Für „eine internationale Friedensaktion des Proletariats“ im „zweiten Jahre des...

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Für „eine internationale Friedensaktion des Proletariats“ im „zweiten Jahre des Völkermordens“ Ein Rückblick nach hundert Jahren auf die internationale sozialistische Konferenz in Zimmerwald (5.-8. September 1915) Referat Adrian Zimmermann SP-Gruppe Bundespersonal, Bern, 28. Januar 2015

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Für „eine internationale Friedensaktion des Proletariats“ im „zweiten Jahre des Völkermordens“

Ein Rückblick nach hundert Jahren auf die internationale sozialistische Konferenz in Zimmerwald

(5.-8. September 1915)

Referat Adrian Zimmermann

SP-Gruppe Bundespersonal, Bern, 28. Januar 2015

Die Zweite Internationale im Kampf gegen den Krieg

• Kampf gegen den Krieg als wichtiges Ziel der1889 gegründeten Zweiten Internationalen.

• Beschlüsse der Internationale Sozialisten-Kongresse vonStuttgart 1907, Kopenhagen 1910, Basel 1912

Aus der Resolution des Kongresses von Stuttgart:

«Droht der Ausbruch eines Krieges, so sind in den beteiligten Ländern die Arbeiter und ihre parlamentarischen Vertreter verpflichtet, alles aufzubieten, um den Ausbruch des Krieges durch

Anwendung entsprechender Mittel zu verhindern, die sich je nach der Verschärfung des Klassenkampfes und der allgemeinen politischen Situation naturgemäss ändern und steigern. Falls

der Krieg dennoch ausbrechen sollte, sind sie verpflichtet, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben, um die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und

politische Krise zur politischen Aufrüttelung der Volksschichten und zur Beschleunigung des Sturzes der kapitalistischen Klassenherrschaft auszunutzen.»

Kriegsausbruch und Krise der Internationalen

• Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs unterstützten die meisten Arbeiterparteien «ihre» nationalen Regierungen (sogenannter «Sozialpatriotismus»)

• Besonders verheerend wirkt die Zustimmung der bisher als vorbildlich geltenden SPD zu den Kriegskrediten am 4. August 1914

• Die belgischen und französischen Vertreter im Internationalen Sozialistischen Büro unterstützten die Verteidigung ihrer Länder und erlassen im Namen des ISB einen Aufruf an das deutsche Volk

• 1914 stimmen nur die russische und serbischen Parteien in den Parlamenten gegen die Kriegskredite

• Die italienische Partei bekämpft den Kriegseintritt Italiens im Frühling 1915 (Abspaltung der Interventionisten um Mussolini).

• Die Parteien der neutralen Ländern (inkl. Italien) versuchen die internationalen Verbindungen weiter aufrechtzuerhalten.

Warum gerade Bern/Zimmerwald?

• Nur in einem neutralen Land können sich Sozialistinnen und Sozialisten aus kriegführenden Ländern treffen

• Die Zimmerwalder Konferenz entsteht aus der Zusammenarbeit italienische und schweizerische Partei («Südgruppe») und der unterschiedlichen russischen und anderen osteuropäischen Exilgruppen (viele davon in der Schweiz)

• Parallel und teilweise konkurrierend dazu: holländisch-skandinavisches Komitee («Nordgruppe»)

• Grimm macht seine «Berner Tagwacht» zum Sprachrohr der Kriegsgegner

• Grimm wählt Zimmerwald (September 1915) und Kiental (April 1916) als Versammlungsorte und hält sie im Vorfeld streng geheim. Dies, damit die Konferenzen unbeachtet von den Nachrichtendiensten der kriegführenden Staaten durchgeführt werden können (Schutz der Delegierten)

Bern als internationales Versammlungs- und Organisationszentrum der Arbeiterbewegung im Krieg

Zimmerwalder Bewegung

• Internationale Sozialistische Frauenkonferenz, 26-28. März 1915

• Internationale Sozialistische Jugendkonferenz 4.-6. April 1915

• Vorbereitende Sitzung im Volkshaus Bern, 15. Juli 1915

• Konferenz in Zimmerwald, 5. bis 8. September 1915

• Konferenz in Kiental, 24. bis 30. April 1916

Weitere internationale Aktivitäten in Bern

• Deutsch-franz. interparlamentarischeVerständigungskonferenz 11./12 Mai 1913 (überparteilich, Grimm Mitorganisator)

• Internationale Gewerkschaftskonferenz, 1. bis 4. Oktober 1917 (geleitet von SGB-Präsident Oskar Schneeberger)

• Konferenz der 2. Internationalen (3.-6. Februar 1919). Die meisten «Zimmerwalder» (inkl. Grimm und die Parteitagsmehrheit der SPS) lehnen Teilnahme wg. Präsenz von «Sozialpatrioten» ab

• Internationale Gewerkschaftskonferenz, 5.-9. Februar 1919

Wer traf sich in Zimmerwald?

• Auf der Präsenzliste trugen sich 38 Teilnehmer ein.

• Offizielle Delegation der Italienischen Sozialistischen Partei

• Schweizerische Sozialdemokraten (noch keine offizielle Unterstützung der SPS, diese folgt aber nach der Konferenz)

• Vertreter der sich in der Emigration befindlichen Führungen der russischen und polnischen Sozialdemokratie (Wichtige Ideengeber zu «Zimmerwald» waren die russischen MenschewikiPavel Axelrod und Julius Martow).

• Vertreter der bulgarischen und rumänischen Sozialdemokratie

• Antikriegsopposition in französischer (Opposition im Gewerkschaftsbund CGT) und deutscher Arbeiterbewegung (drei unterschiedliche Oppositionsgruppen in der SPD)

• Vertreter von Oppositionsgruppen aus anderen neutralen Staaten (Niederlande, Schweden)

Charakter der Konferenz

• Die Zimmerwalder Bewegung trug einen ausgesprochenen Netzwerkcharakter (profitiert u.a. von Beziehungen zu Nachbarländern und grenzüberschreitenden Netzwerken der unterschiedlichen Migrantengruppen)

• Die Konferenz musste unter äusserst ungünstigen Verhältnissen stattfinden: durch Krieg eingeschränkte Kommunikations- und Verkehrsverbindungen, Repression gegen Kriegsgegner.

• Die konkrete Wirkung der Konferenz musste daher notwendigerweise begrenzt bleiben, das war den Teilnehmerinnen und Teilnehmern auch bewusst.

Beschlüsse der Konferenz

• Nimmt mit «lautem Beifall» Kenntnis von einer gemeinsamen Erklärung der deutschen und französischen Delegation

• Verabschiedung des ZimmerwalderManifests

• Einsetzung der «Internationalen Sozialistischen Kommission von Bern» als «internationale Vermittlungsstelle». Mitglieder Grimm (Präsident), Charles Naine, OddinoMorgari, Angelica Balabanoff(Sekretärin)

Inhalt Zimmerwalder Manifest

• Krieg «ist die Folge des Imperialismus, des Strebens der kapitalistischen Klassen jeder Nation, ihre Profitgier durch die Ausbeutung der menschlichen Arbeit und der Naturschätze des ganzen Erdballs zu nähren»

• Kritik an Arbeiterorganisationen, die zu Kriegsbeginn einen «Burgfrieden» geschlossen und damit ihre «Verpflichtungen (…) missachtet» hätten.

• Bekenntnis zum «Kampf für den Frieden (…), die Freiheit, für die Völkerverbrüderung, für den Sozialismus»

• Ziel ist ein «Frieden ohne Annexionen und Kriegsentschädigungen»

• Das Ziel soll erreicht werden «durch den unversöhnlichen, proletarischen Klassenkampf»

• Der die Parteiführungen in Deutschland, Frankreich und Belgien des Verrats bezichtigende, zur Parteispaltung, Aufstandsbewegungen und zur Gründung einer neuen Internationale aufrufende Entwurf Lenin-Radek wird von der Mehrheit deutlich abgelehnt

• Das verabschiedete Manifest beruht wesentlich auf einem von Leo Trotzki und der holländischen Dichterin Henriette Roland Holst gemeinsam verfassten Entwurf.

• Lenin, Radek und ihre Anhänger unterstützen schliesslich das Mehrheitsmanifest ebenfalls, geben aber die Erklärung ab, dass dieses ihnen zu wenig weit gehe.

Folgen und Wirkungen der Zimmerwalder Konferenz

• Zwar hielten die stärksten Parteien in den kriegsführenden Ländern mehrheitlich weiterhin an der «sozialpatriotischen» Linie fest, doch wächst der Widerstand innerhalb und ausserhalb der Parteien.

• Die in Zimmerwald gegründete Internationale Sozialistische Kommission (ISK) setzte den Kampf gegen den Krieg fort, verbreitete Informationen und organisierte zwei weitere Konferenzen: Kiental(April 1916) und Stockholm (September 1917).

• Die «Affäre Grimm-Hoffmann» (Publikation eines vertraulichen Telegrammwechsels zwischen ISK-Präsident Grimm und Bundesrat Alfred Hoffmann im Hinblick auf Friedensvermittlungen führt im Juni 1917 zu einer Krise der Zimmerwalder Bewegung.

• Am Ende und nach dem Krieg kommt es 1917-1920 zur bisher grössten Welle von Protesten, Massenstreiks und Revolutionen in der Weltgeschichte (Landesstreik in der Schweiz war Teil davon).

• Ein grosser Teil der Teilnehmer der Konferenz spielte auch eine führende Rolle in diesen Bewegungen.

• General Wille behauptete am 4. November 1918, dass «in Zimmerwald und Kiental beschlossen worden sei, mit dem Umsturz der staatlichen Ordnung in der Schweiz den Anfang zu machen».

• Dies ist eine unhaltbare Verschwörungstheorie: An den Konferenzen wurde nichts dergleichen beschlossen. Zudem sind soziale Bewegungen keine Armeen, deren Aktionen von einem Generalstab «beschlossen» werden.

Fazit

• Die Zimmerwalder Konferenz setzte «als erste allgemeine sozialistische Tagung seit Ausbruch des Krieges» ein sehr wichtiges Zeichen gegen Krieg und Nationalismus.

• Lenin und seine Anhänger versuchten in Zimmerwald vergeblich, die Spaltung der einzelnen Arbeiterparteien und den Aufbau einer dritten Internationale zu propagieren.

• Beides gelang ihnen erst nach Kriegsende und nachdem sie in der «Oktoberrevolution» 1917 die diktatorische Staatsmacht im revolutionären Russland übernommen hatten.

• Viele Teilnehmer der Zimmerwalder Konferenz übernahmen in der Internationale Welle von Protesten, Streiks und Revolutionen 1917-1920 (Folge der massiven Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen durch Krieg) eine führende Rolle.