Dies.: Sexualisierte Gewalt 1500-1850. Plädoyer für eine historische Gewaltforschung(Campus Historische Studien 68), Frankfurt/New York 2012.

Oestreich, Gerhard: Policey und Prudentia civilis in der barocken Gesellschaft von Stadtund Staat, in: Strukturprobleme der frühen Neuzeit: Ausgewählte Aufsätze, hrsg. v.Brigitta Oestreich, Berlin 1980, S. 367–379.

Ders.: Strukturprobleme des europäischen Absolutismus, in: Geist und Gestalt des früh-modernen Staates: ausgewählte Aufsätze, Berlin 1969, S. 179–197.

Piller, Gudrun: Private Körper. Schreiben über den Körper in Selbstzeugnissen des 18.Jahrhunderts, in: Selbstzeugnisse in der Frühen Neuzeit, hrsg. v. Kaspar von Greyerz(Schriften des Historischen Kollegs: Kolloquien 68), München 2007, S. 45–60.

Dies.: Private Körper. Spuren des Leibes in Selbstzeugnissen des 18. Jahrhunderts, hrsg. v.Kaspar von Greyerz u. a., Bd. 17 (Selbstzeugnisse der Neuzeit), Köln 2007.

Roeck, Bernd: Aussenseiter, Randgruppen, Minderheiten. Fremde im Deutschland derfrühen Neuzeit (Kleine Vandenhoeck-Reihe 1568), Göttingen 1993.

Roper, Lyndal: Hexenwahn. Geschichte einer Verfolgung, München 2007.Ders.: Oedipus and the Devil. Witchcraft, sexuality and religion in early modern Europe,London / New York 1994.

Ruoff, Wilhelm Heinrich: Der Blut- oder Malefizrat in Zürich von 1400 bis 1798, Bd. 44(Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern 2. Heft), Bern 1958.

Ders.: Staat, Kirche und Strafrecht im Alten Zürich, in: Zürcher Taschenbuch auf dasJahr 1942, Zürich 1941, S. 65–90.

Sabean, David Warren: Soziale Distanzierungen. Ritualisierte Gestik in deutscher bü-rokratischer Prosa der Frühen Neuzeit, in: Historische Anthropologie 4 1996, S. 216–233.

Scheutz, Martin: Frühneuzeitliche Gerichtsakten als ”Ego”-Dokumente. Eine problemati-sche Zuschreibung am Beispiel der Gaminger Gerichtsakten aus dem 18. Jahrhundert,in: Vom Lebenslauf zur Biographie: Geschichte, Quellen und Probleme der historischenBiographik und Autorenbiographik, hrsg. v. Thomas Winkelbauer (Schriftenreihe desWaldviertler Heimatbundes 40), Horn 2000, S. 99–134.

Darstellungen 99

Schnabel-Schüle, Helga: Ego-Dokumente im frühneuzeitlichen Strafprozess, in: Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte, hrsg. v. Winfried Schulze(Selbstzeugnisse der Neuzeit 2), Berlin 1996, S. 295–317.

Schulze, Winfried: Ego-Dokumente: Annäherung an den Menschen in der Geschichte?Vorüberlegungen für die Tagung ”Ego-Dokumente”, in: Ego-Dokumente. Annäherung anden Menschen in der Geschichte, hrsg. v. Winfried Schulze (Selbstzeugnisse der Neuzeit2), Berlin 1996, S. 11–30.

Ders.: Gerhard Oestreichs Begriff ”Sozialdisziplinierung in der Frühen Neuzeit”, in: Zeit-schrift für historische Forschung, hrsg. v. Johannes Kunisch u. a., Bd. 14, Berlin 1987,S. 265–302.

Schwerhoff, Gerd: Historische Kriminalitätsforschung (Campus Historische Einführungen9), Frankfurt/New York 2011.

Ders.: Vertreibung als Strafe. Der Stadt- und Landesverweis im Ancien Régime, in:Ausweisung - Abschiebung - Vertreibung in Europa 16.-20. Jahrhundert, hrsg. v. SylviaHahn, Andrea Komlosy und Ilse Reiter (Querschnitte 20), Innsbruck, Wien, Bozen2006, S. 48–72.

Sigg, Otto: Hexenprozesse mit Todesurteil - Justizmorde der Zunftstadt Zürich. Vombösen Geist in Stadt und Land Zürich und im aargauischen Kelleramt. Dokumentationzu den 79 mit Todesurteil endenden sogenannten Hexenprozessen im Hoheitsgebiet derStadt Zürich 1487 - 1701. Frick 2012.

Speitkamp, Winfried: Jugend in der Neuzeit. Deutschland vom 16. bis zum 20. Jahrhundert,Göttingen 1998.

Vogt, Marianne: Johann Jacob Leu (1689-1768). Ein Zürcher Magistrat und Polyhistor,Bd. 47 (Mitteilungen der Antiquarischen Gesellscahft Zürich Heft 1), Zürich 1976.

Wettmann-Jungblut, Peter: Jugendkriminalität, in: Enzyklopädie der Neuzeit, hrsg. v.Friedrich Jaeger im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Institut Essen, Bd. 6, Stuttgart2007, S. 172–174.

Wettstein, Erich: Die Geschichte der Todesstrafe im Kanton Zürich, Winterthur 1958.Zürcher, Meret: Die Behandlung jugendlicher Delinquenten im alten Zürich (1400 - 1798),Winterthur 1960.

Sylvie Fee MatterLangfurren 338057 ZürichGeburt: 4. Oktober 1981Zivilstand: VerheiratetKinder: 1 Tochter

Lebenslauf

Ausbildung

2003 – 2015 Studium in Geschichte, Philosophie und Schweizer Geschichte undVerfassungskunde Universität Zürich

1998 – 2002 Gymnasium im musischen Profil Kantonsschule Wetzikon1995 – 1998 Sekundarschule Hinwil1994 – 1995 Realschule Hinwil1988 – 1994 Volksschule Hinwil

Berufstätigkeit

seit 2013 Inhaberin Einzelunternehmen Finklikönig Matter2011 – 2012 Mitarbeit in der Ausstellung «Pläne und Karten im Klosterarchiv

Einsiedeln» Einsiedeln2010 – 2013 Geschäftsführende Sekretärin Vereinigung akademischer Mittelbau der

Universität Zürich2006 – 2008 Verkäuferin Bäckerei Gnädinger, Zürich2003 – 2004 Promotorin Esprit Schweiz, Zürich2002 – 2003 Verkäuferin Konditorei Kirch, Zürich

Weitere Tätigkeiten

seit 2014 Kantonsrätin Kanton Zürich2013 – 2014 Gemeinderätin Stadt Zürich2012 – 2013 Vorstandsmitglied Studentische Wohngenossenschaft WOKO, Zürich2008 – 2009 Präsidentin Studierendenrat der Universität Zürich2005 – 2009 Mitglied Studierendenrat der Universität Zürich

100

Darstellungen 101

2004 – 2013 Vorstandsmitglied SP Kreis 62004 – 2009 Vorstandsmitglied SP Stadt Zürich2003 – 2005 Vorstandsmitglied Juso Stadt Zürich2001 – 2003 Vorstandsmitglied SP Kanton Zürich2000 – 2002 Präsidentin Juso Zürcher Oberland

Publikationen

Die Feuersbrunst von Nüziders, in: Von guten Taten und goldenen Bullen: Geschichtenaus Archiv und Musikbibliothek des Klosters Einsiedeln, hrsg. v. Andreas Kränzle,Andreas Meyerhans und Bettina Mosca-Rau, Einsiedeln 2012, S. 140f.