Die Debatte um buddhistisch-christliche Parallelen als religionsgeographisches Argumentationsfeld -...

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M. Büttner/E. Kohler (Hrsg.) Geosciences/Geowissenschaften Proceedings of the Symposium of the XVIIIth International Congress of History of Science at Hamburg-Munich, 1.-9. August 1989 III. Teil Universitätsverlag Dr. N. Brockmeyer Bochum 1991

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M. Büttner/E. Kohler (Hrsg.)

Geosciences/GeowissenschaftenProceedings of the Symposium of the XVIIIth International Congress of History of Science

at Hamburg-Munich, 1.-9. August 1989

III. Teil

Universitätsverlag Dr. N. Brockmeyer Bochum 1991

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DIE DEBATTE UM BUDDHISTISCH-CHRISTLICHE PARALLELEN ALS

RELIGIONSGEOGRAPHISCHES ARGUMENTATIONSFELD - EIN

DISZIPLINGESCHICHTLICHER RÜCKBLICK

von Frank Usarski

1. Die Debatte um das sogenannte »Entlehnungsproblem« als

Bezugspunkt

Für einen Zeitraum von etwa 50 Jahren, die Wende vom 19. zum 20. Jahr­hundert eingeschlossen, war in den USA und Westeuropa, vor allem aber in Deutschland eine Debatte aktuell, von deren einstiger Virulenz heute nichts mehr zu spüren ist. Damals stand das sogenannte »Entlehnungsproblem« auf der akademischen Tagesordnung, d.h. die Frage, ob Teile des Neuen Testaments unter Vorgabe buddhistischer Quellen verfaßt wurden. Diese Diskussion zog inhaltliche Kreise, beschränkte sich also nicht nur auf das Für und Wider literarischer Bezüge. Sie schloß vielmehr auch den Vergleich zwischen christlicher und buddhistischer Lehre ein. Darüberhinäus waren Ähnlichkeiten im Bereich der Sozial- und Organisationsformen Gegenstand der Erörterung.

Der gesamte Problemkomplex entfaltete eine beachtliche Breitenwirkung. Einschlägige Bibliographien1 bezeugen die Fülle wissenschaftlicher Veröf­fentlichungen. Hinzu kamen unzählige Abhandlungen in Periodika, Wochen- und Tageszeitungen sowie öffentliche Vorträge, die über das Fachpublikum hinaus Verbreitung fanden. Auf diese Weise berührte die Fragestellung und die damit verbundene Relativierung des überkommenen biblischen Anspru­ches auf »O ffenbarung« bzw. »Inspiration« auch das öffentliche Bewußtsein.

Publikumswirksamkeit und weltanschauliche Brisanz des Entlehnungspro­blems waren mit dafür verantwortlich, daß der Stil der Debatte häufig ab­glitt. Seriöse Argumente vermischten sich mit pseudowissenschaftlichen Mutmaßungen. Eine vermeintlich akademische Sprache schlug teilweise in böswillige Polemik um. Zu der emotionalen Aufladung der Auseinanderset­zung trug unter anderem bei, daß sich etwa zeitgleich zur Diskussion um die Abhängigkeitsfrage deutsche Buddhisten in Vereinen organisierten und

Vgl. Haas, H.: Bibliographie zur Frage nach den Wechselbeziehungen zwischen Buddhismus und Christentum, Leipzig 1922, sowie Held, HL: Deutsche Bibliographie des Buddhismus, Leipzig; München 1916.

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mit eigenen Veröffentlichungen ihre Ideen verbreiteten. Dabei wurde nicht selten das Entlehnungspostulat dazu verwandt, den »neuen« Glauben im Kontext einer traditionell christlich geprägten Umwelt zu rechtfertigen. Ge­legentlich wurde die vermeintliche Vorbildfunktion im Sinne der Behaup­tung ausgelegt, der Buddhismus sei gegenüber dem Christentum die ur­sprünglichere -und deshalb höherwertige Lehre.

Wie angedeutet, ist das Entlehnungsproblem mit seinen weiterführenden Im­plikationen inzwischen in den Hintergrund des Interesse gerückt. Entschei­dend ist dafür vor allem, daß die Forschung die anfänglich vermutete Be­weiskraft einschlägiger Quellen nicht stützen konnte. Stattdessen o ffen ­barte sich der spekulative Charakter der Debatte. Der Eifer, mit dem man sich einst der scheinbar so dringlichen Fragestellungen widmete, hat sich dementsprechend weitgehend in Ind ifferenz verkehrt.

Die Auseinandersetzung um buddhistisch-christliche Parallelen ist jedoch insofern noch immer von Bedeutung, als sie sich wissenschaftsgeschichtlich wenden und danach befragen läßt, inwieweit sie von religionsgeographi­schen Gedankengängen mitgeprägt wurde. Dem vorliegenden Beitrag geht es genau darum.

Vorher g ilt es jedoch, einen Überblick über die Struktur der Debatte um das Entlehnungsproblem zu vermitteln. Die zunächst dargebotene Skizze sowie die anschließende Kommentierung des Schemas dienen diesem Zweck.

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2. Die "Entlehnungs"-Debatte im schematischen Überblick

Modell: Die Debatte um christlich-buddhistische Parallelen

thenengeschichtlichesVorfeld

affir-nativerKontext

thenatischer Kontext1882

Buddhistisch-christliche Parallelen in wissenschaftlichen Kontext

ai1914

Quellen

- u -

Vernittlungsweg

U-Hiederschlag

D

wissenschaftlicheDesiderate

apolo­getischerKontext

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3. Erläuterung der schematischen Übersicht

3.1 Zu r S tru k tu r d er Skizze

Die obige Schematik soll wiedergeben, daß es sich bei der Auseinanderset­zung um das Abhängigkeitspostulat um einen komplexen Zusammenhang handelt, der durch das Ineinandergreifen unterschiedlicher Problemaspekte gekennzeichnet ist.

Wenden w ir uns zunächst dem inneren Kasten der Skizze zu, also jenem Bereich, der mit der Überschrift "buddhistisch-christliche Parallelen im wissenschaftlichen Kontext" versehen ist. Mit dieser Rubrik sollen Argu­mente erfaßt sein, die den akademischen Standards entsprechen und direkt auf die Frage nach dem Verhältnis von Christentum und Buddhismus ge­münzt sind. Alle zusätzlichen Inhalte, die sich auf ein wie auch immer ge­artetes Abhängigkeitsverhältnis zwischen biblischer Tradition und außer­biblischen Vorbildern, also etwa zwischen babylonischen oder parsischen Quellen beziehen, sind davon zu unterscheiden. Letztere bilden den "thematischen Horizont" des Entlehungsproblems im engeren Sinne.

Die Kategorie "themengeschichtliches Vorfeld" soll zum Ausdruck bringen, daß sowohl die wissenschaftlichen Dispute um buddhistisch-christliche Par­allelen als auch die Inhalte und Vorgehensweisen, die dem "thematischen Horizont" zuzurechnen sind, auf dem Boden vorauslaufender Bedingungen gewachsen sind. Entsprechend erscheinen die Abhängigkeitsfragen lediglich als spezifischer Ausdruck von allgemeineren wissenschaftstheroetischen bzw. diszplinären Entwicklungen. Umgekehrt verweist der Kasten "wissenschaftliche Desiderate" darauf, daß sich zwar anhand »symbolischer« Publikationen eine Kernzeit der Debatte ausmachen läßt. Die zwischen 1882 und 1914 vollzogene Diskussion - die Jahreszahlen sind im Schema ve r ­merkt - hat jedoch bis heute Nachwirkungen, auch wenn diese mit Blick auf Dichte, Intensität und Originalität weit hinter der Brisanz der damali­gen Blüteperiode des »Abhängigkeits«-Paradigmas Zurückbleiben.

Schließlich ist noch auf die schematische Ausgrenzung der beiden Dimen­sionen "apologetischer" versus "affirm ativer Kontext" einzugehen. Beide Kontexte sind vornehmlich durch lebensweltliche Interessen bestimmt und heben sich insofern von einer »re in « wissenschaftlichen Diskussion ab. In ­nerhalb dieser lebensweltlichen Kontexte werden zwar durchaus wissen­schaftliche Thesen rezipiert. Diese Verarbeitung unterliegt jedoch den Maß­stäben einer alltagspraktischen Ideologie, was zu einer einseitigen Gewich­tung von Ergebnissen der akademischen Auseinandersetzung um das Ab­hängigkeitspostulat führte. Als Träger des "affirmativen Kontextes" sind Personen zu betrachten, die eine vorwiegend zustimmende Haltung in bezug auf das Entlehnungsproblem einnehmen. Dabei ist zu betonen, daß insbe­

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sondere sogenannte »bekennende Buddhisten« für die These eintraten, das Christentum habe auf den Buddhismus zurückgeriffen. Das Stichwort "apologetischer Kontext" bezieht sich dagegen auf jenes ideologische Lager, das in der Entlehungsthese einen Affront gegen das Christentum und des­sen Authentizitätsanspruch erblickte und sich dementsprechend bemühte, Gegenargumente ins Feld zu führen. Es dürfte kaum verwundern, daß es insbesondere Theologen waren, die sich zum Widerspruch gegenüber dem Abhängigkeitspostulat aufgerufen fühlten.

3.2 Zum Aspekt "themengeschichtliches Vorfeld"

Wie angedeutet war die Debatte um das Entlehungsproblem Ausdruck allge­meinerer Entwicklungen im Bereich des Wissenschaftsbetriebes. Letztere gingen einher mit einer deutlichen Aufwertung der Geschichte im Sinne einer fachübergreifenden Leitdiszipiin. Dieser Trend läßt sich mit SCHNÄDELBACH2 als "die Durchsetzung des historischen Denkens in allen kulturellen Feldern"3 begreifen. Dem entsprach das Erstarken einer intel­lektuellen Strömung, die sich aus Opposition gegen die Vorstellung defi­nierte, der Bereich des Sozialen gestalte sich nach Maßgabe invarianter, menschlicher Verfügungsgewalt entzogener Vernunftsprinzipien. An die Stelle der letztgenannten Auffassung trat die gegen Ende des 19. Jahrhun­derts gesteigerte Überzeugung, "daß alle kulturellen Phänomene als histori­sche zu sehen, zu verstehen und zu erklären seien."4 Wie ITTEL5 bemerkt, wirkte sich in diesem Zusammenhang entscheidend aus, daß das pragma­tische Geschichtsverständnis der Aufklärungszeit und deren statisches In ­teresse für das Gewesene in den Hintergrund geriet. Stattdessen wurde im Rückgriff auf den deutschen Idealismus die genetische Betrachtungsweise betont, also die Frage danach, "wie es geworden ist, woraus ersichtlich ist, daß von nun an das Schwergewicht auf die geschichtliche Entwicklung der Dinge gelegt wurde."6

Unter dem Einfluß des Historismus begannen sich auch in der protestan­tischen Theologie Wissenschaftler einer jüngeren Generation durchzusetzen. Die von ihnen konsequent verfo lgte geschichtliche Perspektive nahm in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts konkretere Formen7 an und manifestierte sich in Gestalt der sogenannten Religionsgeschichtlichen Schule.8 Ziel die­ser lose verbundenen »scientific community« war es, "die Erforschung der Bibel in den Rahmen der allgemeinen Religionsgeschichte zu stellen, um so

2 Vgl. Schnädelbach, H.: Philosophie in Deutschland. 1331-1933, Frankfurt/M. 1983, S. 51 f.3 Ebenda, S. 53.4 Ebenda,5 Vgl. Ittel, G.W.: Urchristentum und Fremdreligionen im Urteil der religionsgeschichtlichen Schule, Diss. Erlangen 1956, S. 7.6 Ebenda.7 Vgl. Kupisch, K.i Kirchengeschichte, Band V. Das Zeitlalter der Revolutionen und Weltkriege, Stuttgart usw. 1982, S. 72 f.8 Vgl. Lüdemann, G.; Schröder, M.: Die Religionsgeschichtliche Schule in Güttingen, Göttingen 1987, S. 9.

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mit zu einem besseren Verständnis der geschichtlichen Entwicklung und der besonderen Eigenart der biblischen Religion zu gelangen.”9 Ein mit Blick auf Deutschland zu konstatierender Nebeneffekt war, daß damit die Theologie Aufgaben übernahm, die in anderen europäischen Ländern bereits von der Religionswissenschaft abgedeckt wurden. So stellt z. B. KARL­HEINZ KOHL heraus:

”Wenn sich die Konstituierung der Religionswissenschaft als eigenständige universitäre Disziplin [...] verzögerte, dann nicht zuletzt deshalb, weil sich namentlich die liberale protestantische Theologie religionswissenschaftliche Themen und Fragestellungen zu eigen gemacht hatte."10

Während nämlich in der Schweiz, in den Niederlanden und in Frankreich einschlägige Lehrstühle bereits in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts eingerichtet worden waren, kam es erst 1910 in Berlin zur Besetzung der ersten deutschen Professur fü r "Allgemeine Religionsgeschichte und Religi­onsphilosophie". Die konstruktive Rolle, die der Religionswissenschaft den­noch in bezug auf die Debatte um das Entlehungsproblem zugeschrieben werden muß, wird durch die recht spät datierte universitäre Etablierung nur unwesentlich geschmälert. Die disziplinären Erfolge in anderen Ländern wurden nämlich auch hier reg is tr ie rt und stärkten eine internationale »Denk-Bewegung«, die zusätzlich zu den Protagonisten der Religionsge­schichtlichen Schule von Philosophen, Altertumsforschern und Sprachwis­senschaftlern repräsentiert wurde. Sie alle praktizierten, was schließlich zum methodischen Privileg der Religionswissenschaft werden sollte. Die diesbezüglichen Rahmenbedingungen lesen sich so:

"Als Grundvoraussetzung fü r eine objektivierende Beschäftigung mit der Religion und den Religionen muß ganz allgemein eine Situation angesehen werden, in der die überlieferte Religion nicht mehr als »kulturelle Selbstverständlichkeit« angesehen wird."

"Diese Bedingung allein genügt freilich noch nicht; damit Religion selbst zum Gegenstand der Reflexion werden kann, muß auch der Verbindlichkeitsanspruch der eigenen religiösen Überlieferung in Frage gestellt sein.”11

Weitere Impulse im Sinne disziplinärer Vorbedingungen fü r die Debatte um das Entlehnungsproblem gingen von buddhologischenStudien aus. Mit Blick auf die deutschen Verhältnisse g ilt das in den Jahren 1857-1859 erschie­nene zweibändige Werk von CARL FRIEDRICH KÖPPEN "Die Religion des Buddha" als Beginn der einschlägigen Forschung.12 Dabei knüpften auch die deutschen Wissenschaftler an eine Entwicklung an, die seit den 30er

Ittel, G.W., aa.0.,S. 7.Kohl, K.H.: Geschichte der Religionswissenschaft, in: Cancik, H. iu [Hg.]: Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, Bd.I, Stuttgart usw, 1983, S. 217-262, hier S. 250.Ebenda, S. 218.Vgl Schumann, H.H.: Buddhismus und Buddhismusforschung in Deutschland, Kien 1974, dort insbesondere Abschnitt El.

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Jahren des 19. Jahrhunderts verstärkt der Geschichte Tribut zollte. Wäh­rend man nämlich seit Ende des 18. Jahrhunderts im Sinne einer kompara­tiven Mythologie die Auffassung vertreten hatte, die Gestalt des Buddha sei eine naturmythologische oder sonnenmythologische Größe13 bzw. ein indi­sches Äquivalent zu Göttern wie Merkur, Wotan, Hermes, Apollo oder Osiris14, gerieten solche Interpretationsschemata bald darauf unter Legiti­mationsdruck. Es hatte sich nämlich die Überzeugung durchgesetzt, man habe es mit Blick auf den Buddha mit einer ehemals real existierenden Per­sönlichkeit zu tun. Gleichzeitig verschob sich auch das Bezugssystem, denn Buddha wurde nicht mehr mit den Göttern der antiken Welt, "but with other clearly historical Personalities - with Mohammed, with Luther, and of course with Jesus"15 auf eine Stufe gestellt.

Der Boden, auf dem schließlich die Frage nach buddhistisch-christlichen Parallelen erwuchs, ist mit diesen Hinweisen nur sehr grob Umrissen. An­dere Aspekte, wie etwa die Geschichte der Erforschung der apokryphen Evangelien, die wesentlich in die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts fällt16, oder die 1897 erfo lgte Entzifferung des Felsenediktes des Kaisers Ashoka17, speisten ebenfalls das Argumentationsrepertoire, auf das man im Kontext der Entlehnungsdebatte zurückgriff. Die gewachsene Kenntnis der ägypti­schen und babylonischen Hieroglypheninschriften bzw. Keilschriftenlitera­tur18 wirkte sich zusätzlich aus, denn aus diesem Wissenszuwachs ergaben sich Fragestellungen, die in der obigen Skizze der Rubrik "thematischer Horizont" zugerechnet werden.

3.3 Zum Aspekt "thematischer H orizont"

Es ist ein Merkmal der Religionsgeschichtlichen Schule, daß bei ihren Ver­tretern das Problem einer eventuellen Vorbildfunktion Indiens deutlich in den Hintergrund geriet. Dafür deckten sie mit ihren Forschungen umso in­tensiver den "thematischen Horizont" ab, indem sie nicht nur die einschlä­g ige Rolle des Judentums und des Hellenismus, sondern auch die Bedeutung Babyloniens, Persiens und Ägyptens hervorhoben. Der demnach unabhängig von ihnen vollzogenen Suche nach buddhistisch-christlichen Vorbildern kam die Arbeit der Religionsgeschichtlichen Schule jedoch insofern zugute, als deren Vertreter eine Fülle von Belegen fü r die zivilisatorischen Wechsel­wirkungen der damaligen Zeit bereitstellten und die allgemeine These e r­härteten, in das Christentum seien Elemente unterschiedlicher Herkunft eingegangen.

13 Vgl. Lehmann, E.: Der Buddhismus als indische Sette als Weltreligion, Tübingen 1911, S. 50 i.14 Vgl Almond, P.C.: The Buddha in the West From Myth to History, in: Religion: 1986, S. 305-322.15 Ebenda, S. 319.16 VgL Schneemelcher, W.: Neutestamentliche Apokryphen, Bd.l, Tübingen 1990. S. 59.

Vgl, Schweitzer, C.i Buddhismus und Christentum, Stuttgart 1903, S. 4.Vgl. Kohl, K.H., a.a.0, S. 243.18

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Es besteht im Rahmen dieses Beitrages kein Raum, die Ergebnisseder be­sagten theologischen Richtung angemessen zu würdigen. Stattdessen soll an einem geeigneten Beispiel au fgezeigt werden, daß Abhängigkeitsfragen in­nerhalb des thematischen Horizontes nicht nur die Gemüter der Fachleute, sondern auch das allgemeine Bewußtsein bewegten. So stellte KAFTAN 1903 fest, der sogenannte "B ibel-Babel"-Streit sei "durch eine besondere Ver­kettung der Umstände [...] in die breite Öffentlichkeit gedrungen."19 Am 13. Januar 1902 hatte der Assyriologe DELITZSCH mit seinem Referat "Babel und Bibel" die besagte Kontroverse initiiert. Der Vortrag wollte ursprüng­lich eine Werbung fü r die Deutsche Orient-Gesellschaft sein und richtete sich auch an den Kaiser Wilhelm II., der sich nebst Gattin im Publikum be­fand. Das Staatsoberhaupt verfo lgte die Ausführungen über den seinerzeit aktuellen assyriologischen Forschungsstand und wurde Zeuge, wie Delitzsch exemplarisch die Einwirkung der babylonischen Kultur auf das israelitische Weltbild illustrierte. Die jüdische Zeitrechnung - so erfuhren die Anwesen­den - stelle ebenso eine Entlehnung dar wie Teile des Rechtssystems, die Idee des Sabbat, eschatologische Vorstellungen oder das Erzählgut von Schöpfung und Sintflut. Delitzsch, laut eigener Versicherung einem "strengst orthodox-lutherischen Hause" entstammend20, sah sich schon bald heftigen Gegenreden ausgesetzt. Er betonte deshalb,daß er das Alte Testa­ment nicht habe herabwürdigen wollen. Vielmehr habe ihm die Interpreta­tion und Illustration der Bibel auf der Grundlage alt-orientalistischer Er­kenntnisse am Herzen gelegen.21 Die implizite Nivellierung der christlichen Originalität entging dem Publikum jedoch nicht und so konstatierte der Stralsunder Pastor HORNBURG schon 1903:

"Die Wogen der Aufregung über die Vorträge, in welchen Profes­sor Delitzsch das Alte Testament statt auf göttliche Offenbarung auf den Einfluß babylonischer Vorstellungen zurückführen wollte, [gingen] in dem ganzen evangelischen Deutschland hoch und [drangen] auch in Kreise [...], in denen man kaum eine tiefere Anteilnahme an religiösen Fragen vermutete." 22

3.4 Zu r Chronologie der Entlehnungs-Debatte

Im Rückblick gilt heute als ausgemacht, daß der Leipziger Philosophiepro­fessor RUDOLF SEYDEL die akademische Debatte um buddhistisch-christliche Parallelen eröffnete. Zwar wird hier und dort die eine oder andere Vorar­beit, wie z. B. der 1879 anonym erschienene Artikel "The Obligation of the

19 Kaftan, D.i Das Christentum und die indischen Erlosungsreligicnen. Vortrag gehalten auf der Kirchlichen Konferenz der Kumark an 11,Mai 1903, Potsdam 1903, S. 3.

20 Vgl. Delitzsch, F.t Zweiter Vortrag über Babel und Bibel, Stuttgart 1903, S, 42,21 Vgl. Ebach, J.: Babel und Bibel oder: Das "Heidnische" im Alten Testament, in: Faber, R,; Schlesier, R. [Hg,]: Die Restauration der Götter, An­

tike Religion und Neo-Paganismus, Mürzburg 1986, S. 26-44, hier S. 30.Hornburg, !.■. Bibel und Babel. 2 Vorträge, Potsdam 1903, S. 3.22

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New Testament to Buddhism"23 oder ERNST von BUNSENs 1880 erschienene Schrift "The Angel Messiah of Buddhists, Essenes and Christians’’24 e r­wähnt. Diese heben sich aber in qualitativer Hinsicht negativ von den Be­mühungen des erstgenannten Autors ab, so daß nach wie vor und noch im­mer ohne Einschränkungen das schon 1914 formulierte Urteil Zustimmung finden dürfte:

"Das Verdienst, die Behandlung des Themas in wissenschaftlicheBahnen gelenkt zu haben, gebührt Rudolf Seydel.”25

Der im Schema terminierte Beginn der wissenschaftlichen Debatte um buddhistisch-christliche Parallelen entspricht dem Erscheinungsjahr des Werkes, mit dem es Seydel gelang, die Aufmerksamkeit der Fachwelt auf die vermeintlichen religiösen Beziehungen zwischen Indien und Palästina zu konzentrieren. Das plötzlich erwachte Interesse an dieser Fragestellung war nämlich ein Ergebnis der 1882 erfolgten Veröffentlichung des Buches "Das Evangelium Jesu in seinen Verhältnissen zur Buddha-Sage und Buddha- Lehre, mit fortlaufender Rücksicht auf andere Religionskreise untersucht". 1884 fo lgte die zweite größere Abhandlung. Sie trug den Titel "Die Buddha- Legende und das Leben Jesu nach den Evangelien. Erneute Prüfung ihres gegenseitigen Verhältnisses". Es ist aber vor allem die erstgenannte Schrift Seydels, die den holländischen Theologen v. d. BERGH van EYSINGA zu dem Satz veranlaßte:

"Ein wahrer Strom von Kritiken ergoß sich über diese Werke."26

Die ebenfalls im Schema angeführte Zahl 1914 spielt auf das Erscheinungs­jahr des von RICHARD GARBE publizierten Werkes "Indien und das Chri­stentum. Eine Untersuchung der religionsgeschichtlichen Zusammenhänge" an. Das Datum erfü llt mit Blick auf den Verlauf der Debatte insofern eine begrenzende Funktion, als sich Garbes Beitrag durch eine Zusammenstel­lung und kritische Gewichtung der mittlerweile laut gewordenen Stimmen auszeichnete und somit Standards für eine von da ab gemäßigtere Ausein­andersetzung setzen konnte. Die besagte Publikation symbolisiert somit eine Art Schlußstrich unter die »Sturm- und Drangperiode« einer Diskussion, die insbesondere in diesem Abschnitt unversöhnlich kontrovers und zugleich argumentativ und sprachlich tendenziös geführt worden war. In diesem Sinne wies SEIDENSTÜCKER bereits 1919 darauf hin, Garbe habe einschlägiges Material sorgfä ltig zusammengestellt und mit der fü r einen

23 Vgl. denen, C.: Religionsgeschichtliche Erklärung des Neuen Testaments. Die Abhängigkeit des ältesten Christentums von nicht-jüdischen Re­ligionen und philosophischen Systemen, Berlin; New York 1973 Iphotomechanischer Nachdruck der Ausgabe von 1924), S. 5.

24 Vgl. Mensi-Klarbach, A.: Buddhistische Anklänge bei Deutschen Mystikern, in; Buddhistischer Weltspiegel. Monatsschrift für Buddhismus und religiöse Kultur auf buddhistischer Grundlage; 1 (1919), S. 76-89, hier S. 76.

25 Garbe, R.: Indien und das Christentum. Eine Untersuchung der religionsgeschichtlichen Zusammenhänge, Tübingen 1914, S, 14.26 A.a.0., S. 4.

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Wissenschaftler gebotenen Unvoreingenommenheit behandelt.2? 1951 stei­gerte das Urteil von ERNST BENZ die Bedeutung der genannten Veröffent­lichung:

"Noch immer ist das wichtigste wissenschaftliche Werk das Buch von Richard Garbe: Indien und das Christentum, Eine Untersu­chung der religionsgeschichtlichen Zusammenhänge, Tübingen 1914. Dort ist auch die ältere, zum Teil recht phantastische Lite­ratur zu diesem Thema behandelt."* 28

Und wiederum 28 Jahre später war es HALBFASS, der den offenbar blei­benden Wert der Abhandlung aus dem Jahre 1914 hervorhob, indem er be­tonte, nachdem das Entlehungsproblem insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. bzw. zu Beginn des 20. Jahrhunderts heftig diskutiertworden sei, werde der Sachverhalt seit Garbes kritischem Resümee nüchterner ge­sehen.29

Die Festlegung auf das symbolische Jahr 1914 wäre jedoch mißverstanden, würde es als Fixierung eines vollkommen Abschlusses der Frage nach buddhistisch-christlichen Parallelen gedeutet. Zum Zwecke einer adäquate­ren Einschätzung seien stattdessen einige einschlägige Bücher angeführt, die im Zeitraum nach 1914 veröffen tlich t wurden. 1922 z. B. erschien unter dem Titel "'Das Scherflein der Witwe' und seine Entsprechung im Tripitaka" eine Arbeit von HANS HAAS, die mit Blick auf ein spezifisches Gleichnis e r­neut die Abhängigkeitsfrage stellte. Genau zehn Jahre später legte H. W. SCHOMERUS einen Aufsatz zum Entlehnungsproblem vor und vertra t in die­ser Schrift die Ansicht, die einschlägige wissenschaftliche Auseinanderset­zung stehe unmittelbar vor dem Ende.30 1982 schließlich präsentierte NORBERT KLATT die Arbeit "L iterarkritische Beiträge zum Problem christ­lich-buddhistischer Parallelen”31 und setzte damit ein Zeichen fü r die Tat­sache, daß die Blütezeit der Abhängigkeitsdebatte längst vorüber ist, einige Fragen jedoch offenbar noch immer im Raume stehen. Zwar g ilt im Prinzip:

"Derzeit wird dieses Thema von den Bibelwissenschaften [...] so gut wie nicht beachtet."32

Andererseits geben hin und wieder Stimmen im Sinne der in das obige Schema integrierten Rubrik "wissenschaftliche Desiderate" zu bedenken:

Vgl. Der Buddhismus in den ländern des Westens, in: Buddhistischer Weltspiegel Monatsschrift für Buddhismus und religiöse Kultur aufbuddhistischer Grundlage: 1. (19191, S. 125.Benz, K.: Indische Einflüsse auf die frühchristliche Theologie, Mainz 1951, S. 5, FuBnote 2.Vgl. Halbfass, W.: Kulturbeziehungen Indiens. Beziehungen zum Westen, in: Bechert, E; Simson, G.v. [Hg.]: Einführung in die Indologie: Stand, Methoden, Aufgaben, Dannstadt 1979, S. 248 - 255, hier S. 248.Schomerus, H.W.: Andere auBezchristliche Religionen, in: Schweitzer, C.: Das religiöse Deutschland der Gegenwart Ein Handbuch für Jeder­mann, Band 1, Berlin 1932, S. 337-365.Klatt, E: literarkritische Beiträge zum Problem christlich-buddhistischer Parallelen, Köln 1982.

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"Einzelheiten wie Geschichten vom salomonischen Urteil und vom Wandeln auf dem Wasser, der Rosenkranz oder der Heiligenschein sind [...], was ihren möglichen indischen Ursprung angeht, immer noch der Diskussion wert. "33

3.5 Die Entlehnungsdebatte im lebensweltlichen Kontext

Es wurde eingangs bereits darauf hingewiesen, daß die Frage nach buddhi­stisch-christlichen Parallelen schon bald auch auf außerakademische Dis­kurszusammenhänge Übergriff. In diesem Sinne sahen sich Gesellschaftsmit­glieder verschiedener Geisteshaltungen mit wissenschaftlichen Thesen kon­frontiert, die entweder mit der eigenen Weltanschauung kompatibel waren oder dieser zuwiderliefen.

Daß die Entlehnungsdebatte überhaupt in dieser Intensität lebensweltlich wirksam wurde, ist durch eine Ursachenkette bedingt, die im Rahmen des vorliegenden Beitrages nur auszugsweise angesprochen werden kann. Als eine Grundvoraussetzung fü r das breitgestreute Echo ist sicher die Tatsa­che zu bewerten, daß in jener Zeit die traditionelle religiöse Landschaft in einem bis dahin unbekannten Ausmaß zur Disposition stand. Wie MARTIN Greschat betont, harrt das diesbezügliche Szenario zwar noch einer kon­zeptionell fundierten Aufarbeitung, zumal bislang nicht nur "eine aner­kannte Theorie des gesellschaftlichen Wandels in der Neuzeit" fehlt, son­dern "ers t recht eine Theorie des Verhältnisses von Christentum und Mo­derne, die diese Problematik au fgre ift.”3« Die Faktoren, die damals einer­seits den Trend zur Kirchenferne bzw. zur Distanz gegenüber dem ange­stammten Glauben und andererseits das Entstehen von Weltbild-Alternativen nährten, sind jedoch weitgehend bekannt. Sie stehen in enger Verbindung mit dem Vorgang der Industrialisierung und relativierten nicht zuletzt jenen Sinnhorizont, aus der Generation um Generation die Selbstverständ­lichkeit des traditionellen Christentums erwachsen war. Der Siegeszug der modernen Naturwissenschaften, eine statistisch durchschlagende Verlage­rung der Lebensgrundlage in die Großstadt, das Primat der Technik im Produktionsbereich, der Aufstieg der Sozialdemokratie als politische Ideolo­gie und viele andere, systematisch noch unvollständig verm ittelte Momente trugen zurMinimierung eines »common-sense« bei, der bis dahin eindeutig von Religion im konventionellen Sinne (mit-)bestimmt war.

Eine Fülle einschlägiger theologischer Publikationen spiegelte die eben an­gedeuteten gesellschaftlichen Prozesse wieder. Solche Veröffentlichungen waren von dem Bestreben getragen, den weltanschaulich verunsicherten Bürgern ehemals bewährte Orientierungsmaßstäbe vor Augen zu führen. Die Apologie des Christentums z. B., zu der sich ERNST LUTHARDT im Jahre 33 *

33 Halbfass, H., a.a.0., S. 248.VgL Greschat, M.: Das Zeitalter der Industriellen Revolution, Stuttgart usw. 1980, S. 9.34

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1880 aufgerufen sah, stellte den alteingesessenen Glauben neuen Ideologien wie Nationalismus, Pantheismus, Materialismus und Pessimismus gegenüber, wobei der Autor dieses Vorhaben mit den Worten begründetes

"Unser nationales Leben ist in einer ernsten Krisis. [...] Mir, und gottlob vielen Gesinnungsgenossen, ist es unfragliche Gewißheit [...], daß nur in der christlichen Denkweise das rechte Urtheil [sic!] über die Dinge auch des Weltlebens und die Macht der Hei­lung ih rer Schäden und die Gewähr der Zukunft unsres Volkes gegeben is t.”35

Ähnlich liest es sich auch in dem Vorwort, das E. PFENNINGSDORF dem Hauptteil seines kurz vor der Jahrhundertwende erschienen Buches "Christus im modernen Geistesleben" voranstellte. Es heißt dort:

"Die religionsphilosophischen, naturwissenschaftlichen, philosophi­schen, ethischen und ästhetischen Theorien unserer Zeit werden unter das Licht des evangelischen Glaubens gestellt und überall Christus als sicherer Führer durch das Labyrinth des modernen Geisteslebens aufgezeigt. Eine solche christliche Einführung in die Geisteswelt der Gegenwart scheint mir ein dringendes Bedürfnis unserer Zeit zu sein, und besonders geeignet, den Christen gegen die Einflüsse widerchristlicher Geistesströmungen fest und wider­standsfähig zu machen."36

Thematisch gezielter als die eben zitierten Veröffentlichungen, bemühten sich diverse theologische Fachartikel bzw. Traktate darum, den im damali­gen Zeitgeist mitschwingenden Anfragen an das Christentum Genüge zu tun. Die Autoren dieser Schriften setzten zwar insofern unterschiedliche Schwerpunkte, als sie sich jeweils spezifischen intellektuellen Entwicklun­gen der damaligen Zeit widmeten und diese im Sinne einer Herausforderung für das Christentum interpretierten. Gemeinsam war diesen Beiträgen aber die allgemeine Sorge um die schwindende Geltungskraft biblischer Inhalte. Bereits die Überschriften einschlägiger Veröffentlichungen belegen dies, und so finden wir in der besagten Zeit vermehrt Titel wie: "Der biblische Schöpfungsbericht im Lichte der Naturwissenschaft”37, "Alte und neue An­g r iffe auf das Alte Testament"38 oder "Der Vernichtungskampf gegen das biblische Christusbild"39.

Dort, wo die Abhängigkeitsthese lebensweltlich gewendet wurde, erschien sie als eine Position, die sich nahtlos in den breitenStrom anti-christlicher Stimmen einfügen ließ. Die Gefahr, die von der Annahme ausging, im Neuen

35 Luthardt, E.: Die modernen Weltanschauungen und ihre praktischen Konsequenzen. Vorträge über Fragen der Gegenwart aus Kirche, Schule, Staat und Gesellschaft im Hinter 1880 zu Leipzig gehalten. Leipzig 1880, S. VI.

36 Pfennigsdori, E.: Christus im modernen Geistesleben. Christliche Einführung in die Geisteswelt der Gegenwart Der gebildeten evangelischen Jugend und ihren Freunden dargeboten. Dessau 1899, S. V.

37 VgL Brüning: Der biblische Schöpfungsbericht im Lichte der Naturwissenschaft, in: Der Beweis des Glaubens. Monatsschrift zur Begründung und Vertheidigung der christlichen Wahrheit für Gebildete: 20 (1899), S. 62-77.

38 VgL Nikel, J.: Alte und neue Angriffe auf das Alte Testament Ein Rückblick und Ausblick, Münster 1908.39 VgL Rohr, I,: Der Vernichtungskaipf gegen das biblische Christusbild, Münster 1908.

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Testament tauchten ursprünglich buddhistische Inhalte auf, wurde von den Theologen durchaus gesehen und z. B. von KAPPSTEIN auf den einfachen Nenner gebracht:

"Der kirchliche B egriff der Offenbarung - von dem antiquierten Inspirationsdogma zu geschweigen - geht durch diese religionsge­schichtliche Parallele irreparabel in die Brüche."40

Und Kaftan, der sich zum Verhältnis von Christentum und indischen Erlö­sungsreligionen äußerte, warnte:

"Das Christentum steht nicht in einer Reihe mit den üblichen Re­ligionen. Es muß ihm sein absoluter Charakter gewahrt bleiben. Geschieht das nicht, dann wird es auf gegeben."41

Verschärft wurde der Meinungskonflikt dadurch, daß die Kernzeit der Ent­lehnungsdebatte zugleich eine Periode war, in der sich hierzulande die buddhistische Bewegung etablierte. 1888, also sechs Jahre nach dem Er­scheinen des wegweisenden Buches von Rudolf Seydel war mit dem "Buddhistischen Katechismus" von SUBHADRA BIKSCHU alias FRIEDRICH ZIMMERMANN eine Abhandlung erschienen, die in der Sekundärliteratur als "Dokument der beginnenden Institutionalisierung" des deutschen Buddhis­mus veranschlagt wird.42 Die Deutschen, die sich danach zu der besagten indischen Religion bekannten und aktiv fü r diese eintraten, konzentrierten sich im Rahmen ih rer Rezeptionsbemühungen auf die Pali-Quellen. Teilweise übersetzten sie selber die Originalschriften ins Deutsche, wobei sie bei ihren Studien immer wieder auch auf vermeintliche buddhistisch-christliche Übereinstimmungen stießen, überhaupt läßt sich bei jenen Buddhisten, die im Sinne ih rer Religion publizistisch tätig wurden, tendenziell ein Interesse am Nachweis einschlägiger Parallelen feststellen. Die Motivation, die aufge­fundenen Ähnlichkeiten der Öffentlichkeit anzuzeigen, entsprach nicht zu­letzt dem Bedürfnis, die eigene Minderheitenposition ideologisch zu kompen­sieren. Im Einzelfall wurde der quantitativ übermächtigen nicht-buddhisti­schen Umwelt suggeriert, der Buddhismus sei die ursprünglichere, damit auch mit größerem Wahrheitsgehalt versehene Religion, während das Chri­stentum die abhängige, d.h. zugleich defizitäre »Variable« repräsentiere.

Wie NYANASATTA THERA mit Blick auf die Jahrhundertwende betont, gebär­deten sich im Vergleich mit anderen westlichen Staaten gerade die Buddhi­sten in Deutschland relativ feindlich gegenüber dem Christentum.43 THEODOR SCHULTZE z. B., der im Jahre 1855 eine buddhistische Grund­lagenschrift aus dem Englischen übersetzt hatte, verband seine Agitation fü r den Buddhismus mit einer Kritik an der überkommenen Religion des

40 Kappstein, Th.: Buddha und Christus. Religionsgeschiohtliche Parallelen, Berlin 1906, S. 2.41 Kaftan, D., a.a.0., S. 6.42 Vgl. Hotz, K. J.i Der Buddhismus in Deutschland in seinen Selbstdarstellungen, Frankfurt usw. 1984, S. 35.43 Vgl. Nyanasatta, C.T.: Buddhism in the West, in: The Haha Bodhi: 75 (1967), S. 74-82: S. 105-110, hier S. 81.

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Abendlandes. Er plädierte dafür, bei der Regeneration des religiösen Be­wußtseins Europas auf alle Versuche zu verzichten, das Christentum aus- bzw. aufzubessern. Die notwendige geistige Erneuerung bedürfe vielmehr einer völlig neuen Grundlage.44 Nicht ganz so radikal, vom Ansatz her je ­doch in die gleiche Richtung weisend, lesen sich Teile einer Würdigung des von ALBERT J. EDMUNDS veröffentlichten Werkes "Buddhist and Christian Gospels” . Der Leipziger Protagonist des Buddhismus, Karl Seidenstücker, begrüßte als Rezensent den im Sinne des Abhängigkeitspostulates argumen­tierenden Ansatz mit den Worten:

"Schriften wie die vorliegende sind in erster Linie imstande, den Dünkel v ie ler Christen, im Besitze der 'allein selig machenden Re­ligion ' zu sein, herabzuschrauben."45

Auf der anderen Seite belegen Beispiele, daß sich die theologischen Autoren des Zusammenhangs von Entlehnungsdebatte und lebenswelticher Begeiste­rung fü r den Buddhismus durchaus bewußt waren. So is t z. B. einer Notiz in der Zeitschrift "Der Beweis der Glaubens" im Jahre 1901 die Bemerkung zu entnehmen:

"Mit Versuchen zur geschichtlichen Herleitung unsrer Religion von der Religion Gautamas wollen manche des Christenglaubens überdrüssig Gewordene sich nicht begnügen. Sie erklären über­haupt die Buddha-Weisheit fü r vorzüglicher als sowohl Religion wie Moral des Christentums und fallen so ohne weiteres zum •Buddhaglauben ab."46

Und zwei Jahre später konstatierte CARL SCHWEITZER:

"Mit Emphase wird der Welt verkündigt: Was das Christentum Großes und Gutes hat, das findet sich alles zuvor im Buddhismus; im großen Entscheidungskampf der Geister wird der Buddhismus siegen; das Christentum ist vom Buddhismus abhängig".47

4. Religionsgeographisch relevante Dimensionen der Entlehnungsdebatte

Nachdem die Struktur der Entlehnungsdebatte dargelegt und kommentiert wurde, soll nun der Frage nach religionsgeographischen Argumentations­linien nachgegangen werden. Aufgrund der Komplexität dieses Unterfangens ist der entsprechende Gedankengang so gegliedert, daß zunächst allgemeine religionsgeographische Implikationen der Diskussion um buddhistisch­christliche Parallelen angesprochen werden. In einem zweiten Teil soll es

44 Vgl. Kappstein, TL, a.a.0, S. 121145 Seidenstücker, K.: Buddhist and Christian Gospels Now First Compared From the Originals, by Albert J.Edmunds, in: Die buddhistische Kelt: 1

(19051, S. 39,46 Buddha oder Christus, in: Der Beweis des Glaubens: 1901, S. 403- 404, hier S, 403.47 Schweitzer, C., a.a.0., S. 7 f.

- Debatte um buddhistisch -chris tliche Parallelen - 121

dann um Momente gehen, die sich auf das Problem der räumlichen Distanz zwischen Indien und Palästina beziehen und deren religionsgeographische Relevanz sich deshalb in einem weitaus konkreteren Sinne nachweisen läßt.

4.1 Allgemeine religionsgeographische Implikationen der

Entlehnungsdebatte

4.1.1 Grundgedanken

Es ist zunächst vorauszuschicken, daß »Raum« als die grundlegende analy­tische Kategorie der Religionsgeographie durch natürliche und kulturelle Faktoren konstituiert wird. Letztere bilden keine statischen Größen, son­dern sind permanent gestalterischen Kräften ausgesetzt. Unter dieser Vor­aussetzung läßt sich Religion insofern als ein veränderndes Wirkpotential begreifen, als sich Menschen unter Maßgabe relig iöser Vorstellungen aktiv auf eine vorgegebene Umwelt beziehen, sie überformen, modifizieren oder kreativ ausgestalten. Wenn also gilt, daß "die klassischeAufgabenstellung der Religionsgeographie [...] die Relation von 'Religion' oder 'Belief-systems' in ihrer prägenden Kraft auf die Umwelt" repräsentiert48, dann verfü gt jene Disziplin über ein Untersuchungsfeld, in dem Raumkonstituenten der unterschiedlichsten Art ihren angemessen Platz finden: Tempelanlagen, Pil­gerorte oder Kultstätten, ebenso wie religiös beeinflußte Kunstwerke, litera­rische Erzeugnisse oder soziale Konfigurationen.

Die Begründung einer religionsgeographischen Relevanz der Entlehnungs­debatte bedarf zusätzlich eines Brückenschlages, wie ihn BÜTTNER im Rah­men des im September 1986 in Marburg abgehaltenen DVRG-Kongresses vollzogen hat. Der Bochumer Mentor der aktuellen Religionsgeographie hat nämlich nachdrücklich betont, daß das auf dem Marburger Symposium zur Diskussion stehende Problem "Religion in fremder Kultur" ein wesentliches, wenn nicht gar das zentrale religionsgeographische Anliegen »auf den Punkt« bringt. Auf diesem Hintergrund offenbaren sich also dann re lig i­onsgeographische Denkstrukturen, wenn mit Blick auf das Verhältnis von allochthonen und autochthonen Faktoren die Frage artiku liert wird, ob bzw. inwieweit geistige Errungenschaften einer ursprünglich entlegenen Gesell­schaft von einer fremden Kultur assimiliert werden. In die Worte Büttner gekleidet, hieße dies:

48 Vgl. Rudolph, K.: Zur Geschichte und zun Stand der Religion/Ümwelt-Forschung aus religionswissenschaftlicher Sicht in: Rudolph, K.; Rin­schede, G, [Hg,]: Beiträge zur Religion/Umweit-Forschung I, l.Tagungsband des Interdisziplinären Symposiums in Eichstätt, 5,-8.Hai 1988, Berlin 1989, S. 11-24, hier, S, 16,

122 - Frank Usarski

"Wird diese Umwelt, die fremde Kultur, irgendwie beeinflußt, v e r­ändert, wenn ja, in welcher Weise und warum?"4®

Die somit zu folgernde These lautet nun, daß sich das Entlehnungsproblem durchaus als ein religionsgeographisches Thema begreifen läßt. Die Vertre­te r der Abhängigkeitsthese behaupteten ja, der Buddhismus habe über vermittelnde Instanzen in Palästina in einer Weise gewirkt, daß sich unter­schiedliche Spuren der ursprünglich indischen Religion in der »fremden« kulturellen Umwelt Israels identifizieren lassen. Die im Zentrum des obigen Analyse-Schemas befindliche Triade "Quellen - Vermittlungsweg - Nieder­schlag" benennt die diesbezüglich konstitutiven Dimensionen. Sie schlüsselt den Vorgang analytisch auf, innerhalb dessen ein wie auch immer geartetes Kulturgut auf dafür zur Verfügung stehenden Verkehrsverbindungen von einem Ursprungsgebiet in eine andere Region transportiert wird.

4.1.2 Bibelstellen als Vergleichsmedien

Während die Rubrik "Vermittlungsweg" im Abschnitt 4.2 behandelt werden soll, ist hier zu erwähnen, daß die Teilnehmer der Debatte diverse Gegen­stände als fremdkulturell vermittelte Größen identifizierten. Biblische Mo­tive, Gleichnisse und Lehrsätze vermeintlich buddhistischen Ursprungs standen im Vordergrund, wobei Rudolf Seydel die Zahl von immerhin 51 sol­cher Parallelen in die Auseinandersetzung einbrachte. Autoren nach ihm waren weitaus vorsichtiger, konzentrierten sich aber auf jeweils andere Analogien, so daß die als diskussionswürdig betrachteten Stellen im Einzel­fall drastisch reduziert wurden, auf's Ganze betrachtet zunächst jedoch le­diglich eine Streuung erfuhren.50 Auf diese Weise konnten je nach ind ivi­dueller Vorliebe die Empfängnis und die Geburtsumstände Jesu, die Vorbe­reitungszeit in der Wüste inklusive Versuchung durch den Teufel, die bei Jesus und Buddha vermeintlich gleichartige Einstellung gegenüber dem weiblichen Geschlecht, das Wunder vom Wandeln auf dem Wasser, das Ver­hältnis der jeweiligen Urgemeinde zu ihrer jüdischen bzw. brahmanisti- schen Umwelt, als strukturidentisch wahrgenommene Jünger-Typisierungen (Johannes-Ananda, Jakobus-Upali bzw. Judas-Devadatta) und vieles andere mehr zu Gegenständen des Vergleichs werden. Einzelne Parallelstellen e r­freuten sich allerdings eines allgemeineren Interesses, ohne daß damit schon die Bereitschaft gegeben war, die jeweiligen buddhistisch-christ­lichen Entsprechungen tatsächlich als Entlehnungen anzuerkennen. So fin ­det sich etwa das Gleichnis vom "Scherflein der Witwe" als Inhaltdiverser Erörterungen, wobei die Frage nach dem Stellenwert dieser Analogie mehr

Büttner, M.! Zur modernen tfahmehmungsgeographie und ihrer Bedeutung für die Erforschung der Umwelt/Religion-Beziehung. Vortrag ge­halten auf dem Religionswissenschaftler-Kongreß in Harburg, 30. September 1986, in: Mitteilungen der interdisziplinären Arbeitsgruppe zur Religion/Umwelt-Forschung: 1987, i.l, S, 11-20, hier S. 11.Die folgenden Beispiele, die selbstverständlich nur einen kleinen Ausschnitt aus der tatsächlichen Bandbreite des Paralielen-Katalogs reprä­sentieren, sind - ohne besonderen Hintergedanken - dem Beitrag von Kappstein entnommen, Vgl Kappstein, Th, a.a.0, dort die Seiten 7,8, 20, 21, 23 und 29.

50

- Debatte um buddhistisch -christliche Parallelen 123

oder weniger offen blieb. FAB ER51, LEHMANN52 und Garbe53 z. B. kamen zu dem Schluß, das Gleichnis repräsentiere kein Plagiat, sondern eine genuin christliche Erzählung. Haas dagegen rang sich im Sinne des Abhängigkeits­postulats zu einem positiven Resümee durch, sah sich aber abschließend zu einer Formulierung veranlaßt, die sich ohne weiteres auf die gesamte Ent- lehungsdebatte münzen läßt:

"Hätte unsere Untersuchung es zu keiner wirklich allgemein ein­leuchtenden und sich empfehlenden, befriedigenden Lösung ge­führt, [...], eins wird sie immerhin fü r sich in Anspruch nehmen dürfen: daß sie mit [...] Irrtümern aufgeräumt hat, die bei der Diskussion der behandelten Einzelparallele bis je tz t sich festgen i­stet hatten, dies eine Arbeit, die so, genau so etwa, an allen an­deren Parallelen noch zu verrichten wäre, kaum je verw irklicht werden wird. Das aber mag, des Falschen Häuf nicht größer noch anwachsen zu lassen, als er bislang schon ist, fü r künftig zu größerer Vorsicht mahnen.”54

Daß diese Mahnung zur Vorsicht durchaus ernst genommen wurde, zeigt eine Schrift, die AUFHAUSER sechs Jahre nach dem Erscheinen des Werkes von Haas mit der Intention vorlegte, den Leser mit den diesbezüglich wichtigsten Texten vertraut zu machen.55 Das Büchlein wies nämlich nur noch fünf Parallelen aus. Diese bezogen sich erstens auf die im Lukas- Evangelium enthaltene Darstellung von Simeaon im Tempel, zweitens auf die Erzählung des Matthäus vom Wandeln auf dem meere, drittens auf das bei Markus und Lukas zu findende Gleichnis vom Scherflein der Witwe, viertens auf das von markus und Matthäus berichtete Speisungswunder und fünftens auf die im Markus-Evangelium befindliche Stelle, die uns Kenntnis von der Versuchung Jesu gibt. Um angesichts dieser Gegenüberstellung von christlichen und buddhistischen Texten keinen falschen Eindruck aufkommen zu lassen, sah sich Aufhauser zum Schluß zu der Bemerkung veranlaßt, unabhängig von den Ähnlichkeiten ermangele es hinsichtlich eines indischen Einflusses eines überzeugenden Beweises. Genau diese Einschätzung repräsentiert heute das inzwischen uneingeschränkt konsensfähige Urteil der Fachleute.

4.1.3 Sonstige abendländische Erzählgüter als Vergleichsmedien

Neben den damals zur Disposition stehenden Bibelstellen wurde auch an­deres, zum Teil "profanes" Erzählgut mit erbauendem bzw. belehrendem Charakter in den buddhistisch-christlichen bzw. indisch-abendländischen Vergleich einbezogen. Die stärkste Plausibilität hinsichtlich der These, das Christentum sei durch den Buddhismus beeinflußt worden, konnte dabei die

51 Vgl. Faber, G.: Buddhistische und Seutestamentliche Erzählungen, Berlin 1913, S. 55 f.52 Vgl. Lehmann, £., a.a.0., S. 88 if.

Vgl. Garbe, R., a.a.0., S. 33 flHaas, H. 'Das Scherflein der Witwe' und seine Entsprechung im Tripitaka, Leipzig 1922, S. 79. Vgl. Aufhauser, J.B.: Buddha und Jesus in ihren Paraileltezten. Bonn 192655

124 - Frank Usarski -

katholische Heiligenlegende von Barlaam und Josaphat fü r sich beanspru­chen. Die Erzählung fällt dann auch insofern aus dem Rahmen der anson­sten mittlerweile abgeleugneten Entlehnungen, als sie bis in die Gegenwart als ursprünglicher Bestandteil der buddhistischen Tradition anerkannt wird. So g ilt bis in unsere Tage, was Lehmann bereits 1911 aus christlicher Sicht konstatierte, daß nämlich die Buddhalegende über den im Mittelalter in ganz Europa geschätzten Roman Barlaam und Josaphat "ins Christentum hineingeraten [ist], sodaß man ahnungslos zur Erbauung fü r Christen von einem Heiden erzäh lte."55 Diese leicht entstellte, wahrscheinlich der maha- yanistischen Buddha-Biographie Lalitavistara entnommene Schilderung fand vermutlich im sechsten oder siebten Jahrhundert Eingang in das abendlän­dische Erzählgut, wobei das Wort Barlaam etymologisch auf Bhagavan ("der Erhabene") zurückgehen und der Name Josaphat einem Lesefehler des Ter­minus Budasaph (= "Boddhisattva") entsprungen sein soll. Ohne es zu wis­sen, wurde die mittelalterliche Christenheit also in Gestalt des Josaphat mit zentralen Elementen der Buddha-Biographie vertraut gemacht, und so fin­den sich in der katholischen Heiligenlegende verschiedene Motive, die ei­gentlich den Werdegang des indischen Religionsstifters schildern: die kö­nigliche Abstammung, die in Luxus von den Unzulänglichkeiten der Welt abgeschirmte Kindheit, die Erkenntnis der Leidhaftigkeit des Seins im Rah­men von heimlichen Ausfahrten vor den Toren des Palastes, die schließlich von d ieser Einsicht provozierte Abkehr des Prinzen von weltlichen Gütern bzw. vollständige Entsagung und anderes mehr. Verfremdende Übermalun­gen finden sich unter anderem dort, wo der Einsiedler Barlaam dem Josaphat die Erlösungsbotschaft des Christentums verkündet. Unabhängig davon deckt dieser Roman jedoch "leicht erkennbar Punkt fü r Punkt die Buddhalegende"56 ab.

Wie der bekennende Buddhist BOHN in einem einschlägigen Aufsatz aus dem Jahre 192057 bemerkte, kann der Barlaam-Josaphat-Erzählung eine zweite christliche, angeblich ebenfalls buddhistisch beeinflußte Legende an die Seite gestellt werden: die Sage vom heiligen Alexius. Der Zusammenfassung dieser Überlieferung durch Bohn ist allerdings zu entnehmen, daß die postulierte motivische Parallelität zum Buddhismus im Vergleich zur Barlaam-Josaphat-Legende weitaus weniger offensichtlich ist. Wahrscheinlich war das der Grund fü r die Tatsache, daß die von Bohn benannte Entspre­chung von anderen Teilnehmern der Entlehungsdebatte übersehen wurde. Mehr Aufmerksamkeit beanspruchte da schon das unter dem Namen "Physiologus" bekanntgewordene, zu Beginn des zweiten Jahrhunderts in Alexandria entstandene Büchlein über christliche Zoologie und Tiersymbolik. Zum Ende der Kerndebatte rollte Garbe diesen Fall noch einmal in einem 55

55 Lehmann, E,, a.a.0., S. 79166 Ebenda, S. 82.

Vgl. Bohn, W.: Her Buddhismus in den lindem des Westens, 4,Fortsetzung, in: Buddhistischer Weltspiegel. Monatsschrift für Buddhismus und religiöse Kultur auf buddhistischer Grundlage: 1 (1920), S. 356-366, hier S. 362.

57

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eigenen Kapitel auf und deutete einzelne Teile des Physiologus im Sinne der Abhängigkeitshypothese. Dabei beschränkte sich der Autor nicht auf die Suche nach eventuellen buddhistischen Vorlagen, sondern schenkte z. B. auch dem hinduistischen Atharvaveda seine Aufmerksamkeit. Allerdings versäumte es Garbe nicht, die speziellere Untersuchung des Physiologus im übergeordneten Themenhorizont zu verorten. So machte er den inneren Zu­sammenhang der Gesamtproblematik mit den Worten deutlich:

"Diese Entlehnungen aus Indien, die sich im Physiologus finden, könnten an sich fü r den Zweck dieses Buches ziemlich belanglos erscheinen; aber sie sind dennoch von großer Wichtigkeit. Zu derselben Zeit und in denselben Glaubens- und Vorstellungskrei­sen wie der Physiologus ist das Johannes-Evangelium entstanden: so gut wie in jenen konnten also auch in dieses indische Stoffe Eingang finden."

"Auch das Eindringen buddhistischer Elemente in andere neu- testamentliche Schriften erscheint im Lichte der indischen Phy- siologus-Geschichten verständlicher. 1,58

Lag fü r Garbe der Fall damit relativ klar, zeigt jedoch der zwei Jahre später datierte, gegen Garbe gerichtete Widerspruch von CLEMEN, daß auch hier kein allgemeiner Konsens zu erzielen war.59

Hinzuweisen ist zudem auf die Annahme, viele der im Abendland verbreite­ten Fabeln seien indischer bzw. budhhistischer Herkunft. Auch diese Mei­nung findet mehrfach Unterstützung. Hin und wieder liest sie sich sogar geradezu als Bestätigung der Position, Europa habe schon seit jeh er ehr­fürchtig nach Indien, dem Mutterland aller menschlicher Kultur geblickt. PLANGE z. B. negierte in seiner fü r ihn typischen, überschwenglichen Art weitestgehend die Eigenleistung der abendländischen Fabeldichter und be­hauptete, "daß Aesop und nach ihm Babrius nur die indischen Fabeln ko­piert haben, die über Persien, Syrien und Aegypten zu ihnen gelangt wa­ren ."60 Und Nyanasatta, auf die lange Tradition abendländischer Buddhis­mus-Begeisterung anspielend, formulierte: Die Fabeln von Jean de LaFontaine

"which disclose their Indian origin have been translated in all languages. Most of the fables and tales of Aesop, though attri­buted to the Greek slave, are of Buddhist origin and a version of the Jatakas or the Panchatantra. So also are most of the fables from Gesta Romanorum, Boecaccio, Straparola and, thus most of the fables and fa iry tales of Europe have their origin in India,

Garte, 8., a.a.0., S, 67.Vgl. Cleraen, C., a,a,0, S. 53.Plange, T!U,: Christus - ein Inder? Versuch einer Entstehungsgeschichte des Christentums unter Benutzung der indischen Studien Louis Ja- colliots, Stuttgart 1906, S. 17.

126 - Frank Usarski -

and this proves that the Buddhist Jataka Stories were liked even in the West."61

Der Vorliebe fü r eine solche Argumentation entspricht, daß der aktive Buddhist Karl Seidenstücker über folgendes berichtete: Im Rahmen eines Gespräches mit einem ihm befreundeten Geistlichen habe ihn der Theologe auf "'eine alt-christliche Legende [aufmerksam gemacht], aus der hervor­geht, dass man schon im Altertum dem Heilande eine milde Sympathie mit der Tierwelt zugeschrieben hat'"62. Danach habe sich Jesus nicht vom An­blick eines verwesenden Hundes abschrecken lassen, sondern vielmehr die Schönheit der nach wie vor strahlend weißen Zähne des Kadavers hervor­gehoben. Seidenstücker sei nun wenig später auf eben diese Legende in einem buddhistischen Werk gestoßen, wobei er vermute, daß es sich dabei um die Originalerzählung handele. Damit aber nicht genug, denn Seiden­stücker fügte hinzu:

"Auch eine andere altchristliche Tierschutz-Legende, in der e r­zählt wird, dass Christus einem gequälten Esel geholfen habe, in­dem er den Tierquäler ernstlich ermahnte, geht wahrscheinlich ebenfalls auf ein buddhistisches Vorbild zurück. Ich bin dabei, die Spur zu verfolgen, bin aber mit meiner Untersuchung noch nicht zum Abschluss gelangt.”63

Daß Seidenstückers Interesse an Parallelen prinzipieller motiviert war, legt auch die Tatsache nahe, daß sich gleich im Anschluß an den eben zitierten Beitrag eine zweite Abhandlung findet, die sich mit dem buddhistischen Einfluß auf ein Märchen der Gebrüder Grimm auseinandersetzt. Wie Seiden- stüker den Leser wissen läßt, handelt diese Erzählung von einem König, der einen aufgrund seiner Weisheit überall im Lande bekannten Hirtenkna­ben aufsucht und diesen mit verschiedenen Fragen konfrontiert. Unter an­derem will der König vom Hirtenknaben wissen, wieviele Sekunden die Ewigkeit ausmachen. Wie es einem Weisen geziemt, antwortet der Hirten­knabe mit einem Gleichnis, wobei die Allegorie genau jene Stelle ist, die Seidenstücker als buddhistisches Traditionsgut identifiziert.64

4.1.4 Ein Hinweis auf weitere angeblich ku ltu rverm itte lte Medien

Diverse andere Beispiele, wie Darstellungen aus dem Bereich der bildenden Kunst65 oder exemplarische Einzelheiten wie das Fischsymbol66, könnten angeführt werden, um das breite Spektrum jener Gegenstände zu konkreti­sieren, die während der Blütezeit der Entlehnungsdebatte im Sinne kultur­verm ittelter Medien zur Diskussion standen. Nicht zuletzt spielte dabei auch

61 Nyanasatta, C.T., aa.0., S. 75.62 Seidenstücker, Karl: Der buddhistische Ursprung einer christlichen legende, in: Der Buddhist: 2 (19061, S. 456-458, hier S, 457.63 Ebenda, S. 458.

Vgl Seidenstücker, K.: Der buddhistische Ursprung einer deutschen (?| legende, in: Der Buddhist 2 (1906), S. 458-464.Vgl Ras, H,, a.a.0,, Hochglanzabbildung im Anschluß an S, 80 sowie S. 121 iiVgl Garbe, R, a.a.0., S. 67 fi.66

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die Erörterung ritueller Gegebenheiten eine Rolle, wie sie z. B. Carl Schweitzer in einem 1903 erschienenen Beitrag mit den Worten umriß:

"Oft kann man hören und lesen, der Katholizismus habe Rosen­kränze, Heiligenbilder, Reliquien, Prozessionen, Litaneien, Opfer fü r die Verstorbenen, Meßgewänder vom Buddhismus entlehnt. Es ist wahr, all diese Institutionen finden sich in dem Lamaismus, einer Form des Buddhismus, wie sie bei den Tibetanern heimisch geworden is t."57

4.2 Die religionsgeographisch relevante Dimension des Distanzen

überbrückenden Religionstransfers

4.2.1 Grundgedanken

Die Qualität der Entlehnungsdebatte tr itt deutlicher ins Bewußtsein, wenn man sich an der Aussage HOHEISELs orientiert, nach der solche Fragestel­lungen als geographische Problemformulierungen ausgewiesen sind, "die es mit Verknüpfungen von Phänomenen und Kräften zu tun haben, fü r die Richtungen und Entfernungen konstitutiv erscheinen.”58 Mit einer solchen Umschreibung sind unter anderem Verkehrs- und Kommunikationsbedingun­gen erfaßt, die als Voraussetzung fü r einen Religionskontakt bzw. eine Kulturprägung durch eine räumlich entlegene Religion gegeben sein müs­sen. Es liegt nun auf der Hand, daß die Antwort auf die Frage nach dem Wahrheitsgehalt des Entlehnungspostulates von der Einschätzung mitge­prägt war, ob oder inwieweit buddhistisches Geistesgut überhaupt in den östlichen Mittelmeerraum oder direkt nach Israel gelangen konnte. Insofern die beteiligten Autoren die Abhängigkeitsthese fü r wahrscheindlich hielten, standen mit Blick auf die Umstände, die fü r den Transport des Kulturguts in ein entlegenes Gebiet verantwortlich gewesen sein könnten, verschiedene Optionen im Raum. Diese sollen im folgenden skizziert werden.

4.2.2 Jesus als persön licher Überm ittler indischen Ku lturguts

Eine erste Möglichkeit geht zurück auf eine Behauptung, die erstmals von dem Franzosen JACOLLIOT formuliert wurde. Sein diesbezügliches Werk, daß 1868 veröffentlicht und zwei Jahre später auch ins Englische übersetzt wurde, firm ierte unter der programmatischen Überschrift "La Bible dans 1'Inde". Darin verkündete der Autor,

"Christus habe in der Zeit vom 12. bis zum 30.Lebensjahre in Ägypten und Indien studiert, unter der Leitung eines buddhisti­schen Mönches den Rang eines Arhat (Heiligen) erreicht und dann * *

57

68Schweitzer, C., a.a.0., S. 17.Hoheisel, K.: Religionsgeographie und Religionsgeschichte, in: Zinser, B. [Hg.!: Religionswissenschaft. Eine Einführung, Berlin 1983. S. 114-130, hier S. 125.

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in seinem Vaterlande eine mit jüdischen Lehrelementen vermischte Erlösungsreligion verkündet."69

Nachdem bereits die Ausführungen Jacolliots den zu erwartenden Staub aufgewirbelt hatten, sorgte der Russe NOTOVITSCH mit einem inhaltlich ähnlich ambitionierten Werk fü r die Publizität der These, Jesus persönlich sei es gewesen, der indische Inhalte nach Palästina transportiert habe. Notowitschs Originalschrift erschien ebenfalls in französischer Sprache, fand aber in diversen Übersetzungen solch eine Verbreitung, daß z. B. PAUL CARUS in einer Rezension mit Blick auf die ihm 1895 vorliegende Fas­sung hervorhob:

"The Sensation which it naturally created has made it known over the whole civilised world."70

Bereits ab 1894 konnten sich die deutschen Leser unter dem Titel "Die Lücke im Leben Jesu" über den angeblichen Verlauf der religiösen Soziali­sation des Nazareners außerhalb Palästinas informieren. Sie wurden mit einer Zusammenfassung von tibetanischen Schriftrollen konfrontiert, die der Autor im Rahmen einer Asienreise im Kloster Hirnis aufgefunden und mit Unterstützung des dortigen Abtes bzw. eines Dolmetschers vollständig ein­gesehen haben wollte. Notowitsch behauptete nun, den Aufzeichnungen könne entnommen werden, daß sich Jesus mit 12 Jahren Kaufleuten ange­schlossen habe und auf diese Weise nach Indien gelangt sei. Der Knabe habe dabei die Absicht verfo lg t "sich zu vervollkommnen im göttlichen Wort und zu forschen in den Gesetzen des großen Buddhas."71 Von dieser In ­tention bewegt, sei der Suchende zunächst mit den Jains in Berührung ge­kommen um sich anschließend fü r einen Zeitraum von sechs Jahren den hinduistischen Brahmanen anzuschließen. Bei jenen habe Jesus die Veden studiert und die Fähigkeiten erlangt, "zu heilen mit Hilfe von Gebeten, die heilige Schrift zu leben und sie dem Volke auszulegen, den bösen Geist auszutreiben aus dem Körper eines Menschen und ihm die menschliche Ge­stalt wieder zu geben."72 In der aus den Evangelien bekannten Manier habe sich der Nazarener dann aber u.a. gegen die soziale Ungerechtigkeit des Kastensystems und gegen die Idolanbetung aufgelehnt. All das habe ihn schließlich zur Flucht in das "Land der Gautaminen [getrieben ], wo ge­boren war der große Buddha Cakya-Muni"73 und wo er schon bald die Kompetenz erwarb, die Pali-Schriften perfekt zu lesen bzw. zu in terpretie­ren. Nach den angeblichen Quellen trat Jesus schließlich den Rückweg nach Palästina an, wobei er seinem Namen als Sozialkritiker alle Ehre machte. "Die benachbarten Länder" waren nämlich "vo ll des Rufs von Issas Pre­

69 Götz, A.: 'Indische Einflüsse auf Evangelische Erzählungen.' Eine kritische Untersuchung, in: Der Katholik. Zeitschrift für katholische Kissen- Schaft und kirchliches Leben: 92 (1912], Teil 1, S. 73-96, hier S. 75.

70 Carus, P.: The Life oi Issa, in: The Honist: V (1895), S. 116-119, hier S, 116.71 Notowitsch, N.: Die Lücke im Leben Jesu, Stuttgart usw. 1984, S. 104.72 Ebenda, S. 105.73

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digten, und als er nach Persien kam, wurden die Priester von Furcht e r­faßt und sie untersagten den Einwohnern, ihn anzuhören."74

Angesichts der allzu kühnen Thesen ist die Tatsache zu würdigen, daß es sich die Fachwelt mit ihren zweifellos vorhandenen Zweifeln an Notowitschs Seriosität nicht zu leicht machte, sondern dem Buch zunächst die notwen­dige Aufmerksamkeit zollte. Diverse Autoren, darunter kein Geringerer als MAX MÜLLER75, fühlten sich in entsprechenden Rezensionen zur Prüfung des Wahrheitsgehaltes verpflichtet. Hatte man die suspekte Schrift zunächst auf inhaltliche Inkonsistenzen befragt, so erreichte die Diskussion schließ­lich ihren Abschluß, nachdem sich ARCHIBALD J. DOUGLAS76 von Indien aus nach Tibet begeben hatte, um den Abt des Klosters, in dem Notowitsch die angeblichen Textrollen ausfindig gemacht haben wollte, sowie weitere Per­sonen als eventuelle Zeugen fü r den behaupteten Besuch des russischen Weltenbummlers zu befragen. Das Ergebnis war eindeutig und führte dazu, daß Notowitsch zumindest in Expertenkreisen als Schwindler, wenn nicht gar als Betrüger galt. Und so wurde schon bald gespottet:

"Wir haben schon zu viele Worte an Herrn Notowitsch verschwen­det. Er lacht ja selbst über die Sache in seinem Innern. 'Was wollt ihr?' wird er sagen; 'jedermann hat sein Privat-Vergnügen.Mich gelüstete es, einmal wieder eine Probe zu machen auf die berühmtesten Dummen, die nie alle werden. Gönnt mir doch ein bisschen Taschengeld.'"77

4.2.3 Die Essener als kulturverm itte lnde Instanz

Während also die These relativ schnell »vom Tisch w ar«, Jesus selber sei fü r den Transport indischen Gedankenguts verantwortlich gewesen, erwies sich eine demgegenüber abgeschwächte, von ernstzunehmenden Fachver­tretern jedoch ebenfalls als Phantasterei apostrophierte Position™ als widerstandsfähiger. Wer in diesem Sinne argumentierte, beharrte zwar gleichfalls auf der aktiven Mittlerrolle des Nazareners, ersetzte aber die Idee eines unmittelbar in Indien erworbenen Wissens durch die doppelte Behauptung, zwischen den Essenern und dem Urchristentum gäbe es eine geistesgeschichtlich chronologische Beziehung, und diese jüdische Sekte sei ähnlich wie die einst in Ägypten ansässige Gemeinschaft der Therapeuten wesentlich von buddhistischem Gedankengut geprägt gewesen.

Der letztgenannte Aspekt findet sich z. B. in dem berühmten"Buddhistischen Katechismus" des Theosophen HENRY STEELE OLCOTT, wo­bei die entsprechende Behauptung gerade dadurch ihre einprägsame

Ebenda, S. 114.Vgl, Mullet, M.: The Alleged Sojourn oi Christ in India, in: Nineteenth Century: 36, S, 515-522,Vgl. Douglas, J.A.: The Chief Lana of ffimis on the Alleged 'Unknown life of Christ', in: Nineteenth Century: 39, S. 667-678, fi.K.i Notowitsch, 'la vie inconnue de Jesus Christ', in: Der Ostasiatische Lloyd: Vm (1893/94), S. 703-705, hier S, 705.Vgl. Garbe, R., a.a.0., S. 13,79

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Schärfe gewinnt, daß das Büchlein insgesamt als Wechselspiel von Frage und Antwort aufgebaut ist. In diesem Sinne suggerierte Olcott zunächst: "Durch welche abendländischen religiösen Brüderschaften vermischte sich dass Buddha-Dharma mit der abendländischen Gedankenwelt?", um dann den entsprechend vorbereiteten Leser wissen zu lassen: "Durch die Sekten der Therapeuten in Ägypten und die Essener in Palästina."79 WOLFGANG BOHN, dessen gleichfalls vorhandene Vorliebe für den Buddhismus oben bereits erwähnt wurde, vollzog gleich beide Teile der erwähnten Doppel-Behaup­tung nach. So betonte er auf der einen Seite, Jesu werde von diversen Wissenschaftlern als Adept der Essener veranschlagt. Auf der anderen Seite warf er bestimmte Merkmale der Essener wie Ehelosigkeit, Verzicht auf berauschende Getränke, Fried fertigkeit oder einjähriges Noviziat in die argumentative Waagschale. Seine Charakterisierung der Essener liest sich entsprechend gradlinig:

"Buddhistische Parallelen liegen auf der Hand. Man kann über­haupt sagen, daß die Mißachtung der vergänglichen Güter, Ach­tung vor allem Leben, Enthaltung von Alkohol immer auf den Ausgang einer Gemeinschaft vom Buddhismus hinweist, und eben noch den Ausgang vom Jainismus zulassen würde. Dem Griechen­tum wie dem Judentum läuft alle Askese dieser Art stracks zu­w ider."80

Radikaler als alle anderen ging allerdings der Amerikaner GODDARD81 die Frage nach einer eventuellen Sozialisation Jesu durch die Essenern an. Der Autor sah einen buddhistischen Einfluß auf Pythagorismus und Stoizismus, auf die hermetische und kabbalistische Literatur sowie auf die Therapeuten Alexandriens als gegeben an und fügte diesbezüglich hinzu:

"It is seen also [...] in the celebate community of the Essenes in the Jordan valley along the great trade route from India and Persia to Egypt."82

Eben diese Essener hätten ungefähr bis in das Jahr 40 n. Chr. existiert und seien im Zuge ihres allmählichen Verschwindens von dem Jüngerkreis Johannes des Täufers bzw. von der wachsenden christlichen Bruderschaft assimiliert worden. Damit aber nicht genug, denn:

"It is in this [...] Community of the Essenes [...] that the found­ers of Christianity, John the Baptist and Jesus, were brought up."83

Abgesehen von Belegen, die sich auf Johannes den Täufer beziehen, sprä­chen diverse Indizien, wie die zölibatäre Ausrichtung Jesu, sein zwischen­

79 Olcott, H.S.: Der Buddhistische Katechismus, Leipzig 19522, S. 90.80 Bohn, W.: Der Buddhismus in den Ländern des Westens (l.Fortsetsung), im Buddhistischer Weltspiegel. Monatsschrift für Buddhismus und re­

ligiöse Kultur auf buddhistischer Grundlage: 1 (1919), S. 97-104. hier S. 98,81 Goddard, D,: Was Jesus Influenced by Buddhism! A Comparative Study of the Lives and Thoughts of Gautama and Jesus, Thetford 1927.82 Ebenda, S. 90.

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zeitlicher Rückzug in die Einsamkeit und viele Gesichtspunkte mehr für diese Annahme. Problematisch wird die von Goddard entworfene Jesus-Bio­graphie insbesondere dort, wo sie dem Nazarener schwerwiegende patholo­gische Züge unterstellt. Zwar sei Jesus subjektiv davon überzeugt gewesen der Messias zu sein, "but, nervertheless, it was an illusion of an un­balanced mind." Schon sein Schicksal als illegitimes Kind habe ihn fü r die späteren psychischen Schwierigkeiten prädisponiert. Aspekte wie der v e r ­bitterte Spott seiner älteren Halbbrüder oder sein manisch-depressives Schwanken zwischen gehobener Stimmung und Verzweifelung, Minderwertig­keitsgefühlen und Egoismus seien als verstärkende Faktoren hinzugekom­men.* 84 Goddard weiter:

" I t is certain that Jesus lived at some time among the Essenes, and it was the retired, quiet life among these kindly brothers that doubtless saved him from insanity."85 *

Schließlich hätten sich seine krankhaften Züge aber dennoch durchgesetzt, seine Libido, die sich über den üblichen Weg nicht entfalten konnte, suchte und fand einen Ausweg in der Illusion, er sei der über alles und alle e r­habene "Menschensohn".85 Insgesamt gesehen entwarf Goddard also ein Bild von der Gründergestalt des Urchristentums, das sich im wesentlichen als Kombination aus genuin buddhistischen Impulsen und schweren pathologi­schen Störungen darstellt. Jesus war deshalb natürlich auch kein Weltleh­rer von der Größe eines Buddha.87 Nichtsdestotrotz war sein Leben und Sterben nicht vollkommen nutzlos, denn:

"His sp irit of self sacrificing love and submission to fate is still the hope of the world."88

4.2.4 Eine verlorengegangene buddhistische Ur-Quelle als vermittelnde

Instanz

Eine weitere, mit Blick auf den »Vermittlungsweg« eingenommene Perspek­tive läßt sich als Modifikation der Zwei-Quellen-Theorie charakterisieren und kann im Vergleich mit Argumenten der eben behandelten Kategorie weitaus gestra ffter abgehandelt werden. Weil es die von Rudolf Seydel in seinen einschlägigen Veröffentlichungen eingenommene Position war, stand sie auch chronologisch gesehen am Beginn der wissenschaftlichen Entleh­nungsdebatte. Ein weitreichender Einfluß war der These allerdings nicht vergönnt, denn sie blieb auf Seydel beschränkt undüberlebte sich schnell. Die kurze Beschreibung dieser Position, die Aufhauser vornimmt, soll des-

88 Ebenda, S. 115.84 Vgl. Ebenda, S. 166.85 Ebenda, S. 167.85 Vgl. Ebenda, S. 169,87 Vgl. Ebenda, S. 165.88 Ebenda, S. 163.

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halb auch hier genügen. Aufhauser gibt als Bezugsquelle die 1882 und 1884 erschienenen Schriften Seydels an und faßt das entscheidende Argument so zusammen:

Diese "Auffassung nimmt eine literarische Abhängigkeit eines uns verloren gegangenen poetischen apokalyptischen Urevangeliums von einer gleichfalls verloren gegangenen dichterischen Darstel­lung des Lebens Buddhas in Sanskrit [...] an. Jenes buddhistisch gefärbte Urevangelium sei neben anderen Quellen das Vorbild und die literarische Quelle unserer heutigen Evangelien, bes. des Matthäus und Lukas gewesen."89

4.2.5 K u ltu rtransfer mittels Handelskontakt, k riegerischer Expansion

hzw. buddhistischer Mission

Einen breiten Raum nehmen hinsichtlich der Frage nach geographischen Verlaufsbahnen zwischen Ost und West in vorchristlicher Zeit solche Ge­dankenführungen ein, die die Möglichkeit eines sukzessiven Einflusses als Folge von Handelsbeziehungen, kriegerisch motivierten Expeditionen oder von Missionsbemühungen in Rechnung stellen. Die entsprechenden Argu­mentationslinien verarbeiteten eine Vielzahl empirischer Daten und wiesen im Original eine Komplexität auf, die sich im Rahmen einer notwendig kurz gehaltenen Zusammenfassung nicht angemessen wiedergeben läßt. Die fo l­gende Skizze strebt deshalb auch keine möglichst vollständige Wiedergabe aller seinerzeit in der Diskussion befindlichen Inhalte an, sondern be­schränkt sich bewußt auf einige exemplarische Aspekte.

Auf kommerzielle Kontakte waren z. B. die Spekulationen um die in der Bi­bel aufgeführten, in das 10. Jahrhundert v. Chr. zu datierenden Ophir- fahrten des Königs Salomo gemünzt.90 Gestützt durch den Verdacht, die im gleichen Zusammenhang genannten Handelsgegenstände wie Sandelholz, El­fenbein, Affen und Pfauen seien typisch indische Importgrößen, nahm man an, die Bezeichnung “Ophir" repräsentiere den Namen eines Ortes an der indischen Küste. Zweifel hinsichtlich der angemessenen geographischen Lo­kalisierung Ophirs, an der Korrektheit hebräischer Begriffe oder dem tatsächlich indischen Ursprung der aufgezählten Güter standen der These allerdings entgegen, so daß diese recht früh in die Diskussion eingebrach- ten Überlegungen im weiteren Verlauf der Debatte offensichtlich keine be­sondere Beachtung mehr erfuhren. Die Beweislage hinsichtlich einer zumin­dest seit dem 7. Jahrhundert v. Chr. bestehenden maritimen Verbindung zwischen Mesepotamien und dem Fernen Osten und dabei auch hinsichtlich eines semitischen Einflusses in Indien war da schon eindeutiger. Allerdings wurde mit unterschiedlichem Nachdruck nach Belegen fü r einen umgekehrt

89

90

Vgl. Auihauser, J.B.: Buddha und Jesus in ihren Paralleltexten, Bonn 1926, S. 3. Die Hervorhebung findet sich auch im Original, dafür wurde mit Blick auf die Wertanfänge die von Aufhauser durchgängig praktizierte Kleinschreibung nicht übernommen.Ich folge zunächst Faber, C-, a.a.O., S. 10 ft

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verlaufenden Kulturtransfer verlangt. In diesem Sinne vertra t etwa Faber die pessimistische Auffassung:

"Es t r if ft schon hier zu, was bis in das erste nachchristliche Jahrhundert hinein zu gelten scheint, daß überall da, wo der Handelsverkehr [...] Spuren einer wirklichen Beeinflussung hin­terließen, Indien fast ausschließlich als der empfangende Teil zu betrachten is t."91

Garbes Einschätzung liest sich dagegen anders. So charakterisiert er nicht nur den Beginn des 1. Jahrhunderts n. Chr. als eine Zeit, in der innerhalb der römischen Welt "geradezu eine Manie fü r indische Luxusartikel" ausge­brochen war. Vielmehr urteilt er überhaupt großzügiger als Faber, wenn er seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. v ielfä ltige Verbindungswege zwischen dem Subkontinent und der Mittelmeer-Ostküste sowie die entsprechende Mög­lichkeit eines - wohlgemerkt wechselseitigen - mündlichen Austausches als wahrscheinlich annimmt.92

Von den individuell jeweils unterschiedlichen Bewertungskriterien war auch abhängig, in welchem Sinne man mit Blick auf die damals existierenden Völ­kerverbindungen jene Feldzüge bewertete, die sich nach Osten orientierten und insbesondere mit dem Namen Alexanders des Großen verknüpft sind. Waren - wie eben Garbe - die einen bereits aufgrund des bloßen Faktums der militärischen Expansion und den daran anknüpfenden Herrschafts­strukturen geneigt, einen Informationsfluß auch von Indien in den Nahen Osten anzuerkennen, gaben sich andere mit diesem Sachverhalt nicht so ohne weiteres zufrieden, sondern schränkten ein: Es ist "weder zu erwei­sen, noch wahrscheinlich, daß die Teilnehmer des Feldzuges bei ih rer Un­rast Zeit oder auch nur Sinn fü r das Sammeln ideeller Werte gehabt haben sollten."93 Ähnliche Argumente ließen sich auch gegen die als gesichert geltenden buddhistischen Gesandtschaften an die Nachfolger Alexanders des Großen in der Mitte des dritten vorchristlichen Jahrhunderts wenden, denn die Missionstätigkeit als solche besagte ja noch längst nicht, daß die Boten des indischen Kaisers Ashoka in Ägypten, Makedonien, Kyrene und Epirus zur Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts auch tatsächlich Gehör fanden.94

91 Ebenda, S. 12 L92 Vgl. Garte, R,, a.a.0., S. 29.93 Faber, R, a.a.0., S. 14.94 Vgl. wiedenm Faber, G., a.a.0., S. 18 L

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5. Abschließende Bemerkungen

Nachdem die Grundlinien der Diskussion um buddhistisch-christliche Paral­lelen nachgezeichnet sowie die religionsgeographischen Implikationen der besagten Auseinandersetzung skizziert wurden, sei abschließend folgendes resümiert:Sucht man mit Blick auf das oben so benannte "themengeschichtliche Vorfeld" in der einschlägigen Sekundärliteratur nach entsprechendem Material, denn wird deutlich, daß zwar immer wieder die Aufwertung der historischen Zugangsweise als Voraussetzung fü r die Ent­lehnungsdebatte genannt wird. Von der gesteigerten Bedeutung religions­geographischen Denkens ist indessen nirgends die Rede. Die im letzten Ka­pitel des vorliegenden Beitrags enthaltenen Ausführungen sollten jedoch deutlich gemacht haben, daß sich Geschichte - und zwar auch hinsichtlich des Problems buddhistisch-christlicher Entlehnungen - nicht losgelöst von religionsgeographischen Fragestellungen betreiben läßt. So betrachtet ist die Entlehnungsdebatte ein besonders plastisches Beispiel fü r die Tatsache, daß die Religionsgeographie als intellektuelle Strömung stattdessen auch dort präsent ist, wo sie nicht explizit als solche ausgewiesen ist. Damit be­wahrheitet sich der Satz von Hoheisel:

"Informell, nicht streng methodisch geleitet wurde an der Lösung dieser Frage [d.h. der Religionsgeographie, F.U.] eigentlich von jeher gearbeitet."95

Was das einstige Niveau der Diskussion um buddhistisch-christliche Paral­lelen betrifft, so erweist sich im Rückblick die seinerzeit mangelhafte In ­stitutionalisierung der Religionsgeographie jedoch insofern als Nachteil, als das Fehlen einer entsprechend »offiz ie llen « Korrekturinstanz dem spekula­tiven Charakter der Entlehnungsdebatte indirekt Vorschub leistete. Wäh­rend nämlich die universitäre Verankerung einer Disziplin wissenschaftliche Standards verbindlich festschreibt und dieser Konsens aufgrund der wech­selseitigen Kontrolle der Fachvertreter eine normative Kraft entfaltet, schossen die in einem »ungeschützten« Freiraum formulierten religionsgeo­graphischen Argumente im Kontext der Entlehungsdebatte nicht selten über das Ziel hinaus.

Diese Versäumnisse waren Bestandteile eines übergreifend betrachtet diszi­plingeschichtlich vielschichtigen Weges, dessen Stationen noch längst nicht angemessen rekonstruiert sind. Der vorliegende Beitrag schließt dann auch in der Hoffnung, daß zumindest hinsichtlich eines ganz speziellen, nur in­nerhalb eines bestimmten Zeitraums virulenten Themas die nötige wissen­schaftshistorische Aufklärung geleistet werden konnte.

95 A.a.0., S, 108.