Schiffmann (1996) - Übersetzung & Glossar Chomsky (1988) Problems of Language and Knowledge -...

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,,Eine Person, die eine Sprache spricht, hat ein bestimmtes Wissenssystem entwickelt, das irgendwie im Geist und letztlich in einer physischen Konfiguration im Gehirn repräsentiert ist. Wenn wir uns auf eine Untersuchung dieser Gegenstände einlas- sen, stehen wir demnach einer Reihe von Fragen gegenüber, darunter: 1. Was ist dieses Wissenssystem? Was befindet sich im Geist/Gehirn des Sprechers des Englischen, Spanischen oder Japani- schen? 2. Wie entsteht dieses Wissen im Geist/ Gehirn? 3. Wie wird dieses Wissen beim Sprechen (oder in sekundären Systemen wie dem Schreiben) verwendet? 4. Was sind die physischen Mechanismen, die als materielle Basis für dieses Wissens- system und für den Gebrauch dieses Wissens dienen? lch gehe für die weitere Untersuchung von diesen vier Fragen als dem grundsätz- f ichen Rahmen aus." Noam ChomskY Lrngurstik / PhilosoPhte tsBN 3-89547-098-8 , lltlillu[ililillill[ilil Llüh4E WIffiE HE luP E-ä l, OJ (n .9 = o .9 \J (o a ln o E o -o o L CL .Y ul E o (J E (s o z NCAM CHOMSlry BEIZ Athenäum PR ßLE NS

Transcript of Schiffmann (1996) - Übersetzung & Glossar Chomsky (1988) Problems of Language and Knowledge -...

,,Eine Person, die eine Sprache spricht, hatein bestimmtes Wissenssystem entwickelt,das irgendwie im Geist und letztlich in

einer physischen Konfiguration im Gehirnrepräsentiert ist. Wenn wir uns auf eineUntersuchung dieser Gegenstände einlas-

sen, stehen wir demnach einer Reihe vonFragen gegenüber, darunter:

1. Was ist dieses Wissenssystem? Was

befindet sich im Geist/Gehirn des Sprechers

des Englischen, Spanischen oder Japani-

schen?

2. Wie entsteht dieses Wissen im Geist/

Gehirn?

3. Wie wird dieses Wissen beim Sprechen

(oder in sekundären Systemen wie dem

Schreiben) verwendet?4. Was sind die physischen Mechanismen,

die als materielle Basis für dieses Wissens-

system und für den Gebrauch dieses

Wissens dienen?

lch gehe für die weitere Untersuchung

von diesen vier Fragen als dem grundsätz-

f ichen Rahmen aus." Noam ChomskY

Lrngurstik / PhilosoPhte

tsBN 3-89547-098-8

, lltlillu[ililillill[ilil

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S n dem Buch de: weltbekann-E$ ten Sprachwissenschaftters

B (und libertären Cesellschafts-

kritikers) Noam Chomsky, das

auf Vorlesungen beruht, die er'1986 in Managua gehalten hat,

geht es um die Darstellung und

Diskussron zweier großer Berei-

che: Zum einen handelt es sich

um eine Einführung in den neue-rpn St,r nd clor Snr.aehr,,yi55g1-1-

schaft bzw. eines ihrer Teilbe-

reiche, der Grammatrk, eine

Finfuhrung, die trotz ihres hohen

Niveaus auch einem Laienpubli-

kum ohne weiteres zugänglich

ist.

Das zweite Anliegen ist die

Diskussion der Ergebnisse der

Sprachwissenschaft der letzten

vierzig Jahre: Sind es die Fakto-

ren der außeren Umgebung oder

sind es die inneren Anlagen,

durch die die Fähigkeiten des

Menschen ausgebildet werden?

lst der Mensch eine ArtMaschine, deren Verhalten von

äußeren Gegebenheiten oder

seinem genetisch vorgegebenen

,, Programm " vollständig deter-

miniert ist, oder gibt es so etwas

wie einen freien Willen, der sich

allerdings der Erfassung durch

die Wissenschaft hartnäckig ent-zieht?

Noam ChomskY, geb l928,

ist Professor fur Linguisttk und

Philosophie am Massachusetts

Institute of TechnologY

(Cambridge, Mass.) und

Begründer der generattven

Tra nsformationsgrammatik.

Veröffentlichungen u.a :

,,Strukturen der SYntax",

,,Aspekte der Syntax-Theorie",

,,Die formale Natur der SPrache",

,,Thesen zur Theorie der genera-

tiven Grammatik" (deutsch 2. Auf-

lage 1995 bei Beltz Athenäum),

,,Lectures on Government and

Binding",,,Knowledge of

Language" und zuletzt (1995)

,,The Mrnrmalist Program ",

Zusätzlich viele politische Schriften,

u.a. auf deutsch zuletzt ,,Wirt-

schaft und Gewalt Vom Kolonialis-

mus zur neuen Weltordnung"

Noam ChomskyProbleme sprachlichen Wissens

Der Autor:Noam Chomsky, geb. 1928, ist Professor ftA Linguisrik ud Philosophie am Massachuetts

Institute of Technology (Cambridge, Mass.) rmd Begründer der generativenTransformationsgrammatik- Veröffentlichmgen u.a.: ,,Saukturen der Syntax", ,"Aspekte der

Synlax-Theorie", ,,Die formale Natur der Sprache",,,Thesen zur Theorie der genemtivenGrammatik" (deutsch 2. Auflage 1995 bei Beltz Athenäum), ,,Lectures on Govement and

Binding", ,,Knowledge of Language" und zuletzt (1995) ,,The Minimalist Program".Zusätdich viele politische Schriften, u.a.: ,Ämerika ud die neuen Mmdarine",,,Au

Staatsmison",,, Mmufacturing Consent" (mit Edward S. Herman) und auf deutsch zuleta,,Wirtschaft und Gewalt. Vom Kolonialismus zur neuen Weltordnuns".

Noam Chomsky

Probleme sprachlichen Wissens

Aus dent Amerikanischen überselzt tton

Irlichael Schiffrnann

BEl:[ZAthenäum

Inhaltsverzeichnis

Editorische Vorbemerkung

I Ein Rahmen für die Diskussion

2 Das Forschungsprogramm der modernen Linguistik

3 Prinzipien der Sprachstruktur I

4 Prinzipien der Sprachstruktur II

5 Ausblick: Die Zukunft der Erforschung des Geistes

Diskussion

Glossar

Namen- und Sachregister

Vil

I

34

65

90

l3l

166

189

201

Edit o ri s c he Vo rb eme rkung

Das vorliegende Buch entstand aus einerVorlesungsreihe über Proble-me der Sprache und des Wissens, die Noam Chomsky Anfang März1986 an der Zentralamerikanischen Universität in Managua, der Haupt-stadt Nicaraguas, hielt. Eine zweite Vorlesungsreihe war dem Thema

,,Macht und Ideologie"' gewidmet und behandelte zeitgenössische Fra-gen der US-Politik - ein zu diesem Zeitpunkt der nordamerikanischenBestrebungen, das sandinistische Regime Nicaraguas zu stürzen, hoch-aktuelles Unterfangen. Ziel beider Vorlesungsreihen war es, die betref-fenden Gebiete einem nicht auf diese Bereiche spezialisierten Publi-kum zugänglich zu machen.

Noam Chomsky behandelt in diesem Band Fragen der zeitgenössi-schen Sprachwissenschaft und Philosophie vor einem breiten und bunt-gemischten Auditorium. Die von Chomsky auf Englisch gehaltenenVorlesungen wurden von zwei Dolmetschern, die auch während der an-schließenden Diskussionen in beide Richtungen übersetzten, für dieZuhörer ins Spanische übersetzt. Vorlesungen wie Diskussionen wur-den aufgezeichnet und im Radio gesendet; leider gingen durch die man-gelnde Qualitat der Aufzeichnung viele der Kommentare aus dem Pu-

blikum verloren.Die folgenden Kapitel bestehen aus einer etwas erweiterten Version

der Vorlesungen über Sprache und Wissen und einer bearbeiteten Version

der Mitschriften der Diskussion. Die Beispiele, die in den Vorlesungenverwendet wurden, waren spanischsprachig; aus diesem Grund fügtederAutor fürdie englischeAusgabe einige Erklärungen hinzu und nahm

diverse Anderungen vor, um das Verständnis zu erleichtern. Bei derRekonstruktion der Diskussion ergänzte er an einigen Stellen Material,das auf dem Band fehlte, und verlegte Teile der Diskussion so, daß sie

besser mit der bearbeiteten Version der Vorlesungen zusammenpaßten.Beiden Vorlesungsreihen liegt die Ansicht Noam Chomskys zugrun-

de, daß sowohl Macht und Ideologie als auch die Kernfiagen von Phi-losophie und Wissenschaft Gegenstand der Diskussion einer breitendemokratischen Öffentlichkeit sein sollten. Entscheidungen in diesen

Bereichen haben oft weittragende Konsequenzen, und daher sollte je-der freien Zugang zu Kenntnissen erlangen können, die ihm die Aus-übung seines Mitspracherechts ermöglichen.

Deutsch: Chomsky, Noam, Die Fünfte Freiheit. Über Macht und Ideologie. Vorle.sungen in Managua. Hamburg/Berlin, Argument, 1988.

VII

Ich rnöchte Kathrin Coclpcr, Günthcr (ircrvendort'untl Anncttc Schil'l'-rnann für die wertvollen Ratschligc, clie sie nlir l'iir rlic (ibcrsctztrrrg

gcgebcn habcn, dankcn, cbcnso Hclcn l-cuningcr uncl Winll'iccl Pcnk

für ihre Lektüre und bcsonders Wcrncr llhrle l'lir tlic lrrstclluns (lcr

Druckvorlage.Spcziellcr Dank an Victor Mcicr und scinc Illtcrrr unrl Mithewoh-

ncr - Bill Bo Lrnd scinc Bandc -, clie sich liir tlas Zuslundckornrrrcn tlcrÜbcrsctz-trng als uncntbehrlich c^vicscn hirbcrr'

Der ühersetzer

VIII

Ein Rqhmen für die Diskussion

Die Themen, denen ich mich in diesen fünf Vorlesungen über Spracheund Probleme des Wissens zuwenden werde, sind verwickelt und kom-plex und betrelfen gleichzeitig einen ziemlich großen Bereich. Ich wer-de versuchen, einige Gedanken zu diesen Fragen in einerWeise darzu-stellen, die keinerlei Fachkenntnisse erfordert. Gleichzeitig möchte ichgern zumindest einen Einblick in einige der technischen Probleme ver-

mitteln, die zur Zett die Forschung beschäftigen, und in den Charakterder Lösungen, die heute möglicherweise für sie gegeben werden kön-nen. Weiter möchte ich zeigen, warum ich denke, daß diese recht tech-nischen Angelegenheiten etwas über Fragen von bet.rächtlichem allge-meinem Interesse und ehrwürdigem Alter aussagen.

Ich werde nicht versuchen, einen Überbllck über den augenblickli-chen Stand der Erkenntnisse über die Sprache zu geben; das wäre eineviel zu umfassende Aufgabe für die Zeit, die wir zur Verfügung haben.

Statt dessen werde ich versuchen, die Sorte von Fragen darzustellenund zu erhellen, mit denen sich diese Forschungstätigkeit - oder zu-mindest eine wichtige Richtung darin - befaßt, und sie in der Folge ineinen weiteren Kontext zu stellen. Dieser Kontext hat zwei Aspekte:die Tradition der westlichen Philosophie und Psychologie, die sich mitdem Verständnis der spezifischen Natur menschlicherWesen befaßt hat,

und den Versuch innerhalb der gegenwärtigen Wissenschaft, an tradi-tionelle Fragen im Lichte dessen heranzugehen, was wir mittlerweileüber Organismen und über das Gehirn wisscn oder hoffen können her-

auszufinden.Tatsächlich ist die Erforschung der Sprache für beide Arten von Un-

tersuchung zentral: für die traditionelle Philosophie und Psychologie,die einen bedeutenden Teil der Geschichte des westlichen Denkens dar-stellen, und für die gegenwärtige wissenschaftliche Untersuchung dermenschlichen Natur. Es gibt mehrere Gründe, warum die Sprache fürdie Erforschung der menschlichen Natur von besonderer Bedeutunggewesen ist und es weiterhin sein wird. Einer davon ist, daß Sprache

eine echte Arteigenschaft zu sein scheint, die in ihren wesentlichenKennzeichen nur der menschlichen Spezies eigen ist und einen allenMenschen gemeinsamen Teil unserer biologischen Ausstattung bildet,einen Teil, der, von ernsthaften Pathologien abgesehen, nur wenig Va-

riation unter verschiedenen Menschen aufweist. Außerdcm ist Sprachein entscheidender Weise am Denken, am Handeln und an sozialen Be-ziehungen beteiligt. Und schließlich ist Sprache der Untersuchung re-lativ zugänglich. In dieser Hinsicht unterscheidet sich unser Gegen-stand stark von anderen, denen wir uns ebenf'alls gern nähern würden:Problemlösung, künstlerische Kreativität und andere Aspekte desmenschlichen Lebens und der menschlichen Aktivität.

Wenn ich hier die intellektuelle Tradition diskutiere, in der meinesErachtens die heutige Forschung ihren natürlichen Platz hat, mache ichkeine scharfe Unterscheidung zwischen Philosophie und Wissenschaft.Diese Unterscheidung, ob gerechtfertigt oder nicht, ist erst jüngerenDatums. Bei der Behandlung der Gegenstände, die uns hier beschäfti-gen, betrachteten die traditionellen Denker sich nicht als ,,Philosophen"im Unterschied zu ,,Wissenschaftlern". Descartes zum Beispiel war ei-ner der fiihrenden Wissenschaftler seiner Zeit. Was wir sein ,,philoso-phisches Werk" nennen, ist von seinem ,,wissenschaftlichen Werk" nichtzu trennen. Es ist lediglich eine Komponente dieses Werks, die sich mitden konzeptuellen Grundlagen der Wissenschaft sowie den Grenzbe-reichen der wissenschaftlichen Spekulation und (in Descartes Augen)Schlußfolgerung befaßt. David Hume betrachrete sein Projekt in seinenUntersuchungen des menschlichen Denkens als demjenigen Newtonsverwandt: Er verfolgte das Ziel, die Elemente der menschlichen Naturund die Prinzipien, die an unserem geistigen Leben beteiligt sind undes lenken, zu entdecken. DerBegriff ,,Philosophie" wurde in einerWei-se benutzt, die das einschloß, was wir Wissenschaft nennen würden, sodaß Physik Naturphilosophie genannt wurde und mit dem Ausdruck,philosophische Grammatik" wissenschaftliche Grammatik gemeint war.Führende Gestalten in der Erforschung von Sprache und Denken ver-standen philosophische Grammatik (oder allgemeine Grammatik, oderuniversale Grammatik) als eine deduktive Wissenschaft, die mit ,,denunwandelbaren und allgemeinen Prinzipien der gesprochenen oder ge-schriebenen Sprache" befaßt ist, Prinzipien, die einen Teil der gemein-samen menschlichen Natur bilden und die ,dieselben sind wie diejeni-gen, die die menschliche Vernunft in ihren intellektuellen Operationenleiten" (Beauz6e). In der Regel, und so auch in diesem Fall, wurden dieErforschung der Sprache und die des Denkens als eng miteinander ver-bundene Untersuchungen, wenn nicht als ein einziges Unternehmen be-trachtet. Diese spezielle Schlußfolgerung, die in ansonsten im Wider-streit miteinander liegenden Traditionen oft zum Ausdruck gebracht wird,scheint mir aus Gründen, die ich in Vorlesung 5 diskutiere. sehr zwei-

felhaft. Die allgemeine Konzeption des Wcsens dieser Forschungs-tätigkeit jedoch scheint wohlbegründet, und ich werde sie beibehalten.

Eine Person, die eine Sprache spricht, hat ein bestimmtes Wissens-system entwickelt, das irgendwie im Geist und letztlich in einer physi-schen Konfiguration im Gehirn repräsentiert ist. Wenn wir uns auf eineUntersuchung dieser Gegenstände einlassen, stehen wir demnach einerReihe von Fragen gegenübeq darunter:

l. Was ist dieses Wissenssystem? Was befindet sich im Geist/Ge-hirn des Sprechers des Englischen, Spanischen oderJapanischen?2. Wie entsteht dieses Wissen im GeisUGehirn?3. Wie wird dieses Wissen beim Sprechen (oder in sekundärenSystemen wie dem Schreiben) verwendet?4. Was sind die physischen Mechanismen, die als materielle Ba-sis für dieses Wissenssvstem und für den Gebrauch dieses Wis-sens dienen?

Dies sind klassische Fragen, wenn sie auch nicht in genau den Be-grift'en formuliert wurden, die ich benutzen werde. Die erste Frage warder zentrale Untersuchungsgegenstand der philosophischen Gramma-tik des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts. Die zweite Frage istein spezieller und wichtiger Fall dessen, was wir die Fragestellung Pla-tos nennen könnten. In seiner Umformulierung in Bertrand Russellsspäterem Werk ist das Problem dies: ,,Wie kommt es, daß die Men-schen, deren Kontakte mit der Welt so kurz und persönlich und be-

schränkt sind, in der Lage sind, so viel zu wissen, wie sie tatsächlichwissen?" Plato illustrierte das Problem mit dem ersten überliefertenpsychologischen Experimcnt (odcr zumindest dcm erstcn ,,Gedanken-experiment"). In Menon demonstriert Sokrates, daß ein ungebildeterSklavenjunge die Prinzipien der Geometrie kennt, indem er ihn durcheine Reihe von Fragen zur Entdeckung der Theoreme der Geometriehinlührt. Dieses Experiment wirft ein Problem auf, vor dem wir immernoch stehen; Wie war der Sklavenjunge in der Lage, ohne Schulungund Inlbrmation Wahrheiten der Geometrie herauszufinden?

PIato hatte, wie man weiß, eine Lösung fürdieses Problem: Das Wis-sen stammte aus der Erinnerung an eine frühere Existenz und wurde imGeist des Sklavenjungen durch die Fragen, die Sokrates ihm stellte,wiedererweckt. Jahrhunderte später vertrat Leibnitz die Ansicht, daß

Platos Antwort im wesentlichen richtig sei, sie müsse allerdings ,,vomIrrtum der Präexistenz sereinist" werden. Wie können wir diese Aussa-

ge in modernen Begriff-en interpretieren? Eine moderne Spielart davonwäre, daß bestimmte Aspekte unseres Wissens und Verstehens angebo-ren sind, Teil unserer biologischen Ausstattung, genetisch deterrniniert,gleichrangig mit den Elementen der uns allen gemeinsamen Natur, diedafür verantwortlich sind, daß uns Arme und Beine wachsen und keineFlügel. Diese Version der klassischen Theorie ist meiner Ansicht nachim wesentlichen richtig. Sie ist ziemlich weit entfernt von den empiri-stischen Annahmen, die einen Großteil des westlichen Denkens wäh-rend der letzten paar Jahrhunderte dominiert haben, aber andererseitsden Auffassungen wichtiger empiristischer Denker wie Hume nicht gänz-lich fremd, der von denjenigen Teilen unseres Wissens sprach, die ,,derursprünglichen Hand der Natur" entstammen und ,,eine besondere Artdes Instinkts" sind.

Platos Problem erhebt sich beim Studium der Sprache in ganz auf-fallender Weise, und eine Antwort der eben vorgeschlagenen Art scheintdie richtige zu sein. Ich werde das im weiteren Verlauf veranschauli-chen.

Die dritte der oben erwähnten Fragen kann in zwei Aspekte unter-teilt werden: das Wahrnehmungsproblem und das Produktionsproblem.Das Wahrnehmungsproblem hat damit zu tun, wie wir interpretieren,was wir hören (oder lesen; ich lasse diese off-enkundig zweitrangigeSache hier beiseite). Das Produktionsproblem, das bedeutend unklarerist, hat mit dem zu tun, was wir sagen und warum wir es sagen. Wirkönnten dieses letztgenannte Problem Descartes Problem nennen. Inseinem Kern liegt die Aufgabe, eine Erklärung für das zu liefern, waswir den ,,kreativen Aspekt des Sprachgebrauchs" nennen könnten.Descartes und seine Anhänger machten die Beobachtung, daß der nor-male Gebrauch von Sprache ständig innovativ ist; er ist unbeschränkt,anscheinend frei von Kontrolle durch äußere Anreize oder innere Zu-stände sowie kohärent und situationsangemessen. Er ruf,t Gedanken imZuhörer hervor, die er oder sie unter denselben Umständen vielleichtauf ähnliche Weise zum Ausdruck gebracht hätte. Demnach wiederholtman beim normalen Sprechen nicht einfach, was man gehört hat, son-dern bringt neue sprachliche Formen hervor - oft neu in der eigenenErfahrung oder sogar in der Geschichte derjeweiligen Sprache -, undes gibt keine Grenzen für derartige Innovationen. Weiterhin bcsteht die-ses Sprechen nicht in einer Reihe zufälliger Außerungen, sondern ent-spricht der Situation, durch die es hervorgerufen, aber nicht verursachtwird - ein entscheidender, wenn auch unklarer Unterschied. Der nor-male Gebrauch von Sprache ist demnach frei und undeterminiert, aber

dennoch situationsangemessen; und er wird von anderen Teilnehmernan der Gesprächssituation als angemessen erkannt, die auf ähnliche Wei-se hätten reagieren können und deren durch dieses Sprechen hervorge-rufene Gedanken rnit denen des Sprechers in Einklang sind. Für dieCartesianer stellte der kreative Aspekt der Sprache das beste Zeugnisdafür dar, daß ein anderer Organismus, der so aussieht wie wir, einen

Geist wie den unsrigen besitzt.Der kreative Aspekt des Sprachgebrauchs wurde außerdem als ein

Kernargument benutzt, um die für das cartesianische Denken zentraleSchlußfolgerung zu begründen, daß Menschen auf fundarnentale Artverschieden von allem sind, was sonst in der physischen Welt existiert.Andere Organismen sind Maschinen. Wenn ihreTeile in einerbestimm-ten Konfiguration angeordnet sind und sie in eine bestimmte äußere

Umgebung versetzt werden, ist das, was sie tun, vollkommen determi-niert (oder vielleicht zufällig). Aber Menschen sind unter diesen Bedin-gungen nicht,,gezwungen", in einer bestimmten Weise zu handeln, son-

dern sind nur ,,angeregt und geneigt," dies zu tun, wie ein führenderInterpret des cartesianischen Denkens erklärte. Ihr Verhalten mag vor-hersagbar sein, insofern sie dazu tendieren werden, zu tun, was sie an-geregt und geneigt sind, zu tun, aber sie sind dennoch frei, und das aufeinzigartige Weise, insofern sie nicht tun müssen, was sie angeregt undgeneigt sind zu tun. Wenn ich zum Beispiel jetzt ein Maschinengewehrhervorholen, es drohend auf Sie richten und Ihnen befehlen würde, ,,HeilHitler!" zu rufen, würden Sie das vielleicht tun, wenn Sie Grund hätten,

zu glauben, ich sei ein mordlüsterner Wahnsinniger, aber Sie hätten

dennoch eine Wahl, es zu tun oder auch nicht, selbst wenn diese Wahlnicht zurAnwendung kommt. Die Situation ist in der Welt der Realitätnicht unbekannt; unter der Nazibesatzung zum Beispiel wurde vieleLeute - in einigen Ländern die große Mehrheit - zu aktiven oder passi-

ven Kollaborateuren, aber einige widersetzten sich. Im Gegensatz dazu

agiert eine Maschine in Übereinstimmung mit ihrer inneren Konfigura-tion und äußeren Umgebung, ohne daß es eine Wahl gibt. Der kreativeAspekt des Sprachgebrauchs wurde oft als eindrucksvollstes Beispieldieses lundamentalen Aspekts der menschlichen Natur angeführt.

Die vierte Frage ist relativ neu, tatsächlich hat sie noch kaum Ge-

stalt angenommen. Die ersten drei Fragen fallen in den Bereich derLinguistik und der Psychologie, zwei Gebiete, die ich eigentlich gar

nicht trennen möchte, da ich Linguistik (oder genauer, diejenigen Be-reiche der Linguistik, mit denen ich mich hier befasse) einfach als den

Teil der Psychologie betrachte, der sich mit den besonderen Aspekten

dieser Disziplin beschäftigt, die in den ersten drei Fragcn skizziert wur-den. Ich möchte ferner nochmals betonen, daß ich, hierin der traditio-nellen, wenn auch nicht der modernen Praxis folgend, weite Gebieteder Philosophie unter dieselbe Rubrik fassen würde. Soweit der Lingu-ist Antworten auf die Fragen l, 2 und 3 geben kann, kann derNeurowissenschaftler beginnen, die physischen Mechanismen zu er-forschen, die die von der abstrakten Theorie des Linguisten enthülltenEigenschaften aufweisen. Solange es keineAntworten auf diese Fragengibt, wissen die Neurowissenschaftler nicht, wonach sie suchen; ihreForschung ist dann in dieser Hinsicht blind.

Das ist ein in den Naturwissenschaften häufiger Hergang. So befaß-te sich die Chemie des neunzehnten Jahrhunderts mit den Eigenschaf-ten chemischer Elemente und lieferte Modelle für Verbindungen (zumBeispiel den Benzolring). Sie entwickelte Begriffe wie Valenz und Mo-lekül sowie die periodische Tafel der Elemente. All das ging auf einerEbene vor sich, die äußerst abstrakt war. Wie all das zu grundlegenderenphysikalischen Mechanismen in Beziehung stehen könnte, war unbe-kannt, und tatsächlich gab es viele Debatten darüber, ob diese Begriffeirgendeine,,physikalische Realität" besäßen oder nur zweckdienlicheMythen seien, die helfen sollten, Ordnung in die Erfahrung zu bringen.Diese abstrakte Untersuchung definierte Aufgaben für den Physiker:nämlich physikalische Mechanismen zu entdecken, die dieseEigeschaften aufweisen. Die bemerkenswerten Erfolge der Physik deszwanzigsten Jahrhunderts haben auf einem Weg, von dem einige glau-ben, daß er sich jetzt einer Art ,,letzter und vollständiger Antwort" nä-hern könnte, immer feinere und zwingendere Lösungen für diese Pro-bleme geliefert.

Die heutige Erforschung des Geistes/Gehirns kann zweckdienlich inrecht ähnlicher Art verstanden werden. Wenn wir vom Geist sprechen,sprechen wir auf einer gewissen Ebene der Abstraktion von bis jetztnoch unbekannten physischen Mechanismen des Gehirns, ganz ähnlichwie diejenigen, die von der Valenz von Sauerstoffoder dem Benzolringsprachen, auf einer gewissen Abstraktionsebene von damals noch un-bekannten physikalischen Mechanismen sprachen. Ebenso wie die Ent-deckungen des Chemikers die Voraussetzung für die weitere Untersu-chung zugrundeliegender Mechanismen schufen, so liefern heute dieEntdeckungen des Linguisten-Psychologen die Basis frir die weitereUntersuchung der Mechanismen des Gehirns, eine Untersuchung, dieohne ein solches Verständnis aufabstrakter Ebene nicht wüßte, wonachsie eigentlich sucht und deshalb blind vorgehen müßte.

Wir können fragen, ob die Konstruktionen des Linguisten die Sach-

lage treffen oder ob sie modifiziert oder durch andere ersetzt werden

sollten. Aber es gibt kaum sinnvolle Fragen hinsichtlich der,,Realität"dieser Konstruktionen - ihrer ,,psychologischen Realität," um den ge-

bräuchlichen, aber sehr irreführenden Ausdruck zu verwenden -, eben-

so wie es kaum sinnvolle Fragen hinsichtlich der ,,physikalischen Rea-

lität" der Konstruktionen des Chemikers gibt, obwohl es immer mög-

lich ist, deren Angemessenheit in Zweifel zu ziehen.In jedem Stadium

der Untersuchung versuchen wir, Theorien zu konstruieren, die uns

befähigen, Einsichten in die Natur der Welt zu gewinnen, wobei wirunsere Aufmerksamkeit auf diejenigen Phänomene der Welt konzen-

trieren, die erhellende Daten fiir diese theoretischen Vorhaben liefern.Bei der Erforschung der Sprache gehen wir auf abstrakte Weise vor, aufder Ebene des Geistes, und wir hoffen außerdem, daß es uns gelingt,Verständnis darüber zu gewinnen, wie die Cebilde, die wir auf dieser

abstrakten Ebene konstruieren, ihre Eigenschaften sowie die diese be-

herrschenden Prinzipien mit Hilfe von Eigenschaften des Gehirns er-

klärt werden können. Wenn es den Neurowissenschaften gelingt, diese

Eigenschaften des Gehirns zu entdecken, werden wir dennoch nicht

aufhören, Sprache in den Kategorien von Wörtern und Sätzen, von

Nomina und Verben und weiteren abstrakten Konzepten der Linguistikzu erörtern, ebenso wie der heutige Chemiker nicht aufhört, von Va-

lenz, Elementen, Benzolringen und ähnlichem zu sprechen. Sie könnensehr wohl die angemessenen Konzepte zur Erklärung und für Vorhersa-gen bleiben, nur daß sie dann durch ein Verständnis ihrerBeziehung zu

grundlegenderen physischen Gebilden untermauert sind - oder die wei-tere Forschung kann zeigen, daß sie durch andere abstrakte Konzeptio-nen ersetzt werden sollten, die für die Aufgabe der Erklärung und Vor-

hersage besser geeignet sind.Halten wir fest, daß an der Erforschung des Geistes, verstanden als

eine Erforschung der abstrakten Eigenschaften von Mechanismen des

Gehirns, nichts Mystisches ist. Im Gegenteil ist ein so begriffener zeit-genössischer Mentalismus ein Schritt zur Integration von Psychologie

und Linguistik in die Naturwissenschaften. Ich möchte später auf die-ses Thema zurückkommen, das meiner Ansicht nach in den Sozialwis-senschaften und der Philosophie, einschließlich der marxistischen Tra-

dition, oft mißverstanden wird.Ich gehe für die weitere Untersuchung von diesen vier Fragen als

dem grundsätzlichen Rahmen aus. Ich habe nichts zuFrage4 zu sagen,

weil wenig bekannt ist. Auch auf Frage 3 gehe ich nur teilweise ein;

zumindest in ihrem Produktionsaspekt scheint Fragc 3 Probleme einerziemlich andersartigen Natur aufzuwerfen, denen ich mich später zu-wenden werde, ohnejedoch substantielleAntworten vorzuschlagen. Hin-sichtlich der Fragen I und 2 und des Wahrnehmungsaspekts von 3 gibtes sehr viel zu sagen. Hier hat es wirklich wesentliche Fortschritte ge-geben.

Fragen I und 3 - die Frage, was sprachliches Wissen darstellt undwie dieses Wissen verwendet wird - werden oft so gut wie gleichge-setzt. So wird oft vertreten, daß eine Sprache zu sprechen und zu ver-stehen heißt, eine praktische Fähigkeit zu besitzen, ähnlich der Fähig-keit, Fahrrad zu fahren oder Schach zu spielen. Allgemeiner gespro-chen bedeutet dieser Ansicht zufolge der Besitz von Wissen den Besitzvon praktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten einer bestimmten Art. Eswird oft weiter argumentiert, daß besagte Fähigkeiten und Fertigkeitensich auf Gewohnheiten und Neigungen reduzieren, so daß Sprache einGewohnheitssystem ist, oder ein System von Neigungen, sich unter be-stimmten Umständen in einer bestimmten Weise zu verhalten. Das Pro-blem des kreativen Aspekts des Sprachgebrauchs wird, soweit es über-haupt bemerkt wird (was bis vor kurzem, nach einer Brachzeit von ei-nem Jahrhundert oder mehr, selten der Fall war), mit Hilfe von ,,Analo-gie" wegerklärt: Sprecher produzieren neue Formen ,,in Analogie" zusolchen, die sie bereits gehört haben und verstehen neue Formen aufdiesselbe Weise. Indem wir dieser Art des Herangehens fblgen, könnenwir der Furcht vor ,,Mentalismus", vor etwas Okkultem aus dem Weggehen. Wir bannen so dieser Argumentation zufolge das cartesianische

,,Gespenst in der Maschine" [im Original ,,ghost in the machine," wasauch mit ,,Geist in der Maschine" übersetzt wird A.d.Ü.1.

Diese Bedenken sind, wie ich bereits gesagt habe, verfehlt, und ichglaube, daß sich in ihnen außerdem ein ernstliches Mißverständnis destraditionellen Mentalismus zeigt, eine Frage, auf die ich in der letzrenVorlesung wieder zurückkomme. Aber die Vorstellung, daß Wissen das-selbe wie praktische Fähigkeit ist, ist ebenfalls völlig unhaltbar. EinfacheÜberlegungen zeigen, daß diese Konzeption schwerlich richtig sein kann.

Nehmen wir zwei Leute, die beide genau das gleiche Wissen vomSpanischen haben: Ihre Aussprache, Kenntnis der Bedeutung der Wör-teq Erfassung der Satzstruktur und so weiter sind identisch. Trotzdemkönnen diese beiden lrute sich in ihrer Fähigkeit, die Sprache zu ge-brauchen, stark unterscheiden - und das tun sie in aller Regel auch. Dereine ist vielleicht ein großer Dichter, während der zweite seine Sprachevöllig prosaisch verwendet und nur abgedroschene Phrasen von sich

gibt. Normalerweise werden zwei Menschen, die beide dasselbe Wis-sen besitzen, ihrer Neigung nach bei gegebenen Gelegenheiten ziem-lich unterschiedliche Dinge sagen. Von daher ist schwer zu sehen, wieWissen mit praktischer Fähigkeit gleichgesetzt werden kann,umsoweniger mit Verhaltensdisposition.

Darüberhinaus kann sich die praktische Fähigkeit ohne Anderungdes Wissens verbessern. Jemand kann an einem Kursus für öffentlichesSprechen oder für Stil teilnehmen und dadurch seine Fähigkeit, dieSprache zu verwenden, verbessern, ohne daß er neue Wissen von derSprache gewinnt: Die Person hat dieselbe Kenntnis derWörter, der Kon-struktionen, der Regeln etc. wie vorher. Die Fähigkeit, die Sprache zu

gebrauchen, ist größer geworden, das Wissen aber nicht. Umgekehrtkann die Fähigkeit beschädigt werden oder verschwinden, ohne das et-was vom Wissen verlorengeht. Nehmen wir an, daß Juan, ein Sprecherdes Spanischen, nach einer schweren Kopfverletzung eine Aphasie er-

leidet undjegliche Fähigkeit zu sprechen und zu verstehen verliert. HatJuan seine Kenntnis des Spanischen verloren? Nicht unbedingt, wiewir feststellen könnten, wenn Juan seine Fähigkeit, zu sprechen und zu

verstehen wiedergewinnt, sobald die Auswirkungen der Verletzung nach-

lassen. Natürlich gewinnt Juan die Fähigkeit wieder, Spanisch zu spre-

chen und zu verstehen, und nicht etwa Japanisch, und er tut das auch

ohne jeglichen Unterricht oder wesentliche Erfahrung mit Spanisch.

Wäre seine Muttersprache Japanisch gewesen, hätte er die Fähigkeit,Japanisch zu sprechen und zu verstehen, wiedergewonnen, und nichtSpanisch, und das ebenfalls ohne Unterricht und Erfahrung. Wenn Juan

auch die Kenntnis des Spanischen verloren hätte, als er die Fähigkeit,Spanisch zu sprechen und zu verstehen, verlor, wäre die Wiedergewin-nung dieser Fähigkeit ein Wunder. Wie kam Juan dann dazu, wiederSpanisch zu sprechen und nicht Japanisch? Wie entwickelte er diese

Fähigkeit ohne Unterweisung oder Erfahrung, etwas wozu kein Kindimstande ist? Es wurde schlicht und einfach etwas zurückbehalten,während die Fähigkeit, zu sprechen und zu verstehen verlorenging. Was

zurückblieb, war nicht besagte Fähigkeit, denn diese ging ja verloren.Was zurückblieb, war ein System von Kenntnis oder Wissen, ein ko-gnitives System des Geistes/Gehirns. Offensichtlich kann der Besitzdieses Wissens nicht mit der Fähigkeit, zu sprechen und zu verstehen

oder mit einem System von Neigungen, Fertigkeiten oder Gewohnhei-ten gleichgesetzt werden. Wir können das ,,Gespenst in der Maschine"nicht exorzieren, indem wir Kenntnis auf praktische Fähigkeit, Verhal-ten und Neigungen reduzieren.

Ahnliche Überlegungen zeigen, daß zu wissen, wie man ein Fahrradfährt oder wie man Schach spielt und so weiter nicht auf Systeme vonFähigkeiten und Dispositionen reduziert werden kann. Nehmen wir an,

daß Juan weiß, wie man Fahrrad ftihrt, dann eine Hirnverletzung erlei-det, die ihn die Fähigkeit dazu völlig verlieren läßt (während sie seinekörperlichen Leistungen ansonsten völlig intakt läßt), und dann die Fä-

higkeit wiedergewinnt, sobald die Auswirkungen der Verletzung nach-lassen. Wieder gab es etwas, das von der Verletzung, die einen zeitwei-sen Verlust der Fähigkeit verursachte, unberührt blieb. Was intakt blieb,war das kognitive System, das das Wissen, wie man Fahrrad fährt, kon-stituiert; Fahrradfahren ist nicht einfach eine Angelegenheit von prakti-scher Fähigkeit, Disposition, Gewohnheit oder Fertigkeit.

Um diese Schlüsse zu vermeiden, haben sich Philosophen, die aufder Gleichsetzung von Kenntnis und Fähigkeit bestehen, zu der Folge-rung gezwungen gesehen, daß Juan, der nach einer Hirnverletzung dieFähigkeit verlor, Spanisch zu sprechen und zu verstehen, in Wirklich-keit diese Fähigkeit behielt, obwohl er die Fähigkeit verloq sie auszu-üben.r Wir haben jetzt zwei Konzepte von Fähigkeit, eines, das sich aufdie Fähigkeit bezieht, die behalten wurde und ein anderes bezogen aufdie Fähigkeit, die verlorenging. Die beiden Konzepte sind jedoch ziem-lich verschieden. Es ist das zweite, das Fähigkeit im Sinne des norma-len Gebrauchs entspricht; das erste ist ein neues, eigens ertundenes Kon-zept, dessen Auslegung ihm alle Eigenschaften von Wissen zuschreibt.Ohne weitere Übenaschung können wir nun folgern, daß Wissen Fä-higkeit ist, in diesem neuen, erfundenen Sinn von ,,Fähigkeit," der ziem-lich ohne Bezug zum normalen Sinn des Worts ist. Durch diese verba-len Manöver wird schlicht gar nichts erreicht. Wir müssen statt dessenschließen, daß der Versuch, Wissen mit Hilfe von Fähigkeit (Neigung,Fertigkeit etc.) zu erklären, von Anfang an verfehlt ist. Das ist einer vonmehreren Aspekten, in denen die Konzeption von Wissen, wie sie voneinem Großteil der zeitgenössischen Philosophie entwickelt worden ist,

mir ziemlich weit an der Sache vorbeizugehen scheint.Andere Überlegungen führen zu derselben Schlußfolgerung. So weiß

Juan, daß sich der Ausdruck el libro auf ein Buch bezieht, nicht aufeinen Tisch. Das liegt nicht an einem seinerseits bestehenden Mangelan Fähigkeit. Es liegt nicht daran, daß er zu schwach ist, oder ihm ir-gendeine Fertigkeit fehlt, daß el libro sich für Juan nicht auf Tischebezieht. Statt dessen ist dies eine Eigenschaft eines bestimmten Wissens-systems, das er besitzt. Spanisch zu sprechen und zu verstehen heißt,derartiges Wissen zu besitzen.

Wenden wir uns jetzt einigen schwierigeren und interessanteren Bei-spielen zu, die dieselben Punkte illustrieren und die uns zu einem klare-ren Verständnis von Platos Problem und den Herausfbrderungen, die es

stellt, führen werden. Betrachten wir die folgenden Sätze:2

(r)Juan arregla el carro.,,Juanfixes the car",,Juan repariert den Wagen."

(2\

Juan afeita a PedroJuan shaves to PedroJuan rasiert zu Pedro.

,,Juan shaves Pedro."..Juan rasiert Pedro."

Diese Sätze illustrieren eine bestimmte Eigenschaft des Spanischen,die es nicht mit ansonsten ähnlichen Sprachen wie Italienisch teilt: Wenndas Objekt des Verbs wie in (2) belebt ist, muß im Spanischen demObjekt (hier Pedro) die Präposition a (zu) vorausgehen; im ltalieni-schen ist dies nicht so.

Sehen wir uns nun eine andere Konstruktion des Spanischen an, inder die Verben arreglar (,,reparieren") und afeitar (,,rasieren") erschei-nen können, nämlich die Kausativkonstruktion:

(3)

Juan hizo [arreglar el carro].Juan made [fix the car].Juan machte [reparieren den Wagen].

,,Juan had someone fix the car",,Juan lielJ (jemanden) den Wagen reparieren."

(4\

Juan hizo [afeitar a Pedro].Juan made [shave to Pedro].Juan machte [rasieren zu Pedro].

,,Juan had someone shave Pedro.",,Juan liefi (jemanden) Pedro rasieren."

tll0

Die eckigen Klammern umschließen ein Satzelement, das das Kom-plement des Yerbs hacer (,,machen," ,,veranlassen") bildet: dic Bedeu-tung ist, daß Juan ein bestimmtes Ereignis veranlaßte, das durch denabhängigen Satz in Klammern ausgedrückt wird, nämlich, daß jemandden Wagen repariert (in (3)), oder daß jemand Pedro rasierr (in (4)). In(4) erfordert das belebte Objekt, Pedro, wieder die Präposition a.

In diesen Beispielen bleibt das Subjekt des Komplementsatzes un-genannt und wird daher als eine nicht näher spezifizierte Person wird,aufgefaßt. Aber es könnte explizit ausgedrückt werden:

(s)

Juan hizo [arreglar el carro a Maria].Juan made [fix the car to Maria].Juan machte [reparieren den Wagen zu Maria].,,Juan had Mariafix the car",,Juan liet3 Maria den Wagen reparieren."

Hier beobachten wir einen Unterschied zwischen Englisch und Spa-nisch. Im Spaninischen erscheint das Subjekt des eingebettetenKomplementsatzes in einer beigefügten Präpositionalphrase (a MarQg,während es in dem entsprechenden englischen Satz in der normalenpräverbalen Position erscheint, wie in ,,Maria fixed the car." Wir kom-men auf die Gründe für Unterschiede wie diese noch zurück. In diesemFall verhält sich Spanisch ebenso wie eng mit ihm verwandte Sprachenwie z.B. Italienisch.

Versuchen wir nun, einen Satz zu bilden, der zu (5) analog ist, indemwir den Ausdruck afeitar a Pedro anstelle von aneglar el carro ver-wenden. Auf diese Weise erhalten wir die Form:

(6)

Juan hizo [afeitar a Pedro a Maria].Juan made [shave to Pedro to Maria].Juan machte [rasieren zu Pedro zu Maria]...Juan had Maria shave Pedro.",,Juan lietJ Maria Pedro rasieren."

Satz (6) ist jedoch inakzeptabel, obwohl der analoge Sarz im Italieni-schen in Ordnung wäre. Der Grund dafür ist, daß die Wiederhotungzweier derartigera-Phrasen im Spanischen, ebenso wie in ihm verwand-ten Sprachen, nicht gestattet ist.r Da das Objekt von ,,rasieren" im lta-

lienischen die Präposition a nicht erfordert, ist die italienische Entspre-chung zu (6) ein vollkommen akzeptabler Satz.

In diesen Beispielen sehen wir sprachliche Regeln von unterschied-lichem Allgemeinheitsgrad illustriert. Auf der allgemeinsten Ebene istes im Englischen wie im ltalienischen und Spanischen möglich, durchEinbettung eines Satzes als Komplement des Kausativverbs Kausativ-konstruktionen zu bilden; tatsächlich ist das eine allgemeingültige Ei-genschaft von Sprache überhaupt, obwohl die präzise Realisierung ab-

strakter Merkmale dieser Art von Sprache zu Sprache verschieden ist.Auf einer niedrigeren Stufe der Allgemeingültigkeit unterscheidet sichEnglisch von Spanisch und Italienisch darin, daß das Subjekt des ein-gebetteten Satzes im Englischen in seiner normalen Subjektpositionbleibt, während es im Italienischen und im Spanischen zu einerpräpositionalen a-Phrase wird (oder unausgedrückt bleiben kann). Die-ser Unterschied folgt, wie wir sehen werden, aus tieferliegenden Unter-schieden zwischen dem Englischen auf der einen und Spanisch undItalienisch auf der anderen Seite. Geben wir diesen tieferen Unterschie-den für den Augenblick einfach den Namen ,,die Eigenschaft des einge-betteten Satzes", gleichgültig, als was sie sich schließlich herausstellenwerden. Im Englischen nimmt die Eigenschaft des eingebetteten Satzes

eine andere Form an als im Spanischen oder Italienischen. Dieser Un-terschied zieht eine Reihe von Konsequenzen nach sich, wie in demFall der eben illustrierten Kausativkonstruktionen. Auf einer noch fei-neren Ebene des Details unterscheidet sich Spanisch vom ltalienischendarin, daß einem belebten Objekt die Präposition a vorausgehen muß,wobei ihnen jedoch das allgemeinere Prinzip gemeinsam ist, das dieaufeinanderfolgenden a-Phrasen ausschließt, ein Prinzip, das zur Folgehat, daß (6) im Spanischen inakzeptabel ist.

Um zusammenzufassen: wir haben allgemeine Prinzipien wie das

Prinzip für die Bildung von kausativen und weiteren eingebetteten Kon-struktionen und das Prinzip, das aufeinanderfolgende a-Phrasen aus-

schließt; dann Prinzipien, die eine gewisse Variation in der Form ihrerRealisierung zulassen, wie etwa die Eigenschaft des eingebetteten Sat-zes, und schließlich Regeln aufeiner niedrigeren Ebene, die sehr ähnli-che Sprachen voneinander unterscheiden, wie die Regel, die im Spani-schen die Einfügung von c vor belebten Objekten vorschreibt. Darüberhinaus gibt es natürlich noch weitere Ebenen. Die Interaktion solcherRegeln und Prinzipien bestimmt die Form und die Interpretation derAusdrücke der jeweiligen Sprache.

Betrachten wir nun diese Tatsache wieder vonr Standpunkt des Kin-

t2 l3

des, das Spanisch lernt. Machen wir uns klar, daß jedes der angeführtenBeispiele einen besonderen Fall von Platos Problem darstellt. Wir müs-sen herausfinden, wie das Kind zur Beherrschung der Regeln und prin-zipien gelangt, die das reife System der sprachlichen Wissens bilden.Das Problem ist empirischer Natur. Im Prinzip kommen als Quelle der-artigen Wissens die Umgebung des Kindes oder die biologisch festge-legten Ressourcen des Geistes/Gehirns, insbesondere jene Komponen-te des Geistes/Gehirns, die wir das Sprachvermögen nennen können, inFrage; die Interaktion dieser Faktoren ergibt das Wissenssystem, dasbeim Sprechen und Verstehen zurAnwendung gebracht wird. InsoweitWissen auf Faktoren der Umgebung basiert, muß der GeisVdas Gehirnüber einen Weg verfügen, die relevante Information mittels Mechanis-men, die Teil seiner biologisch festgelegten Ressourcen sind, zu identi-fizieren und herauszufiltern. Derartige Mechanismen könnten für dasSprachvermögen spezifisch sein, oder sie könnten allgemeinere ,,Lern-mechanismen" sein. Also haben wir im Prinzip drei Faktoren in Be-tracht zu ziehen: die genetisch bestimmten Prinzipien des Sprach-vermögens, die genetisch determinierten allgemeinen Lern-mechanismen, und die sprachliche Erfahrung des Kindes, das in einerSprachgemeinschaft aufwächst. Das Problem besteht darin, diese Fak-toren zu unterscheiden und zu identifizieren. Was diese Faktoren be-trifft, sind wir uns der Existenz des dritten sicher (ganz einfach wegender Existenz verschiedener Sprachen), und wir haben ziemlich über-zeugende Belege fiir die Existenz des ersten (die Prinzipien des Sprach-vermögens). Der Status allgemeiner Lernmechanismen ist wcit weni-ger klar, im Gegensatz zu dem, was weithin angenommen wird.

In Bezug auf die eben diskutierten Beispiele können wir nun einigeplausible Spekulationen anstellen. Eine Regel auf niedrigerer Ebenewie die Regel der a-Einsetzung vor belebten Objekten ist ein besonde-res Merkmal des Spanischen, das von dem Kind, das die spanische Spra-che erwirbt, gelernt werden muß; demnach muß die sprachliche Umge-bung in diesem Fall eine gewisse Rolle spielen, wobei sie entweder mitPrinzipien des Sprachvermögens oder mit bestimmten allgemeinen Lern-mechanismen (falls solche allgemeinen Mechanismen existieren) inter-agiert. Aber das Spanisch sprechende Kind muß nicht lernen, daß (6)ein inakzeptabler Satz ist; diese Tatsache folgt aus dem allgemeinenPrinzip, das die aufeinanderfolgenden a-Phrasen ausschließt. LetzteresPrinzip könnte ein Element des Sprachvermögens selbst und daher un-abhängig von Erfahrung verfügbar sein, oder es könnte aus einer Formder Interaktio(t von Erfahrung und angeborenen Mechanismen des

Sprachvermögens oder des Lernens hervorgehen. Was die Eigenschaftdes eingebetteten Satzes angeht, so wird sie zumindest in einem ihrerMerkmale von der sprachlichen Umgebung festgelegt, da verschiedeneSprachen sich, wie wir gesehen haben, im Hinblick auf diese Eigen-schaft unterscheiden. Um eine Terminologie einzullhren, die ich späterverwenrlen werde: Die Eigenschaft des eingebetteten Satzes ist mit ei-nem Parameter verbunden, sie ist parametrisiert. Dieser Parameterkann den einen oder anderen Wert haben, wobei jedoch die allgemeineForm des Prinzips, abgesehen von dieser parametrischen Variation, un-veränderlich ist. Der Wert des Parameters muß durch Erfahrung be-stimmt werden. Sobald der Wert einmal gelernt ist, folgt daraus vermit-tels genereller sprachlicher Prinzipien eine Reihe von Tatsachen, wiezum Beispiel die gerade illustrierten Phänomene.

Wenn wir uns noch allgemeineren Prinzipien zuwenden, ist es ver-nünftig, zu vermuten, daß die Möglichkeit, komplexe Konstruktionenmit einem eingebetteten Satzkomplement zu bilden, überhaupt keinLernen erfordert. Statt dessen steht diese Möglichkeit einfach als einPrinzip des Sprachvermögens zurVerfügung, wobei sich dann aber dietatsächlichen Formen solcher abstrakter Konstruktionen voneinanderunterscheiden werden, und zwar in Abhängigkeit von lexikalischen undsonstigen Merkmalen, die für die jeweilige Sprache spezifisch sind.

Wenn wir im Lichte dieser Bemerkungen auf Platos Problem zu-rückkommen, dann lösen wir das Problem, indem wir von gewissenEigenschaften des Geistes/Gehirns und gewissen Merkmale der sprach-lichen Umgebung ausgehen .Zu den Eigenschaften des Geistes/Gehirnsgehören mehrere Prinzipien des Sprachvermögens: die Verfügbarkeitkomplexer Konstruktionen mit einem eingebetteten Satzkomplement,die Eigenschaft des eingebetteten Satzes mit ihrem offengelassencn Pa-rameter, möglicherweise die Schranke gegen die aufeinanderfolgendenc-Phrasen. Die sprachliche Umgebung muß reich genug sein, um denWert des Parameters zu bestimmen, der mit der Eigenschaft des einge-betteten Satzes verbunden ist und um festzulegen, daß belebte Objekteim Spanischen a-Einfügung erfordern. Vielleicht sind an diesen Pro-zessen allgemeine Lernmechanismen beteiligt, vielleicht auch nicht. DieInteraktion dieser Faktoren bringt ein System von Wissen hervor, dasim Ceist/Gehirn als ausgereifter Zustand des Sprachvermögens reprä-sentiert ist. Dieses Wissenssystem ermöglicht die Interpretation sprach-licherAusdrücke, einschließlich solcher, die neu sind und die das Kind,das die Sprache lernt, noch nie gehört hat. Natürlich nennt diese Skizzenur einige der Elemente, die beteiligt sind um deren allgemeineren Cha-

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rakter zu unterstreichen. Das ist der Weg, dem wir folgen rnüssen, wennwir Platos Problem lösen wollen.

Betrachten wir nun einige Faktoren, die die Dinge weiter komplizic-ren. Anstelle v<tn a Peilro in (2) könnten wir ein ref-lexives Elementsetzen, das sich auf Juan rückbezieht. Im Spanischen stehen zwei Mög-lichkeiten fiir die Wahl des Reflexivs offen: se oder si mismo. Sehenwir uns hier nur die erste davon an. Indem wir pedro durch se ersetzen,erhalten wir:

(7\

Juan afeita a se.

Juan shaves to himself.Juan rasiert zu sich.

Aber (7) ist kein korrekter Satz. Se ist nämlich ein Element, das in derFachsprache als Klitik bezeichnet wird, eine Form, die nicht für sichallein stehen kann, sondern an ein Verb angefügt sein muß. Es gibt folg-lich eine Regel des Spanischen, die se aus der normalen position desdirekten Objekts von afeitar bewegt und an das Verb anfügt, was imvorliegenden Fall folgendes Ergebnis hat:a

(8)

Juan se afeita.Juan self-shaves.Juan sich-rasiert.

,, J uan s hav e s hims e lf. "..Juan rasiert sich."

Die reflexive Form, die (2) entspricht, ist also (8). Vergleichbare Ver-hältnisse gelten für das Italienische und andere Sprachen, die klitischePronomina, darunter Reflexiva aufweisen.

Nehmen wir nun an, wir kombinierten die kausative und die reflexi-ve Konstruktion, indem wir Pedro in (4) durch das Klitik se ersetzen,wodurch wir

(e)

Juan hizo [afeitar a se].Juan made [shave to selfl.Juan machte [rasieren zu sich].

erhalten. Weil se ein Klitik ist, das nicht für sich allein stehen kann,muß es sich bewegen, um sich an ein Verb anzulagern. Theoretisch gibtes hierfür zwei Möglichkeiten: Das Klitik kann sich mitafeitar verbin-den, was (l0a) ergibt, oder mit ftizo, resultierend in (l0b), wo es eben-so wie in der simplen Form (8) dem Verb vorausgeht:

00)a. Juan hizo [afeitarse].

Juan made [shave-selfl.Juan machte Irasieren-sich.l.

b. Juan se hizo [afeitar].Juan self-made [shave].Juan sich-machte Irasieren].,,Juan had someone shave him (Juan).",,Juan liet3 jemanden ihn (Juan) rasieren."

Die zweite Form, (10b), ist in allen spanischen Dialekten (und wei-teren verwandten Sprachen wie dem Italienischen) die Standardform.Der Status der ersten Form, (10a), ist komplexer. Diese Konstruktionerscheint den meisten Sprechern des lateinamerikanischen Spanischenund vielen Sprechern des Spanischen der Iberischen Halbinsel nichtannehmbar. Nichtsdestoweniger scheint die Konstruktion in einigen Va-rianten des iberischen Spanischen akzeptabel zu sein. Wir haben hieralso ein weiteres Merkmal, das keine allgemeine Eigenschaft von Spra-che ist. sondern nur eine charakteristische Besonderheit bestimmterSprachen, die gelernt werden muß: Die Regel, die ein Klitik mit einemVerb verbindet, hat einen Parameter, der zwei Werte erlaubt und aufdiese Weise (10a) von (l0b) unterscheidet; noch wahrscheinlicher je-doch folgt dieser Unterschied aus weiteren Eigenschaften der in Fragestehenden Sprachen, Eigenschaften, die zumindest teilweise gelerntwerden. In (lOb) ist klar, daß das Reflexiv se sich aufJuan bezieht. In(10a) ist die Lage etwas komplexer. Ich lasse diesen Fall für den Au-genblick beiseite und konzentriere mich zunächst auf (lOb).

In Satz (l0b) ist das eingebettete Komplement des kausativen Verbswie in (3) und (4) subjektlos. Aber wie wir gesehen haben, kann das

Subjekt des Komplements explizit sein und als a-Phrase erscheinen.Wenn das Subjekt des Komplements, sagen wir einmal, los muchachos(,,die Jungen") ist, dann sollten wir folgende Form erwarten:

l6 l7

(11)

Juan se hizo [afeitar a los muchachos].Juan self-made [shave to the boys].Juan sich-machte [rasieren zu den Jungen].,,Juan had the boys shave him (Juan).

,,Juan lietJ die Junge ihn (Juan) rasieren."

Aber nun gibt es ein Problem. Obwohl (l0b) ein korrekter Satz ist,ergibt sich durch die Hinzufügung vona los muchachos eine Form, diekeine Interpretation zuläßt: Satz (ll) ist kein normaler Satz mit derBedeutung, daß Juan die Jungen Juan rasieren ließ. Er ist nicht analogzu Satz (10b), der bedeutet, das Juan jemanden, dessen ldentität nichtangegeben ist, Juan rasieren ließ. Aus irgendeinem Grund funktioniertdie Analogie nicht. In diesem Fall können wir nicht auf die Schrankegegen wiederholte c-Phrasen zurückgreifen, um zu erklären, weshalb(ll) nicht akzeptabel ist, denn es liegt keine Wiederholung von a-phra-sen vor. Statt dessen ist irgendein anderes prinzip im Spiel. Und tat-sächlich finden wir, daß auch im Italienischen der Analogsatz zu (ll)als Folge dieses anderen Prinzips unannehmbar ist.

Wir sehen also, daß die Hinzufügung der Phrase a los muchachoszu der kausativ-reflexiven Konstruktion deren Status sehr beträchtlichverändert und zu einem Zusammenbruch der natürlichen Analogienführt. Dasselbe gilt, wenn wir die Phrase a qui6n an den Anfang dieserKonstruktion stellen. Wenn wir diese Phrase (l0b) hinzufügen, erhal-ten wir (f 2), mit einer Anderung der Wortstellung, die durch den Frage-ausdruck a qui6n veranlaßt ist:

(r2')A qui6n se hizo Juan [afeitar]?To whom self-made Juan [shave]?Zu wem sich-machte Juan [rasieren]?

Auch dieser Satz ist im Spanischen und Italienischen vollkommen in-akzeptabel, genau wie (11); Er bedeutet nicht ,,Wen ließ Juan [ihn (Juan)rasierenl?", wie wir aufgrund der analogen Formen erwarten würden.Die Hinzufrigung der Phrase a qui6n ändert den Status der Konstrukti-on und zerstört natürliche Analogien.

Diese Beispiele werfen erneut Platos Problem auf, diesmal in einernoch schärferen und bedeutsameren Form: Woher kennt das Kind. dasSpanisch und Italienisch lernt, Tatsachen wie diese? Die Beispiele er-

weisen außerdem ein weiteres Mal die Holfnungslosigkeit jedes Ver-suchs, Wissen in Begrillen von praktischer Fähigkeit zu erklären oderden Gebrauch von Sprache mit Hilfe von Analogie zu erklären.

Die eben diskutierten Tatsachen bilden Teil des Wissens von Spre-chern des Spanischen. Die Frage ist demnach, wie es kommt, daß

Spanischsprecher diese Tatsachen kennen. Mit Sicherheit ist das nichtErgebnis irgendeines speziellen Übungs- oder Unterrichtskursus; nichtsdergleichen findet im Verlauf des normalen Spracherwerbs statt. Unddas Kind produziert oder interpretiert auch nicht irrtümlicherweise dieSätze (ll) oder (12) ,,in Analogie" zu (lOb) und (5) und wird dann indiesem Irrtum durch die Eltern oder einen anderen Lehrer korrigiert; es

ist zu bezweifeln, daß überhauptjemand diese Erfahrung durchlaufenhat und es ist sicher, daß nicht jeder, der die Tatsachen kennt, sie ge-

macht hat. Darüber hinaus ist, was immer es sein mag, das resultieren-de Wissen ganz gewiß nicht gleichsetzbar mit irgendeinerArt von prak-tischer Fähigkeit oder Fertigkeit. Genau wie Sprecher des Spanischenel libro nicht wegen irgendeines Mangels an Fertigkeit oder Fähigkeitnicht als Bezeichnung für Tische verstehen, liegt der Grund, weshalbsie Juan se hizo afeitar a los muchscftos (mit einem a-Phrasen Sub-jekt im eingebetteten Satz) oderÄ qui6n se hizo Juan afeitar nicht ,,inAnalogie" zu Juan se hizo afeitar interpretieren, nicht in einem Man-gel an Fertigkeit oder Fähigkeit, den sie durch mehr Übung oder Praxisüberwinden könnten. Vielmehr weist das Wissenssystem, das sich imGeisUGehirn des Spanischsprechers entwickelt hat, diesen Sätzen ganz

einfach keine Bedeutung zu.Vielleicht würde der Spanischsprecher, wenn er gezwungen wäre,

diesen inakzeptablen Sätzen dennoch eine Interpretation zuzuweisen,dies tun, möglicherweise in Analogi e zu Juan se hizo afeitar. Das wäreein echter Fall von Analogieverwendung, der normale Gebrauch vonSprache ist aber eben nichts dergleichen.

Kehren wir nun noch einmal zu Beispiel (10a) zurück, in dem dasKlitik se sich mit dem Verb afeitar verbunden hat:

(10a)

Juan hizo [afeitarse].Juan made [shave-selfl.Juan machte [rasieren-sich].

In spanischen Dialekten, die diese Konstruktion zulassen, kann se (mög-licherweise etwas holprig) als bezugnehmend auf das ungenannte Sub-

l8 t9

jekt von afeitar verstanden werden, eine nicht weiter bezeichnete per-

son .r, so daß der Satz bedeuten würde, daß Juan r veranlaßte, sich(nämlichr) zu rasieren, wer immerx sein mag. Nehmen wir jedoch an,wir würden (10a) die Phrase por el barbero hinzufrigen, mit dem Er-gebnis

(13)

Juan hizo [afeitarse por el barbero].Juan made [shave-self by the barber].Juan machte [rasieren-sich von dem Friseur].,,Juan had the barber shave him (Juan)."

,,Juan lielS den Friseur ihn (Juan) rasieren."

Hier bezieht sich se auf Juan, so daß der Satz bedeutet, daß Juan veran-laßte, daß der Friseur Juan rasierte. Hinsichtlich der Wahl zwischen(13) und der alternativen Form (14) scheint letztere die Standardformzu sein:

(14)

Juan se hizo [afeitar por el barbero].Juan self-made [shave by the barberl.Juan sich-machte [rasieren von dem Friseur].,,Juan had the barber shave him (Juan)."

,,Juan lieJ3 den Friseur ihn (Juan) rasieren."

Insgesamt haben wir, wenn wir alle erwähnten Dialekte mitein-beziehen, für den kausativen Fall des Reflexivs die Formen (l5a) -(15c), in denen se sich aufJuan bezieht, und (l5d), wo es sich aufeinenicht näher bezeichnete Person bezieht, wobei (lSc) und (15d) dieDialektvarianten sind:

(ls),,Standard"-Spanisch:a. Juan se hizo [afeitar por el barbero]. = (14)

Juan self-made [shave by the barber].Juan sich-machte [rasieren von dem Friseurl.,,Juan had the barber shave him (Juan)."

,,Juan liel3 den Friseur ihn (Juan) rasieren."

b. Juan se hizo [afeitar].Juan seli-made Ishave].Juan sich-machte Irasieren].,,Juan had someone shave him (Juan).

,,Juan liel3 jentanden ihn (Juan) rasieren."

,,Dinlekt"-Formen:c. Juan hizo [afeitarse por el barbero].

Juan made [shave-selfby the barber].Juan machte [rasieren-sich von dem Friseur].,,Juan had the barber shave him (Juan)."

,,Juan liel3 den Friseur ihn (Juan) rasieren"

d. Juan hizo [afeitarse].Juan made [shave-selfl.Juan machte [rasieren-sich].

= (10b)

= (13)

= (10a)

,,Juan had someone shave (that is, shave himself, not Juan).",,Juan lietJ jemanden rasieren (sich selbst, nicht Juan)."

Fügen wir nun einmal zu (10a) - d.h. (f 5d) - a los machuchos hin-zu; wir erhalten dann:

(16)

Juan hizo [afeitarse a los muchachos].Juan made [shave-self to the boys].Juan machte [rasieren-sich zu den Jungen].

,,Juan had the boys shave (themselves)."

,,Juan lie!3 die Jungen (sich) rasieren."

Hier ist die Bedeutung für Sprecher, die diese Konstruktion akzep-tieren, klar. Der Satz bedeutet, daß Juan veranlaßte, daß jeder der Jun-gen sich selbst rasierte; se bezieht sich auf die Jungen, nicht auf Juan.Also wird (16) nicht in Analogie zu (13) interpretiert, wo sich se aufJuan bezieht:

(l3)Juan hizo [afeitarse por el barbero].

Angenommen, wir fügen zu (l0a) a quiön hinzu, mit dem Ergebnis:

20 2l

(r7)A qui6n hizo Juan [afeitarse]?To whom made Juan [shave-selfl?Zu wem machte Juan [rasieren-sich]?,,Who did Juan have shave (hinrself, not Juan)? ",,Wen liel3 Juan (sich selbst, nicht Juan) rasieren?"

Wie in Beispiel (16) bezieht sich se auch hier nicht - erwa in Analo-gie zu (13) - aufJuan; Satz (17) fragt nicht danach, wer die person ist,die von Juan veranlaßt wurde, Juan zu rasieren. Vielmehr fragt er da-nach, wer die Person ist, die von Juan veranlaßt wurde, sich selber zurasieren. Die Antwort könnte o Pedro sein, in der Bedeutung, daß JuanPedro veranlaßte, Pedro, nicht Juan zu rasieren.

Wieder kennen die Sprecher dieser Dialekte des Spanischen (in Wirk-lichkeit verschiedener Sprachen, die einanderjedoch sehr ähnlich sincl)diese Tatsachen ohne Untenicht oder Erfahrung. In dem Maß, in demsich die Dialekte unterscheiden, muß es durch die ansonsten invariantebiologische Ausstattung erlaubte Variationsmöglichkeiten geben, wo-bei diese Möglichkeiten ihre konkrete Form durch die Erfahrung erhal-ten; dasselbe gilt offenkundig für die Vielfalt an Sprachen überhaupt.Aber ein großer Teil ist unveränderlich und weitgehen<t unabhängigvon Erfahrung festgelegt. Analogie scheint hier ein nutzloses Konzeptzu sein, das zu bemühen nur Ausdruck der Unkenntnis dessen ist, wasdie operativen Prinzipien und Prozesse wirklich sind. Ich werde auf dieoperativen Prinzipien in diesen komplexeren Fällen noch zurückkom-men. Für den Augenblick genügt es, sich klar zu machen, daß sich inFällen wie diesen ein ernstes und ziemlich rätselhaftes Problem stellt,denn es ist offensichtlich, daß die Sprecher des Spanischen ein reichesWissenssystem besitzen, das komplexe und eigenartige Konsequenzenhat, ein System, das weit über irgendeine spezifische Unterweisung oderErfahrung ganz allgemein hinausreicht.

Wir kommen ein weiteres Mal zu dem Schluß, daß sich im GeisUGehirn ein Wissenssystem entwickelt, was uns vor Platos Problem stellt,das hier mit recht einfachen und kurzen Beispielsätzen illustriert wur-de; das Problem, das bereits schwierig genug ist, wird rasch noch weit-aus ernster, sobald wir weniger einfache Fälle betrachten. Wir sehenaußerdem, daß Wissen nicht dasselbe wie praktische Fähigkeit ist, daßsie nicht in Begriffen von Fertigkeiten, Gewohnheiten oder Dispositio-nen erklärbar ist, und daß Descartes Problem und sonstige den Gebrauchvon Sprache betreffende Probleme durch den Rückgriff auf clas

verschwommene Konzept von ,,Analogie" nicht aufgehellt werden.Unterstreichen wir erneut, daß die gerade diskutierten Tatsachen

Sprechern des Spanischen ohne Unterweisung bekannt sind. Kinderlernen diese Dinge nicht durch entsprechende Unterweisung oder Er-fahrung, und es kommt auch kaum (wenn überhauptje) vor, daß sie beiIrrtümern in Fällen wie diesen korrigiert werden. Sie interpretieren nichtetwa zum Beispiel Juan se hizo afeitar a los muchachos oder A qui6nse hizo Juan afeitar? in Analogie zu Juan se hizo afeitar und hörendann von ihren Eltern oder Lehrern, daß der Satz aus irgendeinem Grundnicht wohfgeformt ist, wenn 4 los muchachos oder a qui6n hinzuge-fügt wird. Beispiele dieser Art werden in Grammatikbüchern oderLehranleitungen fürden Untenicht von Spanisch als Fremdsprache nichteinmal angesprochen. Wir können nicht davon ausgehen, daß die Sätzemita los muchachos oder a qui6n verworfen werden, weil das Kind sienoch nicht gehört hat; normales Sprechen besteht regelmäßig aus neu-en Außerungen, und in Wirklichkeit haben kute im allgemeinen nichtdie leisesteAhnung, ob sie einen bestimmten Satz schon einmal gehörthaben oder nicht. Mit Sicherheit sind wenige, womöglich auch gar kei-ner der Leser dieses Buchs schon einmal dem Satz begegnet, den siejetzt lesen, und jemand, der ihn zuftilligerweise schon einmal gehörtoder gesehen hat, würde sich unmöglich an eine solche Tatsache erin-nern können. Also gibt es von dieser Seite her keinen Grund, warumdas Spanisch lernende Kind die Sätze mit a los muchachos oder a quiönnicht ,,in Analogie" zu den einfacheren Sätzen interpretieren sollte.

Die eben diskutierten Tatsachen sind einfach Teil des Wissens, dasim GeisUGehirn des Kindes, das in einer Umgebung aufwächst, woSpanisch verwendet wird, heranreift. Das Kind kennt sie, weil der Geistauf diese Weise arbeitet. Die Eigenschaften dieser Ausdrücke spiegelnPrinzipien der Arbeitsweise des Geistes wider, die Teil des menschli-chen Sprachvermögens bilden. Es gibt keinen weiteren Grund, weshalbdie Tatsachen so sind wie sie sind.

Diese Illustrationen von Platos Problem waren recht einfacherArt,aber sie wurden aus dem reichsten und komplexesten Gebiet der Sprach-struktur gewählt: dem der Konstruktionen und Prinzipien, die an derForm und der Interpretation von Sätzen beteiligt sind. Aber dieselbenProbleme stellen sich auch in anderen Bereichen. und das nicht weni-ger bedeutsam.

Nehmen wir die Frage der Lautstruktur. Auch hier hat die Person,die die Kenntnis einer Sprache erworben hat, eine sehr spezifische Kennt-nis von Tatsachen, die über ihre Erfahrung hinausgehen, zum Beispiel

22 ZJ

darüber, welche nichtexistenten Formen mögliche Wörter sind undwelche nicht. Betrachten wir die Formen s/nd und änid. Sprecher desEnglischen haben noch keine von beiden Formen gehört, aber sie wis-sen, daß strid ein mögliches Wort ist, vielleicht der Name irgendeinerexotischen Frucht, die sie bisjetzt noch nicht gesehen haben, daß aberbni.d, obwohl sie es aussprechen können, kein mögliches Wort ihrerSprache ist. Im Gegensatz dazu wissen Sprecher des Arabischen, dashnid ein mögliches Wort ist, strid dagegen nicht; Sprecher dcs Spani-schen wissen, daß wederslrad nochbnid ein mögliches Wort ihrer Spra-che ist. Diese Tatsachen können mit Hilfe von Regeln der Lautstrukturerklärt werden, deren Kenntnis sich der Sprachlernende im VerlaufdesErwerbs der Sprache aneignet.

Der Erwerb der Regeln der Lautstruktur wiederum hängt von invari-anten Prinzipien ab, die die möglichen Lautsysteme für menschlicheSprachen, die Elemente, aus denen sie zusammengesetzt sind, die Wei-se ihrer Kombination und die Modifikationen, denen sie in verschiede-nen Kontexten unterliegen können, festlegen. Diese Prinzipien sind demEnglischen, Arabischen, Spanischen und allen anderen menschlichenSprachen gemeinsam und werden von einer Person, die irgendeine die-ser Sprachen erwirbt, unbewußt angewendet; die Prinzipien gehörenzum angeborenen Sprachvermögen, einer Komponente des Geistes/Gehirns. Diese Prinzipien des Sprachvermögens sind jedoch keines-wegs logisch notwendig. Wir können leicht Systeme konstruieren, diesie verletzen, aber das wären dann keine menschlichen Sprachen. Diesekönnten vielleicht sogar gelernt werden, aber mittels anderer Fähigkei-ten des Geistes, nicht des Sprachvermögens. Es könnte dann ein müh-seliger Lehrgang, der regelrechten Unterricht und übung einschließt,erforderlich sein, um solche Systeme zu lernen, oder vielleicht müßteman sie in derselben Weise entdecken, wie wir Prinzipien der Chemieoder Physik entdecken - oder wie wir die Prinzipien entdecken, die inder menschlichen Sprache wirksam sind, wenn wir das Problem alsWissenschaftler angehen, die versuchen, bewußte Kenntnis und einVerständnis von in der Welt bestehenden Tatsachen zu entwickeln, undnicht als Sprachlernende, die von in unserem GeisUGehirn bereits vor-handenen Prinzipien Gebrauch machen, ohne uns dessen bewußt zusein oder auch nur die Möglichkeit der Introspektion zu haben.

Angenommen, es würde argumentiert, daß die Kenntnis möglicherWörter ,durch Analogie" gewonnen wird. Die Erklärung sagt nichts,solange der Inhalt dieses Begriffs nicht dargelegt wird. Wenn wir ver-suchen, ein Konzept von ,,Analogie" zu entwickeln, das eine Begrün-

dung der erwähnten Tatsachen liefert, werden wir entdecken, daß wir indiesen Begriff die Regeln und Prinzipien der Lautstruktur einbauen. Esgibt keinen allgemeinen BegrifT von ,,Analogie," der sich auf diese eben-so wie auf andere Fälle anwenden läß1. Vielmehr wird der Begriff inäußerst irrcführender Weise gebraucht, um von den Eigenschaften be-sondcrer Subsysteme unseres Wissens zu sprechen, von Eigenschaften,die in jeweils verschiedenen Fällen vollkommen unterschiedlich sind.

Die Lösung von Platos Problem muß darauf basieren, daf3 die invari-anten Prinzipien des Sprachvermögens dem menschlichen Organismusals Teil seiner biologischen Ausstattung zugeschrieben werden. DiesePrinzipien spiegeln die Weise wider, auf die der Geist im Bereich desSprachvermögens arbeitet.

Eine bemerkenswerte Tatsache hinsichtlich des Spracherwerbs beimKleinkind ist der Grad der Präzision, mit der das Kind das Sprechenseiner Vorbilder (Familienmitglieder, andere Kinder oder wer auch im-mer) nachahmt. Die Genauigkeit des phonetischen Details geht weitüber das hinaus, was Erwachsene ohne Fachausbildung wahrnehmenkönnen und kann daher unmöglich das Ergebnis irgendciner Form vonÜbung sein (ganz abgesehen davon findet der Spracherwerb für ge-

wöhnlich in ganz normaler Weise statt, auch ohne daß ihm irgendwel-che Aufmerksamkeit seitens der Vorbilder gewidmet wird, und wahr-scheinlich weitgehend unabhängig von solcher Aufmerksamkeit, fallssie an den Tag gelegt wird. Ausnahmen hiervon kommen nur seltenvor). Das Kind hört offenbar - natürlich nicht bewußt - feine Einzel-heiten phonetischer Nuancierung, die es dann als Komponente in seinsprachliches Wissen integriert, die es aber im Erwachsenenleben nichtmehr zu unterscheiden in der Lage sein wird.

Ahnliche Probleme stellen sich auf dem Gebiet des Wortschatz-erwerbs, und die Lösung für sie mufJ in der selben Richtung liegen: inder biologischen Ausstattung, die das Sprachvermögen ausmacht. Wäh-rend der Periode des maximalen Wachstums des Vokabulars meistertdas Kind neue Wörter mit erstaunlichem Tempo: vielleicht ein Dutzendam Tag oder mehr. Jeder, der einmal versucht hat, ein Wort präzise zudefinieren, weiß, daß das eine äußerst schwierige Angclegenheit ist, beider verwickelte und komplexe Eigenschaften irn Spiel sind. Gewöhnli-che Definitionen in ein- oder zweisprachigen Wörterbüchern kommeneiner Charakterisierung der Bedeutung des Wortes nicht einmal nahe,und das müssen sie auch nicht, weil der Wörterbuchautor davon ausge-hen kann, daß der Benutzer des Wörterbuchs ja die im Sprachvermögendes Geistes/Gehirns bereits vorhandene sprachliche Kompetenz besitzt.

24 25

Die Geschwindigkeit und Präzision des Wortschatzerwerbs lassen kei-ne wirkliche Alternative zu der Schlußfolgerung zu, daß die Begriffedem Kind in irgendeiner Weise schon vor der Erfahrung mit Sprachezur Verfrigung stehen, und daß es im wesentlichen Bezeichnungen fürBegriffe lernt, die bereits Teil seines begrifflichen Apparats sind. Daranliegt es, daß Wörterbuchdefinitionen ihrem Zweck genügen können,obwohl sie so ungenau sind. Die grobe Annäherung genügt, weil dieGrundprinzipien der Wortbedeutung (was immer sie sind) demWörterbuchbenutzer, ebenso wie dem Sprachlernenden, unabhängig vonjeglicher Unterweisung oder Erfahrung bekannt sind.

Diese Prinzipien der Wortbedeutung sind sehr subtil und überra-schend. Man betrachte ein einfaches Wort wie libro. Ohne Unterwei-sung oder relevante Erfahrung weißjeder Sprecher des Spanischen, daßdieses Wort entweder eine abstrakte oder eine konkrete Interpretationerhalten kann. In Satz (18) zum Beispiel wird das Wort konkret, alsbezugnehmend auf ein spezifisches physisches Objekt interpretiert,während es in (19) abstrakt interpretiert wird und ein abstraktes Gebil-de bezeichnet, das eine breite (wenn auch nicht unbegrenzte) Skalaphysischer Materialisierungen aufweisen kann:

(r8)El libro pesa dos kilos.,,The book weighs two kilos.",,Das Buch wiegt zwei Kilo."

(r9)Juan escribi6 un libro.,,Juan wrote a book.",,Juan schrieb ein Buch."

Darüberhinaus kann das Wort in beiden Bedeutungen gleichzeitig ge-braucht werden, wie in

(20)

Juan escribi6 un libro de politica, que pesa dos kilos.,,Juan wrote a book about politics that weighs two kilos.",,Juan schrieb ein Buch über Politik, das zwei Kilo wiegt."

Hier wird die Phrase libro de politica im Hauptsatz in ihrem abstraktenSinn als das Objekt des Verbs escribir (,,schreiben") verwendet, im

Relativsatz dagegen in ihrem konkreten Sinn als das Subjekt des Verbspesar (,,wiegen"). Der Satz hat ungefähr die Bedeutung der Konjunkti-on der beiden Sätze von (21):

(2r\Juan escribi6 un libro de politica; el libro pesa dos kilos.,,Juan wrote a book about politics; the book weighs two kilos.",,Juan schrieb ein Buch über Politik; das Buch wiegt zwei Kilo."

Der abstrakte Sinn von un libro de politica im Hauptsatz kommt klarerheraus in Sätzen wie (22):

(22)Juan escribiö un libro de politica, que pesa dos kilos en tela e unkilo en rristica.,,Juan wrote a book about politics, which weighs two kikts in hardcoverand one kilo in paperback."

,,Juan schrieb ein Buch über Politik, das gebunden zwei Kilo und alsPaperback ein Kilo wiegt."

Hier bezieht sichun libro de politica auf einen abstrakten Gegenstand,der auf verschiedene Arten materialisiert sein kann.

In anderen Fällen, in denen ein Wort zwei Bedeutungen hat, sieht dieLage aber ganz anders aus. Nemen wir das Wort gata im Umgangs-spanischen; es kann eine - weibliche - Katze oder eine Vonichtungzum Anheben eines Wagens (in anderen Dialekten: gato)bezeichnen.Aber Satz (23) hat nicht - analog zu (20) mit der Bedeurung (21) - dieBedeutung(cn) (?A):

Q3\Juan tiene una gata que puede levantar el carro.,,Juan has a cat/jack that can lift the car"Juan hat eine Katze/einen Wagenhebe4 die/der den Wagen hochhebenkann."

(u\Juan tiene una gata; la gata puede levantar el carro.,,Juan has a cat; the jack can lift the car",,Juan has a jack; the cat can lift the car",,Juan hat eine Katze; der Wagenheber kann den Wagen hochheben."

26 2l

,,Juan hat einen Wagenheber; die Katze kann den Wagen hochheben."

Die Beziehung, die in (23) zwischen dem Wort im Hauptsatz und scinerunausgesprochenen Wiederholung im Relativsatz besteht, reicht nichtaus, um eine der Interpretation en in (A) zu ergeben, obwohl die Bezie-hung für (20) und (21) hinreicht.

Dieselben Phänomene können auch im Englischen gezeigt werden.So hat das Wort book die in (18) - (20) gezeigten Eigenschafren, aberein Wort wie trunk (long snout of an elephant/dt. langes Riechorganeines Elefanten; large luggage container/dt. großer Gepäckbehälter)besitzt sie nicht; Satz (25a) hat nicht die Bedeurung von (25b), und (26)verstehen wir so, daß sich die Phrase elephant,s trunk auf den Gepäck-behälter des Elefanten bezieht:

(2s)a. The elephant has a trunk, which is packed full of clothes.

,,Der Elefant hat einen Koffer der mit Kleidern vollgepackt ist."

b. The elephant has a trunk (long snout); the trunk (luggagecontainer is packed full ofclothes.,,Der Elefant hat einen Rüssel; der Koffer ist mit Kleidern vollse-packt."

(26)I gazed at the elephant's trunk, which was packed full of clothes.,,lch starrte auf den Kofler des Elefanten, der mit Kleidern vollgepacktwar"

Solche Phänomene stellen fiir Sprecherjedweder Sprache keinerleiSchwierigkeit dar. Die Tatsachen sind ohne relevante Erfahrung bekannt,und sie müssen einer Person, die Spanisch oder Englisch als Zweit-sprache lernt, nicht beigebracht werden. Klar auszudrücken, worum esgeht und wie weit die in Anwendung kommenden Prinzipien gelten, istkeineswegs einfach und tatsächlich auch noch nie getan worden, außerbeiläufig und ungenau. Offensichtlich ensteht die Kenntnis der Tatsa-chen aufder Basis einer biologischen Ausstattung, diejeder Erfahrungvorausgeht und die mit bemerkenswerter Präzision und sicherlich nichtauf eine Weise, die irgendwie logisch notwendig ist, an der Bestim-mung der Bedeutung von Wörtern beteiligt ist. Eine - genauso mögli-che - Sprache könnte auf ganz andere Weise funktionieren, aber sie

wäre keine menschliche Sprache und könnte von Menschen nur unterSchwierigkeiten, wenn überhaupt gelernt werden.

Dasselbe gilt im Hinblick auf die allereinfachsten Konzepte, zumBeispiel das Konzept eines benennbaren Dings, von dem sich, wennman es näher untersucht. herausstellt. daß es bemerkenswert verwik-kelt ist und sogar die schon sehr differenzierte Idee der menschlichenVerursachung einschließt. In ähnlicher Weise ist das Konzept der Per-son, eines der primitivsten Konzepte, das schon einem Kleinkind zu-gänglich ist, äußerst komplex und ist über viele Jahrhunderte das The-ma subtiler philosophischer Untersuchungen gewesen. Mit Sicherheitwird all das nicht durch Erfahrung gelernt. Tatsächlich müssen wir, umdie Grenzen der Begriffe, die wir besitzen und ohne Nachdenken oderBewußtsein verwenden, festzulegen, eigens erfundene Beispiele kon-struieren, und das ist eine alles andere als leichte Autgabe.

Die Konzepte, die, unabhängig von Erfahrung, verfügbar sind, ummit Wörtern in einer menschlichen Sprache verbunden (oder durch siebezeichnet) zu werden. stellen nicht einfach eine Liste dar. Vielmehrsind sie, ebenso wie die Laute der Sprache, Teil systematischer Struktu-ren, die auf bestimmten elementaren, immer wiederkehrenden Begrif-fen und Prinzipien der Kombination basieren. ldeen wie Handlung,Agens einer Handlung, Ziel, Absicht und andere gehen jede auf kom-plexe Art in die Konzepte des Denkens und der Sprache ein. Betrachtenwir die Wörter seguir (,,folgen") und perseguir (,,verfolgen"). Letzte-res schließt menschliche Absicht ein. Jemanden zu verfolgen heißt nichtlediglich, ihm zu folgen; tatsächlich kann man jemanden verfolgen, ohnegenau seinem Weg zu folgen, und man kann jemandes Weg genau undin festem Abstand folgen, ohne daß man ihn verfolgt (durch Zufall zumBeispiel). Vielmehr heißt jemanden verfolgen, ihm mit einer bestimm-ten Absicht zu folgen (letzteres in einem recht losen Sinn): derAbsicht,auf seiner Spur zu bleiben und vielleicht (aber nicht notwendigerwei-se), ihn zu fangen. Ahnlich gehören zu dem'V,lortpersuadir (,,überzeu-gen") der Gedanke der Verursachung ebenso wie die Idee der Absichtoder der Entscheidung (und noch vieles mehr). John zu überzeugen,aufs College zu gehen, heißt, zu verursachen, daß John sich entscheidetoder dieAbsicht hat, aufs College zu gehen; wenn John zu keinem Zeit-punkt die Entscheidung trifTt oder beabsichtigt, aufs College zu gehen,dann habe ich ihn nicht überzeugt, aufs College zu gehen, so sehr ich esauch versucht haben mag. Die Lage ist in Wirklichkeit noch um einigeskomplexer. Ich kann John durch Gewalt oder Drohung veranlassen, denEntschluß zu fassen, aufs College zu gehen, ohne ihn jedoch, streng

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gesprochen, überzeugt zu haben, aufs College zu gehen. Überzeugungsetzt eigenes Wollen voraus. Wenn ich sage, daß der PolizeivernehmerJohn durch die Drohung mit Folter überzeugte, zu gestehen, verwendeich den Begriff ,,überzeugen" ironisch. Jemand, der keinerlei Spanischkennt, wird dennoch diese Sachverhalte bezüglich des Wortespersuadirkennen, und dasselbe gilt im wesentlichen für das Kind, das Spanischlernt * oder Englisch oder andere menschliche Sprachen. Das Kind mußgenug Information bekommen, um zu bestimmen, daß die Formpersuadir diejenige ist, die dem schon bereitliegenden Konzept ent-spricht, aber es muß nicht die präzisen Grenzen und Feinheiten diesesKonzepts entdecken, das bereits vor der Erfahrung mit Sprache ver-fügbar ist.

Das Kind geht an die Sprache mit einem intuitiven Verständnis sol-cher Konzepte wie physischer Gegenstand, menschliche Absicht, Wol-len, Verursachung, Ziel und so weiter heran. Diese bilden einen Rah-men für Denken und Sprache und sind den Sprachen der Welt gemein-sam, wenngleich selbst in ihrem Charakter und dem kulturellen Hinter-grund ihres Gebrauchs einander so Zihnliche Sprachen wie Englisch undSpanisch sich in den verwendeten Ausdrucksmitteln etwas unterschei-den können, wie ein Sprecher der einen Sprache schnell entdeckt, wenner versucht, die andere zu lernen. Zum Beispiel ist das englische Wort,das dem spanischen p ersua.dir entspricht, nämlich pers uade , in einemseiner Bedeutungsaspekte ein Kausativ, das auf dem Konzept basiert,das im Englischen durch das einzelne Wort intend (,,beabsichtigen"),im Spanischen aber durch die Phrase tener intencidn (,,die Absicht ha-ben") ausgedrückt wird. Wenn auch Wörter einander über die Sprachenhinweg nicht präzise entsprechen müssen, ist der konzeptuelle Rah-men, in dem sie ihren Platz finden, dennoch eine allen Menschen ge-meinsame Eigenschaft. Das Ausmaß, in dem dieser Rahmen durch Er-fahrung und variierende kulturelle Bedingungen modifiziert werdenkann, ist eine Sache, über die man streiten kann, aber es steht außerFrage, daß der Erwerb des Wortschatzes von einem reichen und invari-anten konzeptuellen System geleitet wird, dasjeder Erfahrung voraus-geht. Dasselbe trifft sogar für die technischen Konzepte der Naturwis-senschaften zu, die der Wissenschaftler auf der Basis nur unvollständi-ger Information und Evidenz erwirbt und von denen er einen Großteilohne explizite oder präzise Formulierung einfach als gegeben voraus-setzt, wenn man von den entwickelteren Stufen sehr anspruchsvollerBereiche der Mathematik einmal absieht.

Eine Schlußfolgerung, die auf der Basis von Beobachtungen wie die-

sen recht gut etabliert zu sein scheint, ist, daß die Wahrheit mancherAussagen unabhängig von jeder Erfahrung bekannt ist. Diese Aussa-gen stellen das dar, was Bedeutungswahrheiten genannt wird, im Ge-

gensatz zu empirischen Tatsachenwahrheiten. Ohne irgendeine Kennt-nis über die realen Tatsachen in der betreflenden Angelegenheit zu ha-

ben, weiß ich, daß, wenn Sie John überzeugt haben, aufs College zu

gehen, er irgendwann beabsichtigt oder sich entschieden hat, aufs Col-lege zu gehen; wenn das nicht der Fall war, haben Sie ihn nicht über-zeugt. Die Aussage, daß John zu überzeugen, dieses oderjenes zu tun,

heißt, ihn zu veranlassen, die Absicht zu haben oder die Entscheidungzu treffen, das Besagte zu tun, ist notwendigerweise wahr. Sie ist wahrkraft der Bedeutung ihrer Begriffe und unabhängig von jeglichen Tat-sachen; sie ist, im technischen Jargon, eine ,,analytische Wahrheit." Aufder anderen Seite muß ich, um zu wissen, ob die Aussage, daß John

aufs College ging, wahr ist, gewisse Tatsachen hinsichtlich der Weltkennen.

Eine der weithin akzeptierten und ziernlich einflußreichen Schluß-folgerungen der modernen angelsächsischen Philosophie lautet, daß es

keine scharfe Unterscheidung zwischen analytischen Wahrheiten und

Aussagen, die nur kraft derTatsachen wahr sind, gibt; was in früherenArbeiten als analytischen Wahrheit bezeichnet wird, stellt diesen Be-hauptungen zufolge nur den Ausdruck fester Überzeugung dar. DieseSchlußfolgerung scheint gänzlich verkehrt zu sein. Es gibt keinerleiTatsache, die ich in der Welt entdecken könnte, die mich dazu bringenwürde, zu glauben, daß Sie John überzeugt haben, aufs College zu ge-

hen, obwohl er niemals beabsichtigte oder den Entschluß faßte, aufsCollege zu gehen; es gibt sogar noch nicht einmal Erfahrungstatsachen,die für das Urteil, daß es Ihnen nicht gelungen ist, ihn zu überzeugen,

wenn er nie beabsichtigte oder sich entschloß, aufs College zu gehen,

auch nur relevant sind. Die Beziehung zwischenpersuodir (,,persuade"/

,,überzeugen") und tener intenci6n (,,intend"/,,beabsichtigen") oderdecidir (,,decide"/,,beschließen") ist eine der konzeptuellen Struktur,unabhängig von Erfahrung - obwohl Erfahrung notwendig ist, um dieBezeichnungen festzulegen, die eine bestimmte Sprache für die Kon-zepte verwendet, die an solchen Beziehungen beteiligt sind. Diephilosopische Debatte über diese Fragen ist irreführend, weil sie das

Augenmerk auf sehr einfache Beispiele gerichtet hat, Beispiele, dieWörter betreffen, denen die relationale Struktur solcher Begriffe wieverfolgen und überzeugen fehlt.,,Katzen sind Tiere" ist eine Bedeu-tungswahrheit oder eine der Tatsachen (wenn wir herausf:inden, daß

30 3l

das, was wir Katzen nennen, in Wirklichkeit von Marsmenschen ge-steuerte Roboter sind, würde der Satz ..Katzen sind Tiere" dann nun-mehr als falsch angesehen werden, oder würden wir den Schluß zichen,daß das, was wir bisher Katzen genannt haben, in Wirklichkeit keineKatzen sind?). In solchen Fällen ist eine Entscheidung nicht leicht zutreffen, in anderen jedoch erscheint sie recht eindeutig.

Darüberhinaus kann empirische Untersuchung den Status einerAus-sage als einer Bedeutungswahrheit oder einer empirischen Tatsache klä-ren helfen; zum Beispiel die Untersuchung des Spracherwerbs und derVariation zwischen verschiedenen Sprachen. Demnach ist die Unter-scheidung zwischen Bedeutungswahrheiten und empirischen Tatsachen-wahrheiten eine empirische Angelegenheit, die nicht bloß durch Refle-xion und ganz gewiß nicht durch einfache Festlegung entschieden wer-den kann. Die ganze Sache muß umfassend neu überdacht werden, undvieles von dem, was während der letzten Jahrzehnte über diese Fragenallgemein angenommen worden ist, scheint bestenfalls zweifelhaft zusein.

Es scheint, daß das Kind an die Aufgabe des Spracherwerbs mit ei-nem bereits vorhandenen reichen konzeptuellen Rahmen sowie mit ei-nem reichen System von Annahmen über die Lautstruktur und die Struk-tur komplexerer Außerungen herangeht. Diese bilden diejenigen Teileunseres Wissens, die, der Formulierung Humes zufolge, ,,aus der ur-sprünglichen Hand der Natur" stammen. Sie bilden einen besonderenTeil der biologischen Ausstattung des Menschen, der durch Erfahrunggeweckt und im Verlauf der Interaktionen des Kindes mit der mensch-lichen und materiellen Welt ausgeformt und bereichert werden muß.Auf diese Weise können wir uns einer Lösung von Platos Problem voneiner Richtung her nähern, die derjenigen von Plato selbst nicht ganzunähnlich, wenn auch ,,vom Irrtum der Präexistenz gereinigt" ist. Ichwerde in der letzten Vorlesung auf weitere Fragen zurückkommen, diesich stellen, wenn wir diese Schlußfolgerungen und ihre Implikationengenauer betrachten.

Anmerkungen

I Für die detaillierteste neuere Darlegung dieser Auffassung, siehe Anthony Kenny:The Legacy of Wittgenstein (Oxford: Blackwell, 1984). Für eine weiter in Einzel-heiten gehende Diskussion einschließlich Bemerkungen zu Kennys Kritik meiner ei-genen Ansichten, siehe meinen Artikel ,J-anguage and Problems of Knowledge" inTeorcma (Madrid).

Hier und im gesamten Buch werden die spanischen Beispiele mit einer englischenWort-für-Wort-Übersetzung gebracht, zusammen mit einer in Anführungszeichen ste-

henden Paraphrase der Bedeutung, falls nicht, wie in (1), die Wort-für-Wort-Überset-zung ohnehin mit der Paraphrase identisch ist. (Zur Orientierung des deutschen Iz-sers wurde n e ntsprechend auch de ut sc he Wort -für-llort - Ü be rselzun gen undP araphras e n be i g efü gt, A. d. Ü. )Das Ganze ist noch komplexer. So ist die Konstruktion, wenn eine dera-Phrasen eine

wirkliche Präpositionalphrase ist, wie in Juan tirö a su amigo al agua (,,Juan warfseinen Freund ins Wasser"), wieder akzeptabel. Aber wenn a beide Male nur aus

syntaktischen Gründen eingesetzt wird und semantisch leer ist, ist die Konstruktionausgeschlossen. Ich sehe von dieser und weiteren Komplexitäten hier ab.

Das Reflexivpronomen se steht in der dritten Person, ist aber neutral in Bezug aufGeschlecht und Numerus. Damit entspricht es dem englischen ,,himself', ,,herself',,,themselves". ln rneinen englischen Versionen der Beispielsätze übersetze ich es da-her als ,,self', obwohl ,,3-sell'genauer wäre. (Bei den deutschen Übersetzungen derBeispiele taucht dieses Problem nicht auf. Se inr Spanischen enlspricht dem deut-schen ...sich". A.d.Ü.)

J.1. JJ

uDas F orschungsprogrammder modernen Linguistik

Gestern habe ich einige der grundlegenden Fragen der Wissenschaftvon der Sprache diskutiert. Wir können das zentrale Problem dieserUntersuchung auf folgende Art fassen. Der Geisildas Gehirn des Men-schen ist ein komplexes System mit unterschiedlichen miteinander inter-agierenden Komponenten, unter denen eine ist, die wir als das Sprach-vermögen bezeichnen können. Letzteres System scheint in seinen we-sentlichen Eigenschaften nur der menschlichen Art eigen und den An-gehörigen der Spezies gemeinsam zu sein. Aufgrund seincr Konfronta-tion mit Daten legt das Sprachvermögen die jeweilige Sprache fest:Spanisch, Englisch, etc. Diese Sprache legt ihrerseits einen großen Be-reich potentieller Phänomene fest, die weit über die präsentierten Da-ten hinausreichen. In schematischer Form haben wir demnach folsen-des Bild:

lt]r"r- ttt---t".."1 + gprache + strukturierteAusdrückeI Yermogen | ^

Nehmen wir an, ein Kind mit dem menschlichen Sprachvermögenals Teil seiner angeborenen Ausstattung wird in eine soziale Umgebungversetzt, in der Spanisch gesprochen wird. Das Sprachvermögen wähltaus den in seiner Umgebung stattfindenden Ereignissen in Betrachtkommende Daten aus; indem es von diesen Daten in einer durch dieinnere Struktur des Sprachvermögens bestimmten Weise Gebrauchmacht, konstruiert das Kind eine Sprache, nämlich Spanisch, odcr ge-nauer gesagt, die Variante des Spanischen, der es ausgesetzt ist. DieseSprache ist nun Bestandteil des Geistes. Sobald dieser Prozeß abge-schlossen ist, bildet die Sprache den nunmehr vom Sprachvermögenerreichten reifen Zustand. Die Person spricht und versteht nun dieseSprache.

Die Sprache bildet jetzt eines der vielen Wissenssysteme, die diePerson im Verlauf der Zeit erworben hat, eines der kognitiven Systemeder Person. Die Sprache ist ein reiches und komplexes System bestimm-ter Art, mit spezitischen Eigenschaften, die von der Natur des Geistes/

Gehirns bestimmt sind. Diese Sprache legt ihrerseits einen weitgespann-ten Bereich potentieller Phänomene fest; sie weist sprachlichen Aus-drücken, die weit über jcgliche Erlhhrung hinausgehen, eine Strukturzu. Wenn es sich bei der Sprache um Spanisch handelt, dann legt daskognitive System, das das Kind erworben hat, fest, daß strid kein mög-liches Wort ist; dasselbe gilt, wenn die Sprache Arabisch ist, nicht aberim Fall von Englisch. In ähnlicher Weise legt die Sprache f'est, daß diePhrase el libro in einem konkreten oder einem abstrakten Sinn oder inbeiden gleichzeitig verwendet werden kann. Sie legt Beziehun gen zwi-schen der Bedeutung des Wortes persuadir und der Phrase tenerintenciön fest. Sie bestimmt ferner, daß Juan se hizo afeitar ein ein-wandfrei geformter Satz mit einer ganz spezifischen Bedeutung ist, daßaber dieser Status trotz des Vorhandenseins diverser Analogien verlo-rengeht, wenn wir a los muchacftos dem Ende oder a quiön dem An-fang des Satzes hinzufügen. Entsprechendes gilt für einen unbegrenz-ten Bereich möglicher Erscheinungen, die über die Erfahrung der Per-son, die die Sprache erworben hat oder der Sprachgemeinschaft, in diediese Person hineinwächst, bei weitem hinausgehen.

Ich sollte erwähnen, daß ich den Begriff ,,Sprache" verwende, umein individuelles Phänomen zu bezeichnen, ein im Geist/Gehirn eineseinzelnen Individuums repräsentiertes System. Wenn wir der Frage ge-nau genug nachgehen könnten, würden wir herausfinden, daß keine zweiverschiedenen Personen, nicht einmal eineiige Zwillinge, die in dersel-ben sozialen Umgebung aufwachsen, in diesem Sinn exakt diesselbeSprache miteinander teilen.Zwei Personen können in dem Maß mitein-ander kommunizieren, in dem ihre Sprachen einander hinreichend ähn-lich sind.

Im Gegensatz dazu haben wir, wcnn wir im gcwöhnlichen Sprach-gebrauch von einer Sprache reden, eine Art von sozialem Phänomenim Sinn, ein Merkmal, das von einer Gerneinschaft geteilt wird. Vonwas für einer Gemeinschaft? Auf diese Frage gibt es keine klare Ant-wort. Wir sprechen von Chinesisch als einer Sprache, während Spa-nisch, Katalanisch, Portugiesisch, ltalienisch und die anderen romani-schen Sprachen verschiedene Sprachen sind. Aber die sogenannten Dia-lekte des Chinesischen sind ebenso verschieden voneinander wie dieromanischen Sprachen. Wir nennen Holländisch eine Sprache undDeutsch eine andere Sprache, aber die Variante des Deutschen, die inder Nähe der holländischen Grenze gesprochen wird, kann von Spre-chern des Holländischen, die ebenfalls in der Region leben, verstandenwerden, nicht aber von Sprechern des Deutschen in weiter entfernten

34 .l-5

Gebieten. Der Begriff ,,Sprache," wie er im gewöhnlichen Gesprächverwendet wird, schließt unklare soziopolitische und normative Ele-mente ein. Es ist fraglich, ob wir eine kohärente Beschreibung davongeben können, wie der Begriff tatsächlich verwendet wird. Das ist fürden normalen Sprachgebrauch kein Problem. Dieser erfordert als Be-dingung lediglich, daß die Verwendung für gewöhnliche Zwecke aus-reichend klar ist. Aber wenn wir eine ernsthafte Untersuchung der Spra-che betreiben, benötigen wir eine gewisse begriffliche Präzision undmüssen daher die Konzepte des gewöhnlichen Gebrauchs verfeinern,modifizieren oder einfach durch andere ersetzen, ebenso wie die phy-sik Begriffen wie ,,Energie," ,,Kraft" und ,,Arbeit" eine präzise techni-sche Bedeutung zuweist, die von den ungenauen und reichlich unkla-ren Konzepten des alltäglichen Gebrauchs abweicht. Es mag möglichund lohnend sein, die Erforschung der Sprache in ihren soziopolitischenDimensionen zu betreiben, aber diese zusätzliche Untersuchung kannnur in dem Maß Fortschritte machen, in dem wir ein Verständnis vonden Eigenschaften und Prinzipien der Sprache in einem engeren Sinnhaben, nämlich im Sinn der Individualpsychologie. Sie wird dann eineErforschung der Frage sein, wie sich die im GeisUGehirn verschiede-ner interagierender Sprecher repräsentierten Systeme voneinander un-terscheiden und wie sie innerhalb einer zumindest teilweise auf nicht-sprachliche Weise charakterisierten Gemeinschaft zueinander in Bezie-hung stehen.

Außerdem sollten wir auch daran denken, daß das Sprachvermögentatsächlich ein ausschließlicher Besitz des Menschen zu sein scheint.Andere Organismen haben ihre eigenen Systeme der Kommunikation,aber diese weisen von der menschlichen Sprache radikal verschiedeneEigenschaften auf. Außerdem ist die menschliche Sprache weit mehrals ein bloßes Kommunikationssystem: Sprache wird verwendet, umGedanken auszudrücken, zur Herstellung zwischenmenschlicher Be-ziehungen ohne besonderen kommunikativen Belang, zum Spiel undfür eine Reihe weiterer menschlicherZwecke.In den letzten Jahren hates zahlreiche Bemühungen gegeben, anderen Organismen (zum Bei-spiel Schimpansen und Gorillas) einige der Anfangsgründe menschli-cher Sprache beizubringen, doch wirdjetzt weithin anerkannt, daß die-se Bemühungen fehlgeschlagen sind - eine Tatsache, die kaum jeman-den überraschen wird, der ein wenig über die Sache nachdenkt. DasSprachvermögen verleiht einer Spezies, die es besitzt, enorrne Vorteile.Es ist kaum wahrscheinlich, daß eine Spezies diese Fähigkeit besitzt,aber nie darauf gekommen ist, sie zu benutzen, bis sie von Menschen

darin unterrichtet wurde. Das ist ungefähr so wahrscheinlich wie dieEntdeckung, daß es auf irgendeiner abgelegenen Insel eine Vogelartgibt, die alle Voraussetzungen zum Fliegen besitzt, aber nie darauf ge-

kommen ist, zu fliegen, bis sie von Menschen in dieser Fertigkeit unter-wiesen wurde. Wenn das auch keine logische Unmöglichkeit ist, so wärees doch ein biologisches Wunder, und es besteht kein Grund zu derAnnahme, daß es stattgefunden hat. Stattdessen deutetdas Datenmaterial,genau wie wir es sowieso hätten erwarten sollen, darauf hin, daß nochdie rudimentärsten Merkmale menschlicher Sprache weit über das Fas-

sungsvermögen anderweitig intelligenterAffen hinausgehen, ebenso wiedie Fähigkeit zu fliegen oder das Heimkehrvermögen von Tauben nichtzu den Fähigkeiten des Menschen gehören.

Das Sprachvermögen ist, soweit wir wissen, nicht nur in seinen we-sentlichen Merkmalen einzigartig für die menschlicheArt, sondern auch

der Spezies gemeinsam. Wir kennen keinen Grund zu der Vermutung,daß es so etwas wie eine rassische Differenzierung in Bezug auf dasSprachvermögen gibt. Falls es genetische Unterschiede gibt, die denErwerb und den Gebrauch von Sprache beeinflussen, liegen sie ein gu-tes Stück jenseits unserer gegenwärtigen Fähigkeit, sie auszumachen,wenn man von Defekten. die vieles andere ebenfalls in Mitleidenschaftziehen, absieht. Das Sprachvermögen funktioniert bei Menschen sogarnoch, wenn schwere krankhafte Schädigungen und Reizmangel vorlie-gen. Unter dem Downsyndrom leidende Kinder (d.h. Mongoloide), diezu vielen intellektuellen Leistungen nicht in der Lage sind, scheinen

dennoch Sprache aufim großen und ganzen normaleArt zu entwickeln,wenn auch mit geringerer Geschwindigkeit und im Rahmen gewisserGrenzen. Blinde Kinder erleiden einen ernsthaften Entzug an Erfah-rung, aber ihr Sprachvermögen entwickelt sich auf normale Weise. Sielegen sogar eine bemerkenswerte Fähigkeit an den Tag, das visuelleVokabular - Begriffe wie ,,stare" (,,starren"/,,stieren"/,,gaffen"), ,,gaze"(,,starren") und ,,watch" (,,beobachten") - auf großenteils dieselbe Wei-se wie normalsichtige Menschen zu verwenden. Es gibt Fälle von Leu-ten, die die Nuancen und Komplexitäten der normalen Sprache bis zu

einem bemerkenswerten Grad an Ausgereiftheit erworben haben, ob-wohl sie seit früher Kindheit sowohl blind als auch taub waren, in eini-gen Fällen von einem Alter von unter zwei Jahren an, einer Zeit, als sieerst ein paar Worte sprechen konnten. Ihr Zugang zur Sprache ist aufdie Daten beschränkt, die sie erhalten können, indem sie ihre Hand aufdas Gesichteiner sprechenden Person legen (es magjedoch bedeutsam

sein, daß keine der Personen, denen es gelang, aufdiese Weise Sprache

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zu erwerben, von Geburt an taub und blind war). Solche Beispiele illu-strieren, daß sehr beschränkte Daten fiir das Sprachvermögen des Gei-stes/Gehirns genügen, um eine reiche und komplexe Sprache hervorzu-bringen, die einen Großteil der Details und Feinheiten der Sprache vonPersonen zeigt, bei denen keine derartigen Schädigungen vorliegen. Esgibt sogar Beispiele von Kindern, die ohne überhaupt irgendeine Er-fahrung mit Sprache ein der normalen Sprache zum Großteil entspre-chendes System geschaffen haben - taube Kinder, die keiner Verwen-dung von visuellen Symbolen ausgesetzt worden waren, aber dennochihre eigene Art von Zeichensprache entwickelten, eine Sprache, die dieentscheidenden Eigenschaften gesprochener Sprachen besitzt, auch wennsie ein anderes Medium benutzt.

Das sind faszinierende Themen, die in den letzten Jahren mit Ge-winn erforscht worden sind. Die allgemeine Schlußfolgerung, die vondiesen Untersuchungen, wie es scheint, unterstützt wird, ist die, die ichbereits erwähnt habe: Das Sprachvermögen ist off'enbar eine Spezies-eigenschaft, die der Spezies gemeinsam und in ihren Wesensmerkma-len nur ihr eigen ist sowie die Fähigkeit besitzt, eine reiche, hochgradiggegliederte und komplexe Sprache auf der Basis ziemlich rudimentärerDaten hervorzubringen. Die Sprache, die sich auf diese Weise - weit-gehend gemäß der Richtung, die von der uns gemeinsamen biologi-schen Natur festgelegt ist entwickelt, spielt im menschlichen Denkenund Verstehen eine grundlegende Rolle und bildet einen wesentlichenTeil unserer Natur.

Um weiteres Verständnis dieser Fragen zu gewinnen, können wir zuder in (l) umrissenen schematischen Beschreibung des Spracherwerbszurückkehren. Das Ziel unserer Untersuchung ist es, das Wesen und dieEigenschaften der erworbenen Sprachen zu bestimmen; sodann kön-nen wir uns Platos Problem zuwenden und fragen, wie diese Leistungmöglich ist. Die Antwort wird in den Eigenschaften des Sprach-vermögens liegen, des Systems in Schema (l), das die dem Kind zu-gänglichen Daten in die Sprache umsetzt, die schließlich zu einem Be-standteil des Geistes/Gehirns wird. Wir können uns dann weiteren Fra-gen zuwenden, die den Sprachgebrauch und die physischen Mechanis-men betreffen, die an der Repräsentation, dem Gebrauch und dem Er-werb der Sprache beteiligt sind.

Ich habe eine Reihe von Beispielen diskutiert, die die Probleme illu-strieren, die sich stellen, und ich werde im weiteren Verlauf auf einigemögliche Lösungen für diese Probleme zurückkommen. Halten wir unszunächst noch etwas bei den Problemen auf, denen wir bei dieser Un-

tersuchung gegenüberstehen. Sobald wir von einfachen zu komplexe-ren Fällen übergehen, werden Argument und Analyse ebenfalls kom-plexer werden, und es wird einige Sorgfalt und Aufmerksamkeit nötigsein, um ihnen zu folgen. Ich denke, daß dies unvermeidlich ist, wennwir auf vernünftige Weise mit den allgemeinen Problemen umgehenwollen, die Sprache, Denken und Wissen betreffen und viele Jahrhun-derte lang Gegenstand vieler Spekulationen, erhitzter Debatten undzuversichtlicher Behauptungen gewesen sind. Ich meine außerdem, daßdiese Diskussionen oft an mangelnder Klarheit darüber kranken, wor-um es beim Wachstum und Gebrauch von Sprache überhaupt geht, unddaß Vertrautheit mit den relevanten Tatsachen zeigen würde, daß einGroßteil der Diskussion in die Irre geht und auf ernstlichen Mißver-ständnissen beruht. Ich werde versuchen, dieses Urteil im weiteren Ver-lauf der Diskussion zu untermauern. Wenn es richtig ist, dann ist diemanchmal mühselige und intellektuell fordernde Aufgabe, die in derUntersuchung liegt, deren Konturen ich hier - wenn auch nur ansatz-weise - umreißen werde, den Aufwand wert und tatsächlich unumgäng-lich fürjeden, der hofft, ein ernsthaftes Verständnis dieser allgemeine-ren Themen zu gewinnen.

Stellen wir uns einen Wissenschaftler vom Mars vor - nennen wirihn John M. -, der die Physik und die anderen Naturwissenschaftenkennt, aber nichts über die menschliche Sprache weiß. Nehmen wir an,

daß er nun dieses seltsame biologische Phänomen entdeckt und ver-sucht. es zu verstehen. indem er die Methoden der Wissenschaft an-wendet, nämlich die Methoden der rationalen Untersuchung. Indem erSprecher des Spanischen beobachtet oder mit ihnen experimentiert,entdeckt John M., daß diese Sätze wie (2) produzieren, und daß sie sie

zu der komplexeren Struktur (3) kombinieren:

(2)

a. El hombre estä en la casa.The man is in the house.

Der Mann ist in dem Haus.

..The man is at home." I

,,Der Mann ist zu Hause."

b. El hombre estä contento.,,The man is happy.",,Der Mann ist glücklich."

38 39

(3)

El hombre, que estä contento, estä en la casa.

The man, who is happy, is in the house.

Der Mann, der ist glücklich, ist in dem Haus.

,,The man, who is happy, is at home.",,Der Mann, der glücklich ist, ist zu Hause."

Das sind Aussagesätze, die Behauptungen aufstellen, die, je nach denUmständen, wahr oder falsch sind.

Indem er die Untersuchung fortführt, entdeckt John M., daß Spre-cher des Spanischen Fragesätze bilden, die den Beispielen in (2) ent-sprechen, indem sie das Verb an den Anfang des Satzes bewegen, mitdem Ergebnis:

ula. Est6 el hombre en la casa?

Is the man in the house'lIst der Mann in dem Haus?

,,ls the man at honte?",,lst der Mann zu Hause?"

b. Estr{ el hombre contento?,,ls the man happy?",,lst der Mann glücklich?"

John M. fragt sich nun, wie man einen Fragesatz bildet, der (3) ent-spricht. Das ist eine normale wissenschaftliche Frage. Offensichtlichverfügen Sprecher des Spanischen über eine Regel, die sie verwenden,um den Deklarativsätzen entsprechende Fragesätze zu bilden, eine Re-gel, die einen Teil der Sprache bildet, die in ihrem Geist/Gehirn vor-handen ist. Der Marswissenschaftler verfügt über gewisse Daten hin-sichtlich der Art dieser Regel, nämlich die Daten, die durch Beispielewie (2) und (4) geliefert werden. Er steht nun vor dem Problem, eineHypothese darüber aufzustellen, wie diese Regel lautet, und diese Hy-pothese durch die Betrachtung komplexerer Fälle, wie z.B. (3), zu über-prüfen.

Die naheliegende sowie einfachste Hypothese ist, daß die Regel auffolgende Weise funktioniert: Finde das ersteAuftreten der verbalen Formestd (oder anderer, entsprechender Formen) und bewege die Form an

den Anfang des Satzes. Nennen wir diese Regel R. Regel R triffi für die

Beispiele in (2) zu und ergibt (4), in Ubereinstimmung mit den beob-achteten Fakten.

Bei der Anwendung der Hypothese auf das komplexere Beispiel (3)

nun suchen wir den Satz vom Anfang her ab, bis wir das erste Mal aufeslri stoßen, stellen dieses dann an den Anfang des Satzes und erhaltenso die Form:

(5)Estä el hombre, que contento, estä en la casa?

,,ls the man, who happy, is at home?",,l.st der Mann, der glücklich, ist zu Hause?"

Aber das ist Kauderwelsch, sowohl im Spanischen als auch im Engli-schen oder Deutschen. Die (3) entsprechende Frageform ist nicht (5),sondern die Form (6):

(6)Estä el hombre, que est6 contento, en la casa?

,,ls the man, who is happy, at home?",,lst der Mann, der glücklich ist, zu Hause?"

Nachdem er entdeckt hat, daß er mit seiner Hypothese falsch lag,wird der Marswissenschaftler versuchen, eine andere Hypothese auf-zustellen, um Regel R zu ersetzen. Die simpelste Möglichkeit ist, daßdie Regel nach dem letzten Auftreten von estä sucht und es an den An-fang des Satzes stellt. Diese Regel deckt alle bisher gegebenen Beispie-le ab, aber sie ist eindeutig falsch, wie er schnell herausfinden wird.Wenn er seine Untersuchung weiterverfolgt, wird John M. feststellen,daß keinerlei Regel, die sich lediglich auf die lineare Ordnung der Wörterbezieht, richtig sein kann. Die richtige Regel ist natürlich folgende: Findedie Stelle, wo estd (bzw. vergleichbare Wörter) als Hauptverb des Sarzes - d.h. als Verb des Hauptsatzes im Gesamtsatz - auftritt, und rückees an den Anfang. Nennen wir diese nun gefundene tatsächlich gültigeRegel R-F (die Regel der Fragebildung).

Das ist eine überraschende Entdeckung, obwohl die Tatsachen füruns natürlich auf der Hand liegen. Es ist wichtig, zu lernen, von einfa-chen Dingen überrascht zu sein - zum Beispiel von der Tatsache, daßKörper nach unten fallen und nicht nach oben, und daß sie mit einerbestimmten Beschleunigung fallen;daß sie, wenn man sie anstößt, sichaufeiner ebenen Oberfläche in einer seraden Linie bewesen und nicht

40 4l

in einem Kreis und anderes mehr. Der Beginn von Wissenschaft ist dieErkenntnis, daß die einfachsten Phänomene des Alltagslebens sehr ernst-hafte Fragen aufwerfen: Warum sind sie so, wie sie sind, statt irgend-wie anders? In dem Fall, den wir hier betrachten, würde der Mars-wissenschafiler John M., falls er ein ernsthafter Wissenschaftler ist,äußerst überrascht sein von dem, was er entdeckt hat. Die tatsächlicheRegel, R-F, ist im Hinblick auf die für sie erforderlichen Rechenopera-tionen weitaus komplexer als die Regeln, die er hat aufgeben müssen.Um diese einfacheren Regeln anzuwenden, muß man imstande sein,Wörter nach ihrer Reihenfolge zu identifizieren; um R-F anzuwenden,muß man eine komplexe rechnerische Analyse durchlühren, um ein Verbzu finden, das sich in einer bestimmten strukturellen Position des Sat-zes befindet, d.h. in einer spezifischen Weise innerhalb der ihn bilden-den Phrasen plazicrt ist. Das ist eine in keinster Weise triviale Rechen-operation. Man kann sich demnach fragen, warum Sprecher des Spani-schen (und des Englischen) die rechnerisch komplexe Regel R-F ver-wenden, und nicht einfachere Regeln, die lediglich Berücksichtigungder linearen Anordnung der Wörter erfordern. Wir stehen hier einemeinf'achen, aber ziemlich drastischen Fall von Platos Problem gegen,über.

Nachdem er festgestellt hat, daß dies die für das Spanische gelten-den Tatsachen sind, wird John M. als nächstes versuchen, Platos Pro-blem anzugehen: Woher wissen Spanischsprecher, daß sie die rechne-risch komplexe Regel R-F verwenden müssen, und nicht die einfache,auf linearer Anordnung basierende Regel? Er könnte etwa vermuten,daß sie es beigebracht bekommen. Kinder gehen demnach vielleichtgenauso vor, wie es der Wissenschaftler in seiner Untersuchung getanhat. Bei der Beobachtung von Beispielen wie (2) und (4) stoßen sic aufdie einfache lineare Regel R und nehmen an, daß dies die tatsächlichwirksame Regel ist. Wenn sie dann versuchen, eine (3) entsprechendeFrage zu konstruieren, bilden sie die Konstruktion (5) und werden dar-aufhin von ihren Eltern belehrt, dies sei nicht die richtige Art, sich imSpanischen auszudrücken; man müsse stattdessen Satz (6) sagen. Nach-dem sie in ausreichendem Maß Belehrungen dieser Art erhalten haben,gelingt es Kindern irgendwie, die Regel R-F aufzustellen.

Der Marswissenschaftler wird schnell herausfinden, daß diese Spe-kulationen nicht zutreffen. Kinder machen auf diesem Gebiet nie Feh-ler und werden darin auch nicht korrigiert oder belehrt. Ebenso wirdkein für den Spanischunterricht für Ausländer geschriebener Text denLeser dazu anhalten, nicht die einfache lineare Regel R zu benutzen,

sondern stattdessen die rechnerisch komplexere Regel R-F zu verwen-den. Tatsächlich hielt bis vor ziemlich kurzer Zeit keine Untersuchungüber Sprache auch nur explizit fest, daß R-F statt der einlächen linearenRegel R verwendet wird; diese Tatsache wurde nicht als interessantangesehen, genau wie in früheren Stadien der menschlichen Wissen-schaft die Fallbeschleunigung eines Steins nicht als interessant angese-hen wurde.

Wenn er all dies herausfindet, wird dem Marswissenschaftler JohnM. nur noch eine plausible Schlußfolgerung übrigbleiben: Ausgehendvon den einfachen Daten in (2) und (4) läßt irgendein angeborenes Prin-zip des Geistes/Gehirns R-F als einzige Möglichkeit zu. Die simple li-neare Regel R kommt zu keiner Zeit auch nur als möglicher Kandidatin Frage. Bei weiterer Nachforschung wird John M. entdecken, daß alleRegeln des Spanischen, sowie der menschlichen Sprache ganz gene-rell, in einem entscheidenden formalen Aspekt R-F ähnlich und von derlinearen Regel R verschieden sind. Sprachliche Regeln nehmen keinenBezug auf die einfache lineare Anordnung, sondern sind struktur-abhängig, wie R-F. Die Regeln beziehen sich auf Ausdrücke, denenmittels einer Hierarchie von Phrasen unterschiedlichen Typs eine be-stimmte Struktur zugewiesen wird. Für (2) und (3) kann die Hierarchiedadurch ausgedrückt werden, daß Phrasen in Klammern gesetzt wer-den wie in (7) (wo nur ein Teil der Phrasenstruktur angezeigt ist):

(71

a. [El hombre] estä en la casa.

[The man] is at home.

[Der Mann] ist zu Hause.

b. [El hombre] estä contento.

lThe manl is happy.

[Der MannJ ist froh.

c. [El hombre [que estä contento]l estd en la casa.

[The man [who is happy]l is at home.

[Der Mann [der froh ist]l ist zu Hause.

Die Regel R-F sucht nun das ,,prominenteste" Auftrelen von estö auf ,dasjenige nämlich, das nicht innerhalb der Klammern in (7c) eingebet-tet ist, und stellt das an dieser Stelle aufiretende esld an den Anfang des

Satzes, was die korrekten Formen (4) und (6) ergibt.

A'43

Das Kind, das Spanisch oder irgendeine andere menschliche Spra-che lernt, weiß noch vor jeder Erfahrung, daß die Regeln struktur-abhängig sein werden. Das Kind zieht nicht erst die einfache lincareRegel R in Erwägung und verwirft sie dann zugunsten der komplexe-ren Regel R-F, wie das der rationale Wissenschaftler, der die Spracheerforscht, tut. Vielmehr weiß das Kind ohne Erfahrung oder Untenicht,daß die lineare Regel R kein Kandidat ist und daß die strukturabhängigeRegel R-F als einzige in Frage kommt. Dieses Wissen ist Teil der biolo-gischen Ausstattung des Kindes, Teil der Struktur des Sprachvermögens.Es ist Teil der geistigen Ausrüstung, mit der das Kind der Welt der Er-fahrung gegenübertritt.

Bedenken wir, daß die Aufgabe des Kindes, das Spanisch lcrnt unddie Aufgabe des Wissenschaftlers, der die Natur der Sprache untersucht,einander zwar in mancher Hinsicht ähnlich, in anderer aber ziemlichverschieden voneinander sind. Die Prinzipien, die der Wissenschaftlerzu entdecken versucht, kennt das Kind bereits: intuitiv, unbewußt. undjenseits der Möglichkeit bewußter Introspektion. Daher wählt das Kinddie Regel R-F sofort, während der Wissenschaftler durch einen mühse-ligen Prozeß der Forschung und Überlegung entdecken muß, daß R-Fdie im Spanischen wirksame Regel ist und daß das Prinzip der Struktur-abhängigkeit Teil der Struktur des Sprachvermögens ist, was in diesemFall die Lösung für Platos Problem darstellt.

Wenn der fbrschende Wissenschaftler gleichzeitig ein menschlichesWesen mit intuitivem sprachlichem Wissen ist, wird die Aufgabe da-durch teils leichter, teils auch nicht. Sobald der menschliche Wissen-schaftler auf das eben illustrierte Problem einmal aufmerksarn wird,drängt sich die Antwort unmittelbar auf, weil wir selbst mit Leichtig-keit große Mengen von relevanten Daten konstruieren können und oh-nehin in derartigen Daten schwimmen. In dieser Hinsicht ist die Aufga-be des menschlichen Wissenschaftlers einfacher als die des Marsmen-schen, der nicht weiß, wo er suchen soll, genau wie der menschlicheWissenschaftler nicht weiß, wo er suchen soll, wenn er die Prinzipiender Physik erforscht. Aber intuitives Verständnis kann auch eine Bar-riere für die Untersuchung sein, insofern es uns daran hindern kann,auch nur zu sehen, daß ein Problem vorliegt, das eine Lösung verlangt.Wie ich erwähnt habe, wurde noch bis vor kurzem nicht erkannt, daß

äußerst einfache Tatsachen wie die gerade besprochenen überhaupt einProblem darstellen.

Rufen wir uns nochmals ins Gedächtnis, daß die Tatsachen überra-schend sind. Es gibt keinen logischen Grund, weshalb Sprachen struktur-

abhängige statt lineare Regeln verwenden sollten. Man kann mit Leich-tigkeit Sprachen konstruieren, die die rechnerisch einfacheren linearenRegeln verwenden. In einer derartigen Sprache wäre die zu (3) gehöri-ge Frage (5), nicht (6). Diese Sprache würde für die Zwecke der Kom-munikation, des Ausdrucks von Gedanken oder andere Verwendungenvon Sprache vollkommen zufriedenstellend funktionieren. Aber das istdann keine menschliche Sprache. Kinder würden es sehr schwer haben,

diese einfache Sprache zu lernen, während sie die komplexeren mensch-lichen Sprachen aufgrund ihrer von vornhercin vorhandenen Kenntnisder menschliche Sprache und ihrer Prinzipien ganz leicht lernen, ohne

in Fällen wie den diskutierten Fehler zu machen oder Belehrungen zu

benötigen. In ähnlicher Weise würden erwachsene Sprecher es schwie-rig finden, diese formal viel einfachere Sprache zu benutzen, weil sie

dabei bewußte rechnerische Operationen durchführen müßten, statt sich

auf die vom Sprachvermögen zur Verfügung gestellten Mechanismenzu stützen, die automatisch, ohne bewußtes Denken arbeiten. Das Prin-zip der Strukturabhängigkeit ist eine bedeutsame, nichttriviale Eigen-schaft der menschlichen Sprache, die sich in so einfachen Beispielenwie diesen zeigt. Hier haben wir eine elementare Illustration des We-sens von Platos Problem und derArt, in der es angegangen und gelöstwerden kann.

Ich habe mich bei diesem einfachen Beispiel ziemlich lange aufge-halten, weil es sowohl typisch als auch lehrreich ist. Es veranschaulichtdie Tatsache, daß sehr geläufige und vertraute Annahmen über die Na-tur der Sprache - und über die Natur geistiger Fähigkeiten ganz gene-

rell - ganz falsch sind. Es ist lange Zeit angenommen worden, daß Or-ganismen gewisse allgemeine intellektuelle Fähigkeiten wie zum Bei-spiel die Fähigkeit, zu induktiven Folgerungen zu gelangen, besitzen,und daß sie diese undifferenzierten Fähigkeiten auf sämtliche Arten vonintellektuellen Aufgaben, denen sie gegenüberstehen, anwenden. Die-ser Ansicht zufolge unterscheiden sich Menschen von anderen Tierendarin, daß sie diese Fähigkeiten umfassender anwenden können; es sinddie gleichen Fähigkeiten, die bei der allgemeinen Problemlösung, inder Wissenschafi, bei Spielen, beim Sprachlernen und so weiter ange-wendet werden. Menschen verwenden,,allgemeine Lernmechanismen",um die Aufgaben, die sich ihnen stellen, zu lösen, und ihre Glaubens-und Wissenssysteme entstehen in Übereinstimmung mit allgemeinenPrinzipien der Induktion, Gewohnheitsbildung, Analogie, Assoziationund so weiter.

Aber all das ist falsch, und zwar in drastischer Weise, wie wir sogar

44 45

an so einfachen Beispielen wie dem eben besprochenen sehen können.Offensichtlich enthält das Sprachvermögen sehr spezifische Prinzipi-en, die weit jenseits jeglicher ,,allgemeiner lrrnmechanismen" liegen,und es gibt gute Gründe zu der Annahme, daß es sich beim Sprach-vermögen nur um eine von einer ganzen Reihe derartiger speziellerFähigkeiten des Geistes handelt. Tatsächlich ist zu bezweifeln, daß ,,all-gemeine Lernmechanismen", falls sie existieren, eine wesentliche Rol-le bei der Entwicklung unserer Wissenssysteme und unserer überzeu-gungen über die Welt, in der wir leben - kurz, unserer kognitiven Sy-steme - spielen. Im weiteren Verlauf werden wir auf mehr und mehrBelegmaterial stoßen, das in diesselbe Richtung weist. Das Studiumanderer Tiere ergibt ähnliche Schlußfolgerungen hinsichtlich ihrer Fä-higkeiten. Die Behauptung ist nicht übertrieben, daß in jedem Bereich,den wir überhaupt ein wenig verstehen, spezifische und oft hochgradigstrukturierte Fähigkeiten am Erwerb und Gebrauch von überzeugun-gen und von Wissen beteiligt sind. Obwohl wir natürlich nichts überFragen sagen können, die sich unserem gegenwärtigen Verständnis ent-ziehen, ist es schwer einzusehen, warum man den Glauben aufrechter-halten sollte, daß die traditionellen Konzeptionen dort irgendwie an-wendbar sein werden, obwohl wir sie überall sonst in dem Maß un-brauchbar finden, wie es uns gelingt, bestimmte Aspekte der Natur vonOrganismen, insbesondere aber des menschlichen geistigen Lebens zuverstehen.

Denken wir daran, daß es nicht überraschend ist, daß Sprache einehierarchische Struktur hat, wie sie in den angeführten Beispielen durchdie - nur teilweise angezeigte - Klammerung illustriert wird; viele Sy-steme in der Natur, einschließlich biologischer und kognitiver Syste-me, besitzen eine hierarchische Struktur der einen oder anderen Art. Esist außerdem zweifellos möglich, Beispiele für so etwas wie struktur-abhängige Regeln aufanderen Gebieten als der Sprache zu finden. Aberderartige Beobachtungen sind in diesem Zusammenhang vollkommenirrelevant. Den menschlichen geistigen Prozessen stehen sowohl linea-re Regeln wie R als auch strukturabhängige Regeln von derArt R-F zurVerfügung. Die Frage ist, warum das Kind beim Erwerb und Gebrauchder Sprache unfehlbar die rechnerisch komplexeren strukturabhängigenRegeln auswählt und die ohne weiteres verfügbaren und rechnerischwesentlich einfacheren linearen Regeln niemals in Betracht zieht. Dasist eine Eigenschaft des menschlichen Sprachvermögens, keine allge-meine Eigenschaft biologischer Organismen oder geistiger Prozesse.

Wenden wir uns nun einigen komplexeren Fällen zu. Nehmen wir

an, daß unser Marswissenschaftler seine Untersuchung des Spanischenfortsetzt und nun fragt, wie Pronomina verwendet und interpretiert wer-den. Er wird entdecken, daß Pronomina in zwei Formen auftreten: derisolierten Form, wie zum Beispiel öl,und der klitischen Form, wie etwa/o, das in der gleichen Weise wie se in den Beispielen, die ich in KapitelI diskutiert habe, ans Verb angefügt wird. Demnach wird er Sätze fin-den wie (8a), mit der isolierten Form i/ als Subjekt des Verbs ama, undsolche wie (8b), wo die klitische Form /o dem Verb examinar als des-sen direktes Objekt angefügt ist:

(8)

a. El ama a Juan.He loves to Juan.

Er liebt zu Juan.

,,He loves Juan."..Er liebt Juan."

b. Juan nos mand6 [examinarlo].Juan us-asked [to-examine-him].Juan uns-bat [untersuchen-ihn]...Juan asked us to examine him." 2

,,Juan bat uns, ihn zu untersuchen."

Satz (8b) enthält außerdem noch die klitische Form nos, die aus dernormalen postverbalen Position des direkten Objekts von mandar be-wegt und dem Verb angefügt wurde; auf diese Weise illustriert (8b) diebeiden Möglichkeiten für ein klitisches Pronomen, die wir bereits beiden beiden alternativen Formen Juan hizo afeitarse und Juan se hizoafeitar gesehen haben.

Pronomina werden generell auf zwei verschiedene Arten verwendet.Ein Pronomen wie öl oder lo kann sich auf irgendeine Person beziehen,deren Identität durch den Kontext der Rede bestimmt wird, oder seinBezug kann durch einen anderen Ausdruck im Satz festgelegt werden,auf den es sich bezieht. Im ersten Fall sagen wir, daß das Pronomenfrei, im zweiten, daß es gebunden ist. In (8b) ist nos frei, weil es imSatz nichts gibt, an das es gebunden sein könnte; Io aber kann entwederals frei oder als durch Juan gebunden verstanden werden und würdesich dann aufJuan beziehen.

Nach Entdeckung dieser Tatsachen würde der Marswissenschaftlerdie naheliegende Hypothese über die Interpretation von Pronomina auf-

46 4'7

stellen: Ein Pronomen kann frei oder gebunden sein, wie in (8b) illu-striert. Wenn er sich dann (8a) zuwenden würde, würde er vorhersagcn,daß i/ entweder frei ist und sich vielleicht aufl eine durch den Rede-

kontext bestimmte Person Pedro bezieht, aber auch gebunden sein kann,wobei es sich aufJuan bezieht, so daß die Bedeutung des Satzes ,Juanse ama" (,Juan liebt sich") ist. Aber diese Vorhersage ist falsch. In (8a)

muß öl frei sein - seine Bedeutung wird nicht durch den Bezug aufJuan festgelegt, obwohl 6l,wie er schnell entdecken wird, in anderen

Sätzen gebunden sein kann. Ein weiteres Mal ist eine komplexere Hy-pothese erforderlich.

Beachten wir, daß wir hier eine weitere Illustration von Platos Pro-blem haben: Die Tatsachen sind ohne Erfahrung oder Unterricht be-

kannt und wiederum überraschend, insofern die einfachste Hypothesesich als unrichtig erweist.

Die nun naheliegende, eine Stufe komplexere Annahme besagt, daßes die Reihenfolge des Auftretens ist, die den Unterschied ausmacht.

Weil /o in (8b) auf Juan folgt, kann es von Juan gebunden werden,weil dagegen d/ in (8a) Juan vorausgeht, kann es von Juan nicht ge-

bunden werden. Aber die Welt hält erneut Überraschunsen bereit. Be-trachten wir die Beispiele in (9):

(e)

a. [Su amigo] llam6 a Juan.[His friend] called to Juan.

[Sein Freund] rief zu Juan.

,,His friend called Juan.",,Sein Freund rief Juan."

b. [El hombre [que lo escribi6]l destruyd el libro.[The man [that it-wrote]l destroyed the book.

[Der Mann [der es-schrieb]l vernichtete das Buch.

,,The man who wrote it destroyed the book.",,Der Mann, der es schrieb, vernichtete das Buch."

Hier markieren Klammern das Subjekt des Satzes, und in (9b) markie-ren zusätzliche Klammern den innerhalb des Subiekts enthaltenen Re-

lativsatz.In diesen Sätzen geht das Pronomen su Juan voraus, und Io gehtel

/iäro voraus. AIso können laut der Hypothese, die wir im Augenblick inBetracht ziehen, die Pronomina nicht von Juan und el libro gebunden

werdcn, sondern müssen lrei sein und sich in (9a) auf etwas anderes als

Juan beziehen und in (9b) aufetwas anderes als aufdas Buch, das ver-nichtet wurde. Aber diesc Schlußfblgerung ist falsch; tatsächlich kön-nen die Pronomina von Juan und el libro gebunden werden. Dasselbegilt ltir die englischen und deutschen Entsprechungen. Damit ist dieHypothese widerlegt, und der Marswissenschaftler muß nach einer an-

deren, noch komplexeren Hypothese suchen.

Er sollte eigentlich vom Versagen der Hypothese nicht allzu über-rascht sein, weil auch sie wieder von einer linearen Anordnung ausgingund er bereits auf Gründe für die Vermutung gestoßen war, daß dieRegeln menschlicher Sprache - überraschenderweise - keinen wesent-lichen Gebrauch von dieser einfachen und hervorstechenden Eigenschaftzu machen scheinen, sondern stattdessen strukturabhängig sind. Wenn

er diese Einsicht im vorliegenden Fall weiterverfolgt, könnte er fragen,ob es eine strukturabhängige Interpretation der für die pronominaleReferenz gültigen Tatsachen gibt. Versuchen wir es einmal mit der fol-genden ldee.

Definieren wir den Bereich oder die Domäne eines Pronomens als

die kleinste Phrase, in der dieses Pronomen vorkommt. Wenn wir nun

zu (8) zurückkehren, sehen wir, daß in (8a) die Domäne von öl der

ganze Satz ist, während in (8b) die Domäne von /o von dem in Klam-mern gesetzten Teilsatz gebildet wird, der das Komplement des Verbsmandd darstellt; wie das in der letzten Vorlesung diskutierte Kausativ-verb hacer nimmt das Yerbmandar ein Satzkomplement, aber mandarnimmt außerdem ein Nominalphrasenkomplement, nämlich das Klitikros in (8b):

(8)

a. El ama a Juan.,,He loves Juan.",,Er liebt Juan."

b. Juan nos mand6 [examinarlo].Juan us-asked [to-examine-him].Juan uns-bat Izu-untersuchen-ihn].,,Juttn asked us to eramine him.",,Juan bat uns, ihn zu untersuchen."

Im englischen Gegenstück hat das Verb asft ebenfalls zwei Komple-mente, die Nominalphrase us und das Satzkomplementto examine him.

48 49

Wenn wir uns den komplexeren Beispielen (9) zuwenden, sehen wir,daß die Domäne von su in (9a) su amigo ist, und daß die Domäne vonlo gewiß nicht größer ist als der eingebettete Relativsatz que lo escribi6(sie ist sogar noch kleiner, wie wir gleich sehen werden):

(e)

a. [Su amigo] llamö a Juan.,,IHis friend] called Juan.",, [Sein Freund] rief Juan."

b. [El hombre [que lo escribiö]l destruyd el libro.,,[The man fwho wrote it]l destroyed the book.",,IDer Mann Ider es schrieb]1, vemichtete das Buch."

Betrachten wir nun das folgende Prinzip:

(r0)Ein Pronomen muß innerhalb seiner Domäne frei sein.

Wenn wir uns (8) zuwenden, sehen wir, daß sich aus diesem Prinzipergibt, daß il frei sein muß, lo dagegen von Juan gebunden sein kann,denn Juan befindet sich nicht in der Domäne von Io. Im Fall von (9)kann su von Juan gebunden werden und /o kann von eI libro gebundenwerden, denn selbst wenn sie gebunden sind, sind sie doch in ihrerjeweiligen Domäne frei. Sämtliche Fälle werden daher durch dasstrukturabhängige Prinzip (10) abgedeckt - im Englischen wie im Spa-nischen.

Prinzip (10), das für alle menschlichen Sprachen gültig zu sein scheint,gehört zu einem Teilbereich der linguistischen Theorie namensBindungstheorie, der sich mit denjenigen Beziehungen zwischenNominalphrasen beschäftigt, bei denen es um semantische Eigenschaf-ten wie etwa Abhängigkeit des Bezugs geht, wozu auch die Beziehungzwischen einem Pronomen und seinem Antezedens, seinem Bezugs-wort gehört (wie zum Beispiel die Beziehung zwischen Io und Juan in(E)). Diese Theorie, die interessante Eigenschaften har, die wir bis jetzterst teilweise verstehen, befaßt sich mit einer der Teilkomponenten desSprachvermögens. Dieses Teilsystem interagiert mit anderen und re-sultiert zusammen mit ihnen in einer Vielfalt komplexer sprachlicherPhänomene, von denen wir einige im weiteren näher ausloten werden.

Lassen wir nun den Marswissenschaftler beiseite und fahren wir auf

eigene Faust fort, die Eigenschaften des Sprachvermögens zu erforschen.

Wir verfahren dabei wie zuvor, indem wir versuchen, überraschende

Tatsachen zu entdecken und uns bemühen, eine Erklärung für sie zu

finden. Wir nehmen nun Prinzip (10) als gültig an und fragen, was wirlernen können, wenn wir untersuchen, wie es sich auf weitere Fälleanwenden läßt.

Betrachten wir den Satz (11), bei dem die Phrasen wie vorher durchKlammern markiert sind:

(rr)[El hombre [que escribi6 el libro]l lo destruy6.

[The man [that wrote the book]l it-destroyed.

[Der Mann [der schrieb das Buch]l es-vernichtete.

,,The man who wrote the book destoyed it.",,Der Mann, der das Buch schrieb, vernichtete es."

Kann das Pronomen lo hier durch el libro gebunden werden?

Die Antwort lautet, daß dies der Fall ist, ebenso wie im entsprechen-

den englischen Satzi/ vonthe book gebunden werden kann. Wir schlie-ßen daher, daß el libro nicht in der Domäne von lo enthalten ist und daß

the book im entsprechenden englischen Satz sich nicht in der Domänevon i/ befindet. Wenn es sich mit dem Phrasenaufbau lediglich so

verhielte wie in (11) angezeigt, wäre die Domäne von /o der ganze Satz,

so daß e/ libro sich in der Domäne von /o befinden würde. Daher mußmehr an Struktur vorhanden sein, als hier angezeigt ist. Es muß einePhrase geben, die /o ein- und el libro ausschließt; das heißt, lo destruyömuß eine eigene Phrase bilden, so daß die Struktur in Wirklichkeit aus-

siehr wie in (12):

(12\

lEl hombre [que escribid el libro]l [o destruy6].[The man [that wrote the book]l [it destroyed].

[Der Mann [der schrieb das Buch]l [es vernichtete].

,,[The man [w,ho wrote the book]l [destroyed il].",,IDer Mann, Ider das Buch schriebl], [vernichtete es].

Wenn wir diese Struktur annehmen, können wir Prinzip (10) anwen-den, was die Festlegung der Referenz von Io durch e/ libro gestattet,von welchem lo gebunden ist. Weil die Domäne von /o in (12) die Phra-

se fio destruyöl ist, ist lo in seiner Domäne frei und erfüllt Prinzip (10),

50 5l

Wenn wir uns den komplexeren Beispielen (9) zuwenden, sehen wir,daß die Domäne von su in (9a) su amigo ist, und daß die Domäne vonlo gewiß nicht größer ist als der eingebettete Relativsatz que lo escribi6(sie ist sogar noch kleiner, wie wir gleich sehen werden):

(9)

a. [Su amigo] llam6 a Juan.,,IHis friend] called Juan.",,ISein Freund] rief Juan."

b. [El hombre [que lo cscribid]l destruyri el libro.,,[The man [who wrote it]l destroyed the book.",,IDer Mann Ider es schrieb]1, vernichtete das Buch."

Betrachten wir nun das folgende Prinzip:

(10)Ein Pronomen muß innerhalb seiner Domäne frei sein.

Wenn wir uns (8) zuwenden, sehen wir, daß sich aus diesem Prinzipergibt, daß ä/ frei sein rnuß, /o dagegen von Juan gebunden sein kann,denn Juan befindet sich nicht in der Domäne von /o. Im Fall von (9)

kann sz von Juan gebunden werden und /o kann von el libro gebundenwerden, denn selbst wenn sie gebunden sind, sind sie doch in ihrerjeweiligen Domäne frei. Sämtliche Fälle werden daher durch dasstrukturabhängige Prinzip (10) abgedeckt * im Englischen wie im Spa-nischen.

Prinzip (10), das für alle menschlichen Sprachen gültig zu sein scheint,gehört zu einem Teilbereich der linguistischen Theorie namensBindungstheorie, der sich mit denjenigen Beziehungen zwischenNominalphrasen beschäftigt, bei denen es um semantische Eigenschal-ten wie etwa Abhängigkeit des Bezugs geht, wozu auch die Beziehungzwischen einem Pronomen und seinem Antezedens, seinem Bezugs-wort gehört (wie zum Beispiel die Beziehung zwischen lo und Juan in(8)). Diese Theorie, die interessante Eigenschatien hat, die wir his jetzterst teilweise verstehen, befaßt sich mit einer de r Teilkomponenten des

Sprachvermögens. Dieses Teilsystem interagiert mit anderen und re-

sultiert zusammen mit ihnen in einer Vielfalt komplexer sprachlicherPhänomene, von denen wir einige im weiteren näher ausloten werden.

Lassen wir nun den Marswissenschaftler beiseite und fähren wir auf

eigene Faust fbrt, die Eigenschafien des Sprachvermögens zu erforschen.Wir verfahren dabei wie zuvor, indem wir versuchen, überraschende

Tatsachen zu entdecken und uns bemühen, einc Erklärung für sie zu

flnden. Wir nehmen nun Prinzip (10) als gültig an und fiagen, was wirlernen können, wenn wir untersuchen, wie es sich auf weitere Fälleanwenden läßt.

Betrachten wir den Satz (11), bei dem die Phrasen wie vorher durchKlammern markiert sind :

( 11)

[El hombre [que escribir6 el libro]l lo destruyd.

[The man [that wrote the book]l it-destroyed.

[Der Mann [der schrieb das Buch]l es-vernichtete.

,,The man who wrote the book destroyed it.",,Der Mann, der das Buch schrieb, vemichtete es."

Kann das Pronomenlo hier durch e/ libro gebunden werden?

Die Antwort lautet, daß dies der Fall ist, ebenso wie im entsprechen-den englischen SatzrT vonthe book gebunden werden kann. Wirschlie-ßen daher, daß el libro nicht in der Domäne von la enthalten ist und daßthe book im entsprechenden englischen Satz sich nicht in der Domänevon il befindet. Wenn es sich mit dem Phrasenaufbau lediglich so

verhielte wie in (ll) angezeigt, wäre die Domäne von /a der ganze Satz,so daß e/ libro sich in der Domäne von lo befinden würde. Daher mußmehr an Struktur vorhanden sein, als hier angezeigt ist. Es muß einePhrase geben, die Io ein- und el /rüro ausschließt; das heißt, lo destrayfmuß eine eigene Phrase bilden, so daß die Struktur in Wirklichkeit aus-

sieht wie in (12):

(12)

[El hombre [que escribid el libro]l [o destruyt6l.

[The man [that wrote the book]l [it destroyed].

IDer Mann [der schrieb das Buchl] [es vernichtete].

,,[The man fwho wrote the book]l [destroyed it],",,IDer Mann, Ider das Buch schrieb]1, [vernichtete es].

Wenn wir diese Struktur annehmen, können wir Prinzip (10) anwen-den, was die Festlegung der Referenz von lo durch e/ libro gestattel,von welchem /o gebunden ist. Weil die Domäne von /o in (12) die Phra-se fto destruyöl isl, ist lo in seiner Domäne frei und erlüllt Prinzip (10),

50 5l

obwohl es durch el libro gebunden ist. Dieselbe überlegung gilt für dasenglische Gegenstück.

Satz (12) hat die allgemeine Form Subjekt-Verb-Objekt, wobei dasSubjekt el hombre que escribif el libro (,der Mann, der das Buchschrieb"), das Verb destruyd und das Objekt das Pronomen lo ist, das(im Spanischen, jedoch nicht im Englischen, das keine klitischen pro-

nomina besitzt) in die präverbale klitische Position bewegt worden ist.Wir sehen, daß hier eine Asymmetrie zwischen dem Subjekt und demObjekt vorliegt. Das Subjekt und das Verb befinden sich in verschiede-nen Phrasen, aber das Verb und das Objekt bilden zusammen eine phra-

se, die wir Verbalphrase nennen. Generell haben demnach Subjekt-Verb-Objekt-Sätze die Form (13), wo wir nun die Kategorie einer Phrasedurch ein Subskript an der Klammer anzeigen und NP für Nominal-phrase, VP für Verbalphrase und S lür Satz steht:

(13)

[s NP [vn V NP]l

Es existiert eine Menge voneinander unabhängigen Datenmaterials,das sämtlich auf diese Schlußfolgerung verweist. Einen Teil davon habeich gerade vorgestellt. Das ist, um es noch einmal zu sagen, eine kei-neswegs von vornherein notwendige Schlußfolgerung. Man könnte etwaannehmen, daß ein transitives Verb einfach zwei Glieder, sein Subjektund sein Objekt, zueinander in Bezug setzt, ohne daß eine strukturelleAsymmetrie besteht. Tatsächlich ist das die Annahme, die bei der Kon-struktion formaler Sprachen für die Zwecke der Logik und Mathematikgemacht wird, und sie ist oft auch für menschliche Sprachen vorge-schlagen worden. Formale Sprachen werden aus Gründen der Einfach-heit und der leichten Handhabbarkeit bei rechnerischen Operationenwie dem Folgern konstruiert. Aber das Datenmaterial deutet darauf hin,daß menschliche Sprachen nicht die Prinzipien wählen, die in der mo-demen Logik gebräuchlich sind. Vielmehr halten sie sich an die klassi-sche aristotelische Auffassung, daß ein Satz ein Subjekt und ein prädi-kat hat, wobei das Prädikat komplex sein kann: Es kann aus einem Verbund seinem Objekt bestehen, wie in (12) und (13), oder aus einem Verbund einem Satzkomplement, wie in (8b).

Diese Asymmetrie, eine Eigenschaft der menschlichen Sprache, je-doch keine notwendige Eigenschaft, stellt eine weirere übenaschungdar. Sie wirft ein weiteres Mal Platos Problem auf. Wie gelangen Kin-der, die eine Sprache erwerben, zur Kenntnis dieser Tatsache? Man

könnte denken, daß sie die Tatsachen entdecken, so wie wir es geradegctan haben, aber das ist mit Sicherheit f'alsch. An dem Gang unsererUntersuchung war bewußtes Schlußfolgern auf der Basis des explizitformulierten Prinzips (10) beteiligt, und wir machten von Daten Ge-brauch, die ganz gewiß dem Sprachlernenden nicht generell zurVerfü-gung stehen. Tatsächlich wäre der gerade vorgestellte Argumentations-weg, der zu allgemeinen Schlußfolgerungen über das Sprachvermögenführt, nicht überzeugend, wenn er nicht außerdem durch ähnliche Datenaus anderen Sprachen unterstützt würde, und das Kind hat keineErfahrungsdaten aus anderen Sprachen zur Verfügung. Selbst innerhalbeiner einzelnen Sprache kann es nicht so sein, daß das Kind Sätze wie(12) hört, entdeckt, daß der Satz mit /o als durch el libro gebundenem

Pronomen verwendet werden kann und dann schlußfolgert, daß lodestruyd eine Verbalphrase bildet, da ja, wenn es das nicht tut, die Prin-zipien der Bindungstheorie verletzt werden. Stattdessen gelangt das Kindim Verlauf der Entwicklung der Sprache im GeisUGehirn aufgrund bio-logischer Notwendigkeit dazu, das Prinzip, daß ein transitives Verb undsein Objekt eine Phrase bilden, zu verinnerlichen; und dann legt Prinzip(10) der Bindungstheorie, das aufgrund biologischer Notwendigkeit Teildes Sprachvermögens ist, die Interpretation von Sätzen wie (12) durcheinen rechnerischen Prozeß unbewußter Schlußfolgerung fest.

Die SubjekrObjekrAsymmetrie hat zahlreiche Folgen. So ist es ineinigen Sprachen möglich, durch einen Inkorporation genannten Pro-zeß komplexe Verben zu bilden: Ein Nomen kann dem Verb in der Weise

der klitischen Pronomina des Spanischen hinzugefügt werden und mitihm ein komplexes Verb bilden. In solchen Sprachen können wir zumBeispiel aus Satz (f4a) (14b) mit dem komplexen Yerb ciervo-cazaableiten:

(14)a. Juan caza los ciervos.

Juan hunts the deers.

Juan jagt die Hirsche...Juan hunts deer",,Juan jagt Hirsche."

b. Juan ciervo-caza.,,Juan deer-hunts.",,Juan Hirsch-jagt."

52 53

Aber es ist nicht möglich, Satz (15) zu bilden, bei dem <Jas komplexeYerb Juan-caza durch die Inkorporation des Subjekts in das Verb ge_bildet wird:

(ls)Juan-caza los ciervos.,,Juan-hunts deer",,Juan-jagt Hirsch."

Wieder besteht hier eine Subjekt-Objekt-Asymmetrie. Die Tatsachenkönnen mit Hilfe strukturabhängiger prinzipien erklärt werden, die inihren Operationen Phrasenstruktunepräsentationen mit der in (13) ent-haltenen Asymmetrie zugrundelegen. Aus sehr tief gehenclen Gründen,die über das, was ich hier darstellen kann, hinausgehen, bringt es dieAsymmetrie der Phrasenstrukturrepräsentationen mit sich, <laß das Ob-jekt eines Verbs in dieses inkorporiert werden kann, um ein komplexesVerb zu bilden, dem Subjekt dies aber nichr möglich isr.

Derartige Konstruktionen mit Nominalinkorporation gibt es im Spa-nischen zwar nicht, dafür aber etwas ziemlich ähnliches. Man betrachteKausativkonstruktionen wie

(16)

a. Juan hace [que Pedro salga].Juan makes [that Pedro leave].Juan macht [daß Pedro gehr].

,,Juan makes Pedro leave.",,Juan lcil3t (i.S.v. ,,veranlassen zu") Pedro gehen."

b. [Que Juan mienta] hace que sus amigos desconfien de 61.

[That Juan lies] makes that his friends distrust of him.[Daß Juan lügt] macht daß seine Freunde mißtrauen von ihm.,,The fact that John lies causes his friends to distrust him.,,,,Dal3 Juan lügt, Idßt seine Freunde ihm mi!)trauen.,,

Es ist ein der Kausativkonstruktion in vielen Sprachen gemeinsamesMerkmal, daß aus dem kausativen Element (im Spanisch en hacer) unddem Verb seines Komplements ein komplexes Verb gebildet werdenkann. So könnte eine solche Sprache ausgehend von (l6a) das komple-xe Verb (hace-salir (,,make-leave"; ,,machen-gehen") bilden, so daßaus dem Satz nun (17) mit einem komplexen Verb würde:

(17\

Juan hace-salir Pedro.Juan macht-gehen Pedro.

,,J uan makes-leave Pedro. ",, J uan lrilSt- ge he n Pedro. "

Aber obwohl das Verb des Komplements des Kausativverbs bewegtwerden kann (und dies ist auch der typische Fall), um auf diese Weiseein komplexes Verb zu bilden, geht das mit dem Verb des Subjekts desKausativverbs nicht. So kann keine Sprache aus (16b) eine Strukturwie (18) mit dem komplexen Yerb hsce-mentir bilden:

(18)

Juan hace-mentir que sus amigos desconfien de 61.

,,Juan makes-lie that his friends distrust him.",,Juan macht-lügen, dafi seine Freunde ihnt mil3trauen."

Selbst im Englischen, wo es überhaupt keine Konstruktionen dieserArtgibt, besitzt diese Beobachtung eine gewisse intuitive Plausibilität. Manbetrachte zum Beispiel die Konstruktionen

(le)a. Such problems cause [that governments lie].

Solche Probleme veranlassen [daß Regierungen lügenl.,,Such problems cause goventments to lie.",,Solche Probleme veranlassen Regierungen, zu lügen."

b. [That governments lie] causes problems.,,[Daß Regierungen lügen] verursacht Probleme."

Es ist intuitiv plausibel, daß eine Sprache ein Wort ,,lie-cause" (,,1ügen-

verursachen") enthalten könnte, das es erlaubt, (19a) als (20a) auszu-drücken, die Form (20b) für (l9b) hingegen nicht gesratrer:

(20)

a. Such problems lie-cause governments.Solche Probleme lügen-verursachen Regierungen.

b. Governments lie-cause problems.Regierungen lügen-verursachen Probleme.

54 ))

Tatsächlich zeigen sprachvergleichende Daten, daß dies richtig ist.rObwohl noch niemand dieses Experiment gemacht hat, würde sich, wennSprechern des Englischen ,,Pseudosprachen" ntit Verben wie lie-cqusebeigebracht würden, wahrscheinlich herausstellen, daß sie Konstruk-tionen wie (20a) in der Bedeutung von (19a) leichter verst.ehen würdenals Konstruktionen wie (20b) mit der Bedeutung (f9b).a

Wir sehen hier eine weitere Widerspiegelung der Asymmetrie zwi-schen Subjekt und Objekt. Das Verb und sein Komplement stehen inausreichend enger Beziehung, um dem Verb des Komplements zu ge-statten, sich an das Hauptverb anzulagern und mit diesem ein komple-xes Verb zu bilden, aber das Verb des Subjekts kann dies nicht, weil dasSubjekt keine Phrase zusammen mit dem Hauptverb bildet. Wir begin-nen gerade erst, die tieferliegenden Gründe für diese Unterschiede hin-sichtlich der Inkorporationsmöglichkeiten zu verstehen; diese For-schungsarbeit liegtjenseits dessen, was ich hier behandeln kann.

Halten wir nun fest, daß, obwohl das Spanische kein komplexesGesamtwort hace-salir wie in Beispiel (17) bildet, nichtsdestotrotz imSpanischen etwas stattflndet, das diesem Prozeß sehr ähnelt. Wir kön-nen annehmen, daß die (17) direkt zugrundeliegende Form (2la) ist, inAnalogie zu (l6a), das hier als (2lb) wiederholt wird:

(2r)a. Juan hace [Pedro salir].

Juan macht [Pedro gehen].

,,Juan makes IPedro leave]".,,Juan veranla.f3t IPedro zu gehen].

b. Juan hace [que Pedro salga].Juan makes [that Pedro leave].Juan macht [daß Pedro gehe].

,,Juan causes Pedro to leave.",,Juan veranlaf|t Pedro, zu gehen."

In (2la) bewegt sich das Yerb salir an den Anfang des eingebettetenSatzes, was (22a) ergibt, das durch Einfügung der präposition a zu dertatsächlichen Form (22b) wird:

Q2',a. Juan hace [salir Pedro].

Juan makes fieave Pedro].Juan macht [gehen Pedro].

b. Juan hace [salir a Pedro].Juan makes fieave to Pedro].Juan macht [gehen zu Pedro].

,,Juan makes Pedro leave.",,Juan veranlal3t Pedro, zu gehen."

Obwohl die Reihenfolge von Subjekt und Verb im Spanischen ziemlichfrei ist, muß das Verb des Komplementsatzes in Kausativkonstruktionenwie (22) in den meisten Dialekten seinem Subjekt vorangehen; es mußdem Kausati v v erb hac er direkt benachbart sein.

Ich werde auf die Einfügung der Präposition noch zurückkommen.Hiervon abgesehen läßt die Tatsache, daß das Verb an eine an das Kau-sativ angrenzende Position rückt, darauf schließen, daß etwas der Verb-inkorporation Ahnliches auch im Spanischen stattfindet, und weitereDaten deuten daraufhin, daß die beiden benachbarten Verben zu einerEinheit, nämlich hacer-salir verschmelzen. Das würde zum Beispielerklären, warum das Klitik se in Juan se hizo afeitar sich von seinerPosition als Objekt von afeitar wegbewegt, um unmittelb ar vor hizo zustehen, so als verhieltesichhizo-afeitar als ein einziges Verb. Das Phä-nomen ist noch viel verbreiteterer Art und in diversen Variationen querdurch die romanischen Sprachen anzutreffen. Wie wir sehen werden,ist es nicht nur das Verb des Komplementsatzes, das an den Anfangrückt, sondern eine größere Verbalphrase, und das Verb dieser Verbal-phrase bildet dann eine funktionale Einheit mit dem Kausalivyerbhacer,an das es nun angrenzt.

Diese Beispiele illustrieren nochmals die Asymmetrie von Subjektund Objekt, ein anscheinend universales Phänomen der Sprache, dasvielerlei Auswirkungen hat. Wir sollten auch hier wieder im Gedächt-nis behalten, daß dies nicht logisch notwendige Eigenschaften von Spra-che sind, sondern Tatsachen der menschlichen Sprache, die sich aufdieEigenschaften des Sprachvermögens zurückführen lassen. Wie in an-deren Fällen zeigen die Beispiele, daß Platos Problem gewichtigerArtist und daß die Aussicht für seine Lösung darin liegen dürfte, daß wirunsere Aufmerksamkeit der reichen biologischen Ausstattung zuwen-den, die dem Sprachvermögen, einer der spezifischen Strukturen desmenschlichen Geistes, zugrundeliegt.

Kehren wir jetzt z.u der schematischen Darstellung des Sprach-erwerbsprozesses zurück:

56 57

f,t]r.r ' tTe-*f - Sprache - strukturierte AusdrückeI vermogen

I

Auf diese Weise können wir ein bestimmtes Programm für clie Erfor-schung der Sprache umreißen. Das Sprachvermögen ist eine Kompo-nente des Geistes/Gehirns, Teil der menschlichen biologischen Ausstat-tung. Mit Daten konfrontiert, bildet das Kind, oder spezifischeq dasSprachvermögen des Kindes, eine Sprache aus, ein Berechnungssystembestimmter Art, das strukturierte Repräsentationen sprachlicher Aus-drücke liefert, die deren Bedeutung und lautliche Form festlegen. DieAufgabe des Linguisten besteht darin, das Wesen der Elemente in (l)zu entdecken: der Daten, des Sprachvermögens, der Sprache und derdurch die Sprache festgelegten strukturierten Ausdrücke.

Wenn wir uns weiter an die schematische Darstellung halten, kön-nen wir uns die Forschungstätigkeit des Linguisten als einen prozeß

vorstellen, der am rechten Ende des Diagramms (l) beginnt und sichvon dorl zu einer Untersuchung der Natur des Sprachvermögens vorar-beitet. Die Forschung beginnt normalerweise mit Beispielen von struk-turierten Ausdrücken, oder genauer, mit Urteilen von Sprechern (odersonstigen Daten), die zumindest eine teilweise Beschreibung der Formund Bedeutung dieser Ausdrücke ermöglichen und so zumindest eineteilweise Beschreibung ihrer Struktur liefern. Zum Beispiel kann derLinguist, indem er das Verständnis des Spanischsprechers der hier wie-derholten Sätze (8a) und (8b) untersucht, herausfinden, daß lo in (8b)von Juan gebunden sein kann oder auch nicht, während r'/ in (8a) nichtvon Juan gebunden sein kann:

(8)

a. El ama a Juan.He loves to Juan.Er liebt zu Juan.

,,He loves Juan.",,Er liebt Juan."

b. Juan nos mandri [examinarlo].Juan us-asked Ito-examine-him].Juan uns-bat Izu-untersuchen-ihn].,,Juan asked us to examine him.",,Juan bat uns, ihn zu untersuchen."

Vergleichbares gilt lür andere Fälle wie zum Beispiel die, die wir dis-kutiert haben.

Anhand einer Vielzahl von Daten dieser Art kann sich der Linguistder nächsten Aufgabe zuwenden; die Sprache zu beschreiben, die fürdiese Tatsachen bestimmend ist. Auf dieser Stufe versucht der Linguist,eine Grammatik einer bestimmten Sprache, das heißt, eine Theorie die-ser Sprache zu konstruieren. Wenn die Grammatik ausreichend explizitist, also das, was wir eine generative Grammatik nennen, wird sie eineunbegrenzte Menge strukturierter Ausdrücke voraussagen und kannhinsichtlich ihrer empirischen Angemessenheit überprüft werden, in-dem die Richtigkeit dieser Voraussagen untersucht wird. Der Linguistwird diese Aufgabe für eine größtmögliche Bandbreite von Sprachenangehen und versuchen, fürjede von ihnen eine Grammatik zu konstru-icren, die die jeweils vorliegenden Phänomene erklärt. Das ist eineschwierige und anspruchsvolle Aufgabe. Es ist die Aufgabe, einen rea-len Gegenstand der wirklichen Welt zu beschreiben, nämlich die Spra-che, die im Geist/Gehirn des erwachsenen Sprechers einer Sprache re-präsentiert ist.

Die nächste Aufgabe besteht darin, zu erklären, warum die Tatsa-chen, beispielsweise Tatsachen der Art, wie wir sie besprochen haben,so sind wie sie sind. Diese Aufgabe der Erklärung führt uns zur Unter-suchung des Sprachvermögens. Eine Theorie des Sprachvermögens wirdmanchmal in Anwendung eines traditionellen Begriffs auf ein etwasandersartig konzipiertes Forschungsprogramm Universalgrammatikgenannt. Die Universalgrammatik versucht, die Prinzipien zu formu-lieren, die am Funktionieren des Sprachvermögens beteiligt sind. DieGrammatik einer bestimmten Sprache ist eine Beschreibung des Zu-stands des Sprachvermögens, nachdem es mit Erfahrungsdaten kon-frontiert worden ist; die Universalgrammatik ist eine Beschreibung des

ursprünglichen Zustandes des Sprachvermögens vor jeglicher Erfah-rung. Die Universalgrammatik würde zum Beispiel das Prinzip enthal-ten, daß Regeln strukturabhängig sind, daß ein Pronomen innerhalbseiner Domäne frei sein muß, daß es eine Subjekt-Objekt-Asymmetriegibt, einige der in der vorigen Vorlesung erwähnten Prinzipien und so

weiter. Die Universalgrammatik liefert eine echte Erklärung beobach-teter Phänomene. Wenn die ursprünglichen Daten, die das Sprach-vermögen benutzte, um seinen gegenwärtigen Zustand zu eneichen,gegeben sind, können wir aus den Prinzipien der Universalgrammatikableiten, daß die Phänomene einen ganz bestimmten Charakter undkeinen anderen haben müssen. In dem Maß, wie wir eine Theorie der

58 59

Universalgrammatik konstruieren können, haben wir auf unserem Ge-biet eine Lösung für Platos Problem gefunden.

Natürlich ist diese Beschreibung bloß schematisch. In der praxis

entwickeln sich die verschiedenen Untersuchungsbereiche in wechsel-seitigerAbhängigkeit voneinander. So wird die Entwicklung von Ideender einen oder anderen Art hinsichtlich der Universalgrammatik dieWeise beeinflussen, in der wir den Ausdrücken, die das Datenmaterialfür die Forschungsarbeit an der deskriptiven Grammatik bilden, Struk-turen zuweisen, und es wird die Form dieser deskriptiven Grammatikenbeeinflussen.

Die Prinzipien der Universalgrammatik gelten ohne Ausnahme, dennsie stellen das Sprachvermögen selbst dar, einen Rahmen für jedwedemenschliche Einzelsprache, die Basis für den Erwerb von Sprache. Aberdie Sprachen unterscheiden sich ganz offensichtlich voneinander. Wennwir zu der schematischen Darstellung (1) zurückkehren, sehen wir, daßdie beobachteten Tatsachen nicht aus den Prinzipien des Sprach-vermögens allein folgen, sondern aus diesen Prinzipien zusammen mitden dem Sprachlemenden gebotenen Daten, durch die verschiedene vonder Universalgrammatik offengelassene Optionen erst festgelegt wor-den sind. In der technischen Terminologie, die ich in Kapitel I einge-führt habe, enthalten die Prinzipien der Universalgrammatik bestimmteParameter, die durch Erfahrung auf die eine oder andere Weise fixiertwerden können. Wir können uns das Sprachvermögen als eineArt kom-plexes und feinverästeltes Netzwerk denken, das mit einem Schaltka-sten verbunden ist, der aus einerAnordnung von Schaltern besteht, diesich in einer von zwei Positionen befinden können. Ohne daß die Schalterauf die eine oder die andere Weise eingestellt sind, funktioniert dasSystem nicht. Wenn sie in einer der erlaubten Weisen eingestellt sind,dann funktioniert das System in Übereinstimmung mit seinem innerenBau, aber je nach der Art der Schaltereinstellung auf unterschiedlicheArt. Das feststehende Netzwerk ist das Prinzipiensystem der Universal-grammatik; die Schalter sind die Parameter, die durch Erfahrung fixiertwerden müssen. Die dem Kind, das die Sprache lernt, gebotenen Datenmüssen ausreichend sein, um die Schalter auf die eine oder andere Wei-se einzustellen. Wenn diese Schalter eingestellt sind, beherrscht das Kindeine bestimmte Sprache und kennt die Tatsachen dieser Sprache: daßein bestimmter Ausdruck eine bestimmte Bedeutung hat und so weiter.

Jede zullissige Variante von Schaltereinstellungen legt eine bestimmteSprache fest. Der Erwerb einer Sprache ist zum Teil ein Prozeß, beidem die Schalter auf der Grundlage der gebotenen Daten auf die eine

oder andere Weise eingestellt werden, ein Prozeß der Festlegung derParameterwerte.5 Sobald diese Werte bestimmt sind, funktioniert dasganze System, aber es besteht keine einfache Beziehung zwischen demfür einen bestimmten Parameter ausgewählten Wert und den Konse-quenzen dieser Wahl in Bezug auf ihre Auswirkungen innerhalb des

feingegliederten Systems der Universalgrammatik insgesamt. Es kannsich herausstellen, daß die Veränderung einiger weniger oder sogar ei-nes einzigen Parameters eine Sprache ergibt, die ihrem Charakter nachvon der ursprünglichen Sprache sehr verschieden zu sein scheint. Um-gekehrt können Sprachen, die historisch ohne Verbindung sind, einan-der recht ähnlich sein, wenn sie zuftilligerweise dieselben Parameter-

stellungen haben.

Dieser Punkt kann an den romanischen Sprachen illustriert werden.Die Zeit ihrer Trennung liegt noch nicht lang zurück, und sie sind ein-ander strukturell ziemlich ähnlich. Das Französische unterscheidet sichjedoch von den anderen romanischen Sprachen in einem merkwürdi-gen Bündel von Eigenschaften. Im Spanischen gibt es zum BeispielKonstruktionen wie:

(n)a. Llega.

Arrives.Kommt an.

,,He/she/it arrives."..Er/sie/es kommt an."

b. Llega Juan.Arrives Juan.

Kommt an Juan.

,,Juan arrives."..Juan kommt an."

c. Lo quiere ver.Him/it wants to-see.

Ihn/es will sehen.

,,He/she wants to see him/it.",,Er/sie will ihn/es sehen."

Dasselbe gilt für Italienisch und andere romanische Sprachen. Aber imFranzösischen sind die entsprechenden Formen nicht möglich. Das

60 6l

Subjekt muß immer explizit ausgedrückt sein. Es kann dem Verb auchnicht wie in (23b) folgen (wobei aber die (22b) - Juan hace [satir aPedrol - entsprechende französische Kausativform diese Verb-subjekrReihenfolge aufweist, was auch hier darauf hindeutet, daß das Verbsich an den Anfang des Komplementsatzes bewegt hat). Und obwohlim Spanischen die Konstruktion querer-ver stch mehr oder wenigerwie ein einziges, aber zusammengesetztes Verb verhält, so daß dasklitische Objekt von ver sich in (23c) an quiere anlagern kann (ganzähnlich wie im Fall vonhacer-afeitar, den wir schon diskutiert haben),ist das im Französischen nicht möglich; dort muß sich das klitischeObjekt an das Verb des Komplementsatzes anlagern. Diese Unterschie-de zwischen dem Französischen und den anderen romanischen Spra-chen entwickelten sich erst vor einigen Jahrhunderten und, wie es scheint,ungefähr gleichzeitig. Wahrscheinlich handelt es sich hier um Auswir-kungen eines Wandels bei einem einzigen Parameter, eines Wandels,der vielleicht durch das Beispiel der angrenzenden germanischen Spra-chen beeinflußt wurde. Um für diese Schlußfolgerung (vorausgesetzt,sie ist richtig) Geltung beanspruchen zu können, müßten wir zeigen,daß die Struktur der Universalgrammatik zwingend vorschreibt, daßeine Veränderung bei nur einem Parameter das beobachtete Bündel vonAuswirkungen ergibt. Es sind einige Fortschritte dabei erzielt worden,diese Auswirkungen auf einen Parameter zurückzuführen, der Null-subjektparameter genannt wird und der festlegt, ob das Subjekt einesSatzes wie in (23a) unausgedrückt bleiben kann, und es hat in letzterZeit einiges an interessanterArbeit zum Spracherwerb gegeben, in deruntersucht wurde, wie der Wert dieses Parameters in der frühen Kind-heit bestimmt wird. Aber vieles bleibt vorläufig ungeklärt. All das sindfaszinierende und schwierige Fragen, die augenblicklich im Gren zbezirkder gegenwärtigen Forschung liegen und erst in jüngster Zeit mit demFortschritt unseres Versfändnisses ernsthafter Untersuchung zugänglichgeworden sind.

Die Logik der Situation ist nicht so viel anders als die, die der Fest-legung der biologischen Spezies zugrundeliegt. Die Biologie des Le-bens ist bei allen Arten, vom Hefepilz bis zum Menschen, ziemlichähnlich. Aber geringfügige Unterschiede bei Faktoren wie dem Zeitab-lauf von Zellmechanismen können bedeutende Unterschiede bezüglichder Organismen hervorbringen, die dabei herauskommen, zum Beispielden Unterschied zwischen einem Wal und einem Schmetterling. Ahn-lich scheinen die Sprachen der Welt auf alle möglichen Arten radikalvoneinander verschieden zu sein, aber wir wissen. daß sie Ausformun-

gen ein- und desselben Grundmusters sein müssen, daß ihre grundle-genden Eigenschaften durch die invarianten Prinzipien der Universal-grammatik bestimmt sein müssen. Wenn das nicht so wäre, wäre es fürdas Kind nicht möglich, auch nur eine von ihnen zu lernen.

Die Aufgabe der Beschreibung ist schwierig genug, aber die Auiga-be der Erklärung, der Entwicklung einer Universalgrammatik, ist weitschwerer und anspruchsvoller. Auf der beschreibenden Ebene ist derSprachwissenschaftler mit einer Vielzahl von Phänomenen konfrontiertund sucht danach, ein Berechnungssystem zu entdecken, das für diesePhänomene und weitere, die entsprechend vorausgesagt werden, eineBegründung liefert. Auf der erklärenden Ebene ist es notwendig, zuzeigen, wie diese Phänomene aus invarianten Prinzipien abgeleitet wer-den können, sobald die Parameter einmal festgelegt sind. Das ist eineviel schwierigere Aufgabe. In den letzten paar Jahren ist es möglichgeworden, diese Herausforderung anzugehen und wirkliche Fortschrit-te zu machen, und zwar in einem Maß, das man sich noch bis vor kur-zem kaum vorstellen konnte.

In der nächsten Vorlesung möchte ich mich einer näheren Untersu-chung einiger der Prinzipien und Parameter der Universalgrammatikzuwenden und einen Versuch entwickeln, einige der Phänomene, dieich im Verlaufder Diskussion besprochen habe, zu erklären.

Anmerkungen

I Je nach Dialekt kann der spanische Satz ebenso wie die wörtliche Bedeutung ,,DerMann ist in dem Haus" auch die Bedeutung ,,Der Mann ist zu Hause" haben odernicht. lch verwende hier letztere Übersetzung.

2 Das klitische Pronomen lo hat zweierlei Bedeutung, nämlich,,ihn" oder,,es". Ichhalte mich hier an die erste Möglichkeit. Auch an anderen Stellen halte ich mich anjeweils eine Bedeutung solcher Pronomina und wähle die Interpretation, die liir dieBeispiele relevant ist.

3 Ahntiche Überlegungen gelten für das lexikon. So hat das Wortdrop (fallenlassen)einen gewissen semantischen Bentg zu cause to fall (veranlassen zu fallen), so daß

,,John dropped the book" (John ließ das Buch fallen) etwas ähnliches bedeutet wie,John caused that the book fall'?.John caused the book to fall" (John veranlaßte. daßdas Buch fällt/John veranlaßte das Buch, zu fallen). Aber es gibt kein Wort DROP mitder Eigenschaft, daß ,,the book DROPS problems" etwas in der Art von ,,That thebook falls causes problems" (Daß das Buch f:illt, verursacht Probleme) bedeutet.

4 Bei der Ausarbeitung eines solchen Experiments würde man Sorge dafür tragen mi.ls-sen, sicherzustellen, daß es die Ressourcen des Sprachvermögens in Anspruch nimmtund nicht die allgemeinen Flihigkeiten zur Problemlösung, was immer diese seinmögen. Wie immer ist das Entwerfen eines aussagekräftigen Experiments keine tri-viale Angelegenheit.

62 63

Man denke daran, daß dies nur einen Teil des Spracherwerbs darstellt. Zusätzlichmüssen wir uns mit dem Erwerb der Elemente des Wortschatzes, von ldiornen, unre-gelmäßigen Verben usw. befassen. Die Diskussion beschränkt sich hier auf rlas, wasim technischen Gebrauch manchmal Kernsprache genannt wird.

ilIPrinzipien der Sprachstruktur I

Ich habe das letzte Kapitel mit einigen Bemerkungen über die unter-schiedlichen Ebenen der Untersuchung der Sprache geschlossen: er-

stens, die beschreibende Ebene, auf der wir versuchen, die Eigenschaf-ten einzelner Sprachen aufzudecken, eine präzise Darlegung des

Berechnungssystems zu geben, das die Form und Bedeutung sprachli-cher Außerungen in diesen Sprachen bestimmt, und zweitens, die er-klärende Ebene, auf der wir uns auf die Natur des Sprachvermögens,auf seine Prinzipien und Variationsparameter konzentrieren. Auf dererkllirenden Ebene versuchen wir, das ein frir allemal feststehende undinvariante System darzulegen, aus dem man die verschiedenen mögli-chen menschlichen Sprachen, sowohl die, die existieren, als auch vieleweitere buchstäblich herleiten kann, indem man die Parameter auf eineder erlaubten Weisen einstellt und zeigt, welche sprachlichen Außerun-gen aus diesen Parametereinstellungen folgen. Indem wir die Parame-

ter auf die eine Weise einstellen, erhalten wir die Eigenschaften des

Ungarischen; indem wie sie auf andere Weise einstellen, die Eigen-schaften von Eskimo, und so weiter. Das ist eine aufregende Aussicht.Zum erstenmal befinden wir uns nun in einer Lage, wo wir sie ins Augefassen und damit beginnen können, dieses Projekt emsthaft in Angriffzu nehmen.

Ich erwähnte einige plausible Prinzipien der Universalgrammatik und

einige Variationsparameter, darunter den Nullsubjektparameter, der das

Französische (und das Englische sowie viele andere Sprachen) vomSpanischen und den anderen romanischen Sprachen (und einer großen

Vielfalt von weiteren) unterscheidet. Um das Thema weiterzuverfolgen,wollen wir nun die Natur der Kategorien und Ausdrücke, die in den

strukturierten Außerungen der einzelnen menschlichen Sprachen er-scheinen, betrachten.

Die Universalgrammatik läßt bestimmte Kategorien lexikalischerEinheiten zu, und zwar im wesentlichen vier: Verben (V), Nomina (N),Adjektive (A), undAdpositionen (P; Präpositionen oder Postpositionen,je nachdem, ob sie ihren Komplementen vorausgehen oder ihnen fol-gen). Diese Kategorien haben wahrscheinlich eine innere Struktur, aber

lassen wir diese beiseite. Die grundlegenden Elemente des Lexikonsfallen unter diese vier Kategorien, obwohl es noch weitere gibt. Für

64 65

jede dieser vier Grundkategorien bestimmt die Universalgrammatik eineProjektion, von der die Grundkategorie jeweils der Kopf ist: Verbal-phrase (VP), Nominalphrase (NP), Adjektivphrase (AP),Adpositionalphrase (PP). Im Spanischen haben wir zum Beispiel, ge-nau wie im Englischen und Deutschen, die folgenden vier Arten vonPhrasen:

G)a. VP: hablar ingl6s

sprechen Englisch

,,speak English",,Englisch sprechen"

b. NP: traducciön del librotranslation of-the bookÜbersetzung von-dem Buch,,translation of the book",, Übersetzung des B uches "

c. AP: lleno de aguavoll von Wasser

,,full of water",,voll Wasser"

d. PP: a Juan,,to Juan",,zu Juan"

Jede dieser Phrasen enthält einen Kopf und sein Komplement. In jedemdieser Fälle ist der Kopf eine lexikalische Kategorie des entsprechen-den Typs. Das Komplement ist hier jedesmal eine NP, es gibt aber auchandere Möglichkeiten: wie wir gesehen haben, nimmt dasYerb hacer(,,make";,,machen"/,,veranlassen") ein Satzkomplement, und das Verbmandar (,,ask"; ,,bitten") nimmt sowohl eine NP als auch ein Satz-komplement. Der Kopf der VP in (la) ist das Verb hablar, und seinKomplement ist die NP inglös, die zufälligerweise hier aus einem ein-zelnen Nomen besteht. Der Kopf der NP in (1b) ist das Nomentraducci6n, und sein Komplement ist die NP el libro. Die Präpositionde wird aus Gründen eingefügt, auf die wir noch zurückkommen, unddie Sequenz de-el wird durch eine Regel des Lautsystems zu der einfa-

chen Form del. Dasselbe finden wir auch bei der AP in (1c) mit demAdjektiv lleno als Kopf und der NP agua als Komplement, wobei wie-der de eingesetzt wird). Der Kopf der PP in (ld) ist die Präposition c,und ihr Komplement ist die NP"/uan.

Ein auffälliges Merkmal dieser Konstruktionen im Spanischen ist,daß der Kopf dem Komplement vorausgeht. Dasselbe gilt für das Eng-lische. In anderen Sprachen ist das nicht der Fall. Im Miskito zum Bei-spiel folgt der Kopf in jedem Fall dem Komplement, und dasselbe giltfür Japanisch und weitere Sprachen. [In den deutschen Beispielen in(l) steht im Fall der VP das Komplement vor dem Kopf, in den restli-chen Fällen NP, AP und PP verhält es sich umgekehrt. A.d. Ü]Aber vonder Reihenfolge abgesehen stellt die in (1) dargestellte allgemeine Struk-tur einen invarianten Kern von Sprache überhaupt dar. Wenn wir X undY als Variable verstehen, die mit jeder der lexikalischen Kategorien V,

N, A, P als ihrem Wert belegt werden können, dann können wir dieallgemeingültige Struktur der Phrase mittels folgender Formel ausdrük-ken:

(2\XP =X-YP

Wir verstehen diese Formel so, daß es für jede Wahl von X (Y N, A, P)

eine Phrase XP (VP, NP, AP, PP) gibt, deren Kopf die lexikalische Ka-tegorie X und deren Komplement die Phrase YP ist (wobei YP, eben-

falls (2) entsprechend, die Projektion einer Kategorie y darstell0. Wirverstehen dabei die allgemeine Formel (2) so, daß die Reihenfolge des

Kopfs X und des Komplements YP freigestellt ist.Prinzip (2) gehört zur Universalgrammatik. Zusammen mit einigen

weiteren derartigen Prinzipien spezifiziert es die allgemeinen Eigen-schaften der Phrasen einer menschlichen Sprache. Für sich genommen

liefert das Prinzip keine tatsächlichen Wortfolgen; dazu ist noch erfor-derlich, die Reihenfolge von Kopf und Komplement f'estzulegen und

die lexikalischen Elemente der verschiedenen lexikalischen Kategori-en einzusetzen. Lexikalische Elemente müssen einzeln gelernt werden,obwohl, wie wir in der ersten Vorlesung sahen, die Universalgrammatikihrem Charakter und ihrer Vielfalt enge Beschränkungen auferlegt. DieReihenfolge von Kopf und Komplement ist einer der Parameter derUniversalgrammatik, wie wir sehen können, wenn wir zum BeispielSpanisch und Miskito vergleichen. Im Spanischen ist der Wert des Pa-

rameters ,,Kopf zuerst";jeder lexikalische Kopf geht seinem Komple-

66 67

ment voraus. Im Miskito ist der Wert des Parameters ,,Kopf zuletzt";jeder lexikalische Kopf folgt seinem Komplement. Miskito und Spa-nisch verhalten sich in dieser Hinsicht spiegelbildlich zueinander. Ineinigen Sprachen [wie z.B. im Deutschen ,A.d.Ü) ist die Situation kom-plexer, und es mag in Wirklichkeit mehr als ein Parameter beteiligt sein,aber dies scheint im wesentlichen der Kern des Systems zu sein.

Der Wert des Parameters kann schon aus kurzen, einfachen Sätzenleicht gelernt werden. Um zum Beispiel den Wert des Parameters fürdas Spanische festzulegen, reicht es aus, sich Dreiwort-Sätze anzuse-hen wie:

(3)

Juan [habla ingl6s].

,,J uan speaks English. ",,J uan s p richt Eng lisc h. "

Derartige Daten genügen, um zu bestimmen, daß der Wert des Parame-ters ,,Kopf zuerst" ist und außerdem, falls keine explizit gegenteiligenDaten vorliegen, um die Kopf-Komplement-Reihenfolge durch die ganze

Sprache hindurch festzulegen. Die bedeutsamste Tatsache hinsichtlichdes Lernens von Sprache besteht darin, daß es auf der Basis ziemlicheinfacher Daten vonstatten geht, ohne irgendwelche Übungen, Unter-richt oder auch nur die Konektur von Fehlern seitens der Sprach-gemeinschaft zu benötigen, und dies sind gerade einige der Merkmale,die Anlaß zu Platos Fragestellung geben. Der Kopfparameter hat alsodie Eigenschaften, die wir innerhalb des ganzen Systems zu findenerwarten: sein Wert wird ohne Schwierigkeit gelernt und erlaubt, so-bald er einmal gelernt ist, einem System allgemeiner Prinzipien in Ak-tion zu treten und seinerseits eine große Vielzahl weiterer Tatsachen zubestimmen.

Wir haben schon Belege dafür gefunden, daß es in einem Subjekt-Verb-ObjekrSatz eine Subjekt-Objekt-Asymmetrie gibt, insofern dasVerb und das Objekt zusammen eine Phrase bilden, während das Sub-jekt eine separate Phrase darstellt. Die Struktur von Satz (3) ist also so,wie durch die Klammern angezeigt, die eine VP markieren. Die allge-meinen Prinzipien der Phrasenstruktur liefem weitere Hinweise abstrak-terer Natur zugunsten der Schlußfolgerung, die wir bereits auf der Ba-sis von Überlegungen in Bezug auf Bindungstheorie und Inkorporationgezogen haben. Wenn die Schlußfolgerung zutrifft, können wir das all-gemeine hinzip (2) aufrechterhalten. Wenn es dagegen, wie in gebräuch-

lichen formalen Sprachen, keine Subjekt-Objekt-Asymmetrie gäbe,

würde das allgemeine Prinzip im Fall der Verben verletzt; darüber hin-aus wäre es dann lediglich ein Zufall, daß Verben und Objekte in Spra-

chen wie dem Spanischen und Miskito jeweils eine bestimmte Kopf-Komplement-Anordnung aufweisen. Wir haben daher ein willkomme-nes Zusammentreffen von empirischen Daten und dem theoretisch er-

wünschten Resultat, ein allgemeines Prinzip aufrechterhalten zu kön-nen.

Einige Sprachen weisen die Verb-Subjekt-Objekt-Reihenfolge auf,was Prinzip (2) zu verletzen scheint, weil Verb und und Objekt getrenntsind. Wenn Prinzip (2) auch hier gilt, muß die Sache so liegen, daß das

Verb und das Objekt auf einer abstrakteren Ebene der Repräsentationeine Phrase bilden. Tatsächlich gibt es Daten, die darauf hinweisen, daßin solchen Sprachen die Grundstruktur des Satzes NP-VP ist und daß

das Verb sich an den Anfang des Satzes bewegt, ähnlich wie es das -wie wir früher schon gesehen haben - in spanischen Kausativen wie(4a) tut, oder auch in Sätzen wie (4b), wo regalö ebenfalls am Anfangdes Satzes stehen muß, zu dem es gehört, oder wie in der einfachenFrageform (4c):

(4)

a. Juan hizo [salir a Pedro].Juan made fleave to Pedro].Juan machte [gehen zu Pedro].

,,Juan made Pedro leave.",,Juan veranlal3te Pedro, zu gehen."

b. A qui6n no sabes qu6 libro [regal6 Juan]?To whom not you-know what book [gave Juan]?Zu wem nicht du-weißt welches Buch [gab Juan]?

,,To whom don't you know what book Juan gave?" I

,,Wem, weiJJt du nicht, welches Buch Juan gab.?"

c. Estr{ Juan en la casa?

.,ls Juan at home?",,lst Juan zu Hause?"

Die Regel, die das verbale Element an den Anfang bewegt, ist eine ge-

nerelle Option, die von der Universalgrammatik gestattet ist. Sie wirdin verschiedenen Sprachen in etwas unterschiedlicher Weise gebraucht,

68 69

und die Lage im Spanischen ist ein wenig komplexer als hier angedeu-tet; so ist es in (4a) in Wirklichkeit die Verbalphrase, nichr einfach dasVerb, die an den Anfang rückt, und in (4b) ist das bewegte Elementebenfalls komplexer als das bloße Verb, wie wir sehen, wenn wir kom-plexere Beispiele betrachten. Aber auch hier verhüllt die oberflächlicheVielfalt einen begrenzten Bereich möglicher Regeln und Strukturen,aus denen das Kind eine Lösung wählt, indem sein GeisUGehirn diepräsentierten Daten prüft und die Parameter festsetzt, und so ein Wissens-system konstruiert, das das Kind befähigt, die Sprache seiner Sprach-gemeinschaft in ihrer vollen Komplexität und Reichhaltigkeit zu spre-chen und zu verstehen.

Einige der von der Universalgrammatik bereitgestellten Optionenkommen in einer jeweils bestimmten Sprache vielleicht nicht oder nurin begrenzter Weise zur Anwendung. Betrachten wir etwa, um das ineinem anderen Bereich der Sprache zu illustrieren, den Lautunterschiedzwischen den spanischen Wörtern ccro (,,teucr") und carro (,,Wagen").Weil das Englische von dieser von der Universalgrammatik erlaubtenphonetischen Unterscheidungsmöglichkeit keinen Gebrauch macht, magein Sprecher des Englischen Schwierigkeiten haben, den Unterschiedzu hören. Aus demselben Grund hat ein spanischer Sprecher vielleichtSchwierigkeiten, den Unterschied zwischen den englischen Wörtern üal(,,Fledermaus"; ,,Schläger") und ucl (,,Faß")zu hören, weil das Spani-sche von dieser Unterscheidungsmöglichkeit keinen Gebrauch macht.Die Universalgrammatik stellt innerhalb eines ziemlich eng beschränk-ten Rahmens Optionen zur Verfügung. Nicht jede Option kommt in je-der Sprache vollständig, oder auch nur überhaupt,zumZug.

Es gibt von der Universalgrammatik erlaubte Möglichkeiten derWortreihenfolge, die über diejenigen, die ich bisher illustriert habe, hin-ausgehen. Die bis jetzt erwähnten Sprachen erfüllen die Bedingung,daß die Elemente einer Phrase aneinander angrenzen, zumindest in ei-ner zugrundeliegenden abstrakten Struktur, die den in (2) niedergeleg-ten Phrasenstrukturprinzipien entspricht, einer Struktur, die nachträg-lich durch Regeln wie z.B. Verbbewegung modifiziert werden kann.Aber einige Sprachen gehorchen dieser Bedingung der Nachbarschaftin der zugrundeliegenden Struktur nicht. Phrasen können von vornher-ein ,,verstreut" sein, wenn es auch gute Gründe zu der Annahme gibt,daß die Phrasen als solche sehr wohl existieren und von den gleichenallgemeinen Prinzipien bestimmt werden, wobei andere Formen desZusammenhangs die der Nachbarschaft ersetzen.

Prinzipien der Phrasenstruktur wie (2) erleichtern die Aufgabe der

Spracherlernung, weil nichts weiter getan werden muß, als den Wertfür den Kopfparameter und weitere derartrige Parameter festzulegen;dcr Rest des Systems ist dadurch automatisch bestimmt. Diese Prinzi-pien erlcichtern außerdem die Aufgabe der Wahrnehmung und des Ver-stehens dessen, was man hört - der Wahrnehmungsaspekt von Frage 3,

Kapitel l, S.3. Nehmen wir zum Beispiel an, dal3 ein Sprecher desSpanischen folgenden Satz hört;

t5lEl hombre quiere el agua...The man wants the water",,Der Mann will das Wasser"

Wenn die Wörter und der Wert des Kopfparameters bekannt sind, ist es

sofort möglich, dem Satz die Struktur (6) zuzuweisen, und zwar ohneauf irgendwelche spezifischen Regeln des Spanischen bezugzunehmen,lediglich unter Verwendung von Prinzipien der Universalgrammatik:

(6)

[Nr el hombre] [vr quiere [ne el agua]l

Dasselbe gilt auch für weitaus komplexere Beispiele.Die Prinzipien der Universalgrammatik sind Teil der von vornherein

fixierten Struktur des Geistes/Gehirns, und man kann davon ausgehen,daß solche Mechanismen praktisch verzögerungsfiei operieren. In demMaß, wie die Satzanalyse auf diesen Prinzipien beruht, sollte das Ver-stehen praktisch so schnell wie die ldentifizierung der Elemente des

Wortschatzes vor sich gehen. Dies scheint auch der Fall zu sein, eineTatsache, die nahelegt, daß wir auf der richtigen Spur sind, wenn wirversuchen, die ,,erlernte" Komponente von Sprache auf das Lexikonund die Wahl der Werte für eine begrenzte Anzahl von Parametern zureduzieren.

Kehren wir zum Pronominalsystem zurück. Wie wir gesehen haben,liefert die Universalgrammatik auch hier mehrere Möglichkeiten derVariation unter den verschiedenen Sprachen. So können PronominaKlitika sein, wie im Fall einer der Klassen der spanischcn Pronomina,aber im Englischen wird von dieser Option kein Gebrauch gemacht.

Etwas verwickeltere Fragen stellen sich, wie wir bereits gesehen ha-ben, wenn wir die Bindung von Pronomina in Betracht ziehen. Kehren

70 1l

wir zu den Problemen bezüglich der Bindung des rellexiven Klitiks se

zurück, die im ersten Kapitel illustriert wurden, dort aber gänzlich un-gelöst blieben. Wir sind mittlerweile in der Lage, dieses Thema etwasnäher zu untersuchen.

Betrachten wir den einfachsten Fall:

(7)

Juan se afeita.Juan self-shaves.Juan sich-rasiert.

,,Juan shaves himself. ",,Juan rasiert sich."

Wir wissen, daß der grundlegende Phrasenstrukturparameter im Spani-schen auf,,Kopf zuerst" festgelegt ist, so daß das Verb afeitar seinemObjekt se vorangehen muß. Daher muß die abstrakte zugrundeliegendeStruktur von (7), die den Prinzipien der Phrasenstruktur und den Festle-gungen der Parameter gehorcht, folgende sein:

(E)

Juan [afeita se].Juan [shaves himselfl.Juan [rasiert sich].

Wenn wir anstelle des Reflexivs eine andere Nominalphrase gewählthätten, würde die Reihenfolge in (8) erhalten bleiben; zusätzlich würdedie Präposition a eingefügt - dies ist eine Besonderheit des Spanischen,wie wir gesehen haben. Aber se wird im Lexikon des Spanischen alsKlitik ausgewiesen, also muß es sich in (8) in die präverbale Positionbewegen, wo es im Ergebnis Teil des Verbs wird, ein Prozeß, der Satz(7) ergibt. Es ist eine leicht erlernbare Eigenschaft des Spanischen, daßeinige Pronomina, darunter auch se, Klitika sind; ihr Verhalten folgtdann aus allgemeinen Prinzipien der Universalgrammatik.

Es gibt ein allgemeines und wirkungsvolles Prinzip der Universal-grammatik, das Projektionsprinzip genannt wird und dem zufolge dielexikalischen Eigenschaften jedes lexikalischen Elements auf jederRepräsentationsebene erhalten bleiben müssen. Aus dem Projektions-prinzip, das durch eine große Vielfalt an Daten gestützt ist, folgt, daßdie Eigenschaften von afeitar auf jeder Ebene repräsentiert sein müs-sen. Die entscheidene lexikalische Eigenschaft von afeitar ist, daß es

ein transitives Verb ist, das ein Objekt erfordert. Diese Eigenschaft istin (8) repräsentiert, nicht dagegen in (7), wo das Verb ohne Objekt er-

scheint. Um dem Projektionsprinzip Genüge zu tun, muß (7) ebenfallsein Objekt haben. Nehmen wir also an, daß die Universalgrammatikein Prinzip einschließt, das besagt, daß ein Element, wenn es bewegtwird, eine Spur zurückläßt, eine Kategorie ohne phonetische Merkma-le, die von dem bewegten Element gebunden wird, in ähnlicher Weise

wie dies bei einem gebundenes Pronomen der Fall ist. Die vollständigeStruktur von (7) ist demnach (9), wobei / die Spur von se ist:

(e)

Juan se [afeita t].

Hier ist die Spur I das Objekt von afeitar, so daß das Projektionsprinziperfüllt ist. Es gibt gewichtige Belege dafür, daß derartige Spuren in dermentalen Repräsentation tatsächlich existieren, und einigen davon werde

ich mich gleich zuwenden. Wie wir sehen werden, gibt es außerdem

Belege für die Existenz weiterer sogenannter leerer Kategorien. Alldas braucht nicht gelernt zu werden, weil es sich dabei ja um Eigen-schaften der Universalgrammatik handelt.

Sehen wir uns nun die kausativen Reflexiva an, die wir im ersten

Kapitel untersucht haben. Betrachten wir den Satz

(10)

Juan hizo [afeitarse a los muchachos].Juan made [shave-self to the boys].Juan machte [rasieren-sich zu den Jungen].

,,Juan made the boys shave themselves. "

,,Juan lietJ die Jungen sich (selbst) rasieren." 2

Wie wir gesehen haben, ist die (f0) zugrundeliegende Struktur (ll),wobei der Satz S das Komplement des kausativen Verbs hizo ist:

(ll)Juan hizo [s los muchachos [vn afeitar se]1.

Juan made [s the boys [vr shave selfl].Juan machte [s die Jungen [vn rasieren sich]1.

In dieser Repräsentation sind alle für die Phrasenstruktur gültigen Be-

72 73

dingungen einschließlich des Projektionsprinzips ertüllt, uncl dem Wertdes Kopfparameters (Kopf-zuerst) wird ebenfalls entsprochen. Der SatzS ist das Komplement vonhacer,mit der NP/o s muchachos als seinemSubjekt und der YP afeitar se als VP-Prädikat.

Weil se ein Klitik ist, muß es sich einem Verb anlagern. In (10) lagertes sich an afeitar an und bildet mit ihm das komplexe yerb afeitarse.3Letztere Form rückt nun an den Anfang des Satzes S, was, wie wirgesehen haben, eine Eigenschaft kausativer Konstruktionen ist, und diesergibt

(r2)Juan hizo [s afeitarse los muchachos].Juan made [s shave-selfthe boys].Juan machte [s rasieren-sich die Jungen].

Aus Gründen, die wir bisher noch nicht diskutiert haben, wird vor derNP los muchachos die häposition a eingesetzt, wodurch wir die schließ-lich ausgedrückte Form, nämlich (10) erhalten.

Aufgrund seiner Bedeutung muß das Klitik se gebunden sein. Eskann keine unabhängige Referenz haben, sondern bezieht sich aufje-manden, der an anderer Stelle spezifiziert ist. Es muß ein Antezedenshaben, das seinen Bezug festlegt. Wir bezeichnen ein Element, das ge-bunden sein muß, als eine Anapher. Se kann jedoch sein Antezedensnicht frei wählen. In (f0) zum Beispiel kann se sich nicht auf Juanbeziehen, sondern bezieht sich notwendigerweise auf los muchachos.

Wir können das Prinzip, das die Wahl des Antezedens bestimmt, mitHilfe des Konzepts der Domäne formulieren, das wir bereits definierthaben: Die Domäne einer Phrase ist die kleinste diese enthaltende phrase.

Die Anapher se muß innerhalb der Domäne eines Subjekts gebundensein, genauer gesagt, innerhalb der kleinsten derartigen Domäne. Sohaben wir nun ein zweites Prinzip der Bindungstheorie, zusätzlich zuPrinzip (10) in Kapitel 2, das besagte, daß ein Pronomen innerhalb sei-ner Domäne frei sein muß:

(13)

Eine Anapher muß innerhalb der minimalen Domäne eines Sub-jekts gebunden sein.

In Satz (10) ist die minimale Domäne eines Subjekts das Satzkomplementvon hizo; dieses Satzkomplement ist die Domäne de rNP los muchachos,

die wiederum das Subjekt von afeitar ist. Daher muß se in dieser Do-mäne gebunden sein; es kann los muchachos als Subjekt nehmen, nichtaber Juan, das sich außerhalb dieser Domäne befindet. Und für entspre-chende englische Sätze gilt dasselbe, wie zum Beispiel für

(14)

Juan made [the boy shave himselfl.Juan machte [den Jungen rasieren sich].,,Juan liel3 den Jungen sich (selbst) rasieren."

Hier ist die Anapher himself, und die minimale Domäne eines Sub-jekts, die auchhimselfenthält, ist die durch Klammern angezeigte Phra-se, deren Subjekt the boy ist. Die Anapher himself muß, aufgrund vonPrinzip (13), innerhalb dieser Domäne gebunden sein. Daher mußhimself von the boy gebunden sein, nicht von Juan.

Sowohl im Englischen als auch im Spanischen müssen dieAnaphernin den Konstruktionen, die wir gerade betrachten, innerhalb der mini-malen Domäne eines Subjekts gebunden sein. Im Englischen kann diereflexive Anapher himself von jedem in einer angemessenen Konfigu-ration stehenden Element dieser Domäne gebunden werden, also ent-weder vom Subjekt oder dem Objekt innerhalb dieser Domäne. Aberim Spanischen gibt es einige weitere Beschränkungen. In bestimmtenKonstruktionen wird das reflexive Element notwendigerweise durchdas Subjekt der Domäne, in der sich sein Antezedens befinden muß,gebunden. Die Möglichkeiten sind in ( l5a) illustriert, wo himself ent-weder das Subjekt "/ran oder das Objekt Pedro zum Antezedens neh-men kann, nicht aber Mario, weil Mario sich außerhalb der durch Klam-mern markierten Domäne eines Subjekts befindet. Aber in (15b), daseine ziemlich direkte Übersetzuung von (l5a) ins Spanische ist, mußdas reflexive si mismo (das nichtklitische Gegenstück zu se) Juan als

Antezedens nehmen, während Pedro ausgeschlossen ist:

(rs)a. Mario wants [Juan to speak to Pedro about himselfl.

Mario will [Juan sprechen zu Pedro über sich].

,,luan will, dalS Juan mit Pedro über sich spricht."

b. Mario quiere gue [Juan hable a Pedro de si mismo].Mario will, daß Uuan spricht zu Pedro über sichl.,,Mario will, daf [Juan mit Pedro über sich spricht].

74 75

Prinzip (13) gilt auch für Pronomina, nur daß sie dort fiei sein müs-sen, wo eine Anapher gebunden ist. Demnach haben wir parallel zu(13) ein weiteres Prinzip der Bindungstheorie:

(r6)Ein Pronomen muß innerhalb der minimalen Domäne eines Sub-jekts frei sein.

Dieses Prinzip ist illustriert in Satz

(r7)Juan lo afeita a 61.

Juan him-shaves to himJuan ihn-rasiert zu ihm...Juttn shaves hinr."..Juan rasiert ihn."

Hier bilden /o und d/ in Wirklichkeit ein einziges diskontinuierlichesPronomen, so daß Prinzip (16) auf beide als Einheit angewendet wird.Hier ist die minimale Domäne eines Subjekts der ganz-e Satz (17), dieDomäne des Subjekts Juan. Genau wie irn englischen Gegenstück istdie pronominale Form lo-öl in (17) notwendigerweise frei und beziehtsich aufjemand anderes als Juan,jemanden, dessen Identität an andererStelle in der Gesprächssituation bestimmt wird. Die Sache wird kom-plexer, sobald wir zu einem größeren Bereich von Beispielen überge-hen, wie der Leser herausfinden kann, indem er weitere Fälle betrach-tet, aber für unsere Zwecke hier werde ich mich auf die einfachen For-men der Prinzipien der Bindungstheorie beschränken.

Erinnern wir uns, daß das Klitik se sich an ein Verb anlagern muß,sich in einer Kausativkonstruktion aber entweder an das Verb, dessen

Objekt es ist, anlagern kann, wie in (l8a), oder an das Kausativ selbst,wie in (18b), wobei, wie wir gesehen haben, die Dialekte in dieser Hin-sicht variieren.a

(18)a. Juan hizo afeitarse....

b. Juan se hizo afeitar....

Wir haben vorhin die Bindung von se in (18a) in dem Fall besprochen,

wo,,..." durcha los muchschos ersetzt wird. Wenden wir uns nun (18b)

zu und betrachtcn

(1e)

a. Juan se hizo [afeitar t).Juan self-made [shave t).Juan sich-machte [rasieren t].,,Juan had someone shave hint (Juan)."

,,Juan lielJ jemanden ihn (Juan) rasieren."

b. Juan se hizo [afeitar t a los muchachos].Juan self-made [shave t to the boys].Juan sich-machte [rasieren t zu den Jungen].

,,Juan had the boys shave him (Juan).",,Juan lielS die Jungen ihn (Juan) rasieren."

Hier zeigt die Spur t die Position an, aus der se bewegt worden ist.Wie wir bereits beobachtet haben, ist derAusdruck (19a) ein akzep-

tabler Satz des Spanischen, (19b) aber nicht. Wir sind jetzt in der Lage,diese merkwürdige Tatsache zu erklären. In (f9) gibt es zweiAnaphern,zwei Elemente, die gebunden werden müssen: se und seine Spur l. Ge-mäß dem Prinzip der Anapherbindung (13) muß jedes dieser Elementein der minimalen Domäne eines Subjekts gebunden sein. Außerdemmuß die Spur I durch se gebunden sein, und se muß seinerseits voneiner Nominalphrase gebunden sein. In (l9a) ist das einzig vorhandene

Subjekt r/uan, also müssen sowohl se als auch seine Spur I in der Do-mäne von.iluan gebunden sein. Diese Bedingung wird erfüllt, indem se

durch Juan und / durch se gebunden ist. (Beachten wir, daß die Ana-pher / innerhalb der minimalen Domäne eines Subjekts gebunden ist,jedoch nicht von dem Subjekt selbst, genau wie im Fall des englischenBeispiels (f5a).) Daher erfüllt der Satz die Bedingungen der Bindungs-theorie und erhält die entsprechende Interpretation: Se wird aufgrundder Position seiner Spur I als das Objekt von afeitar verstanden, und

wird aufgrund der Position, die es selbst einnimmt, seinerseits vonJuangebunden.

Wenn wir nun (l9b) betrachten, sehen wir, daß se in der Domäne des

Subjekts Juan gebunden sein muß, und seine Spur / muß von ihremAntezedens se in der Domäne des Subjekts los muchachos gebunden

sein, ebenso wie se selbst in Satz (10): Juan hizo [afeitarse a losmuchachosl in dieser Domäne gebunden war. Es gibt kein Problem in

16 7l

Bezug auf se, das wie gefordert durch Juan gebunden ist, jedoch istseine Spur I nicht in der Domäne von /os muchachos gebunden.s Stattdessen ist / von se gebunden, das sich außerhalb der Domäne von losmuchachos befindet. Daher können die Berechnungsprinzipien desGeistes/Gehirns diesern Satz keine Interpretation zuweisen, und er istunverständlich.

Dasselbe gilt für entspechende englische Sätze, wie den hier wieder-holten Satz (14):

(14)

Juan made [the boy shave himselfl.Juan machte [den Jungen rasieren sich].,Juan ließ den Jungen sich rasieren."

Im Englischen ist die Anapher himself kein Klitik; sie bleibt an ihremursprünglichen Platz und es gibt keine Spur. Aber himself muß in derDomäne des Subjekts the boy gebunden sein, ebenso wie die Spur vonse innerhalb des eingebetteten Satzes der spanischen Entsprechung zu(14) gebunden sein muß. So ist in (14) himself von the äoy gebunden,nicht von Juan. Aber die Spur / in (19b) kann nicht von dem Subjektdes eingebetteten Satzes los muchachos gebunden sein, weil sie vondem Klitik se gebunden werden muß. Daher erhält der spanische Satzvon den Berechnungsprinzipien des Geistes/Gehirns keine Interpretati-on. Der fragliche Gedanke kann im Spanischen nicht auf die Weise aus-gedrückt werden, daß das Klitik sich zum Verb hizo des Hauptsatzesbewegt.

Hier sehen wir direkte Belege dafür, daß die Spur t, obwohl sie nichtausgesprochen wird, in der mentalen Repräsentation des Satzes tatsäch-lich vorhanden ist. Sie wird vom Geist ,,gesehen," während der Geistdie Struktur des Satzes berechnet, und muß daher das BindungsprinzipfürAnaphern erfüllen, aber sie wird von den Sprechmechanismen nichtausgesprochen, weil sie keine phonetischen Merkmale enthält. Die Spurist nur eine von einer Reihe von leeren Kategorien, die die Eigenschafthaben, daß sie in mentalen Repräsentationen erscheinen, aber nicht aus-gesprochen werden; sie sind sichtbar für die Mechanismen des Geistes,aber senden keine Signale an die Sprechmechanismen.

Wie wir schon im ersten Kapitel beobachtet haben, wird der Aus-druckJuan se hizo afeitar, obwohl für sich genommen ein korrekterSatz, unverständlich, wenn wir - mit dem Resultat (l9b') - a losmuchachos an sein Ende anfügen oder wenn wir a quiön an den An-

fang stellen, was zusammen mit der obligatorischen Veränderung derWortstellung (20) ergiht:

(2Ol

A qui6n se hizo Juan afeitar?To whom self-made Juan shave?

Zu wem sich-machte Juan rasieren?

,,Whom did Juan have shave him (Juan)?" 6

,,Wen lielS Juan ihn (Juan) rasieren?"

Die alternative Form dagegon, bei der se wie in (21) an dasYerb afeitarangefügt wird, wird durch den Zusatz von a los muchachos wie in (10)oder von a qui6n wie hier in (21) nicht berührt:

(2r)A qui6n hizo Juan afeitarse?To whom made Juan shave-selflZu wem machte Juan rasieren-sich?

,,Whom did Juan have shave himself? "

,,Wen lielJ Juan (sich selbst) rasieren?"

Den Fall, in dem a los muchachos hinzugefügt wird, haben wir ja schon

behandelt. Sehen wir uns nun die Hinzufügung der Phrase a qui6n zu

Juan hizo afeitarse an.

In (2f) wird se nicht durch das physisch nächststehende SubjektJuangebunden, sondern durch das weiter entfernt stehende Element a qui6n,das als das Subjekt vonafeitar verstanden wird. Dementsprechend istauch in der englischen Übersetzung ,,Whom did Juan have shave

himselfl" die Anapher himself nicht durch das physisch nächststeben-

de Subjekt Juan gebunden, sondern durch das weiter entfernte Ele-menrwhom, das als das Subjekt von shave verstanden wird; wir fragennach der ldentität der Person, die sich selbst rasierte, und es besteht

keine Beziehung zwischen himseff und Juan. Wir haben für den Fall(19b) mit Hilfe der Prinzipien der Bindungstheorie eine Erklärung ge-

geben. Wie steht es mit (20) und (21)?

Hier sind zwei Probleme zu lösen. Wir müssen erklären, warum in(21) die Anapher se durch das weiter entfernte Subjekt gebunden wird,und nicht durch das physisch nächste, und wir müssen erklären, wes-halb (20) überhaupt keine Interpretation erhält.

Beginnen wir mit (21). Die Bindungsprinzipien sagen uns, daß se in

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der minimalen Domäne eines Subjekts gebunden sein muf3. Die Tatsa-chen sagen uns, daß se nicht von Juan, sondern von quiön gebundenwird. Es gibt nur eine Möglichkeit, wie die Prinzipten und die Tatsa-chen miteinander vereinbar sein können: Afeitar muß ein zu a quiön inBeziehung stehendes Subjekt haben, das eine Domäne schaffl, in der segebunden ist. Das heißt, die mentale Repräsentation muß (22) sein, wobei/ die Spur von a qui6n istJ

(22)A qui6n hizo Juan [afeitarse t]?To whom made Juan [shave-self t]?Zu wem machte Juan [rasieren-sich t]?,,Whom did Juan have shave himself?",,Wen lielS Juan sich rasieren?"

Hier nimmt die Spur / dieselbe Position ein wie a los muchachos imhier wiederholten Sarz (10):

(l0)Juan hizo [afeitarse a los muchachos].

Das heißt, die Spur / ist in (22) das Subjekt des in Klammern stehendeneingebetteten Satzes, genau wie a los muchacftas das Subjekt des inKlammern stehenden eingebetteten Satzes in (10) ist. Ebenso wie se in(10) innerhalb der Domäne von los muchachos gebunden sein muß,muß es in (22) innerhalb der Domäne von I gebunden sein.8

Diese Schlußfolgerung ist völlig einsichtigt. Die Sätze (22) und (10)werden tatsächlich auf ganz parallele Art verstanden, nur daß wir in(22) nach der Identi tät des S ubjekts v on afeitar fragen, während i n ( I 0)das Subjekt als los muchachos identifiziert wird. ln (22) wird die SpurI in der Art einer Variablen in der Logik oder der Mathematik (der ele-mentaren Algebra zum Beispiel) verstanden. In diesem Satz fragen wir,wer die Person x mit der folgenden Eigenschaft ist: Juan veranlaßte,daß r jemanden rasiert - und zwar jemanden, der an anderer Stelle imSatz identifiziert ist, weil sich in der Position des Objekts von afeitar,,,rasieren", eine Anapher, nämlich se, befindet un<J diese Anapher ge-bunden sein muß. Diese Interpretation des Satzes ist durch die Reprä-sentation (22) unmittelbar gegeben.

Mittels dieser ganz natürlichen Repräsentation (22) können wir dieüberraschende Tatsache erklären, daß se durch das entfernte Element

quiön staLt durch das näher liegende Element Juan gebunden zu seinscheint. Tatsächlich wird se nicht durch quiln gebunden, sondern durchdessen Spur /, die Variable, die selbst durch qui6n gebunden ist. Undweil diese Spur das Subjekt von afeitar ist, schafft sie eine Domäne, inder se gebunden sein muß. Somit kann se dessen physischer Nähe zumTrotz nicht durchJuan gebunden sein.

Dasselbe gilt für das entsprechende englische Beispiel aus (22), dashier noch einmal wiederholt wird:

(22)Whom did Juan have shave himself?Wen ließ Juan sich rasieren?

Die mentale Repräsentation ist dabei, wie im spanischen Fall, (23), wobei/ die Spur von whom ist:

(23)Whom did Juan have I shave himselfl?Wen ließ Juan [/ sich rasieren]?

Hier ist l, die Spur von whom, das Subjekt des durch Klammern mar-kierten Satzkomplements. Die Anapher himself muß innerhalb derDomäne dieses Subjekts und daher innerhalb der Klammern gebunden

sein. Die Anapher hat darum die Spur I zum Antezedens und nicht,/zan,obwohf Juan in der physischen Form des Satzes das nächststehendepotentielle Antezedens ist. Dementsprechend ist die Bedeutung desSatzes folgende:

(ulWho is the person r with the following property: Juan had x shavex.Wer ist die Person x mit der folgenden Eigenschaft: Juan ließ r x rasie-ren.

Wäre die Anapher himself durch das physisch nächste potentielleAntezedens Juan gebunden, hätte der Satz die Bedeutung (25):

(25\

Who is the person r with the following property: Juan had r shaveJuan.

80 8l

Wer ist die Person r mit der folgenden Eigenschafi: Juan ließ x Juanrasieren.

Das ist eine zulässige Bedeutung, aber sie wird nicht von Satz (22) zumAusdruck gebracht, sondern muß durch Satz (26a) mit der mentalenRepräsentation (26b) ausgedrückt werden, wobei / die Spur von w/rorzist:

(26)a. Whom did Juan shave him?

Wen ließ Juan ihn (Juan) rasieren?

b. Whom did Juan have [t shave him]?Wen ließ Juan [t ihn rasieren]?

Hier ist das Pronomen ftim innerhalb des eingeklammerten Satzes, d.h.der Domäne des Subjekts t, frei, wie es vom Bindungsprinzip (16) ge-fordert wird. Es kann daher vonJuan gebunden werden, das sich unge-achtet der Nähe von Juan zu him in der physischen Form (26a) in derabstrakten Repräsentation (26b) in einer ausreichenden,,Entfernung"von ihm befindet.

Sehen wir uns nun die Eigenschaften kausativer Reflexiva an unduntersuchen wir Schritt für Schritt, wie sie konstruiert werden. Die ab-strakten Strukturen, die (22) wie (10) zugrundeliegen, sind beide vonder Form (27), wobei die NP in (10) los muchachos und in (22) quiönist:

(27)

Juan hizo [s NP [vp afeitar se]1.

Die Berechnungsprinzipien des Geistes führen nun eine Reihe vonOperationen durch, aus denen der tatsächliche Satz resultiert. Zuerstwird entsprechend der allgemeinen Regel frir Kausative, durch die, wiewir gesehen haben, in einigen Sprachen und in einem gewissen Sinnauch im Spanischen tatsächlich eine Art komplexes Verb gebildet wird,dieYP afeitar an den Anfang des Satzes bewegt. Als nächstes wird ausGründen, die bis jetzt noch nicht erklärt wurden, die Präposition c hin-zugefügt. Wir haben nun die Repräsentation (28), in der a-Np einfachals eine erweiterte NP betrachtet werden kann:

(28)

Juan hizo [s [vn afeitar se] a-NPl.

Als nächstes heftet sich das Klitik se an das Verb, entweder an afeitar,wasafeitarse ergibt, oder an hizo, mit dem Ergebnis se ftizo. Wir habendaher zwei Fälle zu betrachten.

Nehmen wir zuerst den Fall, in dem das Klitik sich anafeitar heftet,um afeitarse zu bilden. Das Bindungsprinzip fiir Anaphern verlangt,daß se in (28) eine NP als Antezedens hat. Wenn die NP los muchachosist, haben wir Satz (10). Wenn dieNP quiön ist, sind zwei weitere men-tale Operationen erforderlich. Zuerst bewegt sicha-qui6n an den Satz-anfang und hinterläßt eine Spur, die das reale Antezedens von se ist,und dann rückthizo, angezogen von dem Fragewort quiön, anden Be-ginn des Satzes, was (21), A qui6n hizo Juan afeitarse? mit der ent-sprechenden Interpretation ergibt.

Das erklärt die Eigenschaften von (2f). Wie steht es mit (20), dashier noch einmal wiederholt wird?

(20)

A qui6n se hizo Juan afeitar?

Die zugrundeliegende Strukur ist wieder (27), und wir bilden zunächst(28), wie zuvor. Aber nun wählen wir die zweite Option für das Klitikse und heften es, unter Zurücklassung der Spur 1.., an hizo an:.

(2e\

Juan se hizo [afeitar /,. a-NP].

Wenn die NP los muchacftos ist, haben wir den Satz (l9b), und wie wirgesehen haben, verletzt dies die Prinzipien der Bindungstheorie, weildie Spur d, von ihrem Antezedens se nicht in der Domäne der Subjekt-NP(=/os muchachos) gebunden ist. Wenn dieNPqui6n ist, bewegtsiesich unter Hinterlassung ihrer Spur tquirn an den Satzanfang, was dieübliche Veränderung in der Wortstellung hervorruft und

(30)

A qui6n se hizo Juan [afeitar tutq"hf?

ergibt. Weil die beiden Spuren leere Kategorien sind, die keine Signale

82 83

an die Sprechmechanismen senden, ist das, was tatsächlich ausgespro-chen wird, der Ausdruck (20). Aber der Geist sieht Satz (30) und mußihn in Übereinstimmung mit den Prinzipien der Bindungstheorie inter-pretieren. Die Anapher se stellt kein Problem dar: Sie wird von Juangebunden. Aber die Spur 1., ist nicht in der Domäne des Subjekts /0,,2"

gebunden, also erhält der Satz wie gefordert keine Interpretation.Erfüllt die Spur l*;,n die Prinzipien der Bindungstheorie? Man könn-

te argumentieren, daß dies der Fall ist, weil die minimale, diese Spurenthaltende Domäne eines Subjekts der ganze Satz ist. Aber die richti-ge Antwort ist, daß diese Spur keine Anapher ist, und daher demBindungsprinzip fiir Anaphern nicht unterliegt. Die Spur 1,. wird durchden referentiellen Ausdruck se gebunden, eine Anapher, deren Bezugdurch ihr Antezedens Juan hergestellt wird. Aber die Spur tqu,zo ist eineVariable, die nicht durch einen referentiellen Ausdruck gebunden wird,sondern durch qui6n, bei dem es sich nicht um einen referentiellenAusdruck handelt, sondern um ein Element derselben logischen Kate-gorie wie todos (,,alle") oder algunos (,,einige"). In den Sätzen (31)zum Beispiel sind die NPs lodos und todos los muchachos keinereferentiel I en Ausdrüc ke :

(31)

a. Todos estän en Espaffa.

,,AIl are in Spain.",,Alle sind in Spanien."

b. Todos los muchachos estSn en Espafia.,,All the boys are in Spain.",,Alle Jungen sind in Spanien."

Die Bedeutung dieserAusdrücke wird stattdessen genauer ausgedrücktdurch die Annahme, daß die logische Struktur die Form (32) hat, wo xeine Variable ist und todos und todos los muchachos Ausdrücke sind,die näher festlegen, wie weit der Bereich abgesteckt ist, in dem dieVariable interpretiert werden kann:

(32)a. Todos x, r estän en Espaffa.

All r, r are in Spain.Alle r, r sind in Spanien.

b. Todos los muchachos.rr.r estän en Espaffa.All the boys r, x are in Spain.Alle Jungen r, x sind in Spanien.

In (32a) hat x als Bereich alle Dinge (wobei die Redesituation anzeigt,wie weit dieser Bereich aufgefaßt werden muß), und in (32b) hatr alleJungen als Bereich. Satz (32b) behauptet also, daß, wenn wir irgendei-nen Jungen auswählen, dieser Junge in Spanien ist.

In ähnlicher Weise ist die logische Struktur der Sätze (33) im we-sentlichen so, wie sie in (34) wiedergegeben ist:

(33)

a. Quidnes estän en Espaffa?,,Who are in Spain?",,Welche Leute sind in Spanien?"

b. Cuäles muchachos estän en Espafra?",,Which boys are in Spain? "

,,Welche Jungen sind in Spanien? "

(34)

a. Cuäles r, r estän en Espafta?Which r, r are in Spain?Welche x, r sind in Spanien?

b. Cur{les muchachos x,.r estän en Espaffa?Which boys r, r are in Spain?Welche Jungen.r, x sind in Spanien?

In (34a) hatx als Bereich wieder alle Dinge (wie sie durch die Gesprächs-

situation festgelegt werden); wir fragen danach, welche von diesen Din-gen sich in Spanien befinden. Und in (3b) hat r alle Jungen als Be-reich. Satz (33b) fragt, für welche Jungen gilt, daß sie in Spanien sind.In diesen Fällen ist der referentielle Ausdruck nicht quiönes oder cudlesmuchachos, sondern die Variable r, die als Platzhalter für einen echten

referentiellen Ausdruck fungiert; zum Beispiel ist der AusdruckJuan !Pedro (,Juan und Pedro"), der die Position von.r in (34) ausfüllen könn-te, eine möglicheAntwort auf die Fragen (33). Die tatsächliche mentaleRepräsentation von (33) nach der Bewegung der Frageausdrücke an

den Satzanfang unter Hinterlassung der SpurI wäre folgende:

84 85

(3s)a. Quidnes [/ estän en Espaffa]?

Who [t are in Spain]?Wer [t sind in Spanien]?

b. Cuäles muchachos [l estr{n en Espafla]?Which boys [/ are in Spain]?Welche Jungen [/ sind in Spanien]?

In (33) sehen wir keine physische Evidenz für Bewegung, weil derFrageausdruck sich aus der Subjektposition bewegt hat, die sich in die-sen Fällen ohnehin am Satzanfang befindet. Wenn der Frageausdruckursprünglich eine andere Position einnahm, wie in (22), (30) oder (36),

haben wir sichtbare Evidenz für Bewegung:

(36)

a. Qui6nes crees que [l estän en Espaffa]?Who you-think that [t are in Spain]?Wer du-glaubst daß [t sind in Spanien]?

,,Who do you think are in Spain? ",,Welche Leute, glaubst du, sind in Spanien?"

b. Cuäles muchachos cnees que 0 estr{n in Espafral?Which boys you-think that [t are in Spain]?Welche Jungen du-denkst daß [r sind in Spanien]?

,,Which boys do you think are in Spain?"

,,Welche Jungen, glaubst du, sind in Spanien?"

Es gibt jedoch starke Beweise dafür, daß eine Bewegung an den An-fang unter Zurücklassung einer Spur in allen Fällen stattfindet, selbst

wenn die Bewegung ,,unsichtbar" ist. In allen Fällen fungiert die Spur Ials eine Variable in der Art der logischen Repräsentation (34), die prak-

tisch identisch ist mit der syntaktischen Repräsentation (35). Es gibt,nebenbei bemerkt, gute Belege dafür, daß etwas ähnliches auch für dieAusdrücke (32), mit /odos anstelle eines Frageworts, gilt, aber ich ver-folge das hier nicht weiter.

Mit anderen Worten, Formen wie quiön sind keine referentiellenAusdrücke, sondern Operatoren, die Variablen binden, die wiederum

als referentielle Ausdrücke fungieren. Für die Zwecke der Bindungs-theorie wird die als Variable fungierende Spur eines Operators wie quiön

daher als referentieller Ausdruck betrachtet und nicht als Anapher. Es

ist die Variable /, die zurückgelassen wurde, als quiön oder cudles

muchachos sich in die Position vor dem Satz bewegte, die die vom

Verb zugewiesene semantische Rolle übernimmt. Im Gegensatz dazu

überträgt die Spur des Klitiks se die fragliche semantische Rolle an ihrAntezedens, den referentiellen Ausdruck, der die Spur bindet (und des-

sen Referenz, im Fall derAnapherse, wiederum von seinemAntezedens

festgelegt wird).All dies ist von einem logischen Standpunkt her sehr einsichtig, und

es ist eine bemerkenswerte Tatsache, daß eine natürliche logische Struk-

tur direkt in den mentalen Repräsentationen auftaucht, die den tatsäch-

lich realisierten Ausdrücken der Sprache zugrundeliegen. Auch dies ist

wiederum keine logische Notwendigkeit. Man kann mit LeichtigkeitSprachen konstruieren, die sich ganz anders verhalten, aber die Funk-

tionen, denen die menschliche Sprache dient, nicht weniger befriedi-gend erfüllen würden; das wiüen dann allerdings keine menschlichen

Sprachen. Der menschliche Geist arbeitet auf seine eigene spezifischeWeise, wobei er mentale Repräsentationen konstruiert, die ziemlich di-rekt die Strukturen gewisser logischer Systeme widerspiegeln. Wir se-

hen Belege für diese Schlußfolgerung in der eben illustrierten Art, inder die Bindungsprinzipien arbeiten.

Wir haben jetzt Belege für das Vorhandensein von zwei Spuren in

der mentalen Repräsentation: der Spur von se und der Spur vona quiön.

Die Spur von a quiön etabliert eine Domäne, innerhalb derer die Spurvon se gebunden sein muß. Wenn die Spur von se, wie in a quiön se

hizo Juan afeitar?, nicht innerhalb dieser Domäne gebunden ist, dann

erhält der Satz keine Interpretation.Die soeben besprochenen Berechnungen und die Repräsentationen,

die durch diese Berechnungen gebildet und modifiziert werden, kön-

nen denselben Anspruch auf Realität erheben wie andere Konstrukte

der Wissenschaft: chemische Elemente, Valenz, Moleküle, Atome und

so weiter. Sie stellen Teil der Erklärung merkwürdiger und komplexerPhänomene dar, und wir können auf die Entdeckung physischer Me-chanismen gespannt sein, die die in dieser Untersuchung des

Funktionierens des menschlichen Geistes/Gehirns ans Licht gebrach-

ten Eigenschaften besitzen.Die Existenz leerer Kategorien ist besonders interessant. Ein Kind,

das eine Sprache lernt, hat keine direkte Evidenz für sie, weil sie janicht ausgesprochen werden. Aber es scheint, daß das Sprachvermögendes Kindes eine sehr präzise Kenntnis ihrer Eigenschaften miteinschließt.

86 81

Der Geist des Kindes lokalisiert diese leeren Kategorien unter Verwen-dung des Projektionsprinzips an der richtigen Stelle und bestimmt dannihre Eigenschaften, indem er verschiedene Prinzipien der Universal-grammatik anwendet. Die hieran beteiligten Berechnungen können rechtverwickelter Natur sein, wie schon die einfachen Beispiele, die wir dis-kutiert haben, veranschaulichen. Aber da sie auf den Prinzipien derUniversalgrammatik basieren, die Teil der vorgegebenen Struktur desGeistes/Gehirns sind, ist die Annahme berechtigt, daß sie praktisch ohneZeitaufwand, und natürlich außerhalb der bewußten Wahrnehmung so-wie jenseits der Ebene möglicher Introspektion vor sich gehen. In die-ser Hinsicht sind diese Berechnungen den komplexen Berechnungendes Geistes/Gehirns ähnlich, die mich darüber in Kenntnis setzen, daßich jetzt eine Gruppe von Leuten sehe, die in einem Vorlesungssaalsitzen, obwohl die tatsächliche visuelle Information, die meine Augeneneicht, beschränkt und chaotisch ist. ,,Das Buch der Natur ist nur fürein intellektuelles Auge lesbar", wie der britische Philosoph des sieb-zehnten Jahrhunderts Ralph Cudworth t'eststellte.

Die Kenntnis der Eigenschaften leerer Kategorien ist Teil des Rüst-zeugs, das der menschliche Geist für die Aufgabe des Spracherwerbsmitbringt. Die Elemente dieses Gerüsts werden nicht gelernt und könn-ten vom dem Kind auch in der zur Verfügung stehenden Zeit und an-hand der verfügbaren Daten nicht gelernt werden - es ist für den Wis-senschaftler, der die Sprache erforscht, gar keine so einfache Sache,herauszufinden, daß diese Elemente existieren und dann ihre Eigen-schaften zu bestimmen, und diese Aufgabe erfordert einen weitgespann-ten Bereich an Daten und Belegen, einen Bereich, der dem Kind nichtzur Verfügung steht: Daten aus einer Anzahl verschiedener Sprachenund Belegmaterial, das durch fortgesetzte, von komplexen theoretischenKonstruktionen geleitete empirische Untersuchung erworben wird. DasWissen, das im menschlichen Sprachvermögen von vornherein einge-baut ist, geht auf sehr subtile Art in die Weise ein, wie wir Sätze inter-pretieren, wie schon diese wenigen einfachen Beispiele gezeigr haben.

Die Entdeckung leerer Kategorien, der sie beherrschenden Prinzipi-en und der Prinzipien, die die Natur mentaler Repräsentationen undBerechnungen insgesamt bestimmen, kann mit der Entdeckung vonWellen, Partikeln, Genen, Valenz und so weiter sowie der für diese gel-tenden Prinzipien in den Naturwissenschaften verglichen werden. Das-selbe gilt für die Prinzipien der Phrasenstruktur, die Bindungstheorieund andere Teilsysteme der Universalgrammatik. Wir beginnen jetzt, indie verborgene Natur des Geistes Einblick zu erhalten und zu verste-

hen, wie er arbeitet, und das zum erstenmal in der Geschichte, obwohldiese Fragen seit buchstäblich Tausenden von Jahren und in oft intensi-ver und produktiver Weise studiert worden sind. Es ist mOglich, daß wiruns in der Untersuchung des Geistes/Gehirns einer Situation nähern,

die derjenigen in den Naturwissenschaften im siebzehnten Jahrhundertvergleichbar ist, als die große wisscnschaftliche Revolution stattfand,die den Grundstein frir die außerordentlichen Emrngenschaften der nach-

folgenden Jahre legte und einen Großteil des Verlaufs der Zivilisationseither bestimmt hat.

Anmerkungen

I ln einigen Sprachen sind Sätze wie (4b) völlig akzeptabel, in anderen dagegen weni-ger. Englische Dialekte verhalten sich in dieser Hinsicht unterschiedlich. Wie es scheint,werden derartige Sätze im Spanischen und ltalienischen normalerweise eher akzep-

tiert als in vielen englischen oder französischen Dialekten. Hier liegt anscheinend ein(weniger bedeutender) Variationsparameter vor, der in einigen jüngeren Arb€iten stu-

diert worden ist. Es gibt diesbezüglich weitere Fragen, denen wir nicht nachgehenwerden und die mit semantischen Eigenschaften des Verbs des Hauptsatzes zu tunhaben.

2 Erinnem wir uns daran, daß das spanische se neutral in Bezug auf Numerus und Ge-nus ist; es kann, je nach den strukturellen Bedingungen, entweder Juan oder losmuchachos zum Antezedens haben.

3 Um die Darstellung zu vereinfachen, sehen wir hier von der durch die Bewegung von

se zurückgelassenen Spur ab, die im vorliegenden Fall keine Probleme aufwirft.4 Um die Darstellung zu vereinfachen, abstrahiere ich jetzt von den Dialektvarianten

und gehe von einer,,idealisie(en" Sprache aus, in der beide Formen akzeptabel sind.

5 Wir lassen weiterhin den Status von a beiseite, das aus anderen Gründen eingesetzt

wird und diese Berechnungen nicht berührt.6 Im Umgangsenglischen ,,Who did Juan have shave him?" Zwecks größerer Klarheit

der Darstellung verwende ich in diesen Beispielen die Forln wäom anstelle der ge-

bräuchlicheren Fornwho. Auf die Frage, warum das Subjekt hierden Kasus (Akku-sativ) hat, den normalerweise das Objekt trägt, kommen wir noch zurück.

7 Wir lassen auch hier die Spur von se weg, um die Darstellung zu vereinfachen.

8 In beiden Fällen wird die Präposition a eingefügt, dies jedoch in einer Weise, diediese Berechnunsen nicht beeinfl ußt.

88 89

NPrinzipien der Sprachstruktur II

Im letzten Kapitel sprach ich darüber, wie der Geist die Struktur vonSätzen bestimmt, die von sehr einfachen Beispielen, wie El hombrequiere elagua bis zu etwas komplexeren Fällen, wieAqui6n hizo Juanafeitarse? und A qui6n se hizo Juan afeitar? reichen. Im letzten Fallverwickelt sich die mentale Verarbeitung in einen Widerspruch und brichtzusammen. Man erinnere sich, daß diese Berechnungen ohne irgend-welche Verwendung von Regeln für die einzelnen Sprachen oder frirbesondere Konstruktionen durchgefrihrt werden. Stattdessen macht derGeist von allgemeinen Prinzipien derUniversalgrammatik und bestimm-ten Werten für die Parameter sowie natürlich den Bedeutungen der ein-zelnen Wörter Gebrauch. Diese Ressourcen sollten ausreichen, um dieForm und die Bedeutung eines jeden Satzes zu bestimmen.

Die Berechnung findet in Beispielen wie den diskutierten so gut wieohne Zeitaufwand statt, und sie ist unbewußt und dem Bewußtsein oderder Introspektion unzugänglich. In komplexeren Fällen dagegen scheintetwas anderes vor sich zu gehen, von dem wir noch kaum etwas verste-hen. Es ist leicht, Beispiele zu konstruieren, die eine echte Herausfor-derung für den Sprecher einer Sprache darstellen, der zunächst viel-leicht keine klare Vorstellung darüber hat, wie sie interpretiert werdensollten oder sie unter Umständen lälsch, das heißr, nicht in überein-stimmung mit der durch die Kenntnis des Sprechers festgelegten Struk-tur interpretiert. Man beachte, daß kein Widerspruch besteht, wenn wirsagen, daß der Geist/das Gehirn eine lnterpretation zuweist, die von derdurch das Sprachvermögen festgelegten Struktur abweicht, oder über-haupt keine der durch das Sprachvermögen festgelegten Strukturen zu-weist. Am real stattfindenden Gebrauch von Sprache sind Elemente desGeistes/Gehirns beteiligt, die über das Sprachvermögen hinausgehen,und daher muß das, was der Sprecher wahrnimmt oder äußert, die alssolche genommenen Eigenschaften des Sprachvermögens nicht exaktwiderspiegeln.

In Fällen wie diesen, wo die Sprecher einer Sprache keine klare Vor-stellung davon haben, was eine Außerung bedeutet oderjemand ihnensagt, daß ihre Interpretation nicht die richtige ist, werden die Sprecher,,über die Außerung nachdenken" (was immer das heißt), uncl nach ei-ner kurzen Znit der Reflexion kommt ihnen dann eine Schlußfolgerung

über die Bedeutung der Außerung in den Sinn. Auch dies spielt sich

alles wieder weit jenseits bewußter Wahrnehmung ab, und wir wissen

gar nichts darüber, was der GeisUdas Gehirn während dieses Prozesses

tut, obwohl wir dessen Resultate beobachten können.Sehen wir uns nun die wichtigsten Punkte, die wir bisher diskutiert

haben, näher an, indem wir zu Beispielen übergehen, die ein wenigverwickelter sind. Betrachten wir den Satz

(1)

[El hombre al que Maria nos quiere ver examinar] esLi esperando.

[The man to whom Maria us-wants see examine] is waiting.

[Der Mann zu dem Maria uns-will sehen untersuchen] wartet.

,,The man whom Maria wants to see us examine is waiting.",,Der Mann, den Maria uns untersuchen sehen will, wartet."

Untersuchen wir nun den Ausdruck in Klammern, d.h. das Subjekt des

Satzes, und fragen wir, wie er interpretiert wird, und warum auf diese

Weise. Wir können die Frage angehen, indem wir den Prozeß, durchden dieser Satz vom Geist/Gehirn interpretiert wird, geistig nachvoll-ziehen und dabei die bisjetzt diskutierten Prinzipien als gültig voraus-setzen.

Die erste Aufgabe besteht darin, die Wörter zu identifizieren und sie

ihren Kategorien zuzuordnen, wobei wir Gebrauch vom Lexikon ma-

chen - einer der Komponenten der Sprache, die die Person auf die inden vorhergehenden Kapiteln kurz diskutierte Weise erworben hat. Nach-dem er die Wörter identifiziert hat, verwendet der Geist die Prinzipiender Phrasenstruktur, deren Parameter für das Spanische fixiert sind, um

die allgemeine Struktur der Außerung zu bestimmen. Bei vorläufigerBetrachtung lediglich des NP-Subjekts wäre die Struktur zum Teil wiefolgt, wobei die Klammern ein Element markieren, das als Satz anzuse-

hen ist und das wir zu seiner Identifizierung mit dem Subskipt S, kenn-zeichnen:

(2)

El hombre al que [s, Maria nos quiere ver examinar].

Werfen wir nun einen genaueren Blick auf S,.Das Wort4udere (,,will") ist ein Verb, das ein Satzkomplement nimmt,

welches auf das Verb folgt, da der Kopfparameter den Wert Kopf-zu-erst hat. Daher wissen wir, daß ver examinar ein Satz S. ist. Darüber

90 9t

hinaus ist rer (,,sehen") ein Verb, das ein Satzkomplement hat, welchesihm aufgrund des Wertes des Kopfparameters folgt; nennen wir es SatzS' der die physische Form examincr (,,untersuchen") hat. Die Prinzi-pien der Phrasenstruktur weisen daher S, die vorläufige Struktur (3) zu:

(3)

[s, Maria nos quiere [s, ver [s, examinar]]].

Das Verb erc minar verlangt ein Objekt, und dem Projektionsprinzipzufolge muß dieses Objekt in der mentalen Repräsentation erscheinen.Da es physisch nicht vorhanden ist, muß es als leere Kategorie erschei-nen. Eine Möglichkeit besteht darin, daß diese leere Kategorie letztlichein Pronomen ist, eine leere Kategorie, die sich auf eine nicht spezifi-zierte Person bezieht. Lassen wir diese Möglichkeit für den Augenblickbeiseite. Die andere Möglichkeit ist, daß diese leere Kategorie die Spureines Elements ist, das an anderer Stelle erscheint; nennen wir sie /r.Das Subjekt des Satzes S. ist ebenfalls physisch nicht vorhanden. Esfehlt demzufolge entweder ganz, oder es ist als leere Kategorie anwe-send. Wenn wir letztere Option annehmen, besteht eine der Möglich-keiten darin, daß die leere Kategorie ebenfalls eine Spur ist; nennen wirsie fr. Unter dieser weiteren Annahme weist der Geist daher (2) dieerweiterte Struktur (4) zu:

(4)

El hombre al que [s, Maria nos quiere [s, ver [s, [vr examinar t )trl]1.

Zwar behandle ich die Frage an dieser Stelle nicht weiter, aber dieSubjektspur t, folgt, wie (4) zeigt, innerhalb von S, der VP, weil dasVerb yer insofern dem Verb hacer ähnlich ist, als es in der bereits dis-kutierten Weise die Bewegung der VP an den Satzanfang auslöst.

Die Struktur (4) enthält also zwei Spuren, von denen jede einAntezedens erfordert. Sie enthält außerdem zwei Ausdrücke, die eineSpur binden müssen, damit die Konstruktion eine Interpretation erhält:das von seinem Platz weggerückte Klitik zos und den Ausdruck a/ que(mit der wie üblich beigefügten Präposition a), einen Ausdruck, derähnlich wie der ihm entsprechende Frageausdruck eine Variable bindenmuß.

Eine der Spuren muß von zos gebunden sein und die andere von clque. Ausdrücke wie quantifizierende Phrasen oder al 4re, das einenRelativsatz einleitet, haben wir Operatoren genannt. Operatoren sind

keine referentiellen Ausdrücke, sondern binden Variablen, die als diereferentiellen Ausdrücke fungieren sowie die innerhalb des Satzes zu-gewiesenen semantischen Rollen erhalten. Der Operator mag manch-mal physisch nicht anwesend sein, aber wir haben gute Gründe zu derAnnahme, daß, wann immer eine Variable vorhanden ist, es auch einenOperator gibt, entweder in ,,overter", d.h. lautlich realisierter Form wiein (4) oder als leere Kategorie, eine Möglichkeit, die ich hier nicht wei-ter untersuche.

Wir können nun nebenbei die Möglichkeit ausscheiden, daß das Sub-jekt von S, überhaupt fehlt oder daß wir anstelle von /, ein leeres Prono-men haben, denn wenn dem so wäre, hätte entweder zos oder al quenicht wie erforderlich eine Spur, und der Satz würde keine Interpretati-on erhalten. Die Möglichkeit eines leeren Pronomens anstelle von ,rwäre allerdings in einem Satz wie (5) realisiert, in dem nos aus derPosition des Subjekts von examinar bewegt wird und das Objekt vonexqminar eine pronominale leere Kategorie ist, wobei die Interpreta-tion ungefähr lautet, daß erlsie uns dabei sehen will, wie wir irgendjemanden untersuchen:

(51

Quiere vernos examinar.He/she-wants see-us examine.Erlsie-will sehen-uns untersuchen.

'He/she wants to see us examine someone."

,,Er/sie will uns jemanden untersuchen sehen."

Die Option ist in (5) gestattet, aber nicht in (2), weil (2) zweiAusdrük-ke enthält, die eine Spur binden müssen. Diese Option steht im Engli-schen, das,,leere Pronomina" nicht in der im Spanischen erlaubten Weisegestattel, nicht zur Verfügung.

Wenn wir nun zur Analyse von (2) zurückkehren, müssen wir fra-gen, wie die Spuren gebunden werden. Nehmen wir einmal an, daß /,von nos gebunden wird und daß /, die vom Operator al que gebundeneVariable ist. Die vom Geist erstellte Analyse wäre dann (6), worin /o""

die Spur von nos und tou" die Spur von al que isl'.

(6)El hombre al que [s, Maria nos quiere [s, ver [s, [VP examinar l,o,lto,,ll)'

92 93

Diese Analyse ist jedoch unmöglich, weil sie das Bindungsprinzip fürAnaphern verletzt: /no, ist eine Anapher, aber es ist von seinemAntezedens nicht innerhalb der minimalen Domäne eines Subjekts -hier also 53, der Domäne des Subjekts lon, - gebunden. Daher ist dieseInterpretation ausgeschlossen.

Die einzige andere Möglichkeit ist, daß /, von dem Operator al queund l, von nos gebunden ist, wie in

(7)El hombre al que [s, Maria nos quiere [s, ver [s, [vr examinar fo,"lt ,"lll'

Die Interpretation besagt, daß wir den Mann untersuchen, nicht daß derMann uns untersucht. Jetzt ist die Bindung Votr ln," legitim, weil keineDomäne eines Subjekts vorhanden ist, die fn," ein-, nos aber ausschließt.Und da too,eine - durch den Operator al que gebundene - Variable istund keineAnapher, unterliegt sie, wie wir ja schon festgestellt haben,auch nicht der Bindungsbedingung für Anaphern.

Die vom Geist konstruierte Analyse muß daher (7) sein, nachdemwir nun alle anderen Optionen ausgeschlossen haben.

Kurz, der hier noch einmal wiederholte Ausdruck (2) muß so ver-standen werden, daß nos als Subjekt von examinar betrachtet wird,nicht als sein Objekt, und daß die a-Phrase al que als Objekt vonexaminar gilt, nicht als sein Subjekt:

(2)El hombre al que [s, Maria nos quiere ver examinar].

Also muß (2) parallel zu (8a) verstanden werden und nicht zu (8b) (wo-bei /o für el hombre steht\:

(8)a. Maria quiere v6rnoslo examinar.

Maria wants to-see-us-him examine.Maria will sehen-uns-ihn untersuchen.

,,Maria wants to see us examine him.",,Maria will uns ihn untersuchen sehen."

b. Maria quiere verlo examinarnos.Maria wants to-sce-him examine-us.Maria will sehen-ihn untersuchen-uns.

,,Maria wants him to examine us."

,,Maria will ihn uns untersuchen sehen."

Die spezifische, (2) zugewiesene Interpretation wird durch eine Rei-he mentaler Berechnungen festgelegt, die vom Sprachvermögen inÜbereinstimmung mit seinen invarianten Prinzipien durchgeführt wer-den, wobei es von Informationen Gebrauch macht, die durch die Wahlder Parameter und die für das Spanische spezifischen lexikalischen Ei-genschaften (die wiederum ebenfalls innerhalb eines eng umschriebe-nen Rahmens ausgewählt werden), geliefert werden. Die an der Be-stirnmung der Bedeutung von (2) beteiligten Berechnungen sind schon

einigermaßen komplex. An mehreren Punkten der Berechnung stehtmehr als eine Option zur Verfügung, aber nur eine davon wird ausge-wählt, weil andere Optionen zur Verletzung allgemeiner Prinzipien derUniversalgrammatik führen. Der Weg zur korrekten Analyse erfordertauch ziemlich viele Schritte. Nichtsdestotrotz geht all dies praktischohne Zeitverlust und ganz offensichtlich ohne bewußte Wahrnehmungoder auch nur die Möglichkeit bewußter Wahrnehmung vor sich. DerGrund hierfür ist, daß die Berechnung von den von vornherein vorhan-denen Mechanismen des Geistes Gebrauch macht. die durch die Aus-wahl der für die jeweilige Sprache eigentümlichen Parameter und lexi-kalischen Einheiten mit ihren semantischen Eigenschaften in die Lageversetzt werden, auf eine spezifische Weise zu arbeiten.

Beispiele wie (l) liefern weitere Belege dafür, daß in der mentalenRepräsentation tatsächlich Spuren existieren, die vom Geist. gesehen,

aber von den Sprechmechanismen nicht ausgesprochen werden. Wirsehen außerdem ein weiteres Mal, daß die mentale Repräsentation derAußerung einerAnalyse entspricht, die von einem logischen Standpunkther sinnvoll ist. Unsere logischen Begriffe sind in unserer tiefsten Na-tur, in der Form selbst unserer Sprache und unseres Denkens verankert,was vermutlich der Grund dafür ist, daß wir einige Arten von logischenSystemen recht leicht verstehen können, während andere uns ohne be-

trächtliche Mühe und bewußteAnstrengung des Verstandes, wenn nichtüberhaupt unzugänglich sind.

Beispiele dieser Art gibt es im Englischen nicht, weil das Englischeklitische Pronomina und andere hier wesentliche Eigenschaften des

Spanischen nicht besitzt. Aber man kann die Auswirkungen des

94 95

Bindungsprinzips für Anaphern an englischen Konstruktionen sehen,die es wiederum im Spanischen nicht gibt. Betrachten wir zum Beispielenglische Sätze wie

(e)

a. John hurt himself.John verletzte sich.

b. Bill expected John to hurt himself.Bill erwartete John verletzen sich.

,,Bill erwartete von John, dalJ er sich verletzen würde."

c. I met the man who Bill expected to hurt himself.Ich traf den Mann den Bill erwartete verletzen sich.

,,lch traf den Mann, von dem Bill erwartete, da!3 er sich verletzenwürde."

(10)

a. John hurt him.John verletzte ihn.

b. Bill expected John to hurt him.Bill erwartete John verletzen ihn.,,Bill erwartete von John, daß er ihn verletzen würde. "

c. I met the man who Bill expected to hurt him.Ich traf den Mann den Bill erwartete verletzen ihn.,,lch traf den Mann, von dem Bill erwartete, dalJ er ihn verletzenwürde."

Wie wir geschen haben, verlangen die Bindungsprinzipien, dafJ die re-flexive Anapher himseltin der minimalen Domäne eines Subjekts ge-bunden ist und daß Pronomina in dieser Domäne frei sind. So ist in (9a)und (l0a) himself von John gebunden, während him nicht von Johngebunden ist; die Referenz des Pronomens muß an anderer Stelle derGesprächssituation festgelegt sein. Wenn wir uns (9b) und (10b) zu-wenden, sehen wir, daß himself notwendigerweise durch John gebun-den ist und daß him nicht durch John gebunden sein kann; es kann

entweder frei oder durch Bill gebunden sein. Ausgehend von der Tatsa-che, dalS die Phraseulohnto hurt himselflhim das Satzkomplement vonexpect und die Domäne des Subjekts John ist, folgen diese Resultateaus den Bindungsprinzipien.

Die interessanten Fälle sind die Beispiele (9c) und (lOc). Hier kannhimself nichtdurch das ,,nächste" Subjekt, nämlich BiJl gebunden wer-den, aber him kann, im Gegensatz zu dem, was man erwarten würde,von Bil/ gebunden werden. Das Problem löst sich, sobald wir erkennen,daß auch hier wieder eine leere Kategorie als Subjekt vonhurt vorhan-den ist, so daß die mentale Repräsentation, auf die die Bindungs-prinzipien angewendet werden, in Wirklichkeit (ll) ist:

(11)

I met the man who Bill expected [f to hurt himself/him].Ich traf den Mann, den Bill erwartete [t zu verletzen sich/ihn].,,lch traf den Mann, von dem Bill erwartete, datJ er sich/ihn verletzenwürde."

Hier ist I die Spur des Operators who; die Spur / ist eine Variable, das

Subjekt des eingebetteten Satzes, der in Klammern steht. Die Anapherhimself muß in der Domäne des Subjekts I gebunden, das Pronomenhim dagegen dort frei sein. Hieraus ergibt sich dann jeweils die Inter-pretation.

Diese Beispiele können jedoch nicht ins Spanische übersetzt wer-den, wo es die entsprechenden Konstruktionen nicht gibt, ebenso wiedie zuvor diskutierten Beispiele, an denen Klitika beteiligt waren, nichtins Englische übersetzt werden können, dem pronominale Klitika feh-Ien. Die beiden Sprachen sehen diesbezüglich sehr verschieden aus,

und Chinesisch, Japanisch, Ungarisch, die Indianersprachen, die Ein-geborenensprachen Afrikas und Australiens und weitere mehr weisennoch einmal ganz andere Unterschiede auf. Aber sie alle sind in ihrergrundlegenden Struktur im wesentlichen gleich; sie entsprechen denPrinzipien der Universalgrammatik, unterscheiden sich aber in der pho-netischen und syntaktischen (und, weniger häufig, semantischen) Formder lexikalischen Einheiten und in der Wahl der Parameter.

Wenden wir uns jetzt anderen Komponenten des Systems derUniversalgrammatik zu. Betrachten wir eine Sprachc wie Latein, dieein ziemlich reiches Kasussystem besitzt, im Gegensatz zu Spanischoder Englisch, in denen Kasus nur im Pronominalsystem und auch dortnur in rudimentärer Form erscheint. In einem dem spanischen Satz (12)

96 91

entsprechenden lateinischen Satz würde das Subjekt el hombre zumBeispiel im nominativen Kasus erscheinen, das Objekt un libro würd,e

den Akkusativ haben und das indirekte Objekt Ia mujer im Dativstehen:

(r2)El hombre di6 un libro a la mujer.,,The man gave a book to the woman.",,Der Mann gab der Frau ein Buch."

Wenn alle Sprachen in ihrer tiel'eren, wesentlichen Natur im großenund ganzen gleich sind, würden wir erwarten, daß Spanisch und Eng-lisch ebenfalls ein Kasussystem solch allgemeinerArt besitzen. Da dieKasusendungen nicht overt erscheinen, sollten sie so etwas wie denStatus von leeren Kategorien haben. Sie sollten für den Geist vorhan-den sein, aber nicht von der Stimme produziert oder vom Ohr gehörtwerden. Es gibt tatsächlich Belege dafür, daß diese Annahme richtigist. Sehen wir unsjetzt diese Sache einmal genauer an.

Nehmen wir an, daß eine der Komponenten der Universalgrammatikdie Kasustheorie ist, ein System, das zusätzlich zur Bindungstheorieund anderen Teilsystemen des Sprachvermögens vorhanden ist. Ein Prin-zip der Kasustheorie besagt, daß referentielle Ausdrücke Kasus habenmüssen. Die allgemeine Theorie des Kasus legt fest, wie Kasus zuge-wiesen wird, wobei wie gewöhnlich eine gewisse Variation erlaubt ist.Nehmen wir an, daß das System ungefähr so funktioniert.

Es gibt zwei Grundarten von Sätzen: finite und infinite. Finite Sätzehaben wir z.B. mit (12), ebenso wie mit (9a) und dem Hauptsatz von(9b):

(e)

a. John hurt himself.John verletzte sich.

b. Bill expected lJohn to hurt himselfl.Bill erwartete [John zu verletzen sich].

,,Bill erwartete von John, dalS er sich verletzen würde."

Der in Klammern stehende eingebettete Satz in (9b) ist infinitivisch.Wie wir schon gesehen haben, gibt es im Spanischen keine Konstruk-tionen wie (9b), aber wir finden ähnliche infinitivische Formen in Kon-

struktionen wie dem Kausativ. So ist der Hauptsatz von (13) mit demYerb hizo llnit, und das Komplemenl von hizo in (13) ist inftnitivisch:r

(13)

Maria hizo [examinarnos al profesor].Maria caused [to-examine-us to-the teacher].Maria veranlaßte [zu-prüfen-uns zu-dem Lehrer].,,Maria caused the teacher to examine us."

,,Maria veranla/3te den Lehrer uns zu prüfen."

Finite Sätze können für sich allein stehen; infinitivische Sätze könnendas im allgemeinen nicht.

Ein finiter Satz enthält typischerweise eine Markierung des Tempusund der Subjekt-Verb-Kongruenz. Also wird das Verb eines liniten Sarzes das Tempus des Satzes angeben sowie mit seinem Subjekt in Merk-malen wie Person, Numerus und Genus übereinstimmen;die Forrn vonhizo in (13) z.B. spezifiziert Vergangenheit, dritte Person und Singular.Ein infinitivischer Satz besitzt typischerweise diese Elemente nicht.Nehmen wir an, daß das Tempus und Kongruenz anzeigende Elementeines finiten Satzes dem Subjekt, mit dem das Verb kongruiert, Nomi-nativ zuweist, so daß das Subjekt eines finiten Satzes Nominativkasushat, dem Subjekt eines infinitivischen Satzes dagegen Kasus fehlt (es

sei denn, die Sprache hat eine besondere Vorrichtung, um hier Kasuszuzuweisen, wie das bei Latein tatsächlich der Fall ist).

Nehmen wir weiter an, daß ein Verb seinem Objekt Akkusativkasuszuweist, und daß eine Präposition ihrem Objekt obliquen Kasus (derunterschiedliche Formen annehmen kann) zuweist. Das Kasussystemmag reicher sein und einiges an weiterer Variation aufweisen, aber ge-hen wir einmal hiervon als der rudimentären Struktur des Kasussystemsaus. Die Kasus können, wie in der Regel im Lateinischen, overt, oderwie generell im Spanischen und Englischen in verborgener Form er-scheinen, aber wir gehen in Übereinstimmung mit diesen allgemeinenPrinzipien der Kasuszuweisung davon aus, daß sie vorhanden sind,gleichgültig, ob in overter oder verdeckter Form.

Aus diesen Annahmen folgt, daß eine referentielle NP nicht in einerPosition erscheinen kann, der kein Kasus zugewiesen wird, wie zumBeispiel der Position des Subjekts eines Infinitivs. Kehren wir zu Satz(13) zurück und rufen wir uns ins Gedächtnis, daß die ihm zugrundelie-gende abstrakte Form (14) ist, wobei der infinitivische Satz S das Kom-plement von hizo bzw. caused ist:

98 99

fl4)a. Maria hizo [s el profesor [vr examinar nos]1.

b. Maria caused [s the teacher [vr to examine us]1.

Hier sehen wir einen Unterschied zwischen dem Spanischen und demEnglischen. In dem englischen Beispiel (l4b) kann das Verb cazse dcmNP-Subjekt des eingebetteten Satzes the teacher über die Satzgrenze[S ...1 hinweg Kasus zuweisen. Das ist eine recht ungewöhnliche Ei-genschaft, die das Spanischen nicht aufweist. Es ist diese Eigenschaft,die dafür verantwortlich ist, daß Konstruktionen wie das hier noch ein-mal wiederholte (9b) im Englischen existieren, aber nicht im Spani-schen:

(9b)

Bill expected [John to hurt himselfl.

Das Englische erlaubt dem Verb expect (und ähnlich anderenepistemischen Verben wie believe), Kasus frei über die Satzgrenze hin-weg zuzuweisen. Das Spanische erlaubt dies nicht, also kann die Kon-struktion (9b) dort nicht existieren; der eingebettete Satz müßte in derentsprechenden spanischen Konstruktion finit sein, damit sein SubjektKasus erhalten kann.

Wenn wir wieder zu (14) zurückkehren, sehen wir, daf3 der Satz imSpanischen nicht in Form (a) erscheinen kann, weil dieNp et profesor,das Subjekt des Satzes S, keinen Kasus hat. In Ermangelung des geradeim Englischen illustrierten Sondermechanismus muß das Spanische aufandere Vorrichtungen zurückgreifen, um die Außerung von Satz (14a)zu ermöglichen. Wie wir sahen, bewegt sich die (durch die Bewegungdes Klitiks nos zum Verb hin geformte) YP examinarnos an clen An-fang ihres Satzes, was die Form

(rs)Maria hizo [examinarnos el profesor],

ergibt, aber die NP el profesor, das Subjekt von examinar, hat immcrnoch keinen Kasus. In Sprachen, denen offen realisierte Kasusendun-gen fehlen, werden im allgemeinen Präpositionen benutzt, um Kasusanzuzeigen. Daher macht das Spanische von einer bedeutungsleerenPräposition c ohne jeglichen semantischen Inhalt Gebrauch, um den

fehlenden Kasus von el profesor auszugleichen. Durch Einfügung die-ser inhaltsleeren Präposition bekommen wir die tatsächliche Form (16),wobei eine Regel des Lautsystems a-el zu al verkürzt'.

(16)

Maria hizo examinarnos al profesor.

Hier fungiert die Präposition a als Kasusmarkierer, nicht als eine echte,unabhängige Präposition.

Wie wir gesehen haben, verwendet das Spanische diese inhaltsleerePräposition ja auch, wenn das Objekt eines Verbs menschlich ist, wie in

(r7)El ama a Juan.He loves to Juan.

Er liebt zu Juan.

,,He loves Juan."..Er liebt Juan."

Das ist eine Besonderheit des Spanischen, die in den anderen romani-schen Sprachen keine Parallele hat. Aber die Verwendung einer inhalts-leeren Präposition um einen Ausdruck zu ,,retten," der andernfalls dieKasustheorie verletzen würde, ist ein häufig vorkommender Mechanis-mus, der von der Universalgrammatik zur Verfügung gestellt wird.

Wenn eine NP in der Position des Subjekts eines Infinitivs erscheint,muß ihr auf eine besondere Weise Kasus zugewiesen werden. Eine fürbestimmte Verben im Englischen bestehende Möglichkeit ist die Kasus-markierung durch das Verb des Hauptsatzes, wie in (l4b) und (9b).Eine andere Möglichkeit ist die gerade illustrierte: Es kann eine in-haltsleere Präposition eingesetzt werden. In Kausativkonstruktionen istdiese Möglichkeit in den Dialekten, die wir hier betrachten, auf be-stimmte strukturelle Positionen beschränkt, nämlich diejenigen, wo eineechte Präpositionalphrase akzeptabel wäre - wie zum Beispiel im Falldes Komplements einer lexikalischen Kategorie oder einer an eineVerbalphrase angefügten Position wie in (13), wo die Phrase al profcsorcler VP examinarnos angefügt wird. Das ist die Art von Konstruktio-nen, wo echte Präpositionalphrasen erscheinen könnten, wie wir in denim ersten Kapitel diskutierten Formen wie (18) gesehen haben:

r00 t0l

(l8)Juan se hizo [afeitar por el barbero].Juan self-made [shave by the barber].Juan sich-machte [rasieren von dem Friseur].,,Juan had the barber shave him (Juan)."

,,Juan lielS den Friseur ihn (Juan) rasieren."

In der beigefügten Phrasepor el barbero ist die Präposition por nichtinhaltsleer, sondern hat eine klar bestimmte Bedeutung; die Phrase isteine echte Präpositionalphrase, keine Nominalphrase, der eine präposi-

tion hinzugefügt wird, um die Anforderungen der Kasustheorie zu er-füllen.

Aber Präpositionalphrasen erscheinen im allgemeinen nicht inSubjektposition. Daher können wir in den meisten Dialekten den hierals (l9a) wiederholten Ausdruck (14a) nicht,,retten," indem wir einfachnur die bedeutungsleere Praposition a einfügen, um (l9b) zu erhalten:

(19)

a. Maria hizo [el profesor [vr examinar nos]1.

b. Maria hizo [al profesor examinarnos].

In (l9a) erlaubt das Verb hizo der VP seines Komplementsatzes, anden Anfang dieses Satzes zu rücken. Wenn eine Konstruktion dieseBewegung nicht erlaubt, können wir auf diese Art die Verletzung derKasustheorie nicht vermeiden. Das Yerb creer zum Beispiel erlaubt dieVoranstellung der VP seines Komplements nicht. Und die Prinzipiender Universalgrammatik gestatten uns zwar wohl, eine zugrundeliegendeForm wie (20) zu konstruieren, die in Bezug auf die Form zu (14) ana-log ist:

(20)

Creo [Juan estar enfermo].I-believe [Juan to be sick].Ich-glaube [Juan sein krank]...1 believe Juan to be sick.",,lch glaube, daJJ Juan krank ist."

Hier ist es jedoch nicht möglich, die Verbalphrase estar enfermo desKomplementsatzes an den Anfang ihres Satzes zu bewegen und vor

dem Subjekt dann wie im Fall von (14) die kasusmarkierende Präposi-tion a einzufügen. Darüber hinaus fehlt dem Spanischen wie bereitserwähnt der im Englischen verfügbare Mechanismus, der es dem Sub-jektJuan des eingebetteten Satzes erlaubt, vom Hauptverbbelieve überdie Satzgrenze hinweg Akkusativkasus zu erhalten, so daß die abstrak-te Form direkt realisiert werden kann. Deshalb kann der legitime ab-strakte Ausdruck (20) im Spanischen überhaupt nicht als tatsächlicherSatz realisiert werden. Die Option (2la), die zu (16), Maria hizoexaminarnos alprofesor, analog ist, ist nicht zulässig, und (21b) ist inden von uns hier betrachteten Dialekten ebenfalls nicht zulässig, weilPräpositionalphrasen von der Subjektposition ausgeschlossen sind:

(2r)a. Creo [estar enfermo a Juan].

I-believe [to be sick to Juan].Ich-glaube [sein krank zu Juan]...1 believe Juan to be sick.",,lch glaube, dalS Juan krank ist."

b. Creo [a Juan estar enfermo].I-believe [to Juan to be sick].Ich-glaube [zu Juan sein krank].

Wir könnten sagen, daß der von (20) ausgedrückte Gedanke, obwohl(20) auf der abstrakten Ebene korrekt konstruiert ist, im Spanischennicht mit einem infinitivischen Komplement zucreer ausgedrückt wer-den kann, während das im Englischen möglich ist, weil dort in der (20)entsprechenden Konstruktion Juan als das Objekt von believe behan-delt und mit Akkusativkasus versehen werden kann.

Eine Einbeziehung des vollständigen Bereichs von Strukturen undDialekten legt nahe, daß hier in Wirklichkeit noch weitere Prinzipienoperieren, aber ich beschränke mich aufdiesen besonderen Fall.

Manchmal gibt es noch weitere Wege, eine von der Universal-grammatik auf der abstrakten Ebene gestattete Konstruktion zu ,,ret-ten". Nehmen wir beispielsweise den Satz (22):2

(:22)

Juan parece conocerlo bien a 61.

Juan seems to-know-him well to him.Juan scheint kennen-ihn sut zu ihm.

t02 |03

,,Juan seems to know him well.",,Juan scheint ihn gut zu kennen."

Was ist die semantische Rolle von Juun in dieser Konstruktion? Offen-sichtlich fungiert Juan nicht als das semantische Subjekt von parecer(,,scheinen"), weil dieses Verb seinem Subjekt keinerlei semantischeRolf e zuweist. Stattdessen fungiert Juan, wie der Sinn des Satzes klarmacht, als Subjekt des Verbs conocer (,,kennen"). Fragen wir uns, wes-halb das so ist.

DasYerb parecer erscheint mit einem Satzkomplement. Der in (22)ausgedrückte Gedanke könnte durch die Konstruktion (23) ausgedrücktwerden, in der parecer mit einem finiten Satz als Komplement erscheint:

(23)

Parece que [Juan lo conoce bien a 6l].It-seems that [Juan him-knows well to him].Es-scheint daß [Juan ihn-kennt gut zu ihm].,,lt seems that Juan knows him well.",,Es scheint, dal3 Juan ihn gut kennt."

Sätze können entweder finit oder infinitivisch sein, und so stellt dieUniversalgrammatik zusätzlich zu (23) die Konstruktion (24) mit ei-nem infinitivischen Komplement zu parecer zur Verfügung:

(u)Parece [Juan conocerlo bien a 6l].It-seems [Juan to-know-him well to him].Es-scheint [Juan kennen-ihn gut zu ihm].,,lt seems [Juan to know him well].,,Es scheint IJuan ihn gut zu kennen].

Die verschiedenen Positionen des Klitiks lo in (23) und (24) sind fürdie finite versus die infinitivische Form des Verbs jeweils normal. Tat-sächlich drückt (Z) ungefähr dieselbe Bedeurung aus wie (23).

Obwohl (23) ein akzeptabler Satz ist, ist (24) nicht akzeptabel, undzwar aus Gründen, die wir bereits kennen: Juan erhält keinen Kasus.Man beachte, daß in diesem Fall der Satz auch im Englischen nicht,,gerettet" werden kann, weil das Verb seem im Unterschied zu expectoder believe keinen Akkusativkasus zuweisen kann: Es gibt Sätze wie,,I expected that'7,Jch erwartete das" und ,J believe that"/,,Ich glaube

das", aber nicht ,Jt seems that"/,,Es scheint das". Die Verbalphraseconocerlo bien a el kann sich in dieser Konstruktion nicht an den An-fang ihres Satzes bewegen, und wie wir gesehen haben, kann dem Sub-jektJuan in seiner Position nicht die inhaltsleere Präposition d voran-gestellt werden. Die einzige Art, wie (A) der Verletzung der Kasus-theorie entgehen kann, ist, daß Juan sich in eine Position bewegt, inder Kasus zugewiesen wird. Tatsächlich gibt es eine solche Position:die des Subjekts von porecer. Diese Position ist in der abstrakten zu-grundeliegenden Struktur, die von der Universalgrammatik bereitge-stelf t wird, nicht besetzt, well parecer dieser Position keine Bedeutungzuweist und, wie wir die ganze Zeit gesehen haben, die abstrakten zu-grundeliegenden Formen linguistischerAusdrücke Projektionen der le-xikalischen Elemente sind, Projektionen, deren Aussehen im einzelnenvon den semantischen Eigenschaften dieser lexikalischen Elementesowie den allgemeinen Prinzipien der Universalgrammatik (mit für diejeweilige Sprache festgelegten Parametern) bestimmt wird. Da die Po-sition des Subjekts von psrecer unbesetzt ist, kann sich Juan dorthinbewegen, wobei es wie in anderen von uns schon diskutierten Fällendie Spurl zurückläß[, resultierend in der Form

(2s)Juan parece [/ conocerlo bien a 6ll.Juan seems [l to-know-him well to him].Juan scheint [f kennen ihn gut zu ihm].,Juan seems to know him well.",,Juan scheint ihn gut zu kennen."

Die mentale Repräsentation der entsprechenden englischen Form wirdebenfalfs eine Spur enthalten, nachdemsichJuan in die Subjektpositiondes Hauptsatzes bewegt hat:

(26)Juan seems [t to know him well].Juan scheint [/ zu kennen ihn gut].,,Juan scheint [t ihn gut zu kennen]."

Die Spurl ist eineAnapher, genau wie die Spur eines bewegten Klitikseine Anapher ist, folglich muß sie das Bindungsprinzip für Anaphernerfüllen. Sie muß in der minimalen Domäne eines Subjekts gebunden

sein, nämlich der Domäne von Juan, das heißt, in den Sätzen (25) und

104 105

(26) als ganzen. Da sie in dieser Domäne gebunden ist, nämlich vonJuan,ist der Bindungstheorie Genüge getan. Die Kasustheorie ist eben-falls erfüllt, well Juan in dieser Position Nominativkasus zugewiesenwird. Tatsächlich sind alle Prinzipien der Universalgrammatik erfült,also ist (25) ein wohlgeformter Satz, der wie (22) ausgesprochen wird,weil die Spur für den Sprechmechanismus ,,unsichtbar" ist. Die Reprä-sentationen (25) und (26) sind, wie in den Beispielen bisher, das, wasvom Geist konstruiert und interpretiert wird, so daß Juan aufgrund derSpur, die von ihm gebunden wird, als das Subjekt von conocer (ken-nen) verstanden wird. Hier sehen wir eine andere Möglichkeit, der Ver-letzung der Kasustheorie zu entgehen.

Beachten wir, daß die Grammatik des Englischen und des Spani-schen keine Regel der ,,Anhebung" enthält, die Juan aus seiner ab-strakten Position in (A) in die Position des Subjekts vonparecer (seem/scheinen) bewegt. Tatsächlich haben wir uns bis jetzt bei der Diskussi-on der Form und Interpretation von Sätzen auf überhaupt keinerlei Re-geln berufen. Die Konstruktion (22), die in der Interpretation Satz (23)entspricht, in der Form aber von diesem verschieden ist, wird in Lautwie Bedeutung durch die Interaktion einer Reihe von prinzipien derUniversalgrammatik, der lexikalischen Elemente mit ihren Bedeutun-gen und der auf ihre spanischen und englischen Werte festgelegten pa-

rameter bestimmt.Wir könnten fragen, warum Satz (20), den wir hier noch einmal wie-

derholen, nicht ,,gerettet" werden kann, indem wir Juan in die Subiekrposition anheben, was (27) ergeben würde:

(20)Creo [Juan estar enfermo].I-believe [Juan to be sick].Ich-glaube [Juan sein krank].

(27)

Juan creo fl estar enfermol.Juan I-believe [l to be sick].Juan ich-glaube [/ sein krankl.

Das wäre hier wegen der Nichtübereinstimmung in der person zwi-schenluan und dem Yerbcreo, das in derersten Person steht, unmög-lich. Aber selbst wenn das Verb in (20) cree (,,glaubt," dritte person)

wiire, nicht creo, so daß keine Nichtübereinstimmuns in der person

vorliegen würde, wäre die Operation zwangsläufig blockiert. Der sichdaraus ergebende Satz (28) ist eine wohlgeformte Außerung, die abereine gänzlich andere Bedeutung hat; sie besagt nicht, daßjemand glaubt,daß Juan kank ist:

(28)

Juan cree estar enfermo.Juan believes to be sick.Juan glaubt, krank zu sein.

Wir kommen auf den Status von (28) und die Gründe, weshalb die An-hebung von Juan in die Subjektposition in diesem Fall nicht zulässigist, noch zurück.

Erinnern wir uns, daß die allgemeine Theorie der Phrasenstruktureinem Kopf gestattet, ein Komplement zu nehmen, ein Komplement,das eine Nominalphrase sein kann (aber nicht muß); im Spanischenfolgt das Komplement wegen des Wertes des Kopfparameters dem Kopf.Im letzten Kapitel habe ich diese Möglichkeiten mit den folgendenBeispielen illustriert:

(291

a. VP: hablar ingl6s,,speak English",,Englisch sprechen"

b. NP: traducciön del libro,,translation of the book",, Ü b e rs etzung de s B uchs "

c. AP: lleno de agua,,full of water",,voll mit tvVasser"

d. PP: a Juan,.to Juan",,zu Juan"

Doch die Universalgrammatik stellt zunächst nicht die Formenreihe (29)bereit, sondern (30), wo die Nominalphrasenkomplemente des Kopfsdurch Klammern markiert sind:

106 t07

(30)

a. VP: hablar [ingl6slspeak [English]IEnglisch] sprechen

b. NP: traduccirin [el libro]translation [the book]Übersetzung [das Buch]

c. AP: lleno [agua]full [water]voll [Wasser]

d. PP: a [Juan]to Uuanlzu [Juan]

Wir sind jetzt in der Lage, die Diskrepanz zwischen den vorhergesag-ten Formen (30) und den wirklichen Formen (29) zu erklären. Verbenund Präpositionen weisen Kasus zu;Nomina undAdjektive tun das nicht.Daher muß, damit die abstrakten Formen aus (30) erscheinen können,dem Komplement auf irgendeine Weise Kasus zugewiesen werden. DasSpanische benutzt wieder den Mechanismus der Einfügung einer in-haftsleeren Präposition, in diesem Fall der Präposition de, die hier kei-ne unabhängige Bedeutung hat, sondern einfach nur als Kasusmarkiererfungiert, der seinem Objekt obliquen Kasus zuweist. Das Englisch tutdasselbe und benutzt zu diesem Zweckdie semantisch leere Präpositi-on a/. Daher sind die Formen, die tatsächlich erscheinen, diejenigenvon (29).

Die Funktion der inhaltsleeren Präposition kann auch im Fall der

,,intransitiven Präpositionen" beobachtet werden, die keine Objekte er-fordern und dementsprechend keinen Kasus zuweisen, wie zum Bei-spiel alrededor im folgenden Frage-Antwort-Gespräch:

(3r)a. Habia gente alrededor?

,,Were there people around?",,Waren Leute da?"

b. Si. Habfa gente alrededor de la casa.

,,Yes. There were people around the house."

,,Ja. Es waren Leute rings unts Haus."

In der Antwort (b) ist die inhaltsleere Präposition de eingefügt, um lacasc Kasus zuzuweisen; dieAntwort hätte nicht IIab(a gente alrededor

la casa lauten können. Der Grund dafür liegt in der Kasustheorie;

alrededor weist keinen Kasus zu, also muß ein Kasusmarkierer einge-

führt werden, um die Konstruktion alrededor fta casal, eine von der

Universalgrammatik gestattete P-NP Konstruktion, zu,,retten."lDie Einbeziehung eines größeren Bereichs von Sprachen und weite-

rer, komplexerer Konstruktionen legt nahe, daß diese Analyse nicht ganz

richtig ist, und daß es sich in Wirklichkeit so verhält, daß die Kasus-

theorie noch ein weiteres Prinzip der Kasuszuweisung einschließt: No-mina und Adjektive (und vielleicht intransitive Präpositionen) weisen

ihren Komplementen Genitivkasus zu, wobei dieser eine der Varianten

des obliquen Kasus darstellt. Wenn das stimmt, ist dc immer noch ein

Kasusmarkierer, aber es ist der Kasusmarkierer für den Genitiv, wie in

el libro de Juan (,,the book of Juan"/ ,,das Buch von Juan", ,Juan'sbook"/,,Juans Buch"). Das würde erklären, warum die inhaltsleerePräposition in dieser Konstruktion de anstelle von a ist (und im Eng-

lischen ofl. Es gibt noch weitere Überlegungen, die zu komplex sind,

um hier behandelt zu werden, die diese Schlußfolgerung unterstützen.

Auf jeden Fall sind keine spezifischen Regeln erforderlich, um die

sichtbare Asymmetrie, die wir bei den Formen (29) beobachten, zu er-

klären.Beachten wir hier wieder die Auswirkungen schon geringfügiger

Unterschiede in den Werten von Parametern, die das Spanische vom

Englischen unterschciden. In beiden Sprachen wäre zum Beispiel die

abstrakte Form eines kausativen Rellexivs, eine geeignete Wahl der le-

xikalischen Elemente vorausgesetzt, (32):

(32\a. Juan hizo [s los muchachos [afeitar se]].

b. Juan made [s the boys [shave themselvesll.Juan ließ [s die Jungen [rasieren sich]1.

,,Juan liefi [s die Jungen Isich (selbst) rasieren]1."

Von den lexikalischen Elementen abqesehen sind diese beiden Kon-

struktionen identisch.

r08 109

Im Englischen erscheint Satz (32b) in genau dieser Form. Das istzulässig, weil das Reflexiv themselves kein Klitik ist, sondern ein un-abhängiges Wort, und weil das Englische es erlaubt, das Subjekt deseingebetteten Satzes S (the boys) zum Zweck der Kasuszuweisung alsdas Objekt des Hauptverbs made, also des Kausativverbs, zu betrach-ten. Aber im Spanischen steht diese Option nicht zur Verfügung, und seist ein Klitik. Wie wir gesehen haben, kommen daher andere prozessezurAnwendung: Zuerst verbindet sich das Klitikse mitafeitar,um mitdiesem afeitarse zu bilden (da eine Verbindung mit hizo hier, wie wirgesehen haben, aus bindungstheoretischen Gründen unzulässig ist); alsnächstes bewegt sich die YP afeitarse an den Anfang cles eingebettetenSatzes S, und schließlich wird die inhaltsleere präposition a eingefügt,mit dem Endergebnis

(33)

Juan hizo afeitarse a los muchachos.Juan made shave-self to the boys.Juan machte rasieren-sich zu den Jungen.,,Juan made the boys shave themselves.",,Juan lieJ3 die Jungen sich rasieren."

Oberflächlich gesehen scheint die Form (33) des Spanischen ziemlichverschieden von der entsprechenden Konstruktion (32b) des Englischen,in Wirklichkeit sind sie im wesentlichen gleich und von derselben vonder Universalgrammatik f'estgelegten zugrundeliegenden Struktur ab-geleitet. Die Unterschiede ergeben sich aus dem automatischen Wirkenbestimmter Prinzipien der Universalgrammatik, sobald die parametereinmal fixiert sind und die lexikalischen Eigenschaften berücksichtigtwerden. Großenteils dasselbe gilt, wenn wir uns Sprachen ganz unter-schiedlicher Art zuwenden.

Wie wir gesehen haben, fungieren Variablen im Rahmen derBindungstheorie als referentielle Ausdrücke. Dasselbe gilt im Hinblickauf die Kasustheorie, eine Tatsache, die unsere früheren Schlußfolge-rungen über den Status von Variablen unterstützt. So müssen VariablenKasus haben, genau wie gewöhnliche referentielle Ausdrücke wie Juanoder a los muchachos Kasus haben müssen. Wir können <Jiesen Sach-verhalt illustrieren, indem wir die von der Universalgrammatik gelie-ferten abstrakten Formen (34) betrachten:

(34)

a. Parece [qui6nes conocerlo bien a 6l].It-seems [who to-know-him well to him].Es-scheint [wer kennen-ihn gut zu ihm].

b. Parece [cuäles muchachos conocerlo bien a 6t].It-seems Iwhich boys to-know-him well to him].Es-scheint [welche Jungen kennen-ihn gut zu ihm].

Bewegen wir nun die Operatorphrase wie gewöhnlich an den Be-ginn des Satzes, wodurch wir die entsprechenden Formen (35) mit t alsder Spur des bewegten Operators bilden:

(3s)

a. Quidnes parece [l conocerlo bien a 6l]?Who (Plural) it-seems I to-know-him wellto him]?Wer (Plural) es-scheint [l kennen-ihn gut zu ihm]?,,Who does it seem to know him well?",,Wer scheint es, ihn gut kennen?"

b. Cuäles muchachos parece [l conocerlo bien a 6l]?Which boys it-seems [/ to-know-him well to him]?Welche Jungen es-scheint [l kennen-ihn gut zu ihm]?,,Which boys does it seem to know him well? "

,,Welche Jungen scheint es, ihn gut kennen?"

Aber das sind keine wohlgeformten Fragen. Der Grund liegt in derKasustheorie: Die Spur I ist hier, wie wir gesehen haben, eine Variableund muß daher Kasus haben, aber Kasus wird in der Position des Sub-jekts des Infinitivs nicht zugewiesen, also verletzen die Sätze in (35)die Kasustheorie.

Betrachten wir im Gegensatz dazu den hier wiederholten Satz (25):

(2s')

Juan parece [/ conocerlo bien a 6l].,,Juan seents [t to know him well]."

Dieser Satz ist wohlgeformt, im Unterschied zu denjenigen in (35), diedas nicht sind. Der Grund dafür ist, daß in (35) die Spur eine Variableist und somit Kasus erfordert, während sie in (25) eine - von der in

ll0 ltl

Subjektsposition befindlichen referentiellen Np gebundene - Anapherist und also keinen Kasus benötigt, da sie nicht selbst ein referentiellerAusdruck ist.

Wir wissen von quiönes undcudles muchachos,daß sie in (35) nichtin der Subjektposition stehen, sondern im Unterschie d zu Juan in (25)dem ganzen Satz vorausgehen; es besteht nämlich keine Kongruenzzwischen ihnen und dem Verb parece, das im Singular steht. DieserPunkt ist in den englischen Gegenstücken noch offensichtlicher, in de-nen das Subjekt il explizit erscheint.

In (34) ist das Komplement von parece ein Infinitivsatz. DieUniversalgrammatik gestattet in dieser Position auch ein finites Satz-komplement. Wenn, wie in (36), diese Option gewählt wird und wirdann noch die Operatorphrase wie üblich an den Anfang des Hauptsat-zes bewegen, erhalten wir die Formen (37), wobei t die nicht ausse-sprochene Spur des Operators ist:

(36)

a. Parece que [qui6nes lo conocen bien a 6l].It-seems that [who him-know well to him].Es-scheint daß [wer ihn-kennen gut zu ihm].,,lt seems that [who know him well].",,Es scheint, dalS [wer kennen ihn gut]."

b. Parece que [quäles muchachos lo connocen bien a 6l].It-seems that [which boys him-know wellto him].Es-scheint daß [welche Jungen ihn-kennen gut zu ihm].,,lt seems that [which boys know him well].",,Es scheint, datJ [welche Jungen kennen ihn gut]."

(37\a. Qui6nes parece que [t lo conocen bien a 6l].

Who (Plural) it-seems that [t him-know well to him].Wer (Plural) es-scheint daß [/ ihn-kennen gut zu ihm].,,Who does it seem know him well?",,We4 scheint es, kennen ihn gut?"

b. Cuäles muchachos panece que [/ lo conocen bien a 6l]?Which boys it-seems that [/ him-know well to him]?Welche Jungen es-scheint daß [, ihn-kennen gut zu ihm]?,,Which boys does it seem know him well?",,Welche Jungen, scheint es, kennen ihn gut? "

Diese Sätze sind, im Unterschied zu denen in (34), wohlgeformte Fra-gen. [Wenn man von den im Englischen/Deutschen real nicht existen-ten Pluralformen von who/wer absieht, gilt dies auch für die übersetz-ten Beispiele . A.d.Ü.1Der Grund dafür ist, daß in (37) die Variable t alszum Verb conocen (,,kennen") des finiten Satzes gehöriges SubjektKasus - nämlich Nominativkasus - erhält.

Wieder sehen wir, daß es gute Belege dafür gibt, daß leere Katego-rien existieren und darüberhinaus ganz bestimmte und spezifischeEigenschaften aufweisen.

Wir haben so zweierlei leere Kategorien ausgemacht: die Spur einesOperators, der sich außerhalb der Satzstruktur befindet, wie in (38),und die Spur einer NP, wobei die NP wie in (39) eine Position innerhalbdes Satzes einnimmt:

(38)

a. A qui6n afeita Juan /?To whom shaves Juan /?Zu wem rasiert Juan /?

,,Whom does Juan shave?",,Wen rasiert Juan?"

b. El hombre al que Juan afeita l.the man to whom Juan shaves l.der Mann zu dem Juan rasiert l.,,the man whom Juan shaves."

,,der Mann, den Juan rasiert."

(3e)

a. Juan se afeita l.Juan self-shaves /.Juan sich-rasiert f.,,J uan shaves himself. "..Juan rasiert sich."

b. Juan parec€ [ estar enfermo].Juan seems [/ to be sick].Juan scheint [l sein krank]...Juan seems to be sick.",,Juan .scheint krank zu sein. "

tt2 il3

Die Variablen in (38) f ungieren als referentielle Ausclrücke; sie über-nehmen die von afeitar (,,rasieren") zugewiesene semantische Rolleund müssen Kasus erhalten. Die Spuren in (39) sintl anderer Natur. Stattdie semantischen Rollen, die der von ihnen eingenommenen positionzugewiesenen werden, selbst zu übernehmen, transferieren sie diese anihre Antezedenten: an se beziehungsweise Juan.

Wir können sagen, daß das Antezedens und die Spur eine Kette bil-den, die eine abstrakte Repräsentation des referentiellen Ausdrucks dar-stellt. Die Kette (Juan,l) in (39b) ist eine abstrakte Repräsentation vonJuan.Die Kette erhält Kasus in der Position, die von ihrem Kopf, ./zan,eingenommen wird; ihre semantische Rolle erhält sie in der position,die von der Spur / eingenommen wird. Um wohlgeformt zu sein, mußeine Kette eine kasusmarkierte Position (ihren Kopf) enthalten sowieeine Position, der eine semantische Rolle zugewiesen wird (nämlichdie in der abstrakten zugrundeliegenden Struktur vom Kopf besetztePosition). Darüber hinaus darf es nur je eine Zuweisung von Kasus undsemantischer Rolle an eine Kette geben, denn sonst wird das die Kopf-position der Kette einnehmende Element, das durch die Kette ja in ab-strakterweise repräsentiert wird, nicht konekt mittels eindeutiger Kasus-zuweisung und eindeutig spezifi zierter semantischer Eigenschaften iden-tifiziert. Die Kette muß eine einzige Position enthalten, die kasusmarkiertist, und eine einzige Position, die eine semantische Rolle erhält: <Jas

sind ihre Anfangs- beziehungsweise ihre Schlußposition.Daraus folgt weiter, daß eine Phrase sich nie in eine position be_

wegen kann, der bereits eine semantische Rolle zugewiesen ist, denndann hätte die resultierende Kette zwei solche positionen: Die positi-on, die von der Phrase anfangs eingenommen wurde, und die position,in die sie sich dann bewegt hat. Diese ganz natürlichen Bedingungenbeschränken die Möglichkeiten ftir Bewegung erheblich. Tatsächlichbeschränken sie den Zielort von Bewegung entweder aufeine positionaußerhalb des Satzes, wie im Fall eines Operators, tler eine als Varia-ble fungierende Spur hinterläßt, oder auf die Subjektposition eines Verbswie parecer (,,scheinen"), das seinem Subjekt keine semantische Rol-le zuweist. Die einzige weitere Möglichkeit, wie sie z.B. bei derKlitikbewegung vorliegt, ist die Adjunktion, d.h. die Anlagerung einesElements an ein anderes Element; in diesem Fall bewegt sich die-ses Element in eine Position, der keine semantische Rolle zugewiesenwird.

Für Klitikketten wie (se, /) in (39a) gelten dieselben Bedingungen,wenn wir annehmen daß Kasus dem Klitik selbst und nicht seiner Spur

zugewiesen wird, eine Annahme, die aus anderen Gründen berechtigti st.

Kehren wir jetzt zu Satz (28) zurück, dcr hier wiederholt ist:

(28)

Juan cree estar enfermo.Juan helieves lo be sick.Juan glauht, krank zu sein.

Wir sahen, daß dieser Satz nicht die durch Anhebung aus (41) abgelei-tete Struktur (40) haben kann:

(40)

Juan cree [l estar enfermo].Juan believes [/ to be sick].Juan glaubt, I sein krank].,,Juan glaubt [t krank zu sein]."

(4I\Cree [Juan estar enfermo].It-believes Uuan to be sickl.Es-glaubt [Juan sein krank].,,Es-glaubt IJuan krank zu sein]"

Der Grund dafür, daß Anhebung in diesem Fall unmöglich ist, liegtdarin, daß die Kette (Juan, t) in (40) zwei Posirionen enrhälr, deneneine semantische Rolle zugewiesen wird: das Subjekt \oncree und dasSubjekt von estar. Damit ist die Bedingung für Ketten verletzt. Satz(28) ist im Spanischen (nicht dagegen im Englischen) ein wohlgeform-ter Satz, hat aber eine andere Struktur als (40), eine Struktur, der wiruns in Kürze zuwenden werden.

Eine Variable kann aufgrund ihres Status als referentieller AusdruckKopf einer Kette sein, wie in Konstruktion (42):

(42)

Quidnes [parecen [/ conocerlo bien a 6l]l?Who (Plural) [seem [l to-know-him well to himll?Wer (Plural) [scheinen [l kennen-ihn gut zu ihm l]'l,,Who seem to know him well?",,Wer scheinen ihn gut zu kennen?"

lt4 I t-5

Im Gegensatz zum hier noch einmal wiederholten (35a) ist (42) einwohl geformter Ausdruck :

(35a)

Qui6nes [parece [/ conocerlo bien a 6l]l?Who (Plural) [it-seems [l to-know-him well to him]l?Wer (Plural) [es-scheint [t kennen-ihn gut zu ihm]l?

Der Grund, weshalb (35a) nicht wohlgeformt ist, ist, daß quiönes sichaus der von I eingenommenen Position direkt in die Position vor demSatz bewegt hat und dabei die Spur I in einer Position hinterläßt, dienicht kasusmarkiert ist, was, wie wir gesehen haben, eine Verletzungder Kasustheorie ist. Wir wissen, daß dies der Verlauf der Ableitungwar, weil d,asYerb parece im Singular steht, nicht im Plural; folglich istdie Pluralform qui€nes nicht sein Subjekt. ln (42) dagegen srehr dasYerb parecen im Plural, also muß es ein Pluralsubjekt haben. Also mußsich quiönes unter Hinterlassung der Spur I aus seiner ursprünglichenPosition in die Position des Subjekts von parecen bewegt haben. Inseiner Eigenschaft als Operator bewegt quiönes sich dann in die Posi-tion vor dem Satz und hinterläßt dabei die Spur l'. Die Struktur von(42) ist daher in Wirklichkeit (43):

(43)

Qui6nes [s /'parecen [/ conocerlo bien a 6l]l?Who (Pl.) [s /' seem [t to-know-him well to him]l?Wer (Pl.) [s f'scheinen [f kennen-ihn gut zu ihm]l?,,Who (i.5. von ,which people') seem to know him well?",,Wer (i.5. von ,welche Leute') scheinen ihn gut zu kennen?"

Die Ableitung innerhalb des Satzes S entspricht ganz genau der Bil-dung von (25):

(2s\Juan parece [/ conocerlo bien a 6l].,,Juan seems [t to know him well].",,Juan scheint [t ihn gut zu kennen].

Die Position von /' in (43) ist dieselbe wie die von Juan in (25).Die Spurl'in (43) ist eine Variable und bildet den Kopf der Keme (/,,

f). Dies ist eine wohlgeformte Kette, die in der Position ihres Kopfs l,

Kasus erhält und in der Position von / ihre semantische Rolle zugewie-sen bekommt. Als Variable ist der Kopf der Kette /'durch einen Opera-tor gebunden, nämlich durch quiönes.

Wir finden Beispiele von Ketten auch in der Passivkonstruktion.Betrachten wirdie von der Universalgrammatik gestattete abstrakte Form(44):

(u)Ha sido [devorada la oveja] [por el lobo].Ithas been [devoured the sheep] [by the wolfl.Es-ist gewesen [gefressen das Schafl [von dem Wolfl.,,The sheep has been devoured by the wolf.",,Das Schaf ist vom Wolf gefressen worden."

Hier ist /a oveja das Objekt des Yerbs devorar. Das Objekt kann sich indie unbesetzte Subjektposition bewegen, was Satz (45) ergibt und wo-durch die Kette (Ia oveja, t) gebildet wird, die in der Position ihresKopfs Kasus erhält und in der Position der Spur ihre semantische Rollezugewiesen bekommt:

(4s)

La oveja ha sido [devorada t] [por el lobo].Das Schaf ist gewesen [gefressen l] [von dem Wolfl.,,The sheep hss been [devoured t] [by the woU].",,Das Schaf ist von dem Wolf Igefressen t] worden. "

Im Englischen oder Fränzösischen ist die Bewegung des Objekts indie Subjektposition obligatorisch; im Spanischen oder Italienischen istsie optional. Dieser Unterschied folgt aus dem Wert des Nullsubjekrparameters, und zwar aufgrund von Eigenschaften der Kasustheorie.Der wesentliche Punkt ist hier, daß die Passivform niemals Kasus zu-weist (vielleicht verhält es sich dabei so, daß das Passivelement als das

unausgesprochenes Subjekt fungiert und den vom Verb zugewiesenen

Kasus erhält, was keinen Kasus mehr übrigläßt, der dem Objekt zuge-wiesen werden kann). Daher muß das Objekt eines Passivs in irgendeiner anderen Weise Kasus erhalten. Im Englischen oder Französischen

muß sich das Objekt in eine kasusmarkierte Position bewegen, aber ineiner Sprache wie dem Spanischen oder Italienischen, in der das Sub-jekt eine leere Kategorie sein kann, kann diese leere Kategorie ihrenNominativkasus an das Objekt,,transferieren", so daß das Objekt nicht

l16 tl7

in der Position zu erscheinen braucht, der Nominativkasus zugewiesenwird.

Nehmen wir an, wir hätten statt (45) die entsprechende infinitivischeKonstruktion (46) als Komplement von parecer'.

{46)

panece [a oveja haber sido [devorada /] [por el lobo]1.it-seems [the sheep to have been [devoured t] [by the wolfl].es-scheint [das Schaf haben gewesen [gefressen r] [von dem Wolfl].

Hier fehlt der Kette la oveja, /l (im Englischen fthe sheep, t]) Kasus,daher muß ihr Kopf Ia oveja in eine kasusmarkierte Position rücken,resultierend in der Form

(47)La oveja parece [/' haber sido [devorada t] [por el lobo].The sheep seems [/' to have been [devoured /] [by the wolfl.Das Schaf scheint [/' haben gewesen [gefressen /] [von dem Wolfl.

Hier haben wir die dreigliedrige Kette (/a oveja, t,,ll. Kasus wird Iaoveja in der Position des Kopfs der Kette zugewiesen, während die se-mantische Rolle der letzten, von I eingenommenen Position in der Ket-te zugewiesen wird.

Es gibt zusätzlich zu den Spuren des in der vorangegangenen Dis-kussion illustrierten Typs noch weitere leere Kategorien. Man nehmedas Verb hope (,,hoffen"), das ein Satzkomplement hat, das den Inhaltdes Wunsches, der in Erfüllung gehen soll, zum Ausdruck bringt. Die-ses Satzkomplement kann wie gewöhnlich finit oder infinitivisch sein,wie in

(48)a. They hoped that [they would finish the meeting happy].

,,Sie hffien dal3 [sie das Treffen glücklich beenden würden]."

b. They hoped [to finish the meeting happy].,,Sie hoflten fdas Treffen glücklich zu beenden]."

In Entsprechung hierzu haben wir im Spanischen Ausdrücke wie

(49)

a. Ellos esperaban que [publicarian el articulo contentos].,,They hoped that [they would publish the article happy].",, 5 i e hffi en, dalJ I s ie den A rtike I glüc klic h v e rtffi nt lic hen w ü rde n ]. "

b. Ellos esperaban [publicar el articulo contentos].,,They hoped [to publish the article happy].",,Sie hoffien, Iden Artikel glücklich zu veröffentlichen]."

In (48) und (49) scheint das Adjektiv happy (contentos/glücklicä)a dasPronomen they (elloslsie) zu modifizieren, im spanischen Fall stimmtdasAdjektiv außerdem im Numerus (Plural) mit dem Subjektel/os über-ein. Aber wie wir aus Außerungen wie (50) ersehen können, kann einAdjektiv kein Nomen modifizieren und mit ihm kongruieren, das sichaußerhalb seines Satzes befindet:

(s0)

They hoped that [the meeting would finish happy].,,Sie hffien, dalJ [das Treffen glücklich ausgehen würde]."

(sr)Ellos esperaban que [el articulo se publicara contentos].They hoped that [the article itself-would-getpublished happy (Pl.)].Sie hofften daß [der Artikel sich-würde-werden-veröffentlicht glück-lich (Pl.)1.

,,They hoped that the article would get published happy.",,Sie hofften, daß der Artikel glücklich veröffentlicht würde."

In Satz (50) modifiziert das Adjektiv happy nicht mehr they, sondernthe meeting; ihre Hoffnung ist, daß das Treffen in einer glücklichenAtmosphäre enden möge, nicht daß sie selbst glücklich sein werden.Die englische Übersetzung von (51) hat nur die sinnlose Interpretation,daß ihre Hoffnung darin besteht, daß der Artikel nach der Veröffentli-chung glücklich sein wird. Die entsprechenden spanischen Beispielehaben gar keine Interpretation, weil das Pluraladjektiv contentos nichtdas im Singular stehende Subjekt des eingebetteten Satzes modifizie-ren kann. Wie die Beispiele illustrieren, kann das Adjektiv des einge-betteten Satzes eine NP außerhalb dieses Satzes nicht modifizieren. Inden Beispielen (48) und (49) ist der Inhalt ihres Wunsches, grob gesagt,

daß sie elücklich sein werden, wenn das Treffen vorbei ist bzw. wenn

ll8 il9

der Artikel veröffentlicht ist, aber dieser Wunsch kann nicht mittels desSatzes (51) ausgedrückt werden.

Beispiele dieser Art illustrieren die Tatsache, daß ein Adjektiv ,,nahegenug" an dem Nomen sein muß, das durch es modifiziert wird. Eskann das Subjekt seines eigenen Satzes modiflzieren, wie in Ellos estäncontentos (,,Sie sind froh'), aber es kann, wie wir an (50) und (51) zusehen, nicht das Subjekt eines anderen Satz modifizieren. In Beispiel(48a) ist das Subjekt des Komplementsarzes ausgedrückt: Es ist /ftey.Aber in (48b) und den beiden Fällen (49a,b) isr es nicht ausgedrückr.Da das Subjekt nicht ausgedrückt ist, muß es eine leere Kategorie sein.Nennen wir nun die leere Kategorie, die als Subjekt des finiten Satzeserscheint, pro und die leere Kategorie, die als Subjekt des Infinitivserscheint, PRO; somit haben wir pro als das Subjekt von (49a) undPRO als das Subjekt von (48b) und (49b). Wie wir sehen werden, ha-ben pro und PRO sehr unterschiedliche Eigenschaften, und beide un-terscheiden sich in ihren Eigenschaften ihrerseits von den beiden Artenvon Spuren.

Die wirkliche mentale Repräsentarion der Sätze von (48) und (49)ist daherjeweils (52) und (53):

(s2)

a. They hoped that [they would finish the meeting happy].Sie hofften daß [sie würden beenden das Treffen glücklich].,,Sie hofften, dal3 [sie das Treffen glücklich beenden würden].,,

b. They hoped IPRO to finish the meeting happy].Sie hofften [PRO beenden das Treffen glücklich].,,Sie hffien, IPRO das Treffen glücklich zu beenden]."

(s3)a. Ellos esperaban que [pro publicarian el articulo contentos].

Sie hofften, daß lpro würden-veröffentlichen den Artikel glücklichl.

b. Ellos esperaban [PRO publicar el articulo contentos].Sie hofften [PRO veröffenrlichen den Artikel glücklich].,,Sie hofften, IPRO den Artikel glücklich zu veröffentlichen].,,

Das Adjektiv happy (contentoslglücklicft) modifiziert das Subjekt sei-nes Satzes, wie gefordert.5 In (53a) istpro einfach ein nicht ausgespro-chenes Pronomen. Es ist das ,,Nullsubjekt," das in Sprachen wie Spa-

nisch und Italienisch, nicht aber im Französischen und Englischen er-laubt ist, ein parametrischer Unterschied, der, wie wir gesehen haben,

zahlreiche Konsequenzen nach sich zieht. Es kann als das kasusmarkierte

Subjekt eines finiten Verbs und möglicherweise auch in anderen Posi-tionen erscheinen (zum Beispiel als das Objekt des Verbs examinar,wie in Zusammenhang mit Satz (5) erwähnt wurde). Es wird in derArteines overten, lautlich realisierten Pronomens interpretiert, obwohl ei-nige subtile Unterschiede bestehen. In (53a) kann pro frei sein, so daßellos und,pro sich aufverschiedene Gruppen von Leuten beziehen kön-nen, deren Identität durch die Gesprächssituation festgelegt wird, oderpro kann durch ellos gebunden sein und sich auf eben die Leute bezie-hen, die durch das offen auftretende Pronomen ellos bezeichnet wer-den. In dieser Beziehung verhält sichpro genau wie ein overtes Prono-men.

Mit der leeren Kategorie PRO in (52b) und (53b) verhält es sichdeutlich anders. Sie ist kein frei referierender Ausdruck wie the boys,they oder im Spanischen pro. Stattdessen wird sie typischerweise ineiner der beiden folgenden Weisen gebraucht: Entweder ist sie gebun-

den, oder sie bezieht sich, wenn kein Antezedens vorhanden ist, durchdas sie gebunden werden könnte, auf etwas nicht näher Bezeichnetes,normalerweise einen Menschen oder zumindest etwas Belebtes. Dieerste Option ist in (52b) und (53b) illustriert, wo PRO notwendiger-weise durch das Subjekt des Hauptsatzes /ft ey bzw. ellos gebunden wird.Die zweite Option ist in (54) illustriert, wo PRO das Subjekt des

infinitivischen Satzes ist, der, wie die Klammern anzeigen, einen Teilder Subjekt-NP des Gesamtsatzes bildet:

(54)

[xr El [s PRO viajar en tren]l es agradable.[run The [s PRO to-travel by train]l is pleasant.

[Ne Der [s PÄO reisen mit Zug]l ist angenehm.

,,Travelling by train is pleasant.",,Mit dem Zug zu reisen ist angenehm."

Die Beschränkung dieser nicht spezifizierten Interpretation auf be-lebte Gegenstände ist in Sätzen wie (55) illustriert, wo wir den Satz inder Bedeutung verstehen können, daß es für eine Person unüblich ist,zu Boden zu fallen, aber nicht in der, daß es für einen Stein nicht üblichist. zu Boden zu fallen:

120 121

(f,f, |

To fall to the ground is unusual...Zu Boden zu fallen ist unüblich."

Dasselhe gilt für andere Sprachen, wie im entsprechenden spanischenBeispiel Caer al suelo no es comün (,,To fall to the ground is notcommon"l,,Zu Boden zu fallen ist nicht üblich").

In seiner semantischen Funktion ist PRO teils den Pronomina, teilsden Anaphern wie etwa den Reflexiva ähnlich. Wie ein Reflexiv undim Unterschied zu einem Pronomen ist es notwendigerweise gebun-

den, falls ein Antezedens vorhanden ist, wie z.B. in (52b) und (53b),wo es unmöglich ist, den Satz mit der unspezil'ischen Interpretation vonPRO, die wir in (54) und (55) finden, zu verstehen. Wie ein Pronomen,aber im Unterschied zu einem Reflexiv kann PRO frei sein, wenn keinAntezedens vorhanden ist. (Tatsächlich gilt etwas ähnliches für das spa-nische reflexive Klitik se, das eine unspezifische Interpretation ohneAntezedens haben kann, wie in Se habla inglds aqui (,,Hier sprichtman Englisch", Hier wird Englisch gesprochen"), aber das gilt für Re-flexive in anderen Sprachen im allgemeinen nicht, und auch in diesemFall ist die Lage komplexer). PRO unterscheidet sich auch insofern vonoverten Pronomina und pro, als es keinen Kasus benötigt und daher alsdas Subjekt eines Infinitivs auftreten kann - und in der Tat auf genau

diese Position beschränkt ist. Vermutlich stehen all diese Eigenschaftenmiteinander in Beziehung, aber wie, wissen wir bislang nicht genau.

Wir können nun auf die Konstruktion (28) zurückkommen:

(28)

Juan cree estar enfermo.Juan believes to be sick.

,Juan glaubt, krank zu sein."

Wie wir vorhin gesehen haben, wird dieser Satz nicht durch Anhebungund un ter entsprechender Hi nterlassung ei ner Spur al s Subjekt v on e s targebildet. Offensichtlich ist die Struktur von (28)

(s6)

Juan cree [PRO estar enfermo].Juan believes IPRO to be sick].,,Juan glaubt IPRO krank zu sein]."

Hier bilden Juan und PRO jedes eine Kette mit einem einzigen Mit-glied. Jede dieser Ketten hat ihre cigene semantische Rolle, und wieerfbrderlich hrt, Juan Kasus und PRO nicht. Da ein Antezedens für

PßO verfügbar ist, nämlich Juan, rnuß PRO als von ufuan gebunden

verstanden werden und nicht wie in dent eben diskutierten Fall mit der

unspezifischen Interpretation (das heißt, in der Bedeutung,Juan glaubt

von irgendjemandem, daß er krank ist").Im Englischen kommen Konstruktionen wie (28) nicht vor; das heißt,

(56) ist keine mögliche Konstruktion des Englischen. Das ElementPROkann, wie wir gesehen haben, im Englischen als das Subjekt eines Infi-nitivs erscheinen, allerdings nicht in Konstruktionen wie (56). Um den

Inhalt von (28) auszudrücken, müßte das Englische folgenden Ausdruckverwenden:

(s7)

John believes [himself to be sickl.,,John glaubt IPRO krank zu sein]."

Rufen wir uns ins Gedächtnis, daß diese Konstruktion im Englischen

edaubt ist, ebenso wie etwa die folgenden:

(s8)a. John believes [Bill to be intelligent].

John glaubt [Bill sein intelligentl.

,,John glaubt, dal3 Bill intelligent ist."

b. John expects [Bill to win the race].John erwartet [Bill gewinnen das Rennen].

,,John erwartet, daJS Bill das Rennen gewinnt."

c. John caused [the book to fall to the floor].John verursachte [das Buch fallen aufden Boden].

,,John lie/3 das Buch auf den Boden fallen."

Konstruktionen wie (57) und (58) sind im Englischen gestattet, weildas Englische einen Mechanismus besitzt, der es dem Hauptverb er-

Iaubt, seinen Akkusativkasus dem Subjekt des eingebetteten Inllnitiv-satzes zuzuweisen; da ihm dieser Mechanismus fehlt, läßt das Spani-

sche solche Außerungen nicht zu. Es ist genau dieser Unterschied zwi-

schen dem Englischen und dem Spanischen, der im Englischen in den

122 123

Konstruktionen (28)/(56), (57) und (58) PRO von der infinirivischenSubjektposition ausschließt, im Spanischen dagegen PRO in dieserPosition zuläßt: es ist nämlich eine typische Eigenschaft von PRO, daßes nicht in Positionen erscheint, denen Kasus zugewiesen ist. Es gäbenoch eine Menge über diese Fragen zu sagen, aber das würde uns inandere Bereiche führen, die ich hier nicht untersuchen kann.

Die unterschiedlichen Eigenschaften von pro und PRO haben eineReihe von Konsequenzen. Man betrachte die Sätze

(se)a. El que $ueval es agradable.

The that [rains] is pleasant.Der daß [regnet] ist angenehm.

,,lt is pleasant that it rains.",,Es ist angenehm, dalS es regnet."

b. El fllover] es agradable.The [to rain] is pleasant.Der [regnen] ist angenehm.

,,lt is pleasant for it to rain.",,Das Regnen ist angenehm."

Der erste Satz ist akzeptabel, der zweite nicht (das Englische weist hierkeine genau analogen Ausdrücke auf, da es keine ähnlichen Mechanis-men besitzt, um aus Sätzen Nominalphrasen zu bilden). Der durch Klam-mern markierte finite Satz in (59a)hatpro als Subjekt; derdurch Klam-mern markierte Infinitivsatz in (59b) hat PRO zum Subjekt. Folglichsind die Strukturen dieser Sätze jeweils (60a) und (60b):

(60)

a. pro llueva.pro rains.pro regnet.

b. PRO llover.PRO to rain.PRO regnen.

Die spanische Form (60a) ist sowohl in (59a) als auch für sich stehendakzeptabel; die entsprechende Form im Französischen oder Englischen

oder Deutschen würde ein overtes Pronomen verwenden: Il pleut, It israining, Es regnet. PRO in (60b) dagegen kann keine Interpretationerhalten. Es hat kein Antezedens, und es kann sich in dieser Konstruk-tion nicht aufeine nicht näher bezeichnete Person (oder einen belebtenGegenstand) beziehen. Daher ist die Konstruktion unmöglich. Dem-entsprechend kann die englische Übersetzung von (59b) lauten ,,It ispleasant for it to rain," aber nicht,,It is pleasant to rain" mit der Struktur

,,It is pleasant IPRO to rainl." Dafor-to Infinitive kein spanisches Ge-genstück haben, kann der gemeinte Gedanke im Spanischen nicht mit-tels einer infinitivischen Konstruktion ausgedrückt werden. [Auch inder in (59b) gegebenen deutschen Übersetzung ,,Das Regnen..." haben

wir keinen Infinitivsatz vor uns; bei Regnen handelt es sich nicht umeinen Infinitiv, sondern um ein substantiviertes Verb. A.d.Ü.1

Der Unterschied zwischen pro und PRO wird weiter illustriert inSätzen, in denen Verben wie pedir vorkommen, die ein Subjekt, einObjekt und einen Komplementsatz nehmen, der wie gewöhnlich finitoder infinitivisch sein kann:6

(6r)a. Maria le piditd a Juan que [hablara con los muchachos].

Maria him-asked to Juan that [he/she-speak with the boys].Maria ihn-bat zu Juan daß [erlsie-spreche mit den Jungen].

,,Maria requested of Juan that Ihe/she speak to the boys].",,Maria verlangte von Juan dalS [er/sie mit den Jungen spricht]."

b. Maria le pidi6 a Juan [hablar con los muchachos].Maria him-asked to Juan [to-speak with the boys].Maria ihn-fragte zu Juan [reden mit den Jungen].

,,Maria asked Juan to speak to the boys.",,Maria bat Juan, mit den Jungen zu sprechen."

(61a) kann man so verstehen, daß das Subjekt von hablara (,,sprechen")Maria,luan oder auch irgend sonst jemand ist, der durch die Gesprächs-

situation bestimmt wird. Dies liegt daran, daß in der mentalen Reprä-sentation das Subjekt vonhablarapro ist, das bis auf dieTatsache, daß

es nicht ausgesprochen wird, ein normales Pronomen ist, und ein Pro-nomen verfügt über den Bereich der eben angeführten referentiellenMöglichkeiten. Aber Satz (61b) hat im Spanischen nur eine einzige In-terpretation: Maria muß als das Subjekt von hablar verstanden wer-den. Hier ist das Subjekt von hablar in der mentalen Repräsentation

124 t25

PRO, und es ist eine sernantische Eigenschaft des Verbspedir, daß das

PRO-Subjekt seines Komplements von dem Subjekt von pedfr selbstgebunden sein muß. So verhält es sich zum Beispiel auch in der engli-schen Konstruktion ,,Maria asked permission of Juan to speak to theboys" (,,Maria bat Juan um die Erlaubnis, mit den Jungen zu sprechen"),in der Maria das Subjekt von speak (,,sprechen") sein muß. Aber derenglische Satz und auch der deutsche Satz in (6lb) werden anders in-terpretiert als der spanische Satz, dessen möglichst getreue Nachbil-dung sie sind. Im Englischen/Deutschen würde Juan in (61b) norrna-ferweise als das Subjekt von speaklsprechen, das heißt, als dasAntezedens des PRO-Subjekts von speak/sprechen verstanden. DieVerben ped{r auf der einen und asft bzw. bitten auf der anderen Seiteweisen also in ihren syntaktisch-semantischen Eigenschaften gewisseUnterschiede auf.

Nehmen wir an, wir haben anstelle von (61) die Sätze

(621

a. Juan les pidiö a los compaffenos que [estuvieran callados].Juan them-asked to the pals that [they-be quiet].Juan sie-bat zu den Kameraden daß [sie-seien still].,,Juan asked his pals that they be quiet.",,Juan bat seine Kameraden, daJS sie still sein ntöchten."

b. Juan les pidi6 a los compafieros [estar callados].Juan them-asked to the pals [to be quiet (Pl.)].Juan sie-bat zu den Kameraden [sein still (Pl.)].

,Juan asked his pals to be quiet (Pl.).",,Juan bat seine Kameraden, still (Pl.) zu sein."

In (62) muß das pro-Subjekt des Pluralverbs estuvieran ebenfalls Plu-ral sein, also ist es entweder durch /os compafieros gebunden oder fieiund bezieht sich dann auf irgendwelche Personen, die außerhalb des

Satzes identifiziert werden. Juan ist in diesem Fall wegen der Nicht-übereinstimmung des Numerus kein mögliches Antezedens. In (62b)muß das PRO-SubjekI von estar wieder vom Subjekt des Hauptsatzes,

Juan, gebunden werden. Aber wenn dem so ist, dann kann callados,das im Plural steht, keines der Nomina modifizieren. Es kann das PRO-Subjekt von estar nicht modifizieren, das ja im Singular steht, und es

kann auch los compafieros nicht modifizieren, das sich außerhalb sei,nes Satzes befindet. Daher hat der Satz keine Interpretation. Im Gegen-

satz dazu kann (und wird normalerweise) im Englischen das PRO-Sub-jekt von ,,to be quiet" das Objekt,,his pals" zum Antezedens nehmen(und natürlich kommt noch hinzu, daß am Adjektiv kein Numerus mar-kiert ist). Obwohl also der spanische Satz (62b) keine Interpretationerhält, hat das ganz analoge englische Gegenstück eine völlig klare In-terpretation.

Beispiele dieser Art zeigen den Unterschied zwischen PRO und pro.Zum Zw eck der Unterscheidun g zwisch en P RO und Spuren wollen wirnoch einmal den Satz (25) betrachten:

(25)

Juan parece [l conocerlo bien a 6l].Juan seems [t to-know-him well to him].Juan scheint p kennen-ihn gut zu ihml.,,Juan seems to know him well.",,Juan scheint ihn gut zu kennen."

Hier ist / die Spur von Jusn, so daß wir die Kette (Juan,l) haben.Wenn wir anstelle des diskontinuierlichen Pronomens in der drittenPerson lo-öl das Reflexivpronomen gewählt hätten, hätten wir

(63)

Juan parece [l conocerse bien a si mismo].Juan seems [/ to-know-himself well to himselfl.Juan scheint [/ kennen-sich gut zu sich].,,Juan seems [t to know himself well].",,Juan scheint [t sich gut zu kennen]."

Hier ist das Antezedens der diskontinuierlichen Form se-si mismo dieSpur l, d.h. letzten Endes Juan. Atrnlich ist in cler englischen Überset-zung dasAntezedens des Reflexivs himself diein der Übersetzung ehen-falls angegebene Spur/, letztlich alsoJuan, das Antezedens dieser Spursowie Kopf der Kette (Juan,l) ist, die ihrerseits die abstrakte Reprä-sentation v on J uan darstellt.

Ganz anders verhält sich die Lage, wenn wir anstelle der Spur als

Subjekt des eingebetteten Infinitivsatzes PRO haben. Sehen wir unsdie Beispiele (64) und (65) an, die oberflächlich denen mit dem Haupt-v erb parecer ähnlich scheinen:

t26 121

(u)Juan nos mandaba [PfiO conocerlo mejor a 6l].Juan us-asked IPRO to-know-him better to him].Juan uns-bat [PRO kennen ihn besser zu ihm].,,Juan asked us to know him better",,Juan bat uns, ihn besser zu kennen (ungeftihr i.S. von erkennen, ver-ste hen, e insc hritzen, A.d. Ü. ). "

(6s)

Juan nos mandaba [PRO conocerse mejor a si mismo].Juan us-asked IPRO to-know-himself better to himselfl.Juan uns-fragte IPRO kennen sich besser zu sichl.,,Juan asked us to know himself better",,Juan bat uns, sich besser zu kennen/einzuschcitzen."

Der erste der beiden Sätze, (64), ist wohlgeformt, der zweite, (65), istes nicht, trorz der ziemlich srarken Ahntichkeit mit Beispiel (63), das

sich von (65) darin unterscheidet, daß eine Spur, nicht PRO das Sub-jekt des eingebetteten Satzes ist. Wie ist das zu erklären?

Wir wissen, daß die leere Kategorie in (65) PRO ist, keine Spur. DerGrund dafür ist, daß das Subjekt des Hauptsatzes eine unabhängige se-mantische Rolle hat, so daß nichts in diese Position bewegt wordensein kann, da andernfalls die vorhin konstatierte Bedingung für Ketten-bildung verletzt würde. Das Verb mandar hat im Unterschied zu pedirdie lexikalische Eigenschaft, daß sein Objekt und nicht sein Subjektdas PRO-Subjekt seines Satzkomplements bindet (es ähnelt also in die-ser Hinsicht dem englischen as/r in dessen normaler Verwendung). DasObjekt von mandaba in (64) und (65) ist das Klitik zos, das wie ge-wöhnlich aus seiner postverbalen Position vor das Verb bewegt wurde.Also wird in diesen Sätzen PRO von nos gebunden. In (64) wird nos,nicht Juan als das Subjekt von conocer verstanden, weil es nos ist, das

das PRo-Subjekt von conocer bindet. Also ist die Bedeutung von (64)

,Juan bat uns, daß wir ihn besser kennen."Wenn wir uns (65) zuwenden, sehen wir wieder, daß nos PRO bin-

det, das seinerseits das Antezedens des Reflexivs se-st mismo ist. Aberda PRO jetzt (da von nos - ,,uns" -gebunden) in der ersten Person Plu-ral ist, kann es das in der dritten Person Singular stehende Reflexiv se-si mismo nicht binden, und Satz (65) erhält keine Interpretation. Ob-wohl (63), mit einer Spur als Subjekt vonconocer, ein akzeptabler Satzist, gilt das für (65) mit PRO als Subjekt von conocer nichr.

Nehmen wir an, wir hätten in (65) das Reflexiv der ersten PersonPlural statt das der dritten Person Sinsular. also

(66)

Juan nos mandaba [PRO conocernos mejor a nosotros mismos].Juan us-asked IPRO to-know-us better to ourselvesl.Juan uns-bat [PRO kennen besser zu uns-selbst].

,,Juan asked us to know ourselves better",,Juan bat uns, uns besser zu kennen/einzuscluitzen."

Wieder istPAO durch das Objektzos des Hauptverbs mandaba gebun-den, und PRO ist das Antezedens des diskontinuierlichen Reflexivs zos-nosotros mismos (,,uns (selbst)"). Aber nunmehr ist der Satz akzepta-bel, jedenfalls mit der hier gegebenen Interpretation.

Halten wir fest, daß in diesen Beispielen ein Unterschied hinsichrlich der Zuweisung semantischer Rollen einen Unterschied in der Wei-se, in der Anaphern gebunden werden können, bewirkt. Weil parecerseinem Subjekt keine semantische Rolle zuweist, kann das Subjekt sei-nes Komplements in diese Position angehoben werden, und es kann einReflexiv im Komplementsatz binden. Aber mandar weist seinem Sub-jekt eine semantische Rolle zu, so daß das Subjekt seines Komplement-satzes nicht in diese Position angehoben werden kann. Das Subjekt desInfinitivkomplements muß PRO sein und muß seinerseits ein Reflexiv

- sofern eines in diesem Satz erscheint - binden. Da das Subjekt vonmandar PRO nicht bindet, kann es nicht als Antezedens eines Reflexivsim Komplementsatz dienen.

Im ganzen Verlauf unserer Erörterung finden wir lllustrationen vonPlatos Problem, Illustrationen, die immer komplexer werden, je weiterwir voranschreiten. Eine Person, die eine menschliche Sprache beherr-schen gelernt hat, hat ein Wissenssystem entwickelt, das reich und kom-plex ist. Dieses kognitive System liefert spezifische und genaue Kennt-nis über vielerlei verwickelte und überraschende Fakten. Es scheint,daß der Geist unter Verwendung mentaler Repräsentationen einer spe-

zifischen Form präzise Rechenoperationen durchführt, mittels derer ohne

bewußtes Nachdenken oder Überlegen präzise Schlußfolgerungen überSachverhalte von nicht geringer Komplexität eneicht werden. Die Prin-zipien, die das Wesen der mentalen Repräsentationen bestimmen sowiedie Operationen, die auf letztere angewendet werden, stellen einen zen-tralen Teil unserer biologisch festgelegten Natur da. Sie bilden dasmenschliche Sprachvermögen, das man als ein ,,Organ des Geistes/Ge-

r28 129

hirns" ansehen könnte. Insoweit unsere Forschung die ofi überraschen-den Eigenschaften dieses ,,Organs" enthüllt, versetzt sie uns immer bes-ser in die Lage, an Platos Problem heranzugehen und es zu lösen unddarüber hinaus, zumindest teilweise zu verstehen, wie wir imstande sind,Sprache im normalen Leben in der Weise zu verwenden, wie wir dastun. Noch nicht angesprochen haben wir bisher Descartes problem, dasProblem, das sich durch den keativen Aspekt des Sprachgebrauchs stellt.Über diese und weitere Fragen, die am Horizont unseres Verständnis-ses (oder jenseits davon) liegen, werde ich im nächsten Kapitel spre-chen.

Anmerkungen

I Um die Darstellung zu vereinfachen, übersetze ich diese Konstruktionen nun als vol-le englische Infinitivkonstruktionen, statt wie bisher die reduzierte Form ,,Maria matJe(had) the teacher examine us" ohne to zu verwenden; im Spanischen gibt es dieseUnterscheidung nicht. Aus Gründen, die ich hier nicht diskutiere, ist der Satz natürli-cher, wenn das Klitik /e vor ftuo eingefügr wird.

2 Wir haben es hier, wie in schon früher besprochenen Beispielen, mit der ,,diskontinu-ierlichen" pronominalen Forn lo-öl zu tun.

3 Englisch und Spanisch unterscheiden sich in den lexikalischen Eigenschaften der Wör-ter alrededor tnd around, das im Englischen Kasus zuweist. Ein paralleles engli-sches Beispiel wäre out, wie in ,,1 left the example out," ,,1 left the example out of mytalk," aber nicht ,,1 left the example out my talk."

4 (DieBeispielemitderwiirtliL.henÜberserzungvonhappy,,,glücklich,,,stellensicherkeine optimalen deutschen Sätze dar Man könnte die Sdtze verbessern. intlent manstatt des Adjektivs einen Prcipositionalausdruck wie ,,in bester ltune" o.ä. verwen-det. A.d.Ü.)

5 Dies entspricht auch der Bedeutung. Der Inhalt ihrer Hoffnung in (52) ist, daß sie dasTleffen glücklich zu Ende bringen werden. Die Bedeutung besag also, daß happyin (52b) tatsächlich nicht das offen ausgedrückte Subjekt they modifiziert, sondemPRO.

6 Die le - a Juan-Konstruktion ist der in früheren Beispielen illustrierten diskontinu-ierlichen Pronominalkonstruktion /o - ll ziemlich ähnlich; in all diesen Fällen fügtdas Spanische dem Verb ein mit dem direkten, oder in diesem Fall indirekten. Obiektdes Veös assoziiertes Klitik bei.

vAusblick:

Die Zukunft der Effirschung des Geistes

Ich begann diese Vorlesungen, indem ich vier zentrale Fragen stellte,die sich bei der Untersuchung der Sprache ergeben:

1. Was wissen wir, wenn wir f?ihig sind, eine Sprache zu spre-chen und zu verstehen?2. Wie wird dieses Wissen erworben?3. Wie verwenden wir dieses Wissen?4. Was sind die physischen Mechanismen, die an derRepräsenta-tion, dem Erwerb und dem Gebrauch dieses Wissens beteiligtsind?

Die erste Frage hat logische Priorität vor den anderen. Wir können mitder Untersuchung der Fragen 2, 3 und 4 in dem Maß vorankommen,wie wir ein Verständnis der Antwort auf Frage l gewonnen haben.

Die Aufgabe der Beantwortung von Frage I ist im wesentlichendeskriptiv: wir versuchen dabei, eine Grammatik zu konstruieren, eineTheorie derjeweiligen Sprache, die beschreibt, wie diese Sprachejedersprachlichen Außerung spezifi sche mentale Repräsentationen zuschreibtund auf diese Weise die Form und Bedeutung der Außerung bestimmt.Die zweite und weitaus schwerere Aufgabe führt uns darüber hinausauf die Ebene der echten Erklärung. Hierbei versuchen wir, eine Theo-rie der Universalgrammatik zu konstruieren, eine Theorie der festste-henden und invarianten, das menschliche Sprachvermögen konstituie-renden Prinzipien sowie der mit ihnen verbundenen Variationsparameter.Wir können dann die einzelnen Sprachen letztlich herleiten, indem wirdie Parameter in der einen oder anderen Weise festlegen. Darüber hin-aus können wiq bei Gegebenheit des Lexikons (das ebenfalls den Prin-zipien der Universalgrammatik gehorcht) und sobald die Parameter aufeine bestimmte Weise festgelegt sind, erklären, warum die Sätze der inFrage stehenden Sprachen die Form und Bedeutung haben, die sie tat-sächlich haben, indem wir ihre strukturierten Repräsentationen aus denPrinzipien der Universalgrammatik ableiten.

Frage 2 ist der Spezialfall von Platos Problem, der sich beim Studi-um der Sprache stellt. Wir können das Problem in dem Maß lösen, in

r30 l-31

dem es uns gelingt, die Theorie der Universalgrammatik zu konstruie-ren, wenngleich noch weitere Faktoren von Bedeutung sind, so zumBeispiel die Mechanismen, mittels derer die Parameter f'estgelegt wer-den. Weitere besondere Fälle von Platos Problem auf anderen Gebietenwerden auf weitgehend ähnliche Art angegangen werden müssen.

Sprachlernen ist demnach der Prozeß der Bestimmung der von derUniversalgrammatik offengelassenen Parameterwerte, oder der Einstel-lung der Schalter, die das Netzwerk funktionieren lassen, um das Bildzu nehmen, das ich schon einmal verwendet habe. Zusätzlich muß derSprachlernende sich die lexikalischen Elemente der Sprache aneignenund ihre Eigenschaften entdecken. Zu einem großen Teil scheint diesnur das Problem zu sein, herauszufinden, welche Bezeichnungen fürbereits vorhandene Konzepte verwendet werden, eine Schlußfolgerung,die so überraschend ist, daß sie uns unerhört vorkommt, die aber nichts-destoweniger im wesentlichen richtig zu sein scheint.

Das Erlernen der Sprache ist also nicht wirklich etwas, was das Kindtut; es ist etwas, was dem Kind geschieht, wenn es sich in einer ange-messenen Umgebung befindet, so wie auch der Körper des Kindes ineiner vorbestimmten Weise wächst und reift, wenn er mit angemesse-ner Nahrung und Stimulierung durch die Umwelt versorgt wird. Damitsoll nicht gesagt werden, daß die Art der Umgebung gleichgülrig isr.Die Umgebung bestimmt die Art, auf die die Parameter der Universal-grammatik festgelegt sind, woraus unterschiedliche Sprachen resultie-ren. Auf teilweise ähnliche Weise bestimmt die frühe visuelle Umge-bung die Dichte der Rezeptoren für horizontale und vertikale Linien,wie experimentell gezeigt worden ist. Zudem kann der Unterschiedzwischen einer reichen und stimulierenden Umgebung und einer ver-gleichsweise dürftigen Umgebung erheblich sein, im Spracherwerb wieim physischen Wachstum - oder genauer gesagt, anderen Aspekten desphysischen Wachstums, denn der Erwerb der Sprache ist nichts anderesals einer dieser Aspekte. Fähigkeiten, die Teil unserer gemeinsamenmenschlichen Ausstattung sind, können aufblühen oder eingeschränktund unterdrückt werden, je nach den Bedingungen, die für ihr Wachs-tum zur Verfügung stehen.

Dieser Punkt hat vermutlich allgemeinere Bedeutung. Es ist eine tra-ditionelle Einsicht, die mehr Beachtung verdient als sie bekommt, daßLehren nicht mit dem Füllen einer Flasche mit Wasser verglichen wer-den sollte, sondern eher mit der Hilfe, die man einer Blume gibt, aufihre eigene Weise zu wachsen. Wie jeder gute Lehrer weiß, sind dieUnterrichtsmethoden und die Skala des behandelten Materials versli-

chen mit dem Erfolg bei der Erweckung der natürlichen Neugier derSchüler und der Stimulierung ihres Interesses an eigener ErforschungAngelegenheiten von geringer Bedeutung. Was der Schüler passiv lernt,ist schnell vergessen. Was Schüler für sich selbst entdecken, sobald ihrenatürliche Neugier und kreativen Impulse erweckt sind, wird nicht nurbehalten werden, sondern auch die Grundlage für weitere Forschungund Untersuchung, und vielleicht sogar bedeutsame intellektuelle Bei-träge bilden. Dasselbe gilt in Bezug auf Fragen, die ich in der parallellaufenden Reihe von Vorlesungen über soziale und politische Themen(siehe Vorwort) behandelt habe. Eine wirklich demokratische Gemein-schaft ist eine solche, in der die breite Öffentlichkeit die Möglichkeit zusinnvoller und konstruktiver Teilnahme an der Gestaltung der gesell-schaftlichen Politik hat: in ihrer eigenen unmittelbaren Gemeinschaft,am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft als ganzer. Eine Gesellschaft,die weite Bereiche der ausschlaggebenden Entscheidungsprozesse vonöffentlicher Kontrolle ausschließt, oder ein Regierungssystem, das derBevölkerung lediglich die Möglichkeit einräumt, Entscheidungen zuratifizieren, die von den Elitegruppen, die die private Gesellschaft undden Staat beherrschen, getroffen wurden, verdient kaum den Namen

,,Demokratie."Frage 3 hat zwei Aspekte: den Wahrnehmungsaspekt und den

Produktionsaspekt. Das heißt, wir würden gerne wissen, wie Menschen,die eine Sprache erworben haben, ihr Wissen beim Verstehen dessen,was sie hören und beim Ausdrücken ihrer Gedanken zur Anwendungbringen. Den Wahrnehmungsaspekt der Frage habe ich in diesen Vorle-sungen kurz gestreift. Aber ich habe bis jetzt noch nichts über denProduktionsaspekt gesagt, das, was ich Descartes Problem genannt habe,das Problem, das sich durch den kreativen Aspckt des Sprachgebrauchs,ein normales und alltägliches, aber sehr bemerkenswertes Phänomenstellt. Damit eine Person eine sprachliche Außerung verstehen kann,muß das Gehirn/der Geist ihre phonetische Form und ihre Wörter be-stimmen und dann die Prinzipien der Universalgrammatik und die Wer-te der Parameter verwenden, um eine strukturierte Repräsentation die-ser Außerung zu gewinnen und zu bestimmen, wie ihre Teile miteinan-der verbunden sind. Ich habe eine Reihe von Beispielen gegeben, umzu illustrieren, wie dieser Prozeß aussehen könnte. Descartes Problemwirft jedoch weitere Fragen auf, die jenseits von allem liegen, was wirbisher diskutiert haben.

Ich habe nichts in Bezug auf Frage 4 gesagt. Die Untersuchung die-ses Problems ist weitgehend eine Aufgabe der Zukunft. Ein Teil des

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Problems für das Projekt einer derartigen Untersuchung ist, daß Expe-rimente mit menschlichen Versuchsobjekten aus ethischen Gründenausgeschlossen sind. Wir tolerieren die experimentelle Untersuchungvon Menschen nicht auf die Weise, wie sie (zurecht oder zu unrecht) imFall von Tieren als Versuchsobjekten als legitim angesehen wird. Sowerden zum Beispiel Kinder nicht in kontrollierten Umgebungen auf-gezogen, um zu sehen, welcheArt von Sprache sich unter diversen ex-perimentell ausgearbeiteten Bedingungen entwickeln würde. Wir er-lauben Forschern nicht, Elektroden ins menschliche Gehirn einzupflan-zen, um seine inneren Operationen zu untersuchen, oder Teile des Ge-hirns chirurgisch zu entfernen, um herauszufinden, was die Auswirkun-gen sein würden, wie das routinemäßig im Fall nichtmenschlicherVersuchsobjekte getan wird. Die Forscher sind auf die ,,Experimenteder Natur" beschränkt: Verletzung, Krankheit und so weiter. Unter die-sen Bedingungen zu versuchen, Mechanismen des Gehirns zu entdek-ken, ist außerordentlich schwierig.

Im Fall anderer Systeme des Geistes/Gehirns, wie zum Beispiel desvisuellen Systems des Menschen, ist das experimentelle Studium ande-rer Organismen (Katzen, Affen usw.) äußerst informativ, weil das visu-elle System anscheinend bei all diesen Arten inklusive des Menschensehr ähnlich ist. Aber soweit wir wissen, ist das Sprachvermögen einausschließlicher Besitz des Menschen. Das Studium der Hirn-mechanismen anderer Tiere sagt uns wenig oder nichts über dieses Ver-mögen des Geistes/Gehirns.

Die Antworten auf diese vier Fragen, die wir heute zu geben geneigtsind (oder zumindest meinerAnsicht nach heute zu geben geneigt seinsollten), sind deutlich verschieden von denen, die noch vor einer Gene-ration fast völlig ohne Widerspruch akzeptiert wurden. Insoweit dieseFragen überhaupt gestellt wurden, hätten die Antworten damals unge-f,ähr wie folgt ausgesehen: Sprache ist ein Gewohnheitssystem, ein Sy-stem von Verhaltensneigungen, das durch Übung und Konditionierungerworben wird. Innovative Aspekte dieses Verhaltens, soweit vorhan-den, sind das Resultat von ,,Analogie". Die physischen Mechanismensind im wesentlichen dieselben, die auch am Fangen eines Balls untlsonstigen Geschicklichkeitsleistungen beteiligt sind. Platos Problemwurde nicht erkannt oder als trivial abgetan. Es wurde allgemein ge-glaubt, daß Sprache,,übererlernt" ist; das Problem besteht dann darin,Rechenschaft für die Tatsache zu geben, daß so viel Erfahrung undÜbung nötig sind, um so einfache Fertigkeiten zustande zu bringen.Was Descartes Problem betrifft, so wurde es in akademischen Kreisen.

den angewandten Disziplinen und von den Intellektuellen insgesamtebcnfalls nicht gesehen.

Aufmerksamkeit gegenüber den Tatsachen zeigt schnell, daß diese

Ideen sich nicht nur im Irrtum befinden, sondern hoffnungslos an derSache vorbeigehen. Sie müssen als im wesentlichen wertlos aufgege-ben werden. Man muß sich dem Bereich der ldeologie zuwenden, umvergleichbare Beispiele für eine so weitverbreitet und fraglos akzep-tierte und dabei derart von der realen Welt losgetrennte Ansammlungvon Ideen zu finden. Und tatsächlich ist das die Richtung, an die wiruns halten sollten, wenn wir daran interessiert sind, herauszufinden,wie und warum diese Mythen die ihnen zugebilligte Respektabilitäterreichten, wie sie dahin kamen, einen derart großen Teil des intellektu-ellen Lebens und Diskurses zu beherrschen. Das ist eine interessante

Thematik, die es sehr wert wäre, weiterverfolgt zu werden, aber ichwerde diesem Projekt, abgesehen von einigen Kommentaren, die ichspäter machen werde, hier nicht nachgehen. Wenn wir uns daran ma-chen würden, würden wir uns, denke ich, auf dem Gebiet der zweitenReihe von Vorlesungen, die ich hier in Managua halte, wiederfinden(siehe Vorwort).

Kehren wir jetzt zu Descartes Problem zurück, der Frage, wie Spra-che in der normalen, kreativen Weise, wie ich sie weiter oben beschrie-ben habe, gebraucht wird. Ich bin hier natürlich nicht mit einem Ge-brauch von Sprache befaßt, der echten ästhetischen Wert hat, mit dem,was wir wahre Kreal.ivität nennen, wie im Werk eines hervorragendenDichters oder Romanciers oder eines außergewöhnlichen Stilisten. Was

ich hier meine, ist etwas Profaneres: die gewöhnliche Verwendung derSprache im Alltagsleben mit den frir sie charakteristischen Eigenschaf-ten, nämlich Neuartigkeit der Außerung. Freiheit von Kontrolle durchäußere Stimuli und innere Zustände, innerer Zusammenhang undSituationsangemessenheit, sowie die Fähigkeit, entsprechende Gedan-ken im Zuhörer hervorzurufen. Die Geschichte dieses Problems ist voneinigem Interesse.

Die Fragestellung erhob sich im Kontext des Geist-Körper-Problems,oder spezifischer dessen, was später ,,the problem of other minds" -das Problem der Existenz von Geist in anderen oder das ..Problem des

Fremdbewußten" - genannt wurde. Descartes entwickelte eine mecha-nische Theorie des Universums, die einen grundlegenden Beitrag zurNaturwissenschaft seiner Zeit darstellte. Er gelangte zu der Überzeu-gung, daß so gut wie alles, was im Universum unserer Erfahrung statt-findet, mit Hilfe seinermechanischen Konzeptionen erklärt werden kann,

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mit Hilfe von Körpern, die durch direkten Kontakt interagieren - einer,,Kontaktmechanik," wie wir sie nennen könnten. In diesen Begriffensuchte er alles zu erklären, von der Bewegung der Himmelskörper überdas Verhalten von Tieren bis hin zu einem Großteil auch des Verhaltensund der Wahrnehmung des Menschen. Er war anscheinend derAnsicht,daß ihm die Lösung dieser Aufgabe weitgehend gelungen war, und daßnunmehr nur noch die fehlenden Einzelheiten in seine allumfassendeKonzeption eingefügt werden mußten. Aber nicht all unsere Erfahrungkonnte mit diesem Rahmen vereinbart werden. Die eindrucksvollsteAusnahme war seines Erachtens das, was ich hier den kreativen Aspektdes Sprachgebrauchs genannt habe. Dieser liegt Descartes Argumenta-tion zufolge vollkommen jenseits der Konzepte der Mechanik.

Durch Introspektion kann jede Person wahrnehmen, daß er oder sieeinen Geist besitzt, der in seinen Eigenschaften von den Körpern, diedie physikalische Welt bilden, ziemlich verschieden ist. Nehmen wirnun an, daß ich herausfinden möchte, ob ein anderes Wesen ebenlällseinen Geist besitzt. Die Cartesianer schlugen vor, daß man in diesemFall ein bestimmtes experimentelles Programm zur Anwendung brin-gen sollte, das darauf angelegt ist, herauszufinden, ob dieser Organis-mus charakteristische Merkmale des menschlichen Verhaltens an denTag legt, von denen wiederum der kreative Aspekt des Sprachgebrauchsdas eindrucksvollste und auch am leichtesten zu untersuchende Bei-spiel ist. Wenn die Organe eines Papageien unter gegebenen Stimulus-bedingungen in eine bestimmte Ausgangsanordnung gebracht werden,so argumentierten die Cartesianer, dann ist das, was der Papagei ,,sagt",streng determiniert (oder es kann zufällig sein). Aber das gilt nicht füreinen Organismus mit einem Geist wie dem unseren, und Experimentesollten in der Lage sein, diese Tatsache zu enthüllen. Eine Vielzahl spe-zifischer Tests wurde vorgeschlagen. Wenn diese Tests uns davon über-zeugen, daß der Organismus den kreativen Aspekt des Sprachgebrauchsaufweist, dann wäre es unvernünftig, daran zu zweif'eln, daß er einenGeist wie den unseren hat.

Allgemeiner gesprochen besteht das Problem, wie ich bereits erwähn,te, darin, daß eine ,,Maschine" bei festgelegten Bedingungen der Um-gebung und einer genau definierten Weise der Anordnung ihrer Teilegezwungen ist, auf bestimmte Art zu agieren, während ein Mensch un-ter diesen Bedingungen lediglich ,,angeregt und geneigt" ist, sich aufdiese Weise zu verhalten. Der Mensch mag oft oder sogar immer tun,was er angeregt oder geneigt ist, zu tun, aberjeder von uns weiß durchIntrospektion, daß wir in dieser Frage innerhalb eines weiten Bereichs

eine Wahl haben. Und wir können experimentell feststellen, daß diesfür andere Menschen ebenfalls gilt. Die Cartesianer schlußfolgerten ganz

zu Recht, daß der Unterschied zwischen gezwungen sein und angeregtund geneigt sein ein grundlegender ist. Die Unterscheidung würdegrundlegend bleihen, selbst wenn sie sich nicht im tatsächlichen Ver-halten manifestieren würde. Wenn sie dies nicht täte, könnte man einezutrelTende Beschreibung des menschlichen Verhaltens in mechanischenBegriffen geben, aber das wäre dennoch keine wahre Charakterisie-rung der wesentlichen Merkmale eines menschlichen Wesens und der

Quellen des menschlichen Verhaltens.Um die Tatsachen in der Welt, die über die Möglichkeiten mechani-

scher Erklärung hinausgehen, zu erklären, ist es notwendig, ein außer-mechanisches Prinzip zu finden, etwas, das wir als kreatives Prinzipbezeichnen könnten. Dieses Prinzip, so argumentierten die Cartesianer,gehört dem Geist an, einer ,,zweiten Substanz," die vollkommen vomKörper, der Gegenstand mechanischer Erklärungen ist, getrennt ist.Descartes selbst schrieb eine lange Abhandlung, in der er die Prinzipiender mechanischen Welt darlegte. Sie sollte einen dem Geist gewidme-ten Schlußband enthalten, aber angeblich vernichtete Descartes diesenTeil seines umfassenden Werks, als er vom Schicksal Galileos vor derInquisition erfuhr, die diesen zwang, seine Überzeugungen über diephysikalische Welt zu wiederrufen. In seinen erhaltenen Schriften legtDescartes nahe, daß wir möglicherweise nicht ,,genug Intelligenz besit-zen," um die Natur des Geistes zu entdecken, obwohl wir uns ,,der Frei-heit und Gleichgültigkeit IAbwesenheit strenger Determiniertheit], diein uns existiert, so bewußt sind, daß es nichts gibt, was wir klarer undvollkommener begreifen", und daß ,,es absurd wäre, an dem zu zwei-feln, das wir innerlich erfahren und in uns selbst als existierend wahr-nehmen, bloß weil wir eine Sache nicht begreifen, die wir von ihrerNatur her als unbegreiflich erkennen".

Für die Cartesianer ist der Geist eine einheitliche Substanz, die vomKörper verschieden ist. Ein Großteil der Spekulationen und Debattendieser Zeit befaßte sich mit der Frage, wie diese beiden Substanzeninteragieren - zum Beispiel, wie die Entscheidungen des Geistes zuHandlungen des Körpers führen könnten. So etwas wie einen ,,tieri-schen Geist" gibt es nicht, weilTiere bloß Maschinen sind, Gegenstand

mechanischer Erklärung. Es gibt in dieser Konzeption keine Möglich-keit eines menschlichen Geistes im Unterschied zu anderen Arten desGeistes, oder von unterschiedlich konstituierten Arten menschlichenGeistes. Ein Wesen ist entweder ein Mensch oder nicht; es gibt keine

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,,Grade des Menschseins", keine das Wesen betreffende Variation unterden Menschen, von oberflächlichen physischen Aspekten einmal abge-sehen. Wie der Philosoph Harry Bracken hervorgehoben hat, ist Rassis-mus oder Sexismus dieser dualistischen Auffassung zufolge eine logi-sche Unmöglichkeit.

Descartes vertrat die Ansicht, daß der Geist ,,ein universales Instru-ment" ist, ,,das für alle Wechselfälle dienen kann.,. Diese Behauptungist allerdings nicht mit seinem Glauben vereinbar, daß wir vielleichtnicht genug Intelligenz besitzen, um die Natur des Geistes zu entdek-ken. Die Schlußfolgerung, daß der Geist ihm innewohnende Grenzenhat, ist hier sicherlich die richtige; die Idee, claß er ein ,,universalesInstrument" ist, könnte als einer der vorläufer des weitverbreiteten Glau-bens angesehen werden, daß das menschliche Sprachvermögen unclandere kognitive Systeme sämtlich in den Rahmen ,,allgemeiner Lern-mechanismen" fallen, die auf jede intellektuelle Aufgabe anwendbarsind.

Die cartesianischen Tests für ,,the existence of other minds,,. d.h. dieExistenz des Geistes bei anderen, von ,,Fremdbewußtsein,., sind in denvergangenen Jahren in neuer Gestalt wieder zum Leben erweckt wor_den, in der bemerkenswertesten Form von dem britischen Mathemati-ker Alan Turing, der das entwarf, was man jetzt den Turing-Test nennt,um zu bestimmen, ob eine Maschine (zum Beispiel ein programmierterComputer) intelligentes Verhalten an den Tag legt. Wir wenden denTuring-Test auf eine Vonichtung an, indem wir ihr eine Serie von Fra-gen vorlegen und fragen, ob ihre Antworten einen menschlichen Beob-achter täuschen können, der in diesem Fall schließen wird, daß die Ant-worten von einem anderen menschlichen Wesen gegeben werden. Incartesianischen Begriffen wäre dies ein Test dafür, ob die Vonichtungeinen Geist wie den unseren hat.

Wie sollten wir uns heute zu diesen Ideen stellen? DescartesArgumentationsweise ist keineswegs absurd und kann nicht leichter-hand abgetan werden. Wenn tatsächlich die prinzipien der Mechaniknicht genügen, um bestimmte Phänomene zu erklären, dann müssenwir auf etwas jenseits dieser Prinzipien zurückgreifen, um sie zu erklä-ren. Das entspricht ganz dem üblichen wissenschaftliche Vorgehen. Esbesteht keine Notwendigkeit, die cartesianische Metaphysik zu akzep-tieren, die die Postulierung einer ,,zweiten Substanz", einer ,,denken-den Substanz" (res cogitans) erforderte, die undifferenziert ist, keineEinzelkomponenten oder interagierenden Teilelemente besitzt und derfür die ,,Einheit des Bewußtseins" und die Unsterblichkeit der Seele

verantwortliche Sitz des Bewußtseins ist. All das ist gänzlich unbefrie-digend und liefert keine wirkliche Antwort auf irgendeine der aufge-worf'enen Fragen. Die Fragen selbst sind jedoch sehr ernsthafter Natur,und es wäre, wie auch Descartes dachte, absurd, die Tatsachen zu be-streiten, die ftir uns offensichtlich sind, nur weil wir uns keinen Wegvorstellen können, diese Fragen zu lösen.

Es ist interessant, das Schicksal der cartesianischen Version des Geist-Körper-Problems und des Problems der Existenz von Geist bei anderenzu betrachten. Das GeisfKörper-Problem kann sinnvoll nur aufgewor-fen werden, insoweit wir eine eindeutige Konzeption von Körper ha-ben. Wenn wir keine derartige bestimmte und festgelegte Auffassunghaben, können wir nicht fragen, ob gewisse Phänomene außerhalb ih-res Bereichs fallen. Die Cartesianer boten ein recht klares Konzept desKörpers, nämlich mit Hilfe ihrer Kontaktmechanik, die in vieler Hin-sicht die Intuition des Alltagsverstands widerspiegelt. Daher konntensie das Geist-Körper-Problem und das Problem des Fremdbewußten invernünftiger Weise stellen. In bedeutendem Werk wurde versucht, dasKonzept des Geistes weiter zu entwickeln, unter anderem in Studiender britischen Neoplatoniker des siebzehnten Jahrhunderts, in denendie Kategorien und Prinzipien derWahrnehmung und Kognition in Rich-tungen untersucht wurden, die später von Kant ausgeweitet und unab-hängig davon in der Gestaltpsychologie des zwanzigsten Jahrhundertswiederenldeckt wurden

Eine weitere Richtung der Entwicklung stellte die ,,allgemeine undphilosophische Grammatik" (in unseren Begriff'en, wissenschaftlicheGrammatik) des siebzehnten, achtzehnten und frühen neunzehnten Jahr-hunderts dar, die, besonders in der frühen Periode, stark voncartesianischen Auffassungen beinfl ußt war. Diese Untersuchungen derUniversalgrammatik suchten die allgemeinen Prinzipien der Spracheoffenzulegen. Diese wurden als nicht wesentlich von den allgemeinenPrinzipien des Denkens verschieden angesehen, so daß die Sprache,dem geläufig gewordenen Ausdruck zufolge, ein ,,Spiegel des Geistes"ist. Aus verschiedenen Gründen, die teilweise gut, teilweise schlechtwaren, wurden diese ldeen aufgegeben und waren ein Jahrhundert langverrufen, bis sie dann, vor einer Generation, unabhängig von dieserTradition neu zum Leben erweckt wurden, wenn auch in ziemlich an-deren Begriffen und ohne Rückgriff auf irgendwelche dualistischenAnnahmen.

Es ist außerdem interessant, zu sehen, wie die cartesianische Kon-zeption von Körper und Geist ins gesellschaftliche Denken einging, am

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eindrucksvollsten im Fall der libertären ldeen von Jean-JacquesRousseau, die auf streng cartesianischen Auffassungen von Körper und

Geist basierten. Weil Menschen, da sie einen Geist besitzen, grundle-gend verschieden von Maschinen (einschließlich Tieren) sind, und weildie Eigenschaften des Geistes grundlegend über mechanische Determi-niertheit hinausreichen, ist derArgumentation Rousseaus zufolge jeder

Übergriff auf die menschliche Freiheit illegitim und muß bekämpft undüberwunden werden. Auch wenn die spätere Entwicklung dieser Denk-strömung den cartesianischen Rahmen hinter sich ließ, liegen ihre Ur-sprünge in bedeutendem Maß in diesen klassischen ldeen.

Die cartesianische Konzeption einer zweiten Substanz wurde in spä-

teren Jahren allgemein aufgegeben, aber es ist wichtig, zu sehen, daß es

nicht die Theorie des Geistes war, die widerlegt wurde (man könnteargumentieren, daß sie schwerlich klar genug war, um bestätigt oderwiderlegt zu werden). Widerlegt wurde im Gegenteil die cartesianischeAuffassung von Körper, und zwar durch die Physik des siebzehntenJahrhunderts, besonders im Werk Isaak Newtons, das die Grundlagenfür die moderne Wissenschaft legte. Newton demonstrierte, daß dieBewegungen der Himmelskörper nicht durch die Prinzipien vonDescartes Kontaktmechanik erklärt werden konnten, so daß das

cartesianische Konzept von Körper aufgegeben werden mußte. In demNewtonschen System existiert eine ,,Kraft", die ein Körper auf einenanderen ausübt, ohne daß ein Kontakt zwischen ihnen besteht, eine Art,,Aktion auf Distanz". Was immer diese Kraft sein mag, sie fällt nicht inden cartesianischen Rahmen der Kontaktmechanik. Newton selbst fanddiese Schlußfolgerung unbefriedigend. Er bezeichnete die Gravitations-kraft manchmal als ,,okkult" und legte nahe, daß seine Theorie nur einemathematische Beschreibung der Ereignisse in der Welt gebe, keinewahre,,philosophische" (in modernerer Terminologie,,,wissenschaftli-che") Erkl?irung dieser Ereignisse. Bis ins späte neunzehnte Jahrhun-dert war immer noch die Ansicht weitverbreitet, daß eine echte Erklä-rung irgendwie in mechanische oder quasimechanische Begriffe gefaßt

sein müsse. Andere, besonders der Chemiker und Philosoph Joseph

Priestley, argumentierten, daß die Körper selbst Fähigkeiten besitzen,die über die Grenzen der Kontaktmechanik hinausgehen, insbesonderedie Eigenschaft, andere Kö1per anzuziehen, aber möglicherweise nochweit mehr. Ohne die darauffolgenden Entwicklungen hier weiter zu

verfolgen, ist die allgerneine Schlußfolgerung, daß das cartesianischeKonzept von Körper für unhaltbar befunden wurde.

Was ist die Auffassung von Körper, die schließlich bei all dem her-

auskam? Die Antwort ist, daß es kein klares und eindeutiges Konzeptvon Körper gibt. Wenn die beste Theorie der materiellen Welt, die wirkonstruieren können, eine Reihe verschiedenartiger Kräflte, Partikel, diekeine Masse haben und weitere Gebilde einschließt, die für den ,,wis-senschatilichen gesunden Menschenverstand" der Cartesianer anstößiggewesen wären, dann müssen wir das eben akzeptieren: Wir schlußfol-gern, daß dies Eigenschaften der physikalischen Welt, der Welt derKörper sind. Die Schlußfolgerungen sind vorläufig, wie es sich fürempirische Hypothesen gehört, können aber nicht deshalb Gegenstandder Kritik sein, weil sie über eine a priori angenommene Auffassungvon Körper hinausgehen. Es gibt überhaupt kein definitives Konzeptvon Körper mehr, sondern die materielle Welt ist, was immer wir her-ausfinden, daß sie ist und besitzt einfach die Eigenschaften, welche auchimmer es sein mögen, die ftir die Zwecke einer erklärenden Theorieangenommen werden müssen. Jede verständliche Theorie, die echte

Erklärungen bietet und mit den Kernbegriffen der Physik in Einklanggebracht werden kann, wird zu einem Teil der Theorie der materiellenWelt, Teil unserer erkärenden Beschreibung der Körper. Wenn wir inirgendeinem Bereich eine derartige Theorie haben, suchen wir sie mitden Kernbegriffen der Physik in Übereinstimmung zu bringen, wobeiwir im Fortgang dieses Unternehmens diese Begriffe vielleicht modifi-zieren. Wenn wir bei der Erforschung der menschlichen Psychologieeine Theorie eines kognitiven Vermögens (beispielsweise des Sprach-vermögens) entwickeln und herausfinden, daß dieses Vermögen be-

stimmte Eigenschaften hat, versuchen wir, die Mechanismen zu ent-decken, die die betreffenden Eigenschaften aufweisen, und diese Me-chanismen in den Begriffen der physikalischen Wissenschaften zu er-klären - wobei wir die Möglichkeit offenlassen, daß die Konzepte derphysikalischen Wissenschaften vielleicht modifi ziert werden müssen,genau wie die Konzepte der cartesianischen Kontaktmechanik modifi-ziert werden mußten, um die Bewegung der Himmelskörper erklärenzu können, und wie es in der Evolution der Naturwissenschaften seitNewtons Tagen wiederholt geschehen ist.

Kurz gesagt, es gibt kein definitives Konzept von Körper. Statt des-sen gibt es eine materielle Welt, deren Eigenschaften wir entdeckenwollen, und zwar ohne a priori Abgrenzung dessen, was als ,,Körper"gelten soll. Das GeisrKörper-Problem kann deshalb nicht einmal for-muliert werden. Das Problem kann nicht gelöst werden, weil es keineklare Weise gibt, auf die es gestellt werden kann. Ohne daß jemand eineindeutiges Konzept von Körper vorschlägt, können wir nicht fragen,

140 t4l

ob ein bestimmtes Phänomen diese Grenzen überschreitet. Wir können.

und sollten meiner Meinung nach, weiterhin die mentalistische Termi-nologie benutzen, wie ich es die ganze Zeit in der Diskussion der men-

talen Repräsentationen und der Operationen, mittels derer diese im Ver-

lauf der mentalen Berechnung gebildet und modifiziert werden, getan

habe. Aber wir fassen das nicht so auf, daß wir hierbei die Eigenschaf-

ten einer ,,zweiten Substanz", von etwas grundlegend von einem Kör-per verschiedenem untersuchen, das mit dem Körper in einer mysteriö-sen Weise, vielleicht durch göttliche Intervention interagiert. Statt des-

sen studieren wir die Eigenschaften der materiellen Welt auf einer Ebe-

ne derAbstraktion, auf der wir, zu recht oder zu unrecht, die Konstruk-tion einer genuin erklärenden Theorie für möglich halten, einer Theo-rie, die echte Einsichten hinsichtlich der Natur der uns interessierendenPhänomene ermöglicht. Diese Phänomene sind tatsächlich nicht so sehr

an sich von wirklichem intellektuellem Interesse als wegen des Zugangs,

den sie uns für das Eindringen in die tieferen Arbeitsmechanismen des

Geistes eröffnen. Letzten Endes hoffen wir, dieses Studium in den Hauprstrom der Naturwissenschaften zu integrieren, ebenso wie das Studiumder Gene oder der Valenz und der Eigenschaften der chemischen Ele-mente in die elementareren Wissenschaften integriert wurde. Wir wis-sen jedoch, daß es sich wie in der Vergangenheit herausstellen kann,

daß diese Basiswissenschaften modifiziert oder ausgeweitet werden

müssen, um Grundlagen für die abstrakten Theorien komplexer Syste-me, wie etwa des menschlichen Geistes, zu liefern.

Unsere Aufgabe ist also, echte erklärende Theorien zu entdeckenund diese Entdeckungen dazu zu benutzen, die Erforschung physikali-scher Mechanismen mit den in diesen Theorien beschriebenen Eigen-

schaften zu erleichtern. Ganz gleich, wohin diese Forschung führt, sie

wird sich innerhalb des Bereichs von ,,Körper" befinden. Oder genauer

gesagt, wir lassen die ganze Konzeption vom Körper als etwas mögli-cherweise von etwas anderem verschiedenem fallen und benutzen dieMethoden rationaler Untersuchung, um über die Welt zu erfahren, so

viel wir können - über das, was wir die materielle Welt nennen, ganz

gleich, was für exotische Eigenschaften wir an ihr schließlich auch auf-decken mögen.

Das GeisrKörper-Problem bleibt Gegenstand vielfältiger Kontro-versen, Debatten und Spekulationen, und in dieser Hinsicht ist das Pro-

blem immer noch sehr aktuell. Aber die Diskussion scheint mir in grund-

legender Hinsicht unstimmig zu sein. Anders als die Cartesianer haben

wir kein bestimmtes Konzept von Körper. Es ist daher ziemlich unklar,

wie wir überhaupt fragen können, ob das eine oder andere Phänomenjenseits des Bereichs der Erforschung der Körper liegt und zu der da-

von getrennten Erforschung des Geistes gehört.

Erinnern wir uns der Logik von Descartes Argument für die Exi-stenz einer zweiten Substanz, res cogitans. Nachdem er,,Körper" mit-tels der Kontaktmechanik definiert hatte, argumentierte er, daß bestimm-

te Phänome sich außerhalb dieses Bereichs befinden, so daß ein ande-

res, neues Prinzip erforderlich wurde; auf dem Hintergund seiner Me-taphysik muß eine zweite Substanz postuliert werden. Diese Logik istim Kem tadellos; sie ist in der Tat derjenigen Newtons sehr ähnlich, als

dieser die Untauglichkeit der cartesianischen Kontaktmechanik für dieErklärung der Bewegung der Himmelskörper demonstrierte, so daß ein

neues Prinzip, das der Anziehung durch die Schwerkraft, postuliertwerden mußte. Der entscheidende Unterschied zwischen dem cartesia-

nischen und dem Newtonschen Unternehmen bestand darin, daß letzte-

res eine echte erklärende Theorie für das Verhalten von Körpern bot,

während die cartesianische Theorie keine zufriedenstellende Erklärungfür Eigenschaften wie den kreativen Aspekt des Sprachgebrauchs lie-ferte, die Descartes zufolge jenseits mechanischer Erklärungen liegen.

Deswegen wurden Newtons Auffassungen schließlich zum ,,wissen-schaftlichen Allgemeingut" späterer Generationen von Wissenschaft-

lern, während diejenigen von Descartes fallengelassen wurden.

Wenn wir nun zu Descartes Problem zurückkehren, müssen wir fest-

stellen, daß es immer noch im Raum steht und durch diese Entwicklun-gen in der Naturwissenschaft nicht gelöst wurde. Wir haben immer noch

keinen Weg gefunden, wie wir verstehen können, was doch eine Tatsa-

che, und sogar eine off'enkundige Tatsache zu sein scheint: Unsere Hand-

lungen sind frei und nichtdeterminiert, insofern wir nicht tun müssen,

was wir ,,angeregt und geneigt" sind, zu tun; und wenn wir tun, was wirangeregt und geneigt sind, zu tun, ist dennoch ein Element der freien

Wahl daran beteiligt. Ungeachtet der vielen Gedanken und oft scharf-

sichtigen Analysen, die darauf verwendet wurden, scheint mir, daß die-ses Problem weiter ungelöst bleibt, im großen und ganzen in der Form,

wie Descartes es formulierte. Warum ist das so?

Eine Möglichkeit ist natürlich, daß bis jetzt niemand auf die richtigeIdee gekommen ist, aus der sich die Lösung des Problems ergibt. Das

ist möglich, aber es ist nicht die einzige Möglichkeit. Eine andere Mög-lichkeit ist die von Descartes vorgeschlagene: Das Problem ist unserem

intellektuellen Verständnis nicht zugänglich.Wenn wir andere Organismen erforschen, stellen wir fest, daß ihre

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Fähigkeiten eine bestimmte Bereich und bestimmte Grenzen haben. So

kann zum Beispiel eine Ratte bestimmte Dinge sehr gut. Nehmen wiran, wir konstruieren einen sternförmigen Irrgarten, eine experimentelleAnordnung, die aus einem Zentrum besteht, von dem ungefähr in der

Art von Speichen gerade Wege wegführen. Nehmen wir weiter an, daß

sich am Ende jedes Weges ein Behälter mit einem einzelnen Kügelchen

Futter bel'indet. Eine Ratte, die in dieses Zentrum gesetzt wird, kann

rasch lernen, mit größtmöglicher Effizienz an das Futter heranzukom-

men, indem sie nur ein einziges Mal durch jeden Weg läuft. Das giltsogar dann noch, wenn die Speichenvorrichtung gedreht wird, dieNahrungsbehälter dabei aber in derselben Position verbleiben, so daß

die Ratte denselben physischen Weg mehr als einmal durchqueren muß.

Das ist keine geringe Leistung; sie erfordert ziemlich hochentwickelteräumliche Konzepte. Auf der anderen Seite können Ratten anscheinend

nicht lernen, Irrgärten zu bewältigen, für die Sequenzkonzepte notwen-dig sind (zum Beispiel, biege zweimal nach links ab, dann zweimalnach rechts). Ganz gewiß kann eine Ratte nicht lernen, einen Irrgartenzu bewältigen, der erfordern würde, an jeder Wegzweigung, die einer

Primzahl entspricht, nach rechts abzubiegen und an den anderen nach

links: das heißt, biege an der zweiten, dritten, ftinften, siebten, elftenusw. Weggabelung nach rechts ab. Ein Mensch könnte dieses Problem

vermutlich lösen, wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten und nicht ohne

bewußte Kenntnis derArithmetik. Ganz abgesehen von solchen einzel-nen Beispielen ist offensichtlich, daß die Ratte (die Taube, der Affeusw.) festgelegte Fähigkeiten hat, und zwar innerhalb eines bestimm-ten Bereichs und definitiver Grenzen.

Der Punkt ist logischer Art. Wenn ein Wesen die Fähigkeit besitzt,

bestimmte Aufgaben gut zu lösen, dann werden genau diese Fähigkeiten

zum Versagen bei anderen Aufgaben ftihren. Wenn wir herausfinden

können, was diese Fähigkeiten sind, können wir Probleme ausarbeiten,

die dieses Wesen nicht lösen können wird, weil sie jenseits seiner Fä-

higkeiten liegen. Ein Wesen kann sich glücklich schätzen, wenn es Pro-

bleme gibt, die es nicht lösen kann, weil das bedeutet, daß es die Fähig-

keit hat, bestimmte andere Probleme gut zu lösen. Der Unterschied kann

darin bestehen, ob die Lösung eines Problems für dieses Wesen leichtoder schwer ist oder oder darin, ob sie ihm möglich oder unmöglich ist.

Die Natur des Unterschieds ist eine Frage der Tatsachen; die Existenzderartiger Unterschiede an sich kann nicht in Zweifel gezogen werden.

Darüber hinaus kann ein Problem, das von dem einen Organismus

mit Leichtigkeit gelöst wird, für einen anderen zu schwierig oder völlig

unzugänglich sein. Wir können uns zum Beispiel leicht eine Vorrich-tung ausdenken, die das ,,Primzahlenlabyrinth" nicht nur löst, sondern

dies sogar ohne Zeitaufwand sowie ohne Mühe oder fehlgehende Ver-

suche tut, nämlich indem wir die Lösung in ihre Mechanismen selbst

einbauen. Aber diese Vorrichtung wird nicht in der Lage sein, Irrgärten,

die wir als wesentlich einfacher betrachten, zu bewältigen. Organismen

sind nicht entlang einer Skala aufgereiht, aufder einige von ihnen ,,in-telligenter" als andere sind, weil sie fähig sind komplexere Problemezu lösen. Stattdessen unterscheiden sie sich hinsichtlich des Spektrumsder Probleme, die anzugehen und zu lösen sie in der Lage sind. Wespen

von einer bestimmten Art oder z.B. Tauben sind darauf ausgelegt, ihren

Heimweg wiederzufinden; der Mensch ist nicht auf diese Weise kon-struiert und kann Aufgaben dieser Art nur schwer oder überhaupt nichtlösen. Es handelt sich nicht darum, daß eine Wespe oder eine Taube

,,intelligenter" ist als ein Mensch, sondern sie unterscheiden sich vonihm in ihren biologisch festgelegten Fähigkeiten. Davon abgesehen gibtes keinen klaren ,,absoluten Sinn", in dem Probleme einfach oder schwie-rig sind. Es mag möglich sein, einen ,,absoluten Begriff' von Schwie-rigkeit zu formulieren, der für bestimmte in der mathematischen Theo-rie der Berechnung anfallende Zwecke nützlich ist. Aber es ist nichtgesagt, daß diese Theorie dann für die Psychologie oder die Biologievon großem Interesse wäre, zumindestens im vorliegenden Kontext,weil das, was für das Verhalten eines Organismus von Bedeutung ist, inseiner besonderen Konstruktion und der Skala von ,,Schwierigkeit" von

Problemen zu suchen ist. die durch diese besonderen Konstruktion fest-gelegt ist.

Wir gehen davon aus, daß die Menschen Teil der natürlichen Weltsind. Sie haben ganz eindeutig die Fähigkeit, bestimmte Probleme zu

lösen. Daraus folgt, daß ihnen die Fähigkeit zur Lösung gewisser ande-

rer Probleme fehlt, die entweder innerhalb der bestehenden Beschrän-kungen in Bezug auf Zeit., Gedächtnis und so weiter für sie weitaus zu

schwierig zu handhaben sind oder sich wirklich prinzipiell außerhalbder Reichweite ihrer Intelligenz befinden. Der menschliche Geist kann

unmöglich ein ,,universales Instrument" nach der Vorstellung von

Descartes sein, ,das für alle Wechselfeille dienen kann". Glücklicher-weise ist es so, denn wenn er ein solches universales Instrument wäre,

würde er für alle Wechselfälle gleichermaßen schlecht taugen. Wir könn-ten überhaupt kein Problem erfolgreich angehen.

Im Fall der Sprache hat das Sprachvermögen, ein physischer Me-chanismus im bereits erklärten Sinn, ganz bestimmte Eigenschaften und

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nicht andere. Dies sind die Eigenschaften, die die Theorie der Universal-grammatik zu formulieren und zu beschreiben sucht. Diese Eigenschaf-

ten gestatten dem menschlichen Geist, eine Sprache eines besonderen

Typs zu erwerben, eines Typs mit merkwürdigen und überraschenden

Merkmalen, wie wir gesehen haben. Dieselben Eigenschaften schlie-ßen andere mögliche Sprachen als für das Sprachvermögen ,,unlernbar"aus. Möglicherweise könnte ein Mensch dahin gelangen, eine solche

nichtmenschliche Sprache zu verstehen, indem er andere Fähigkeiten

des Geistes benutzt, ähnlich der Art, auf die es den Menschen durcheinen mühsamen Prozeß kontrollierten Forschens und Experimentie-rens über viele Generationen hinweg und durch Dazwischenkunft indi-viduellen Genies (was immer das sein mag) gelingen kann, vielerleiDinge hinsichtlich der Natur der physischen Welt zu verstehen. Wiederandere derartige Sprachen würden sich außerhalb der Grenzen mögli-chen menschlichen Denkens befinden. In dem Maß, in dem wir die

Eigenschaften des Sprachvermögens entdecken können, können wir

,,unlernbare Sprachen" konstruieren, Sprachen, die vom Sprach-vermögen nicht erworben werden können, weil dieses anjedem Punktdie falsche Wahl treffen, die falschen Vermutungen hinsichtlich der Naturder Sprache anstellen wird. In dem Maß, in dem wir die Eigenschaften

anderer Fähigkeiten des Geistes entdecken können, können wir Spra-

chen konstruieren, die nur unter großen Schwierigkeiten, in der Manierwissenschaftlicher Forschung erworben werden können oder wahr-scheinlich auch gar nicht, und wir können weitere Aufgaben ausarbei-

ten, die äußerst schwierig oder unlösbar (fiir die menschliche Intelli-genz) sind.

An all dem ist nichts besonders Geheimnisvolles. Vieles von dem,

was ich gerade gesagt habe, ist einfach eine Sache der Logik. Der spe-

zifische Bereich und die Grenzen der verschiedenen Fähigkeiten des

menschlichen Geistes sind empirischeAngelegenheiten, Fragen, die der

Untersuchung durch den Menschen im Prinzip zugänglich sind, sofern

sie die Beschränkungen des menschlichen Geistes nicht überschreiten.

Wir könnten eines Tages sogar in der Lage sein, zu entdecken, daß der

menschliche Geist so konstruiert ist, daß gewisse Probleme zwar von

uns formuliert werden können, andererseits aberjenseits einer Lösungs-

möglichkeit durch eine menschliche Intelligenz liegen. Solche Proble-me könnten für eine anders konstruierte Intelligenz vielleicht ganz ,,ein-fach" sein, genau wie das Primzahlenlabyrinth für eine Vonichtung,

die entworfen wurde, um dieses Problem zu lösen, einen offensichtli-chen Lösungsweg haben würde.

All dies ist beim Studium des körperlichen Wachstums ganz klar.

Menschen sind darauf angelegt, daß ihnen Arme und Beine wachsen,

keine Flügel. Wenn ein Embryo keine angemessene Ernährung bekommt

oder seine Umgebung in sonstiger Hinsicht mangelhaft ist, werden dem

Embryo vielleicht keine richtigen Arme und Beine wachsen, aber kei-

nerlei Veränderung in der Umgebung wird bei ihm dazu führen, daß

ihm Flügel wachsen. Wenn physisches Wachstum lediglich Eigenschaf-

ten der Umgebung widerspiegelte, wdren wir als Resultat davon ge-

staltlose, formlose Kreaturen, die einander kaum ähnlich sein und äu-

ßerst beschränkte physische Fähigkeiten besitzen würden. Weil unsere

biologischeAusstattung kompliziert und hochspezifisch ist, spiegelt die

Weise unseres Wachstums nicht Eigenschaften der physischen Umge-

bung wider, sondern unsere innere Natur. Wir wachsen daher zu kom-plexen Organismen mit sehr spezifischen körperlichen Eigenschaften

heran und sind einander in unseren grundlegenden Eigenschaften sehr

ähnlich, d.h. für bestimmte Aufgaben ausgerüstet, für andere dagegen

nicht - so zum Beispiel fürs Laufen, aber nicht fürs Fliegen. Die Umge-

bung ist für das Wachstum nicht ohne Belang. Vielmehr wird das Wachs-

tum in vielfältiger Weise durch die Umgebung ausgelöst und durch Fak-

toren der Umgebung stimuliert, oder wenn die erforderlichen Faktoren

fehlen, verzögert und verzerrt. Aber es findet großenteils in vorherbe-

stimmten Bahnen statt. Wir haben Glück, daß wir nicht ftihig sind, Vö-gel zu werden, weil dies aus der Tatsache folgt, daß wir ftihig sind,

Menschen zu werden.Es besteht aller Grund zu der Annahme, daß für die geistige Ent-

wicklung im wesentlichen dasselbe gilt. Tatsächlich muß es sogar so

sein, wenn wir wirklich ein Teil der physikalischen Welt sind. Daraus

folgt, daß wir bestimmte Probleme leicht bewältigen können - eine

menschliche Sprache zu lernen zum Beispiel -, während andere, die

weder,,schwieriger" oder,,leichter" in irgendeinem brauchbaren abso-

luten Sinn sind, außerhalb der Reichweite unserer Fähigkeiten liegen,

einige davon für immer. Wir können uns glücklich schätzen, daß dies

so ist.Kehren wir nun wieder zurück zu Descartes Problem. Ein möglicher

Grund für den mangelnden Erfolg bei seiner Lösung oder auch nur inder Entwicklung vernünftiger Ideen dazu ist vielleicht, daß es sich nicht

innerhalb des Bereichs unserer intellektuellen Möglichkeiten befi ndet:

Es ist entweder gemessen an der Natur unserer Fähigkeiten ,,zu schwie-

rig" oder liegt überhaupt jenseits ihrer Grenzen. Es gibt einigen Grund

zu der Vermutung, daß es so sein könnte, obwohl wir nicht genug über

t46 t47

die menschliche Intelligenz oder die Eigenschaften des Problems wis-sen, um sicher zu sein. Wir sind in der Lage, Theorien zu konstruieren,

die strenge Determiniertheit und die Gesetze des Zufalls behandeln

können. Aber diese Konzepte scheinen für Descartes Problem nichtangemessen zu sein, und es kann sein, daß die dafür relevanten Kon-zepte uns gar nicht zugänglich sind. Ein Marswissenschaftler mit ei-nem von dem unsrigen verschiedenen Geist würde das Problem viel-leicht als trivial ansehen und sich fragen, warum die Menschen es nie

schaffen, auf den offensichtlichen Weg zu seiner Lösung stoßen. DieserBeobachter wäre vielleicht auch verblüfft über die Fähigkeit jedes

menschlichen Kindes zum Spracherwerb, die ihm unbegreiflich schei-

nen und für ihn göttliches Eingreifen erfordern würde, falls die Ele-mente des Sprachvermögens jenseits seiner begrifflichen Fähigkeitenliegen.

Dasselbe gilt für die Kunst. Werke mit echtem ästhetischem Wertfolgen Gesetzen und Prinzipien, die nur zum Teil menschlicher Wahlunterworfen sind; zum Teil widerspiegeln sie unsere innerste Natur. Das

Resultat ist, daß bestimmte kreative Werke uns tiefe Emotionen - Freu-de, Schmerz, Erregung und anderes - erleben lassen können, auch wenn

weitgehend unbekannt bleibt, wie und warum dies geschieht. Aber ge-

nau die Fähigkeiten des Geistes, die uns diese Möglichkeiten eröffnen,schließen andere Möglichkeiten aus, einige davon auf alle Zeit. Auchdie Grenzen künstlerischer Kreativität sollten uns Anlaß zur Freude und

nicht zum Kummer sein, weil sie aus der Tatsache folgen, daß es ein

reiches Gebiet ästhetischer Erlebens gibt, zu dem wir Zugang haben.

Dasselbe gilt für das moralische Urteilen. Was seine Basis sein mag,

wissen wir nicht, aber wir können schwerlich daran zweifeln, daß es imKern der menschlichen Natur verwurzelt ist. Es kann nicht lediglicheine Angelegenheit der Konvention sein, daß wir einige Dinge als rich-tig beurteilen und andere als falsch. Ein Kind, das in einer bestimmten

Gesellschaft aufwächst, erwirbt Normen und Prinzipien des moralischen

Urteils. Diese werden auf der Basis beschränkter Erfahrung erworben,

aber sie besitzen eine breite und oft sehr präzise Anwendbarkeit. Oft,wenn auch nicht immer, können Menschen herausfinden oder davon

überzeugt werden, daß ihre Urteile über einen bestimmten Fall falschsind, falsch in dem Sinn, daß die Urteile unvereinbar mit den Prinzipiensind, die die fragliche Person selbst internalisiert hat. Argumentierenüber Moral ist nicht immer gegenstandslos und lediglich eine Sache

von ,,ich behaupte dies" und ,,du behauptest jenes." Der Erwerb eines

spezifischen moralischen und ethischen Systems, das einen weiten An-

wendungsbereich hat und oft präzise in seinen Konsequenzen ist, kann

nicht einfach das Ergebnis von ,,Formung" und ,,Kontrolle" durch die

soziale Umgebung sein. Wie im Fall der Sprache ist die Umgebung viel

zu dürftig und unbestimmt, um dem Kind dieses System in seinem vol-

len Reichtum und seiner ganzenAnwendbarkeit verfügbar zu machen.

Da wir wenig über die Frage wissen, sind wir zu spekulieren gezwun-

gen; es scheint aber gewiß berechtigt, zu spekulieren, daß das morali-

sche und ethische System, das vom Kind erworben wird, vieles einem

angeborenen menschlichen Vermögen verdankt. Die Umgebung spielt,

wie im Fall der Sprache, des Sehens usw. eine Rolle; daher können wirindividuelle und kulturelle Verschiedenheiten finden. Aber es gibt mitGewißheit eine gemeinsame, in unserer Natur verwurzelte Basis.

Die Entwicklung unserer eigenen Zivilisation mag gewisse Einsich-

ten in Bezug auf diese Frage vermitteln. Vor noch nicht langer Zeitwurde die Sklaverei als legitim und sogar achtbar angesehen; die Skla-

venhalter betrachteten das, was sie taten, normalerweise nicht als falsch,

sondern sahen es im Gegenteil als Beweis ihrer überlegenen morali-schen Werte. Ihre Argumente waren darüber hinaus nicht absurd, auch

wenn wir sie mittlerweile als moralisch grotesk ansehen. So konnten

die Sklavenhalter in den frühen Tagen des Industriekapitalismus daraufhinweisen (und sie versäumten auch nicht, es zu tun), daß man ein Ma-schinenteil vermutlich mit mehr Sorgfalt behandeln wird, wenn es ei-

nem selbst gehört, als wenn man es lediglich mietet. Atrntich wird der

Slavenhalter seinen Besitz wahrscheinlich mit mehr Sorgfalt und Acht-samkeit behandeln als der Kapitalist, der die Menschen lediglich fürseine vorübergehenden Zwecke mietet. Die Sklaverei spiegelt demnach

höhere moralischen Normen wieder als ..Lohnsklaverei". Kein Mensch

bei Verstand würde dieses Argument heute noch akzeptieren, obwohles keineswegs gänzlich absurd ist. Im Verlaufdes Fortschritts der Zivi-lisation setzte sich allmählich die Einsicht durch, daß die Sklaverei ein

Übergriff auf grundlegende Menschenrechte ist. Wir mögen auf eine

Zeit hoffen, in der Lohnsklaverei und die Notwendigkeit, sich zu ver-

mieten, um zu überleben, in einem ähnlichen Licht gesehen werden,

weil wir allmählich ein besseres Verständnis der in unserem inneren

Wesen wurzelnden moralischen Werte gewonnen haben.

Viele von uns haben etwas ähnliches im Verlauf unseres eigenen

Lebens erfahren. Bis vor wenigen Jahren standen Probleme des Sexis-

mus noch kaum aufder Tagesordnung. Sie sind noch lange nicht über-

wunden, aber sie werden wenigstens erkannt und es wird weithin ein-

gesehen, daß sie angegangen werden müssen. Das ist eine Veränderung

148 t49

im moralischen Bewußtsein, die wahrscheinlich ebenso unwiderruflichist wie die Erkenntnis, daß die Sklaverei eine unerträgliche Beleidi-gung der menschlichen Würde ist. Es ist nicht nur eine Veränderung,

sondern ein Fortschritt, ein Fortschritt hin zum Verständnis unseres ei-genen Wesens und der moralischen und ethischen Prinzipien, die sichaus ihm ableiten.

Solche Entdeckungen werden möglicherweise kein Ende haben, fallsdie Zivilisation überlebt. Ein wirklich anständiger und redlicher Menschwird immer versuchen, Formen von Unterdrückung, Hierarchie, Hen-schaft und Autorität zu entdecken, die gegen grundlegende Menschen-rechte verstoßen. Sowie einige davon überwunden sind, werden gewiß

andere bloßgelegt, die zuvor nichtTeil unserer bewußten Wahrnehmungwaren. So gelangen wir zu einem besseren Verständnis dessen, wer undwas wir in unserem inneren Wesen sind und wer und was wir in unse-

rem tatsächlichen Leben sein sollten.Das ist eine optimistische Sicht, und es wäre nicht schwer, histori-

sches Datenmaterial anzuführen, das sie scheinbar widerlegt, aber viel-leicht ist es nicht unrealistisch, uns diese Perspektive zu eigen zu ma-chen, wenn wir über unsere Geschichte und die Aussichten für dieZu-kunft nachdenken. Das Nachdenken und die Debatte über Moral sind in

Betrachtungen wie diesen wohl kaum erschöpft. Aber solche Gesichts-punkte sollten nichtsdestoweniger in beide eingehen und sie bereichern.

Ich erwähnte, daß Rousseau aus den cartesianischen Prinzipien vonKörper und Geist libertäre Auffassungen ableitete. Diese ldeen wurdenin der französischen und deutschen Romantik weiterentwickelt, und zwarweiterhin im Rahmen von Annahmen über das Wesen der menschli-chen Natur. In der libertären Gesellschaftstheorie Wilhelm von Hum-boldts, der einen starken Einfluß auf John Stuart Mill ausübte (und,

nebenbei bemerkt, außerdem ein bedeutender Sprachwissenschaftlerwar, dessen ldeen erst heute allmählich richtig gewürdigt werden), istes ein wesentliches, im ,,Wesen des Menschen" wurzelndes Menschen-recht, daß man die Möglichkeit zur Betätigung in produktiver und krea-tiver Arbeit unter eigener Kontrolle und in Solidarität mit andern hat.

Wenn eine Person unter äußerer Leitung und Kontrolle einen schönen

Gegenstand schafft, argumentierte Humboldt, dann mögen wir bewun-

dern, was diese Person tut, aber wir verachten, was sie ist - eine Ma-schine, kein vollentwickeltes menschliches Wesen. Marx'Theorie derentfremdeten Arbeit, die Basis seines sozialen Denkens, wurde aus die-sen Grundlagen entwickelt, und in seinem Frühwerk formulierte er die-se Auffassungen ebenfalls in Begriffen einer ,,Spezieseigenschaft," aus

der gewisse grundlegende Menschenrechte folgen: insbesondere das

Recht der Arbeiter, über die Produktion sowie deren Natur und Bedin-gungen zu bestimmen. Bakunin argumentierte, daß die Menschen ,,ei-nen Instinkt der Freiheit" haben und daß Übergriffe gegen dieses we-

sentliche Merkmal der menschlichen Natur illegitim sind. Die Tradi-tion des libertdren Sozialismus entwickelte sich weitgehend in diesen

Begriffen. Die Verwirklichung der Konzeptionen dieser Tradition steht,

von äußerst beschränkten Aspekten abgesehen, in den bisher bestehen-

den Gesellschaften noch aus, aber sie sind zumindest meiner Ansichtnach im wesentlichen richtig und erfassen entscheidende Merkmale des

Kerns der menschlichen Natur sowie des moralischen Kodex, der diese

Eigenschaften widerspiegelt und zur bewußten Wahrnehmung gebracht

werden sollte.Wir können die Feststellung machen, daß jede Form des Engage-

ments im gesellschaftlichen Leben auf Annahmen über die menschli-

che Natur basiert, die für gewöhnlich allerdings unausgesprochen blei-ben. Adam Smith vertrat, daß der Mensch geboren ist, ,,um zu scha-

chern und Handel zu treiben" und entwickelte auf der Basis dieser undähnlicherAnnahmen seine Rechtfertigung des Kapitalismus des freien

Marktes. Die Denkströmung, die ich eben gerade kurz skizziert habe,

hatte deutlich andere Konzepte von der menschlichen Natur zur Grund-lage. Im normalen Alltagsleben ist dasselbe der Fall. Nehmen wir an,jemand steht vor der Entscheidung, den Status quo zu akzeptieren oder

zu versuchen, ihn zu verändern, sei es durch Reform oderdurch Revo-

lution. Falls sie sich nicht einfach auf Furcht, Gier oder anderen For-

men des Ausweichens vor moralischer Verantwortung gründet, wirddiese Entscheidung in einer spezifischen Weise auf der Basis von -expliziten oder impliziten - Überzeugungen hinsichtlich dessen getrof-fen, was gut und richtig für die Menschen ist, folglich letzten Endes

aufgrund von Annahmen über das Wesen der menschlichen Natur. Es

könnte auch schwerlich anders sein. Es gibt in dieser Sache also eine

Wahrheit zu entdecken, und es ist eine intellektuelle Herausforderung,und in diesem Fall eine mit tiefgehenden menschlichen Konsequenzen,

die Wahrheit über diese Frage herauszufinden.Kehren wir, immer noch im Bereich der Spekulation verbleibend,

zum Studium der menschlichen Kognition auf Gebieten, die der wis-senschaftlichen Untersuchung vielleicht eher zugänglich sind, zurück.

Wie die Geistesgeschichte zeigt, ist es Wissenschaftlern im Verlauf derZeit gelungen, in bestimmten Bereichen theoretische Gebäude von be-

merkenswerter Erklärunsskraft zu konstruieren. während andere Fra-

150 l5l

gen heute noch in so ziemlich demselben Zustand offcn dastehen wiezu der Zeit, als sie vor Jahrtausenden zuerst gestellt wurden. Wie kann

das sein? Es könnte lohnend sein, dieses Thema entsprechend unserer

schematischen Darstellung des Sprachwerbs anzugehen. Um uns das

wesentliche ins Gedächtnis zu rufen: Ein mit dem Sprachvermögen

ausgestattetes Kind wird mit bestimmten Daten konfrontiert und kon-struiert eine Sprache, wobei es die Daten benutzt, um die Parameter des

Sprachvermögens festzulegen. Die Sprache liefert dann für einen un-

begrenzten Bereich spezifi sche Interpretationen für sprachliche Auße-

rungen.Nehmen wir einmal an, wir denken uns die Konstruktion von Theo-

rien in ähnlichen Begriffen. Als Teil seiner biologischen Ausstattung

als Mensch ist der Wissenschaftler mit einem bestimmten konzeptuellen

Apparat ausgestattet, mit bestimmten Weisen, Probleme zu formulie-ren, einem Konzept von Verständlichkeit und von Erklärung und ande-

rem mehr. Nennen wir das die Fähigkeit zur Wissenschaftsbildung. Wiein anderen Fällen kann sie verborgene Ressourcen enthalten, dieje nach-

dem, wie es die Umstände des Lebens und der Erfahrung gestatten, mitder Zeit allmählich erkannt und genutzt werden; folglich kann der Zu-gang zu dieser Ausstattung sich mit der Zeit verändern. Aber wir gehen

davon aus, daß diese selbst ebenso wie das Sprachvermögen unverän-

derlich ist. Die Fähigkeit zur Wissenschaftsbildung wird durch gewisse

Hintergrundannahmen ergänzt, die vom jeweiligen Stand des wissen-

schaftlichen Verständnisses abhängen. So ergänzt, geht diewissenschaftsbildende Fähigkeit an eine Frage heran, die in einer ihrzugänglichen Weise gestellt ist, oder sie formuliert selbst eine Frage,

indem sie ihre eigenen Ressourcen benutzt, was eine alles andere als

triviale Aufgabe ist; danach versucht sie dann, eine theoretische Erklä-rung zu konstruieren, die diese Frage beantwortet. Die eigenen inneren

Kriterien der wissenschaftsbildenden Fähigkeit bestimmen, ob die Auf-gabe erfolgreich gelöst worden ist. Wenn das der Fall ist, können die

Hintergrundannahmen sich ändern; die wissenschaftsbildende Fähig-

keit ist nunmehr auidie Konfrontation mit weiteren Fragen vorbereitet,

vielleicht auch darauf, neue Fragen zu formulieren, die sie sich nun-

mehr zur Lösung vornirnmt. Um der wirklichen Situation der Problem-

lösung und Theoriekonstruktion nahe zu kommen, müßten wir noch

vieles hinzufügen, aber lassen wir es einmal bei diesem schematischen

Rahmen.Im Fall der Sprache ist ein spezielles Vermögen vorhanden, das ei-

nen zentralen Teil des menschlichen Geistes bildet. Es arbeitet rasch, in

deterministischer Weise, unbewußt und jenseits der Grenzen der Wahr-

nehmung sowie auf eine Art, die der menschlichen Spezies gemeinsam

ist, und bringt ein reiches und komplexes Wissenssystem, nämlich eine

bestimmte Einzelsprache hervor. Für die Problemlösung und die Kon-struktion von Theorien gilt nichts derart Spezifisches. Die Probleme,

denen wir gegenüberstehen, sind zu vielfältig, und die Unterschiede

zwischen den Personen, die mit ihnen konfrontiert sind, sind hier sehr

viel größer, wenngleich unterstrichen werden sollte, daß Personen, die

dieselben Hintergrundannahmen teilen, im allgemeinen eine vorgeschla-

gene Theorie verstehen und bewertcn können, auch wenn sie sie nichtselbst konstruiert haben und ihnen vielleicht sämtliche für so etwas er-

forderlichen besonderen Fähigkciten, was immer diese sein mögen,

abgehen.

In den meisten Fällen liefert die wissenschaftsbildende Fähigkeit,

wenn sie mit einer Frage konfrontiert wird, überhaupt keine brauchbare

Antwort. Die meisten Fragen sind einfach nur verwirrend. Manchmal

wird die eine kleine Anzahl verständlicher Theorien hervorgebracht.

Die wissenschaftsbildende Fähigkeit kann dann unter Verwendung ih-rer Ressourcen eine Reihe von Versuchen anstellen, um sie zu bewer-

ten. Manchmal mögen die fraglichen Theorien der Wahrheit nahekom-

men, wodurch wir dann ein potentielles Wissen besitzen, das durch

Experimente, die wir in diesem Grenzbereich vornehmen, weitergetrie-

ben werden kann. Diese partielle Deckungsgleichheit zwischen der

Wahrheit über die Welt und dem, was die menschliche Fähigkeit zur

Wissenschaftsbildung hervorbringt, ergibt Wissenschaft. Seien wir uns

darüber im klaren, daß es einfach ein glücklicher Zufall ist, wenn die

menschliche Fähigkeit zur Wissenschaftsbildung, ei ne besondere Kom-ponente der biologischen Ausstattung des Menschen, einmal ein Resul-

tat hervorbringt, das mehr oder weniger mit der Wahrheit über die Weltübereinstimmt.

Manche Leute haben argumentiert, daß das kein blinder Zufall ist,

sondern ein Produkt der Darwinschen Evolution. Der hervonagende

amerikanische Philosoph Charles Sanders Peirce, der eine Beschrei-

bung der Wissenschaftsbildung in einem dem eben skizzierten ähnli-chen Sinn gab, argumentierte in dieser Richtung. Er war der Ansicht,daß unsere geistigen Fähigkeiten sich durch gewrihnliche Prozesse der

natürlichen Selektion so entwickelten, daß sie schließlich imstandewaren, mit den Problemen, die in der Welt der Erfahrung entstehen,

umzugehen. Aber dieses Argument ist nicht überzeugend. Es ist mög-

lich, sich vorzustellen, daß Schimpansen eine angeborene Furcht vor

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Schlangen haben, weil diejenigen unter ihnen, denen diese genetisch

lestgelegte Eigenschaft fehlte, nicht überlebt haben, um sich reprodu-zieren zu können, aber man kann schwerlich behaupten, daß die Men-schen aus entsprechenden Gründen die Fähigkeit zur Entdeckung der

Quantentheorie haben. Die Erfahrung, die dem Verlauf der EvolutionGestalt gab, hat nichts rnit den Problemen gemeinsam, denen man sichin der Wissenschaft gegenübersieht, und die Fähigkeit, diese Problemezu lösen, kann in der Evolution kaum ein Faktor gewesen sein. Wirkönnen uns nicht auf diesen deus ex machiza berufen, um die Annähe-rung unserer Ideen an die Wahrheit über die Welt zu erklären. Vielmehrscheint es weitgehend ein glücklicher Zufall zu sein, daß es eine derar-tige (partielle) Annäherung gibt.

Die menschliche Fähigkeit zur Wissenschaftsbildung hat wie andere

biologische Systeme notwendigerweise ihre Reichweite und ihre Gren-zen. Wir können sicher sein, daß einige Probleme jenseits ihrer Gren-zen liegen werden, ganz gleich wie die wissenschaftsbildende Fähig-keit durch passende zusätzliche Informationen ergänzt wird. Vielleichtist Descartes Problem eines davon. Zumindest wäre das nicht überra-schend, und es gibt bis jetzt wenig Grund, etwas anderes zu vermuten.

Man könnte sich vorstellen, daß wir durch die Untersuchung derGeschichte der Wissenschaft und durch Experimentieren mit Versuchs-personen etwas über die Natur der menschlichen wissenschaftsbildendenFähigkeit erfahren können. Wenn ja, könnten wir außerdem etwas dar-über erfahren, welche Arten von Problemen uns vermittels der Res-

sourcen der wissenschaftsbildenden Fähigkeit, der Methoden der Wis-senschaft zugänglich sind und welche nicht.

Es gibt im übrigen keinen Grund, davon auszugehen, daß sämtlicheProbleme, denen wir gegenüberstehen, am besten in wissenschafilichenBegriffen angegangen werden. So ist es durchaus möglich, und wieman vermuten könnte, in überwältigender Weise wahrscheinlich, daß

wir über das menschliche Leben und die menschliche Persönlichkeitaus Romanen immer mehr erfahren werden als durch wissenschalilichePsychologie. Die Fähigkeit zur Wissenschaftsbildung ist nur eine Fa-

cette unserer geistigen Ausstattung. Wir wenden sie an, wo wir können,

aber wir sind glücklicherweise nicht auf sie beschränkt.Kann die Erfbrschung der Sprache, durchgeführt entlang der Richt-

linien, die wir untersucht haben, ein nützliches Modell für andere Aspekte

des Studiums der menschlichen Kognition liefern? Die allgemeine Artdes Herangehens sollte aufandern Gebieten genauso angemessen sein,

aber es wlire erstaunlich, wenn wir entdecken sollten, daß die das Sprach-

vermögen konstituierenden Elemente in bedeutsamer Weise in andere

Bereiche eingehen. Das einzige andere Gebiet der kognitiven Psycho-logie außer der Sprache, das in den letzten Jahrcn wichtige Fortschrittegemacht hat, ist die Erfbrschung des Sehens. Auch hier können wirfragen, was die Eigenschaften des menschlichen Sehvermögens sind.Wie ich schon erwähnte, können wir in diesem Fall auch etwas über diebeteiligten physischen Mechanismen erfahren, weil die Möglichkeit des

Experimentierens mit anderen Organismen, die ähnliche Fähigkeitenbesitzen, hesteht. Auch hier entdecken wir, daß das in Frage stehende

Vermögen präzise und spezifische Eigenschaften hat, und daß einigeMöglichkeiten der Variation durch die visuelle Erfahrung festgelegtwerden - so zum Beispiel die jeweilige Dichte von horizontalen undvertikalen Rezeptoren. In diesem Fall zeigen uns die Experimente, daß

das Wachstum der Fähigkeit bis zu ihrem reifen Stadium kritische Pe-rioden durchläuft: spezifische Aspekte des Vermögens müssen sich in-nerhalb eines bestimmten Zeitrahmens der allgemeinen Reifung ent-wickeln, oder sie werden sich nicht in der richtigen Weise bzw. über-haupt nicht entwickeln. Bestimmte Arten von visueller Erfahrung sindnotwendig, um die Entwicklung während dieser kritischen Periodenauszulösen, so zum Beispiel in der Säuglingsphase Stimulierung durcherkennbare Muster. Das visuelle System ist in vielen entscheidendenAspekten anders als das Sprachvermögen; es resultiert zum Beispielnicht in einem Wissenssystem, sondern ist ein Verarbeitungssystem instriktem Sinn. Aber es bestehen einige Ahnlichkeiten bezüglich derArt,wie die Probleme angegangen werden können.

Das visuelle System des Menschen gehorcht, ebenso wie das Sprach-vermögen, bestimmten Prinzipien. Eines dieser Prinzipien, das kürz-lich entdeckt wurde, ist ein gewisses ,,Rigiditätsprinzip." Unter einemgroßen Spektrum von Bedingungen interpretiert das Auge-Gehirn diePhänomene, mit denen es konfrontiert wird, als in Bewegung befindli-che feste Objekte. Wenn ich jetzt beispielsweise eine flache Figur, sa-

gen wir von der Form eines Kreises, in meiner Hand hätte und sie Ihnenquer zur Sehrichtung zeigen würde, dann würden Sie eine kreisförmigeFigur sehen. Wenn ich sie dann um 90 Grad drehen würde, so daß sie

schließlich verschwinden würde, würden Sie eine sich drehende Kreis-ligur sehen. Die visuelle Information, die lhr Auge erreicht, ist verein-

bar mit der Schlußfolgerung, daß das, was Sie schen, ein flache Figurist, die schrumpft und ihre Gestalt verändert, bis sie sich in eine Linieverwandelt und verschwindet. Aber unter einem großen Spektrum vonBedingungen wird das, was Sie ,,sehen" werden, eine sich drehende

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flache Figur sein. Das Auge-Gehirn fügt das, was es sieht, in den Rah-

men dieser Interpretation, weil es auf diese Weise konstruiert ist. Indiesem Fall verstehen wir auch die Physiologie der Vorgänge schon zu

einem bestimmten Grad.

Gehen wir nun, um einen anderen Fall zu nehmen, davon aus, daß

Sie auf einen Fernsehschirm schauen, der einen großen Tupfen am ei-nen Ende zeigt. Nehmen wir an, der Tupfen verschwindet, und ein an-

derer Tupfen von derselben Größe, Gestalt und Farbe erscheint am an-

deren Ende der Mattscheibe. Wenn Zeit und Abstand richtig gewähltwerden, ist, was Sie ,,sehen" werden, ein Tupfen, der sich von der einen

in die andere Position bewegt, ein Phänomen, das scheinbare Bewe-gung genannt wird. Die Eigenschaften der scheinbaren Bewegung sind

sehr bemerkenswert. Wenn sich zum Beispiel in der Mitte des Schirms

eine horizontale Linie befindet und nun das Experiment wiederholt wird,ist das, was Sie unter den erwähnten angemessenen Bedingungen ,,se-

hen" werden, eine Bewegung des Tupfens vom einen Ende des Schirms

zum anderen, wobei er aber keine gerade Linie beschreibt, sondem sich

um das Hindernis herurn bewegt. Wenn der Tupfen, der verschwindet,

rot ist und derjenige, dererscheint, blau, werden Sie einen roten Tupfen

sehen, der sich über den Schirm bewegt, an einem bestimmten Punktblau wird und dann seinen Weg zum Endpunkt forlsetzt. Ahnliches giltfür eine Reihe weiterer Experimentanordnungen. All diese Phänomene

spiegeln die Struktur der visuellen Mechanismen wider.

Die visuellen Mechanismen anderer Organismen arbeiten auf ganz

andere Weise. So wurde in einer Reihe von klassischen Experimenten

vor etwa fünfundzwanzig Jahren demonstriert, daß das Auge eines

Froschs letztlich daraufhin konstruiert ist, eine in Bewegung befindli-che Fliege zu ,,sehen". Wenn eine bestimmte Art von Bewegung er-

folgt, die der einer Fliege ähnlich ist, wird das Auge-Gehirn sie sehen,

aber eine tote Fliege, die im Sichtfeld plaziert wird, wird den visuellenMechanismus nicht auslösen und wird nicht gesehen werden. Hier sind

die physiologischen Mechanismen ebenfalls bekannt.

Diese Prinzipien könnten als in einem gewissem Sinn den Prinzipi-en des Sprachvermögens vergleichbar betrachtet werden. Natürlich han-

delt es sich gleichwohl um gänzlich verschiedene Prinzipien. Das

Sprachvermögen schließt nicht das Rigiditätsprinzip oder die Prinzipi-en ein, die die scheinbare Bewegung beherrschen, und das Sehvermö-

gen umfaßt nicht die Prinzipien der Bindungstheorie, der Kasustheorie,

der Strukturabhängigkeit und so weiter. Die beiden Systeme arbeiten

auf sanz verschiedene Weise, und das ist nicht überraschend.

Was über weitere kognitive Bereiche bekannt ist, legt nahe, daß dies

für andere Fälle ebenfalls gilt, obwohl so wenig bekannt ist, daß man

nicht sicher sein kann. Es scheint, daß der Geist, um einen technischen

Begriff zu benutzen, modular ist und aus separaten Systemen mit je-

weils eigenen Eigenschaften besteht. Natürlich interagieren die Syste-

me; wir können beschreiben, was wir sehen, hören, riechen, schmek-

ken, uns vorstellen usw. -jedenfalls manchmal. Es gibt folglich zentra-

le Systeme irgendeinerArt, aber von diesen verstehen wir bisher kaum

etwas.Die Daten scheinen zwingend und sogar in überwältigender Weise

zu zeigen, daß fundamentale Aspekte unseres geistigen und sozialen

Lebens, einschließlich der Sprache, als Teil unserer biologischen Aus-

stattung festgelegt sind und nicht durch Lernen, geschweige denn durch

Übung, im Verlauf unserer Erfahrung erworben werden. Viele Leute

finden diese Schlußfolgerung anstößig. Sie würden es vorziehen, zu

glauben, daß die Menschen von der Umgebung geformt werden und

nicht, daß sie sich in einer Weise entwickeln, die in wesentlicher Hin-sicht vorherbestimmt ist. Ich erwähnte bereits die bemerkenswerte Do-

minanz der behavioristischen Auffassung, daß Sprache und andere

Aspekte unserer Überzeugungen und unseres Wissens sowie unserer

Kultur als Ganzer durch die Erfahrung bestimmt sind. Die marxistische

Tradition hat bezeichnenderweise ebenfalls die Ansicht vertreten, daß

die Menschen die Produkte von Geschichte und Gesellschaft sind; dies

gilt natürlich nicht fiir körperliche Eigenschaften wie den Besitz von

Armen anstelle von Flügeln oder die Tatsache, daß die Pubertät zu ei-

nem im großen und ganzen feststehenden Alter eintritt, aber es wirdbehauptet, daß es für das intellektuelle, gesellschaftliche und allgemei-ne kulturelle Leben gilt. Diese Standardansicht steht aus Gründen, die

ich bereits kurz angesprochen habe, in völligem Gegensatz zu den Kern-punkten von Marx' eigenem Denken, aber sehen wir hiervon im Au-genblick ab; es besteht kein Zweifel, daß sie von vielen, die sich Marxi-sten nennen, als ein Pfeiler der Doktrin verkündet wird. Seit mittler-weile mehreren Jahrhunderten hat die im angelsächsischen Denken

vorherrschende i ntel lektuel le Tradi tion ähnl iche Auffassun gen vertre-

ten. In dieser empiristischen Tradition wurde die Ansicht vertreten, daß

die Konstruktionen des Geistes sich aus einigen einfachen, aufBenachbartheit, Ahnlichkeit der Erscheinung und so weiter basieren-

den Operationen der Assoziation ergeben , ergänzt vielleicht durch eine

Fähigkeit zum induktiven Schluß von einer begrenzten Klasse von Fäl-len auf eine größere Klasse desselben Typs. Diese Ressourcen müssen

156 t5l

dann für alle intellektuellen Leistungen einschließlich der Sprach-erlernung und vieler anderer Dinge ausreichen.

Innerhalb dieses Spektrums von Doktrinen gibt es einige Unterschie-de, aber die Ahnlichkeiten sind weitaus auffälliger. Eines der bemer-kenswerten Kennzeichen ist, daß sie, obwohl sie weithin geglaubt undtatsächlich praktisch in der Art doktrinärer Wahrheiten verkündet wur-den, nicht von überzeugender Evidenz gestützt werden. Tatsächlichgenügt schon die Aufmerksamkeit für die simpelsten Tatsachen, um siezu untergraben, wie ich im ganzen Verlauf dieser Vorlesungen zu zei-gen versucht habe. Wenn diese Doktrinen in irgendeiner Weise derWahrheit entsprächen, wären die Menschen wirklich armselige, in ih-ren Fähigkeiten äußerst beschränkte Geschöpfe, ohne Ahnlichkeit mireinander und bloße Widerspiegelungen zufälliger Erfahrung. Ich habedarauf schon im Zusammenhang mit dem körperlichen Wachstum hin-gewiesen, und dasselbe gilt für die Bereiche des intellektuellen, sozia-len und kulturellen Lebens.

Wenn eine Lehrmeinung über eine solches Spektrum hinweg einenderart mächtigen Einfluß auf die intellektuelle Vorstellungskraft hat undzugleich kaum etwas an empirischen Beweisen vorweisen kann undstatt dessen überall mit den Daten in Widerspruch steht, ist die Frage

berechtigt, warum an diesen Überzeugungen so zäh festgehalten wird.Weshalb verschreiben sich Intellektuelle dermaßen dem Glauben, daßdie Menschen von der Umgebung geformt werden und nicht von ihrereigenen Natur bestimmt sind?

Zu frühereren T.eiten hielt man die Theorie der Umweltbestimmtheitfür eine ,,progressive" Doktrin. Sie untergrub den Glauben, daß jedePerson einen von der Natur festgelegten natürlichen Platz hat: Hen,Knecht, Sklave und so weiter. Es ist wahr, daß die Menschen, wenn siealle mit nichts ausgestattet sind, in ihrerAusstattung gleich sind: in glei-cher Weise elend und bedauernswert. Ganz gleich, welche Anziehungs-kraft eine solche Ansicht einmal gehabt haben mag, ist es doch schwer,sie heute immer noch ernst zu nehmen. Tatsächlich war sie auch damalsschon zweifelhaft; wie schon angemerkt, hatte der traditionelle Dualis-mus, dessen Widerpart sie war, tiefere und weitaus überzeugendereGründe, die Einheit der menschlichen Art ihrem Wesen nach und das

Fehlen bedeutender Variation innerhalb der Spezies in jedem der fragli-chen Aspekte anzunehmen.

DerartigeArgumente für die Umweltbestimmtheit hört man heutzu-tage oft im Zusammenhang mit Debatten über Rasse und IQ und ähnli-ches. Auch hier ist wahr. daß. wenn die Menschen keine biolosisch

festgelegte intellektuelle Ausstattung besitzen, es auch keine Konelati-on zwischen dem IQ (einer gesellschaftlich bestimmten Eigenschaft)

und irgendetwas anderem, Rasse, Geschlecht oder was auch immer ge-

ben wird. Und wieder ist es, auch wenn man die Motivation zu schät-zen wissen mag, schwer, die Argumentation ernstzunehmen. Tun wirfür den Augenblick so, als seien Rasse und IQ wohldefinierte Eigen-schaften, und nehmen wir an, daß zwischen ihnen eine Konelation ge-

funden wird. Vielleicht besteht die Wahrscheinlichkeit. daß eine Person

einer bestimmten Rasse im Durchschnitt einen etwas höheren IQ hat

als eine Person einer anderen Rasse. Halten wir zunächst fest, daß das

wissenschaftliche Interesse einer derartigen Schlußfolgerung im we-sentlichen gleich null wäre. Es ist ohne Interesse, eine Konelation zwi-schen zwei willkürlich ausgewählten Merkmalen zu entdecken, undwenn jemand zufällig an einer merkwürdigen und irrelevanten Fragewie dieser interessiert ist, wäre es bedeutend sinnvoller, Eigenschaftenzu studieren, die um einiges klarer definiert sind, sagen wir, die Längeder Fingernägel und die Farbe der Augen. Also muß das Interesse an

solchen Entdeckungen im gesellschaftlichen Bereich wurzeln. Aber hierist klar, daß die Entdeckung nur für Leute von Interesse ist, die glauben,

daßjedes Individuum nicht als das behandelt werden soll, was er odersie ist, sondern als Exemplar einer bestimmten (rassischen, geschlecht-

lichen oder sonstigen) Kategorie. Für alle die, die nicht von solcherleiVerirrungen befallen sind, besteht keinerlei Interesse daran, ob der durch-schnittliche Wert des IQ für irgendeine Kategorie von Personen so undso hoch ist. Nehmen wir an, wir würden entdecken, daß die Körpergrö-ße in einer schwachen Korrelation zu der Fähigkeit steht, höhere Ma-thematik zu betreiben. Würde das bedeuten, daß niemand unterhalb ei-ner bestimmten Körpergröße dazu ermutigt werden sollte, höhere Ma-thematik zu studieren, oder würde es heißen, daß jede Person als einIndividuum betrachtet und ermutigt werden sollte, höhere Mathematikzu studieren, wenn ihr Talent und ihre Interessen dies nahelegen? Of-fensichtlich letzteres, auch wenn sich dann herausstellen würde, daß

schließlich ein etwas höheren Prozentsatz größergewachsener Leute

diesen Weg einschlagen würde. Da wir nicht an der sozialen Krankheitdes,,Größenismus" leiden, interessiert die Angelegenheit niemanden.

Natürlich unterscheiden sich die Menschen in ihrer biologischenAusstattung voneinander. Schon die bloße Vorstellung einer Welt, in

der das nicht der Fall wäre, ist grauenhaft. Aber die Entdeckung einerKorrelation zwischen einigen dieser Qualitäten ist nicht von wissen-schaftlichem Interesse und ohne soziale Bedeutung, außer für Rassi-

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sten, Sexisten und ähnliche Leute. Diejenigen, die argumentieren, daßeine Korrelation zwischen Rasse und IQ besteht und rtiejenigen, diediese Behauptung bestreiten, tragen zum Rassismus und anderen Verir-rungen bei, weil das, was sie sagen, aufder Vorausssetzung basiert, daßdie Antwort auf die Frage einen Unterschied macht; das tut sie abernicht, außer für Rassisten, Sexisten und andere derartige Leute.

Fall für Fall ist es schwer, die ldee ernst zu nehmen, daß die Theorieder Umweltbestimmtheit irgendwie ,,fortschrittlich., ist und daher alsDoktrin übernommen werden sollte. Davon abgesehen ist dieser punktirrelevant, weil es sich hier um eine Frage der Wahrheit, nicht eine derDoktrin handelt. Tatsachenfragen können nicht aufder Basis ideologi-scher Verpflichtungen gelöst werden. Wie ich die ganze Zeit hervorge-hoben habe, sollten wir erfreut darüber sein, daß die Theorie der Um-wcltbestimmtheit völlig verfehlt ist, aber die Frage der Wahrheit oderFalschheit wird nicht durch unsere Vorliebe für das eine oder das ande-re Resultat der Untersuchung gelöst.

Wenngleich Tatsachenfragen nicht durch Glaubensdoktrinen gelöstwerden können, macht es manchmal Sinn, die Beziehung zwischen ideo-logischen Verpflichtungen und wissenschaftlichen überzeugungen zuuntersuchen. Das ist besonders in einem Fall wie dem hier diskutiertenangebracht, einem Fall. in dem überzeugungen über Tatsachenan-gelegenheiten von der intellektuellen Gemeinschaft über ein derartigbreites Spektrum hinweg, so lange Zeit und mit solcher Leidenschaftund Intensität vertreten werden, und zwar recht offensichtlichen Erwä-gungen faktischer und logischer Art zum Trotz. Warum üben dieseUmweltbestimmtheitsideen eine solche Anziehungskraft auf Intellek-tuelle aus?

Eine mögliche Antwort hicrauf liegt in der Rolle, die die Intellektu-ellen charakteristischerweise in den gegenwärtigen - und auch frühe-ren - Gesellschaften spielen bzw. spielten. Da die Intellektuellen dieje-nigen sind, die die Geschichte schreiben, sollten wir vorsichtig sein,was die angeblichen ,,Lehren der Geschichte" im Hinblick auf dieseRolle betrifft; es wäre keine Übenaschung, zu entdecken, daß die vonihnen präsentierte Version der Geschichte eigennützig ist, und das istauch tatsächlich der Fall. Folglich sieht das Standardbild so aus, daßdie Intellektuellen kompromißlos unabhängig, aufrecht, Verteidiger derhöchsten Werte, Gegner von Willkürherrschaft und Autorität sind undso weiter. Die Tatsachen sehen allerdings recht anders aus. In der Regelsind die Intellektuellen ideologische und soziale Manager gewesen, dieder Macht dienen oder versuchen, selbst in ihren Besitz zu gelangen,

indem sie die Kontrolle von Volksbewegungen übernehmen, als derenFührer sie sich erklären. Für Leute, die der Kontrolle und Manipulationverpflichtet sind, ist es ziemlich nützlich, zu glauben, daß die Men-schen keine ihnen innewohnende moralische und intellektuelle Naturbesitzen, daß sie lediglich Objekte sind, deren Formung staatlichen undprivaten Managern und ldeologen obliegt - die selbstverständlich er-kennen, was gut und richtig ist. Achtung vor der immanenten mensch-lichen Natur legt Manipulation und Kontrolle moralische Barrieren inden Weg, besonders falls diese Natur den libertären Konzeptionen ent-spricht, über die ich kurz gesprochen habe. Diesen Konzeptionen zu-folge sind die Menschenrechte in der menschlichen Natur verwurzelt,und es werden fundamentale Menschenrechte verletzt, wenn Menschengezwungen werden, Sklaven, Lohnsklaven oder überhaupt Diener ei-ner äußeren Macht zu sein, die Systemen von Autorität und Herrschaftunterworfen sind und ,,zu ihrem eigenen Wohl" manipuliert und kon-trolliert werden.

Ich habe den starken Verdacht, daß in diesen Spekulationen über dieansonsten ziemlich überraschende Anziehungskraft von Umwelt-bestimmtheitstheorien mehr als nur ein bißchen Wahrheit steckt.

Es wird manchmal argumentiert, daß, selbst wenn es uns gelingt,Eigenschaften der menschlichen Sprache sowie anderer menschlicherFähigkeiten mit Hilfe einer angeborenen biologischen Ausstattung zuerklären, in Wirklichkeit nichts erreicht worden ist, weil immer noch zuerklären bleibt, wie sich die biologische Ausstattung entwickelte; dasProblem ist demnach nur verschoben, nicht gelöst. Das ist ein seltsa-mes Argument. Mit gleicher Logik könnten wir argumentieren, daßnichts erklärt ist, wenn wir demonstrieren, daß ein Vogel nicht lernt,Flügel zu haben, sondern sie entwickelt, weil er aufgrund seiner geneti-schen Ausstattung so konstruiert ist; das Problem wird nur verschoben,weil immer noch zu erklären bleibt, wie die genetische Ausstattungentstanden ist. Es ist vollkommen richtig, daß sich in jedem Fall sofortneue Probleme stellen. Das ist in aller Regel der Fall, wenn wir einProblem lösen; andere Probleme nehmen dann dessen Platz ein. Aberes wäre absurd, zu behaupten, daß nichts erreicht worden ist, wenn wirherausfinden, daß den Vögeln Flügel aufgrund ihrer genetischen Aus-stattung wachsen und nicht aufgrund von Lernen, oder daß Menschenden Prozeß der Pubertät durchlaufen, weil sie genau dafür angelegt sind,und nicht etwa, indem sie andere beobachten und dann entscheiden,dasselbe zu tun. Es stimmt, daß für die Evolution der Sprache, von Flü-geln usw. noch eine Erklärung gefunden werden muß. Das ist ein ernst-

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haftes Problem, aber es gehört einem anderen Untersuchungsbereichan.

Kann dieses Problern heute schon angegangen werden? Wir wissenin der Tat wenig über diese Angelegenheit. Die Evolutionstheorie isthinsichtlich vieler Dinge informativ, aber über Fragen dieser Natur weißsie bisher wenig zu sagen. Die Antworten könnten sehr wohl wenigerin der Theorie der natürlichen Selektion liegen als in der Molekularbio-logie, in der Untersuchung der Frage, was für Arten von physischenSystemen sich unter den Lebensbedingungen auf der Erde entwickelnkönnen und warum sie es können, wobei hier die Antwort letzlich inphysikalischen Prinzipien zu suchen sein muß. Es kann sicherlich nichtangenommen werden, daß jedes Merkmal spezifisch ausgewählt wird.Im Fall von Systemen wie der Sprache oder der Flügel ist es nicht leicht,sich einen Verlaufder Selektion auch nur vorzustellen, der ihre Entste-hung veranlaßt haben könnte. Ein rudimentärer Flügel zum Beispiel istnicht ,,nützlich" für die Bewegung, sondern stellt eher ein Hemmnisdar. Weshalb sollte sich das Organ in den Frühstadien seiner Evolutiondann entwickeln?

In einigen Fällen scheint es so zu sein, daß Organe sich entwickeln,um erst dem einen Zweckzu dienen und dann, wenn sie im evolutionä-ren Prozeß eine bestimmte Forrn angenommen haben, fiir andere Zweckeverfügbar werden; von diesem Punkt an können die prozesse der natür-lichen Selektion sie für diese Zwecke weiter verfeinern. Man hat dieVermutung angestellt, daß die Entwicklung der Insektenflügel diesemMuster folgt. Insekten haben das Problem des Wärmeaustauschs, undrudimentlire Flügel können dieser Funktion dienen. Wenn sie eine be-stimmte Größe erreichen, werden sie für diesen Zweck weniger nütz-lich, werden aber allmählich nützlich fürs Fliegen, und von da an ent-wickeln sie sich zu Flügeln. Möglicherweise sind die menschlichengeistigen Fähigkeiten in einigen Fällen auf ähnliche Weise entstanden.

Nehmen wir das menschliche Vermögen, mit Zahlen umzugehen.Kinder besitzen die Fähigkeit, das Zahlensystem zu erwerben. Sie kön-nen lernen, zu zählen, und sie wissen aus irgendeinem Gruncl, daß esmöglich ist, unendlich oft weiter eins hinzuzufügen. Sie können außer-dem ohne weiteres die Technik des arithmetischen Rechnens erwerben.Wenn ein Kind nicht bereits wüßte, daß es möglich ist, unendtich ofteins hinzu zu addieren, könnte es diese Tatsache niemals lernen. Stattdessen würde es, wenn es die Zahlen l, 2, 3 bis zu irgendeiner Zahl nbeigebracht bekommt, annehmen, daß damit dann das Ganze zu Endeist. Es scheint, daß diese Fähigkeit, ebenso wie die Fähigkeit zur Spra-

che, jenseits der intellektuellen Möglichkeiten von in anderer Hinsichtintelligenten Affen liegt. Es wurde übrigens eine Weile lang geglaubt,man könne bestimmten Vögeln beibringen, zu zählen. So wurde ge-zeigt, daß man manchen Vögeln beibringen konnte, im vierten Behälterin einer linearen Anordnung Futter zu finden, wenn man ihnen zuvorvier Punkte zeigt. Diese Aufgabe konnte bis zu einer Zahl von etwasieben bewältigt werden, was zu der Schlußfolgerung führte, daß Vö-gel zählen können. Aber diese Schlußfolgerung ist unrichtig. Die ele-mentarste Eigenschaft des Zahlensystems ist, daß die Reihe der Zahlenunendlich weitergeht; man kann immer noch einmal eins hinzuftigen.Vögel mögen gewisse begrenzte Fähigkeiten haben, Anordnungen vonnicht allzu vielen Gegenständen zu erfassen, aber das hat nichts mitdem Vermögen, mit Zahlen umzugehen, zu tun. Die Fähigkeit, zu zäh-len, besteht nicht in ,,mehr vom selben", sondern in etwas in seinemCharakter davon vollkommen verschiedenem.

Wie entwickelte sich das Zählvermögen? Es ist unmöglich zu glau-ben, daß es spezifisch selektiert wurde. Es gibt heute noch Kulturen,die keinen Gebrauch von diesem Vermögen gemacht haben; ihre Spracheenthält keine Methode, unendlich viele Zahlwörter zu konstruieren, unddie Menschen dieser Kulturen wissen nichts von der Möglichkeit desZählens. Aber sie besitzen mit Sicherheit die Fähigkeit dazu. Erwach-sene können schnell lernen, zu zählen undArithmetik zu betreiben, wennsie in eine geeignete Umgebung versetzt werden, und ein Kind voneinem derartigen Stamm, das in einer technologischen Gesellschaftaufgezogen wird, kann ebenso leicht wie irgend jemand sonst ein Inge-nieur oder Physiker werden. Die Fähigkeit ist vorhanden, aber latent.

Tatsächlich war diese Fähigkeit während fast der gesamten mensch-lichen Geschichte latent und brachliegend. Das Vermögen, mit Zahlenumzugehen, manifestierte sich, in Begriffen der Evolution, erst vor kur-zem, nämlich zu der 7,eit, als die menschliche Evolution ihr gegenwär-tiges Stadium erreichte. Es ist ganz einfach nicht der Fall, daß Men-schen, die zählen oder Probleme derArithmetik oder der Zahlentheorielösen konnten, deswegen imstande waren, zu überleben und weitereNachkommen hervorzubringen, so daß sich die Fähigkeit durch natür-liche Selektion entwickelte. Stattdessen entwickelte sie sich als Neben-produkt von etwas anderem und stand zum Gebrauch zur Verfügung,als die Umstände danach riefen.

An diesem Punkt kann man nur spekulieren, aber es ist möglich, daßsich das Zählvermögen als ein Nebenprodukt des Sprachvermögensentwickelte. Letzteres hat Merkmale, dic sehr ungewöhnlich, vielleicht

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einzigartig in der biologischen Welt sind. Sie hat, in technischen Be-griffen, die Eigenschaft der ,diskreten Unendlichkeit." Um es einfächauszudrücken: Jeder Satz hat eine festgelegteAnzahl von Wörtern: eins,zwei, siebenundvierzig, dreiundneunzig usw. Und es besteht im Prinzipkeine Grenze dafür, wieviel Wörter der Satz enthalten kann. Andere inder Tierwelt bekannte Systeme sind hiervon ganz verschieden. So istdas System der Affenrufe endlich; es gibt eine feststehende Anzahl da-von, sagen wir vierzig. Auf der anderen Seite ist die sogenannte Bie-nensprache unendlich, aber sie ist nicht diskret. Eine Biene signalisiertdie Entfernung einer Blume vom Bienenstock durch eine bestimmteForm der Bewegung;je größer die Entfernung, desto stärker die Bewe-gung. Zwischen zwei beliebigen Entfernungssignalen gibt es prinzpiellimmer ein weiteres, das eine dazwischenliegende Entiernung signali-siert, und diesem Umstand entspricht die Fähigkeit, die entsprechendenEntfernungen auch zu unterscheiden. Man könnte argumentieren, daßdieses System sogar noch ,,reicher" als die menschliche Sprache ist,weil es in einem gewissen mathematisch wohldefinierten Sinn ,,mehrSignale" enthält. Aber das ist sinnlos. Es handelt sich ganz einfach umein anderes System mit einer vollkommen anderen Grundlage. Es eine

,,Sprache" zu nennen, heißt nuq eine irreführende Metapher zu ver-wenden.

Die menschliche Sprache hat die äußerst ungewöhnliche, möglicher-weise einzigartige Eigenschaft der diskreten Unendlichkeit, und das-selbe gilt für das menschliche Zählvermögen. Tatsächlich könnten wiruns letzteres seinem Wesen nach als eine von der menschlichen Spra-che ausgehende ,,Abstraktion" denken, die den Mechanismus der dis-kreten Unendlichkeit bewahrt und die weiteren besonderen Merkmaleder Sprache ausscheidet. Wenn das stimmt, würde es die Tatsache er-klären, daß das menschliche Zählvermögen vorhanden ist, obwohl sieim Verlauf der Evolution nicht genutzt wurde.

Das läßt immer noch die Frage nach dem Ursprung der menschli-chen Sprache offen. Hier gibt es nichts als einige Spekulationen, undsie scheinen nicht überzeugend. Es könnte sein, daß sich vor ferner Zeiteine Mutation ereignete, die die Eigenschaft der disketen Unendlich-keit entstehen ließ, vielleicht aus Gründen, die mit der Biologie der7,e,llen zu tun haben und mit Hilfe der Eigenschaften von bis jetzt unbe-kannten physikalischen Mechanismen erklärt werden müssen. Es warvielleicht schon ohne diese Fähigkeit möglich gewesen, ,,Gedanken"eines bestimmten eingeschränkten Charakters ,,zu denken", aber mitder Existenz der Fähigkeit hätte derselbe konzeptuelleApparat die Frei-

heit zur Konstruktion neuer Gedanken und zu Operationen unter Ver-wendung dieser Gedanken wie dem Schluf3lblgern gewonnen, und es

wäre möglich geworden, diese Gedanken zum Ausdruck zu bringenund auszutauschen. An diesem Punkt könnte evolutionärer Druck dieweitere Entwicklung der Fähigkeit zumindest zum Teil geformt haben.

Aber es ist auch sehr gut möglich, daß andere Aspekte ihrer evolutionä-ren Entwicklung wiederum die Wirkung physikalischer Gesetze wider-spiegeln, die für ein Gehirn von einem bestimmten Grad an Komplexi-tät gelten. Wir wissen es einfach nicht.

Dies scheint mir im großen und ganzen der heutige Stand der Dingezu sein. In bestimmten Bereichen, wie der Erforschung der Sprache

und des Sehens, hat es beträchtliche Fortschritte gegeben, und es wirdmit Sicherheit noch mehr davon gcben. Aber viele Fragen liegen ge-

genwärtig jenseits unseres intellektuellen Zugangs, und das wird viel-leicht immer so bleiben.

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Fragen und Antworten

VORLESANG IFrage: Wenn ein Kind in einer reichen Umgebung aufwächst, dannwird dieses Kind sich sehr verschieden von einem Kind entwickeln,das vernachlässigt oder in ein Waisenhaus geschickt oder einer ähnli-chen Behandlung ausgesetzl war. Was macht den Unterschied aus?Antwort: Lassen Sie mich mit einem einfachen Fall aus der Physiolo-gie beginnen, über den wir einiges wissen. Nehmen wir eine Katze, dieja ein visuelles System hat, das dem menschlichen visuellen Systemrecht ähnlich ist. Nun verstehen wir inzwischen ziemlich viel von derPhysiologie beziehungsweise der Neurologie des visuellen Systems. Wirwissen zum Beispiel, daß das visuelle System eines Säugetieres visuel-le Reize als gerade Linien, Winkel, Bewegungen und dreidimensionaleObjekte interpretiert. Nehmen wir also an, ich zeichne etwas derartigesan die Tafel. Was Sie sehen, ist ein leicht verzerrtes Dreieck. Mit ande-ren Worten, Sie sehen ein ideales Euklidisches Objekt, das gewisseAbweichungen aufweist. Und dasselbe gilt wahrscheinlich für ein Klein-kind oder, was das betrifft, eine kleine Katze - ein Kätzchen wird dieseLinien vermutlich als ein verzerrtes Dreieck sehen. Und es gibt nochviele noch komplexere Fälle.

Auch dies sind wieder übenaschende Erscheinungen. Wir sehen dieseFigur nicht genau als das, was sie ist, sondern wir sehen sie als verzerr-te Version einer idealen Figur, die in der Natur gar nicht existiert. In derNatur gibt es keine geraden Linien.

Das Gehirn eines Kindes oder eines Kätzchens führt nun aufgrundseiner ganz besonderen Beschaffenheit äußerst komplexe Berechnun-gen aus, die diese Art der Interpretation der physischen Welt zum Er-gebnis haben. Das geschieht innerhalb des Geistes, ohne jegliche be-wußte Theorie.

Nehmen wir an, wir nehmen ein Kätzchen und lassen es mit einerBlende über den Augen aufwachsen, die das Licht durchläßt, allerdingsnicht in Mustern. nur als diffuses Licht. Was wir dann entdecken. ist.daß dieses Berechnungssystem zerstört wird. Also wird die erwachseneKatze, wenn sie nur diffusem Licht und keinen Mustern ausgesetztworden ist, Gegenstände buchstäblich nicht sehen können.

Das illustriert nun eine sehr allgemeine Tatsache hinsichtlich derBiologie von Organen. Es muß eine genügend reiche Stimulierung von

seiten der Umgebung vorhanden sein, damit der genetisch detenninier-te Prozeß sich auf die durch seine Programmierung f'estgelegte Weiseentwickeln kann.

Der Begriff hierfür ist ,,Auslösung"i das heißt, die Erfahrung be-stimmt nicht, wie der Geist arbeiten wird, sondern sie löst ihn aus, sie

veranlaßt ihn, auf seine eigene, weitgehend vorherbestimmte Weise zuarbeiten. Es ist ein bißchen wie bei einem Auto. Wenn man den Schlüs-sel des Anlassers herumdreht, funktioniert es wie ein Wagen, nicht wieein Flugzeug. Das liegt daran, daß es wie ein Wagen gebaut ist. Aberwenn man den Schlüssel nicht herumdreht, wird nichts passieren.

Mit anderen Worten hängt das, was das System tut, davon ab, wie es

konstruiert ist. Aber es benötigt die richtige Sorte von Auslöser, um dieTätigkeit aufzunehmen, auf deren Ausübung es angelegt ist. Das visu-elle System muß musterartigen Reizen ausgesetzt werden, um die kom-plexen Operationen auszuführen, zu deren Verrichtung es konstruiertist.

Ich möchte jetzt auf eine komplexen Fall kommen, der näher an Ih-rer Frage liegt. Nehmen wir ein kleines Lamm. Es ist bekannt, daß die-ses Lamm, wenn man es von seiner Mutter trennt und isoliert aufwach-sen läßt, Tiefe nicht richtig wahrnehmen wird. Natürlich lehrt die Mut-ter das Lamm nicht, Tiefe wahrzunehmen, aber es gibt etwas in derInteraktion zwischen dem Lamm und seiner Mutter, das das visuelleSystem in die Lage versetzt, auf dieArt zu arbeiten, auf die zu arbeitenes angelegt ist.

Nehmen wir nun ein Kind, das in einem Waisenhaus aufgezogenwird, und nehmen wir an, daß das Kind die richtige medizinische Für-sorge und Nahrung erhält und normale Erfahrung mit der physischenWelt hat. Nichtsdestoweniger kann das Kind in seinen praktischen Fä-higkeiten sehr eingeschränkt sein. Tatsächlich kann das Kind unterUmständen die ganze Tnit genau wie zu Hause Sprache hören und dannvielleicht die Sprache dennoch nicht richtig lernen. Und dasselbe giltfür andere geistige Fähigkeiten wie die Fähigkeit zur Problemlösungoder zur künstlerischen Kreativität und so weiter. Das Wesentliche hierist, daß der Geist sehr reiche Fähigkeiten hat, daß aber bestimmteArtenvon stimulierenden Umgebungen nötig sind, damit diese Fähigkeitenin Funktion treten können. Ein gutes System der Kindererziehung wirdalso den Kindern eine stimulierende, liebevolle Umgebung geben, inder ihre natürlichen Fähigkeiten gedeihen können. Diese Fähigkeitenwerden nicht gelehrt. Sie erhalten lediglich die Gelegenheit, ihr Funk-tionieren so zu entwickeln, wie es in ihnen angelegt ist.

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Was dagegen die Schulen tun, ist oft das genaue Gegenteil. Das Schul-system ist darauf angelegt, Gehorsam und Konformität zu lehren unddie natürlichen Möglichkeiten des Kindes an ihrer Entwicklung zu hin-dern. Ich denke, daß es hierfür sehr gute gesellschaftliche Gründe gibt.Diese stehen mehr in Beziehung zu dem, worüber ich heute nachmittagsprechen werde.Frage: [Unverständlich auf der Bandaufzeichnung.]Antwort: Sie haben recht. Ich habe biologische Tatsachen hervorgeho-ben und habe nichts über historische und gesellschaftliche Tatsachengesagt. Und ich werde auch nichts über diese Faktoren beim Sprach-erwerb sagen. Und zwar deshalb, weil ich denke, daß sie relativ un-wichtig sind. Soweit wir wissen, wird die Entwicklung menschlichergeistiger Fähigkeiten weitgehend von unserer inneren biologischen Naturbestimmt. Im Falle einer natürlichen Fähigkeit wie der Sprache nunpassiert diese Entwicklung ganz einfach, genau in der Art, wie manlaufen lernt. Mit anderen Worten, Sprache ist nicht wirklich etwas, wasman lernt. Der Spracherwerb ist etwas, was einem geschieht, er ist nichtetwas, was man tut. Sprachlernen ist so etwas wie das Durchlaufen derPubertät. Wir lernen nicht, es zu tun; wir tun es nicht, weil wir andereLeute dabei sehen, wie sie es tun; wir sind einfach so angelegt, daß wires zu einer bestimmten 7,e,ittun werden.

Nun gibt es gesellschaftliche und andere Faktoren, die eine Auswir-kung aufdiesen biologischen Prozeß haben können. Zum Beispiel kanndas Ernährungsniveau den Zeitpunkt des Beginns der pubertät um ei-nen sehr großen Faktor, vielleicht 2 zu l, verschieben. Aber der eigent-lich vor sich gehende Prozeß ist in erster Linie biologisch determiniert.Es gibt gesellschaftliche Fakroren, die die Geschwindigkeit und denZeitpunkt usw. bestimmen, aber zum größten Teil besteht das, was pas-siert, darin, daß der biologische Prozeß in der Weise voranschreitet, diefür ihn von vornherein festgelegt ist.

Wenn wir natürliche menschliche Funktionen, wie die Entwicklungkonzeptueller Strukturen und grundlegende Formen des Denkens undder Interpretation der physischen und gesellschaftlichen Welt um unsherum untersuchen, dann ist das nicht viel anders, als würden wir z.B.die Pubertät erforschen. Wenn wir bestimmte andere Merkmale desmenschlichen Lebens, etwa die Tendenz der Menschen, Handel zu trei-ben usw., studieren, werden wir uns dagegen mit Sicherheit sozialenund geschichtlichen Faktoren zuwenden müssen, die bestimmteAspekteder menschlichen Persönlichkeit unterdrücken, während sie andere zumVorschein bringen.

Zum Beispiel hat sich jede soziale Revolution mit dem Problem aus-einandersetzen müssen, daß, aus wohlbekannten Gründen, in Bauern-gesellschaften im allgemeinen bestimmte Merkmale vorhenschend sind,wie etwa der Wunsch, von Interaktion mit anderen Leuten unabhängigzu sein. Es ist oft schwierig, die Leute in einer traditionellen Bauern-gesellschaft zu überzeugen, etwa beim Bau eines gemeinsarnen Brun-nens zusammenzuarbeiten, obwohl alle davon profitieren würden. Esgibt andere gesellschaftliche Strukturen - zum Beispiel Teile der rno-dernen Wissenschaften -, in denen kooperative Anstrengungen ganz

selbstverständlich sind. Die menschliche Natur legt aber weder Isola-tion noch Kooperation von vornherein fest. Tatsächlich erlauben unter-schiedliche historische und soziale Umstände bestimmtenAspekten dermenschlichen Natur, zum Vorschein zu kommen und zu gedeihen, wäh-rend andere Aspekte unterdrückt werden. Ein Teil jeder erfolgreichengesellschaftlichen Revolution besteht darin, die Menschen dazu zu brin-gen, daß sie verstehen, daß derWunsch, kooperativ und konstruktiv rnitanderen, die dieselben Interessen haben, für gemeinsame Ziele zu ar-beiten, einen Teil ihrer Natur bildet. Das ist ein sehr schwer zu errei-chendes Ziel.

Hier haben wir nun einige Jahrhunderte an Erfahrung hinter uns, dieaber nur für einen sehr kleinen Teil dieses Problems relevant ist, näm-lich die Kooperation im politischen Bereich. Das ist einZiel, das dieindustriellen Demokratien verkünden und, zumindest in der Theorie,seit zweihundert Jahren zu erreichen versucht haben, allerdings ohneallzu großen Erfolg. So bedeutet zum Beispiel in den Vereinigten Staa-ten politische Beteiligung, daß man von anderen getroffene Entschei-dungen bestätigen, aber keinerlei bedeutsame Rolle bei der Ausarbei-tung dieser Entscheidungen spielen kann. Das ist es, was wir parlamen-tarische Demokratie nennen. Aber das ist eine sehr primitive Form derBeteiligung und des Entscheidungsprozesses. Und obwohl die Leutedie formale Möglichkeit haben, am Entscheidungsprozeß im politischenBereich teilzunehmen, ist das System daraufangelegt, sie davon abzu-halten, dies zu tun. Was in dieser Beziehung besonders aussagekäftigist, ist, daß viele Menschen gar nicht das Gefühl haben, daß hier einMangel besteht. Aber das bedeutet, daß die politische Revolution des

achtzehnten Jahrhunderts in Wirklichkeit nirch gar nicht stattgefundenhat. Wenn wir an komplexere Fragen wie die Organisation der Arbeiterund der Produktion und so weiter denken, stellen sich gänzlich neue

Probleme.Bei der Untersuchung dieser Fragen, die ganz gewiß Fragen der

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menschlichen Natur und der Formen ihrer Entwicklung sind, werdenwir uns sehr eingehend genau dem Problem zuwenden müssen, aufdasSie hingewiesen haben, das heißt, den historischen uncl sozialen Bedin-gungen. Aber wenn wir naturgegebene menschliche Funktionen, wiedie grundlegenden Methoden des Denkens und die konzeptuelle Struk-tur der Sprache untersuchen, spielen diese Faktoren nur eine marginaleRolle, außer in Bezug aufdas Problem, das von der vorigen Frage auf-geworfen wurde, nämlich, daß die soziale Umgebung die natürlichemenschliche Kreativität etc. oft daran hindert, sich auf normale Weisezu entwickeln, und dies manchmal absichtlich.

VORLESUNG 4

Frage: Der Geist nimmt die Berechnung der Bedeutung eines Satzesund seiner Wörter ohne Zeitaufwand vor. ... Glauben sie, daß es nocheinen weiteren Prozeß geben muß, der Wörtern spezifische Bedeutun-gen zuweist, und findet dieser Prozeß zur gleichen Zeit statt? Und au-ßerdem wüßte ich gerne, welche der vielen Theorien der Bedeutung,die bisher vorgeschlagen wurden, Sie am zutreffendsten finden?Antwort: Nun, zum ersten Teil: Verstehen Sie die Bedeutung des Aus-drucks ,,ohne Zeitaufwand"? Die Antwort lautet ganz gewiß ja. Tat-sächlich kann man sogar demonstrieren, daß setbst das Verstehen einesSatzes praktisch mit der Geschwindigkeit neuraler übermittlung vorsich geht. Es geschieht mit der Geschwindigkeit, mit der die NervenSignale übermitteln können. Was nun Theorien der Bedeutung betrifft- das ist eine interessante Frage. Ich denke, daß keine von ihnen bisjetzt sehr erfolgreich ist, und ich glaube sogar, daß viele von ihnen ziem-lich auf dem Holzweg sind, aber ich würde vorschlagen, dieses Themabis morgen zurückzustellen. Wenn ich morgen nicht darüber spreche,erinnern Sie mich daranFrage: Professor Chomsky, Sie haben in einer Ihrer Vorlesungen ge-sagt, der Marxismus und der Materialismus hätten die Sprachforschungblockiert. Könnten sie das weiter ausführen?Antwort: Nun, hier müssen wir vorsichtig sein. Mit Marxismus undMaterialismus meine ich die spezielle Form von Marxismus und Mate-rialismus, die sich im Westen während des letzten Jahrhunderts entwik-kelt hat, besonders seit der bolschewistischen Revolution, die einer be-sonderen Version von Marxismus großes Prestige verlieh: nämlich dem,was manchmal Marxismus-Leninismus genannt wird und nur einen sehr

kleinen Teil der sehr breiten marxistischen Tradition von vor achtzigJahren darstellt.

Ich möchte dazu sagen, daß ich persönlich Begrilfe wie ,,Marxis-mus" nicht gern verwende. MeinerAnsicht nach gehören Begriffe wie,,Marxismus" zur Geschichte der organisierten Religion. So hat manzum Beispiel in der Wissenschaft keine Begriffe wie Marxismus. Allemodernen Physiker sind der Ansicht, daß Einstein mehr oder wenigerrecht hatte, aber es gibt keine Theorie des Einsteinismus. Der Grunddafür ist, daß Einstein kein Gott war. Er war ein Mensch, der außeror-dentlich brilliante und bedeutende Ideen hatte, von denen einige falschwaren und andere in spätererArbeit, die aufdiesen Ideen aufbaute, ver-bessert wurden. Dementsprechend würde Einstein, wenn er heute zurWelt käme, einigen Ansichten, die er 1930 vorgetragen hatte, nicht mehrzustimmen.

Ich persönlich denke, daß Marx ein Mensch war, kein Gott. In die-sem Fall nun sprechen wir von einem Menschen mit sehr wichtigenIdeen und einem Menschen, der viele Fehler machte, weshalb er auchseine Ansichten sein ganzes Leben lang fortwährend änderte. Und inden hundert Jahren seither haben wir zusätzlich noch einiges mehr überviele weitere seiner Fehler gelernt. Tatsächlich war er ein Mensch wieviele andere Menschen auch und hatte in persönlicher Hinsicht sehrernste Mängel. So zerstörte er zum Beispiel die Erste Internationale,weil sie von Gruppen aus derArbeiterklasse übernommen wurde, die ernicht leiden konnte. Nun, das sind alles Gründe, warum wir gegen Marxetwas einzuwenden haben sollten: sowohl wegen einiger seiner persön-lichen Handlungen als auch wegen einiger seiner intellektuellen Intü-mer. Aber das besagt ja lediglich, daß Marx ein Mensch war und keinGott.

Wenn wir nun die intellektuellen Beiträge des Menschen namensMarx (im Gegensatz zu denen des Marxismus) einschätzen wollen, dannwerden wir keine Marxisten sein, genau wie wir, wenn wir die intellek-tuellen Beiträge Albert Einsteins einschätzen wollen, keine gläubigenAnhänger des Einsteinismus sein werden. Tatsächlich würde anEinsteinismus zu glauben heißen, daß wir Einstein als menschlichesWesen nicht ernst nehmen.

Ein Teil des Problems des zeitgenössischen politischen Denkens be-steht meines Erachtens gerade darin, daß es Marx in eine Figur derorganisierten Religion verwandelt hat, und tatsächlich spiegeln Kon-zepte wie ,,Marxismus" diese Tatsache wider.

Dasselbe gilt, wenn wir über Konzepte wie Materialismus sprechen.

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Es gibt viele Arten von Materialismus. Der Materialismus ist eine Dok-trin, die im Verlauf der Jahrhunderte, während die Menschen ihr Wis-sen über die zugrundeliegenden Fragen erweiterten, unterschiedlicheFormen angenommen hat. So bedeutete Materialismus im sechzehntenJahrhundert das, was passiert, wenn Dinge gegeneinander stoßen. EinJahrhundert nach Isaak Newton schloß der Materialismus außerdemKräfte ein, die Gegenstände miteinander in Beziehung setzten, die ein-ander nicht berührten. Heute gehören zum Materialismus Teilchen, diekeine Masse besitzen, und wer weiß, wie der Materialismus in fünfzigJahren aussehen wird. Ich will auf dieses Thema morgen noch zurück-kommen, deswegen verfolge ich es jetzt nicht weiter. Was ich aber un-terstreichen möchte, ist, daß es nur dann möglich ist, zu Ihrer Frageetwas Sinnvolles zu sagen, wenn wir das Werk von Karl Marx und Ideenwie den Materialismus als intellektuelle Beiträge behandeln und nichtals göttliche Erleuchtung. Dann werden wir fragen, welcheAspekte vonMarx'Werk brauchbar sind und was davon geändert werden muß. Undwir werden fragen, welche Form von Materialismus Sinn macht undwelche Formen nicht weiter führen. Sehr oft werden Fragen formuliert,die irgendwelche vernünftige Antworten erst gar nicht ermöglichen. Dasist in der Propaganda, der Ideologie und der Politik sehr häufig, undeins der Dinge, die wir lernen sollten, ist, darauf nicht hereinzufallen.

Um nun auf die Frage zurückkommen: Insoweit der Marxismus undder Materialismus als religiöse Doktrinen behandelt werden, bestehtkein Zweifel, daß dies die Erforschung der Sprache und jeglichersonstiger Bereiche behindert, genau wie andere irrationale Bindungendas tun. Wenn wir ansonsten versuchen, Ideen aus dem Werk von Marxherauszuziehen, die für unsere Forschungstätigkeit heute wertvoll sind,werden wiq denke ich, sehr wenig finden, was zur Untersuchung vonSprache überhaupt einen Bezug aufweist, so daß in diesem Sinn seineIdeen diese Untersuchung weder behindern noch erleichtern. Was denMaterialismus betrifft, so stellt er keine wohldefinierte Menge von Ideenoder Prinzipien dar, die Frage kann also aus diesem Grund nichtbeantwortet werden. Ich werde auf einige dieser Fragen morgen zu-rückkommen. Vielleicht können wir das Thema dann wieder aufneh-men.

Frage: Warum ist es so schwierig, Erwachsene Sprache zu lehren, wäh-rend Kinder Sprache auch ohne Unterricht so leicht lernen?Antwort: Die Wissenschaftler kennen die Antwort nicht. Irgendetwasmuß mit dem Gehirn passieren, so um die Tcit der Pubertät herum.Niemand weiß viel darüber. Es wäre nicht weiter übenaschend. Die

meisten biologischen Fähigkeiten haben eine Zeit,zu der sie aktiv wer-den müssen; vor oder nach dieser Zeit sind sie nicht aktiv. So lernt zumBeispiel jedes Kind ohne besonderen Unterricht laufen. Wenn ein Kindsich gleich nach der Geburt ein Bein bricht, das eingegipst bleibt, bisdas Kind achtzehn Monate alt ist, und der Gips dann abgenommen wird,dann wird das Kind ziemlich bald laufen können. Aber wenn man dasBein eingegipst läßt, bis das Kind sieben Jahre alt ist, dann wird es

wahrscheinlich überhaupt nie laufen lernen. Ich bin mir hier nicht ganzsicher, weil ich nicht weiß, ob es solche Fälle gibt, aber es ist eine plau-sible Vermutung. In Experimenten mit Tieren sind derartige Dinge de-monstriert worden.

Hier nun ein Fall aus der Realität. Nehmen Sie eine Taube. Es gibtein bestimmtes Alter - ich habe vergessen, welches, vielleicht zweiWochen, ungefähr -, in dem eine Taube anfangen muß, zu fliegen. Wennman nun die Taube in einer engen Kiste hält, so daß sie ihre Flügel biszu diesem Alter nicht bewegen kann, und sie dann aus der Kiste heraus-läßt, wird sie genauso gut fliegen wie jede Taube, die während dieserganzen Zeitim Nest saß. Aber wenn man sie noch ein oder zwei weitereWochen in dieser Kiste hält und sie dann aus der Kiste herausläßt, wirdsie nie mehr in der Lage sein, zu fliegen. Es ist sehr wahrscheinlich, daßes sich mit der Sprache so ähnlich verhält.

Für den Sprachlehrer bedeutet das, daß man einem Erwachsenen eineSprache einfach nicht auf die Weise beibringen kann, wie ein Kind eineSprache lernt. Das ist der Grund, warum diese Aufgabe so schwierigist.Frage: Wie könnte man die neuen Erkenntnisse, die in diesen Vorle-sungen diskutiert wurden, beim Sprachunterricht und beim Übersetzennutzen, und wie sieht Ihre Erklärung für Konnotationen (Mit-bedeutungen) und sonstige Probleme aus, die nicht zu dem Bereichgehören, über den Sie gesprochen haben?Antwort: Dazu eine allgemeine Feststellung. Leute, die mit einer prak-tischen Tätigkeit wie Sprachunterricht, Übersetzung oder dem Bau vonBrücken befaßt sind, sollten wahrscheinlich ein Auge auf das behalten,was in den Wissenschaften vor sich geht. Aber sie sollten es wahrschein-lich nicht zu ernst nehmen, weil die Fähigkeit, ohne besondere bewußteWahrnehmung dessen, was man tut, praktische Tätigkeiten durchzu-führen, im allgemeinen viel weiter fortgeschritten ist als die Kenntnisseder Wissenschaft. Die Geschichte der Naturwissenschaften ist in dieserHinsicht interessant. Die Ingenieure wußten schon seit vielen Jahrhun-derten, wie man alle möglichen komplizierten und erstaunlichen Dinge

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macht. Erst im neunzehnten Jahrhundert begann die physik, aufzuho-len und einige Beiträge zum Verständnis zu liefern, die für die Inge-nieure tatsächlich von Nutzen waren. Aber die Physik war im neun-zehnten Jahrhundert weitaus fortgeschrittener als heute unser Verständ-nis von Sprachen, und der Bau von Brücken ist viel weniger komplexals das, was beim Untenichten von Sprachen und beim übersetzen tat-sächlich vor sich geht. Darum denke ich, daß die Antwort auf Ihre Fra-ge lautet, daß ich nicht glaube, daß die moderne Linguistik uns hier vielvon praktischem Nutzen sagen kann. Ich denke, es ist eine gute Idee,ein Augenmerk auf das zu behalten, was dort vor sich geht, und zusehen, ob sie Anregungen geben kann, die den übersetzer oder Lehrerbeftihigen, seine Arbeit besser zu tun, aber das ist wirklich eine Sache,die die Person, die mit der jeweiligen praktischen Akrivirär befaßt isr,selbst entscheiden muß.

Die Psychologie und die Linguistik haben eine Menge Schaden an-gerichtet, indem sie vorgaben, Antworten auf diese Fragen zu habenund indem sie den Lehrern und den kuten, die mit Kindern zu tunhaben, erzählten, wie sie sich verhalten sollten. Oti sind die von denWissenschaftlern vorgetragenen ldeen total verrückt und können pro-bleme verursachen. Ich könnte lhnen einige Beispiele für den Schadengeben, der angerichtet wurde, aber ich will dem nicht weiter nachge-hen. Hier trotzdem ein Beispiel, um zu illustrieren, wie man es bessernicht macht.

Ich wurde einmal von Leuten an der Universität nach puerto Ricoeingeladen. Sie wollten, daß ich über Sprachwissenschaft spreche, miraber außerdem auch die Sprachprogramme an den Schulen ansehe. Nun,in Purto Rico wird Spanisch gesprochen, aber die Schüler müssen Eng-lisch lernen. Zu jener Zeit ging jedes Kind zwölf Jahre lang zur Schule.Sie bekamen zwölf Jahre lang ftinf Tage in der Woche Englischunter-richt, und wenn sie fertig damit waren, konnten sie nicht einmal ,,Wegehts?" sagen. Tatsächlich könnte ich sagen, daß die einzigen Leute,mit denen ein Nicht-Spanischsprecher in Puerto Rico zu dieser Zeitreden konnte, ältere Leute waren, die keine Schulbildung genossen hat-ten. Was war also dort los?

Man zeigte meiner Frau und mir einige der Schulen, damit wir unsansehen konnten, was da vor sich ging, und wir fanden heraus, daß mandort Englisch in Übereinstimmung mit den neuesten wissenschaftlichenTheorien unterrichtete. Der letzte Schrei an wissenschaftlicher Theoriebesagte zu der Znit, daß Sprache ein Gewohnheitssystem ist, und daßdas Lernen einer Sprache einfach in der Erlernung dieser Gewohnhei-

ten besteht. Es ist so etwas wie das Fangen eines Balls oder sonst etwasdieser Art. Man macht es eintäch längere Zeit, immer und immer wie-der, bis man gut darin wird. Sie benutzten ein System, das sie Muster-übung nannten. Man nimmt ein bestimmtes sprachliches Muster undwiederholt es dann einfach immer wieder. Nun, das offensichtlichste an

diesen Methoden ist, daß sie so langweilig sind, daß man nach dreiMinuten einschläft. Und wenn man dann in die Klasse geht, sieht man,daß die Kinder zum Fenster heraussehen oder Gegenstände nach demLehrer werfen oder sonst etwas von der Sorte. Sie bringen vielleichtgenügend Aufmerksamkeit auf, um sagen zu können, was der Lehrervon ihnen hören will, aber es ist ganz klar, daß sie es ein paar Minutenspäter vergessen haben werden. Und das geht dann zwölfJahre so wei-ter, fiinf Tage in der Woche, und das Ergebnis ist vorhersagbarerweisepraktisch null.

In Wirklichkeit verhält es sich so, daß ungeftihr 99 Prozent der Lehr-tätigkeit darin besteht, dem Schüler ein Interesse am jeweiligen Stoffzu vermitteln. Dann hat das restliche eine Prozent etwas mit den Lehr-methoden zu tun. Und das gilt nicht nur für Sprachen. Es gilt für jedesFach. Wir sind alle auf Schulen oder Hochschulen gegangen, und Siealle wissen, daß Sie an der Schule Kurse gemacht haben, wo Sie genuggelernt haben, um die jeweilige Prüfung zu bestehen, und eine Wochespäter vergessen haben, was überhaupt das Thema war. Das ist genau

das Problem. Lernen erzielt keine bleibenden Resultate, wenn man kei-nen Sinn darin sieht. Lernen muß von innen kommen; man muß lernenwollen. Wenn man lernen will, dann wird man lernen, ganz gleich, wieschlecht die Methoden sind.

Aber ein puertoricanisches Kind will Spanisch nicht deshalb lernen,weil es darüber nachgedacht hat, sondern weil das Kind ein biologi-scher Organismus ist, der im Alter von drei Jahren danach strebt, dieSprache seiner sozialen Umgebung zu lernen. Ein zehnjähriges Kind inPuerto Rico jedoch sieht keinen besonderen Grund, Englisch zu lernen,und wenn man diesem Kind keinerlei Grund zum Englischlernen gibt,dann wird es das auch nicht tun, ganz gleich, wie gut die Methodensind. Und wenn Methoden benutzt werden, die geradezu darauf ange-legt sind, sicherzustellen, daß kein vernünftiger Mensch seineAufmerk-samkeit darauf konzentrieren kann, ist das Ganze einfach hoffnungs-los.

Die richtige Schlußfolgerung ist meinerAnsicht nach folgende: Be-nutze deinen gesunden Menschenverstand und benutze deine Erlahrung,und höre nicht allzu sehr auf die Wissenschaftler, es sei denn, du findest

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heraus, daß das, was sie sagen, wirklich praktischen Wert hat und fürdas Verständnis der Probleme, mit denen du zu tun hasr. hilfreich ist.wie es manchmal tatsächlich der Fall ist.

VORLESUNG 5

Frage: Sie haben über die Sprache als physikalisches Objekt gespro-chen, aber Sie sprechen natürlich von abstrakten Strukturen wie Re-geln, Phrasen und so weiter. Ist das für, sagen wir einmal, einen Physi-ker - einen Quantenphysiker, und dieser spricht ja über physikalischeStrukturen - anders? Sollte das physikalische Objekt nicht durch diePrinzipien der Quantenphysik erklärt werden? Das heißt, Sprache istein physikalisches Objekt. Die zweite Frage ist, ob wir uns ein Gehirnvorstellen könnten, daß ein sprachliches Modul, aber kein mathemati-sches Modul hat, oder sind diese beiden ein und dasselbe?Antwort: Lassen Sie mich die zweite Frage zuerst beantworten. Das isteine sehr gute Frage. Man erinnere sich an das Problem, das sich biolo-gischen Theorien stellt, das heißt: Warum besitzen wir die Fähigkeitzur Mathematik, wo diese doch nie ein Faktor in der Evolution war?Die Antwort hierauf ist, daß die Fähigkeit, Mathematik zu berreiben,nur die Widerspiegelung irgendeiner anderen Fähigkeit ist. Das heißt,die Gesetze der Physik legen fest, daßjemand, der diese andere Fähig-keit besitzt, auch eine Befähigung zur Mathematik besitzen wird. Wasist nun diese andere Fähigkeit? Wahrscheinlich die Sprache. Denn wennman sich die Struktur von Mathematik ansieht, stellt sich tatsächlichheraus, daß sie in einem gewisssen abstrakten Sinn auf die Weise, wieich sie kurz in der heutigen Vorlesung diskutiert habe, von der Strukturder Sprache abstrahiert ist.

Nun zu einigen Spekulationen über die menschliche Evolution. Viel-leicht fand irgendwann vor hundertausenden von Jahren eine kleineVeränderung, irgendeine Mutation in den Zellen vormenschlicher Or-ganismen statt. Und aus bis jetzt noch unverstandenen physikalischenGründen ftihrte das zur Repräsentation der Mechanismen der disketenUnendlichkeit, des grundlegenden Konzepts der Sprache wie auch desZahlensystems, im GeisVGehirn. Das machte es möglich, zu denken -in unserem jetzigen Sinn von Denken. Das heißt, nunmehr konnten dieMenschen - oder vormenschlichen Wesen - über das bloße Reagierenauf Reize hinausgehen und konnten aus der Welt ihrer Erfahrung, und,von da an, auch der Welt ihrer Vorstellung komplexe Strukturen kon-

struieren. Vielleicht war das der Ursprung der menschlichen Sprache.Die Erforschung des Ursprungs der Sprache hat eine lange Geschich-

te, in der danach gefragt wird, wie sie aus den Rufen von Affen und soweiter entstanden ist. Diese Tätigkeit ist meiner Ansicht nach vollkom-mene Zeitverschwendung, weil Sprache auf einem gänzlich anderenPrinzip als jedes tierische Kommunikationssystem basiert. Es ist durch-aus möglich, daß die menschlichen Gesten ... sich aus tierischen Kom-munikationssys{emen entwickelt haben, aber für die menschliche Spra-che gilt dies sicher nicht. Ihr Iiegt ein völlig anderes Prinzip zugrunde.

Nehmen wir nun an, daß diese kleine Mutation stattfand, die die Fä-higkeit, mit der disketen Unendlichkeit umzugehen, zur Verfügung stell-te, und uns so die Fähigkeit gab, kreativ zu denken und kreativ zu spre-chen, neue Ausdrücke zu konstruieren, die neue Bedeutungen haben,die eine andere Person auf sehr spezifische Weise verstehen wird, undneue Gedanken zu haben, die niemand jemals zuvor gehabt hat. DieseEntwicklung wäre in der Evolution sehr nutzbringend gewesen. Biolo-gischer Erfolg bemißt sich über die Anzahl der Organismen. An diesemMaßstab gemessen sind die Menschen sehr erfolgreich. In der Tat gibtes fünf Milliarden von uns und nur, schätze ich, einige zehntausendSchimpansen. Der Hauptgrund für diesen Unterschied ist wahrschein-lich die Entwicklung der Sprache. Es mag sich herausstellen, daß die-ser Erfolg nicht von langer Dauer ist, aber das ist eine andere Frage.Tatsächlich vermute ich, daß, von Insekten abgesehen, das einzige Tier,das sich in ähnlichem Ausmaß vermehrt hat wie der Mensch, das Huhnist. Und das liegt daran, daß die Menschen Hühner züchten. Das We-sentliche ist also hier, daß die Entwicklung dieses Systems von großerbiologischer Nützlichkeit gewesen sein muß.

Aber sobald dieses System sich einmal entwickelt hatte, gab es im-plizit auch die Mathematik. Alles was nun noch notwendig war, wardas Auftreten des passenden Stadiums der historischen und kulturellenEntwicklung, damit die Menschen allmählich realisieren konnten, daßsie diese Fähigkeit besaßen, die sie bisher noch nie benutzt hatten.

Das ist nur eine Spekulation, aber eine, wie ich glaube, recht plausi-ble Spekulation. Und wenn sie zutrifft, dann lautet die Antwort auf IhreFrage, daß es ohne Sprachftihigkeit keine mathematische Fähigkeit ge-ben konnte.

Lassen Sie mich nun noch einen Kommentar zur Geschichte derMathematik machen. Wenn wir an die Geschichte der Mathematik, sa-gen wir von Euklid bis vor ziemlich kurzer Zeit denken, dann gibt es

darin zwei Grundgedanken. Die eine Idee ist die der Zahl: die andere

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Idee hat die Struktur des dreidimensionalen visuellen Raums zu Inhalt,die auf dem Konzept der Kontinuität beruht. Der größte Teil der moder-nen Mathematik ist in Wirklichkeit aus diesen beiden Ideen entwickelt.Nun ist die Erkundung der intuitiven Idee des physikalischen Raumswahrscheinlich aufgrund der Natur unseres visuellen Systems möglich,und wir können die relevanten Ideen über den geometrischen Raumhaben, weil wir die Sprache haben. Eine Katze kann keine höhere Ana-lysis entwickeln. Die andere Idee, die der Zahl, kommt wahrscheinlichdirekt von der Sprachl?ihigkeit her. Das könnre die Erklärung dafür sein,daß die Geschichte der Mathematik jenen sehr besonderen Verlauf ge-nommen hat, wie es dann der Fall gewesen ist.

Wenden wir uns nun der ersten Frage zu. In welchem Sinn ist Spra-che eine physikalische Struktur? Wir wissen es nicht sicher, aber wirglauben, daß es physische Strukturen des Gehirns gibt, die die Grund-lage für die Berechnungen und die Repräsentationen sind, die wir aufabstrakte Art beschreiben. Diese Beziehung zwischen unbekannten phy-sischen Mechanismen und abstrakten Eigenschaften ist in der Geschichteder Wissenschaft sehr häufig. So konstruierten zum Beispiel die Che-miker des neunzehnten Jahrhunderts abstrakte Diagramme, die ein kom-plexes Molekül repräsentieren sollten, in dem Kohlenstoff, Wasserstoffund Sauerstoff auf irgendeine Weise miteinander verbunden sind. Aberdas ist eine vollkommen abstrakte Repräsentation. Zum Beispiel konn-te der Chemiker nicht sagen, auf was in der physikalischen Welt sichdie jeweiligen Teile des Diagramms bezogen. Es war sogar nicht ein-mal klar, ob es überhaupt Dinge gab, die den Teilen des Diagrammsentsprachen. Selbst jetzt, wo wir besser wissen, was Kohlenstoff ist, istuns klar, daß es etwas Abstraktes ist. Man kann ja Kohlenstoff nichtberühren. Er ist letztlich ein sehr abstraktes Konzept. Worum es abergeht, ist, daß die Beschreibungen der Chemiker Teil einer erklärendenTheorie waren. Sie waren Teil einerTheorie, aus der man ableiten konnte,was passieren würde, wenn man, zum Beispiel, einen elektrischen Stromdurch ein bestimmtes physisches Objekt leitet.

Nun sind diese Theorien des Chemikers der Theorie eines Sprach-wissenschaftlers über die Berechnungen des Gehirns ähnlich. In beidenFällen stellen die abstrakten Theorien frir den Physiker eine weitereAufgabe. Die Aufgabe besteht darin, die physikalischen Mechanismenzu finden, die die entsprechenden Eigenschaften aufweisen. Zu Anfangdes zwanzigsten Jahrhunderts begannen die Physiker, die physikalischenGebilde zu entdecken, die die Eigenschaften besaßen, die von den Che-mikem beschrieben worden waren. Tatsächlich waren bis zu Besinn

des zwanzigsten Jahrhunderts viele Wissenschaftler nicht davon über-zeugt, daß es überhaupt solche Dinge wie Moleküle gab. Sie meinten,das sei nur eine abstrakte Vorstellung, eine abstrakte Idee zu Rechen-zwecken. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wuchs das Daten-material an, das zeigte, daß es wirklich Dinge gibr, die diese Eigen-schaften haben.

Die Physik wiederum hätte die Struktur des Atoms und des Mole-küls nicht erarbeiten können, wenn die Chemie des neunzehnten Jahr-hunderts nicht die abstrakten Theorien dafür gelief'ert hätte. Diese hatten den Physikern erst gezeigt, wonach sie suchen mußten. Sie mußtennach Dingen suchen, die die sehr komplizierten Eigenschaften besa-ßen, die in den abstrakten Theorien beschrieben wurden. Und dieNeurowissenschaften befinden sich heute in derselben Lage. Sie müs-sen den Linguisten oder den Psychologen fragen, was die abstraktenden Menschen eigenen Strukturen sind, nach deren physischer Basiswir suchen müssen.

Warum machen sie keine größeren Fortschritte in der Beantwortungder Frage? Der Grund ist teilweise ethischer Art, denn es ist uns nichtgestattet, Experimente an Menschen vorzunehmen. Wir gestatten uns,Kalzen und Affen zu foltern, aber wir gestatten uns (vom Privileg derPolizei einmal abgesehen) nicht, Menschen zu foltern. Das bedeutet,daß die Art von Experimenten, die die Antwort liefern könnten, nichterlaubt sind. Wenn wir stattdessen etwa Naziärzte hätten, könnten siesich daran machen, das Gehirn zu zerschneiden, und sie könnten wahr-scheinlich herausfinden, worin die physischen Mechanismen bestehen.

Tatsächlich ist das im Fall des visuellen Systems geschehen. In denletzten fünfundzwanzig Jahren hat es die Anfzinge eines Verständnissesdes Berechnungsprozesses, der im visuellen System vor sich geht, ge-geben. Die wirklichen, physischen, biologischen Systeme sind identifi-ziert worden. Diese Arbeit wird an Katzen und Affen vorgenommen.Katzen und Affen haben ein visuelles System, das dem unseren sehrähnlich ist. Folglich können wir vermuten, daß das, was wir über Kat-zen und Aff'en herausfinden, dem, was für Menschen gilt, wahrschein-lich recht ähnlich ist.

Aber es gibt keinen anderen Organismus, der ein Sprachvermögenbesitzt. Und selbst wenn es einen solchen Organismus gäbe, würdenwir ihn wahrscheinlich als menschlich betrachten. und würden unsereethischen Normen auf ihn anwenden.

Also sind - glücklicherweise - die direkten Methoden physischerUntersuchung ausgeschlossen. Ein Teil des intellektuellen Reizes die-

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ses Gebiets liegt darin, daß man die direkten Experimente nicht durch_führen kann und daher viel klüger sein muß, was die weise betrifft, wieman vorgeht, wenn man versucht, dieAntworten auf die jeweiligen Fra-gen zu finden.

Ich möchte noch eine letzte Analogie geben. Stellen wir uns einenPhysiker vor, der versucht, herauszufinden, was im Innern der Sonnevor sich geht. Die einfachste Art Lösung wäre, ein Labor im Innern derSonne zu installieren und Experimente zu machen. Aber das geht nicht,weil das Labor sofort verdampfen würde. Was man daher tun muß, ist,sich das Licht, das uns von der Sonne eneicht, anzusehen. Wir müssenversuchen, uns vorzustellen, was im Innern der Sonne vor sich geht unddabei dieses Licht hervorruft. Das ist sehr ähnlich dem Versuch, her-auszufinden, was in den physischen Mechanismen des Gehirns vor sichgeht.

Da dies der letzte Tag ist und da wir viel zu wenig Zeit zur Diskussi-on gehabt haben, haben wir darum gebeten, schriftlich Fragen zu stel-len, um 7r,it zu sparen, und viele von Ihnen haben das getan. Nun, ichkann bereits sehen, daß einige dieser Fragen sehr interessant sind, aberzu kompliziert, um sie in der kurzen Zeit, dre wir zur Verfügung haben,zu behandeln. Ich denke, ich werde sie beiseite lassen und mich an dieeinfacheren und gezielteren halten müssen. Hier ist eine davon.Frage: Ein Kind kann zwei Sprachen gleichzeitig lernen, die eine zuHause, die andere auf der Straße. Bedeutet das, daß das Kind die posi-tion der Schalter zur Umgebung in Beziehung setzt?Antwort: Nun, das ist eine sehr wichtige Frage, von der ich die ganzeTnitso getan habe, als stellte sie sich nicht. Es handelt sich um eine sehrrätselhafte Frage. Ich muß sagen, daß das in der Frage angeführte Bei-spiel sehr bemerkenswert ist, weil das Kind richtiggehend verschiede-ne Sprachen lernt, sagen wir Spanisch zuhause und Englisch auf derStraße. Aber in wirklichkeit ist das problem eigentlich allgemeinererArt, weil jeder Mensch eine Reihe verschiedener Sprachen spricht. Wirnennen sie manchmal verschiedene Stile oder verschiedene Dialekte,aber es handelt sich dabei in Wirklichkeit um verschiedene Sprachen,und irgendwie wissen wir, wann wir sie zu gebrauchen haben, die einebei der einen Gelegenheit, die andere bei einer anderen. Und jede die-ser verschiedenen Sprachen beruht auf einer unterschiedlichen Schalter-einstellung. Im Fall des Spanischen im Gegensatz zum Englischen istes eine ziemlich deutlich verschiedene Schaltereinstellung, unterschied-licher als im Fall der verschiedenen Stile des Spanischen, diejeder vonIhnen beherrschen gelernt hat.

Nun ist es eine bekannte Tatsache, daß ein Kind mehrere Sprachenperfekt lernen kann, ohne dem die geringste Aufmerksamkeit zu wid-men, was bedeutet, daß das Gehirn in irgendeiner Weise gleichzeitigmehrere Schaltereinstellungen besitzen muß. Es scheint aber, daß diesnur möglich ist, wenn das Kind jede Sprache mit einer bestimmten Artvon Situation in Verbindung bringt. So weiß das Kind, daß das eine dieArt ist, wie es mit seinen Freunden spricht, das andere die Art, wie es

mit seiner Großmutter spricht und so weiter. Wenn aber zum Beispieldie Eltern des Kindes am Essenstisch mehrere verschiedene Sprachensprechen, besteht die Möglichkeit, daß das Kind in extreme Verwirrunggerät.

Irgendwie haben kleine Kinder eine Theorie der Gesellschaft undeine Theorie der Sprache, und sie sind in der Lage, die beiden in einerbestimmten Weise miteinander zu verknüpfen, um anzuzeigen, daß manin einerentsprechenden Situation jeweils eine bestimmte Sprache spricht.

Ich sollte noch sagen, daß kleine Kinder sich nicht darüber bewußtzu sein scheinen, daß sie verschiedene Sprachen sprechen. Ich habeeinen engen Freund, der auch Kollege von mir am MIT ist und in Ost-europa aufwuchs, wo er fünf Sprachen sprach, und dieser Freund erin-nert sich noch sehr genau, wie er sich plötzlich darüber klar wurde, daßer verschiedene Sprachen sprach. Vor diesem Augenblick war ihm dasin keinster Weise bewußt gewesen. Wie all dies funkioniert, weiß nie-mand. Es ist ein sehr interessantes Problem.Frage: Stammen die Ahnlictrteiten, von denen Sie annehmen, daß siezwischen den Sprachen der Welt existieren, von einem gemeinsamenUrsprung her?

Antwort: Nun, das ist möglich, aber es ist keineswegs sicher. Das ist inWirklichkeit eine Frage danach, wie die menschliche Evolution vor sichging. Es ist durchaus möglich, daß es einen gemeinsamen Ursprung desMenschen gegeben hat, daß aber die Entwicklung der Sprache nach derAufspaltung dieses Ursprungs in mehrere Zweige stattfand und dasSprachsystem sich dann aufgrund der biologischen und physikalischenFakten auf genau dieselbe Weise entwickelte. Wir wissen einfach nichtgenug über die menschliche Evolution, um in der Lage sein, diese Fra-ge zu beantworten. Es gibt viele mögliche Antworten.Frage: Da sie den Marxismus und den Materialismus abzulehnen schie-nen, wüßte ich gern, ob Sie auch eine Forschungstätigkeit mit Hilfe deshistorischen und des dialektischen Materialismus ablehnen? Wenn ja,was ist Ihre Forschungsmethode?Antwort: Nun, zunächst einmal lehne ich den Marxismus und den

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Materialismus gar nicht ab. Es ist eher so, daß ich denke, daß dieseBegriffe nicht sonderlich viel bedeuten.Zum Beispiel bin ich überzeugt,daß Marx, wenn er heute lebte, von dem Korpus des Werks, das wirMarxismus nennen, einen Großteil ablehnen würde. Dies wäre einfachdeshalb der Fall, weil er ein intelligenter Mensch war, genauso, wie einPhysiker des neunzehnten Jahrhunderts, wenn er in unseren Tagen wie-der zur Welt käme, einen großen Teil seines eigenen Werks ablehnenwürde. Auf der anderen Seite gibt es wichtige Elemente in dem, waswir Marxismus nennen und was wir Materialismus nennen, die ganzeinfach Teil des gemeinsamen intellektuellen Hintergrundes vernünfti-ger Leute bilden, die versuchen, die Welt zu verstehen. Dazu gehörenauch bestimmte Elemente des sogenannten historischen Materialismus.

Was nun den dialektischen Materialismus betrifft, so ist das meinesErachtens ein ziemlich unklarer Begriff. Ich glaube nicht einmal, daßdas Konzept des dialektischen Materialismus in Marx'Werk überhauptauftaucht. Soweit ich mich erinnere, war das ein Ausdruck, der nur vonEngels verwendet wurde. Es ist klar, daß manche kute das Wort,dia-lektisch" so verwenden, als ob sie es verstehen, aber ich persönlichhabe es nie verstanden. Was mich angeht, habe ich das Gefühl, daß es

eine Art ritueller Begriff ist, den die Leute verwenden, wenn sie überSitationen des Konflikts etc. reden. Ich persönlich finde das keine sehrnützliche ldee. Wenn andere Leute sie nützlich finden, gut, sollen sieden Ausdruck verwenden.

Was meine eigenen Forschungsmethoden angeht, so habe ich in Wirk-lichkeit gar keine. Die einzige Forschungsmethode ist, ein ernsthaftesProblem sorgftiltig zu studieren und zu versuchen, Ideen zu entwickeln,was die Erklärung dafür sein könnte, und währenddessen gegenüberallen Arten von anderen Möglichkeiten offen zu bleiben. Gut, das istkeine Methode. Das heißt nur, sich vernünftig zu verhalten, und soweitich weiß, ist das überhaupt die einzige Art, ein Problem in Angriff zunehmen, ob das nun ein hoblem in derArbeit des Quantenphysikers istoder was immer sonst.

Es gibt bestimmte Gebiete wie die Psychologie, wo die Leute einausgedehnte Untersuchungen von Forschungsmethoden durchführen.Dann gibt es andere Gebiete wie die Physik, wo man die Forschungs-methoden nicht weiter studiert. So gibt es zum Beispiel am MIT amInstitut für Physik keinen Kurs für experimentelle Methoden, aber vie-le Psychologieinstitute verwenden eine Menge Tnit auf das, was sieMethodologie nennen. Das legt vielleicht bestimmte Schlüsse nahe, dieich aberjetzt nicht ziehen werde.

Frage: Im Hinblick auf die Bedeutung von Wörtern sehen wir, daß,

obwohl wir Wörter sehr präzise verwenden, es sehr schwer ist, die Be-deutung selbst einfacher Wörter genau zu definieren oder zu spezifizie-ren.

Antwort: Die Frage hat mehrere Teile Isiehe unten, wo die erste Fragezu Vorlesung 4 wieder aufgenommen wird, A.d.Ü.1, aber beginnen wirmit diesem. Die Feststellung ist gewiß zutreffend. Versuchen Sie nureinmal, ein Wort wie ,,Tisch" oder ,,Buch" oder sonst eines zu definie-ren, und Sie werden es äußerst schwierig finden. Tatsächlich ist - umnur ein Beispiel zu geben - kürzlich eine Nummer einer sprachwissen-schaftlichen Zeitschrift erschienen, die einen langen, detaillierten Arti-kel bringt, in dem versucht wird, die Bedeutung des Wortes ,,klettern"zu definieren. Und sie ist sehr kompliziert. Aber jedes Kind lernt sievollkommen umstandslos. Nun, das kann nur eines heißen, nämlich,daß die menschliche Natur das Konzept ,,klettern" einfach zur Verfü-gung stellt. Das heißt, das Konzept ,,klettern" ist einfach Teil des Me-chanismus, der uns befähigt, Erfahrung zu interpretieren und unszur Verfügung steht, noch bevor wir die Erfahrung überhaupt gemachthaben. Das gilt wahrscheinlich für die meisten Konzepte, für die es inder Sprache Wörter gibt. Das ist die Art, wie wir Sprache lernen. Wirlernen einfach die Bezeichnung, die mit dem bereits existierenden Kon-zepl zusammengehört. Mit anderen Worten ist es also so, als ob das

Kind noch vorjeglicher Erfahrung eine lange Liste von Konzepten wie,,klettern" besäße und dann in der Welt Ausschau hielte, um herauszu-finden, welche Laute zu diesem Konzept gehören. Wir wissen, daß das

Kind das mit Hilfe nur sehr weniger Vorkommnisse dieser Laute her-ausfindet.

Nun, das bringt uns zum zweiten Teil der Frage: Was denken Sie

über die verschiedenen Theorien der Bedeutung? Es gibt keine sonder-lich guten Bedeutungstheorien. Tatsächlich haben die fortgeschrittenerenBedeutungstheorien meiner Ansicht nach mit dem zu tun, worüber ichin den letzten fünfTagen gesprochen habe. Vergegenwärtigen Sie sich,

daßjedes einzelne Beispiel, das ich gebracht habe, Teil der Theorie derBedeutung war. Dementsprechend war ich darum bemüht, herauszu-

finden, warum bestimmte Sätze bestimmte Bedeutungen haben und nichtandere. In Wirklichkeit heißt der größte Teil der BedeutungstheorieSyntax. Dabei handelt es sich um eine Theorie über Repräsentationenim Geist - über mentale Repräsentationen und die Berechnungssysteme,

durch die besagte Repräsentationen hervorgebracht und modifiziertwerden. Das bildet den Löwenanteil der Theorie der Bedeutung. Zu-

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sätzlich dazu gibt es weitere Teile, zum Beispiel die Frage, warum dieWorte seguir (,,folgen") und perseguir (,,verfolgen,,) sich auf ihre spe-zielle Weise, das heißt, in einem Verhältnis, zu dem der Begriff dermenschlichen Absicht gehört, aufeinander beziehen. So drückt das Wortperseguir eine Absicht zu folgen aus, während seguir keineswegs eineAnnahme über irgendeine Absicht beinhaltet. Nun, das ist ein interes-santerAspekt der Bedeutungstheorie. Er führt uns zur Suche nach denKomponenten, die an der Bedeutung von Wörtern beteiligt sintl, Kom-ponenten wie Absicht oder Ziel und so weiter. über diese Konzeptegibt es eine Menge zu sagen. Sie zeigen sich auf eine sehr interessanteWeise in der normalen gesprochenen Sprache, und sie zeigen sich aufsehr ähnliche Art in dem, was man Gebärdensprache nennt, der Spra-che mittels körperlicher Bewegung, die von Taubstummen entwickeltworden ist und Bewegungen und die Form der Hand anstelle gespro-chener Worte verwendet. Sie besitzt in sehr hohem Maß die Strukturder natürlichen, gesprochenen Sprache und basiert fast mit Sicherheitauf demselben Sprachmodul. Diese Systeme verwenden ebenfalls Kon-zepte wie Absicht und Ziel und so weiter.

Es gäbe noch einiges mehr über die Theorie der Becleutung zu sa-gen, zum Beispiel über Fragen zur Beziehung von Bedeutung zu Ge-brauch und Wahrheitsnachweis, Fragen hinsichtlich Art, wie Wörter sichauf Gegenstände beziehen können usw. Das sind Themen, die den größ-ten Teil dessen darstellen, was man für gewöhnlich Bedeutungstheorienennt. Aber über diese Themen gibt es, glaube ich, sehr wenig kon-struktiverArt zu sagen.Frage: Ist die Sprache das erste Zeichensystem, das vom Kind erwor-ben wird?Antwort: Das ist mehr oder weniger eine Frage der Definition. ZumBeispiel lernt das Kind, zu zeigen, bevor es spricht. Man könnte diesesZeigen als eine Art Zeichensystem deuten, aber das ist wirklich mehroder weniger eine Frage der Definition und keine der Tatsachen. Ne-benbei bemerkt gab es in letzter T,eitArbeiten überAffen, die nahele-gen, daß Affen möglicherweise zu diesem Znigen nicht imstande sind,was ziemlich interessant wäre, falls es stimmt. Auch das tun Kinder,ohne jemals dazu angehalten zu werden. Tatsächlich sind Kinder sogardazu imstande, zu merken, wohin ein Erwachsener gerade seinen Blickrichtet. Wenn ich zum Beispiel zu diesem Wasserkrug da drüben hinse-he und ein kleines Kind da ist, das mir zusieht, ist das Kind irgendwiein der Lage, herauszufinden, daß ich diesen Gegenstand beobachte. Dasist eine ziemlich unglaubliche Leistung. Es scheint, daß Aff,en das nicht

können. Das könnte ein Teil des Grundes dafür sein, daß Kinder Spra-che lernen können. Man kann sich vorstellen, wie schwer es für jeman-den sein würde, Sprache zu lernen, wenn er nicht wüßte, wo Leute hin-sehen, wenn sie gerade reden. Nun, man könnte all diese Dinge alsvorsprachliche Zeichensysteme interpretieren.Frage: Kann ein Kind Sprache leichter und schneller als andere Zcichen-systeme erwerben?Antwort: Nun, darauf gibt es keine einfache Antwort: einige ja, anderenicht - Zeigen zum Beispiel ja, kubistische Kunst nicht. Tatsächlichgibt es alle möglichen Antworten für jeweils unterschiedliche Systeme.Frage: Gibt es für jede Sprache eine angeborene Komponente?Antwort: Vermutlich nicht. Das heißt, wie es scheint, gibt es nur einSprachvermögen, und dieses kann jede menschliche Sprache bewälti-gen.

Frage: Gibt es eine enge Beziehung zwischen Wissenschaft und Pro-duktion? Hat zum Beispiel Descartes Denken etwas mit einem bestimm-ten Niveau der Entwicklung der Produktion zu tun?Antwort: Das ist eine interessante Frage. Es gibt einige einfache Ant-worten darauf. Zum Beispiel war das cartesianische Denken sehr starkvon den Automaten des siebzehnten Jahrhunderts beeinflußt. Die Er-rungenschaften der Wissenschaft und Technologie des siebzehnten Jahr-hunderts legten gewiß viele der Themen des cartesianischen Denkensnahe, und es gibt gar keinen Zweifel, daß die elektronischen Computervon heute das wissenschaftliche Denken in einer Reihe von Richtungenstimuliert haben.

Aber mir ist klar, daß es nicht das war, woran der Fragesteller ge-

dacht hat. Die Frage ist, gibt es tiefere und subtilere Beziehungen zwi-schen dem Niveau der Produktion und der Art von Denken, die mög-lich ist. Mein Verdacht ist, daß die Antwort nein lautet. So glaube ichetwa nicht, daß es größere Schwierigkeiten bereiten würde, einer Per-son, die nur die Technologie des Steinzeitalters kennt, moderne Physikoder moderne Mathematik beizubringen. Es würde schwierig sein indem Sinn, daß gewisse Experimente und praktische Anwendungen nichtzur Verfügung stünden, aber ich bin nicht überzeugt, daß irgendetwasTiefergehendes als das eine Rolle spielen würde.

Hier habe ich eine interessante Frage eines Mathematikers bezüg-lich der formalen Klassifizierung von Sprachen, aber da er die einzigePerson im Auditorium ist, die die Antwort verstehen würde, denke ich,daß ich sie überspringen werde. Wenn sich vielleicht später noch eine

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Minute Tnitergibt, könnten wir - ich weiß nicht, wer die Frage gestellthat - darüber sprechen.Frage: Hat es seit der Veröffentlichung der Pisa-Vorlesungen (das warungefähr 1980)r Veränderungen in der Theorie gegeben, worin beste-hen sie, und was für Artikel, Bücher usw. gibt es dazu?

Antwort: Ja, es hat eine Menge Anderungen gegeben. Und ich habeauch ein Buch nach Nicaragua mitgebracht, das gerade herausgekom-men ist, in dem einige dieser Veränderungen besprochen werden.2 Essteht hier in der Bibliothek. Einiges darin besteht aus allgemeiner Dis-kussion, sehr ähnlich der Art, wie ich es hier getan habe, andere Teilebefassen sich viel stärker mit technischen Einzelheiten. Aber es wurdeschon vor anderthalb Jahren geschrieben, und inzwischen gibt es wie-der alle möglichen neuen Dinge. Gerade jetzt durchleben wir eine sehraufregende Zeit in unserem Gebiet, und jeden Tag passiert etwas Neu-es. Um diese Frage angemessen zu beantworten, wdren mindestens fünfweitere Vorlesungen nötig.Frage: Was ist die Beziehung zwischen Linguistik und Politik? DemSieg der USA in Vietnam und dem Sieg der generativen Theorie in derLinguistik?Antwort: Erinnern Sie sich daran, daß ich sagte, daß die USA in Viernam einen teilweisen Sieg errangen. Außerdem gab es auch eine teil-weise Niederlage in Indochina. Mit anderen Worten, Indochina ist un-abhängig; es ist keine US-Kolonie. Zu Hause erlitt die US-Regierungeine gewaltige Niederlage. Das ist eine sehr wichtige Tatsache, über dieich auch heute nachmittag sprechen werde. Dies alles hat jedoch mei-nerAnsicht nach überhaupt nichts mit der Beziehung zwischen Lingui-stik und Politik zu tun. Diese Beziehungen, falls sie existieren, sindkonzeptueller und abstrakter Art.

Ich hatte das in der bisherigen Diskussion mehr oder weniger imHinterkopf, aber ich kam nicht dazu, darüber zu sprechen, und so las-sen Sie mich jetzt ein paar Sätze dazu sagen, um diese beiden Bereichezueinander in Bezug zu setzen. Ein wesentlicher Teil von Sprache istder kreative Aspekt des Sprachgebrauchs sowie der Elemente dermenschlichen Natur, die die Sprache für unser intellektuelles Lebenunverzichtbar machen. Das ist eine wissenschaftliche Schlußfolgerung,wir haben gutes Beweismaterial dafür. Im Bereich des sozialen Den-kens haben wir in Wirklichkeit für nichts gute Beweise, und so sindunsere Konzeptionen eher ein Ausdruck unserer Hoffnungen, unsererintuitiven Urteile, unserer persönlichen Erfahrung und derArt, wie wirdie Geschichte verstehen, als daß sie das Ergebnis irgendeines fundier-

ten wissenschaftlichen Verständnisses wdren. Meine eigenen, persönli-chen Bestrebungen und Hoffnungen sind mehr oder weniger von derArt, wie ich sie beschrieben habe; das heißt, sie gründen sich auf dieIdeen des libertären Sozialismus - anders gesagt, sie wurzeln in einigender ldeen von Rousseau, Humboldt, Marx, Bakunin und anderen, miteinem besonderen Augenmerk auf der Möglichkeit zu sinnvoller kea-tiver Arbeit unter der Kontrolle des Arbeitenden selbst. Ich verstehehier Arbeit in einem sehr weiten Sinn, und überhaupt würde ich dieseIdeen so sehen, daß sie sich auch auf die Kontrolle über alle anderenAspekte des gesellschaftlichen und persönlichen Lebens beziehen soll-ten.

Haben nun diese beiden Konzepte irgendetwas miteinander zu tun?Vielleicht. Es könnte sein, daß eine Beziehung besteht zwischen demkreativen Aspekt des Sprachgebrauchs, der Teil des menschlichen We-sens ist, Teil dessen, was Marx die Arteigenschaft des Menschen (den

Charakter der Spezies) nannte - daß eine Beziehung zwischen alldemund der Idee eines speziell menschlichen Bedürfnisses nach produkti-ver und kreativer Arbeit (einschließlich intellektueller Arbeit) unter ei-gener Kontrolle bestehen könnte, Kontrolle also der Produzenten überdie Produktion, was die Essenz des marxistischen Denkens ebenso wieanderer intellektueller Traditionen darstellt. So gesehen könnte eineBeziehung zwischen diesen beiden Dingen bestehen. Sie sind einanderin konzeptueller Hinsicht ziemlich ähnlich, und diese Beziehung, fallses sie gibt, falls sie real ist, was sehr wohl der Fall sein könnte, bestün-de unabhängig von Siegen und Niederlagen in imperialistischen Krie-gen.

Frage: Wie kann man die Sprache vom Denken unterscheiden, wo wirdoch wissen, daß Taubstumme (oder Menschen, deren Sprache in ir-gendeiner Weise beeinträchtigt worden ist), die verschiedenen Denk-prozesse nicht entwickeln können? Was ich meine ist, daß eine engeBeziehung zwischen Problemen mit der Sprache und der Entwicklungvon Denkprozessen besteht.

Antwort: Zu allererst müssen wir vorsichtig sein, was Taubstummebetrifft. Wenn Taubstumme eine Gebärdensprache entwickelt haben,sind überhaupt keine intellektuellen Defekte vorhanden. Viele Men-schen, die nicht taub sind, glauben, daß Taubstumme unter DefektenIeiden, nur weil wir ihre Sprache nicht verstehen.

Aber in richtiger Weise verstanden stimmt das, was Sie sagen, durch-aus. Wenn eine Person überhaupt keine Sprache hat, werden ohne Zwei-fel schwere intelektuelle Defizite auftreten. und das hat nichts mit Taub-

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heit zu tun. Es gibt einige bekannte Fälle von Kindern, die in Isolationaufgezogen worden sind, etwa von sadistischen Eltern. In der Tat gibtes den gut untersuchten Fall eines Mädchens,3 das in einem Raum ge-halten wurde, ohne jemals ein Wort Sprache zu hören, bis sie, glaubeich, dreizehn Jahre alt war. Ihre intellektuellen Defizite waren enorm,doch ist es auch interessant, zu sehen, wieviel sie trotzdem konnte.

Aber ich glaube nicht, daß uns das viel über die Beziehung zwischenSprache und Denken sagt. Es ist einfach so, daß man, wenn man keineSprache entwickelt hat, eben zum größten Teil der menschlichen Erfah-rung keinen Zugang hat, und wenn man keinen Zugang zu Erfahrunghat, wird man nicht in der Lage sein, richtig zu denken. Das ist einbißchen wie die Tatsache, daß eine Person, wenn man sie in einer Vor-richtung aufwachsen läßt, in der sie Arme oder Beine nicht bewegenkann, im Alter von dreizehn nie mehr imstande sein würde, zu lernen.wie man läuft oder etwas aufhebt oder was es auch sonst sein mag. Wieich schon sagte, wissen wir aus der experimentellen Arbeit an Tieren,daß die Teile des Gehirns, die mit der Wahrnehmung befaßt sind, sichnicht richtig entwickeln und sogar stark degenerieren, wenn sie nichtzur richtigen Zeit der richtigen Art von Reizen ausgesetzt werden.

All das sagt uns einfach, daß jeder Organismus eine reiche und sti-mulierende Umgebung braucht, damit seine natürlichen Fähigkeiten zumVorschein kommen. Um noch einmal auf das Bild des Unterrichts zu-rückzukommen, der darin besteht, einer Blume die Möglichkeit zu ge-ben, gut zu wachsen: wenn man der Blume kein Wasser gibt, wird sienicht wachsen, um schließlich eine Blume zu sein. Es ist nicht das Was-ser, von dem sie lernt, eine Blume zu sein - wenn sie ein Baum wäre,würde sie dasselbe Wasser benutzen, um zu einem Baum heranzuwach-sen. Ich glaube, daß in der menschlichen Entwicklung großenteils das-selbe vor sich geht, auch in der Entwicklung von Sprache und Denken.

Anmerkungen

I Chomsky, Noam, Lectures on Government and Binding. The pisa Lectures.Dordrecht, Foris, 1981. (A.d.Ü.)

2 Chomsky, Noam, Knowledge of Language. Its Nature, Origin and Use. New yorUWestport/London, Praeger Publishers, 1986. (A.d.ü. )

3 Cuniss, Susan, Genie: A Psycholinguistic Study of a Modern-Day ,,Wild Child.,.New York, Academic Press, 1977. (A.d.Ü.)

Glossar

Die folgenden Begriffsbestimmungen habe ich als Orientierungshilfe für dieLeserinnen und Leser dem Text der Vorlesungen und dem anschließendenDiskussionsteil hinzugefügt. Ich habe mich dabei bemüht, die Begriife so wie-derzugeben, wie sie in Chomskys Prinzipien- und Parametermodell der Gram-matik (siehe unten) zur Zeit der Vorlesungen in Managua verstanden wurden.Die Skizzierungen dieser Begriffe sollten als Fingerzeige eines ebenfalls be-mühten Lesers verstanden werden, nicht als autorisierte Wahrheiten. Für wei-tergehend an der Entwicklung dieser Theorie interessierte Leser und Leserin-nen findet sich am Ende eine Liste mit ausgewähltenTiteln von Noam Chomskyund einführenden Publikationen in deutscher Sprache.

Michael Schiffmann

Adjektiv. Eine der vier lexikalischen Grundkategorien. Bezeichnet inder Regel eine Eigenschaft oder einen Zustand.

Adposition. Tritt als Präposition oder Postposition vor oder hinter einKomplement und bildet mit diesem zusammen häufig eine Orts- oderZeitangabe:,,in", ,,bei", ,,über", ,,während" etc. Eine der vier lexikali-schen Grundkategorien. Kann ebenso wie die Verben Kasus zuweisen.

Anapher: Ein Pronomen, das für sich genommen nicht interpretiertwerden kann und zu seiner Interpretation ei n Bezugswo rt, ein Ante ze de ns

benötigt.

Antezedens. Der Ausdruck, der den Bezug eines anderen Ausdrucksfestlegt.

Bindungstheorie. Die Theorie der Prinzipien, die bestimmen, wie dieReferenz von Nominalphrasen festgelegt wird.

Epistemische Verben. Verben des Glaubens und Wissens.

Fähigkeit.In diesem Buch alspraktische Föhigkeit oder,,Können" insystematischem Gegensatz zu Wissen oder ,,Kenntnis" verstanden. Fä-higkeit wird in den entsprechenden Zusammenhängen aber auch im Sinneines Potentials verstanden, das nur noch des Anstoßes durch die Er-fahrung bedarf(diese aber auch unbedingt benötigt), um sich in aktuel-

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les Wissen verwandeln zu können. Vgl. S. 173 über die ,,biologischenFähigkeiten", die eine Zeit haben, ,,zu der sie aktiv werden müssen'..

Finiter Satz. Satz, in dem das Verb flekriert (,,gebeugt") ist, das heißt,in dem Tempus, Numerus und Person, u.U. auch Aspekt und Genus amVerb markiert sind. Finite Sätze können für sich allein stehen, währendinfinite Scitze auf einen finiten Satz als ,,Gastgeber" angewiesen sind.

Geist. In der Terminologie dieses Buches bezieht sich ,,Geist" auf dieim Gehim ablaufenden kognitiven Mechanismen wie Sehen, Hören,Denken, Sprache kennen, produzieren, verstehen und verwenden usw.Diese Mechanismen werden auf einem abstrakten Niveau studiert; derolt verwendete Ausdruck ,,Geist/Gehirn" besagt dabei, daß es sich beider Erforschung des Geistes und der Erforschung des Gehirns nur derForm nach um zwei verschiedene Untersuchungen handelt. Was diesebeiden Untersuchungen unterscheidet, ist ihr jeweiliger Abstraktions-grad.

Genus. Nomina und Pronomina einer Sprache können u.a. nach ihremGenus unterteilt sein. Im Englischen oder Deutschen handelt es sichum die Unterteilung Maskulinum, Femininum, Neutrum, d.h. nachGeschlecht, wie bei den Pronominahe/er,she/sie,it/es. Das Genus vonNomina ist von der Bedeutung oft weitgehend entkoppelt, wie z.B. indas Mädchen, oder frz. le soleil (mask.)ldtsch. die Sonne (fem.). Eshandelt sich folglich um eine grammatische Kategorie, nämlich einesder syntaktischen Merkmale, die die ldentillzierung zusammengehöri-ger Wörter im Satz erleichtern; das ist beispielsweise der Fall, wenndas Genus sowohl am Subjekt als auch am Verb markiert ist. In anderenSprachen hat das Genus seinen semantischen Ursprung in anderen Unter-scheidungskriterien als dem Geschlecht; etwa belebt/unbelebt, mensch-lich/nichtmenschlich u.a.m.

Grammatik. ,,Die Grammatik einer [...] Sprache ist eine Beschreibungdes Zustands des Sprachvermögens, nachdem es mit. Erfahrungsdatenkonfrontiert worden ist." (S.59 in diesem Buch). Grammatik wird da-bei von Chomsky als die Beschreibung det Struktur einer Sprache ver-standen. Die Grammatik einer Sprache stellt systematische Beziehun-gen zwischen Form und Bedeutung, d.h. zwischen der tatsächlich aus-gesprochenen Form sprachlicher Außerungen und ihrer Interpretationher. In den Vorlesungen in Managua geht es fast ausschließlich um

den Satzbau von Sprachen; Prinzipien der Lautstruktur (Phonologie)oder der Struktur von Wörtern (Moqphologie) oder ihrer Bedeutung (le-xikalische Semantik) werden dagegen nur gestreift.

Infiniter Satz. Sätze, denen die Verbflexion rlesfiniten Sarzes fehlt, dienicht für sich allein stehen können und auf einen finiten Satz als ..Gast-geber" angewiesen sind.

Infinitiv. Nennform des Verbs, wie sie im Wörterbuch auftaucht. DieForm des Verbs, wo Tempus, Numerus und Person nicht angezeigt sindund auch weitere Markierungen wie Aspekt und Genus fehlen.

Kasus. In Sätzen vorkommende Nominalausdrücke (NPs) müssen derhier vorgestellten Grammatiktheorie Chomskys zufolge Kasus zuge-wiesen bekommen. Kasus wird vor allem durch Verben undAdpositionen zugewiesen; das Satzsubjekt erhält seinen Kasus von derVerbflexion. Es gibt weitere, komplexere Mechanismen der Kasuszu-weisung, die auch sprachspezifisch variieren, aber im vorliegenden Buchnicht näher behandelt werden. Sofern der Kasus sichtbar am Nomenerscheint, kann er wie andere Markierungen dazu beitragen, die Funk-tion der kasustragenden NP und ihre Relationen zu anderen Satzgliedernzu identifizieren.

Kette. Eine Kette entsteht durch die Herausbewegung eines Satzgliedsaus seiner ursprünglichen Position. Das in Frage stehende Satzgliedhinterläßt dabei eine Spur; im Fall der Bewegung einer gewöhnlichenNP wird dies eine NP-Spur sein, im Fall der Bewegung eines Opera-tors eine Variable. Einc Kcttc muß eine und nur eine Position enthalten,die die semantische Ro/le innehat, und eine und nur eine Position, an

der ihr Kasus zugewiesen wird.

Klitik. Eine Wortform, die nicht für sich allein stehen kann, sondernsich an ein anderes Wort,,anlehnen" muß; im Fall der im Buch genann-

ten Beispiele se,lo etc. ist dieses andere Wort das Verb.

Kopfparameter. Der Kopfparameter bestimmt die Reihenfolge vonKopf und Komplement innerhalb einer Phrase und kann die zwei WerteKopf-zuerst oder Kopf-zuletzt annehmen.

Komplement. Innerhalb einer Phrase die mit dem Kopf am engsten

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verbundene und (zumindest in den Sprachen ohne ,,verstreute" Phrasen-struktur) ihm am nächsten stehende Ergänzung.

Kongruenz. Die grammatische Übereinstimmung zwischen der Verb-Endung und dem Subjekt des Satzes nach Numerus und Person, oftauch nach Genus.

Kopf. Das ,,Kern"-Element innerhalb einer Phrase, das Bedeutung undEigenschaften des gesamten Ausdrucks bestimmt.

Leere Kategorie. Eine Kategorie, die im Satz vorhanden ist und ,,vomGeist gesehen" und verstanden wird, aber keine lautlichen Merkmalehat, d.h. bei der Außerung eines Satzes nicht ausgesprochen wird. Zuden leeren Kategorien gehören die irn Buch als / (engl. ,,trace") be-zeichnete Spur, als eine ihrer Formen die Variable sowie PRO undpro.

Lexikon. Ein im Geist repräsentiertes Wörterbuch einer Sprache, dasdas Wissen einer Person über die Wörter und ihre Bedeutung und gram-matischen Merkmale spezifi ziert.

Markierung. Anzeige grammatischer Merkmale wie Kasus, Tempus,Numerus, Genus usw. an einem Wort. Merkmale können schwach odergar nicht markiert sein wie z.B im Fall des englischen Kasus, der sichnur noch bei Pronomina findet, oder sehr stark und differenziert, wieim Fall der Verbflexion in vielen romanischen Sprachen. Diese starkeMarkierung des Verbs nach Person und Numerus erlaubt z.B. im Spani-schen und Italienischen das Nullsubjekr, wenn es sich beim Subjekteines Satzes um ein Pronomen handelt: Da die grammatische Informa-tion, die im Pronomen enthalten ist (hier Person und Numerus), weitge-hend bereits in der Verb-Endung steckt, ist die ausdrückliche Nennungdes Subjekts nicht mehr erforderlich.

Neurowissenschaften. Die Wissenschaften vom Gehirn.

Nomen. Eine der vier lexikalischen Grundkategorien. Bezeichnet oftDinge oder Personen. Das ist aber nicht immer der Fall, denn Nominakönnen ebensogut auch Abstraktes ausdrücken - wie z.B. ,,Geist", ,,We-sen" (des Menschen etc.), ,,Mathematik" -, das wir normalerweise höch-stens metaphorisch als ,,Ding" bezeichnen würden. Außerdem könnenVerben, die ja in der Regel Tätigkeiten ausdrücken, nominalisiert wer-

den, indem dem Infinitiv ein Artikel hinzugefügt wird (,das Fließendes Flusses"), Adjektive mit ihrer typischen Bedeutung von Eigenschaf-ten oder Zuständen können durch Hinzufügung von Partikeln wie -heitin Nomina verwandelt werden usw. Ein Nomen definiert sich also letzrlich nicht über die Bedeutung, sondern es ist etwas, das sich im Satz

,,nomig" oder ,,nomenhaft" verhält. Es ist also eine grammatische Ka-tegorie.

Nominalphrasen (NPs). Nominale Ausdrücke, d.h. solche mit einemNomen als Kopf.

NP. Siehe unmittelbar oben: Nominalphrase.

NP-Spur. Die Art von Spur, die bei der Bewegung eines nominalenAusdrucks zurückgelassen wird. Im Gegensatz zur Spur des Opera-tors, der Variablen, hat die Spur des bewegten Elements hier keinereferentielle Rolle, außerdem wird der Position der Spur kein Kasus

zugewiesen. Letzteres ist gerade der Grund für die Bewegung, dennnominale Ausdrücke müssen Kasus erhalten.

Nullsubjektparameter. Parameter, der festlegt, ob das pronominaleSubjekt eines Satzes in der Lautform weggelassen werden kann - dies

in der Regel, weil die Merkmale des fraglichen Pronomens wie Nume-rus, Person und teilweise auch Genus an anderer Stelle im Satz, näm-lich in der Verbflexion, schon festgelegt sind.

Numerus. Im einfachsten Fall die Formen Singular und Plural; es gibtSprachcn mit weiter dift'erenzierenden Formen (wic etwa ,,zwei", ,,drci",,,mehrere" etc.). In finiten Sätzen kongruiert das Verb im Englischenund Deutschen mit dem Subjekt in Numerus und Person, in romani-schen Sprachen teilweise auch im Genus (vgl. im Französischen: ,,Il apensö" versus ,,Elle a pensöe").

Objekt. Das Komplement des Verbs. Eine NP, die in der Regel auf das

verweist, was von der vom Verb zum Ausdruck gebrachten Handlungbeeinflußt wird oder Gegenstand dieser Handlung ist.

Operatoren. Ausdrücke wie,,alle",,,einige",,,keine" (Quantoren),

,,wer", ,,welche", ,,welche Jungen" (Frageausdrücke), ,den" in ,,derJunge, de n P etra sah t d"o" (relativsatzeinlei tende Ausdrücke) und ande-

t92 193

re vergleichbarer Art. Operatoren sind keine referentiellen Ausdrücke(Ausdrücke, die etwas Bestimmtes bezeichnen), sondern sie bindenreferentielle ,,Ausdrücke", nämlich Variablen. Man könnte sagen, daßder Operator eine Menge definiert, von der die Variable für eine Teil-menge steht, wie in Beispiel (33134) in Kapitel3 des Buches:,,WelcheJungen sind in Spanien?" Der Operator definiert die Menge ,,alle Jun-gen"; gefragt wird in diesem Beispiel nach der Teilmenge aller Jungen,in (34) symbolisiert durchr, für die gitt, daß sie in Spanien sind. r ist es

hier, das etwas Bestimmtes bezeichnet (närnlich die Jungen in Spani-en), also ein referentieller Ausdruck ist.

overt. Lautlich realisiert,.

Parameter. Eine Variationsmöglichkeit. In der hier präsentierten Theoriebesteht diese Variationsrnöglichkeit in der Festlegung der Art, wie be-stimmte Prinzipien, wie das Prinzip, daß Phrasen einen Kopf und einKomplement haben, realisiert werden. So legt elwader Kopfuarameterfest, ob das Komplement des Kopfs einer Phrase vor dem Kopf stehtoder aufdiesen folgt.

Person. Erste (ich/wir), zweite (du/ihr) oder dritte (er-sie-es/sie) per-

son.

Phrase. Im Text meist einfach als ,.Ausdruck" bezeichnet. Eine Phraseentsteht durch die Projektion eines zentralen Elements, des Kopfs, derdie anderen Elemente der Phrase selegiert (,,auswählt") und durch sieergänzt wird. Die dem Kopf am nächsten stehende (Ausnahme: Spra-chen mit ,,verstreuter" Phrasenstruktur, vgl. im Buch S. 70) und mitihm inhaltlich am engsten verbundene Ergänzung bezeichnet man alsKomplement.

Prinzipien. Festlegungen der Universalgrammatik, z.B. daß PhrasenKöpfe und Komplemente haben, daß NPs Kasus haben müssen, daßReflexivpronomina innerhalb eines bestimmten Bereichs gebunden seinmüssen u.a.m. Diese allgemeingültigen Prinzipien können auf unter-schiedliche Weise realisiert werden, da die Universalgrammatik Parc-meter, d.h. Variationsmöglichkeiten offenläßt, deren Werte im Prozeßdes Spracherwerbs gelernt werden müssen. Beispiele für solche Para-meter sind der Kopfparameter und der Nullsubjektparameter.

Prinzipien & Parametermodell. Eine Bezeichnung für Chomskys Ende

der siebziger Jahre entwickeltes Modell des Erwerbs der Grammatikeiner Sprache. Das P & P-Modell geht nicht mehr wie frühereGrammatiken und wie auch die generative Grammatik Chomskys inihrer ersten Phase von einzelnen Regeln für die Konstruktion von Sät-

zen wie der Relativsalzregel, der Regel für die Passivkonstruktion usw.

aus, sondern von einer kleinen Anzahl allgemeingültiger Prinzipien,deren Interaktion miteinander dann die gesamte Bandbreite der in einerSprache möglichen Konstruktionen ergibt.

pro.Ein pronominales ,,Nullsubjekt". pro ist eine der vier leeren Kate-gorien pro, PRO, NP-Spur und Operatorspur (Variable). pro befindetsich in der Regel in Subjektposition und wird lautlich nicht realisiert,jedoch in der Interpretation des Satzes mitverstanden. Seine Merkmalewerden von der Verbflexion bestimmt. Im Unterschied zu PRO kannpro auch als Nulloüjekt auftreten: Quiere vernos examinar prol"Erlsie will uns jemanden untersuchen sehen" in Beispiel (5), Kapitel 4.(Letzterer Satz enthält in Wirklichkeit ein Nullobjekt und ein Null-subjekt: pro quiere vernos examinarpro; das erste pra ist durch dieVerbfl exion als,,erlsie" spezifiziert, das zweile pro, das vorhanden sein

muß, weil exuminar ein Objekt erfordert, erhält keine spezifische In-terpretation.)

PRO. PRO ist ebenso wie pro ein ,,Nullsubjekt", unterscheidet sichaber von diesem darin, daß es nur in infiniten, also untergeordnetenSätzen und nur als Subjekt vorkommen kann. Das Antezedens von PRO,der Ausdruck, der bestimmt, worauf PRO sich bezieht, ist in der Regel

das Subjekt oder Objekt des übergeordneten Satzes. Wenn ein solches

Antezedens nicht vorhanden ist, wie in Beispiel (55) in Kapitel 4:{PROto fall to the groundl is unusual, hat PRO keinen bestimmten Bezug.

Projektionsprinzip. Das Projektionsprinzip besagt, daß die lexikali-schen Eigenschaften (wie z.B. die Vergabe semantischer Rollen durchein Verb u.ä.m.) jedes lexikalischen Elements auf jeder Ebene der Re-präsentation erhalten bleiben müssen. (Eine ,,neue Ebene" der Reprä-sentation entsteht durch die Bewegung lexikalischer Elemente aus ih-rer Ursprungsposition an eine andere Stelle im Satz.) Das Projektions-prinzip zieht als Konsequenz u.a. die Postulierung der leeren Kategori-en pro , PRO (schon auf der ,,untersten" Repräsentationsebene) und NP-Spur und Variable (auf der Ebene nach Bewegung) nach sich. Den Po-

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sitionen, an denen sich diese Elemente befinden, werden (typischer-weise vom Verb, aber auch von Nomina und Adpositionen) semanti-sche Rollen zugewiesen. Sie müssen folglich mental repräsentiert sein,denn diese semantischen Rollen werden bei der lnterpretation des Sat-zes auch als ,,an dieser Stelle befindlich" verstanden. selbst wenn andieser Stelle kein lautlich realisierter Ausdruck vorhanden ist. In Siescheinen [., Fußball zu spielen] zum Beispiel ist klar, daß ,,sie..diehandelnde Rolle von ,,spielen" innehat, obwohl es unmittelbar vor,,scheinen" steht, mit dem es auch noch in Person und Numeruskongruiert. Hier handelt es sich um eine Interaktion von projektions-prinzip und Kasustheorie: das Projektionsprinzip verlangt, daß ,,sie.,zwecks richtiger Interprelation in der Subjektposition von ,,spielen.,eineSpur hinterläßt, die Kasustheorie verlangt, daß ,,sie" in die Subjekt-position von ,,scheinen" bewegt wird, damit es vom Flexionselementdes Verbs (= en in scheinen ) Nominativkasus erhalten kann.

Pronomen. Ein als,,Statlhalter" fungierender nominalerAusdruck, derdie Stelle eines anderen nominalen Ausdrucks einnimmt, ebenso wiesonstige NPs Kasus erhalten muß und im Fall eines nichtanaphorischen(für Anapher s.o.) Pronomens eine eigenständige referentielle Rollehaben, aber, eingeschränkt durch das in (16) in Kapitel 3 dargelegtePrinzip der Bindungstheorie, auch durch ein Antezeden s Rebunden seinkann.

Referenz. Nominalphrasen haben die Eigenschafi, etwas zu bezeich-nen. Gewöhnliche NPs benötigen, um diese referentielle Rolle zu spie-len, kein AnteTedens; sie sind in der hier verwendeten Terminologie/rei. Pronomina können selbst etwas bezeichnen oder von einer ande-ren NP gebunden sein, die in diesem Fatl ihr Antezedens ist und diereferentielle Rolle spielt. Anaphorische Pronomina (Anaphe rn) dage-gen müssen eine andere NP als Antezedens haben.

Satz. Eine in sich relativ abgeschlossene Form der sprachlichen Auße-rung, die aus einer oder mehreren Phrasen besteht und deren genaueDefinition wie bei vielen wissenschaftlichen Elementarbegriffen höchstumstritten ist.

Semantik. Lehre von der Bedeutung

Semantische Rolle. Semantische Rollen werden nominalen Ausdrük-

ken oder abhängigen Sätzen innerhalb einer Phrase oder eines Satzeszugewiesen, vor allem, aber nicht ausschließlich von Verben. In demSatz ,,Frank schenkte seinem Buben einen Traktor" etwa weist das Verbschenken drei semantische Rollen zu: die des Handelnden (an die NP,,Frank"), die des Empftingers (an die NP,der Bube", der das Verb gleich-zeitig den Kasus Dativ zuweist) und die des Themas (an die NP ,derTraktor", die vom Verb Akkusativkasus zugewiesen bekommt).

Spur. Leere Kategorie, die zurückgelassen wird, wenn eine NP oderein anderes Element, z.B. ein Wort oder eine Phrase an eine anderePosition im Satz bewegt wird. Im vorliegenden Buch wird nur über dieBewegung von Nominalphrasen (die sogenannte ,NP-Bewegung") undvon Operatoren (manchmal ebenfalls NPs, aber eben Operator-NPs)gesprochen. Abgekürzt als t (,,trace"). Ein Sonderfall der Spur ist dieVariable, die zurückgelassen wird, wenn es sich bei dem bewegten Ele-ment um einen Operator handelt. Im Gegensatz zur Variablen handeltes sich bei der NP-Spur nicht um einen referentiellen Ausdruck; dieSpur gibt ihre referentielle Rolle an die bewegte NP mit.

Subjekt. In Aktivsätzen typischerweise der, die oder das Handelnde ineinem Satz. In der Grammatik im Sinne der im Buch besprochenenTheorie wird das Subjekt rein formal als das Element definiert, das zurVerbalphrase - dem Prädikat - noch hinzutreten muß, um einen voll-ständigen Satz zu ergeben. (Vgl. Kapitel 2, (13).)

Syntax. Erstens die Art und Weise, wie Sätze gebaut werden, zweitensdie wissenschaftliche Beschäftigung mit dieser Frage. Im ersten Sinnregelt die Syntax die Anordnung von Wörtern zu zusammenhängendenAusdrücken (Phrasen) und die Anordnung dieser Ausdrücke zu Sätzen.Der Zweck von Syntax im zweiten Sinn, als Lehre vom Satzbau, ist es,

herauszufinden, wie die Regeln, bzw. in der neueren in denVorlesun-gen dargestellten Theorie Chomskys, Prinzipien, für diese Anordnungaussehen.

Tempus. Formale grammatische Kategorie, die der Spezifikation derZeit, zu der das vom Satz bezeichnete Ereignis stattfindet, dient.

Universalgrammatik (UG). Die UG kann gesehen werden als eineBeschreibung des urspünglichen Zustands des menschlichen Sprach-vermögens vorjeglicher Erfahrung, als ein System von Prinzipien, dem

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jede menschliche Sprache gehorcht. Die Grammatik einer Einzerspracheentsteht, indem die von der uG offengelassenen variationsmöglichkei-ten dieser Prinzipien, die Parameterwerte,durch die sprachliche Erfah-rung festgelegt werden.

Variable. Spur, die von einem bewegten Operatorzurückgelassen wird.Im Fall der Operatorbewegung ist es nicht das bewegte Element - näm-lich der Operator -, das die referentielle Rolle hat, sondern die zurück-gelassene Variable. So spielen in Beispiel (33134) in Kapitel 3 diejeni-gen Jungen, die nicht in Spanien sind, keine Rolle; gebeten wird ledig-lich um die Bezeichnung derjenigen Jungen, für die das zutrifft: Juan,Jorge, Romero oder wen auch immer.

Verb. Eine der von Chomsky (S. 65-66) genannten vier lexikalischenGrundkategorien; bezeichnet oft eine Handlung oder einen Zustand.Verben weisen ihren Objekten Kasus zu und legen die semantischenRollen ihrer Subjekte und Objekte fest.

Wissen. Ein Begrilf, der in diesem Buch in systematischem Gegensatzzu,,Können",,,praktischer Fähigkeit",,,Fertigkeit.. u.a.m. verwendetwird. Wissen, bzw. hier sprachliches Wissen ist demnach etwas, dasunabhängig vom Gebrauch, der davon gemacht wird, vorhanden ist bzw.sein kann. Dieser Sicht zufolge stellt das sprachliche Wissen ein geson-dertes, autonomes System dar, das mit anderen Systemen des mensch-lichen Geistes verbunden ist, die von ihm Gebrauch machen können.

Dabei genügt das im engeren Sinn spracftliclre Wissen nicht, um einesinnvolle Außerung tun zu können. Um sein Wissen über Struktur undBedeutung sprachlicher Außerungen sinnvoll anwenden zu können, mußder Sprecher einer Sprache von einer Reihe anderer WissenssystemeGebrauch machen, die er mit anderen Sprechern seiner Sprache teiltund die ihm erlauben, sich in der Welt zu orientieren. Er kann dieseWissenssysteme teilweise verlieren, ohne sein sprachliches Wissen zuverlieren, oder er kann urngekehrt das sprachliche Wissen teilweise oderganz verlieren und einen Großteil seines sonstigen Wissens, das ihnvorher in die Lage versetzte, das sprachliche Wissen auch anzuwenden,behalten.

Ein Großteil des sprachlichen Wissens, das dem Gebrauch der Spra-che zugrundeliegt, ist dabei unbewußt und dem Bewußtsein desSprachverwenders auch gar nicht zugänglich. ,,Unbewußtes Wissen..klingt zwar in der deutschen Sprache (vgl. aber etwa im Englischen

,,unconscious knowledge") paradox, ist aber nicht seltsamer als zumBeispiel das Freudsche Unbewußte, das ebenfalls manchmal in feinsterWeise das Verhalten seines ,,Besitzers" steuern kann, ohne daß es ihmzugänglich sein müßte - mehr noch, oft sogar weil es ihm nicht zugäng-lich ist. Grammatisches Wissen, das der Sprachforscher in mühseligerArbeit zutage fördert, wie zum Beispiel das unbewußte, aber unfehlbarangewendete Prinzip des hierarchischen Aufbaus von Sätzen und dasBewußtsein des Sprechers einer Sprache darüber, daß er dieses Prinzipbefolgt, sind zwei ebenso verschiedene Dinge wie zu wissen, wie manFahrrad fährt und die wissenschaftliche Beschreibung der Prinzipienvon Statik und Dynamik, die dabei zur Anwendung kommen.

Weitere Titel von Noam Chomsky zum Thema des Buchs

- Thesen zur Theorie der generativen Grammatik. 2. Auflage, Wein-heim, Beltz Athenäum, 1995.Vier Vorlesungen aus dem Jahr 1964 und ein lnterview von l9l2bieten leicht verständlich die Grundlagen der generativen Gramma-tik und den Stand der Theorie vor der ,,Wende" zur prinzipien- undparameterbestimmten Grammatik seit Ende der siebziger Jahre, dieGrundlage des vorliegenden Buchs ist.

- Lectures on Government and Binding. The Pisa Lectures. Dordrecht,Foris, | 98 l (i nzwischen : Berlin/New York, Mouton de Gruyter, I 993 ).

- Barriers. Cambridge, Mass., MITPress 1986.

- Knowledge of Language. Its Nature, Origin and Use. New York/West-port/London, Praeger Publishers, l 986.

- Generative Grammar. Studies in English Linguistics and LiteratureSeries. Kyoto University of Foreign Studies, 1987.

- Linguistics and Politics. Ed.: Otero, C.P., MontrealA.{ew York, BlackRose Books 1988.

Diese Sammlung von Gesprächen mit Noam Chomsky enthält meh-rere Interviews, in denen der Entwicklung der Theorie der generati-ven Grammatik vor und seit Ende der siebziger Jahre breiter Raumgegeben wird. In einigen Interviews jüngeren Datums wird das Prin-zipien- und Parametermodell der Grammatik in seiner historischenEntwicklung, in sehr allgemeinverständlicher Weise und ohne jegli-chen Formal ismus darsestellt.

198 r99

Einführende Literatur in deutscher Sprache Namen- und Sachregister

- Fanselow, Günther/Felix, Sascha: Sprachtheorie. Eine Einführungin die Generative Grammatik. Tübingen, Franke (UTB l44l), 1987. - a (Präposition), 94-96 Platos Problem und, 3-4,32,

- GrewendoriGünther:AspektederdeutschenSyntax.EineRektions- als Kasusmarkierer, 100-103 5jBindungsanalyse. Tübingen, Gunter Nan, 1988. in kausativen-reflexiven Kon- vs. Umweltdeterminiertheit,

- Grewendorf, Günther/Hamm, Fritz/Sternefeld, Wolfgang: Sprachli- struktionen, 74, 78 n5, 80 n8, 157-158ches Wissen. Eine Einführung in moderne Theorien der grammati- 82 wissenschaftsbildende Fähig-schen Beschreibung. Frankfurt, Suhrkamp, 1987. - abstrakte Konzepte, 178-180 keit und, 152-154

- Stechow, Arnim von/Sternefeld, Wolfgang; Bausteine syntaktischen - Akkusativkasus, 99, 104 - Anhebung, Regel der, 105-106Wissens.EinLehrbuchdergenerativenGrammatik.Opladen,West- - Adjektiv, ll8-120, 120n5 - Antezeclens,14-75,77,81,83.deutscher Verlag, 1988. Genitivzuweisung durch, 109 Siehe auch Ketten

- Adjektivphrase (AP), 66-67 - Antezedens-Spur-Kette. Siehe

- Adpositionalphrase (PP), 66- Ketten67 - AP. Siehe Adjektivphrase

- afeitar, ll-12, 16-23. Siehe - a-Phrase, ll-15, l7-18auch kausativ-reflexive Kon- - around,109 n3

struktion - ask, 125-126,128-129

- Allgemeine Lernmechanis- - Auslösung, | 67men, 14-15, 45-46,138 - Aussagesatz,40

- Allgemeinheitsgrad, 13 - Ausstattung. Siehe angeborene

- alque,92-94 Ausstattung

- alrededor,l0S-109, 109 n3 - Bakunin, Michail, l5l- Analogie, sprachliches Verhal- - Bedeutung

ten und, 8, 12-13, 18-19,24- angeborene Konzepte und,26,25,134 28-32,t32,183-184

- Analytische Wahrheit, 3l-32 Berechnung der B. ohne Zeir- Anaphern, Bindungstheorie aufwand, 170

und,74-78, 94,96-91,105- Theoriender, 183-184106. Siehe auch Reflexiva von Wörtern, 26-28

- angeboreneAusstattung. Siehe - believe,100, 102-103, lM,auch Erwerb; Parameter; 106- 107, 122-123Sprachvermögen;Universal- - Berechnungen, ohneZeitver-grammatik lust vor sich gehende, 95

körperliches Wachstum und, - Bienensprache, 164

147 - BindungstheoriekünstlerischeKreativitätund, Interpretationund,92-97148 Prinzipien der,50,74,76moralisches Urteil und, 148- Reflexiva und,'12-84150 Spur, lou. n und, 84-87

200 201

- biologischeFähigkeiten.Siehe - empiristischeTradition, 157- - Französisch,Nullsubjektpara- - Inkorporation,53-57auch angeborene Ausstattung I 58 meter und, 6l -62 - Infinitivsatz, 98-99als begrenzt, 143-148 - Entwicklung, Umgebung und, - Frosch, visuelles System, 156 - Intellektuelle, gesellschalili-Entwicklung,155,166-168 166-168,169-170,188 - gata,27-28 cheRollederl.,160-16lGesellschaft, Geschichte und, - epistemische Verben, 100 - Gebärdensprache, 184, 187 - lntelligenz, 145. Siehe auch168-170 - Erklärung,58-59, 130, 140-143 - Geist/Gehirn. Siehe auch ko- IQ

- Bracken, Hany, 138 - Erwerb gnitives System - Interpretation

- caro,vs.carro,Jo beiErwachsenen,lT2-l'13 Eigenschaften,14-15 Bindungstheorieund,TT-78,

- cause,99- 100 Erfahrung und, 13-15,22-23, Universale Grammatik und, 83-84

- creer,102-103 173 7l Prozeß der,90-95

- kritische Perioden, 155,172- Fehlerkonektur und, 68 - Geist-Körper-Problem, - intransitive Präpositionen,173 von Lautstruktunegeln, 24 - Generative Grammatik, 59. 108-109

- cudles,85-86, lll-l12 leereKategorienund,8T-88 SieheauchUniversalgramma- - IQ, 158-160

- de, Kasuszuweisung und, 108 mehrerer Sprachen, 180-l8l tik - Kant, Immanuel, 139

- Demokratie, 133 Parameterfestlegung und, 15, - Genitivkasus, 109 - Kapitalismus, l5l- Denken, Sprache und, 187- 60-61,67-68, 132, 180-l8l - Gesellschaft, menschliche Na- - Kasustheorie,9T-98, 100-106,

188 Platos Problem und, 13-16, tur und, 168-170 I l0-ll3- Descartes,Rend,2, 135-138 18,25-32 - Gestaltpsychologie, 139 - Kasuszuweisung,98-100, ll7-- Descartes Problem. Siehe Prozeß,57-60, l3l-133 - Gravitationskaft, 140 118

auch Sprachgebrauch, kreati- des Wortschatzes,25-32 - hablar, 125-126 - Katze, visuelles System der,verAspektdes - Evolution,153-154, 16l-165, - hacer,92,99. Sieheauch 166Geschichte von,4-5, 135-143 l8l Kausativkonstruktion; kausa- - Kausativkonstruktion, l l-13,als unlösbar, 143-148 - examinar,9l-95 tiv-reflexive Konstruktion: 54-57, l0l. Siehe auch kausa-wissenschaftsbildende Fähig- - expect,100, 104 komplexe Verben, Bildung tiv-reflexive Konstruktionkeitund, 154 - Fähigkeit,Sprachealsprakti- - hierarchischeStruktuq46 - kausativ-reflexiveKonstrukti-

- dialektbedingte Variation, 17, sche, 8-10, 19, 22 - Hirnmechanismen, linguisti- on,l6-22,73-84, 109-l l019-22, 69 nl - Fehler, Konektur von F., 68 sche Forschung und, 5-7, 133- - Ketten, I 14- I l8

- dialektischer Materialismus, - Fertigkeit. Siehe Fähigkeit, 134 - klitische Ketten, I l4-ll5l8l-182 Sprachealspraktische - historischerMaterialismus, - klitischePronomina, 16,47.

- diskrete Unendlichkeit, 164- - finiter Satz, 98-99 I 8 I - I 82 Siehe auch Ret'lexiva; se

165,111 - Forschungsmethode. Siehe - hope,llS-I2O - Kommunikationssysteme,

- Doktrin, Wahrheit und, 157- Methodologie - Humboldt, Wilhelm von, 150 nichtmenschliche,164, 111

160 - for-to-lnfrnilive, 124-125 - Hume, David,2, 4 - komplexe Verben, Bildung,

- Domäne, 49-50,74-76,'79-84 - Frageausdruck. Siehe Frage- - Ideen 53-56

- Dualismus.SieheGeist-Kör- bildung;Spurf,vonOperato- Ideologieund, 135 - Kongruenz, 106-107.Sieheper-Problem ren; Variablen Wahrheit und, 153-154 auch Subjekt-Verb-Kongru-

- Eigenschaft des eingebetteten - Fragebildung,40-44, I I l-l 13. - Ideologie, 135, 160-16l enz; TempuskongruenzSatzes, 13, 15, l7 Siehe auchquiön - Imitation,25 - Kontaktmechanik, 136, 139,

- Einstein, Albert, l7l - Fragesätze. Siehe Fragebil- - inhaltsleere Präpositionen, 143

- ö1,41-53 dung 100, 108-109. Siehe aucha - Kontinuität, Konzeptder, 178

202 203

Konzepte, als angeborene, 29-32,132, r83Kooperation, menschliche Na-tur und, 169

Kopf, einer Phrase, 66-68Kopf-Komplement-Struktur,107-109Kopfparameter, 67 -68, 1 l,'7 4,t07Köqper, Konzept von, 139-143

kognitives SystemModularität, 157

Sprachvermögen und, 9- 10,

34-38, t54-157Krafr, 140

Kreativität. Siehe künstleri-sche Kreativität; Sprachge-brauch, kreativer Aspektkritische Perioden, 155, 173

künstlerische Kreativitär, 148

Labyrinthbewältigung, I 44-145

Lautstruktur, 23-25leere Kategorien. Siehe auchpro; PRO; Spur tBelege für, 73, 78, 87-88, 95,ll3Typen, verschiedene, I l3-l 14,

I 18-120leeres Pronomen, 93

Lernmechanismen. Siehe all-gemeine Lernmechanismenlexikalische Kategorien, 65-66. Siehe auch leere Kategori-en

Lexikon, 56 n3, 9llibertärer Sozialismus, 15 I ,

187

libro,26-27h,47-53, 107

/o-iJ-Konstruktion, 76, 103

n2,125 n6,121Iogische Struktur, mentale Re-präsentation und, 87, 95Lohnsklaverei, 149

Lehrrärigkeir, 132-133, t73-174. Siehe auch Zweitspra-chenunterrichtmandar,49,128-129Marx, Karl, 150, 157, 17l-172Marxismus, 157, 170-112,r8l-182Materialismus, 170- 172, I 8l-182materielle Welt, erklrüendeTheorie und, 140-143Mathematik, Geschichte der,n7-178mathematische Fähigkeit. Sie-he Zählvermögenmechanische Prinzipien,menschliches Verhalten und,135-r38Meier, Frank, 197

menschliche Natur. Siehe auchangeborene AustattungDescartes Problem und, 139-r40Gesellschaft und, 168- 170Theorie der Umweltbestimmt-heit und, l6lMenschenrechte, 149- I 5 I

mentale Repräsentationleere Kategorien in der m.R.,73,18,81,87-88,95logische Struktur und, 87Mentalismus, T

mentalistische Terminologie,142Methodologie, l8l-182

- Mill, John Stuart, 150

- Miskito,6T-68

- Modularitat, 157

- mögliches Wort,23-24

- moralisches Urteilen, 148-150

- Nachbarschaft, Bedingungder.70

- natürliche Selektion, artspezi-fische Vermögen und, 162-165. Siehe auch Evolution

- Newton, Isaak, 140, 172

- Nominativkasus, 99

- nos.92-94.128

- Nomina, Kasuszuweisungund, 109

- Nominalphrase (NP), 66-67

- NP. Siehe Nominalphrase

- Nullsubjekt. Siehepro

- Nullsubjektparameter, 6l -62,65, t17

- Numeruskongruenz, 126

- obliquer Kasus, 99, 109

- OperatorenKasustheorie und, I l0-l l2Variablenbindung und, 84-87,92-93

- ParameterSpracherwerb und, 60-61, 68,132,180-l8lsprachliche Eigenschaftenund. 14-16. l7Sprachunterschiede und, 6l-63,65, 61-68, t3t-t32

- parecer,104-106, l14Komplement von, I l2Zuweisung semantischer Rol-len durch, 129

- Passivkonstruktion, I l7-l l8- Pathologie, Sprache und, 37-38

- pedir,125-126

Peirce, Charles Sanders, 153

persuadir,29-31PhilosophieLinguistik und,6Wissenschaft und, 2phonetische Unterscheidun gs-

möglichkeiten, 70. Siehc auch

LautstrukturPhrasenstruktur, 65-61, lO7 -108

Physikabstrakte Konzepte in der, 6-7,118-179Erklärung in der, 140-142Pfatos Problem, 3-4. 131-132Analogie und, 18-19, 22-23,24-25Sprachvermögen und, 15-16,

22-25.129-130Strukturabhängigkeit und, 42-45Subjekt-ObjekrAsymmetrieund,52-53Politik, Linguistik und, 186-

187

PP. Siehe AdpositionalphrasePräposition, als Kasuszuwei-ser, 99. Siehe auch cPriestley, Joseph, 140pro , 120-121 , 124-125, 121

PRO, t20-124im Englischen vs. P^RO imSpanischen, 123-124vs. pro,124-127vs. Spur, 127-129Problemlösung, 144-148. Sie-he auch wissenschaftsbildendeFähigkeitProduktion, Wissenschaft und,185

2U 205

Produktionsproblem. SieheDescartes Problemproduktive Arbeit, menschli-ches Bedürfnis nach p. A., 187

Projektion,66Projektionsprinzip, 7 2-7 4Pronomina. Siehe auch proBindungstheorie und, 50-5 l,t6diskontinuierliche, 76Domäne von, 49-5 IInterpretation v on, 47 -52Pronominalsystem, 7 1 -89Pseudosprachen, 55-56, 56 n3,56 n4

Psychologie, Linguistik und,5-6

Quantorenphrase, 92quifre,9l-92quiön,lll-ll3kausativ-reflexive Konstrukti-on und,78-84in Ketten, I l5- l l7Spurlvon,Sl-87Variablenbindung und, 84-87Rassismus. 138. 158- 160

Ratlen. Labyri nthhewältigungund,144-145referentielle Ausdrücke, 84-87.98.99Reflexiva. Siehe auch kausa-

tiv-ref-lexive KonstruktionB indungstheorie und, 72-84im Englischen, I 5, 1 8, 95-9'lim Spanischen, l6-17Regeln, 13- | 4, 44-46, 106,109

Reihenfolge. Siehe Wortstel-lungRelativsatz,92

res cogitans, 138, 143. Sieheauch Zweite SubstanzRigiditätsprinzip, beim Sehen,155-156romanische Sprachen, 6 1 -62Rousseau, Jean-Jacques, 140,150

Russell, Bertrand, 3

Sätze. Arten von. 98-99Satzgrenze, Kasuszuweisungüber S. hinweg, 100

scheinbare Bewegung, 156

se, 72-7 4, 7 3 n2, 7 4 n3, 7 6-79,83-84. Siehe auch Reflexivaseem, 104-lO5semantische Rollen, Zuweisungvon s. R., lM, I l4-l18,129Sexismus, 138, 149, 160Sklaverei,149Smith. Adam. l5lSokrates, 3Sozialismus. Siehe libertärerSozialismus; MarxismusSprache

Annahmen über. 39-43. 45Denken und, 187-188individuelle vs. soziale Kon-zeption von, 35-36als physische Struktur, 178-180

Ursprung der,176-171als System der Verhaltensdis-position, l34Zeichensysteme und, 184- 185

Spracherwerb. Siehe ErwerbSprachgebrauch, 133. Sieheauch Descartes Problemkreativer Aspekt, 4-5, 8, 133,r86-187Sprachvermögen und, 90-9 I

sprachliches Wissen, 8- I 0.

Siehe auch Descartes Pro-blem; SprachvermögenSprachvermögen. Siehe auch

Spracherwerb; Universal-grammatikallgemeine Prinzipien, l3- l5,23-25,59-60. r45-146andere kognitive Bereicheund, 154-157, 163-164, 116-r78Einzelsprachen und, I 85

als Spezieseigenschaft, 37-3 8

Sprachgebrauch und, 36, 90-9lunlernbare Sprachen und, 145-

146Ursprung, 164-165, 181

Spur l. Siehe auch Ketten; lee-re KategorienDefinition,73im Interpretationsprozeß, 92-95von Operatoren,84-81 ,91 ,

ll0-llf , n2-n3von qui6n,80-87von referentiellen Ausdrücken.105- r06von se, 71-78,83-84als Variable vs. Anapher, I I l -

lt2Strukturabhängigkeit, 43-45Subjekt-Obj ekt-Asymmetrie,52-51.68-69SubjektpositionAnhebung in, 105-107fragebildende Bewegung aus,

8s-86Präpositionalphrasen und,l0l- 102

Subjekt-Verb-Kon gruenz, 99

Syntax, Bedeutung und, 183

Tatsachenwahrheit, vs Bedeu-

tungswahrheit,3l-32Taubstumme. 184. 187-188

Tempuskongruenz,99Theorie der Umweltbestimmt-heit. Siehe Umweltbestimmt-heit, Theorie derTheoriebildung. Siehe wisscn-schaftsbildende FähigkeitTiereund Geist, l37- 138

und Sprachvermögen, 36-37todos,84-85Turing, Alan, 138

Turingtest, 138

Übersetzung, linguistischeForschung und, 173-l'7 4

UmgebungEntwicklung und, 166-168,

t69-170, 188

Erwerb mehrerer Sprachen

und,180-l8lUmweltbesti mmtheit, Theorieder, 158-161. Siehe auch

Geist-Körper-Problemuniversales Instrument, Geistals.138.145Universalgrammatik. Siehe

auch Parameter; Sprachver-mögen; wissenschaftlicheGrammatikErklärung und, 59-60, 63, l3lPrinzipien der, 59-61, 61 -1 |

unlernbare Sprachen, 146

Unterweisun g, sprachlichesWissen und,22-24VariablenBindungstheorie und, 84-87,

206 201

Kasustheorie und, I l0-l14, - VP. Siehe VerbalphraseI 16 - VP-Bewegung. Siehe Voran-Kettenund, ll4-l15 stellung

- ver,9l-92 - Wachstum, physisches, 147

- Verbalphrase (VP),66-67 - Wahrheit

- Verben vs. Doktrin, 157-16lKasuszuweisung und,99 Ideen und, 153-154mit Satzkomplementen, 91-92, - Wahmehmungsproblem, 4104, ll8 - Wissenschaftvon V. zugewiesene semanti- Philosophie und, 2sche Rollen, 104-105,129 Produktion und, 185

- Verhaltensdispositionen, 8-10, - wissenschaftsbildendeFähig-134 keit.152-154

- verstreute Phrasenstruktur, 70 - wissenschaftliche Grammatik,

- visuelles System 139. Siehe auch Universal-Eigenschaften, 155-156 grammatikExperimente und, 179 - Wortschatz. Siehe VokabularTierstudien und, 134, 156 - Wortstellung,6T-70Umwelbedingungen und, 166- - Zählvermögen, 162-164,176-t61 178

- Vögel, Zählvermögen und, - Zeichensysteme, 184-185163 - Zweitsprachenuntenicht, 173-

- Vokabular,25-32. Siehe auch 176Lexikon - Zweite Substanz. 137-140.

- Voranstellung, 102-103, 105 142-143

208 209