Von alten Kämpfern, sexy Wahlgirls und zornigen jungen Frauen. Überlegungen zur Beziehung von...

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Anna von der Goltz Von alten Kämpfern, sexy Wahlgirls und zornigen jungen Frauen Überlegungen zur Beziehung von Generationalität, Geschlecht und Populärkultur im gemäßigt-rechten Lager um 1968 Am . und . Mai traf sich eine Gruppe von einflussreichen CDU- Politikern in den Räumen der Karl-Arnold-Stiftung im Bonner Stadtteil Bad Godesberg, um das jährige Jubiläum der Studentenproteste von zu be- gehen. Die Anwesenden – unter ihnen Parteigrößen wie der Ministerialdirektor des Bundeskanzleramtes Horst Teltschik, Bundesgeschäftsführer Peter Radun- ski und der Regierende Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen – waren allesamt in den er und er Jahren an der Hochschule politisch aktiv gewesen und schickten sich nun an, ihre Deutung dessen, was gemeinhin unter der Chiffre »« gefasst wird, der Öffentlichkeit zu präsentieren. »Die alter- nativen ’er«, wie sie ihre eigene generationelle Gemeinschaft in Abgrenzung zu den linken ’ern titulierten, »waren Kämpfer gegen die radikale Linke und für eine grundlegende politische und personelle Reform der Union« gewesen, so formulierte es die Einladung. Die politische Auf bruchsstimmung der er Jahre sei bei ihnen vollends angekommen, sie hätten sich aber gegen die poli- tischen Exzesse der Linken vehement – und letztlich erfolgreich – zur Wehr gesetzt. Die Autorin dankt Bodo Mrozek, Eva-Maria Silies und Bernd Weisbrod für wichtige Anmerkungen und Hinweise zu diesem Text. Zu dieser symbolischen Verkürzung in globaler Perspektive: Timothy S. Brown, . Transnational and Global Perspectives, Version: ., in: Docupedia-Zeitgeschichte, . . , URL: http://docupedia.de/zg/?oldid=. Abgerufen am . . . Privatsammlung Rosorius, Einladungsschreiben »Die alternativen ’er: Was blieb von der APO Zeit?«. Ebd. Zu dieser Erinnerungsveranstaltung und dem generationellen Narrativ der »alter- nativen er« ausführlicher: Anna von der Goltz, Eine Gegen-Generation von »«? Politische Polarisierung und konservative Mobilisierung an westdeutschen Universitäten, in: Massimiliano Livi / Daniel Schmidt / Michael Sturm (Hg.), Die er Jahre – auch ein schwarzes Jahrzehnt? Politisierungs- und Mobilisierungsprozesse zwischen rechter Mitte und extremer Rechter in Italien und der Bundesrepublik -, Bielefeld , S. -.

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Anna von der Goltz

Von alten Kämpfern, sexy Wahlgirls und zornigen jungen Frauen

Überlegungen zur Beziehung von Generationalität, Geschlecht und Populärkultur im gemäßigt-rechten Lager um 1968 !

Am !". und !#. Mai !$%% traf sich eine Gruppe von einflussreichen CDU- Politikern in den Räumen der Karl-Arnold-Stiftung im Bonner Stadtteil Bad Godes berg, um das &'jährige Jubiläum der Studentenproteste von !$(% zu be-gehen. Die Anwesenden – unter ihnen Parteigrößen wie der Ministerialdirektor des Bundeskanzleramtes Horst Teltschik, Bundesgeschäftsführer Peter Radun-ski und der Regierende Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen – waren allesamt in den !$('er und !$)'er Jahren an der Hochschule politisch aktiv gewesen und schickten sich nun an, ihre Deutung dessen, was gemeinhin unter der Chiffre »!$(%« gefasst wird, der Öffentlichkeit zu präsentieren.& »Die alter-nativen ’(%er«, wie sie ihre eigene generationelle Gemeinschaft in Abgrenzung zu den linken ’(%ern titulierten, »waren Kämpfer gegen die radikale Linke und für eine grundlegende politische und personelle Reform der Union« gewesen, so formulierte es die Einladung.* Die politische Aufbruchsstimmung der !$('er Jahre sei bei ihnen vollends angekommen, sie hätten sich aber gegen die poli-tischen Exzesse der Linken vehement – und letztlich erfolgreich – zur Wehr gesetzt."

! Die Autorin dankt Bodo Mrozek, Eva-Maria Silies und Bernd Weisbrod für wichtige Anmerkungen und Hinweise zu diesem Text.

& Zu dieser symbolischen Verkürzung in globaler Perspektive: Timothy S. Brown, !$(%. Trans national and Global Perspectives, Version: !.', in: Docupedia-Zeitgeschichte, !!. (. &'!&, URL: http://docupedia.de/zg/!$(%?oldid=%"#%&. Abgerufen am !'. ". &'!".

* Privatsammlung Rosorius, Einladungsschreiben »Die alternativen ’(%er: Was blieb von der APO Zeit?«.

" Ebd. Zu dieser Erinnerungsveranstaltung und dem generationellen Narrativ der »alter-nativen (%er« ausführlicher: Anna von der Goltz, Eine Gegen-Generation von »!$(%«? Politische Polarisierung und konservative Mobilisierung an westdeutschen Universitäten, in: Massimiliano Livi / Daniel Schmidt / Michael Sturm (Hg.), Die !$)'er Jahre – auch ein schwarzes Jahrzehnt? Politisierungs- und Mobilisierungsprozesse zwischen rechter Mitte und extremer Rechter in Italien und der Bundesrepublik !$()-!$%&, Bielefeld &'!', S. )*-$'.

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Die Veranstalter hatten u. a. den Starfotografen der Bonner Republik, Jupp Darchinger, eingeladen, der ein Foto der selbsternannten »alternativen (%er« schoss. Es zeigt eine gutgelaunte Gruppe von Männern, die meisten zwischen "' und #' Jahre alt. Nur in der ersten Reihe erkennt man eine einzige Frau.# In der Tat sticht die starke männliche Überdeterminiertheit dieser Gruppe ins Auge, welche die Erfahrungen der doch recht zahlreich vorhandenen studen-tischen Aktivisten, die in den späten !$('er und frühen !$)'er Jahren im Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) oder in einer der neu gegründe-ten gemäßigt-rechten Sammlungsgruppierungen an den Universitäten (wie etwa der Deutschen Studentenunion, DSU) aktiv waren, seither am stärksten gene-rationalisiert hat.( Auch die Inszenierung einer spezifischen Form der heroi-schen Männlichkeit, die der medialen Darstellung und Selbstinszenierung lin-ker männlicher Aktivisten aus dieser Zeit ganz und gar nicht unähnlich ist, lässt sich an ihr recht gut beobachten.) Die politische Auseinandersetzung wird dort als »Kampf« erinnert und mit martialischen Phrasen und Begriffen wie »Wider-stand leisten« und »Durchhalten« umschrieben; manch einer betrachtete »!$(%« gar als sein persönliches »Stahlgewittererlebnis«.%

Diese Form der generationellen Selbstinszenierung lenkt den Blick vor allem auf den politischen Konflikt zwischen zwei gegensätzlichen Lagern. Nach der bekannten Systematisierung Karl Mannheims, der den Generationenbegriff in verschiedene Kategorien unterteilte, hat man es demnach bei den linken und rechten »(%ern« mit bipolaren, sich antagonistisch gegenüberstehenden »Gene-rations-Einheiten« zu tun, die dennoch Teil desselben Generationszusammen-hanges waren.$ Obwohl es auch bei den politischen Fragen dieser Zeit breitere Schnittmengen zwischen studentischen Aktivisten der Linken und gemäßigten Rechten gab (z. B. in Fragen der Hochschulreform oder der »Pressekonzentra-

# Siehe den Titel des RCDS Magazins (!$%%), Nr. #. Zu Darchinger, o. V., Das Auge von Bonn, in: Der Spiegel (!$$)), Nr. "(, S. #&-#*.

( So etwa bei Wulf Schönbohm, Die (%er: Politische Verirrungen und gesellschaftliche Ver änderungen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Jg. #% (&''%), B !"-!#, S. !(-*'. Zum Generation Building verschiedener Gruppen um !$(% in europäischer Perspektive: Anna von der Goltz (Hg.), Talkin’ ’Bout My Generation. Conflicts of »Generation Building« and Europe’s »!$(%«, Göttingen &'!!.

) Zur Inszenierung heroischer Männlichkeit unter linken Aktivisten: Sara M. Evans, Sons, Daughters, and Patriarchy. Gender and the !$(% Generation, in: The American His to ri-cal Review, vol. !!" (&''$), no. &, pp. **!-*").

% »Klassentreffen« einmal anders, in: RCDS Magazin (!$%%), Nr. #, S. %-!'.$ Karl Mannheim, Das Problem der Generationen, in: Kölner Vierteljahrshefte für Sozio-

logie, Jg. % (!$&%), S. *'$-**'; vgl. von der Goltz, Gegen-Generation. Für eine Anwen-dung des Mannheim’schen Modells auf amerikanische Studenten in den !$('er Jahren: Rebecca E. Klatch, A Generation Divided. The New Left, the New Right, and the !$('s, Berkeley !$$).

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tion«), als die schon bald einsetzenden Grabenkämpfe um die Erinnerung an »!$(%« suggerieren, spricht manches für den Erkenntniswert des Mannheim’schen Modells, zumindest so lange die Auseinandersetzung zwischen den (meist männ-lichen) Protagonisten konkurrierender politischer Hochschulgruppen im Fokus der Analyse steht. Obwohl auch zu den unterschiedlichen Politik entwürfen um !$(% und ihren langfristigen Auswirkungen auf die generationelle Identitätsbil-dung die Forschung mitnichten abgeschlossen ist, sollen in diesem Beitrag je-doch vor allem Geschlechterbilder und populärkulturelle Aspekte im Zentrum der empirischen Untersuchung stehen.!' Dies verspricht neue Erkenntnisse, da die Forschung zu den klassischen politischen Generationen – und dazu zählen

!' Zur neueren Forschung zur Rolle gemäßigt-rechter Gruppen um !$(%, siehe z. B. Axel Schildt, »Die Kräfte der Gegenreform sind auf breiter Front angetreten.« Zur konserva-tiven Tendenzwende in den siebziger Jahren, in: Archiv für Sozialgeschichte, Jg. "" (&''"), S. ""$-")%; Frank Bösch, Die Krise als Chance. Die Neuformierung der Christ-demokraten in den siebziger Jahren, in: Konrad Jarausch (Hg.), Das Ende der Zuver-sicht? Die Strukturkrise der !$)'er Jahre als zeithistorische Zäsur, Göttingen &''%, S. &%%-*'!; Livi / Schmidt / Sturm, !$)'er Jahre; Nikolai Wehrs, Protest der Professoren. Der »Bund Freiheit der Wissenschaft« in den !$)'er Jahren, Göttingen &'!"; zum trans-atlantischen Vergleich, Anna von der Goltz / Britta Waldschmidt-Nelson (eds.), Inven-ting the »Silent Majority«. Conservative Mobilization in Western Europe and the Uni-ted States in the !$('s and !$)'s, Cambridge &'!# (im Erscheinen).

Abb. 1: Titelblatt des RCDS Magazins: »Die alternativen 68er« RCDS Magazin, Nr. 5, 1988

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die »(%er« zweifellos – beide Perspektiven allzu oft ausblendet.!! So nimmt die Generationenforschung regelmäßig männlich überdeterminierte Formationen in den Blick und stellt meist diskursiv-politische Fragestellungen in den Vorder-grund ihrer Untersuchungen. Dieser Text versteht sich hingegen als Versuch, ein etabliertes generationelles Ordnungsmuster aus geschlechterhistorischer Perspek-tive zu hinterfragen und will außerdem an popgeschichtliche Fragestellungen anknüpfen, die in der Zeitgeschichte zuletzt verstärktes Interesse hervor gerufen haben.!& Dabei sollen weniger die vermeintlich »prägenden« geschmacklichen Präferenzen der »anderen« oder »alternativen (%er« im Mittelpunkt stehen (das historische Großereignis in der Analyse also lediglich durch den popkulturellen Stil ersetzt werden). Vielmehr wird im Sinne eines kulturgeschichtlich erweiter-ten Generationenbegriffs gefragt, welche Rolle Geschlechterperspektiven und alltagsästhetische Erfahrungen (vor allem Kleidungspraxen und Diskurse über Mode und Körperlichkeit) bei der generationellen Selbst- und Fremdthema-tisierung um !$(% im gemäßigt-rechten Lager spielten.!* Der erste Teil des Auf-satzes befasst sich mit Geschlechterbildern und dem Umgang mit der sexuellen Revolution sowie der neu aufkommenden Frauenbewegung unter studentischen Aktivisten des gemäßigt-rechten Lagers und zeigt auf, dass die Schnittmenge zur linken Bewegung hier wesentlich größer war, als die spätere »Widerstands«-

!! Dies ist vor allem in Hinsicht auf die Geschlechterperspektive schon häufig angemerkt worden: Christina Benninghaus, Das Geschlecht der Generation. Zum Zusammenhang von Generationalität und Männlichkeit um !$*', in: Ulrike Jureit / Michael Wildt (Hg.), Generationen. Zur Relevanz eines wissenschaftlichen Grundbegriffs, Hamburg &''#, S. !&)-!#%; spezifisch zu generationellen Deutungen von »!$(%« die Kritik von Maud Anne Bracke, One-dimensional conflict? Recent scholarship on !$(% and the Limita-tions of the Generation Concept«, in: Journal of Contemporary History, vol. ") (&'!&), no. *, pp. (*%-("(; sowie Julia Paulus / Eva-Maria Silies / Kerstin Wolff, Die Bundes-republik aus gechlechterhistorischer Perspektive, in: dies. (Hg.), Zeitgeschichte als Ge-schlechtergeschichte. Neue Perspektiven auf die Bundesrepublik, Frankfurt a. M. &'!&, S. !!-&). Zur Selbstthematisierung weiblicher Aktivistinnen siehe den Interview-Band von Ute Kätzel, Die (%erinnen. Porträt einer rebellischen Frauengeneration, Berlin &''&.

!& Detlef Siegfried, Time Is on My Side: Konsum und Politik in der westdeutschen Jugend-kultur der ('er Jahre, Göttingen &''(; Bodo Mrozek, Popgeschichte, Version: !.', in: Docupedia-Zeitgeschichte, (. #. &'!', URL: http://docupedia.de/zg / Popgeschichte?oldid =%"(#'. Abgerufen am !'. ". &'!"; Alexa Geisthövel / Bodo Mrozek (Hg.), Popgeschichte, Band !: Konzepte und Methoden, Bielefeld &'!".

!* Zum kulturgeschichtlich erweiterten Generationenbegriff vgl. Björn Bohnenkamp / Till Manning / Eva-Maria Silies (Hg.), Generation als Erzählung. Neue Perspektiven auf ein kulturelles Deutungsmuster, Göttingen &''$; Bernd Weisbrod, Generation und Gene-rationalität in der Neueren Geschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Jg. ## (&''#), B%, S. *-$; Ulrike Jureit, Generationenforschung, Göttingen &''(. Zur Populärkultur als alltagsästhetischer Erfahrung siehe Kaspar Maase, Die Erforschung des Schönen im Alltag, in: ders. (Hg.), Die Schönheiten des Populären. Ästhetische Erfahrung der Gegenwart, Frankfurt a. M. &''%, S. "&-#), S. "(.

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Rhetorik suggeriert. Der zweite Teil lenkt den Blick auf die ebenfalls wenig er-forschte intergenerationelle Auseinandersetzung innerhalb der Frauenbewegung, an der ältere Aktivistinnen aus dem konservativen Lager durchaus beteiligt waren und in der, wie hier aufgezeigt wird, ästhetische Erfahrungen und Wahr-nehmungen eine herausragende Rolle spielten. Beide Perspektiven – die intra- und intergenerationelle – eröffnen neue Blickwinkel auf gesellschaftliche Kon-fliktlagen und die breit gefächerten Protestbewegungen von »!$(%«.

1. Geschlechterbilder und sexuelle Revolution

Der allgemeine gesellschaftliche Aufbruch der !$('er Jahre, der, wie die neuere Forschung betont, weniger Resultat als vielmehr maßgebliche Voraussetzung für »!$(%« war, erfasste nicht nur die studentische Linke, sondern kam selbst-verständlich auch bei gemäßigt-rechten Studenten mit beträchtlicher Wucht an.!" Die dynamische Modernisierung der westdeutschen Gesellschaft hatte in breitem Ausmaß bereits um !$(' begonnen. Nicht zuletzt die veränderten Kon-sum- und Freizeitangebote führten zu einer tiefgreifenden Transformation von Mentalitäten und Verhaltensmustern, vor allem bei der Jugend.!# Die sich in den !$('er Jahren rapide wandelnden Geschlechterbilder schlugen sich auch unter gemäßigt-rechten Studenten nieder. Zwar stechen auf Fotos von Kandi-daten für die Studentenparlamente der späten !$('er Jahre meist Männer im dunklen Dreireiher oder Smoking ins Auge, aber es fällt ebenso auf, dass beson-ders aufwendig gestaltete Werbebroschüren offensiv mit neuen Geschlechter-bildern spielten: junge Männer in bewusst lockerer Haltung und junge Frauen mit kurzen (oder sehr langen) Haaren, im Minirock und in lasziven Posen fin-den sich in diesen zuhauf.

Gerade um Vorurteile über ihre vermeintliche Rückständigkeit unter der Studentenschaft abzubauen, waren Gruppierungen aus dem gemäßigt-rechten Spektrum bemüht, ihre »Modernität« unter Beweis zu stellen. Die Titelseite des

!" Christina von Hodenberg / Detlef Siegfried (Hg.), Wo »!$(%« liegt. Reform und Revolte in der Geschichte der Bundesrepublik, Göttingen &''(; Axel Schildt / Detlef Siegfried / Karl-Christian Lammers (Hg.), Dynamische Zeiten. Die ('er Jahre in den beiden deut-schen Gesellschaften, Hamburg &'''; Matthias Frese / Julia Paulus / Karl Teppe (Hg.), Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch. Die sechziger Jahre als Wendezeit der Bundesrepublik, Paderborn &''*.

!# Axel Schildt: Vor der Revolte. Die ('er Jahre, in: APuZ, Jg. #! (&''!), B-&&-&*, S. )-!*, S. !*; Stephan Malinowski / Alexander Sedlmaier, »!$(%« als Katalysator der Konsumge-sellschaft. Performative Regelverstöße, Kommerzielle Adaptionen und ihre gegenseitige Durchdringung, in: Geschichte und Gesellschaft, Jg. *& (&''(), Nr. &, S. &*%-&(), hier S. &#'.

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»Popkurier«, einer vielsagend benannten Zeitschrift der Bonner Studenten-union (BSU), einer Gruppe, die vor allem aus den zahlreichen Verbindungen und Korporationen in der Hauptstadt bestand und sich als »progressive Alter-native« zu linken Gruppen verkaufte, zierte beispielsweise das Bild einer jungen Frau mit Kurzhaarschnitt und Baskenmütze im Stile von Jean-Luc Godards Titelheldin Jean Seberg aus dem erfolgreichen Film »Außer Atem« (!$('). Im Mittelteil präsentierte sich ein &"-jähriger männlicher Kandidat in dezidiert entspannter Haltung auf dem Bauch liegend in einem weißem T-Shirt (damals ein noch recht neues Kleidungsstück aus den USA mit beträchtlichem symbo-lischem Kapital), in der einen Hand eine Zigarette, die andere zum »Peace-Zeichen« geformt.!( Selbst auf traditionellen Burschentagen waren Studenten mit Vollbart Ende der !$('er Jahre keine Seltenheit mehr, und die Haare der RCDS-Vorsitzenden in den !$)'er Jahren waren ebenfalls merklich länger als noch wenige Jahre zuvor.!)

!( Zum symbolischen Wert des T-Shirts in den !$('er Jahren, siehe: Peter Schneider, Re-bellion und Wahn. Mein ’(%, Köln &''%, S. !$; Zum »Popkurier«: Hoover Institution Archives (HIA), German Subject Collection (GSC), Popkurier, Wahlexpress, &%. !. !$($.

!) Joachim Neander, Die Burschenschaften wandeln sich, in: Burschenschaftliche Blätter Jg. %* (!$(%), Nr. !' /!!, S. &') f. Der RCDS Heidelberg warb !$)( in seiner Zeitschrift »Wahlen« gar mit dem Bildnis eines strubbeligen, vollbärtigen RCDS Studenten, Archiv für Christlich-Demokratische Politik (ACDP), '"-'*)-''( /". Lange Haare und T-Shirts

Abb. 2: »Sie müssen schon wissen, worum es geht …«Abbildung aus einer Wahlzeitung des RCDS Göttingen, 1968, Archiv für Christlich-Demokratische Politik, Bestand RCDS, 04-006-121 /4

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Allerdings waren es nicht in erster Linie solche Kennzeichen einer neuen Männlichkeit, sondern vor allem Bilder junger Frauen, an denen sich der Wan-del innerhalb des gemäßigt-rechten Lagers nachvollziehen lässt. An letzteren wird besonders deutlich, dass auch die nicht-linke Studentenschaft auf der so-genannten »Sexwelle« ritt, die Mitte der #$%&er Jahre vor allem in Form von Bildern femininer Nacktheit über die bundesdeutsche Öffentlichkeit rollte.#' Laut eines Berichts des Bundesministeriums für wissenschaftliche Forschung über die Studentenpresse zu Ende des Jahrzehnts bewegten sich vor allem Zei-tungen aus dem linken Spektrum »von der Aufmachung und dem Layout her zwischen der »Bild«-Zeitung, einem Sex-Magazin und einem Mickey-Mouse-Heft.«#$ Doch auch die Flugblätter und Zeitschriften der gemäßigt-rechten Sammlungsbewegungen und des RCDS waren in den späten #$%&er und frühen #$(&er Jahren voll von freizügigen Bildern und bewusst anzüglichen Botschaf-ten. Junge Frauen wurden dabei explizit als »sexy Wahlgirls« und »Bunnys« eingesetzt, um Unentschlossenen die andere Seite – sprich die Nicht-Linke – schmackhaft zu machen.)& So warb die Münchener Studentenunion (MSU) im Mai #$%$ mit dem Bild einer nackten jungen Frau mit zwei Zöpfen, die dem Betrachter den Rücken zudreht, versehen mit dem Slogan »Würde(n) Sie nicht auch die andere(n) Seite(n) reizen?«.)# In einer Broschüre des Frankfurter Akti-onskomitees Demokratischer Studenten, das sich anlässlich der Blockade der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität ebenfalls als »progressive, demokratische Alternative« gegründet hatte, räkelte sich im Herbst #$%' eine spärlich beklei-dete Blondine in aufgeknüpftem Herrenhemd und schwarzen Stiefeln.))

Eine Broschüre des RCDS an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universi-tät Bonn aus dem November #$%$ warb mit dem Konterfei der Schauspielerin

ließen sich im selben Zeitraum auch unter konservativen Studentenpolitikern Groß-britanniens und Frankreichs beobachten: Daniel Gordon, Liquidating May ’%'. Gene-rational Trajectories of the )&&( Presidential Elections, in: Modern and Contemporary France, vol. #% ()&&'), no. ), pp. #*!-#"$; Lawrence Black, #$%' and all That(cher). Cul-tures of Conservatism and the New Right in Britain, in: von der Goltz / Waldschmidt- Nelson, Inventing.

#' Zur »Sexwelle« siehe Dagmar Herzog, Sex after Fascism. Memory and Morality in Twentieth-century Germany, Princeton )&&", pp. #*#-#"*.

#$ Hubertus Monk, Vom Sex bis zum Sozialismus, in: Bundesarchiv Koblenz (BAK), B#!' /#&)($.

)& APO-Archiv (ArchAPO), RCDS, Ordner RCDS-Brief, Ideen der Kölner Aktion %(, in: RCDS-Brief (#$%'), Nr. %, o. S.; Kurt Holl / Claudia Glunz (Hg.), #$%' am Rhein. Satis-faction und ruhender Verkehr, Köln #$$', S. (!; weiterführend dazu: Olaf Bartz, Kon-servative Studenten und die Studentenbewegung. Die »Kölner Studenten-Union«, in: Westfälische Forschungen, Jg. *' (#$$'), S. )*#-)"%.

)# HIA, GSC, Box '", P. S.: Presse der Studenten, Jg. # ('. Mai #$%$), Nr. ).)) ACDP, * /% /%! /#, Kontrapunkt, Information Nr. ), Frankfurt, Oktober #$%'.

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Uschi Glas in Unterwäsche aus dem erfolgreichen Kinofilm »Zur Sache, Schätz-chen«.&* (Glas war dabei als Ikone der gemäßigten Rechten keine schlechte Wahl, denn sie sollte sich später als »andere (%erin« zu erkennen geben).&" Zwei Jahre später präsentierte der Bonner RCDS sogar diverse bar busige Frauen in aufreizenden Posen, darunter das lasziv blickende »Starlet Barbara von den Brocken«, in unmittelbarer Nähe zu klassischen Wahlfotos verschie dener stu-dentischer Kandidaten, wie etwa des damaligen RCDS-Bun desvorsitzenden und späteren Bundestagsabgeordneten, Gerd Langguth und des damaligen RCDS-Bundesgeschäftsführers und heutigen Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, Peter Hintze.&# Allerdings konnte eine bewusst »moderne« Auf-machung im Alltag durchaus zu nicht intendierten Wahrnehmungen führen, da sich dieses Etikett in der öffentlichen Perzeption schon früh mit dem Image der studentischen Linken vermischt hatte. »Die flugblattverteilenden Damen

&* ACDP, '! /*(# /'(% »Zur Sache«, Broschüre zur Wahl vom &".-&). !!. !$($.&" Uschi Glas, »In der Früh pünktlich ans Film-Set zu kommen und auch noch geduscht zu

sein, das war damals verpönt«, in: Süddeutsche Zeitung Magazin (&''%) Nr. %, URL: http:// sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/""$*/Uschi-Glas. Abgerufen am !'. ". &'!".

&# HIA, GSC, Box %#, Aktuell, &'. Januar !$)!. Detlef Stronk hatte in einem internen Rundschreiben bereits !$(% »erstklassige (!!!) Fotos« empfohlen und angeregt, »nicht am falschen Platz [zu] sparen, meinetwegen vor der Aufnahme pudern, damit man die Pi-ckel nicht sieht ….« ArchAPO, RCDS, Ordner RCDS-Brief, Einige Erfahrungen aus dem siegreichen Münchner Wahlkampf, RCDS-Brief (!$(%), Nr. (, o. S.

Abb. 3: »Pssst! Würde(n) Sie nicht auch die andere(n) Seite(n) reizen?«Abbildung vom Titelblatt der P. S. Presse der Studenten, Jg. 1, Nr. 2, 1969, German Subject Collection, Box 85, Hoover Institution Archives

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des RCDS sollten möglichst keine Miniröcke anziehen, weil sie sonst in Ver-dacht geraten zur APO zu gehören«, riet beispielsweise eine Aktivistin des RCDS Erlangen im Mai !$(% und fügte hinzu: »weshalb eigentlich, ist unklar«.&(

Die sexuelle Liberalisierung der !$('er Jahre machte sich im gemäßigt-rech-ten Lager aber auch in anderer Hinsicht bemerkbar, z. B. wenn die Berliner Studentenzeitschrift »Colloquium«, die sich sonst dezidiert nüchtern gab, ihren Lesern verschiedene pornografische Erzeugnisse des bundesdeutschen Zeitschrif-tenmarktes vorstellte, oder die RCDS-Zeitschrift CIVIS schon einige Jahre vor der großen Strafrechtsreform von !$($ /!$)* für die Reform des § !)# eintrat, der selbst einvernehmliche homosexuelle Akte zwischen erwachsenen Männern kriminalisierte. Die bereits erfolgte Dekriminalisierung in etlichen Staaten West- und Südeuropas habe gezeigt, dass die Warnungen der konservativen Sitten-wächter vor einem allgemeinen Werteverfall völlig unbegründet seien: »Die Ehen wurden nicht zerrüttet, die Streitkräfte nicht demoralisiert; als anste-

&( ACDP, " /( /!" /!, Helga Griesheimer, Ein unsachlicher Veranstaltungsbericht zum Mo-nat Mai (%, in: Forum-Aktuell. Eine junge Dame im Minirock findet sich dennoch an prominenter Stelle in einer Broschüre der MSU, in: Institut für Zeitgeschichte Mün-chen (IfZ), ED)*% /&*.

Abb. 4: »Let’s do it! Wählt MSU«Wahlzeitung der Münchener Studentenunion (MSU), 1968, IfZArch, ED 738-23

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ckend hat sich die Homosexualität nicht erwiesen, die Geburtenziffern sanken nicht. Die Jugend blieb ›normal‹«, kommentierte die Zeitschrift lakonisch.&)

Auch die Pille, die durch die Schering A. G. !$(! in der Bundesrepublik ein-geführt worden war, rief gemäßigt-rechte Aktivisten auf den Plan. So startete der &*-jährige Jürgen Rosorius, bundesweit bekannter Bonner RCDS-Vorsit-zender und Sprecher des Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) der Uni-versität Bonn, bereits im Oktober !$() eine großangelegte Aktion, um unver-heirateten Studentinnen das Verhütungsmittel zugänglich zu machen, das zu diesem Zeitpunkt noch äußerst schwer erhältlich war.&% Für die meisten Ärzte war für die Verschreibung der Pille Voraussetzung, dass die Frauen verheiratet waren und oft blieb deshalb nur der Zugang über den Schwarzmarkt. Diese restriktive Verschreibungspraxis basierte zwar nicht auf einer gesetzlichen Rege-lung, aber das Wissen um die Pille hatte sich in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit zunächst nur sehr langsam verbreitet und war von starken mora-lischen Diskursen begleitet gewesen. Die Norm der sexuellen Enthaltsamkeit vor der Ehe war vor allem für junge Menschen zwar längst nicht mehr tragbar, aber die ältere Generation berief sich zu ihrer Verteidigung dennoch auf sitt-liche Vorstellungen, was auch für viele der verschreibenden Ärzte ausschlag-gebend war.&$ Das von Rosorius geleitete Bonner Studentenparlament beschloss deshalb einstimmig, Adressen von Ärzten zu sammeln, die bereit waren, die Pille auch unverheirateten Studentinnen zu verschreiben. Ziel war es, »endlich das Tabu [zu] durchbrechen« und es diesen zu ermöglichen, ein Rezept zu er-halten, »ohne von Moralaposteln in weißen Kitteln Standpauken anhören zu müssen.«*' Ein vom AStA eingesetztes Komitee sollte die Anträge der Studen-tinnen vorprüfen, nach einer Konsultation mit dem AStA-Sozialreferenten wurden die Adressen dann herausgegeben.*! Da die Suche nach geeigneten

&) HIA, Folkmar Königs Collection, Box !, Bumsphallera: Cedric liest Sex-Groschen-Blät-ter, in: Colloquium, Juli !$)'; Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS), A-ZC-!#&!, Strafrechtsreform § !)#, in: CIVIS (!$((), Nr. !!. Zu Letzterem ausführlich Michael Kandora, Homosexualität und Sittengesetz, in: Ulrich Herbert (Hg.), Wandlungspro-zesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung !$"#-!$%', Göttingen &''&, S. *)$-"'!.

&% Privatsammlung Rosorius, AStA »verschreibt« Anti-Baby Pille. Studentenliebe ohne Reue, Zeitungsausschnitt, ". !'. !$().

&$ Anti-Baby-Pillen nur für Ehefrauen?, in: Der Spiegel (!$("), Nr. $, S. )$-%$. Zu dieser Debatte und den Auswirkungen der Pille auf die Protestbewegung der !$('er Jahre aus-führlich: Eva-Maria Silies, Liebe, Lust und Last. Die Pille als weibliche Generationser-fahrung in der Bundesrepublik !$('-!$%', Göttingen &'!', S. *"$-*)#.

*' Die Pillen von Bonn, in: Stern (!$()), Nr. "), S. &&& f.; Die Pille vom Zahnarzt, in: Constanze (!$()) Nr. "), S. %-$.

*! Privatsammlung Rosorius, AStA »verschreibt« Anti-Baby Pille. Studentenliebe ohne Reue, Zeitungsausschnitt, ". !'. !$().

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Ärzten in Bonn nur stockend voran ging, schaltete der Bonner AStA in der »Frankfurter Rundschau« eine Suchanzeige, was Rosorius ein breites Medien-echo bescherte.*& Ähnliche Aktionen wurden schon bald von anderen Studen-tenparlamenten initiiert. Im Juli !$(% startete dann auch die bekannte linke Zeitschrift »konkret« die Kampagne »Pille für jedes Mädchen«, die Vertrauens-ärzte auch an junge Nicht-Studentinnen zu vermitteln half.** Erst in diesen Jahren stieg die Zahl der Pillennutzerinnen in der Bundesrepublik rasant an.*" Sowohl der Minirock als auch die Pille müssen somit als gemeinsame genera-tionelle Objekte linker und gemäßigt-rechter Studenten in den späten !$('er Jahren verstanden werden.

2. Der Einfluss der »neuen« Frauenbewegung

Im Kontext des linken Protestmilieus formierten sich Ende der !$('er Jahre auch Frauengruppen, die ihre Energien zunächst aus der Kritik am »Chauvinis-mus« männlicher SDS-Aktivisten entwickelten, bald scharfe Kritik an der sexis-tischen Vermarktung des weiblichen Körpers übten und in den !$)'er Jahren in einer diversen, aber breiten sozialen Bewegung (der »neuen« Frauenbewegung) mündeten. Für manche Aktivistinnen aus dem gemäßigt-rechten Lager führten diese zu Berührungspunkten mit der Linken, die für ihre männlichen Mitstrei-ter nicht in derselben Form gegeben waren.*# Ursula Männle, Jahrgang !$"", etwa, !$(( /() Landesvorsitzende des bayerischen RCDS und damit bundesweit ranghöchste Frau innerhalb des studentischen Verbandes, teilte zwar die Über-zeugung ihrer männlichen Parteigenossen, gegen die studentische Linke in erster Linie »Widerstand« leisten zu müssen und betrachtet noch heute den politischen Konflikt dieser Jahre als wichtigen Schlüssel zu ihrer Biographie.*( Auf dem katho-lischen Mädchengymnasium der späteren CSU-Bundestags- und bayerischen

*& AStA sucht Anti-Baby-Pillen, in: Frankfurter Rundschau vom !*. !'. !$(), S. &"; Rezept frei Haus, in: Spiegel (!$()), Nr. "%, S. %"; vgl. Silies, Liebe, S. !() f.

** Ebd. S. !*(, !(# f.*" Während !$() nur !' Prozent der Frauen zwischen !# und "" die Pille nahmen, waren

es !$)& bereits *' Prozent. Detaillierte Zahlen zur Pillennutzung bei ebd., S. !'*.*# Zum Verhältnis zwischen »neuer« Frauenbewegung und Studentenbewegung: Evans,

Sons; zu den frühen Anfängen der Frauengruppen und der Vielfalt der Bewegung in den !$)'er Jahren außerdem Eva-Maria Silies, Ein, zwei, viele Bewegungen? Die Diversität der Neuen Frauenbewegung in den !$)'er Jahren in der Bundesrepublik, in: Cordia Baumann / Sebastian Gehrig / Nicholas Büchse (Hg.), Linksalternatives Milieu und Neue Soziale Bewegungen in den !$)'er Jahren, Heidelberg, &'!!, S. %)-!'(.

*( Interview der Verfasserin mit Ursula Männle in München am ". (. &'!*. Ursula Männle, Unkonventionelle Anmerkungen, in: Politische Studien, Jg. #$ (&''%), Nr. "&&, S. **-*#.

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Landtagsabgeordneten hatte politisches Engagement allerdings als »unweib-lich« gegolten, wogegen sie – wie auch viele linke Aktivistinnen ihres Alters – früh aufbegehrt hatte. Während des Studiums am Soziologischen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität in München, das stark von links dominiert war, wurde Männle dann zunehmend mit Fragen des gesellschaftlichen Wandels und der Situation von Frauen konfrontiert, was sich auch in ihrer Auseinander-setzung mit männlichen Parteikollegen zu spiegeln begann.*) Diese kritisierte sie beispielsweise, weil sie die äußerliche Attraktivität von Frauen als Voraus-setzung für deren Aufstieg in politische Ämter betrachteten. Ähnlich wie linke Feministinnen, die z. B. in Großbritannien und den USA die »Miss World« und »Miss America«-Wahlen boykottierten, gab sie zu bedenken, dass Abstimmun-gen zu weiblichen Vorstandsposten nichts anderes seien als Miss-Wahlen.*% Ein männlicher Kollege habe gar offeriert, man müsse sich die zur Wahl stehenden Frauen auch im Bett vorstellen können. Außerdem würden »körperliche Nach-teile […] abschätzig bei abendlichen Biertischdiskussionen herausgestellt (… die mit ihrem Hängebusen …). Hat eigentlich schon jemand die Frauen gefragt, ob ihnen die Ansammlung von mehr oder minder dicken Bäuchen, von Halbglatzen usw. gefällt?«, fragte Männle.*$

Als sich die verschiedenen Frauengruppen Anfang der !$)'er Jahre im Zuge der Kampagne zur Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs durch die Ab-schaffung des § &!% zu einer (mehr oder weniger) geschlossenen Frauenbewe-gung formierten, begann Männle jedoch, sich eindeutiger abzugrenzen."' Die linken Feministinnen seien »wahnsinnig aggressiv aufgetreten« und da »mochte man nicht mit identifiziert werden. [M]it dieser Übertriebenheit konnte man nicht mitmarschieren, aber sie haben einen Anstoß gegeben, dass man sich auch damit auseinandersetzte«, erinnert sie sich heute."!

Trotz der medial omnipräsenten »sexy Wahlgirls« erreichte die aufkommende Kritik an der Nutzung des weiblichen Körpers zu Vermarktungszwecken die

*) Elisabeth Zellmer, Protestieren und Polarisieren. Frauenbewegung und Feminismus der !$)'er Jahre in München, in: Paulus / Silies / Wolff, Zeitgeschichte, S. &%"-&$(.

*% Zum feministischen Boykott der Miss-Wahlen: Geoff Eley, Feminism. Regendering the Left, in: ders. (ed.), Forging Democracy. The History of the Left in Europe !%#'-&''', Oxford &''&, pp. *((-*%*.

*$ Ursula Männle, Weibchen oder Feigenblatt. Die Frau in der Politik, in: Wulf Schön-bohm / Matthias Wissmann (Hg.), Für eine humane Gesellschaft. Beiträge zum Pro-grammdenken der jungen Generation, Frankfurt a. M. !$)(, S. $).

"' Hierzu Kristina Schulz, Der lange Atem Der Provokation. Die Frauenbewegung in der Bun-desrepublik und in Frankreich, !$(%-!$)(, Frankfurt a. M. &''&; Silies, Bewegungen.

"! Interview, Ursula Männle. Zu linken Feministinnen als »Thematisierungsagentinnen« siehe Zellmer, Protestieren, S. &$#.

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Publikationen des RCDS schon recht früh. Ebenso begannen diese, die biolo-gische Lesart bestehender Geschlechterdifferenzen zu hinterfragen:"&

»Im klassischen Zirkelschlussverfahren benutzen konservative und reaktio-näre Familienideologien die Tatsache, dass die Frau heute noch weitgehend familienorientiert erzogen und bewertet wird, als Begründung dafür, dass die Frau eben ›von Natur aus‹ familienbezogen sei«,

bemerkte die Zeitschrift »Facts« bereits Anfang !$($. Die Haushalts-, Mode- und Freizeitindustrie stimme Frauen durch ihre monothematischen Publika-tionen auf ihr Los ein. »Die biedere Hausfrauenromantik früherer Zeiten erhält mit dem modisch und kosmetisch aufbereiteten Nasch- und Streichelweibchen nur eine konsumfreudigere Variante. […] Der Abbau autoritär-patriarcha lischer Strukturen zugunsten einer emanzipierten, frauengerechteren Rollenverteilung« sei »neben dem technologisch-wissenschaftlichen Fortschritt die wichtigste Herausforderung unserer Gesellschaft«."*

Selbst in den Zeitschriften der studentischen Verbindungen, die ja tradi-tionell reine Männerbünde waren, lassen sich Anfang der !$)'er Jahre Artikel finden, die das sich wandelnde weibliche Rollenverständnis thematisierten."" In den »Akademischen Blättern« etwa, der Zeitschrift des Verbandes der Vereine Deutscher Studenten, ein Korporationsverband mit ungefähr "' Mitgliedsver-bindungen, die ansonsten vorzugsweise über den Begriff der Nation diskutier-ten, an die Reichsgründung von !%)! erinnerten und ihre Titel mit Bildern vom Jagdschloss Grunewald oder dem geteilten Brandenburger Tor bestückten, war Anfang !$)& über »Die Stellung der Frau in der heutigen Gesellschaft« zu lesen. Die Frau eines Bundesbruders, eine Rechtsanwältin, beschrieb darin ausführ-lich die sich verändernde gesellschaftliche Stellung der Frau und deutete beste-hende Geschlechterrollen dabei nicht als naturgegeben, sondern als Produkte einer bestimmten Form der Sozialisation. Zwar beruhigte sie ihre männliche Leserschaft mit den Worten, die Emanzipation werde zu Unrecht für den Ver-lust männlicher Ritterlichkeit und weiblichen Charmes verantwortlich gemacht.

"& Zu dieser Themensetzung der »neuen« Frauenbewegung, Ingrid Biermann, Von Diffe-renz zur Gleichheit. Frauenbewegung und Inklusionspolitiken im !$. und &'. Jahrhun-dert, Bielefeld &''$, S. !!#.

"* HIS, Sammlung Studentenbewegung, Studentische Verbände, RCDS, Hausfrau und Mutter, Stereotypen der Weiblichkeit. Gedanken zur Emanzipation und Diskriminie-rung, in: Facts, &'. !. !$($, S. ".

"" In einigen nichtschlagenden Verbindungen wurde in den !$('er Jahren über die Auf-nahme von Frauen eingehend diskutiert. Dazu und zum Männlichkeitsideal der studen-tischen Verbindungen in der Nachkriegszeit allgemein, Dietrich Heither, Verbündete Männer. Die Deutsche Burschenschaft. Weltanschauung, Politik und Brauchtum, Köln &''!, S. &)(-*&&.

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Sie lasse sich immer noch »gern in den Mantel helfen, obwohl ich das gut allein schaffe.«"# Auch seien »[i]n einer zunehmend verwirrenden und verwirrten Welt […] die Funktionen als Ehefrau und Mutter wichtiger den je.« Dennoch berichtete sie über neue Formen des Zusammenlebens unter »Studenten-ehepaaren, wo Vater und Mutter umschichtig Haushaltspflichten und Kinder-hüten übernehmen« und thematisierte die Probleme der Frau, »sich selbst zu verwirklichen«. In expliziter Anlehnung an das konstruktivistische Geschlech-terverständnis der einflussreichen französischen Feministin Simone de Beauvoir erklärte sie, man komme nicht als Frau zur Welt, man werde erst dazu ge-macht."( »Das fängt schon beim Spielzeug an: Puppen für die kleine Eva, Autos für die richtigen Jungen. […] So werden Mädchen schon in allerfrühester Zeit auf das gelenkt, was angeblich zu ihnen passt. Sie müssen lieb sein, hübsch und häuslich.« Die Werbespots im Fernsehen und die Illustrierten täten ihr Übriges, »die Mode mit ihrem Diktat flüstert ihr zu: so musst du dich kleiden, um mo-dern zu sein.«") Zum Abschluss rief sie die Männer dazu auf, sich verstärkt für die volle Gleichberechtigung der Frau einzusetzen. Auch wenn die radikale Be-freiungsrhetorik der feministischen Linken hier keineswegs restlos übernom-men wurde und die studentische Kritik an sexistischen Vermarktungspraktiken die CDU nicht etwa davon abhalten sollte, !$)( mit Bildern lasziv in die Ka-mera blickender Blondinen in den Bundestagswahlkampf zu ziehen, zeigen solche Schriften dennoch, dass die bestehenden Geschlechterrollen um !$(% auch im gemäßigt-rechten Lager einem tiefgreifenden Wandel ausgesetzt waren."%

3. Intergenerationelle Konflikte innerhalb der Frauenbewegung

Während ein Teil der spezifischen Themensetzung der sich entwickelnden »neuen« Frauenbewegung – etwa der individualisierte Emanzipationsbegriff, das Verständnis von Geschlechterdifferenzen als sozial tradiert, die Kritik an der sexistischen Vermarktung des weiblichen Körpers – bei jungen Frauen aus dem gemäßigt-rechten Lager also durchaus ankam, bedeutete diese für ältere konser-vative Aktivistinnen eine große Herausforderung. Zwar wird die Geschichte der deutschen Frauenbewegung gern unter Rückgriff auf die Wellenmetapher als

"# Barbara Langhoff, Die Stellung der Frau in der heutigen Gesellschaft, in: Akademische Blätter, Jg. )" (!$)&), Nr. !, S. %-!'.

"( Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau, Hamburg !$#!.") Langhoff, Stellung."% HIA, GSC, Box %#, »Den Linken jetzt die rote Karte« und »Komm aus Deiner linken

Ecke«, in: Es geht um jede Stimme. Die Werbemittel für den Wahlkampf, hrsg. von der CDU, !$)(, S. !'.

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Geschichte homogener, in großen zeitlichen Abständen aufeinander folgender Bewegungen erzählt."$ Der »Tomatenwurf« Sigrid Rügers auf der SDS-Dele-giertenkonferenz vom September !$(% und die von Alice Schwarzer !$)! im Stern initiierte Aktion »Ich habe abgetrieben!« fungieren dabei alternativ als Gründungsmythen der »zweiten« Frauenbewegung, nachdem die »erste« angeb-lich durch den Nationalsozialismus vollends zum Erliegen gekommen war.#' Allerdings war schon die »erste« Frauenbewegung nicht nur politisch tief ge-spalten gewesen, besonders der bürgerliche Flügel hatte auch starke Ausläufer in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit hinterlassen, was in den !$('er und !$)'er Jahren zu politischen Friktionen und intergenerationellen Konflikten zwischen »alt« und »neu« bewegten Aktivistinnen führte. Im Anschluss soll diese bislang nur wenig erforschte Konfliktkonstellation, die sich nicht zuletzt aus alltagsästhetischen Wahrnehmungen und Differenzen speiste, anhand eines Einzelfalls näher beleuchtet werden.

Gabriele Strecker (!$'"-!$%*) war eine der profiliertesten Kommentato-rinnen von Frauenfragen im konservativen Lager in den ersten Nachkriegsjahr-zehnten. Die promovierte Medizinerin aus Hessen hatte den Arztberuf nach Kriegsende aufgegeben, um sich einer Karriere als Journalistin und Politikerin zu widmen. Die Tatsache, dass sie durch die NS-Zeit als nicht belastet galt, er-möglichte ihr die Mitwirkung am Aufbau des Hessischen Rundfunks, wo sie von !$"$ bis !$(& den Frauenfunk leitete. Ihr Weg hatte die Katholikin !$"% »geradlinig in die CDU« geführt;#! Strecker wurde Mitglied des hessischen Lan-desvorstandes und erlangte !$#" ein Landtagsmandat. Auch dem Bundesvor-stand der Partei gehörte sie in den !$#'er und !$('er Jahren an. Nach !$"# war Strecker zudem in verschiedenen Frauenorganisationen aktiv. Sie war unter anderem Vorsitzende der CDU-Frauenvereinigung Hessen und beteiligte sich am Aufbau des !$"$ gegründeten Deutschen Frauenrings, eines überpartei-lichen Zusammenschlusses verschiedener Vereine, die bestrebt waren, an die

"$ Vgl. Kerstin Wolff, Ein Traditionsbruch? Warum sich die autonome Frauenbewegung als geschichtslos erlebte, in: Paulus / Silies/dies., Zeitgeschichte, S. &#)-&)#, hier S. &#%-&#$.

#' Wie weit flog die Tomate? Eine (%erinnen-Gala der Reflexion, hrsg. von der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Feministischen Institut, Berlin !$$$; Alice Schwarzer, Lebens-lauf, Köln &'!!. Zur Dekonstruktion dieser Gründungsmythen, Miriam Gebhardt, Alice im Niemandsland. Wie die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor, München &'!&; Wolff, Traditionsbruch. Zwar wurde die Geschichtslosigkeit der »neuen« Frauenbewe-gung in der Bundesrepublik besonders stark propagiert, aber auch im internationalen Vergleich wird deutlich, dass ähnliche Gründungsmythen in vielen Ländern um !$(% entstanden, siehe Evans, ‚Sons.

#! Gabriele Strecker, Überleben ist nicht genug. Frauen !$"#-!$#', Freiburg im Breisgau !$%!, S. %".

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Traditionen der bürgerlichen Frauenbewegung von vor !$** anzuknüpfen. Auch zu einigen noch lebenden Größen dieses Teils der alten Frauenbewegung, wie etwa Agnes von Zahn-Harnack, Gertrud Bäumer und Marianne Weber, pflegte sie Kontakt.#&

Für Strecker, einer Angehörigen der »Kriegsjugendgeneration«, bot die un-mittelbare Nachkriegszeit eine einmalige Chance. Zwar war sie zu diesem Zeit-punkt bereits Anfang vierzig, aber sie deutete die Zeit nach !$"# dennoch als Schlüsselmoment ihres politischen Lebens. Die »Stunde Null« war eine »Stunde der Erlösung vom Nazi-Druck, die Stunde der Hoffnung und des Neubeginns, auch des Vorsatzes, unbedingt am kommenden demokratischen Staatswesen mitzuarbeiten,« schrieb sie in ihren !$%! erschienenen Memoiren.#* Obwohl die Mitglieder der »Kriegsjugendgeneration« nach !$** in der nationalsozialis-tischen Führungsschicht überrepräsentiert gewesen waren, sah Strecker sich – sowie den Großteil der weiblichen Bevölkerung überhaupt – als Opfer der NS-Herrschaft.#" Das »Dritte Reich« sei ein »Männerstaat« gewesen und die Frauen hätten sich »nur unter Druck […] der männlichen Organisationswut« gefügt.## !$"# seien demnach »einzig die Frauen noch seelisch intakt« gewesen.#( »Die Chance der Stunde Null wurde […] emotional gefühlt und von einem tatkräf-tigen Frauengeschlecht in Aktivität verwandelt.«#)

Nicht zuletzt da sie rein demographisch in der Überzahl waren, schulterten die Frauen demnach den Löwenanteil am demokratischen Aufbau. Die Frau sei die »Rangordnerin aller Werte«, ihr komme außerdem eine zentrale Stellung bei der Kindererziehung zu, argumentierte sie bei einem Vortrag vor der rheinland-pfälzischen CDU !$(#. Doch Strecker wollte die »moderne Frau« – anders als viele ihrer männlichen konservativen Kollegen – nicht auf den häuslichen Be-reich beschränken, sondern setzte sich nachhaltig für weibliches Engagement in der Politik ein.#% Die Frau sollte es dem Mann in mancher Hinsicht gleich tun,

#& Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung (AddF), NLP! /"M'), Marlene Lenz, »Nachruf auf Gabriele Strecker«, o. D., o. S. Strecker, Überleben, S. #%-("; zu diesen personellen Verflechtungen: Ute Frevert, Women in German History. From Bourgeois Emancipation to Sexual Liberation, Oxford, Washington !$$', S. &$!.

#* Strecker, Überleben, S. !!.#" Ulrich Herbert, Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und

Vernunft !$'*-!$%$, Bonn !$$(, S. "&-"#; Michael Wildt, Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg &''&.

## Strecker, Überleben, S. #* f. Dies war ein gängiger Topos unter bürgerlich-gemäßigten Aktivistinnen dieser Zeit, vgl. Wolff, Traditionsbruch, S. &(). Das NS-Regime war selbst-verständlich kein »Männerstaat«, und es gab überaus viele NS-Täterinnen. Dazu: Wendy Lower, Hitler’s Furies. German Women in the Nazi Killing Fields, Boston &'!*.

#( Strecker, Überleben, S. ##.#) Ebd., S. #%.#% AddF, NLP/)M'), Die Frau in der modernen Gesellschaft, o. D. [!$(#].

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ihm dabei jedoch keinesfalls gleich werden, denn wichtigstes Anliegen war Strecker, dass die Frau ihr »Frauentum« bewahrte.#$ Sie stellte sich damit klar in die Tradition des Differenzfeminismus des bürgerlich-gemäßigten Flügels der deutschen Frauenbewegung, der von der »weiblichen Eigenart« als Leitbild aus-ging. In Abgrenzung zum sozialistischen Flügel betrachteten die »Gemäßigten« die Geschlechter als »komplementär verschiedene Gattungen der Menschheit«, die als »gleichwertig, aber nicht gleichartig« zu verstehen seien.(' »Weiblichkeit« wurde somit als eine den Frauen eigene Qualität verstanden, aus der sich eine positive Begründung für ihre stärkere Inklusion ins öffentliche Leben ableitete.

Strecker hatte sich !$(& von den meisten politischen Ämtern zurückgezogen und widmete nun einen Großteil ihrer regen publizistischen Tätigkeit der Kommentierung der weitreichenden gesellschaftlichen und kulturellen Verän-derungen der !$('er und !$)'er Jahre. Streckers Schriften nahmen dabei oft populärkulturelle Phänomene in den Blick, insbesondere die Veränderung der Mode. Die von Zeitgenossen diagnostizierte »Unruhe« der !$('er Jahre war für sie vor allem eine alltagsästhetische Erfahrung.(! Strecker monierte das Ver-schwinden feststehender, geschlechterspezifischer Kleiderordnungen und attes-tierte besonders jungen Frauen eine Neigung zum modischen Extrem.(& Die damenhafte Eleganz von einst, die in der »inneren Haltung, in der Disziplin zum Essen, in einem heiteren Gemüt und in der leisen Diskretion der Frau, die sich von Extremen fernhält« gelegen habe, sei nunmehr abgelöst worden von einem »Zeitalter der Uneleganz«, das »wahre Orgien des schlechten Ge-schmacks« bereit halte.(* Das Aufweichen tradierter Geschlechterbilder stieß bei der Hüterin der »weiblichen Eigenart« auf besonderes Missfallen: »Teddies, Mods, Rocks, Gammler, Provos, Hooligan-Mädchen und Buben haben einen eigenen Stil entwickelt […]. Buben sehen aus wie Mädchen […]. Mädchen

#$ Strecker, Überleben, S. )&, )".(' Biermann, Differenz, S. )(; zu dieser Spaltung außerdem: Myra Marx Ferree, Varieties

of Feminism. German Gender Politics in Global Perspective, Stanford &'!&, p. *#.(! Franz-Werner Kersting, »Unruhediskurs«. Zeitgenössische Deutungen der (%er-Bewe-

gung, in: Frese / Paulus / Teppe, Demokratisierung, S. )!#-"'; vgl. Paulus / Silies / Wolff, Bundesrepublik, S. &" f.

(& Ähnlich hatten viele Ältere gegenüber der »neuen Frau« der Weimarer Zeit argumen-tiert: Cornelie Usborne, The New Woman and Generational Conflict. Perceptions of Young Women’s Sexual Mores in the Weimar Republic, in: Mark Roseman (ed.), Gene-rations in Conflict. Youth Revolt and Generation Formation in Germany, Cambridge !$$#, pp. !*)-!(*.

(* AddF, NLP! /)M&*, o. V., Zeitalter der Uneleganz, in: Frauenkultur Jg. )# (!$)&), Nr. !, S. !'.

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sehen aus wie Buben […]. Von vorn und hinten sind die Pärchen kaum auf ihre Geschlechtszugehörigkeit zu unterscheiden.«("

Diese zunehmende Androgynisierung war aus Streckers Sicht keineswegs als Zeichen fortschreitender Emanzipation zu werten. Vielmehr galt sie der tradi-tionellen Frauenrechtlerin ähnlich wie der von der britischen Designerin Mary Quant zu Beginn der !$('er Jahre popularisierte Minirock, der gemeinhin als Symbol eines neuen weiblichen Selbstbewusstseins interpretiert wurde, als Be-weis für die Weigerung des Mannes, die Frau als gleichwertiges Geschlecht an-zuerkennen. Der Minirock mochte zwar kleidsam sein für »die Teenager mit den schlanken Beinen und sportlichen Bewegungen«, nicht aber für die »Masse der Frauen«. Die Modeschöpfer hätten die »moderne Kindfrau erfunden, um sich für das weibliche »Vordringen in männliche Bereiche« zu rächen, argumen-tierte Strecker.(#

Auch die Kommerzialisierung weiblicher Sexualität im Zuge der »Sexwelle« erfüllte sie mit Schrecken.(( Das »beliebte Sex-Symbol Frau, das von den Män-nern erfunden und propagiert wurde«, sei ein Zeichen »männlicher Unsicher-heit im Konkurrenzkampf um die guten Stellen« spekulierte sie !$() in der Frauenzeitschrift »Petra«.() Die populären Aufklärungsfilme eines Oswalt Kolle kommentierte sie indes mit kaum verhüllter Abscheu: »Wir stehen hier vor so etwas wie einem Sexualterror, der nur eine Abart des Konsumterrors ist.«(% Die-ser sei gar verantwortlich für einen irreversiblen Leistungs- und Werteverfall, der drohe, die Stellung des Westens im Machtgefüge des Kalten Krieges zu schwächen. Die »sexuelle Welle« käme nämlich auf »Riesenwogen« daher, »die alle übrigen Normen überrollt[en]: Eigentum, Familie als Institution, parla-mentarische Demokratie, Wehrpflicht. Ein Schrei der französischen Studenten im Mai (% lautete: »Wir hassen die Familie«. […] [E]s muss auffallen wie Sex und Politik sich verketten, dass, wer beflissen ist, die wirtschaftlichen und poli-tischen Normen einzureißen, auch die sexuellen über Bord gehen heißt [sic].

(" AddF, NLP! /)M!!, o. V., Jugend gestern – Jugend heute, in: National-Zeitung Basel, Nr. !), !&. !. !$($. Auch die männliche Eigenart wollte Strecker bewahren und äußerte sich z. B. kritisch darüber, dass Männer zunehmend »weibliche« Aufgaben (wie etwa die Hausarbeit) übernahmen. AddF, NLP! /)M!", Gabriele Strecker, Der Mann gehört ins Haus, in: Frauenblatt, Unabhängiges Informationsblatt für Fraueninteressen und Kon-sumentenfragen, vom &'. !'. !$().

(# AddF, NLP! /)M'$, o. V., Hassen Männer Frauen?, in: Petra (!$()), Nr. $, S. !'# f.(( Auch in dieser Hinsicht stand Strecker in der Tradition der bürgerlich-gemäßigten Frau-

enbewegung, die z. B. voreheliche Keuschheit propagiert hatte, siehe Biermann, Diffe-renz, S. %% f.

() AddF, NLP! /)M'$, o. V., Hassen Männer Frauen?, in: Petra (!$()), Nr. $, S. !'# f.(% AddF, NLP! /)M!&, o. V., Leben zu zweit. Oswalt Kolle und doch kein Happy-End, in:

Frau und Politik (!$($), Nr. (, S. % f.

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[…] Jeder Schritt in dieser Richtung lässt Moskau in Frohlocken ausbrechen […]. In der Tat – und da sieht Moskau nicht falsch – eine Gesellschaft, die Sex groß und Leistung klein schreibt, läuft Gefahr die geistigen Grundlagen ihres Leistungswillens anzutasten.«($

Der Ruf der Jüngeren nach einem ungehemmten »Triebleben« schwäche in-des nicht nur die Stellung des »Westens« in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus, sondern trage auch zum »Kampf der Generationen« innerhalb der Bundesrepublik bei. Die vermeintlich asketische Lebensführung der Älte-ren sei gar ein Grund für den erfolgreichen Wiederaufbau nach !$"#.)' So gab Strecker zu bedenken: »Haben die älteren Generationen ihr oft schweres Leben nicht darum so gemeistert, weil sie gerade nicht auf ihre Kosten kamen und sublimieren mussten, also positive Ersatzlösungen suchen mussten?«)!

Vor dem Hintergrund einer solch generationalisierten Lesart der Verqui-ckung von sexueller Moral und westdeutscher Demokratisierung in der Nach-kriegszeit überrascht es nicht, dass Strecker auf den Habitus weiblicher Akti-vistinnen, der sich aus dem Kontext der Studentenbewegung entwickelnden autonomen Frauenbewegung, mit Unverständnis reagierte. Statt in ihnen Mit-streiterinnen für ein gemeinsames politisches Endziel zu entdecken und im Gegensatz zu anderen, durch die Traditionen der früheren Frauenbewegung geprägten Aktivistinnen, die sich bemühten, ein »Scharnier« zwischen »alt« und »neu« Bewegten zu bilden,)& begegnete Strecker dem Ruf der »zornigen jungen Frauen« nach »sexueller Befreiung« mit eindeutiger Ablehnung.)* Hatte sie Weiblichkeit stets als etwas Positives und Natürliches begriffen und alles daran gesetzt, die spezifische Rolle der Frau im öffentlichen Leben aufzuwerten, be-trachteten die Jüngeren – in Anlehnung an de Beauvoir – bestehende Ge-schlechterdifferenzen rein konstruktivistisch und schickten sich an, diese durch ein dezidiert anderes Auftreten und neues Verständnis von Körperlichkeit zu überwinden.)" Die inhaltliche Kluft zu den Jüngeren manifestierte sich für

($ AddF, NLP! /)M!&, o. V., Oswalt Kolle und doch kein Happy-End: Liebe und Ehe in unserer Zeit, Manuskript.

)' Zu dieser, in den !$#'er Jahren gängigen, Argumentationsweise, nach der die sexuelle Triebunterdrückung Voraussetzung für die westdeutsche Demokratisierung nach !$"# war, ausführlich: Herzog, Sex. Allerdings passt die konservative Sexualmoral der !$'" geborenen Strecker nicht zu Herzogs These, das »Dritte Reich« sei relativ freizügig ge-wesen.

)! AddF, NLP! /)M!&, o. V., Oswalt Kolle und doch kein Happy-End: Liebe und Ehe in unserer Zeit, Manuskript.

)& Dazu ausführlicher Wolff, Traditionsbruch.)* AddF, NLP! /)M!%, o. V., Reflexion über zornige junge Frauen, in: National-Zeitung

Basel, Nr. !*' vom &!. *. !$)!.)" Biermann, Differenz, S. !!).

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Strecker somit nicht zuletzt anhand der Kleidung, der Sprache und des Stils, was in der Schilderung ihrer Eindrücke von einer Tagung konfessioneller Frau-engruppen Anfang !$)! gut zum Ausdruck kommt:

»Die üblichen Vorträge rollen ab, um dann dem unvermeidlichen »Dialog« mit dem Publikum Platz zu machen. Ein halbes Dutzend Leiterinnen sind meinungsbildend – alle um die Dreißig, fast hübsch zu nennen, in der mo-dernen unsäglichen Aufmachung, die nur Naiven als solche erscheint. Der Wortschatz ist hochgestochen und häufig dunkel. Man dankt den Vortra-genden für ›Denkanstöße‹, tadelt gleichzeitig die nicht ›genügend durchre-flektierten‹, quasi reaktionären Anschauungen, die sich auf vergangene Eman-zipationsbestrebungen stützten.«)#

Nicht nur ihre Rhetorik, ihr Habitus und ihre manifeste Ignoranz gegenüber den Vorgängerinnen, sondern auch das globale Bewusstsein der jungen Aktivis-tinnen – die Vorstellung, Frauen seien eine weltweit unterdrückte und unter-privilegierte Gruppe und Teil des anti-imperialistischen Befreiungskampfes – stieß bei Strecker auf Befremden:

»Und welcher Ernst waltete über dem Ganzen, Lachen war verpönt – (Bia-fra ! indische Kinder ! …). Alles todernst. […] Schlechte Laune ist ein neuer Lebensstil. Das ständige innere Beleidigtsein durch die Zustände dieser un-vollkommenen Welt, verrät sich in einem Perfektionismus, der die gepre-digte Toleranz nur bei den anderen für die eigene Ideologie voraussetzt.«)(

Strecker betrachtete diese Differenzen dabei stets durch die Generationenbrille, die sowohl die Eigenarten der Jüngeren als auch die Konturen ihrer eigenen Erfahrungsgemeinschaft klarer erscheinen ließ. Die Ernsthaftigkeit und Selbst-bezogenheit der jungen Aktivistinnen seien als direkte Folgen des wirtschaft-lichen Wohlstands der Nachkriegsjahrzehnte zu verstehen. Ihre eigene Genera-tion habe gerade wegen der persönlich erfahrenen Entbehrungen keine Zeit für eine Nabelschau gehabt, sondern vielmehr ein klares Bekenntnis zur Demokra-tie abgelegt, das nun aufgeweicht würde:

»!$"# hatten die jungen und nicht so jungen Frauen Deutschlands keine Zeit, persönliche Probleme zu entwickeln, weil sie mit handfesten Nöten beschäftigt waren, und weil sie die junge Demokratie ernst nahmen. Und

)# AddF, NLP! /)M!%, o. V., Reflexion über zornige junge Frauen, in: National-Zeitung Basel, Nr. !*' vom &!. *. !$)!.

)( Ebd. Die RCDS-Aktivistin Ursula Männle hingegen interessierte sich durchaus für den Konflikt in Biafra und überlegte sogar, in die Entwicklungspolitik zu gehen. Interview Ursula Männle.

V O N A LT E N K Ä M P F E R N, S E X Y WA H L G I R L S U N D Z O R N I G E N J U N G E N F R A U E N "$

jetzt? Ist dieser schlechtgelaunte Perfektionismus junger Frauen nicht einer der vielen Wege, die Demokratie auszuhöhlen, indem man die falschen Fra-gen stellt, weil man die falschen Antworten hören möchte?«))

Strecker war mitnichten allein mit ihrer Wahrnehmung tiefer Gräben zwischen »alter« und »neuer« Frauenbewegung. Mitte der !$)'er Jahre brachten zwei weitere Tagungen der Evangelischen Akademie im niedersächsischen Loccum Aktivistinnen verschiedener Generationen zusammen. »Diskriminierung und Diffamierung, mangelnde Bereitschaft zur Information, Urteile ohne den Ver-such vorheriger Information« kennzeichneten die Atmosphäre.)%

Für Strecker vertieften sich die Gräben zur autonomen Frauenbewegung vor allem durch die Kampagne für die Abschaffung des § &!%. Zwar lehnte sie die Abtreibung nicht grundsätzlich ab und äußerte sich durchaus kritisch über jene, »die jeden Angriff auf Uranfänge keimenden Lebens von wenigen Stun-den als ›Mord‹ bezeichnen«, aber im Slogan der autonomen Frauenbewegung »Recht auf den eigenen Bauch!« erblickte sie dennoch ein »Schlagwort voll or-dinärster Geschmacklosigkeit«.)$

War sich Strecker zu Beginn der !$)'er Jahre noch sicher gewesen, dass »die Trüppchen jener zornigen jungen Frauen« nicht »das Sprachrohr der Frau« an sich seien, offerierte sie in ihren Memoiren eine andere Sichtweise.%' Die beson-nenen alten Frauenverbände seien gegen die Wucht der publizistischen Welle, die das Aufkommen der autonomen Frauenbewegung begleitete, machtlos ge-wesen und dadurch ins Abseits gedrängt worden:%!

»Jetzt wurde plötzlich die Frauenfrage sensationell hochgespielt. Mit einem neuen, verdrossenen Vokabular, das die Geister erst recht verwirrte: Iden-titätskrise, Selbstverwirklichung, Bewusstseinserweiterung. Der ›männliche

)) AddF, NLP! /)M!%, o. V., Reflexion über zornige junge Frauen, in: National-Zeitung Basel, Nr. !*' vom &!. *. !$)!.

)% Irmgard von Meibom, Emanzipation zwischen den Fronten – ein Jahr danach, in: Loc-cumer Protokolle (!$)#), Nr. !', S. !*' f. vgl. zu den politischen Differenzen bei den Tagungen, Wolff, Traditionsbruch, S. &(* f.

)$ AddF, NLP! /)M'%, Gabriele Strecker, Gedanken zur Diskussion über die Schwanger-schaftsunterbrechung, MS., o. D. Zum Protest der Abtreibungsgegner, Jana Ebeling, Religiöser Straßenprotest? Medien und Kirchen im Streit um den § &!% in den !$)'er Jahren, in: Frank Bösch / Lucian Hölscher (Hg.), Jenseits der Kirche. Die Öffnung reli-giöser Räume seit !$"#, Göttingen &'!*, S. &#*-&%".

%' AddF, NLP! /)M'#, o. V., Frausein !$)!, MS.%! Strecker stützte sich damit auf eine Argumentationskette, die die konservative Mei-

nungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann in den !$)'er Jahren mit ihrem Modell der »Schweigespirale« verbreitet hatte. Die von US Präsident Richard Nixon !$($ propa-gierte Formel der »schweigenden Mehrheit« war dieser nicht unähnlich. Dazu ausführ-lich: von der Goltz / Waldschmidt-Nelson, Inventing.

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Ausbeuter‹, der männliche Chauvinist, der Haus-Mann, ja die Phallokratie besetzten die neue Wortszenerie. In einer Welt, in der, wer am lautesten schreit oder am nacktesten demonstriert, die Aufmerksamkeit der aufge-scheuchten Öffentlichkeit fesselt, in einer solchen Welt nehmen sich die demokratisch verfassten Frauenorganisationen wie steinzeitliche Relikte aus. Was hundert Jahre ›klassischer‹ Frauenbewegung nicht gelungen war, das volle, ja gierige öffentliche Interesse auf sich zu lenken, erreichten kleinste Gruppen von Demonstrantinnen, im Hintergrund literarisch abgestützt durch sensationell aufgemachte Bücher zum Thema: Frau.%&

4. Schlussbetrachtung

Streckers Beobachtungen lenken den Blick auf eine intergenerationelle Kon-fliktkonstellation um !$(%, die in der Forschung bislang vergleichsweise kurz gekommen ist, obwohl die »neue« Frauenbewegung allseits als eine der wich-tigsten Folgewirkungen des Protests dieser Jahre interpretiert wird und sich der generationelle Ansatz in der Forschung zu dieser Zeit nach wie vor großer Be-liebtheit erfreut. Während wir bereits viel darüber wissen, wie sich die (fast ausschließlich männlichen) »"#er« in Abgrenzung zu den »(%ern« positionierten und sich ihrer eigenen Generationalität durch den politischen Konflikt mit den Jüngeren erst bewusst wurden, ist über ähnlich geartete Konfliktlagen und in-tergenerationelle Diskurse in Hinsicht auf die »neue« Frauenbewegung, die zu Unrecht als »geschichtslos« gilt, bislang recht wenig geschrieben worden bzw. haben existierende Studien nur ein geringes Echo in der politischen Generatio-nenforschung hervorgerufen.%* Streckers Abhandlungen über »extreme« Klei-dungspraxen, die fortschreitende Androgynisierung im neuen »Zeitalter der Uneleganz« und den »Sexualterror« des Oswalt Kolle erlauben nicht nur tiefe Einblicke in die geschlechterpolitisch konnotierte Wahrnehmung des gesell-schaftlichen Wandels der !$('er Jahre im konservativen Lager; ihre Beschrei-bungen der »schlechten Laune als Lebensstil« junger Aktivistinnen und die

%& Strecker, Überleben, S. )(; vgl. zu dieser Passage aus Streckers Erinnerungen: Wolff Traditionsbruch, S. &)' f.

%* Zu den »"#ern« siehe Dirk A. Moses, The Forty-Fivers. A Generation between Fascism and Democracy, in: German Politics and Society Jg. !) (!$$$), pp. $"-!&(; zur narrativen Konstruktion der »"#-Generation« in Abgrenzung zu den »(%ern«: Björn Bohnenkamp / Till Manning / Eva-Maria Silies, »Argument, Mythos, Auftrag und Konstrukt«, in: dies., Generation, S. $-&$, S. $ ff. Zur vermeintlichen »Geschichtslosigkeit« der Frauenbewe-gung, Wolff, Traditionsbruch.

V O N A LT E N K Ä M P F E R N, S E X Y WA H L G I R L S U N D Z O R N I G E N J U N G E N F R A U E N #!

große Bedeutung, die sie der Semantik der »neu« Bewegten beimaß, lassen außerdem erkennen, dass der generationelle Konflikt sich nicht nur in unter-schiedlichen politischen Strategien zur Durchsetzung der vollen Gleichberech-tigung oder in konträren Definitionen von Weiblichkeit manifestierte, sondern durch Kleiderpraxen, Sprache und Stil vor allem ästhetisch erfahrbar war.

Darüber hinaus hilft die Einbeziehung der Geschlechterperspektive bei der Analyse studentischer Gruppen um !$(% dabei, die allzu starren Links-Rechts-Schemata der politischen Generationenforschung aufzubrechen. Weder gingen die Erfahrungen weiblicher Aktivistinnen immer geradewegs im Mannheim’schen Generationenmodell auf (was in Anlehnung an Karin Hausen auf die »Nicht-Einheitlichkeit« generationeller Gemeinschaften in Geschlechterfragen hin-weist),%" noch waren die politischen Lager in popkultureller Hinsicht so klar voneinander zu unterscheiden wie das Bild von der Bipolarität antagonistischer Generations-Einheiten suggeriert: Studentische Aktivisten der Linken und ge-mäßigten Rechten mögen über den Vietnam-Krieg, die Notstandsgesetze und den Sinn einer politischen Revolution erbittert gestritten haben. Für die Ab-gabe der Pille an Nichtverheiratete setzten sich indes sowohl »konkret« als auch der RCDS ein, und beide nutzten Bilder spärlich bekleideter junger Frauen zur Vermarktung von (politischen) Ideen.

Studentische Aktivisten aus dem gemäßigt-rechten Lager müssen somit als Teil des gesellschaftlichen Aufbruchs der !$('er Jahre verstanden werden – was jedoch die eingangs diskutierte, intragenerationelle Abgrenzung der (überwie-gend männlichen) »alternativen (%er« nicht weniger erklärungsbedürftig macht. Die Frage bleibt, warum nicht etwa die hier untersuchten popkulturellen Schnittmengen, sondern der dezidiert politische Konflikt im Mittelpunkt des »Generation Building« der gemäßigt-rechten ’(%er Aktivisten stand. Dies weist zum einen darauf hin, dass die immer schärfer werdenden Auseinandersetzun-gen mit der radikalen studentischen Linken in den !$)'er Jahren etliche Erin-nerungen an den ursprünglich gemeinsamen Aufbruch in den !$)'er Jahren verschüttet haben dürften.%# Zum anderen hebt dies hervor, dass sich politische Konflikte als Kristallisationspunkte generationeller Vergemeinschaftungs pro-zesse, deren Artikulation ja nicht selten mit politischen Forderungen oder Hege monialansprüchen in der Gegenwart verbunden ist, besonders gut anbie-ten – und gerade von männlichen Akteuren offensiv genutzt werden. Solche generationellen Konfliktnarrative legen, wie dieser Aufsatz zu zeigen versucht hat, allerdings oft ebenso viel offen, wie sie verbergen.

%" Karin Hausen, Geschlechtergeschichte als Gesellschaftsgeschichte, Göttingen &'!&, S. *)!-*$!.

%# Dazu weiterführend Anna von der Goltz, A Vocal Minority. Student Activism of the Center-right in West Germany’s »!$(%«, in: dies./Waldschmidt-Nelson, Inventing,