Römische Überlegungen zu Aufstieg und Niedergang des musivischen Raumes, in: Das Münster....
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Smrhi6* ffi§äutrx:* Nur hier in Rom konnte es zu einer
solchen künstlerischen Kontinuität kom-men. Das Papsttum hatte ausreichend
Römische Überlegungen zu Aufstieg und i:[i"^];i:Y'i:? ä1 'ffli::ffi:Niedergang des musivischen RaumesrBerthold Hub
Als man im frühen 4. Jh. unter Kaiser
Konstantin daran ging, die erstengroßen christlichen Gotteshäuser zu
errichten und auszustatten, war miteinem Schlage die Basilika als der Stan-
dardtyp des christlichen Kirchenbausgeschaffen. Sie zeichnet sich - ähnlich
der Zeremonialflucht der Kaiserpaläste,
wie etwa jene des Diokletian in Split -durch eine axiale Ausrichtung dergesamten Architektur auf das litur-gische Zentrum vor dem Apsisrund aus.
Dabei folgt der steigenden Rang-
ordnung der Raumabschnitte eine sich
steigernde Rangordnung der Materia-lien in der Ausstattung, die in dermusivischen Pracht von Stirnwand und
Apsis kulminiert. Für den Gipfelpunktder Raumachse, den Ereignisort der
Realpräsenz Christi in der liturgischen
Handlung und den Fokus der ein-tretenden und versammelten Gemein-
de, wurde lange Zeit das Mosaik als das
dem Raum und dem Ereignis ange-
messenste Medium befunden.Die daraus entstandene GruPPe
römischer Mosaikdenkmäler ist einzig-
artig. Die Reihe der erhaltenen Werke
führt von S. Costanza und S. Pudenziana
im 4. Jh. über S. Maria Maggiore und S.
Paolo (Triumphbogen) im 5. Jh., SS. Cos-
ma e Damiano und S. Lorenzo im 6. Jh.,
S. Agnese, die Kapelle der hll. Primus
und Felicianus in S. Stefano Rotondo
und die an das Baptisterium S. Giovanni
in Fonte angegliederte Kapelle des
hl. Venantius im 7. Jh. zu den Werken
der mit dem Namen des PaPstes
Pasqualis verbundenen - irreführender-weise karolingisch genannten - Re-
naissance des frühen 9. .Jhs. in
S. Prassede, S. Cecilia, S. Maria in Dom-
nica und S. Marco, bevor sie - nur hier
unterbrochen - in der zweiten Hälfte des
12. Jhs. mit dem Neubau von S. Clemen-
te wieder aufgenommen wird, zu Be-
ginn des folgenden Jhs. zu der Erneu-
erung der Apsis von S. Paolo (wie jener
von Alt St. Peter) führt und Ende des 13.
Jhs. ihren Abschluss in den WerkenTorritis und Cavallinis in S. Maria in
Trastevere und S. Maria Maggiore, sowie
der Erneuerung der Apsis von S. Gio-
vanni in Laterano findet.2 DarÜber
hinaus ist uns durch Berichte, Zeich-
nungen und Kopien eine beinahe eben-
so lange Reihe von verlorengegangenen
Denkmälern bekannt.:
Material und seine aufwendige Ver-
arbeitung, noch entscheidender waraber dessen stete Sorge, durch RÜckgriff
auf seine Ursprünge und durchBetonung der Tradition auch im künst-lerischen Bereich die Autorität in
dogmatischen und politischen Berei-
chen zu legitimieren und zu festigen.
Dieses Festhalten an den UrsprÜngen
und am Überkommenen betrifft dabei
nicht nur die Verwendung des Mosaiks
als solches, sondern auch die ver-
wandten Techniken, den Stil sowie die
Wahl der dargestellten Themen; iasogar im Bereich des rein Dekorativen
lässt sich dieser römische Konser-
vatismus beobachten.+ Damit sind
zugleich die unterschiedlichen Blick-
winket genannt, unter denen man sich
den Mosaiken nähern kann. ln der Ver-
gangenheit hat man sich zu meist der
Klärung der lkonographie der einzelnen
Bildabschnitte und der Untersuchung
des Figurenstils zugewandt. Aber man
wird dieser Kunst nicht gerecht, wenn
man ihre Darstellungen als isolierte
Werke betrachtet. Die Mosaiken wur-den nicht als unabhängige Bildergeschaffen, vielmehr war ihre Be-
ziehung zueinander, zur architekto-nischen Form und zum Raum des
Betrachters von primärem lnteresse fÜr
ihre Schöpfer. Diese ursprÜnglichräumlichen lntentionen der Mosaizisten
und Auftraggeber werden offenbar,wenn man sich der Analyse der ver-
wandten Techniken zuwendet. lkono-graphie und Stil werden sich dann als
Funktionen des Raumes erweisen.
Ursprüngliches und restauriertesMosaik
Der physische Zustand und der Grad der
Erhaltung eines Kunstwerkes sowie
deren möglichen Einflüsse auf unser
Verständnis und Urteil müssen von uns
stets in Rechnung gestellt werden. ln
vielen Fällen hat die Restaurierung eines
Werkes zu einer Neueinschätzung und
zu einer Revision frÜherer Urteilegef'uhrt. Es sei an dieser Stelle nur an
das bekannte Beispiel der Fresken des
Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle
erinnert. Damals hat die wiederge-wonnene Frische der Farben zu heftigen
Diskussionen und schließlich zu einem
Wandel in den lnterpretationen des
Werkes geführt, der dem Wechsel von
1 S. Pudenziana,
Apsiskalotte, 4. lh
271
das münster 3/05
2 S. MariaMaggiore,
Triumphbogen,
Detail Mitte undlinke Seite,
Mitte 5. Jh.
dem (pessimistischen) unqesäubertenMonochrom hin zu der (optimistischen)hellen Farbe im restaunerten Werkkorrelierte. ln diesem und zahlreichenanderen Fällen hat uns jedenfalls dieRestaurierung wieder näher an denOriginalzustand herangeführt. Die da-durch oft hervorgerufenen lrritationenbeim Betrachter mahnen uns, bei derEinschätzung unrestaurierter Kunst-werke unsere lmagination zu Hilfe zunehmen, so fehlerhaft sie auch imEinzelnen ausfallen mag.s lm Falle dermusivischen Kunst des frühen Chris-tentums und des Mittelalters hingegenerweisen sich solche überlegungen alsunzutreffend. Unsere Anstrengungmuss hier vielmehr den umgekehrtenWeg einschlagen und die Restaurierungvom gegenwärtigen Eindruck abzu-ziehen suchen. Denn im Bereich dermusivischen Kunst haben bis in jüngsteZeit Restaurierungen die ursprünglicheErscheinung nicht wiedergewonnen,sondern vielmehr unwiederbringlichzerstört.6
Antike und christliche Technik
Bei keinem anderen künstlerischenMedium ist es deshalb so wichtig, den
l;rh11r 1;*r::,r,:
272
verwandten Techniken Aufmerksamkeitzu schenken, will man den ursprüng-lichen lntentionen der Künstler undAuftraggeber auf die Spur kommen.Dazu scheint es uns hilfreich, das früh-christlich-mittelalterliche Mosaik mitseinem Vorgänger der römischenKaiserzeit zu vergleichen" Die Unter-schiede betreffen den Vorzug desMaterials, die Wahl der Farbe, die Größeund die Form der Tesserae sowie die Artund Weise, in der die einzelnen Mosaik-steinchen in die Würfelbettung gesetztsind.7
Während in der Spätantike vor-wiegend natürliche Materialien, v. a.Marmor verwendet wurde, griffen diechristlichen Mosaizisten stattdessen vonAnfang an fast ausschließlich zuTesserae aus Glasmasse, auch Smaltegenannt. ln seinem Bericht über die Ent-wicklung der Mosaikkunst stellt Pliniusd.A. (Hist. nat. XXXV|, 189) fest, dassdiese sich seit ihrem Aufkommen inRom zur Zeit Sullas, also um das JahrB5 v. Chr., in zweifacher Hinsichtgeändert habe. ,,Die Mosaiken wurdenvom Boden verdrängt und fanden, ausGlas gefertigt, einen neuen Platz an dengewölbten Decken. Auch dies ist eineneue Erfindung." Aus einer weiteren
Bemerkung, dass man diese neuartigeMosaiktechnik bestimmt bei derErrichtung der Thermen des Agrippa inRom verwendet hätte, wäre sie zu
lenem Zeitpunkt schon bekannt ge-wesen, können wir schließen, dass manin Rom Tesserae aus Glas erstmals zuBeginn der christlichen Zeitrechnungverwendet hat. Jedenfalls setzt Pliniusdie Verwendung von Glastesserae mitdem Aufkommen von Wandmosaikgleich. Das leuchtet unmittelbar ein,denn für ein Wand- oder Gewölbe-mosaik reicht die Festigkeit des Glasesaus. Dieses erlaubt nun durch dieunendlichen Möglichkeiten der Fär-bung, durch seine Leuchtkraft unddurch die Eigenschaft, das Licht zurück-zuwerfen, vielfältigere und v.a. kräfti-gere Farben. Überdies konnte man, daWände und Gewölbe ja nicht glatt seinmüssen wie ein Fußboden, darauf ver-zichten, die Oberfläche zu walzen undzu polieren, und so die lnselhaftigkeitder Tesserae bewusst ausnützen. Unddennoch hat die Antike von diesenneuen Gestaltungsmöglichkeiten kaumGebrauch gemacht. Vorerst bliebenWand- und Deckenmosaiken auf Bäder,Nymphäen und Brunnennischen oderauf Außenwände beschränkt. ln lnnen-räumen verwendet finden wir Glasv.a. in Form von feinsten, oft nurstecknadelkopfgroßen Glasstäbchen imVerband des sogenannten Opus ver-miculatum, eine Technik, die bei-spielsweise in dem berühmten Tauben-mosaik und anderen zu dieser Gruppegehörigen Mosaiken aus der Villa desHadrian, erste Hälfte des 2. Jhs. n. Chr.,verwendet wurde.s Aber auch hierbleibt Marmor das überwiegend ver-arbeitete Material. Für die f rüh-christliche und mittelalterliche Zeir hin-gegen sind größere Glastesserae dieRegel.s
Dem Größerwerden der Tesseraekorreliert ein Stärkerwerden der Farben.Damit wird zunächst dem Faktor desAbstandes zum Betrachter der christ-lichen Basilika Rechnung getragen. Dass
die Bilder auf große Entfernung klar zusehen und von starker Wirkung seinsollen, hat nicht nur Auswirkungen aufdie Größe der sie konstituierendenTesserae, sondern stellt auch an dielntensität der Farben und ihre Leucht-kraft neue Anforderungen. So erhaltendie GIaswürfel des Mosaiks kräftigeFarben, die im Vergleich zu demfrüheren Mosaik einen weit kühnerenKolorismus ergeben. Dazu trägt auchbei, dass die Farbunterschiede vonTessera zu Tessera oft beträchtlich sind,
das münster 3/05
3 55. Cosma
e Damiano,
Apsiskalotte,erste Hälfte 6. Jh.
während die Mosaiken der Antike v.a.
durch ihre feinen Farbschattierungenund durch die zarten Übergänge derverschiedenen Farbtöne ineinanderwirkten. Auch hat die Antike ver-goldetes Glas nur selten und nur zur
Hervorhebung bestimmter Bildteile wieSchmuckstücke oder Gefäße verwen-det. Großflächige Verarbeitungen von
Goldwürfeln treten erst gegen Anfangdes 4. Jhs. in christlichen Sakralräumenauf. Während die Mosaiken ihrer Vor-gänger stets einen weißen, braungel-ben, einheitlich grauen oder schwarz-braunen, jedenfalls zurückhaltendenHintergrund hatten, sind die für das
christliche Mittelalter typischen Mosai-
ken hingegen auf goldenem Hinter-grund gearbeitet. Bei den aus dem4. Jh. stammenden Gewölbemosaikenvon S. Costanza ist die Färbung des Hin-
tergrundes noch ganz im antiken Stil
gehalten und Gold nur sparsam in ver-
schiedenen Details der miteinanderkorrespondierenden Seitenteile derArkade, die den unm.ittelbaren Zugang
zum Sarkophag der Constantina über-wölbte, verwendet. Das Mosaik in
S. Pudenziana aus dem späten 4. Jh.
weist bereits eine wesentlich groß-zügigere Verwendung von Gold auf,
allerdings srnd wiederum nur gewisse
Details hervorgehoben, und man hatnicht den gesamten Hintergrund aus
goldenen Tesserae gesetzt. ln der Mittedes 5. Jhs., in den Mosaiken des
Triumphbogens von S. Maria Maggiore,setzt sich der einheitliche Goldgrunddann aber durch und bleibt bis zum
frühen 14. Jh. selbstverständlicher Be-
standteil der römischen Mosaiken.Davon weichen dann nur noch das
Hauptfeld der Apsis von SS. Cosma e
Damiano aus der ersten Hälfte des
6. Jhs. und dessen Kopien in den Kir-
chen des Papstes Pasqualis l. aus dem
frühen 9. Jh. ab, wo das einheitlicheGold des Hintergrundes durch ein tiefesBlau ersetzt wird, das aber eine durch-aus vergleichbare Wirkung erzielt.
Über die Herstellung, Färbung und
die Verarbeitung der Goldtesseraegeben mehrere mittelalterliche QuellenAuskunft.lo Ein großes dünngehäm-mertes Blatt Gold wird über eineGlasplatte gelegt, mit einer weiterenSchicht gemahlenen, dünnen Glases
bedeckt und anschließend noch einmal
im Brennofen erhitzt. Die einzelnenTesserae gewann man entweder da-
durch, dass man die Platte mit einem
heißen Eisen beschnitt, oder, indem
man sie vorgeritzt auf eine auf einem
Bock befestigte eiserne Schärfe legte
und mit einem kleinen Hammerbeschlug. Dabei wurde eine glatte,geschmeidige und gleichmäßig leuch-
tende Oberfläche, wie sie uns in den
meisten modernen Restaurierungen ins
Auge springt, durch mehrere Mittelbewusst vermieden : Die charakteristisch
lebendig glitzernde Wirkung mittel-alterlicher Mosaiken beruht zunächst
einmal darauf, dass die Glasplatte nichtmaschinell zersägt, sondern zerschlagen
wurde und dabei unregelmäßig sprang,
so dass die Bruchfläche zwar blank war,
aber nicht glatt. Und auch bei dem
Schneiden mit einem heißen Eisen
wurde die Goldfolie offenbar bewusst
unregelmäßig beschädigt. Weiterhinwurde die Bildung einer kalten, gleich-
mäßigen Goldfläche verhindert, indemman die untere Glasschicht einmalgrünlich, einmal braun, gelb oder rotfärbte oder zumindest trübte.11 Bis-
weilen wurde der dämpfende Effektauch verstärkt, indem man die Tesserae
verkehrt einsetzte, also derart, dass die
dickere Glasschicht, die normalerweisedie Unterlage bildet, nach oben zu
liegen kam. Schließlich wurde die
Wirkung größerer Goldflächen meist
i*f*:a:* §a;1,ü*
273das münster 3/05
4 S. Lorenzo,
Triumphbogen,
Detail, Ende 6. lh.
5 S. Agnese,
Detai[ hl. Agnes,
erste Hälfte 7. lh.
Seite 275.7 S. Prassede,
Gesamtansicht,
frühes 9. lh.
durch die Einfügung rein blauer, grüner,brauner, oder gar schwarzer Tesseraegebrochen.
Neben dem Material, der Farb-gebung sowie der extensiven Verwen-dung von Gold sind es v.a. die Größeder einzelnen Tesserae und die Art undWeise, in der diese in die Mörtelbettunggesetzt sind, die das mittelalterlicheMosark von jenem der Antike grund-legend unterscheiden. Die heidnischen
Mosaizisten strebten Realismus der Dar-stellung und eine der Malerei möglichstnahekommende Wirkung an. Durch dieVerwendung kleinster Teile vonmöglichst einheitlicher Größe und ihreenge, fugenlose Aneinanderfügungerreichten sie eine weiche und sorg-fältige Modellierung der Gegenständemit fließenden Farbabstufungen undfeinsten Schattierungen. Unebenheitender Oberfläche wurden ausgewalzt undÜberstände verschliffen. Als das besteMosaik galt offenbar jenes, in dem nichtzu erkennen war, dass es überhaupt aus
Stein zusammengesetzt rst. lm Vorder-grund stand die Virtuosität des Hand-werkers und die Dauerhaftigkeit seinesWerkes. Für den Stil war das Materialalso keinesfalls bestimmend.tz Diechristlichen Mosaizisten des Mittelaltershatten eine davon ganz verschiedeneAuffassung ihrer Kunst. Sie bemühtensich, die Charakterzüge und die damitverbundenen Möglichkeiten des Mate-rials, die nur dem Mosaik eigen sind undes über eine gelungene Nachbildungeines Gemäldes hinausheben, voll aus-zunutzen. So befreit sich in der christ-lichen Basilika das Mosaik von derMalerei und wird eine auf der eigen-artigen Natur des Materials gegründeteKunst. Statt sich in eine gemalte Ober-fläche mit Ubergängen der Farbe zu
fügen, die stufenweise von einem Tonzum anderen schattieren, werden nunabsichtlich verschiedene Farben nicht in
kleinen Punkten, sondern in größerenEinheiten übereinander gesetzt. Dieganze Bildfläche wird so in unendlichviele einzelne chromatisch voneinandergetrennte Elemente aufgelöst. Dieeinzelne leuchtende und mit Farbengesättigte Tessera, die die antikeMosaikkunst gerade zu unterdrückengesucht hat, ist hier bewusst hervor-geholt und wrrksam gemacht. Sie ist
absichtlich groß genug gelassen, dass
sie ihren eigenen Licht- und Farbeffektsetzen kann. Dadurch erscheint jedes
einzelne Mosaikteilchen so gesetzt, als
ob es von seinem Nachbarn völligunabhängig wäre, und es entsteht derEindruck, als ob der Künstler stets dieOberfläche als Gesamtheit vor Augengehabt hätte und die einzelnen Farb-punkte daher nicht so sehr ip Bezug aufdie vorhergegangene Tessera gesetztworden wären als vielmehr in Hinblickauf die räumliche Gesamtwirkung desMosaiks.
Die Leuchtkraft des Mosaiks wurdeauch durch erhebliche Abstände zwi-schen den einzelnen Tesserae verstärkt.IVleist setzte man die Würfel in die
Mörtelschicht ein, ohne die Zwischen-räume zwischen den einzelnen Tesserae
ebenfalls mit Mörtel auszufüllen. Da-durch wird die Farbwirkung der ein-zelnen Tesserae nicht, wie in den spät-antiken Mosaiken, durch die Fugenlinieim neutralen Grau des Mörtels abge-schwächt, sondern ihre Leuchtkraftdurch eine Schattenfuge verstärkt.Darüber hinaus trachtete man nichtmehr danach, die Würfel genau in eineEbene zu fügen, sondern setzte sievielmehr bewusst verschoben zuei-nander und in der Höhe versetzt in
den Mörtel, so dass jede einzelneTessera das Licht ganz unterschiedlichreflektierte und eine lebendig glit-zernde und funkelnde Oberflächen-wirkung entstand. Diese besondereSetztechnik war nicht auf den Gold-grund beschränkt, bereits in S. MariaMaggiore erstreckt sie sich auf dieganze Bildkomposition.
Zu den Unregelmäßigkeiten derOberfläche, die durch das Setzen derTesserae in die Mörtelunterlage ent-standen, kommen Unebenheiten derMörtelunterlage selbst hinzu, durch dieeine leichte Wellung der gesamtenOberfläche entsteht. Diese Unregel-mäßigkeit der Oberfläche wurde ohneZweifel bewusst gesucht, um die flache,metallisch harte Oberfläche zu ver-meiden, wie sie uns moderne Res-
tauratoren so oft hinterlassen haben.Ohne die Wölbungen und Ondula-tionen der Wand geht ein großer Teil
des Glitzerns des Glases und desFunkelns des Goldes verloren. Wenn wirheute vor den mit künstlichem Lichtgleichmäßig ausgeleuchteten Mosaik-flächen stehen, müssen wir unsaußerdem vergegenwärtigen, dass sieihr wirkliches Leben erst im lebendigenLicht der Fenster oder der flackernden
6 Kapelle des
hl. Venantius,
Detail der Apsis-
stirnwand,Mitte 7.lh.
i_.1: :i11 {t' :i*i;! t i1.r
274das münster 3/05
B 5. Prassede,
Zenokapelle,
Kuppel,
frühes 9. lh.
Kandelaber, der Fackeln und Kerzen
erhalten. Für ein solches Licht wurdensie geschaffen. Das natürliche Licht des
Tages oder das der Flammen verwandeltsich in den Mosaiken in ein über-natürliches Licht, indem es in Tausende
einzelner, sich ständig verändernderLichtblitze gebrochen und zurück-geworfen wird, ein Eindruck, der sich
durch die Bewegung des Betrachters imRaum (in einer ursprünglich meist pro-zessierenden Gemeinde) noch einmalverstärkt. Erst durch das Medium desMosaiks wird die bereits in patristischerZeiI zu findende Auffassung von derBasilika als Ort des Anbruchs und derVorwegnahme des in der Offenbarungdes Johannes beschriebenen Himm-lischen Jerusalem auch ansichtig undsinnlich erlebbar.l3
Musivischer Raum und lkono-graphie
Die vollkommenste Vereinigung vonMosaik und Architektur stellt sicherlichdas mittelbyzantinische System dar, in
welchem der gesamte Raum von demMosaik umschlossen wird. Aber diemusivische Ausstattung der römischen
r.-.t,,,:-- *a...-..*
276
Basilika verfolgt deutlich dieselbenlntentionen. Der Bereich der Apsis ist
kein unzugängliches Allerheiligstes,sondern gemeinsam mit ihrem Bogensowie dem Triumphbogen auf dieGemeinde hin ausgerichtet und lenktals große Schauwand die Rezeption desgesamten Raumes.la Einerseits folgt dieGruppierung der einzelnen Darstel-lungen der tektonischen Artikulationdes Gebäudes, das Mosaik unterwirftsich also der Architektur; als ununter-brochene Verkleidung der Oberflächenaber unterwirft sich gleichzeitig das
Mosaik seinerseits die Architektur: Dermusivische Schmuck legt sich überWände, Wölbungen und Bögen glei-chermaßen und mildert so ihre Kanten,verschleiert das tektonische Gerüst des
Gebäudes und stellt die Stabilität durchTausende von Reflexlichtern in Frage. So
macht sich das Mosaik Selbst zumprimären Konstituenten des Raumesund hebt ihn in die Sphäre immateriellerTranszendenz.
Diese räumlichen lntentionen derchristlichen Mosaizisten und ihrer Auf-traggeber bedingen auch die Frontalitätund lineare Aufreihung der darge-stellten Figuren sowie deren körper-
losen Stil. Wir werden vor hieratische,ikonenhafte Repräsentanten trans-zendenter Größe und Ordnung gestellt,
die unsere Begriffe von Raum und Zeitradikal ignorieren. Und trotzdem wirdman diesen Darstellungen nicht ge-recht, wenn man sie als zwei-dimensional bezeichnet. Was OttoDemus in dieser Hinsicht mit Blick aufdas byzantinische Mosaik gesagt hat,hat auch für das römische Gültigkeit:,,True, there is no space behind the,picture-plane' of these mosaics. Butthere is space, the physical spaceenclosed by the niche, in front; and thisspace is included in the picture. Theimage is not separated f rom thebeholder by the ,imaginary glass plane'of the picture plane behind which an
illusionistic picture begins: it opens intothe real space in front, where thebeholder lives and moves. His space andthe space in which the holy personsexist and act are identical, just as theicon itself is magically identical with theholy person or the sacred event."ls DieMosaiken sind so sehr in die den Raum
begrenzende Fläche gebunden, dass
dieser zu ihrem eigentlichen ,,Bildraum"wird. Die in der Bildfläche verfolgte Ent-
das münster 3/05
konkretisierung bedeutet also para-doxerweise einen Zugewinn an Wirk-lichkeit für den Raum des Betrachters.Tritt nun als Medium das in derbeschriebenen Technik gearbeiteteMosaik hinzu, dann werden die dar-gestellten Heiligen als wahrhaft präsenterlebt. Die Grenzen zwischen realemund imaginiertem Raum werden über-schritten und der Betrachter kann sich
mit den abgebildeten Heiligen in einemgemeinsamen Raum erleben. Aber diese
Heiligen betreten nicht unseren Lebens-raum, vielmehr erheben sie denMenschen in ihren transzendentenRaum, in welchem aus Betrachtern Teil-
nehmer werden können. Die Analogiezu der vor und unter diesen Bild-lkonenstattf indenden Liturgie ist evident. Auchdas Sakrament realisiert durch dieWiederholung historischer Ereignisse in
der Gegenwart den Anbruch der kom-menden erfüllten Zeit.
Neue Perspektiven und Rückkehrzur antiken Auffassung desMosaiks
Das ganze Mittelalter hindurch wurdeder alten Technik der Setzung derMosaiksteine sowie der damit ver-bundenen lkonographie und demf iguralen Stil beharrlich gefolgt. Erstgegen Ende des 13. Jhs. begann manwieder, im Medium des Mosaiks dieEffekte der Malerei zu suchen.Mosaiken wurden wieder als dauer-haftere Abart der Malerei betrachtetund begannen damit schnell, ihretraditionelle Aufgabe, die wir in derSchaffung einer spezifischenRaumqualität gesehen haben, zu ver-lieren. Als sich Jacopo Torriti und PietroCavallini in der letzten Dekade des 13.
Jhs. an die Neugestaltung der beidengroßen Marienkirchen Roms machen,kommt es zur Einführung eines bisherunbekannten Elementes im Bereich derApsis, nämlich eines Bandes mit Szenen
aus dem Marienleben, das dem Haupt-feld der Apsis mit der Darstellung derMarienkrönung als eine Art Monu-mentalpredella unterlegt wurde. Damiteinher gehen weitere neue Elemente,die von der alten musivischen Kunstweg und in die Zukunft der frühen Neu-zeit weisen. Neu ist, dass sich dieSzenen zu einer narrativen Sequenzzusammenschließen. Neu ist sodann einBemühen um perspektivische Dar-stellung. ln der Szene der DarbringungJesu etwa verwendet Cavallini diearchitektonischen Versatzstücke deut-lich dazu, der Bildfläche eine räumliche
Tiefe zu verleihen. Besonders be-merkenswert in dieser Hinsicht ist dieDarstellung des Marientodes bei Torriti.Die Reihen der Heiligen und Apostel zu
beiden Seiten Mariens werden nicht nurnach hinten kleiner, die Figuren werdenauch durch eine die verschiedenen Per-
sonen unterscheidende Gestaltung derGesichter und die kontrapunktischeAusführung der Draperien und Körper-haltungen in einem bisher unbekanntenMaße individuell charakterisiert undsomit vermenschlicht und veralltäglicht.Damit einher geht eine Verfeinerungder Technik, in der sich die Tendenzabzeichnet, beim Setzen der Tesserae
wieder die Wirkung eines Gemäldes zu
erzielen. Es ist bezeichnend, dass Torritiin seinem letzten musivischen Werk sich
selbst als ,,Pictor" verewigt hat.Was sich hier noch verhalten
ankündigt, schlägt in den Mosaiken derFassade von S. Maria Maggiore aus demersten Viertel des 14. Jhs. dann volldurch.r0 Das Thema des oberen Bereichs
ist durchaus traditionsverhaftet: ln
einem zentralen, von Engeln getra-genen und von Heiligen flankiertenMedaillon erscheint Christus. Der untereAbschnitt hingegen ist nicht nurhinsichtlich des Themas, sondern auchin der ganzen Behandlung desselbenvom oberen Feld wie von der gesamtenmittelalterlichen Kunst Roms ver-schieden. Erzählt wird die Gründungs-legende von S. Maria Maggiore: dieGeschichte einer von Menschen er-bauten Kirche. Persönlichkeiten desirdischen Lebens treten in zeitge-nössische Gewänder gekleidet auf, unddie ganze Art der Darstellung ist darauf
angelegt, die Tatsache a) unter-streichen, dass es sich um eineGeschichte handelt, die sich unter uns
ereignet hat. Der Versuch, räumlicheTiefe ins Bild zu bringen, wie wir ihn
schon in einigen der Mosaiken Ca-vallinis oder Torritis beobachten konn-ten, wird nun zum primären Movens derKomposition. Die Durchgestaltung derarchitektonischen Angaben ist weit fort-geschritten, ja drei der dargestelltenSzenen finden deutlich in lnnenräumenstatt. Aber die private Stube und dieStraße einer mittelalterlichen Stadt sindkeine Themen, für die das traditionelleMedium des Mosaiks benötigt wird.Und tatsächlich hatte man sich andern-orts auch bereits wieder der Freskotech-nik allein zugewandt.lT
Die hinter diesem Wechsel stehendebzw. sich daraus ergebende, neue Ein-
stellung dem Mosaik gegenüber gehtaus den gelegentlichen Bemerkungender Renaissancekünstler und -theo-retiker deutlich hervor. Alberti etwalehnt das Mosaik ab, weil es durch das
darin verwendete Gold der Wahrhaftig-keit der Naturwiedergabe entgegen-stehe. ,,Ja, sogar wenn ich Dido malenwollte, wie Vergil sie in der berühmtenSzene schildert: sie, ,deren Köcher aus
Gold, deren Haare in Gold geknotetwarqn, der eine goldene Spange das
Gewand zusammenhielt', die mitgoldenen Zügeln einherritt und um dieschließlich alles in Gold glänzte - wennich sie also malen wollte, würde ich
mich trotzdem bemühen, eine solcheFülle goldener Strahlen, welche vonallen Seiten die Augen der Betrachter
blendet, eher mit Farben nachzubilden
9 S. Clemente,
Apsis, zweite Hälfte12 Jh
277das münster 3/05
10 5. Paolo,
Triumphbogen,
Mitte 4. lh., Apsis,
frühes 13. lh.
als mit Gold."18 Auch Giorgio Vasari
war dem Mosaik naturgemäß wenigzugetan, galt es ihm doch als Mediumdes mittelalterlichen lrr- und Nieder-gangs und Träger der nun endlich über-wundenen,,Griechischen Manier". Sein
Lob findet es nur dort, wo es durchseine Verarbeitung an die Malereiheranreicht und dieser so eine größere
Widerstandskraft und längere Haltbar-keit zu verleihen vermag. Nichts hatte erjedoch übrig f ür ungleichmäßigeStrukturen oder Unebenheiten derOberfläche" So verdient Andrea Tafi
genannt zu werden, weil er - obwohl erseine Kunst bei den Byzantinern gelernthatte - ,,dennoch jene Kunst sehr ver-vollkommnete, indem er die Stücke mitFleiß eng aneinander kittete und dieArbeit eben führte wie eine Tafel, wasbeim Mosaik von großer Wichtigkeit ist.
Dadurch eröffnete er vielen die richtigeBahn [...], die nach ihm bis zu unsernZeiten sich in dieser Art der Malerei
geübt haben."1e Das Mosaik findet nurnoch Würdigung unter dem Maßstabder Malerei. Noch deutlicher wird das inVasaris bekannter Beschreibung vonGiottos ,,Navicella", die heute nur nochin einer entstellenden Kopie des 17. Jhs.
zu sehen ist: ,,Von Giotto ist auch das
Schiff aus Mosaik über den drei Türender Halle im Vorhofe von St. Peter,
welches fürwahr schön ist, und mitrecht von allen Kennern der Kunstgerühmt wird, nicht nur um derZeichnung willen, sondern auch wegender Gruppierung der Apostel, die aufverschiedene Weise dem Sturme aufdem Meere entgegen arbeiten; einSegel, in welches die Winde blasen, ist
so schwellend gemacht, dass man es in
Wirklichkeit zu sehen glaubt, obschones sehr schwer ist, mit solchen Glasstü-cken die Übergänge vom weißen Lichtezum dunkeln Schatten in einem so
großen Segel hervorzubringen; denn
selbst mit dem Pinsel würde es große
Anstrengung kosten, es so gut zumalen. Außerdem spricht sich bei einemFischer, der auf einer Felsklippe sitzt undangelt, gar schön die unglaubliche Ruhe
aus, welche diesem Geschäfte eigen ist,
während man zugleich in seinemGesichte den Wunsch und die Hoffnungetwai zu fangen, erkennt."20 Vasaris
Bewunderung gründet sich auf demErfolg des Künstlers, obwohl er in
Mosaik arbeitet eine ebenmäßige Ober-fläche erzielt und ein Chiaroscuroherausgearbeitet zu haben, wie man es
sonst nur in Gemälden antrifft, und
einen Realismus der Darstellung eneichtzu haben, wie er normalerweise nur derVerwendung von Malfarben möglich ist.
Damit sind wir wieder zu den Anliegender heidnischen Mosaizisten der Antikezurückgekehrt, nämlich das Material zu
unterdrücken und soweit wie möglichden Eindruck eines Gemäldes entstehenzu lassen.2l
Die Frage nach den Gründen fürdiesen Wandel in Einschätzung undBehandlung des Mosaiks ist die Frage
nach den Ursprüngen der Linearper-
spektive. Sie hat eine lange Reihe nichtnur von Kunsthistorikern beschäftigtund erlaubt keine einfache Antwort.Auch wir haben diese nicht. Es scheintuns aber an dieser Stelle lohnend, aufdie bemerkenswerte römische Ver-
spätung in dieser neuen Entwicklunghinzuweisen und nach ihren Ursachenzu fragen.
Römische Beharrlichkeit
Für die Vorgeschichte der Linearper-spektive war zunächst ein Wandel in derWahl des darzustellenden Gegen-standes von allergrößter Bedeutung,nämlich weg von der Darstellungikonenhaft vereinzelter Figuren undheilsgeschichtlicher Schlüsselmomenteder Hl. Schrift hin zu der Darstellungnarrativer Sequenzen aus dem Leben
von Heiligen, Personen aus der frühenGeschichte des Christentums oderGlaubenszeugen aus der jüngeren Ver-gangenheit. Eingang in Darstellungendes Lebens Jesu findet der neueRealismus erst über dessen Anwendungin jenen neuen Themen. Der Wandelder lnhalte ist zuerst in der gotischen
Kunst des Nordens, in den Außen-skulpturen und v. a. den neuen großen
Buntglasfenstern der großen Kathed-ralen seit der Mitte des 12. Jhs. zu be-obachten.zz In ltalien setzt er erst -dafür aber umso schlagartiger undfolgenreich - mit den Fresken des sog.Franziskusmeisters in S. Francesco in
278das münster 3/05
Assisi um das Jahr 1265 ein.zz Nicht nurdeshalb wurde der neue Realismus derDarstellung zurecht auch mit dem Auf-kommen der Predigerorden im All-gemeinen und dem Predigtwesen derFranziskaner im Besonderen in Ver-bindung gebracht.24 Die von diesen pro-pagierte neue Frömmigkeit sucht nachpersönlicher ldentifikation mit den heils-geschichtlichen Ereignissen und denVorbildern des Glaubens. Dieses
Wiedererleben und Nachvollziehenbedient sich als Mittel schnell der Kunst,wo es aber ganz entscheidend von derkohärenten Darstellung unserer Zeitund unseres Raumes abhängt, in demsich psychologisch ausdrucksstarkelndividuen überzeugend bewegen.Jedes naturalistische Detail ist nun einevisuelle Hilfe in der Unmittelbarkeit derErfahrung des Betrachters. Um mit ErnstH. Gombrich zu sprechen: Das Ziel warnicht mehr sosehr das Was, sondern das
Wie eines Ereignisses, wie dieses sich
einem Augenzeugen präsentiert habenmuss.2s Kurz, Empathie verlangte nachlllusion und die Form folgte der Funk-
tion.Es ist nun äußerst bemerkenswert,
dass die neuen lnhalte und die neue Artder Darstellung in Assisi bereits ab 1265in Freskotechnik verwirklicht werden,während wir in Rom einem vergleich-baren Werk erst im zweiten Jahrzehntdes 14. Jhs. und noch immer in Mosaikgearbeitet begegnen. Hinter dieserUngleichzeitigkeit im künstlerischenBereich könnte der Konflikt zwischender römischen Kirche und der neuenpopulären Frömmigkeit im Allgemeinenund der der Franziskaner im Besonderenstehen. Die päpstliche Autorität sah sich
gefährdet von Bewegungen, die sich inzunehmendem Maße auf eine eigene,nicht mit der römischen Kirche
deckungsgleiche Tradition beriefen.Letztlich ging es um die Frage, werbestimmen kann, was überhaupt als
Tradition gelten kann, also ob es einevon der Kirche unabhängige Traditiongeben kann oder nicht. ln dieseSituation fällt das Wirken des Franz vonAssisi, in dessen radikaler NachfolgeChristi die Menschwerdung Gottesgleichsam ein zweites Mal Ereignis wird.Das Auftreten dessen, der schon zu Leb-
zeiten als zweiter Christus bezeichnetwird, verändert die Verweisungsstrukturaller auf das Heilsgeschehen bezüg-lichen Mitteilung von Grund auf:lnsofern es dem einzelnen Menschendie Möglichkeit apostolischer Unmittel-barkeit im Hier und Jetzt vor Augenführt, überbietet es gewissermaßen die
Tradition der römischen Kirche undlehnt den päpstlichen Anspruch, die
alleinige Autorität über Tradition zu
besitzen, ab. Und dieser Konf liktspiegelt sich zwangsläufig in der Ent-
wicklung der Kunst als dem damals
neben der Predigt einzigen Massen-medium wider und hat dort un-mittelbare Auswirkungen nicht nur aufdie Wahl der darzustellenden Themen,
sondern auch auf die Art und Weiseihrer Behandlung. Durch den Gebrauchperspektivischer Mittel erhält auch das
Bild eine radikal neue Verweisungs-struktur, die die alte römische Bild-
tradition überholt und so auch mitkünstlerischen Mitteln den römischenAnspruch, die allein gültige Autoritätüber Tradition darzustellen, in Frage
stellt.Die Folgen der Einführung perspek-
tivischer Mittel in die Darstellung für das
mittelalterliche Raumkonzept sind jeden-
falls klar. Auch hier kommt es zu einem
Wechsel in der Verweisungsstruktur, von
einer mehr vertikalen zu einer eher
horizontalen Richtung. Der Raum wirddurch das Mosaik nicht mehr in die
Transzendenz gehoben, sondern wirdzum bloßen Ort des Bezeugens histori-
scher Ereignisse, zum Ort der kollektiven
Belehrung einerseits und der individu-
ellen Empathie andererseits. Die Einfüh-
rung raumperspektivischer Elemente in
die Bildgestaltung fordert unseren Blick
auf, sich auf ein je einzelnes Bild zu zen-
trieren, das Alberti später mit einem
Fenster vergleichen wird, welches sich
auf eine Szene hin öffnet. Während die
mittelalterliche Mosaikkunst den visuel-
len Sprung vermieden hat, wird jetzt das
einzelne Bild isoliert, damit es in sich
betrachtet werden kann. Damit tretenArchitektur und Bild auseinander und
künstlerisches Medium und Liturgiehören auf, gemeinsame räumliche Ziele
zu verfolgen. So mussten sich die
Künstler und Theoretiker der frühen Neu-
11 S. Maria in
Trastevere,
Ende 13. lh.
: -] {-:l: !l:: : :
279das münster 3/05
zeit nach ihrem Griff nach anderenkünstlerischen Mitteln auch nach neuenKonzepten des Raumes umsehen,
Anmerkungen1 Der Aufsatz stellt die Überarbeitung
eines im April 2003 an der University ofExeter zu Anlass der Konferenz
,,Defining the Holy: Sacred Space in
Medieval and Early Modern Europe"gehaltenen Vortrages dar.
2 Zu der römischen musivischen chrrstli-
chen Kunst im Allgemeinen grundle-gend Walter Oakshott, Die Mosaikenvon Rom vom 3. bis zum 14.jahrhun-dert, Wien 1967, und Guglielmo Mat-thiae, Mosaici medievali delle chiese di
Roma, Rom 1967; ferner Christa Bel-
ting-lhm, Die Programme der christ-
lichen Apsismalerei vom vierten Jahr-hundert bis zur Mitte des achtenJahrhunderts, Wiesbaden 1960, und
Zusammenfassung
Die frühchristlichen und mittelalter-lichen Mosaiken werden zumeist hin-sichtlich der lkonographie und desFigurenstiles betrachtet. Man wird die-ser Kunst aber nicht gerecht, wennman ihre Darstellungen als isolierteWerke betrachtet. Die Mosaiken wur-den nicht als unabhängige Bilder ge-schaffen, vielmehr war ihre Beziehungzueinander, zur architektonischen Form
und zum Raum in der Wahrnehmungdes Betrachters von primärem lnteressefür ihre Schöpfer. Diese neuen räum-lichen lntentionen der christlichenMosaiken werden durch eine Analyseder verwandten Techniken und in
einem Vergleich mit ihren heidnischenVorgängern herausgearbeitet. lkono-graphie und Stil erweisen sich dann als
Funktionen des Raumes. Als geqenEnde des 13. Jhs. bildperspektivischeMittel in die Darstellungen eingeführtwerden, verliert das Mosaik seineursprünglich liturgieräumliche Bedeu-tung und wird deshalb als künst-lerisches Medium aufgegeben. Die auf-fallende Verspätung Roms in dieser
Entwicklung dürfte mit der politischenFunktion der Bilder in der Auseinander-setzung zwischen Papsttum und neuerpopulärer Frömmigkeit zusammen-hängen.
280
Maria Andaloro und Serena Romano,Das Bild in der Apsis, in: dies. (Hrsg.),
Römisches Mittelalter. Kunst und Kulturin Rom von der Spätantike bis Giotto,Regensburg 2002,5.73-102. Aus den
zahlreichen Einzeluntersuchungen seien
hervorgehoben: Johannes G. Deckers,
Der alttestamentliche Zyklus von S. Ma-ria Maggiore. Studien zur Bildgeschich-
te, Bonn 1976; William Tronzo, Apse
Decoration, the Liturgy, and the Percep-
tion of Art in lVedieval Rome: S. Maria
in Trastevere and S. Maria Maggiore, in:
ders. (Hrsg.), ltalian Church Decoration
of the Middle Ages and Early Renais-
sance. Functions, Forms and Regional
Traditions. Ten Contributions to a Collo-quium Held at the Villa Spelman/Flo-
rence, Bologna 1989, S. 167-193, Wolf-gang Kemp, Christliche Kunst: ihre
Anfänge, ihre Strukturen, München1994, S. 149-181 (zu S. Maria Maggio-re); Margaret Visser, The Geometry of
Summary
Early Christian and medieval mosaics are
usually appraised in terms of theiriconography and figurative style. Onecannot do justice to this art, however,by considering such works in isolation.These mosaics were not created as
autonomous images. Artists wereprimarily concerned with the interactionbetween them, the architectural formatand the space in which viewers foundthemselves. By analysing the technrquesapplied and comparing the newChristian works with their heathenpredecessors, we can draw conclusionsabout their spatial intentions. lcono-graphy and style then emerge as
functions of the space. When the toolsof perspective were introduced in thelate 13th c., mosaics lost their originalsignificance within the liturgical space
and were hence relinquished as anartistic medium. lf Rome lagged strikin-gly behind in this respect, reasons maybe sought in the political functions ofthese works in conflicts between thePapacy and new, popular expressions ofreligion.
Love: Space, Time, Mystery, and Mean-ing in an Ordinary Church, New York
2001 (zu S. Agnese); ferner Dominic
Janes, God and Gold in Late Antiquity,Cambridge 1998, v.a. S. 94ff .
3 5. v.a. Stephan Waetzold, Die Kopien
des 17. Jahrhunderts nach Mosaiken
und Wandmalereien in Rom, Wien1964
4 Der Rückgrff auf und die Bewahrung
von älteren Elementen sind ein durch-gehendes Charakteristikum der römi-
schen Mosaiken. Was die Apsiden be-
trifft, herrscht deutlich die Absicht vor,
die Erscheinung, oder besser: die An-wesenheit Christi in den Raum zu
setzen; teils sehen wir den Messias
sitzend in der Versammlung der Apostel(S. Pudenziana, S. Agata dei Goti, S. An-drea Catabarbara), teils stehend zwi-schen Petrus und Paulus und/oder ande-ren Heiligen (Alt-St. Peter, 5. Paolo fuorile mura, SS. Cosma e Damiano, 5. Pras-
Sommaire
On admire 96n6ralement l'iconogra-phie et le style des mosaiques datantdu d6but de la chr6tient6 et du Moyen-äge. Mais on ne peut les appr6cier ä
leur juste valeur si l'on considörechacune de ces oeuvres pour elle-möme, isolee des autres. Les mosaiquesne furent pas conques comme oeuvres
ind6pendantes mais, bien au contraire,faisant partie d'un ensemble. Leurs
relations entre elles, avec la formearchitecturale et l'int6rieur du lieu en
soi 6taient primordiales pour l'artiste.L'analyse de techniques similaires et les
comparaisons faites avec d'autreseuvres paiennes les ayant pr6c6d6es
mettent en 6vidence cette volont6,inh6rente aux mosaiques de I'örechr6tienne et nouvelle pour l'6poque,d'ötre partie int6grante de l'espace les
entourant. Ainsi l'iconographie et le
style de ces mosaiques soulignent Ia
fonction du lieu. Lorsque, vers la fin duXlll", on commenEa ä utiliser le princrpede la perspective dans les euvres, les
mosaiques perdirent de leur significa-tion pour la liturgie des lieux de culteset on cessa de les employer comme in-term6diaires artistiques. Le retard queprit Rome au sein de cette 6volution estfrappant et est certainement ä mettreen rapport avec la fonction politiquequ'avaient ces oeuvres dans le conflitentre la papaut6 et les nouvelles formesde d6votion populaire.
das münster 3/05
sede, S. Maria in Domnica, 5. Marco).
An den Apsis- oder Triumphbögen wur-de mit Vorliebe die Schau einer großen,
vor Gottes Thron dargebrachten himm-lischen Liturgie nach Offb 4f. dargestellt,
in die sich die versammelte Gemeinde
eingliedern soll (vgl. dazu Ursula Nilgen,
Die Bilder über dem Altar. Triumph- und
Apsisbogenprogramme in Rom undMittelitalien und ihr Bezug zur Lrturgie,
in: Kunst und Liturgie im Mittelalter (Ak-
ten des internationalen Kongresses der
Bibliotheca Hertziana und des Neder-
lands lnstituut te Rome, Rom, 28.-30.
September 1997), hrsg. v. Nicolas Bock,
München 2000, S. 75-89). Auch deko-
rative Elemente kehren immer wieder,
etwa das Girlandenmotiv in den Pfeiler-
bögen oder die Fächermuschel, die das
Hauptfeld der Apsis im Scheitel ab-
schließt (der Kontinuität der dekorativen
Elemente hat Oakshott, Mosaiken,5. 106ff. ein eigenes Kapitel gewidmet).
Bei der Vergrößerung der Apsis von S.
Clemente im 12. .Jh. wurde das groß-
artige Akanthusmuster und ein großer
Teil der Darstellungen innerhalb dessel-
ben aus frühchristlicher Zeit bewahrt.
Dasselbe gilt für die Arabesken und Vo-
luten sowie das nach unten abschlie-
ßende Dekorationsband mit Miniatur-darstellungen in der im 13. .Jh. von
Jacopo Torriti neu angelegten Apsis von
S. Maria Maggiore. Auch in S. Giovanni
in Laterano hat man zur selben Zeit die
alte lkonographie in allen Einzelheiten
beibehalten. Die lnschrift unter dem
Apsismosaik und die große Widmungs-inschrift, die sich gegenwärtig neben
der Tür zur Sakristei befindet, betonen
die Liebe des Papstes zur Basilika und
beteuern, das Christusbild bewahrt und
es am selben Platz wie zuvor wieder
eingesetzt zu haben. Den Höhepunkt in
dieser Reihe von Rückgriffen auf alte
Elemente und Schemata stellen aber die
im frühen 9. Jh. unter Papst Pasqualis L
angefertigten Apsiden von S. Prassede
und S. Cecilia dar: Sie kopieren das
Hauptfeld von SS. Cosma e Damiano
aus dem 6. Jh. wörtlich, ja sogar der
Titulus ist buchstäblich übernommen.5 Vgl. zuletzt: Bunte Götter. Die Farbig-
keit antiker Skulptur, Ausst.-Kat. Mün-
chen, Staatliche Antikensammlung und
Glyptothek, 1 6.12.2003-29.2.2004,hrsg. v. Vinzenz Brinkmann, München2003.
6 Der Unterschied zwischen originalem
Zustand und moderner Neusetzung
kann innerhalb aller römischen Werke
klar beobachtet werden. Das Problem
am deutlichsten vor Augen führt aber
der Vergleich zwischen den Apsismosa-
iken des Jacopo Torriti in S. Maria
Maggiore und S. Giovanni in Laterano:
Während in ersterem die Setzung der
Tesserae aus dem späten 13. Jh. noch
weitgehend erhalten ist, muss man
letzteres trotz der erhaltenen lkono-graphie wegen der falschen Geschmei-
digkeit einer Neusetzung des 1 9. Jhs. als
verdorben betrachten.
7 Mit der Restaurierung der Mosaiken
von S. Costanza und S. Pudenziana in
Rom durch Vincenzo Camuccini um
1830 und Veröffentlichungen von Bat-
tista de Rossi 1872ff. (Giovanni Battista
de Rossi, S. Costanza, in: Musaici cristi-
ani e saggi dei pavimenti delle chiese di
Roma anteriori al secolo XV Rom 1899)
fand die Mosaiktechnik erste wissen-
schaftliche Beachtung. Einen Markstein
in der Erforschung der musivischen
Technik stellen aber erst die 1934 am
Triumphbogenmosaik von S. Maria
Maggiore vorgenommenen Untersu-
chungen des Restaurators Giuseppe
Astorri dar (Nuove osservazioni sulla
tecnica dei mosaici romani della basilica
di S. Maria Maggiore, in: Rivista di
archeologia cristiana 11 [1934], S. 51-
72). Aus der neueren Literatur zu Tech-
nik und Geschichte des Mosaiks seien
hervorgehoben: Oakshott, Mosaiken,
v.a S. 15ff .; Matthiae, Mosaici, v.a.
S.39711., Hans Peter L'Orange und Pier
Jonas Nordhagen, Mosaik. Von der
Antike bis zum Mittelalter, München
1960; Peter Fischer, Das Mosaik. Ent-
wicklung, Technik, Eigenart, Wien
1969; lsotta Fiorentini Roncuzzi, ll
Mosaico. Materiali e techniche dalle
origini ad oggi, Ravenna 1984; Carlo
Bertelli, Die Mosaiken, Freiburg 1989;
Andrö Meyer, lVosaik, in: Reclams
Handbuch der künstlerischen Tech-
niken, Bd. 2: Wandmalerei - Mosaik,
hrsg. v. Albert Knoepfli, Stuttgart 1990,
5.399-497, Eve Borsook u.a. (Hrsg.),
Medieval Mosaics: Light, Color, lVater-
ials. Mailand 2000.
281
12 S. MariaMaggiore,Fassade,
Gesamtansicht
frühes 14. Jh.
das münster 3/05
B Der Begriff des ,,Opus vermiculatum"wird allgemein auf die Verwendung der
Glasstäbchen allein bezogen. Da aber in
allen Werken, in denen diese Glasstäb-
chen verwendet wurden, die Marmor-teilchen in der Überzahl bleiben, stim-
men wir der Ansicht von L'Orange-
Nordhagen, Mosaik, S. 14 und 47, zu,
dass damit dünne, wurmförmige Linien-
führung im Allgemeinen bezeichnet ist,
gleich ob es sich dabei nun um Kom-
ponenten aus Glas oder Stein handelt.
9 ln S. Costanza aus dem 4. Jh. herrschen
noch natürliche Materialien vor, aber
bereits die Mosaiken in S. MariaMaggiore bestehen ausschließlich aus
Glastesserae. ln späteren Mosaiken wirdMarmor oder Kalkstein nur noch zur
Hervorhebung kleiner Gegenstände,etwa einer Gewandschnalle (wie z.B. in
der Kapelle des hl. Zeno in S. Prassede
aus dem frühen 9. Jh.), und fur die
Modellierung von Gesichtern und Hän-
den verwendet (wie beispielsweise inder Kapelle des hl. Venantius aus dem
7..Jh.). In S. Marco aus dem 9. Jh., das
hierin eine Ausnahme bildet, wurdeStein auch in Partien des Gewandes ver-
arbeitet (um Kosten zu sparen?).
1 0 Hier sind v.a. zu nennen: das sog. Lucca-
Manuskript aus dem B. Jh. (in: Com-positiones ad tingenda musiva, hrsg. vHjalmar Hedfors, Diss. Upsala 1932), die
Mappa Clavicula aus dem 9. Jh (Mappa
Clavicula as Little Key to the World ofMedieval Techniques, hrsg. v. Cyril Stan-
ley Smith und John G. Hawthorne, in:
Transactions of the American Philo-
sophical Society, N.S. 64,4 l1 91 41, S. 26-1 16) und die Schedula diversarumartium des Theophilus Presbyter aus der
ersten Hälfte des 12. Jhs. (Technik des
Kunsthandwerks im 10. Jh. Des Theo-
philus Presbyter Diversarum ArtiumSchedula, hrsg. v. Wilhelm Theobald,
Berlin 1933, oder: Theophilus de Diver-
sis Artibus, hrsg. v C.R. Dodwell, Lon-
don 1961); vgl. Daniela Stiaffini, Ricette
e ricettari medievali. Fonti per una storia
delle tecniche di produzione delle
tessere musive vitree, in: Borsook,
Medieval Mosaics, S. 65-95; fernerCatherine Harding, The Production ofMedieval Mosaics: The Orvieto Evi-
dence, in: Dumbarton Oaks Papers 43(1989), S.73-102.
1'1 Von dieser Färbung und Trübung des
mit Gold überzogenen Glases kann sich
jeder Tourist in der kleinen und nied-
rigen Kapelle des hl. Zeno in S. Prassede
mit freiem Auge überzeugen. Die Trü-
bung des Glases erreichte man durch
die Zugabe von Zinn, das bei hohen
Temperaturen gelöstwird, beim Erkalten
I*:'*1;* ü,ixrn*
282
auskristallisiert und das Glas weiß trübt.Die Färbung des Glases wiederum er-
folgte durch Zusätze von Metalloxyden
in geschmolzenem Zustand.
12 Bei vielen Mosaiken der Antike handeltes sich wohl tatsächlich um Kopien nach
griechischen oder römischen Gemälden.
Plinius d.A. (Hist. nat. XXXVI, 184f.)
bezeichnet den Mosaizisten Sosos von
Pergamon als den berühmtesten seines
Faches und nennt zwei seiner Motive,
die in ltalien mehrmals kopiert odernachgeahmt wurden. Das eine, dersogenannte,,Ungefegte Boden", zeigt
verstreut daliegende Fischgräten, Nuss-
schalen, Obstabfall und andere Reste
des Mahles, die höchst realistisch einen
Schatten werfen. Bei dem anderenhandelt es sich um das berühmteTaubenmosaik, in dem die Vögel kaum
weniger illusionistisch auf dem Rande
einer Schale sitzen. Man denke auch an
jenes Mosaik des Hephaiston in Per-
gamon, in dem dieser seinen Namen so
in der feinen Steinkomposition ange-
bracht hat, als stünde er auf einem
kleinen Zettel, der auf der einen Seite zu
einem Eselsohr aufgebogen und mit
einem rotem Wachsklecksen befestigtzu sein vorgibt. Ein kleines trompe l'eil-Spiel und eine Visitenkarte seiner tech-nischen Fähigkeiten, gleichzeitig eine
Visitenkarte der antiken Mosaikkunst
überhaupt.13 OIlb 21 ,10f.'1 8f.23: ,,Da entrückte er
mich in der Verzückung auf einen gro-
ßen, hohen Berg und zeigte mir die
heilige Stadt Jerusalem, wie sie von Gotther aus dem Himmel herabkam, erfülltvon der Herrlichkeit Gottes. Sie glänzte
wie ein kostbarer Edelstein, wie ein kris-
tallklarer .Jaspis. [...] lhre Mauer ist aus
.Jaspis gebaut, und die Stadt ist aus
reinem Gold, wie aus reinem Glas. Die
Grundsteine der Stadtmauer sind mit
edlen Steinen aller Art geschmückt [...].Die Stadt braucht weder Sonne noch
Mond, die ihr leuchten. Denn die Herr-
lichkeit Gottes erleuchtet sie [...]"; vgl.
v.a. Tob '13 und Jes 54, ferner die apo-
kryphe Vision Henochs 14 (sowie die
sokratische Schilderung des außerhalb
der Weltkugel liegenden Bereichs der
Wahrheit und Ewigkeit, aus dem die
Seelen auf die Erde herabsteigen und
wohin sie wieder zurückkghren sollen,
im platonischen Dialog Phaidon 110).
Vgl. Procopius über die lustinianischeHagia Sophia in Konstantinopel: ,,lt was
singularly full of light and sunshine; you
would declare that the place was not
lighted by the sun from without, but
that the rays are produced within itself,
such an abundance of light is poured
into this church"; zit. nach Henry B.
Dewing (Hrsg.), Procopius, Buildings,
London 197'1 , 1,1 ,28-31; oder Photios(9. .Jh.) über die Marienkirche des Pha-
ros: ,,lt is as if one had entered heaven
itself with no-one barring the way fromany side, and was illuminated by thebeauty in all forms shining all around
like so many stars [...] Thenceforth itseems that everything is in ecstatic
motion, and the church ltself is circling
around." (Photios, Homilie X,5; zit. nach
Cyril A. Mango (Hrsg.), The Homilies ofPhotios, Patriarch of Constantinople,Cambridge 1958, S. 100).
14 Bezeichnenderweise finden wir an den
Apsis- oder Triumphbögen mit Vorliebe
die Schau einer großen, vor Gottes
Thron dargebrachten himmlischen Litur-
gie nach Offb 4f. dargestellt, in die sich
die versammelte Gemeinde eingliedern
soll und in deren Lobpreis sie in der Prä-
fation einzustimmen aufgefordert wird(vgl. dazu Nilgen, Bilder). In S. Prassede
ist dieses Schema um den besonderen
Bezugzu der Rezitation von Ps 118 in
der Liturgie der Reliquientranslation und
der Kirchendedikation erweitert (s. Rai-
ner Warland, Rez. Rotraut Wisskirchen,
Das Mosaikprogramm von 5. Prassede in
Rom. lkonographie und lkonologie
Uahrbuch für Antike und Christentum,
Ergänzungsbd. 171, Münster 1990, in:
Byzantinische Zeitschrift 84/85 11991/921, 5. 541-543). Zu anderen Bezügen
zwischen Mosaik und Liturgie vgl.
Joanne Deane Sieger, Visual Metaphoras Theology: Leo the Great's Sermons on
the lncarnation and the Arch Mosaics atS. Maria Maggiore, in: Gesta 26,'l(1987), 5. 83-9'l ; ferner Tronzo, Apse.
'1 5 Otto Demus, Byzantine Mosaic Deco-
ration: Aspects of Monumental Art in
Byzantium, London 1964, S. 13. Zur
Realpräsenz der dargestellten Personen
im mittelalterlichen Kultbild s. ebd., v.a.
S. 5ff.; Egon Sendler, L'lcöne image de
l'invisible. El6ments de th6ologie,esth6tique et technique, Paris 1981,
v.a. S.76ff.; Moshe Barasch, lcon:
Studies in the History of an ldea, NewYork 1992; auch Hans Belting, Bild und
Kult. Eine Geschichte des Bildes vor
dem Zeitalter der Kunst, München1990, und Leslie Brubaker, The Sacred
lmage, in: dies. und Robert Ousterhout(Hrsg.), The Sacred lmage East and
West, Chicago 1995, S. 1-24.
16 Beide Mosaiken sind nur in Relation zu-
einander und zu jenem des Torriti in der
Apsis derselben Kirche datierbar, das
wohl um 1295 vollendet war. Dass die
obere Fassadenhälfte eine lnschrift mit
dem Namen des Mosaizisten, Philippus
das münster 3/05
Rusuti, trägt, hilft dabei ebenso wenigweiter wie die Aussaqe Vasaris, die das
untere Mosaik Gaddo Gaddi zuschreibt.
Die obere Hälfte der Fassade wurdewohl rm Anschluss an das Apsismosaik
des Torriti gearbeitet, also um 1300,jedenfalls noch im ersten Jahrzehnt des
14. Jhs., das Mosaik der unteren Fassa-
denhälfte vielleicht erst während der
zweiten Dekade oder noch später. Das
Mosaik trägt jedenfalls das Wappen des
Auftraggebers Pietro Colonna, der erst
1 326 gestorben ist.
17 Schon im '14. Jh. kommt es nur noch zu
wenigen neuen Mosaikarbeiten. Nach
Fertigstellung der Apsis des Domes von
Pisa und der Mosaiken des Florentiner
Baptisteriums zu Beginn des 14. Jhs.
sind kennzeichnenderweise die Dom-
fassaden von Orvieto und Florenz die
bedeutendsten musivischen Unterneh-men des Trecento. ln Venedig gehen in-
dessen die Arbeiten am Baptisterium
und an der Kapelle S. lsodoro der Mar-kuskirche weiter. Aber die Krise der
Mosaikkunst wird deutlich, als 1419
ein erster Brand die Kathedrale ver-
wüstet und niemand in der Lage ist, die
Mosaiken zu reparieren. Lur )ahr-hundertmitte berichtet der Florentiner
Architekt Antonio Averlino (gen.
Filarete) zwar, dass es noch Brennöfen
in Murano gäbe, die speziell für eine
Herstellung von Tesserae geschaffen
worden sind, beklagt aber, dass das
Mosaik ,,nicht mehr das ist, was es ein-
mal war" (Trattato di architettura, Libro
XXIV fol. '1 B2f.; John R. Spencer,
Filarete's Treatise on Architecture, Bd.'I : The Translation, New Haven/London
1965, S. 312). Bezeichnenderweiseenr,iähnt Cennino Cennini in seinem
Libro dell'arte die Kunst des Mosaiks
mit keinem Wort mehr.
1B Della Pittura 4Bf .; zit. nach Oskar
Bätschmann und Christoph Schäublin(Hrsg.), Leon Battista Alberti, Das
Standbild, Die Malkunst, Grundlagender Malerei, Darmstadt 2000, S. 288ff.Was Alberti hier vermieden wrssen will,
war gerade das Ziel der mittelalter-lichen Mosaizisten gewesen: die Trans-
zendierung der Natur. Vgl. Eusebius,
Brief an Konstantia: Mittels der ,,totenFarben " sei die Herrlichkeit des er-
scheinenden Herrn nicht darstellbar;
zit. in: Cyril A. Mango, Art of theByzantine Empire 312-'1453: Sources
and Documents, Toronto 1974, S. 17.'l 9 Giorgio Vasari, Leben der aus-
gezeichnetsten Maleq Bildhauer und
Baumeister von Cimabue bis zum Jahre
1 567 (Nachdruck der ersten deutschen
Gesamtausgabe, übers. von Ludwig
Schorn und Ernst Förster, Stuttgart und
Tübingen 1832-1849), hrsg. v. Julian
Kliemann, Worms '1988, Bd. 'l , S. 'l 13.
20 Ebd., S. 148; vgl. ebd., Bd. 2,5.217,woVasari Domenico Ghirlandaios Mosaik
im Tympanon der Porta della Mandorla
des Florentiner Doms lobt und hinzu-
fügt: ,,Dieser Künstler pflegte zu sagen:
Malerei sei Zeichnung, Mosaik aber die
wahre Malerei für die Ewigkeit."21 ln diesem allgemeinen Streben nach
kunstfertigem lllusionismus hat sich
nicht nur das Mosaik der Malerei an-
genähert, sondern immer wieder auch
die Malerei dem Mosaik: ln der Camera
degli Sposi in lvlantua etwa entwarf
l\,4antegna für das Gewölbe ein gemal-
tes Mosaik aus Gold, 1499 malte Chris-
toforo Caselli im Gewölbe des Doms
von Parma ein goldenes Scheinmosaik,
und in Rom fügte Baldassare Peruzzi ein
gemaltes Mosaik in der Kirche S. Ono-
frio ein. Als nach Bränden die Mosaiken
der Markuskirche in Venediq erneuert
oder ergänzt werden, sind es Maler, die
die Bildentwürfe liefern.
22 Um nur einige wenige Beispiele des
Anfangs zu nennen: In England wurde
die nach einem Brand 1 1 74 neu errich-tete Kathedrale von Canterbury mit
einer Serie von Darstellungen aus dem
Leben der hll. Dunstan und ALphege,
Erzbischöfe von Canterbury um 1000,
ausgestattet; die Trinity und die Corona
Chapel wurden mit Szenen aus dem
Leben des Thomas Becket versehen,
der erst 1 1 70 in eben dieser Kathedrale
ermordet worden war. Als die
Kathedrale von Chartres 1194 aus-
brannte, erhielt sie ein monumentales
Fenster, das dem Leben Karls des
Großen gewidmet war.
23 Zur Chronologie der Fresken von Assisi
s. Joachim Poeschke, Die Kirche 5. Fran-
cesco in Assisi und ihre Wandmalereien,
München 1 985.
24 Diese Ansicht hat erstmals Emile Mäle,
L'art religieux de la fin du Moyen-Age
en France, Paris 1908, vertreten; vgl.
Ernst H. Gombrich, Means and Ends.
Reflections on the History of Fresco
Painting, London 1976, v.a. S. 32ff.;
Hans Belting, The New Role of Nar-
rative in Public Painting of the Trecento:
Historia and Allegory, in: Pictorial Nar-
rative in Antiquity and the Middle Ages
(Studies in the History of Art 16), hrsg.
v. Herbert L. Kessler und Marianne
Shreve Simpson, Washington 1985,
S. 151-168. Kim H. Veltman, Narrative,
Perspective and the Orders of the
Church, in: lst Meeting Siena-Toronto.
Acts of Meeting in Celebration of the
750tt Anniversary of the University ofSiena (Siena 1991), hrsg. v. S. Forconi,
Siena 1993, S. 123-162, blieb dem
Verf. bis zuletzt unauffindbar
25 Gombrich, Means, S. 32f.
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283das münster 3/05