Widerstand und Widerstandsrecht

28
I. Widerstand im 21. Jahrhundert..................3 II. Wiederstand und Widerstandsrecht..............4 1. Grundsätzliche Fragen und Vorgehensweise................4 2. Definitionen der zentralen Begriffe.....................4 2.1. Der (politische) Widerstand...........................4 2.1.1. Herleitung.......................................... 5 2.1.2. Politisierung des Begriffs..........................5 2.2. Das Widerstandsrecht und seine Wurzeln................6 2.2.1 Konzeption im germanischen Recht.....................6 2.2.2. Ideengeschichtliche Wurzeln.........................7 3. Im Kontext des Widerstandes.............................7 3.1. Politischer Wesenskern: Bewahren oder Widerherstellen einer Ordnung.............................................. 8 3.2. Widerstandsrecht im Staat.............................8 3.3. „Unrichtiges Recht“ und Unrecht......................10 3.4. Widerstand und Gewalt................................12 3.6. Widerstand und Macht.................................13 3.5. Widerstandsrecht bei Thomas Hobbes...................13 4. Widerstandsrecht im Grundgesetz........................16 4.1. Widerstand im Artikel 20.............................16 4.2. Ursprung und Funktion................................17 III. Wandel und Relevanz.........................18 IV. Literaturverzeichnis.........................20

Transcript of Widerstand und Widerstandsrecht

I. Widerstand im 21. Jahrhundert..................3

II. Wiederstand und Widerstandsrecht..............4

1. Grundsätzliche Fragen und Vorgehensweise................4

2. Definitionen der zentralen Begriffe.....................4

2.1. Der (politische) Widerstand...........................42.1.1. Herleitung..........................................52.1.2. Politisierung des Begriffs..........................52.2. Das Widerstandsrecht und seine Wurzeln................62.2.1 Konzeption im germanischen Recht.....................62.2.2. Ideengeschichtliche Wurzeln.........................7

3. Im Kontext des Widerstandes.............................7

3.1. Politischer Wesenskern: Bewahren oder Widerherstellen einer Ordnung..............................................83.2. Widerstandsrecht im Staat.............................83.3. „Unrichtiges Recht“ und Unrecht......................103.4. Widerstand und Gewalt................................123.6. Widerstand und Macht.................................133.5. Widerstandsrecht bei Thomas Hobbes...................13

4. Widerstandsrecht im Grundgesetz........................16

4.1. Widerstand im Artikel 20.............................164.2. Ursprung und Funktion................................17

III. Wandel und Relevanz.........................18

IV. Literaturverzeichnis.........................20

I. Widerstand im 21. Jahrhundert

Am 17. Dezember 2010 zündete sich der tunesischer

Gemüsehändler Mohamed Bouazizi selbst an1. Diese Tat gilt als

Funke, der den Widerstand und die Revolutionen des

arabischen Frühlings entfachte 2 3. In den folgenden Monaten

leisteten vor allem junge Menschen in Lybien, Marokko,

Ägypten und anderen Staaten der arabischen Welt Widerstand

gegen Machthaber, Militär und ganze Systeme. Mit

unterschiedlichen Erfolgen kämpften sie gegen die

verkrusteten autoritären Strukturen und die ungerechten

Verhältnisse in ihren Heimatländern. Politikwissenschaftler

hatten bereits in den 1990er Jahren darüber geschrieben, wie

sich Wellen der Demokratisierung über die Landkarten

ausbreiten sollten. Sie waren für diesen Moment enttäuscht

worden. Erst jetzt hatte es in den Kreisen junger gebildeter

Menschen in der arabischen Welt begonnen zu brodeln. Sie

sahen keine Zukunft für sich und fanden, wie viele andere

1 http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/unruhen-im-maghreb-generation-ohne-luft-zum-atmen-1577601.html2 http://www.freitag.de/autoren/abid/es-begann-mit-mohamed-bouazizi3 http://www.time.com/time/magazine/article/0,9171,2044723,00.html3

vor ihnen, zu vergangenen Zeiten in entfernten Ländern nur

einen Ausweg: Widerstand. Die Form des Widerstands, die

Rolle des Internets und vieles mehr beschreiben eine neue

Geschichte. Aber im innersten Kern der Sache und im

Selbstverständnis der Widerstandskämpfer waren alte Muster

erkennbar: Widerstand gegen Willkür, Unterdrückung und

Ungerechtigkeit. Einstehen für Recht, Freiheit und Fairness.

Dieses aktuelle Beispiel soll hier exemplarisch für das

Leisten von Widerstand in unserer Zeit stehen. Zahlreiche

weitere Ereignisse aus Südamerika, Indien, Südafrika,

Deutschland und fast der ganzen Welt könnten ebenso

geschildert werden. Jedoch können alle diese Beispiele auch

in einem weiteren, ideengeschichtlichen Kontext gesehen

werden. Theorien von Widerstand und Widerstandsrecht sollen

nun in ihrem Wandel und ihrer Entwicklung betrachtet werden.

Ebenso sollen Begriffe wie Macht, Gewalt oder Recht im

Kontext diskutiert werden um ein möglichst ganzheitliches

Bild zu zeichnen.

II. Wiederstand und Widerstandsrecht

1. Grundsätzliche Fragen und Vorgehensweise

Ebenso alt wie die Idee des modernen Staates ist der Gedanke

gegen ihn Widerstand zu leisten. Diese beiden Ideen gehen4

geschichtlich gesehen oft Hand in Hand4. Das Widerstandsrecht

in Gesellschaftsverträgen und Verfassungen hat über die

Jahrhunderte verschiedene Phasen erlebt und Veränderungen

gemacht. Ebenso erging es dem Widerstand selbst, der sich in

seinen Formen stark wandelte, da er sich politischen

Systemen, Gesellschaften und unterschiedlichen historischen

Situationen anpassen musste. Nur einige Fragen blieben

gleich: Was geschieht, wenn ein Staat Unrecht an den eigenen

Bürgern begeht, die er doch eigentlich schützen sollte?

Dürfen Bürger sich dem Unrecht widersetzen? Was ist Unrecht?

Was ist Widerstand? Welche Rollen spielen Recht und Gesetz? Im

Folgenden soll versucht werden die Linien, die sich durch

die Ideengeschichte winden und die aufgeworfenen Fragen

miteinander verbinden, zu suchen.

2. Definitionen der zentralen Begriffe

Zunächst sollen die maßgebenden Begrifflichkeiten geklärt

und definiert werden. Diese Definitionen sollen

vorangestellt werden um später klare Grundlagen zu haben. Es

wird im späteren Verlauf deutlich werden, dass letztlich nur

eine Gesamtschau aller Begriffe, Ideen und Theorien ein

zufriedenstellend stimmiges Bild ergibt. Trotz des

inhaltlichen Wandels und der Fortentwicklung der Begriffe

4 Staatstheoretiker wie Hobbes, Locke und Rousseau befassten sichtrotz unterschiedlicher Ansichten mit der Idee, dass womöglichWiderstand gegen Staaten geleistet wird oder sogar werden muss.5

scheint es sinnvoll, eine fundierte Basis zu schaffen und

inhaltliche Verbindungen aufzuzeigen.

2.1. Der (politische) Widerstand

Da die Betrachtung des Widerstandsrechts und damit direkt

verbunden auch des Widerstands an sich hier zentrales Thema

seien soll scheint es nur konsequent diesen Begriff als

erstes herauszuarbeiten. Klar ist, dass der Widerstand in

Form und Ausprägung in den untersuchten Texten durchaus

andere Dimensionen aufweist. Die Darstellung des

Widerstandsrechts im Grundgesetz der BRD soll aus

didaktischen Gründen erst an späterer Stelle unternommen

werden. Dennoch soll nun eine erste Definition folgen:

2.1.1. Herleitung

Rein grammatikalisch handelt es sich bei Widerstand

schlichtweg um die substantivierte Form des Verbes

widerstehen. Der Widerstand hat an sich in diesem Moment

keineswegs einen aggressiven Charakter sondern beschreibt

nur das Beharren oder Bestehen auf einen fix gewählten Stand

gegen eine zweite Kraft. Ohne einen Gegenstand ist

Widerstand unmöglich5. Hieraus folgt, dass bei der abstrakten

Betrachtung des Widerstandes stets der Dualismus aus dem

Widerstand an sich und dem zweiten Stand, dem entgegen gewirkt

wird beachtet werden6.

5 Vgl. Wührer , Das Widerstandsrecht in den deutschen Verfassungennach 1945, S.27.6 Konkret ist hier nun das Verhältnis zw. Staat oder Souverän unddem Widerstand gemeint.6

2.1.2. Politisierung des Begriffs

Im politischen Sinne muss der Begriff des Widerstandes

konkreter gefasst werden. Hier bezeichnet Widerstand ein

„Verhalten, das sich gegen eine als bedrohlich und nicht

legitim empfundene Herrschaft richtet7“. Widerstand kann sich

gegen herrschende Personen, gegen Herrschaftsformen oder

gegen einzelne politische Maßnahmen richten8. Grundsätzlich

beschreibt der Begriff also das Ergreifen eines frei

gewählten Standpunktes, der nicht dem herrschenden oder

dominierenden entspricht, bzw. ihm sogar entgegensteht. Es

kann sogar sein, dass die Existenz des Widerstands ohne den

zweiten Stand gar nicht möglich ist, da er sich über dessen

Ablehnung definiert und formiert. Das Widerstehen selbst kann

sich nun aktiv oder passiv gestalten geht aber sicherlich

mit der Ablehnung oder Negation des meist herrschenden

Standpunktes einher. Ursprung und Ziel des Widerstandes sind

also gleichsam vom Gegenstand abhängig und werden durch

diesen bedingt.

„Das Wort Widerstand deckt ganz unterschiedliche Verhaltensweisenund Handlungsformen ab. Sie reichen von Alltagstugend über rechtlicherlaubten Protesthandlungen bis zu Verstößen gegen geltendes Recht.Sie umfassen den Boykott von Gesetzen aber auch gewaltsameHandlungen bis hin zum „Tyrannenmord“.9“

7 Schubert/Klein, Das Politiklexikon, S. 289.8 Vgl. ebd.9 Reuter, Zur ethischen Problematik des Widerstandsrechts, S. 2.7

Durch sein Wesen definiert also der Gegenstand auch direkt

das Wesen des Widerstands. Unter Umständen kann also zum

Beispiel das Gewaltpotential des Gegenstands die

Gewaltbereitschaft oder Gewalttätigkeit des Widerstands

beeinflussen. Der „Tyrannenmord“ kann selbstverständlich nur

an einem Tyrannen begangen werden, wobei der Boykott von

Gesetzen auch in einem demokratisch verfassten Staat möglich

ist. Unabhängig davon wie genau der Begriff ausgelegt und

verwendet wird, beschreibt Widerstand immer das Ende der

Folgebereitschaft gegenüber den Herrschenden und ihren

Gesetzten10, falls diese überhaupt je bestanden haben sollte.

2.2. Das Widerstandsrecht und seine Wurzeln

Der Begriff des Widerstandsrechts beschreibt formal die

rechtliche Legitimation zum und die Bedingungen unter denen

Widerstand geleistet werden kann. So kann es beispielsweise,

wie es später gezeigt werden wird positivrechtlich in einer

Verfassung verankert seien11. Nun sollen die allgemeinen

Ursprünge in Philosophie und Rechtstheorie aufgezeigt

werden.

2.2.1 Konzeption im germanischen Recht

Der Begriff des Widerstandsrechts lässt sich historisch

bereits in der germanischen Rechtspraxis verorten, wo es die

10 Ebd.11 Siehe hierzu die Ausführungen ab Seite 16 (Widerstandsrecht imGrundgesetz).8

Abwehr von Unrechtsherrschaften beschrieb12. Hier wird es aus

der Gefolgschaftsidee des germanischen Rechts abgeleitet13.

Zwischen Lehensherr und Lehensnehmer besteht ein

Treueverhältnis dass im Falle eines Bruchs von beiden Seiten

her aufgekündigt werden kann14. Selbiges galt nun analog für

das Verhältnis zu einem König. Durch willkürliche

Gewalttaten oder ähnliches kann ein Treueverhältnis durchaus

beschädigt werden.

2.2.2. Ideengeschichtliche Wurzeln

Insgesamt lassen sich ideengeschichtlich zwei Ideen als

Grundlage des Widerstandsrechts ausmachen15: Hierbei handelt

es sich zum einen um die Idee der Volkssouveränität. In

diesem, bereits im Mittelalter aufgebauten Konzept geht z.B.

ein Königtum aus dem Willen des Volkes hervor um einen Staat

seinem Zweck nach zu regieren16. Wenn der eingesetzte

Herrscher Vertragspartner des Gesellschaftsvertrages ist,

kann Widerstand gegen seine Herrschaft in dem Moment legitim

werden, in dem er den Vertrag bricht17. Ein die Verletzung

vertraglicher Pflichten könnte durch Unrechtsherrschaft oder

Willkür begründet sein. Unrechtmäßige Enteignungen oder

Gewalt gegen die Bürger könnten sodann als Grund und Anlass

gelten, gegen den Souverän und sein Handeln Widerstand zu12 Wolzendorff, Staatsrecht und Naturrecht in der Lehre desWiderstandsrechts des Volkes gegen rechtswidrige Ausübung derStaatsgewalt, S. 6 .13 Reuter, Zur ethischen Problematik des Widerstandsrechts, S. 5.14 Reuter, Zur ethischen Problematik des Widerstandsrechts, S. 5.15 Min, Gewissensfreiheit und Widerstandsrecht, S. 4.16 Ebd.17 Ebd.9

leisten. Entscheidend hierbei ist im Bezug auf die

Rechtmäßigkeit des Widerstandes aber die Frage, ob der

Souverän tatsächlich Vertragspartner oder nur Produkt des

Vertrages ist18. Ein Gesellschaftsvertrag bindet nur die

Vertragsparteien an seine Regeln und Bedingungen.

Eine weitere Wurzel des Widerstandsrechts stellt das

(rationale) Naturrecht dar. In diesem Zusammenhang kann der

Niederländer Hugo Grotius genannt werden, der auch das

moderne Völkerrecht prägte. Grotius machte das Naturrecht

zur Wurzel des Widerstandsrechts19. Hier wird das

Widerstandsrecht aus der Vernunft abgeleitet. Wenn hier

Handlungen oder Gesetze eines Herrschers die Schranken des

Naturrechts überschreiten sind sie als unverbindlich

anzusehen. Das Naturrecht gilt dann sowohl als Maßstab für

die Gültigkeit von Herrschaftsakten als auch als

Rechtsgrundlage des Widerstandsrechts20.

3. Im Kontext des Widerstandes

Verschiedene Begriffe sind direkt mit dem Widerstand

verbunden. Einige weil sie ihn bedingen oder auslösen,

andere weil sie mit ihm einhergehen oder aus ihm folgen.

Diese Begriffe wie Macht oder Unrecht sollen im Folgenden

18 Siehe hierzu die Ausführungen zu Thomas Hobbes. Wenn derSouverän nicht Vertragspartner ist, kann er durch keine HandlungVertragsbruch begehen.19 Scholler, Das Gewissen als Gestalt der Freiheit, S. 6.20 Vgl. Min, Gewissensfreiheit und Widerstandsrecht, S. 7.

10

untereinander und mit dem Widerstandsrecht in Verbindung

gebracht werden. Alle diese Begriffe und Themen schwirren

häufig nicht losgelöst im Raum umher sondern wurden von

Philosophen und Juristen in gesellschaftliche Debatten und

den wissenschaftlichen Diskurs eingebracht. Deshalb sollen

die Beiträge der entscheidenden Personen zur Thematik mit

illustriert werden.

3.1. Politischer Wesenskern: Bewahren oder Widerherstellen einer

Ordnung

Nun gilt es das politische Wesen des Widerstandsrechts zu

erschließen. Intuitiv könnte gemutmaßt werden, dass es sich

um ein liberales Recht handelt. Assoziationen sind Kritik,

Freiheitskampf und Revolution. Herrschaft die von Willkür

und Gewalt bestimmt wird soll beendet werden um wieder

Sicherheit herzustellen. Nun stößt man hier bereits aber

unter Umständen auf den tatsächlichen Wesenskern: Das

Widerstandsrecht weißt in seiner Denkweise durchaus

konservative Züge auf. Es ist ein „erhaltendes Notrecht“ und

zielt darauf ab eine Ordnung widerherzustellen21 oder zu

bewahren. Entweder wurde durch das Verhalten des Herrschers

die Rechtsordnung gebrochen oder es bemühen sich fremde

Kräfte darum die vorhandenen Regeln abzuschaffen und zu

ersetzten. Diese Vorgänge rückgängig zu machen oder zu

unterbinden entspricht absolut einer ursprünglichen,

konservativen Denkweise. Das geltende Recht zu schützen und

das System zu erhalten, auch Mittels Widerstand gegen die

21 Reuter, Zur ethischen Problematik des Widerstandsrechts, S. 5.11

Autorität, muss eigentlich konservativ genannt werden. Der

Bundesgerichtshof urteilte 1966 im Bezug auf das

Widerstandsrecht auch so, dass es sich sicherlich um ein

Mittel zur Widerherstellung der staatlichen Ordnung handle,

aber in einem konservierenden, nicht revolutionären Sinne22.

3.2. Widerstandsrecht im Staat

Die Frage, ob es ein Widerstandsrecht geben kann ist

maßgeblich davon abhängig, welche Auffassung des Staates der

Betrachtung zu Grunde liegt. So kann spannender Weise nicht

nur vom Staat auf das Widerstandsrecht sondern auch

konsequenter Weise im Umkehrschluss vom Widerstandsrecht auf

den Staat geschlossen werden:

„Von einem Widerstandsrecht – dem Recht eines Einzelnen oder einerGruppe, Widerstand gegen die Staatsgewalt zu leisten, sei es passivdadurch, daß einem Befehl nicht Folge geleistet wird, sei es aktivdadruch, daß der Gewalt mit Gewalt geantwortet wird, kann dann nichtgesprochen werden, wenn der Staat als der schlechthin gerechte Staataugefaßt wird. Jede Widerstandshandlung müßte unter dieserVoraussetzung als ungerechte Handlung qualifiziert werden. Wie könnteman sich auf ein Recht berufen, dem gerechten Willen des Staats unddamit der Gerechtigkeit zu widerstehen.23“

Die weitreichende Bedeutung dieser logischen Folgerung lässt

sich sehr anschaulich mit einem bekannten Beispiel aus der

Ideengeschichte verdeutlichen: Platon erklärte die22 Creidfels, Rechtswörterbuch, S. 1508., siehe hierzu auchGanseforth, S. 12 23 Schneider, Widerstandsrecht und Rechtsstaat, in: Kaufmann (Hg):Widerstandsrecht, S. 363.12

Herrschaft der Philosophenkönige zur besten Herrschaftsform.

Falls dieser Weg nicht eingeschlagen würde stand für ihn

fest, „... so wird es ... mit dem Elend kein Ende haben“24.

Da durch einen Philosophenkönig, der durch große Vernunft

und Weisheit ausgezeichnet ist, praktische direkt

„vernünftige Gerechtigkeit“ herrscht, scheint Widerstand

hiergegen fragwürdig. An diesem Punkt wird wieder der

Dualismus aus Gegenstand und Widerstand bedeutsam: Wenn der

Gegenstand, hier in Person des Philosophenkönigs, Vernunft

und Gerechtigkeit symbolisiert, was bleibt dann für den

Widerstand? Konsequent fortgedacht kann es sich beim

Widerstehen nicht um die Ausübung eines Rechtes handeln.

Unvernunft und Ungerechtigkeit sind vielmehr das einzige,

das einem gerechten Philosophenkönig entgegenstehen kann25.

So wird als in Platons Staat nicht nur die bloße Idee eines

Widerstandsrechts schon durch das System unsinnig, die

Ausübung scheint automatisch, völlig unabhängig von der

tatsächlich realen Situation, grundsätzlich gegen

Gerechtigkeit und Vernunft gerichtet. Das Widerstandsrecht

kann folglich nur in einem solchen Staat rechtlich

verwirklicht werden, in dem die Herrschenden nicht per se

die Rolle der Vernunft und Gerechtigkeit für sich

beanspruchen. Vielmehr verleiht das Widerstandsrecht dem

Bewusstsein und Ausdruck, dass stets die Gefahr besteht,

dass Herrschende die ihnen anvertraute Macht missbrauchen.

Eine rechtliche Grundlage für das Widerstehen zu schaffen

24 Zitiert aus 5. Buch der Politea, Kap. 18, S.294.25 Schneider: Widerstandsrecht und Rechtsstaat, in: Kaufmann (Hg):Widerstandsrecht, S. 36413

verdeutlicht dass gesunde Misstrauen in die Autorität und

steht als ultima ratio des mündigen Bürgers zur Verteidigung

seiner Freiheit und des Allgemeinwohls gegen einen eben

unvollkommenen Herrscher. Es ist absoluter Ausdruck kritischen

Denkens, der Volkssouveränität und Symbol erkämpfter

Freiheitsrechte.

3.3. „Unrichtiges Recht“ und Unrecht

Widerstand richtet sich also, wie bereits erläutert, stets

gegen etwas. Nun muss geklärt werden, wie Unrecht gegen das

sich gewehrt werden kann gefasst wird. Den Sinn und die

Berechtigung des Widerstandes gegen willkürliche Gewalt und

grobes Unrecht zu erkennen kann relativ einfach sein.

Schwieriger wird es, wenn das Unrecht sich in positiv

gesetzten und vielleicht sogar formell rechtmäßigen

Gesetzten manifestiert.

Aus der Perspektive des Rechtspositivismus ist dies

schwierig, da hier die Formel „Gesetz ist Gesetz“ gilt. Ein

überpositives Naturrecht, dem unter Umständen ein höherer

Rang in der Normenhyrarchie einzuräumen ist, ist undenkbar,

da es für den Rechtspositivismus keine rechtlich erhebliche

Erscheinung außerhalb der fixierten Normen gibt26. Der

Rechts- oder Gesetzespositivismus lässt schon formale

Kriterien der Rechtsetzung genügen27. Andersgesagt ist die

rechtliche Geltung eines Gesetzes schon dadurch erwiesen,

26 Wührer, Das Widerstandsrecht in den deutschen Verfassungen nach1945, S.1527 Vgl. Schubert/Klein, Das Politiklexikon, S. 248.14

dass es sich im Gesetzgebungsprozess durchsetzen konnte28.

Hier steht also die Rechtssicherheit im Vordergrund.

Materielle Anforderungen werden nicht gestellt, denn Gesetz ist

Gesetz. Einer der entschiedensten Gegner dieser Auffassung

ist wahrscheinlich der Jurist und Rechtsphilosoph Gustav

Radbruch29. Er kann wohl als strikter Verfechter des

Naturrechts begriffen werden. Seine Auffassungen zu der

behandelten Thematik lassen sich wohl bestens mit einem

seiner bekanntesten Zitate illustrieren. Es entstammt einem

Artikel Radbruchs der in der bereits 1946 in der

Süddeutschen Juristenzeitung veröffentlicht wurde und

beschreibt den Stellenwert, den er formell rechtmäßigem,

aber ungerechten und vor allem naturrechtswidrigen Gesetzen

einräumt:

„wo Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleichheit, die denKern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechtsbewußt verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht etwa nur „unrichtigesRecht“, vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur. Denn man kannRecht, garnicht anderes definieren denn als eine Ordnung oder Satzung,die ihrem Sinn nach bestimmt ist, der Gerechtigkeit zu dienen.30“

Wo der Rechtspositivismus also nur Anforderungen für das

Zustandekommen an ein Gesetzt stellt, verlangt der

Naturrechtler Radbruch also auch materielle Kriterien.28 Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, in:Kaufmann (Hg): Widerstandsrecht, S. 355.29 Gustav Radbruch (1878-1949) war u.a. Reichsjustizminister in der Weimarer Republikund beeinflusste die Rechtsphilosophie des 20. Jahrhunderts stark. Seine Theorienverloren nicht an Relevanz und beeinflussten rechtstheoretisch selbst noch die sog.Mauerschützenprozesse (1991-2004).30 Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht , in:Kaufmann (Hg): Widerstandsrecht, S. 35615

Radbruchs Konzept wird besonders im Zusammenhang mit der

nationalsozialistischen Gesetzgebung und des dadurch

verursachten Unrechts bedeutsam. Seine Definition von Recht

würde so zum Beispiel dem nationalsozialistischen

Reichbürgergesetz (RGB) und den davon ausgehenden

Verordnungen die Rechtsnatur verneinen, da hier in

krassester Weise Gleichheitsgrundsätze missachtet wurden.

Auf Grund der elften Verordnung zum RGB vom 25.11.1941

verloren Juden „mit der Verlegung des gewöhnlichen

Aufenthalts ins Ausland“ umgehend die deutsche

Staatsangehörigkeit31. Die Verordnung sah auch vor auf diesem

Wege zu enteignen:„Das Vermögen des Juden, der die deutsche

Staatsangehörigkeit auf Grund dieser Verordnung verliert,

verfällt mit dem Verlust der Staatsangehörigkeit dem Reich.

(…) Das verfallene Vermögen soll zur Förderung aller mit der

Lösung der Judenfrage im Zusammenhang stehenden Zwecke

dienen.32“ Diese Verordnung im Besonderen, wie das gesamte

RGB im Allgemeinen entbehren mit Radbruchs Worten jeder

Rechtsnatur. Gleiche, in diesem Fall Bürger des Deutschen

Reiches werden in äußerstem Maße ungleich behandelt. Diese

Ungleichheit ist zudem völlig beabsichtigt um

Ungerechtigkeit zu erzeugen. Hier sollte die Verordnung

ausschließlich dazu dienen Juden im Zuge der anstehenden

Deportationen zusätzlich noch um ihr Eigentum zu bringen.

Unabhängig vom Zustandekommen des Gesetztes und dem Erlassen

der Verordnung steht beidem auf Grund des materiellen

Inhalts nicht die Rechtsnatur zu.

31 RGB l. I 1941, S. 723.32 Ebd.16

3.4. Widerstand und Gewalt

Widerstand wendet sich oft gegen Willkür und Gewalt eines

Staates. Da die Gewalt aber gerade, das ist, was der

Widerstand beseitigen möchte, muss gefragt werden in wie

weit die Gewalt für die Widerständischen selbst ein

legitimes Mittel seien kann. Für den Philosophen Karl

Popper33 gibt es grundsätzlich nur zwei Momente, in denen er

Gewalteinwirkung für rechtmäßig hält. Beide stehen in

Verbindung mit dem Begriff des Widerstandes. Der erste

beschreibt klassischer Weise den bereits erwähnten

„Tyrannenmord“. Für Karl Popper ist dieser annehmbar, da „es

in einer Tyrannei vielleicht wirklich keine andere Möglichkeit gibt und daß eine

gewaltsame Revolution gerechtfertigt sein kann34.“ Gewalt, sogar im

Sinne eines Mordes kann also in der Tyrannei gerechtfertigt

sein wenn kein anderer Ausweg ersichtlich ist. Beachtlich

hierbei ist aber Poppers außerordentlich vorsichtige und

gewaltskeptische Formulierung, die die Tragweite der

Äußerung hervorhebt und die Stellung der Gewalt als ultima

ratio unterstreicht.

In nur einem weiteren Moment ist für Popper die

Gewaltanwendung ein gangbarer weg:

„Ich meine den Widerstand – nach Errichtung der Demokratie – gegenjeden Angriff (ob von innen oder von außen) auf die demokratischeVerfassung und auf die Verwendung demokratischer Methoden. Jederderartige Angriff – und insbesondere ein Angriff, der von der Regierunggeführt wird, die sich gerade an der Macht befindet, oder der von ihr

33 Sir Karl Raimund Popper (1902-1994) war ein britisch-österreichischer Philosoph undBegründer des kritischen Rationalismus.34 Popper: Die Offene Gesellschaft und ihre Feinde, Teil 2, S. 28417

geduldet wird – sollte von allen loyalen Bürgern, selbst unterAnwendung von Gewalt, zurückgewiesen werden.“

Hier wird also ein Vorgang in einer vormals funktionierenden

Demokratie beschrieben. Nach Popper müssen die Bürger keine

Angriffe auf „ihre“ Demokratie dulden. Für Popper muss diese

Gewalt aber einen defensiven Charakter haben. Er klagt

beispielweise Karl Marx an der mit einer „Gegentyrannei“ zu

drohen und hält dies für den gänzlich falschen Weg.35

3.6. Widerstand und Macht

Der französische Poststruktualist Michel Foucault36 fasste

Widerstand als Angriff auf Machtverhältnisse und

Herrschaftsformen auf. Auch er stellte den Befund, dass sich

Widerstand als Gegenpol mit der herrschenden Macht

wechselseitig bedingt. Bei Foucault stehen sich Macht und

Widerstand gegenüber: Der Macht steht grundsätzlich eine

potentielle Verweigerung oder eine Aufruhr entgegen37. Also

ist ein möglicher Widerstand stets präsent, sobald es

irgendeine Macht gibt. Jeder Regierung oder Herrschaft steht

für Foucault also ab dem Zeitpunkt der Einsetzung eine

gegensätzliche Kraft gegenüber. Für den Philosophen ist die

Heterogenität und Vielschichtigkeit des Widerstands von

entscheidender Bedeutung:

35 Popper: Die Offene Gesellschaft und ihre Feinde, Teil 2, S. 28536 Michel Foucault (1926-1984) war französischer Philosoph und gilt unter anderem alsBegründer der Diskursanalye37 Ruffing, Michel Foucault, S. 109.18

„Darum gibt es im Verhältnis zur Macht nicht den einen Ort der GroßenWeigerung - die Seele der Revolte, den Brennpunkt der Rebellionen, dasreine Gesetz des Revolutionärs. Sondern es gibt einzelne Widerstände.(…) Und wie der Staat auf der institutionellen Integration derMachtbeziehungen beruht, so kann die strategische Codierung derWiderstandspunkte zur Revolution führen.38“

Hier werden die Verbindungen zwischen Widerständen und

Machtbeziehungen sowie Staat und Revolution deutlich. Sie

definieren sich wieder durch die Abhängigkeiten voneinander.

Schließlich gilt somit im Rückschluss: „Wo kein Widerstand

mehr möglich ist, handelt es sich um keine Macht mehr.39“

3.5. Widerstandsrecht bei Thomas Hobbes

Abschließend soll in diesem Teil noch kurz das Recht auf

Widerstand bei Hobbes dargestellt werden. Dies scheint in

soweit sinnvoll, da Hobbes die moderne Staatstheorie wie

kaum ein zweiter prägte und daher auch wohl seine Ansichten

zum Widerstands relevant sind. Um den Begriff des

Widerstandsrechts im Kontext mit und Bezug auf Thomas

Hobbes40 diskutieren zu können ist es notwendig, das

Gesamtpanorama aus seiner Konstruktion des Naturzustands und

des Gesellschaftsvertrags zu berücksichtigen. Eben diese

Grundlagen seiner Staatsphilosophie formulierte Hobbes im

1642 erstmals erschienenen „De Cive“. Hierbei ist seine

besondere Anthropologie maßgebend, wonach er Menschen38 Foucault, Der Wille zum Wissen, S. 117.39 Ruffing, Michel Foucault, S. 109.40 Tomas Hobbes (1588-1679) war britischer Staatstheoretiker und Philosoph. Er gilt alseiner de bedeutendsten Vertragstheoretiker.19

vorerst als gleiche und vernunftbegabte Wesen darstellt41. In

ihren Handlungen und Verhaltensweisen beschreibt der

Staatstheoretiker sie jedoch als vornehmlich von ihren

Leidenschaften, Begierden und ihrem Egoismus geleitet42. Im

Bezug auf das zu behandelnde Thema ist Hobbes „Leviathan“43

einschlägiger. In Hobbes Naturzustand haben alle „ein Recht

auf alles“ und können ihre Bedürfnisse schrankenlos stillen,

da es in diesem vorstaatlichen Zustand keine gesetzlichen

Regeln für das Handeln geben kann. So stellt auch der Besitz

eines Dritten kein Hinderniss für die Befriedigung der

Bedürfnisse dar: Gehört ein ,,Gut" einem anderen Menschen,

kann das nicht störend sein, denn es ist im

Naturzustand ,,...jedem erlaubt zu tun, was er wollte und

gegen wen er es wollte, und alles in Besitz zu nehmen, zu

gebrauchen und zu genießen, was er wollte und konnte...44".

Hieraus entwickelt Hobbes das „Recht aller auf alles“, da im

Naturzustand jeder alles haben kann und tun darf."45

Um dem Naturzustand, in dem der Krieg aller gegen alle

herrscht, entkommen zu können muss ein Gesellschaftsvertrag

geschlossen werden. Dieses Entkommen erscheint auf Grund der

Vernunftbegabtheit möglich und ohnehin durchaus

erstrebenswert, da Hobbes das Leben in ihm als „einsam,

41 Hobbes, Vom Menschen Vom Bürger, S. 75 f.42 ebd.43 Hobbes staatstheoretische Schrift aus dem Jahr 1651 gilt alseines der bedeutendsten Werke der politischen Philosophieüberhaupt, dessen Titel sich an ein biblisches Seeungeheueranlehnt.44 Hobbes, Vom Menschen Vom Bürger, S. 82.45 ebd.20

armselig, ekelhaft, tierisch und kurz" beschreibt46. Durch

den Gesellschaftsvertrag treten alle ihre Rechte ab. Dieser

Akt des Verzichts aller, besonders auf das Recht auf alles,

diese ,,...wechselseitige Übertragung von Recht nennt man

Vertrag."47 Hobbes stellt als natürliches Gesetz den

Grundsatz auf: ,,Abgeschlossene Verträge sind zu halten48“.

Jeder schließt also einen Vertrag mit jedem, der zu halten

ist. Entscheidend ist hier nun, das Hobbes genau im Bezug

auf den Widerstand zwei Ausnahmen macht: In Kapitel 14 des

Leviathan weist er ausdrücklich darauf hin, dass es zwei

besondere Rechte gibt, die von jedweder Übertragung,

Abtretung oder Aufgabe ausgeschlossen sind.Erstens das Recht

auf Selbstverteidigung bei Gefahr durch Verletzung oder

Gefangenschaft. Zweitens das Recht auf Widerstand im Falle eines

Angriffs auf das eigene Leben.49 Auf diese grundlegenden

natürlichen Rechte kann sich ein Mensch also immer berufen.

Grundsätzlich treten die Bürger aber durch den erwähnten

Vertrag ihre Rechte ab und übertragen sie auf den Leviathan,

der durch den Gesellschaftsvertrag geschaffen wird. Er ist

nun alleiniger Träger der Staatsgewalt und hat somit das

Recht, diese frei zu gebrauchen. Gewaltenteilung ist

undenkbar. Er selbst ist aber nicht an die von ihm

erlassenen Gesetze gebunden.Allein dem Leviathan stehen die

Entscheidungen über Recht und Unrecht zu50. Trotzdem zeigen

sich hier partiell liberale Ansätze, da zu Beginn keine

46 Hobbes, Leviathan, S. 96.47 Ebd. S. 102.48 Ebd. S. 110.49 Hobbes, Leviathan, S. 101.50 Ebd. S. 255.21

Handlung der Bürger verboten ist. Oberstes Ziel des

Leviathan soll die Sorge sein für die Sicherheit und das

Wohl des gesamten Volkes zu sorgen.51 Dies scheint nur

konsequent, da der Vertrag ja genau zu diesem Zwecke

geschlossen und der Leviathan deshalb eingesetzt wurde.

Wichtig ist nun, dass er nur Produkt des

Gesellschaftsvertrages. Dieser Punkt ist im Bezug auf das

Widerstandsrecht besonders interessant. Der Leviathan selbst

kann keinen Vertragsbruch begehen, da er kein

Vertragspartner ist. Er kann auch keinen Gesetzesbruch

begehen oder dessen angezeigt werden52. Durch

Autorisierungsvorgang seitens der Individuen zu ergibt sich

das Recht des Leviathan die Untertanen zum Gehorsam zu

verpflichten53. Gehorsamsverweigerung, also auch Widerstand,

gegenüber dem Leviathan ist gleichbedeutend mit

Vertragsbruch mit den anderen Individuen. Durch den

Vertragsbruch fällt der Widerständische automatisch in den

Naturzustand zurück worauf ihn der Gesellschaftstrag nicht

mehr vor der Gewalt anderer schützt. Trotz des Einwilligens

in den Gesellschaftsvertrag kann ein Mensch nie das Recht

aufgeben, sein eigenes Leben zu schützen. Trotzdem schließt

diese, womöglich intuitive Schutzhandlung das Individuum aus

dem Vertrag mit den anderen aus. Auch wenn der Leviathan

willkürlich Gewalt anwendet, ja sogar wenn er mordet, bleibt

Widerstand gegen ihn stets gleichbedeutend mit Hochverrat.

51 Ebd. S. 264.52 Ebd. S. 13953 Dix, Lebensgefährdung und Verpflichtung bei Hobbes, S. 46.22

4. Widerstandsrecht im Grundgesetz

Schließlich soll nun noch ein Beispiel für ein positives

Widerstandsrecht in einer modernen Verfassung dargestellt

werden. Hier zeigen sich sowohl die Spuren der Geschichte,

ideengeschichtliche Wurzeln und eine moderne Normierung des

Rechts auf Widerstand.

4.1. Widerstand im Artikel 20

Laut Artikel 20 IV des Grundgesetzes (GG) der Bundesrepublik

Deutschland gibt es, unter besonderen Bedingungen, ein

Widerstandsrecht gegen jeden, der versucht die

verfassungsmäßige Ordnung abzuschaffen. Der Gesetzestext

lautet wörtlich:

„Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, habenalle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nichtmöglich ist.54“

Das Recht zum Widerstand des Art. 20 IV war nicht von Beginn

an Teil des Grundgesetzes sondern wurde erst 1968 vom

Gesetzgeber verfassungsrechtlich normiert55. Verschiedene

Länderverfassungen, wie die von Berlin (Art. 23 III), Bremen

(Art.19) und einige weitere sehen ähnliche Bestimmungen

vor56. Im Fall des Art. 20 IV des GG handelt es sich um sein

so genanntes „Deutschengrundrecht“. Diese stehen im

54 Art. 20 IV GG.55 Ganseforth, Das Widerstandsrecht im Art. 20 Abs. 4 im Systemdes Verfassungsschutzes, S. 11.56 Vgl. Creidfels, Rechtswörterbuch, S. 1508.23

Gegensatz zu den Menschenrechten oder „Jedermannsrechten“

(z.B. Art I) im GG. Nur wer Deutscher im Sinne des

Grundgesetztes ist kann sich also auf dieses

Widerstandsrecht berufen. Ausländer werden hier als explizit

ausgeschlossen, während Deutsche über den Artikel 116 des GG

eingegrenzt werden. Gleiches gilt z.B. auch für aktives und

passives Wahlrecht. Diese Analogie lässt sich durch den

Wortlaut des Art. 20 II erklären. Hiernach geht alle

Staatsgewalt vom Volke aus. Wahlen und Abstimmungen werden

im weiteren als Wege genannt, dem Willen der Bürger Ausdruck

zu verleihen. Das Volk ist also Souverän. Im Umkehrschluss

kann das Widerstandsrecht auch nur von Staatsbürgern

ausgeübt werden, nicht aber von Ausländern. Hier schließt

sich nun der Kreis zur ersten ideengeschichtlichen Wurzel

des Widerstandsrechts, der Volkssouveränität.

4.2. Ursprung und Funktion

Die Volkssouveränität ist in Art. 20 II GG legalisiert und

wird ebenso kanalisiert57. Sie ist somit als eine

Rechtssetzungsquelle in der Verfassung normiert und durch

den Wortlaut des Art. 20 III rechtlich gebunden58.

Der Gesetzestext enthält, im Gegensatz zur § 53 II StGB

(Notwehrrecht) keine Definition. Allerdings wurde der

Begriff des Widerstands aus dem Grundgesetz durch einige

gerichtliche Entscheidungen konkretisiert. 1961 kam der BGH

im Rahmen einer Entscheidung zu folgender Definition:

57 Vgl. Ganseforth, Das Widerstandsrecht im Art. 20 Abs. 4 imSystem des Verfassungsschutzes, S. 27.58 Ebd.24

„Ein gegen die bestehende Unrechtsherrschaft geleisteter Widerstandkann nur dann rechtmäßig und demgemäß eine diesen Widerstandahndende staatliche Maßnahme nur dann als Unrecht im Rechtssinneangesehen werden, wenn die Widerstandshandlung in ihrenBeweggründen, Zielsetzungen und Erfolgsaussichten als ein ernsthafterund sinnvoller Versuch gewertet werden kann, den bestehendenUnrechtszustand zu beseitigen und in Bezug auf dessen Übel eineallgemeine Wende zum Besseren herbeizuführen.59“

Hierbei steht nun also nicht mehr das Unrecht, dass

gegenüber einem einzelnen verübt wird im Fokus. Stattdessen

wird eine Verbesserung der Situation der Allgemeinheit als

Ergebnis gefordert. Klar ist, dass diese Entscheidung sich

nicht mit philosophischen Konstruktionen wie Naturzustand

und abstrakten Gesellschaftsverträgen beschäftigt, sondern

von den Erfahrungen aus dem sog. Dritten Reich geprägt ist.

Desweitern kann die Funktion des Art. 20 IV GG teilweise

eingegrenzt werden, da es für Handlungen wie Demonstrationen

oder Kriegsdienstverweigerung, Meinungsfreiheit u.a. eigene

Rechte gibt. Die Nutzung dieser Rechte beschreibt eine

verfassungsrechtliche Normallage und sind Bestandteil eines

geordneten Verhältnisses zwischen Staat und Bürger60.

Beachtlich und bedeutend für jede Interpretation ist hierbei

auch die Position im Gesetz: Das Recht auf Widerstand wurde

nicht den Menschen- und Bürgerrechten angehängt, sondern in

59 Urteil des IV. Senats des BGH vom 14.07.1961 (Az: IV ZR 71/61)in: NJW 1962, S. 195 f.60 Ganseforth, Das Widerstandsrecht im Art. 20 Abs. 4 im Systemdes Verfassungsschutzes, S. 11.25

Art. 20 – neben Staatszielbestimmungen und anderem – den

Grundprinzipen der Verfassungsstruktur zugeordnet61.

Das Recht auf Widerstand im Grundgesetz weicht in

Schutzfunktion und Rechtfertigung deutlich den

naturrechtlich, menschenrechtlich fundierten Überlegungen zu

einem überpositiv begründeten Recht ab, da ein

individualistischer Bezug der persönlich-existentiellen

Notwehr fehlt62. Dies lässt sich anhand einer Entscheidung

des BVerfG erläutern, in der die Ansicht zum Ausdruck kommt,

dass Widersetzlichkeit im Sinne der Wahrnehmung persönlicher

Interessen von Widerstand im politischen Sinne zu

unterscheiden ist63. Wie mit den Worten des BGH dargestellt,

muss eine Verbesserung für die Allgemeinheit im Fokus

stehen. Eine Verteidigung des eigenen Lebens kann, wie es

z.B. bei Hobbes möglich ist, nicht als politischer

Widerstand gewertet werden. Somit können derartige

Handlungen auch nicht mit der Schutzfunktion der Art. 20 IV

in Verbindung gebracht werden.

III. Wandel und Relevanz

Das Widerstandsrecht hat sich durch die Jahrhunderte – vom

germanischen Ständestaat über den abstrakten

Gesellschaftsvertrag bis in eine der modernsten Verfassungen

der heutigen Welt entwickelt. Aber es war von Beginn an61 Ebd., S. 13.62 Ebd.63 Ebd.26

präsent. Das Widerstandsrecht hat unzählige Facetten und

kennt vielfältige Argumentationsweisen. Obwohl wir gerade in

diesen Tagen sehen, wie Menschen in Syrien, Weißrussland

oder anderen Staaten Widerstand leisten, wirkt der Gedanke

dies selbst tuen zu müssen weit entfernt und abwegig.

Staatlich Institutionen kontrollieren sich gegenseitig,

werden von Medien und NGOs oder einfach von engagierten

Bürgern beobachtet. Die Mechanismen sind gut, vernünftig,

funktionell und demokratisch. Trotzdem sollte der Gedanke

vielleicht eines Tages Widerstand leisten zu müssen kein zu

abstrakter sein. Im 20. Jahrhundert wurde in Deutschland

gleich mehrmals Widerstand geleistet. Das Erinnern an diese

Ereignisse ist teil einer demokratischen Denkkultur

geworden. Wir können uns mehr als glücklich schätzen, nicht

in einer Situation zu seien, in der über Sinn und

Notwendigkeit eines Widerstands debattiert werden muss.

Trotzdem muss die grundsätzliche Bereitschaft eine

freiheitliche demokratische Grundordnung zu verteidigen ein

Gesprächsthema sein. Eine wehrhafte Demokratie basiert vor

allem auf einer klug konstruierten Verfassung. Trotzdem ist

es notwendig, dass diese Verfassung von mündigen Bürgern mit

Leben erfüllt wird. Liberale Demokratie und Rechtsstaat sind

nur dann stark und geschützt, wenn Demokraten in ihr leben.

Unabhängig von parteipolitischer Zugehörigkeit und

tagespolitischen Interessen sollte es gemeinsame

grundlegende Interessen und Anschauungen geben. Das

Widerstandsrecht, egal ob überpositiv erdacht oder in Art.

20 IV des GG normiert sind keine Gedankenspiele, sondern die

Lehrern aus den dunkelsten Stunden der Geschichte. Die27

Revolutionen des arabischen Frühlings sollten aufmerksam

machen und daran erinnern, dass das Ende der Geschichte noch

lang nicht geschrieben ist.

IV. Literaturverzeichnis

1. Übersetzte Primärliteratur:

- Foucault, Michel: „Der Wille zum Wissen“. Frankfurt am Main 1977.28

- Hobbes, Thomas: „Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen undbürgerlichen Staates“. Frankfurt am Main 2008

- Hobbes, Thomas: „Vom Mensch. Vom Bürger. Elemente der Philosophie II/III“.Hamburg 1956

- Platon: „5. Buch der Politea“. Zürich 1950.

2. Sekundärliteratur:

- Creidfelds Rechtswörterbuch, München 1997.- Dix, Bruno: „Lebensgefährdung und Verpflichtung bei Hobbes“ Diss.

Würzburg 1994.- Ganseforth, Heinrich: „Das Widerstandsrecht des Art. 20 Abs. 4

Grundgesetz im System des Verfassungsschutzes“. Frankfurt am Main 1971.- MIN, Young OK: „Gewissensfreiheit und Widerstandsrecht“, Diss.

Konstanz 1989.- Schneider, Peter: „Widerstandsrecht und Rechtsstaat“, in: Kaufmann,

Arthur: „Widerstandsrecht“. Darmstadt 1972.- Scholler, Heinz: „Das Gewissen als Gestalt der Freiheit: Das Gewissen als

Sinngestalt und Strukturprinzip im Verfassungsrecht“. München 1962.- Schubert, Klaus/Martina Klein: „Das Politiklexikon“. Bonn 2011.- Radbruch, Gustav: „Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht“ “,

in: Kaufmann, Arthur: „Widerstandsrecht“. Darmstadt 1972.- Ruffing Rainer: „Michel Foucault“. Paderborn 2008.- Wührer, Sophia: „Das Widerstandsrecht in den deutschen Verfassungen nach

1945“. Frankfurt am Main 1973.

3. Zeitschriften:

- Neue Juristische Wochenschrift, Heft 21/1962 vom 24.05.1962

4. Online:

- http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/unruhen-im-maghreb-generation-ohne-luft-zum-atmen-1577601.html, aufgerufen am 28.08.12.

- http://www.freitag.de/autoren/abid/es-begann-mit-mohamed-bouazizi, aufgerufen am 28.08.12.

- http://www.time.com/time/magazine/article/0,9171,2044723,00.html, aufgerufen am 28.08.12.

29