\"Nicolaus Ficke.. der sich mit Physiognomie, Astrologie etc. abgab, übrigens ein schlechter Mann...

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„Nicolaus Ficke... der sich mit Physiognomie, Astrologie etc. abgab, übrigens ein schlechter Mann war“ Biographische Notizen zum Kepler-Briefpartner Nicolaus von Vicken Nils Lenke, Rheinbach und Nicolas Roudet, Straßburg 1 1. Einleitung 1.1 Einführung Im Umfeld Johannes Keplers haben auch viele weniger bedeutende Gestalten die Aufmerksamkeit der Forschung gewonnen, so z.B. Helisaeus Röslin 2 , David Fabricius 3 oder Philipp Feselius 4 , und viele andere mehr. Und doch gibt es hier noch mehr zu entdecken. So hat es Nicolaus von Vicken 5 immerhin auf einen Briefwechsel mit Kepler von mehr als einem Dutzend Briefen gebracht 6 , er ist der erste dokumentierte Leser von Keplers Astronomia Nova7 und das Bindeglied zwischen Kepler und Simon Marius; von Marius frühen Fernohrbeobachtungen weiß Kepler nur durch einen Brief von Vickens, den er im Vorwort seines Buches Dioptrice auch zitiert. 8 Zudem hat sich Kepler auch in Vickens Stammbuch verewigt, und nicht nur er, sondern auch Tycho Brahe und der astronomisch sehr interessierte Simon VI zur Lippe 9 . Schwarz hat dieses Stammbuch ediert 10 . Auch an David Fabricius hat Vicken geschrieben 11 . War er also ein Astronom oder Astrologe, der noch zu entdecken wäre? Bisher gibt es zu wenig an veröffentlichten biographischen Informationen zu diesem Nicolaus von Vicken, um diese Frage zu beantworten. Schwarz‘ eigener biographischer Abriss 1 Die Autoren danken den Gutachtern für ihre wertvollen Hinweise zu einer Vorversion dieses Aufsatzes, sowie Konrad Kögler und Concetta Luna für Ihre Hilfe bei der Transkription und Identifizierung einiger lateinischer und griechischer Zitate. 2 Wilhelm Kühlmann: „Eschatologische Naturphilosophie am Oberrhein Helisaeus Röslin (1554-1616) erzählt sein Leben.“, in: Günter Frank, Anja Hallacker, Sebastian Lalla: „Erzählende Vernunft“, Berlin: Akademie - Verlag, 2006, S. 153-174; Miguel Granada: „Helisaeus Röslin on the eve of the appearance of the nova of 1604: his eschatological expectations and his intellectual career as recorded in the Ratio studiorum et operum meorum (1603-1604).”, in: Sudhoffs Archiv, Band 90 (2006), S. 75-96 3 Menso Folkerts: „Johannes Kepler und David Fabricius“, in: Edouard Mehl (Hrsg.): „Kepler. La Physique Céleste. Autour de L’Astronomia Nova (1609)“, Paris: Les Belles Lettres, 2011, S. 43-66 4 Nils Lenke und Nicolas Roudet, “Philippus Feselius. Biographische Notizen zum unbekannten Medicus aus Keplers Tertius Interveniens“, in: Kepler, Galilei, das Fernrohr und die Folgen, hrsg. von Karsten Gaulke u. Jürgen Hamel [= Acta historica Astronomiae ; 40], Frankfurt/Main : H. Deutsch, 2010, S. 131-159. 5 Der Name taucht in vielen Varianten auf: Nikolaus, Nicolas, Niclas, Claus usw. als Vorname und Vicke, Viccius, Ficke, Ficken, Ficcius, usw. als Nachname. Außerhalb von Zitaten wird durchgehend hier die Form Nicolaus von Vicken verwendet 6 Siehe Michael Gottlieb Hansch: “Johannis Keppleri Aliorumque Epistolae mutuae“, 1718, S. 306ff; Siehe Kepler, Gesammelte Werke (KGW) Band 15, S. 283für den Brief aus dem Jahr 1605, S. 532 für den „Nachbericht“ dazu; KGW 16, S. 256-390 für die Briefe selbst und S. 444-469 für die „Nachberichte“ zu den Briefen aus dem Jahr 1609-11; 7 H. Darrel Rutkin: „Celestial Offerings: Astrological Motifs in the Dedicatory Letters of Kepler’s Astronomia Nova and Galieo’s Sidereus Nuncius“, in: William R. Newman, Anthony Grafton (Hrsgg.): “Secrets of Nature. Astrology and Alchemy in Early Modern Europe”, Cambridge/London: MIT Press, 2001, S. 133 -172; S. 156 8 Cornelia Liesenfeld: “Die Astronomie Galileis und ihre Aktualität heute und morgen”, Münster: Lit 2003, S. 65 9 Michael Bischoff: „Graf Simon VI. zur Lippe (15541613). Ein europäischer Renaissanceherrscher“, Weserrenaissance-Museum Schloß Brake, Lemgo 2010; Schwarz 2002, S. 327 liest den Namen als „Kipp“ 10 Christiane Schwarz: Studien zur Stammbuchpraxis der Frühen Neuzeit. Gestaltung und Nutzung des Album amicorum am Beispiel eines Hofbeamten und Dichters, eines Politikers und eines Goldschmieds (etwa 1550 bis 1650) (= Mikrokosmos. Beiträge zur Literaturwissenschaft und Bedeutungsforschung; Bd. 66), Bern / Frankfurt a.M.: Peter Lang 2002 11 Dr. Bunte: „Über David Fabricius. Zweiter Teil. Auszüge aus dem Briefwechsel des David Fabricius mit Kepler“, in: Jahrbuch der Ges. für bildende Kunst und vaterländ. Altertümer zu Emden, Band 7, Heft 2, 1887, S. 18-66; S. 48

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„Nicolaus Ficke... der sich mit Physiognomie, Astrologie etc. abgab, übrigens

ein schlechter Mann war“

Biographische Notizen zum Kepler-Briefpartner Nicolaus von Vicken

Nils Lenke, Rheinbach und Nicolas Roudet, Straßburg1

1. Einleitung 1.1 Einführung

Im Umfeld Johannes Keplers haben auch viele weniger bedeutende Gestalten die

Aufmerksamkeit der Forschung gewonnen, so z.B. Helisaeus Röslin2, David Fabricius

3 oder

Philipp Feselius4, und viele andere mehr. Und doch gibt es hier noch mehr zu entdecken. So

hat es Nicolaus von Vicken5 immerhin auf einen Briefwechsel mit Kepler von mehr als einem

Dutzend Briefen gebracht6, er ist der erste dokumentierte Leser von Keplers „Astronomia

Nova“7

und das Bindeglied zwischen Kepler und Simon Marius; von Marius frühen

Fernohrbeobachtungen weiß Kepler nur durch einen Brief von Vickens, den er im Vorwort

seines Buches Dioptrice auch zitiert.8 Zudem hat sich Kepler auch in Vickens Stammbuch

verewigt, und nicht nur er, sondern auch Tycho Brahe und der astronomisch sehr interessierte

Simon VI zur Lippe9. Schwarz hat dieses Stammbuch ediert

10. Auch an David Fabricius hat

Vicken geschrieben11

. War er also ein Astronom oder Astrologe, der noch zu entdecken wäre?

Bisher gibt es zu wenig an veröffentlichten biographischen Informationen zu diesem Nicolaus

von Vicken, um diese Frage zu beantworten. Schwarz‘ eigener biographischer Abriss

1 Die Autoren danken den Gutachtern für ihre wertvollen Hinweise zu einer Vorversion dieses Aufsatzes, sowie

Konrad Kögler und Concetta Luna für Ihre Hilfe bei der Transkription und Identifizierung einiger lateinischer

und griechischer Zitate. 2 Wilhelm Kühlmann: „Eschatologische Naturphilosophie am Oberrhein – Helisaeus Röslin (1554-1616) erzählt

sein Leben.“, in: Günter Frank, Anja Hallacker, Sebastian Lalla: „Erzählende Vernunft“, Berlin: Akademie-

Verlag, 2006, S. 153-174; Miguel Granada: „Helisaeus Röslin on the eve of the appearance of the nova of 1604:

his eschatological expectations and his intellectual career as recorded in the Ratio studiorum et operum meorum

(1603-1604).”, in: Sudhoffs Archiv, Band 90 (2006), S. 75-96 3 Menso Folkerts: „Johannes Kepler und David Fabricius“, in: Edouard Mehl (Hrsg.): „Kepler. La Physique

Céleste. Autour de L’Astronomia Nova (1609)“, Paris: Les Belles Lettres, 2011, S. 43-66 4 Nils Lenke und Nicolas Roudet, “Philippus Feselius. Biographische Notizen zum unbekannten Medicus aus

Keplers Tertius Interveniens“, in: Kepler, Galilei, das Fernrohr und die Folgen, hrsg. von Karsten Gaulke u.

Jürgen Hamel [= Acta historica Astronomiae ; 40], Frankfurt/Main : H. Deutsch, 2010, S. 131-159. 5 Der Name taucht in vielen Varianten auf: Nikolaus, Nicolas, Niclas, Claus usw. als Vorname und Vicke,

Viccius, Ficke, Ficken, Ficcius, usw. als Nachname. Außerhalb von Zitaten wird durchgehend hier die Form

Nicolaus von Vicken verwendet 6 Siehe Michael Gottlieb Hansch: “Johannis Keppleri Aliorumque Epistolae mutuae“, 1718, S. 306ff; Siehe

Kepler, Gesammelte Werke (KGW) Band 15, S. 283für den Brief aus dem Jahr 1605, S. 532 für den

„Nachbericht“ dazu; KGW 16, S. 256-390 für die Briefe selbst und S. 444-469 für die „Nachberichte“ zu den

Briefen aus dem Jahr 1609-11; 7 H. Darrel Rutkin: „Celestial Offerings: Astrological Motifs in the Dedicatory Letters of Kepler’s Astronomia

Nova and Galieo’s Sidereus Nuncius“, in: William R. Newman, Anthony Grafton (Hrsgg.): “Secrets of Nature.

Astrology and Alchemy in Early Modern Europe”, Cambridge/London: MIT Press, 2001, S. 133-172; S. 156 8 Cornelia Liesenfeld: “Die Astronomie Galileis und ihre Aktualität heute und morgen”, Münster: Lit 2003, S. 65

9 Michael Bischoff: „Graf Simon VI. zur Lippe (1554–1613). Ein europäischer Renaissanceherrscher“,

Weserrenaissance-Museum Schloß Brake, Lemgo 2010; Schwarz 2002, S. 327 liest den Namen als „Kipp“ 10

Christiane Schwarz: „Studien zur Stammbuchpraxis der Frühen Neuzeit. Gestaltung und Nutzung des Album

amicorum am Beispiel eines Hofbeamten und Dichters, eines Politikers und eines Goldschmieds (etwa 1550 bis

1650) (= Mikrokosmos. Beiträge zur Literaturwissenschaft und Bedeutungsforschung; Bd. 66), Bern / Frankfurt

a.M.: Peter Lang 2002 11

Dr. Bunte: „Über David Fabricius. Zweiter Teil. Auszüge aus dem Briefwechsel des David Fabricius mit

Kepler“, in: Jahrbuch der Ges. für bildende Kunst und vaterländ. Altertümer zu Emden, Band 7, Heft 2, 1887, S.

18-66; S. 48

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

2

beschränkt sich auf gerade einmal eine halbe Druckseite; sie stellt fest, es gäbe „wenige

biographische Quellen“12

. Sie behandelt von Vicken dabei nicht als Astronomen, sondern als

Politiker. Sicherlich eine berechtigte Sichtweise, hat dieser aus Riga stammende Adlige doch

in drei Kriegen u.a. dem polnischen und schwedischen König gedient, mehreren Kaisern und

zahlreichen Fürsten; sein Leben entpuppt sich dabei als ein möglicher Stoff für

Abenteuerromane, wie wir noch sehen werden.

Für Suermann hingegen ist derselbe Nicolaus von Vicken ein „dubioser Magier aus

Hildesheim“13

. Auch diese Sichtweise ist nicht von der Hand zu weisen, wie sich zeigen wird.

Sollte er also doch eher als „Alchemist“ einsortiert und biographisch gewürdigt werden?

Auch ein solches Unterfangen kann ergiebig sein und einen Einblick in den Beginn der

modernen Wissenschaft ermöglichen, wie wir spätestens seit Moran und Nummedal wissen,

und die Alchemie war ein weites Feld, sowohl was Personen als auch Themen angeht, und

unser Proband fügt diesem Bild durchaus eine interessante Facette hinzu.14

Oder war er ganz einfach „ein schlechter Mann“, wie es ein Archivar in Wolfenbüttel

aufgeschrieben hat15

und es im Titel wiedergegeben wurde? Eine Antwort auf diese Fragen

versucht diese biograpische Skizze. Dazu ergänzt sie auch das Stammbuch, denn auch wenn

Schwarz feststellt, die Edition desselben mache auch ohne biographischen Hintergrund Sinn16

,

so ist es doch erhellend, aus der Biographie heraus zu erkennen, warum sich z.B. von Vicken

und zahlreiche Einträger in seinem Stammbuch so ausführlich mit der Frage des „wahren

Adels“ im Verhältnis zum Geburtsadel beschäftigt haben.17

Oder warum in diesem

Stammbuch eine mehrjährige Lücke ohne Einträge klafft. Möglich ist dies, weil die Suche

nach weiteren Quellen, die über von Vickens‘ Leben Aufschluss geben können, ergiebiger war

als, als es Schwarz‘ oben zitierte pessimistische Feststellung erwarten ließ.

1.2 Quellen

Eine der Hauptquellen bleibt natürlich das Stammbuch Vickens. Ihm sind nicht nur indirekte

Hinweise aufgrund der Eintragungsorte und der eintragenden Personen zu entnehmen,

sondern es enthält auch eine kurze biographische Selbstaussage. Diese Hinweise werden noch

ergiebiger im Zusammenspiel mit den neu entdeckten Quellen.

Dazu gehören zunächste einige veröffentlichte Briefe, darunter natürlich die Keplerbriefe, der

erwähnte Hinweis auf einen Brief an Fabricius sowie Briefe an den schwedischen Herzog

Karl aus dem Reichsarchiv in Stockholm18

. Dazu kommt ein Brief an den ungarischen

Adligen Emerico Thurzo.19

Darüber hinaus konnten aber in verschiedenen Archiven zahlreiche weitere unveröffentlichte

Briefe und sonstige Schriftstücke lokalisiert werden, die – neben einem Brief aus dem Jahr

1596 - vor allem die Jahre 1603-1617 abdecken, also eine Periode, die recht gut mit dem

Schriftwechsel mit Kepler übereinstimmt (1605-1620). Zudem hilft dies, eine Lücke von 8

12

Schwarz 2002, S. 77 13

Marie-Theres Suermann: „Zur Baugeschichte und Ikonographie des Stadthagener Mausoleums“, in

Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte, Band 22, 1983, S. 67-90, S. 69 14

Bruce T. Moran: „Distilling Knowledge. Alchemy, Chemistry, and the Scientific Revolution”, Cambridge

Mass.: Harvard University Press 2005, S. 9 15

Deckblatt der Akte STAWO 1 Alt 5a Nr. 102a 16

Schwarz 2002, S. 126 17

Schwarz 2002, S. 127 18 Fr. Beinemann jun.: „Zur Geschichte der livländischen Ritter- und Landschaft 1600-1602. Briefe und

Aktenstücke“, in: Mitteilungen aus dem Gebiete der Geschichte Liv-, Est- und Kurlands 17, 1900, S. 463-600 19

Siehe: Befejezö Közlemény: „Gróf Batthyány József. Köpcsényi Levéltárából“, in Történelmi tár, 1888, S.

609-662, S. 619; Zu Thurzo siehe auch Schwarz 2002, S. 120, Thurzo ist auch mit einem Eintrag im Stammbuch

vertreten. Auch hier (Emmerich Thurzo); zu ihm siehe auch: Joseph von Hormayr: „Taschenbuch für die

vaterländische Geschichte“, 19. Jahrgang (NF), Berlin: Reimer 1848, S. 129f.

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

3

Jahren zu schließen, die sich im Stammbuch auftut; zwischen 1611 und 1619 erfolgten dort

keine Eintragungen. Weiterhin erklären die Funde auch (wie wir sehen werden), warum es

diese Lücke gibt, und auch warum der Briefwechsel mit Kepler ebenfalls nach 1611 zunächst

zum Erliegen kam (und erst 1620 fortgesetzt wurde).

Da sich von Vicken eine ganze Zeit lang im Dunstkreis der welfischen Höfe und ihrer

Verwandten bewegte, haben die dortigen Archive, Wolfenbüttel, Hannover und Bückeburg,

den meisten Ertrag geliefert. Im Einzelnen:

In Hamburg findet sich in der Uffenbach-Wolfschen Briefsammlung ein Brief von

Nicolaus von Vicken an Joh. Georg Gödelmann, datiert Leipzig 8.12.159620

In Wolfenbüttel findet sich zum einen eine Akte21

, die sich um die Tätigkeit eines

Bruders von Nicolaus, Heinrich von Vicken, als Hofmeister bei Herzog Joachim Karl

(1573-1615)22

, dreht und in der der Nicolaus auch eine Rolle spielt. Zum anderen wird

dort eine Gerichtsakte23

von ca. 900 Seiten aufbewahrt, die zahlreiche interessante

Dokumente enthält.

In Hannover findet sich eine an Kaiser Rudolf II adressierte, 12 Folios umfassende

„Kurze verandtwortung vnd Refutation derer beschuldigungen, damit von der

königlichen würden in Polen, zur vnschuld belegt wirtt“ aus dem Jahr 160424

, sowie

ein Bestand von Briefen25

, die sich mit einer Inhaftierung Nicolaus von Vickens im

Jahr 1609 in Halberstadt beschäftigen, und schließlich ein Brief26

der Wolfenbütteler

Räte an den abwesenden Herzog Friedrich Ulrich (1591-1634)27

, in dem sie auch auf

den Rechtsstreit mit Nicolaus von Vicken eingehen.

In Bückeburg befinden sich in zwei Beständen28

insgesamt acht Dokumente aus dem

Jahr 1614, darunter in Kopie ein „Entschuldigungsbrief“ an die Regentin Elisabeth

von Braunschweig-Wolfenbüttel (1573–1625), sechs Briefe an Graf Ernst zu Holstein-

Schaumburg (* 24. September 1569 in Bückeburg; † 17. Januar 1622 ebendort), sowie

eine Anlage. Besonders interessant ist aus biographischer Sicht dabei neben dem

Schreiben an Elisabeth ein Brief an Graf Ernst, der einen „Cursus vitae et

studiorum“ enthält.29

In Wien finden sich im Haus-, Hof- und Staatsarchiv, sowie im Habsburg-

Lothringischen Staatsarchiv insgesamt fünf Nicolaus von Vicken betreffende Briefe.30

In Stockholm liegen im Kriegsarchiv neben den oben erwähnten publizierten Briefen

weitere Dokumente; einige erwähnt z.B. Sjödin31

. Vier Briefe wurden für diese Arbeit

ausgewertet.32

20

Nilüfer Krüger: „Supellex Epistolica Uffenbachii et Wolfiorum. Katalog der Uffenbach-Wolfschen

Briefsammlung. Zweiter Teilband“, Hamburg: Hauswedell, 1978, S. 1060; Signatur des Briefes: Sup. ep. 103,

fol. 152-153 21

STAWO Best. 3 Alt, Nr. 359 22

Ein jüngerer Bruder von Herzog Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel, der zeitweise Domprobst in

Strassburg war. Siehe Inge Mager: „Die Konkordienformel im Fürstentum Braunschweig-

Wolfenbüttel“ Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1993, S. 331n 23

STAWO 1 Alt 5 Nr. 102a-d 24

HSTAH Best. Celle Br. 16, Nr. 552 25

HSTAH Best. Celle Br. 71, Nr. 123 26

HSTAH Best. Cal. Br. 22, Nr. 1860 27 Artikel „Friedrich Ulrich, Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel“ von Ferdinand Spehr in: ADB, Band 7

(1878), S. 501–505 28

STABU Best. F3, Nr. 239 und 240 29

STABU Best. F3, Nr. 240 30

AT-OeStA/HHStA RHR Passbriefe 17-3-38, AT-OeStA/HHStA RHR Schutzbriefe 14-2-25, AT-

OeStA/HHStA HausA Lang-Akten 2-2-65, AT-OeStA/HHStA HausA Lang-Akten 5-1-8 31

Lars Sjödin: „Hans Bilefeldt rapporter till Knut Person“, Historisk Tidskrift, Stockholm 1939, S. 419-449, S.

432n.

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

4

In Magdeburg findet sich ein Vorgang aus den Jahren 1624/5, in dem Heinrich und

auch Nicolaus von Vicken eine Rolle spielen33

; dieser Bestand wurde bereits von

verschiedenen Autoren ausgewertet, s.u., Kapitel 8.

In Innsbruck liegt die Korrespondenz Nicolaus von Vickens mit Erzherzog

Maximilian.34

Diese ist von J. Hirn35

ausgewertet worden (s.u., Kapitel 3.1) und wurde

bisher noch nicht im Original eingesehen; hier ist evtl. noch interessantes Material für

zukünftige Arbeiten zu erwarten.

2. Die Jugend und Erziehung eines Politikers

2.1 Riga im 16. Jahrhundert Um Nicolaus von Vickens Biographie zu verstehen, muss man sich zunächst die Situation

seiner Heimat Riga um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert vergegenwärtigen. Seit 1522

war Riga reformiert und der letzte Bischof dankte 1561 ab. Dies tat im selben Jahr auch der

Ordensmeister des Deutschen Ordens, der von Riga aus bis dahin die baltischen Besitztümer

des Ordens regiert hatte; er und seine Nachfolger schielten aber vom neuen Ordenssitz

Mergentheim aus noch gelegentlich nach diesen. So dominierten ab dieser Zeit noch stärker

als bisher die reichen Kaufmannsfamilien das politische Leben Rigas. Auch das

wirtschafliche Leben wurde von ihnen und ihrem Handel geprägt, schließlich war Riga bereits

seit 1282 Mitglied der Hanse.

Auch Nicolaus von Vicken entstammte einer solchen reichen, aber zunächst noch bürgerlichen

Kaufmannsfamilie, in der der Vorname „Nicolaus“ (auch als „Niclas“ oder „Claves“) in jeder

Generation vorkam.36

Der Großvater, ebenfalls mit diesem Vornamen, taucht in den

Erbebüchern und anderen Quellen zwischen 1534 und 1564 wegen zahlreicher

Immobiliengeschäfte auf; er besaß offenbar mehrere Häuser, Scheunen und Gärten. 1557 wird

er zudem als Ratsherr genannt, 1559 als „Ziegelherr“ (Aufseher über die städtischen

Ziegelöfen)37

und 1563/65 als Stadtkämmerer. Noch mehr Ämter füllte sein Sohn, wiederum

ein Nicolaus (+ 14.12.1591) und der Vater „unseres“ Nicolaus, aus. 1572 wird er Bürger,

später Ratsherr und 1580 „Oberamtsherr“, auch als Bürgermeister und Burggraf wird er

genannt. 1564 heiratete er Katrine Hane, die die Mutter unseres Nicolaus wurde. Als Witwe

Johann Dullens brachte sie dessen Anteile an einer in Köln und Riga ansässigen Handelsfirma

in die Ehe ein, die über Amsterdam und Seeland Wein, Brandwein und Essig nach Riga

importierte und auf dem Rückweg Roggen, Flachs, Talg, Wachs und Teer exportierte;

hierüber gibt eine Gerichtsakte aus dem Historischen Archiv Köln Auskunft (u.a. gab es Streit

mit dem Kölner Zweig der Familie über die Kosten für ein gesunkenes Handelsschiff).38

32

Reichsarchiv Stockholm, Signatur: Riksregistraturet, vol. 94 33

Landesarchiv Magdeburg, Best. Rep. A 3a Domkapitel zu Magdeburg, Tit. I, Nr ad 18 34

Tiroler Landesarchiv, Best. Kanzlei Erzherzog Maximilian III. 1596-1618 35

J. Hirn: “Die Renuntiation des Deutschmeisters Maximilian auf Polen und die damit zusammenhängenden

Pläne. Ein Beitrag zur Geschichte der österreichisch-nordischen Politik in den Tagen Rudolfs II.“, in:

Mittheilungen des Instituts für Oesterreichische Geschichtsforschung, IV. Ergänzungsband, Innsbruck: Wagner

1893, S. 248-96 36

Die folgende Darstellung der Familienverhältnisse basiert auf J.G.L. Napiersky: Die Erbebücher der Stadt

Riga 1384-1579, Riga: Gesellschaft für Geschichte und Alterthumkunde der Ostseeprovinzen Russlands, 1887;

H. J. Bötführ: „Die Livländer auf auswärtigen Universitäten in vergangenen Jahrhunderten, Erste Serie: Prag,

Köln, Erfurt, Rostock, Heidelberg, Wittenberg, Marburg, Leyden, Erlangen“, Riga: W. F. Häcker 1884, S. 79f.;

Karina Kulbach-Fricke: Familienbuch Riga (auf CD), Selbstverlag 2010 und persönliche Mitteilung; Esa A.

Reiman: „Der Tod vom D. Gotthard Welling[k] i.J. 1586.

http://personal.inet.fi/koti/ear/Wellingk,%20Gotthard%20I.pdf (11.9.2011) 37

C.E. Napiersky: „Riga’s ältere Geschichte in Uebersicht, Urkunden und alten Aufzeichnungen

zusammengestellt. Band 4“, Neudruck der Ausgabe 1835-1847, Osnabrück: Zeller 1968, S. 122 38

Best 310D, Reichskammergericht Buchstabe D, A 20; siehe Findbuch:

http://www.archive.nrw.de/LAV_NRW/jsp/findbuch.jsp?archivNr=2&tektId=171&id=0350&klassId=1; die

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

5

Außenpolitisch lagen Riga und das umliegende Livland eingekeilt zwischen Russland und

Polen auf der einen und dem auftstrebenden Schweden auf der anderen Seite. Ab 1561 und

verstärkt nach 1580 geriet Riga zunächst in den Einflussbereich Polens, das jedoch selbst

politisch unruhige Zeiten durchlebte. Bis 1587 regierte der Siebenbürger Stephan Bátory39

,

der durch Heirat mit der Thronerbin überraschend König von Polen-Litauen geworden war; in

seine Zeit fielen die sogenannten „Kalenderunruhen“ in Riga. Dabei handelte es sich um

bürgerkriegsähnliche Zustände, die dadurch ausgelöst wurden, dass das katholische Polen

versuchte, das reformierte Riga zu re-katholisieren, u.a. durch die zwangsweise Einführung

des gregorianischen Kalenders. Diese Bemühungen, die Riga in Polenfreunde und -feinde

spaltete, blieben letztlich erfolglos. Vor diesem Hintergrund ist zudem die Tatsache zu sehen,

dass Nicolaus Vicken (Vater), zusammen mit seinen Brüdern Johann und Hermann vom

polnischen König 1580 geadelt wurde.40

Dabei war die Nobilitierung später strittig, wie wir in

Nicolaus‘ Fall noch sehen werden, und ein Neffe, der in schwedischen Diensten stand, musste

sich 1659 vom Rigaischen Rat bestätigen lassen, dass sein Adelsbrief verloren gegangen

war.41

Der schwedische Zweig führte jedoch noch dasselbe Wappen, wie es auch

Nicolaus‘ Siegel bereits zeigen.42

Weiteres Zeichen für die einflussreiche Stellung der Familie Vicken ist die Tatsache, dass

Nicolaus Vicken (Vater) vom polnischen König (indirekt durch Verpfändung) 1576 die Burg

Tarwast erhielt.43

Nach dem Tod Bathorys wurde Sigismund III Wasa44

König von Polen-

Litauen, der bis zu seiner Absetzung 1599 auch König des protestantischen Schwedens war.

In diese Situation hinein wird nun „unser“ Nicolaus Vicken geboren. Dies geschah wohl kurz

nach 1570, wie sich aus einer Rückrechnung aus seiner (vermutlichen) Immatrikulation in

Königsberg ergibt (s.u.). Er könnnte am 29.4.1572 geboren sein, und zwar um 7:45 Uhr

vormittags. Denn Johannes Kepler hat ein Horoskop für „Nicolaus von Vicke“ mit diesem

Datum (und der ungefähren geographischen Breite von Riga, 57°30‘) erstellt.45

Allerdings

gibt es auch einen Brief von Vickens an Kepler, in dem er um die Erstellung dreier Horoskope

bittet, darunter eines für sich selbst, und dort gibt er „als meyne genitur 1571. die 21. Juny

hora 12.m. 15. P.M. 57° 40‘“46

. Bis zur Auffindung weiterer Quellen kann dieses Rätsel nicht

gelöst werden. Nicolaus hatte (mindestens) zwei Brüder, Heinrich und Dietrich47

, wie sich u.a.

aus einem Brief Heinrichs ergibt.48

Für den heranwachsenden Knaben dürften die bereits

Akte ist unter den Verlusten des Archiveinsturzes vom 3.3.2009 und konnte nicht eingesehen werden. Eine

Zusammenfassung und Ausführungen zum Weinhandel zwischen Köln und Riga finden sich in: Klaus Militzer:

„Weinhandel in Riga und Livland“, in: Bernhart Jähnig und Klaus Militzer (Hrsgg.): „Aus der Geschichte Alt-

Livlands. Festschrift für Heinz von zur Mühlen zum 90. Geburtstag“, Münster: LIT 2004, S. 101-111. 39

http://de.wikipedia.org/wiki/Stephan_B%C3%A1thory (14.9.2012) 40 Barbara Trelinska: „Album armorum nobilium Regni Poloniae XV – XVIII saec.“, Lublin 2001, S. 194, Nr.

430-432 41

J. Siebmacher: „Der Adel der russsischen Ostseeprovinzen. Band III, 11. Abteilung: 2. Teil.

Nichtimmatrikulierter Adel“, Neustadt an der Aisch: Bauer & Raspe 1980, S. 233 42

Zum Wappen siehe: http://www3.acadlib.lv/broce/vol_1_1.htm, Nicolaus Siegel ist in mehreren Exemplaren

in STAWO Best. 1 Alt 5 Nr. 102d erhalten. 43

Jürgen Heyde: „Zwischen Kooperation und Konfrontation: Die Adelspolitik Polen-Litauens und Schwedens in

der Provinz Livland 1561-1650“, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 47/4 (1998), S. 544 - 567; S.

557n; zu Tarwast siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Ordensburg_Tarwast 44

http://www.britannica.com/EBchecked/topic/543630/Sigismund-III-Vasa 45

Nr. 1031. KGW 21-2/2, 372; dieses scheint Schwarz 2002, S. 77 nicht bekannt zu sein, da sie von der

Immatrikulation 1598 in Rostock zurückrechnet, dass er „im letzten Viertel des 16. Jhdts.“ geboren sei; sie

übersieht dabei aber auch, dass er sich zuvor schon an einer oder sogar zwei anderen Universitäten

immatrikuliert hatte. 46

KGW 16, S. 290, Brief Nr. 558, Post Scriptum 47

Auch Siebmacher 1980 erwähnt einen in Riga ansässigen Dietrich F./V.; Kulbach-Fricke 2010 nennt ihn als

Sohn des Nicolaus (Vater). Ein Dietrich von Vicken ttritt noch 1647 in Königsberg als Beiträger zu einer

Gelegenheitsschrift in Erscheinung, siehe VD17 12:652124U. 48

STAWO Best. 3 Alt, Nr. 359

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

6

erwähnten Kalenderunruhen ein einschneidendes Erlebnis gewesen sein, bei dem sein Vater

eine - eher als unrühmlich zu bezeichnende - Rolle spielte. 1581 wurde er wegen Beleidigung

des Syndikus, Dr. Welling, des Rates verwiesen und erst 1582 wieder zugelassen, nachdem er

eine Ehrenerklärung abgegeben hatte. Als dann Dr. Welling auf dem Höhepunkt der

Kalenderunruhren 1586 vom Schafott bedroht, und am 27.6.1586 diesem nur knapp entronnen

war, sorgte Vicken dafür, dass er in der Nacht des 29.6. wieder verhaftet, gefoltert und am 1.7.

hingerichtet wurde. Dabei wurde das Ratsmitglied Vicken von einigen als der Anführer der

anti-polnischen und gegen den Rat gerichteten Bewegung in der Bürgerschaft angesehen.49

Teilweise wird sogar vermutet, er habe Riga unter die Herrschaft des russischen Zaren

bringen wollen, um die Vorherrschaft Polens abzuschütteln.50

1587 wird er jedoch noch als

Teilnehmer am Reichstag in Warschau genannt51

. 1588 kam es gar zu einem Mordversuch an

Nicolas Vicken (Vater), ein anderer Ratsherr ging vor dem Rathaus mit dem Dolch auf ihn

los.52

Interessant ist im Hinblick auf die spätere „Karriere“ seines Sohnes auch noch, dass er

in seiner Funktion als Obervogt im Januar 1589 den Scharfrichter für die Folterung,

Wasserprobe und Verbrennung einer „Zauberin“ (Hexe) bezahlte, und zwar „vor de

touewesche tho pinigen 3 mrk, noch vor up edt water tho werpen gegeuen 1 mrk, noch vor

lichte [...] 2 mrk, noch vor de touewesche tho bernende 5 mrk, noch vor 2 faden holt gegeuen

9 mrk.“53

Noch 1589 wurde der Vater wegen seiner Rolle während der Kalenderunruhen von der Witwe

Dr. Wellings verklagt, musste fliehen und kam nur mithilfe eines königlichen Befehls (er

muss auch zu dieser Zeit noch am Hofe des polnischen Königs verkehrt haben), wieder ins

Amt. Um die gleiche Zeit wurde Nicolaus von Vicken jun. auf die Universität und an den

polnischen Hof geschickt; vermutlich wohl auch, um ihn in Riga aus der Schusslinie zu

bringen. Das Lavieren des Vaters zwischen den politischen Fronten dürfte sich dem Sohn

jedoch eingeprägt haben; er selber agierte später ganz ähnlich.

2.2 Ausbildung

Zu einer Karriere als „Politiker“ passt auch die Ausbildung unserer Hauptperson. Der junge

Nicolaus dürfte in Riga auf die Schule54

gegangen sein. In seinem „Cursus vitae et

studiorum“55

aus dem Jahr 1614 schreibt von Vicken, es seien „26 ihar vergangen, das; nach

dem meyn godtselige lieber vater mich in allen güten sitten, freÿen künsten vnd tügenden in

schola principali erzhien laßen, vnd nachmaln in frembde lande vnd zwar nahe konningspergk

in preußen aüf der hochen schulen verschickken wollen“. D.h. er müsste 1588 das Studium in

Königsberg aufgenommen haben. Zwar verzeichnet die edierte Matrikel der Universität

Königsberg56

weder 1588 noch zu einem anderen Jahr den Eintritt eines Nicolaus von Vicken,

49

Karl Eduard Napiersky: „Monumenta Livoniae Antiquae. Sammlung von Chroniken, Berichten, Urkunden

und anderen schriftlichen Denkmalen und Aufsätzen, welche zur Erläuterung der Geschichte Liv-, Ehst- und

Kurlands dienen. Zweiter Band“, Riga und Leipzig: Frantzen 1839, S. 96; A. Von Richter: „Geschichte der dem

russischen Kaiserthum einverleibten deutschen Ostseeprovinzen bis zur Zeit ihrer Vereinigung mit demselben.

Theil II. Die Ostseelande als Provinzen fremder Reiche. 1562-1721.I Band“, Riga: Khymmel, 1858, S. 96 50

Ph. Schwarz: „Beziehungen des Zaren Boris Godunow zu Riga“, in Sitzungsberichte der Gesellschaft für

Geschichte und Altertumskunde der Ostseeprovinzen Rußlands aus dem Jahre 1897, Riga 1898, S. 27-35; S. 30 51

Archiv für die Geschichte Liv-, Esth- und Curlands, Band IV, Heft 3, Dorpat: Kluge 1845, S. 289 5252

Karl Eduard Napiersky: „Monumenta Livoniae Antiquae. Sammlung von Chroniken, Berichten, Urkunden

und anderen schriftlichen Denkmalen und Aufsätzen, welche zur Erläuterung der Geschichte Liv-, Ehst- und

Kurlands dienen. Vierter Band“, Riga und Leipzig: Frantzen 1844, S. 129 53

August Wilhelm Hupel; „Neue nordische Miscellaneen, Bände 15-16“, Riga: Hartknoch 1797, S. 549 54

Zur Schulsituation in Riga um diese Zeit siehe: Martin Klörer: "Sturm in Riga : Einflüsse Johannes Sturms auf

das altlivländische Bildungswesen", in : Matthieu Arnold (Hrsg.), Johannes Sturm (1507-1589). Rhetor,

Pädagoge und Diplomat, Tübingen : Mohr Siebeck, 2009, S. 331-336 55

STABU Best. F3, Nr. 240, Brief von Nicolaus von Vicken an Graf Ernst, 20.10.1614 „in loco“ 56

Georg Erler, Die Matrikel der Albertus-Universität zu Königsberg i. Pr. III. Band, Register (München;

Leipzig: Duncker & Humblot, 1917)

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

7

allerdings immatrikuliert sich 1589 ein Nicolaus „Fillius“ aus Riga - ein Transkriptionsfehler

für „Ficcius“ scheint plausibel.57

Allerdings sind die Angaben aus dem „Cursus“ nicht ohne Hinterfragen zu übernehmen; so ist

der im Lebenslauf folgende Abschnitt ein reines Phantasieprodukt. Der Vater habe

„gar lange mitt sich selbst vnd anderen vornhemen hochgelartten leütten deliberirt vnd

zu rhate gegangen, In welcher facultet er mich studirn Vnd animum appliciren laßen

wolte vnd solte, wozu ihn dan nicht geringe vrsach, nemblich das er nebst meÿner

godtseligen vielgeliebten mutter zu vnterschiedtlichen viellmhalen drüber kommen

vnd gesehen, das eine weiße Nater mit der guldenen kronen |: davon die naturkundigen

vnerhorte wunder seltzame sachen schreiben :| mir, da ich 4 oder 5 iharen gewesen, in

den schoß geseßen, mitt mir gespilet, vnd da die elteren sich genahet wiederümb zu

loch gekrochen, welchs sie dan, fur ein nicht gering zeichen kunftiger weißheitt,

verstandes vnd erkündigung der natur heimligkeÿtten gehalten.“58

Die weiße Natter mit einer goldenen Krone greift verbreitete Sagen über Nattern und ihre

Kräfte auf59

, hinterlässt jedoch starke Zweifel am Wahrheitsgehalt von Vickens Schilderung,

die im Kontext des Briefes zu sehen ist, aus dem sie stammt. Von Vicken bewirbt sich damit

als Alchemist, und muss natürlich begründen, warum er zu dieser Naturlehre geeignet ist.

Um so mehr als die Darstellung mit der Feststellung fortgesetzt wird, Nicolaus sei in

Königsberg für Jura eingeschrieben worden, und habe dieses Fach 3 Jahre lang studiert. Diese

Fach passt natürlich eher zu einem angehenden „Politiker“, der Nicolaus von Vicken damals

noch war, denn Nicolaus Interesse an der „natur heimligkeytten“ erwachte erst später (mehr

dazu unten).

Dabei habe er „so woll das gantze Ius Ciuile et Canonicum, als auch Magdeburgense,

Polonicum vnd andere Iura mher nicht alleÿn comprehendirt vnd begriffen“60. Indizien für

weitere Stationen in von Vickens Lebenslauf ergeben sich danach zunächst aus Eintragungen

in das Stammbuch, die im Zeitraum April 1596 - Mai 1598, mit der Ausnahme von Dresden,

Torgau und „Cöln an der Spree“, sämtlich aus Leipzig stammen. So war bereits von anderen

Autoren ein Studium dort vermutet worden, was jedoch von Schwarz negiert wird.61

Allerdings zeigt ein Blick in die Matrikel sehr wohl einen „Nic. Viccius Rigen.“, der sich

bereits 1593 in Leipzig immatrikuliert.62

Bereits aus der Leipziger Zeit stammt auch der erste

erhaltene Brief Nicolaus‘; ein in Latein abgefasstes Empfehlungsschreiben für einen aus einer

alteingesessenen Rigaer Familie stammenden potentiellen Studenten.63

Interessant ist hier vor

allem der Adressat, Johann Georg Gödelmann (1559-1611)64

. Er war ebenfalls Jurist, u.a.

Professor in Rostock, und von der Stadt Riga mit der Wahrnehmung ihrer Interessen betraut;

ab 1592 war er außerdem für Christian II. von Sachsen tätig, u.a. als Gesandter in Prag. Damit

stellt er möglicherweise eine Verbindung her zwischen Vickens Heimatstadt Riga, seinem

57

Erler 1917, S. 109 58

STABU Best. F3, Nr. 240, Brief von Nicolaus von Vicken an Graf Ernst, 20.10.1614 „in loco“ 59 Z.B. in Schlesien, siehe Anton Peter: „Volksthümliches aus Österreich-Schlesien, Band II“, Troppau 1867, S.

32f; auch Paracelus kennt magische Nattern, siehe Karl R.H. Frick: „Das Reich Satans. Luzifer / Satan / Teufel

und die Mond- und Liebesgöttinnen in ihren lichten und dunklen Aspekten - eine Darstellung ihrer

ursprünglichen Wesenheiten in Mythos und Religion“, Graz, Akademische Druck- u. Verlagsanstalt, 1982, S.

352 60

STABU Best. F3, Nr. 240, Brief von Nicolaus von Vicken an Graf Ernst, 20.10.1614 „in loco“ 61

Schwarz 2002, S. 77 62

Georg Erler, Die iüngere Matrikel der Universität Leipzig, 1559-1809 (Leipzig 1909), S. 481. 63

Nilüfer Krüger: „Supellex Epistolica Uffenbachii et Wolfiorum. Katalog der Uffenbach-Wolfschen

Briefsammlung. Zweiter Teilband“, Hamburg: Hauswedell, 1978, S. 1060; Signatur des Briefes: Sup. ep. 103,

fol. 152-153 64

Artikel „Godelmann, Johann Georg“ von Theodor Distel in: ADB, Band 9 (1879), S. 316–317

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

8

Studienort Rostock und Prag. Dafür spricht auch, dass sich Gödelmann 1598 in Prag in das

Stammbuch Nicolaus von Vickens einträgt.65

Der Hof Rudolfs II. ist zweifelsohne – um der

Darstellung vorzugreifen - ein zentraler Ort des Lebens von Nicolaus von Vicken, hier hat er

sich am häufigsten aufgehalten (fast 40 Eintragungen in das Stammbuch stammen von dort),

und dort konnte er auch (fast) all fürstlichen und anderen Einträger in sein Stammbuch

kennenlernen, auch jene, für die er später tätig war. Und auch eine Verbindung zu Christian II.

von Sachsen gibt es (s.u.). Einzig weiterer nachweisbarer Studienort ist dann noch Rostock,

wo sich am 20.März 1598 „Nicolaus Viccius, Rigensis, Livonius nobilis“ immatrikuliert.66

Interessanterweise gibt es aus den Jahren 1598ff. keinerlei Stammbucheintragungen aus

Rostock, es ist daher unklar, wieviel Zeit er dort tatsächlich verbracht hat.

2.3 Aufenthalt am königlichen Hof in Polen

Handfester sind andere Aktivitäten, denen von Vicken während seines Studiums nachging.

Laut seinem „Cursus“ habe er an sein Studium in Königsberg anschließend seine juristischen

Kenntnisse in „aula polonica“ praktiziert und die dortigen Sitten und Gebräuche

kennengelernt. Auch habe er dort das „hofmeysters vnd Marschalcks ampt in polen“67

bedient.

Kann man annehmen, dass Vicken seine Angaben hier übertreibt, so dürfte dies auf seine

„kurze verandtwortung“ aus dem Jahr 1604 nicht zu treffen, da er seine Angaben dort

gegenüber dem Kaiser macht, und zwar „mit Godt vnd an Eydes Stadt bezeugendt“68

. Zudem

liegt es in der Natur des Textes, einer Rechtfertigung gegen Vorwürfe, er habe seinen

Dienstherrn, den König von Polen, nach seinem Übergang auf die Seite König Karls IX.

verraten, dass er versuchen dürfte, seine Tätigkeit am polnischen Hof möglichst unwichtig

erscheinen zu lassen. Er schreibt dort über diese Zeit, „daß ich 15 Jahrlanck am Polnischen

Hoffe wegen der Rechtlichen ACTIONEN vnd PROCESSEN, So wir Erben mit der Stadt Riga vnd

andern gehabt, nicht CONTINUÈ SED INTERRUPTIM INUITUS vnd wieder meinen willen auch mit

grossem schaden vnd vorderb meiner Jugendt vnd STUDIORUM sein mußen“69

. Das würde

erklären, warum er gleichzeitig auch in Leipzig und Rostock eingeschrieben sein konnte. Am

polnischen Hofe habe er übrigens keinerlei Geheimnisse erfahren, da er sich nur um seine

Prozesse gekümmert habe. Er versichert „daß ich Niemals Ihr königl wurd: geheimer oder

Cammer oder anderer Rath gewesen vielweniger von derselbigen, oder ihrer Würden Räthen

in solcher sachenn bin zu Rath getzogen, Vnd mir etwas, ohne was NOTORIUM PÚBLICÈ

tractiret, vnd in ORE OMNIUM geweßen ist, offenbahret worden“70

. Aufgrund der

widersprüchlichen Darstellungen bleibt unklar, welche Rolle von Vicken genau am polnischen

Hof gespielt hat.

3. Die Initiation eines Alchemisten

‹‹OH, ESOTERISCH››, LÄCHELTE AGLIÈ, UND BELBO ERRÖTETE.

‹‹SAGEN WIR ...HERMETISCH?››

‹‹OH, HERMETISCH››, LÄCHELTE AGLIÈ

65

Schwarz 2002, S. 108 66

Adolph Hofmeister, Die Matrikel der Universität Rostock. Bd. II, Mich(aelis) 1499-Ost(ern) 1611, Rostock:

Stiller, 1890 S, 258; in Rostock hatte sich bereits am 22.11.1560 ein Hermann Ficke aus Riga immatrikuliert,

siehe Hofmeister 1890, S. 141 67

STABU Best. F3, Nr. 240, Brief von Nicolaus von Vicken an Graf Ernst, 20.10.1614 „in loco“ 68

HSTAH Celle Br. 16 Nr. 552, f. 4v 69

HSTAH Celle Br. 16 Nr. 552, f. 4v 70

HSTAH Celle Br. 16 Nr. 552, f. 7v-8r

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

9

‹‹NA GUT›› MEINTE BELBO, ‹‹VIELLEICHT GEBRAUCHE ICH DIE

FALSCHEN TERMINI, ABER SICHER VERSTEHEN SIE DAS

GENRE.››

‹‹OH››, LÄCHELTE AGLIÈ ERNEUT. ‹‹DAS IST KEIN GENRE, ES

IST DAS WISSEN. SIE WOLLEN EINE SAMMLUNG DES NICHT-

DEGENERIERTEN WISSENS HERAUSBRINGEN. ››“

Umberto Eco, „Das Foucaultsche Pendel“

3.1 Heikle Mission beim „Deutschmeister“

Bereits zu polnischer Zeit kam es jedoch auch zu einer Tätigeit für einen anderen

Dienstherren, die auch Vickens Darstellung seiner Treue zu König Sigismund in einem

anderen Licht erscheinen lässt. Die „kurze verandtwortung“ an den Kaiser erwähnt einen

Kontakt mit Erzherzog Maximilian (III. von Habsburg), jedoch in sehr bescheidenen

Ausmaßen. Im Jahr 1598 sei er „an E.k.Myt. abgesandt geweßen, dieselbe zu Poidebrad

angetroffen, vnd noch maln von derselben zu Königl. Würden Ertzhertzogk Maximilian in

Oberungern abgefertigt worden, wie solches in der Reichshoffkantzley wirt zufinden sein.“71

Dagegen hat er sich laut „Cursus“ von der „Rom:Kay:Maytt, vnd Erzherzogen

Maximileanum“ in „in anßenlichen gantz wichtigen handlen, fur einen abgesantten

gebrauchen laßen“ und „nach verrichter legation in Vngarn, in der belagerung für ofen mich

eingestellet, der belagerung beÿgewhonet“72

. Dass von Vicken auf seiner Rückreise von seiner

ersten Begegnung mit Maximilian tatsächlich an der Belagerung Ofens im Jahr 1599 teilnahm,

wie er es behauptet, lässt sich nicht überprüfen. Allerdings stammt aus diesem Jahr ein

Stammbucheintrag durch Adolf Graf von Schwarzenberg73

, den kaiserlichen Feldherrn bei der

genannten Schlacht. Gesichert ist jedoch seine Beziehung zu Erzherzog Maximilian (1558-

1618), Ordens- und Hochmeister des Deutschen Ordens74

. Dieser war ein Bruder Kaiser

Rudolfs und residierte teils in Mergentheim, dem Sitz des Ordens nach dem Verlust Livlands,

teils in den habsburgischen Stammlanden in Östereich, die er für seinen Bruder zeitweise

verwaltete. Maximilian hatte zweimal versucht, sich zum polnischen König wählen zu lassen,

1587 war es zu einer Doppelwahl gekommen; der andere gewählte Kandidat (Sigismund)

setzte sich nach einer militärischen Niederlage Maximilians durch, bei der dieser kurrzeitig in

Gefangenschaft geriet. Auf Druck des Kaisers musste Maximilian unter Eid auf Polen

verzichten, da seine Ansprüche einem möglichen Bündnis des Kaisers mit Russland im Wege

standen. In dieser Situation kommt nun Nicolaus von Vicken ins Spiel und wir sehen ihn

zunächst wieder als Politiker im Einsatz75

. 1598 wendet sich von Vicken, als Abgesandter des

Palatins von Wilna, Christof Radzivil, zunächst an Karl von Sarntein, den diplomatischen

Agenten Maximilians am Kaiserhof, und im November 1598 in Kaschau direkt an Maximilian

(wo dieser als Oberbefehlshaber des Heeres gegen die Türken residierte). Unter Berufung auf

die Grafen Erich und Gustav Brahe (und sicherlich ohne Wissen des polnischen Königs,

seines Dienstherrn) berichtet Vicke, dass König Sigismund in Schweden zu bleiben plane und

Polen aufzugeben bereit sei; die Grafen Brahe würden gegen Geld daraufhin wirken, dass

Polen ohne weitere Bedingungen an Maximilian fallen würde. Er verlangte daraufhin

Antwortbriefe an die Grafen, die er jedoch nicht erhielt. Stattdessen wurde ihm mitgeteilt,

dass Maximilian sich erst mit seinem Bruder (dem Kaiser) beraten müsse. Den Grafen könne

er mitteilen, dass sie für evtl. Hilfe im Erfolgsfall belohnt würden, Kosten würden ihnen aber

nicht erstattet.

71

HSTAH Celle Br. 16 Nr. 552, f. 8r 72

STABU Best. F3, Nr. 240, Brief von Nicolaus von Vicken an Graf Ernst, 20.10.1614 „in loco“ 73

Artikel „Schwarzenberg, Adolf Graf v.“ von Adolf Schinzl, Franz von Krones in: ADB, Band 33 (1891), S. 259–262 74

Artikel „Maximilian, Erzherzog von Oesterreich“ von Heinrich Ritter von Zeißberg in: ADB, Band 21 (1885), S.

72–76 75

Die folgende Darstellung gründet sich auf Hirn 1893, vor allem S. 279ff.

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

10

Für von Vicken war die Unternehmung trotz dieser recht vagen Antwort sehr nützlich. Zum

einen wurde ihm schon auf dem Weg zu Maximilian in Wien eine „Zehrung“ für seine

Unkosten ausgezahlt. Und vor allem wünschte der Erzherzog sich Vickens Dienste dauerhaft

zu sichern, wofür er sogar per Dekret (das aber beim Erzherzog verblieb) zum wirklichen,

besoldeten Diener Maximilians ernannt wurde. Und schließlich erfolgte auf der Rückreise

nach Polen seine Inititiation als Alchemist, Astrologe und Magier.

3.2 Astrologische/ hermetische Einflüsse

Laut eigner Aussage im „Cursus“ erlernte von Vicken die Astronomie bzw. Astrologie im

Alter von 28 Jahren, also um 1599/1600, was gut zur Reise nach Österreich zu Erzherzog

Maximilian passt. Dabei blieb es jedoch nicht, sondern es folgte eine „Initiation“ auch als

Alchemist, ausgelöst durch ein Studium der Werke Paracelsus‘:

„Vnd demnach ich anno etat. meæ 28 in meÿner wiederkunft ex Vngaria et Aüstria,

die gottliche vnd niemaln genugsame lobwürdige kunst Astrologiam erlernet vnd so

weit in acht tagen darÿn progredirt das ich ein Iudicium Generaliarum stellen vnd dem

Itzigen Regi Poloniae naufragium & amissionem regni Sueciæ verkündigen konnen;

Habe ich immefort, den sachen weiter nachgesetzet, vnd durch anreizung eines

osterreichschen Baronis die philosophiam Sagacem et Astronomiam Magnam

Theophrasti Paracelsi, hominis plus quàm diuino ingenio praeditj zulesen angefangen,

welche lection, mich dan also vnd derogestalt delectiret, das ich mich nicht genügsamb

damitt ersetigen konnen: sondern weitter fortgeschritten vnd seyne opera alle fleißig

dürchgelesen, concordantiar drauß gemacht v[n]d seÿn mentem vnd sinn in

abstrüsiontien assequiret“76

.

In der Tat sind zahlreiche Bezugnahmen auf Paracelsus in von Vickens späteren Briefen nicht

zu übersehen. Gerade gegen Ende des 16. Jahrhunderts erlebten die Werke Paracelsus‘ eine

Wiederentdeckung und beeinflussten zahlreiche Magier und Wissenschaftler77

. Auch die

Werke des Paracelsus-Nachfolgers Leonhard Thurneysser muss von Vicken gekannt haben;

1609 wird ihm von Melchior Leporinus in Braunschweig ein Band mit mehreren Schriften

Thurneyssers, darunter eine „Magna Alchymia“ geschenkt; 1611 schenkt er ihn weiter.78

Wie

Nummedal79

zeigt, gab es zahlreiche Wege zum „Berufsbild“ des Alchemisten, und das Lesen

einschlägiger Bücher, auch und vor allem Paracelsus, gehörte dazu, vor allem für die

gelehrteren Adepten. Auch die Behauptung von Gott direkt berufen oder erleuchtet zu sein,

wie sie auch von Vicken anführt, so spricht er in einem Brief an Graf Ernst von „kunsten, die

godt mir auß gnaden offenbharet“80

, ist für Alchemisten nicht untypisch.81

Die Kombination

von Alchemie und Astrologie war aufgrund der Vorstellung, dass die Dinge auf der Erde

durch die Vorgänge im Himmel beeinflusst wurden, nicht ungewöhnlich.82

Wie wir sehen

werden, begann von Vicken sofort seine neuen Kenntnisse in seine Tätigeit als Politiker

einzubringen. An späteren Stationen des Lebenslaufes, am ausführlichsten am Briefwechsel

76

STABU Best. F3, Nr. 240, Brief von Nicolaus von Vicken an Graf Ernst, 20.10.1614 „in loco“ 77

Philipp Ball: „The Devil’s Doctor. Paracelsus and the World of Renaissance Magic and Science”, London:

Random House / Arrow, 2007, S. 358f. 78

Paul H. Boelin: „Leonhard Thurneysser als Auftraggeber. Kunst im Dienste der Selbstdarstellung zwischen

Humanismus und Barock“, Basel und Stuttgart: Birkhäuser 1976, S176f 79

Tara Nummedal: „Alchemy and Authority in the Holy Roman Empire“, Chicago and London: Chicago

University Press 2007, S. 17ff, zu Paracelsus vor allem 23f. 80

STABU Best. F3, Nr. 240, Brief von Nicolaus von Vicken an Graf Ernst, 20.10.1614 „in loco“ 81

Nummedal 2007, S. 27ff. 82

Moran 2005, S. 49.

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

11

mit Graf Ernst zu Holstein-Schaumburg (s.u. Kapitel 6), lässt sich der gesamte Kanon, an

„wunderbaren“ Themen ablesen, den Nicolaus von Vicken dabei im Gebrauch hatte.

3.3 Beiträger zu den Schriften des Basilius Valentinus?

Sehr interessant ist eine mögliche Verbindung von Vickens zu den Schriften des angeblichen

Benediktinermönches Basilius Valentinus aus dem 15. Jahrhundert, der mittlerweile als

Erfindung des späten 16. Jahrhunderts erkannt ist. Seine zahlreichen alchemistischen und

paracelsistisch beeinflussten Schriften werden verschiedenen Autoren zugeschrieben, darunter

Joachim Tancke, Rektor der Universität Leipzig und Johann Thölde, dem Herausgeber der

Schriften des Basilius. Außerdem wurde ein Teil des Textes von Basilius‘ Letztem Testament

als Kopie des „Büchleins von dem Bergwergk“83

eines „Nicolas Solea[s]“ identifiziert. Dieser

ist teilweise mit einem allerdings nur 1566 in Altenstein in Thüringen genannten Pfarrer und

Alchimisten identifiziert worden.84

Dabei wird sein Name in zeitgenössischen Schriften auch

als „Nikolaus de Solea“ wiedergegeben.85

Interessanterweise nun wird Nicolaus von Vicken in einigen der Akten als „Nicolaus Vicken

de Solaea“ bezeichnet.86

Könnte er mit dem Autoren des „Büchleins von dem

Bergwergk“ identisch, und damit Beiräger zum unter dem Namen Basilius Valentinus

veröffentlichten Korpus sein? Einiges scheint, neben der Namensähnlichkeit, in der Tat für

diese Hypothese zu sprechen: Zum einen hatte von Vicken zeitlich durchaus Gelegenheit zu

seiner Leipziger Zeit, oder sogar davor, den entsprechenden Text zu schreiben. Zudem hat

sich der oben erwähnte Joachim Tancke in sein Stammbuch eingetragen.87

Von Bergwerken

scheint von Vicken ebenfalls etwas verstanden zu haben, denn ab 1616 fungiert er als

„Consiliarius Metallicus“ für Kaiser Matthias, und 1614 erwähnt er in seinem Schreiben an

Graf Ernst als eine mögliche Aufgabe, dass „Eur hochg.gn. von mir gnedig begert das

bergwerck zübauwen“88

, und schon 1609 ist er im Harz in ähnlicher Sache tätig, s.u. Kapitel 6.

Und schließlich ist er sehr stark von Paracelsus beeinflusst, wie bereits erwähnt. Bis zum

Auffinden weiterer Quellen muss diese Verbindung jedoch eine, wenn auch interessante,

Spekulation bleiben.

3.4 Das neue Wissen im Einsatz

Sicher ist jedoch, dass Vicken sofort nach 1598 begann, seine neuen „herme-

tischen“ Kenntnisse zur Beförderung seiner politischen Karriere einzusetzen. Nach seiner

Rückkehr nach Polen begann er, Berichte an Maximilian zu senden, die teils auch

„magischen“ Inhalt hatten. Hirn fasst zusammen89

:

>>Seine Gewährsmänner sind zwei Magier, „so speculum Magiae gehabt.“ Nicht

leichtfertig, so versichert er, habe er ihnen Glauben geschenkt, sondern sie vorerst

„ausgeforscht.“ Diese Ausforschung bestand darin, dass sie ihm sagen sollten, was er

in Kaschau gethan habe. Nun wussten sie nicht allein darüber guten Bescheid, sondern

83

Erstmals publiziert 1600 von Elias Montanum bei Johann Scheer in Zerbst, VD16 ZV 14495 84

F. Fritz: “Basilius Valentinus”, in: Angewandte Chemie, Band 38, 1925, Heft 1, S. 325-329; Claus Priesner:

„Johann Thoelde und die Schriften des Basilius Valentinus“, in: Christoph Meckel (Hrsg.): „Die Alchemie in der

europäischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte“, Wiesbaden: Harrassowitz 1986 (= Wolfenbütteler

Forschungen, 32), S. 107–118 85

Siehe z.B. Carlos Gilly: „Hermes oder Luther. Der philosophische Hintergrund von Johann Arndts Frühschrift

>>De antiqua philosophia et divina veterum Magorum Spaientia recuperanda<<“, in Hans Otte / Hans Schneider

(Hrsgg.): Frömmigkeit oder Theologie“, Göttingen: V&R Unipress 2007, S. 163-200, S. 170 86

Etwa HSTAH Best. Celle Br. 71, Nr. 123 aus dem Jahr 1609; von eigener Hand unterschreibt er so in STAWO

1 Alt 5 Nr. 102c, f.90v 87

Schwarz 2002, S. 101f. und 324; der Eintrag ist undatiert. 88

STABU Best. F3, Nr. 240, Brief von Nicolaus von Vicken an Graf Ernst, 20.10.1614 „in loco“ 89

Hirn 1893, S. 282f.

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

12

sie präsentierten auch die Prophezeiung, dass Maximilian sicherlich König von Polen

werde, sei es dass der jetzige König stirbt, sei es, dass er das Reich verlässt, „welches

von beiden sich nicht lange verziehen wird“. Der Zauberspiegel hatte freilich auch

Gefahr angezeigt: „denn es stünden Eurer fürstlichen Durchlaucht Gefängnis zu,

darum Aufsehen von nöten“ [...]. Der eine der beiden Magier redete auch von einer

baldigen Vergiftung des Wasa und von einer türkischen Gefangenschaft Maximilians.

Die „zwei Captivitates“ (die eine war schon überstanden) bestätigte auch noch ein

„justus befundener Mathematicus“ in Breslau, „der auch guten Trost gibt de regno

Poloniae, doch will er noch nit heraus damit.“ Bald hatte Ficke noch weitere

astrologische Beweise, dass jedenfalls das kommende Jahr dem Deutschmeister die

Königskrone bringe werde.<<

Das Muster aus positiven und negativen Prophezeiungen, quasi „Zuckerbrot und

Peitsche“ sollte später typisch für von Vickens Interaktion mit seinen „Kunden“ sein, auch der

„Zauberspiegel“ wird uns wieder begegenen. Die Tätigkeit für Erzherzog Maximilan scheint

jedoch für von Vicken keine ausreichende ökonomische Grundlage geboten zu haben und

auch der polnische Hof bot nicht mehr lange eine gute Heimat, so dass sich der nunmehr

knapp 30-jährige Politiker (und neu gebackene Astrologe und Alchemist) nach einem neuen

Herrn umsah.

4. Schwedisches Intermezzo 1599 musste König Sigismund III. von Polen seinen Anspruch auf den schwedischen Thron

aufgeben. Dort folgte ihm sein Onkel Herzog Karl90

, zunächst als Reichsverweser, und ab

1604 als gekrönter König Karl IX. von Schweden. Im Jahr 1600 begann der erste von einer

Reihe von Kriegen Schwedens gegen Polen, in deren Verlauf Schweden mehrfach versuchte,

Riga und Livland unter seine Kontrolle zu bringen (dies gelang letztlich 1621). In dieser Zeit

(1599) wandte sich von Vicken laut eigener Aussage über verschiedene Mittelspersonen an

den polnischen König (seinen Noch-Dienstherrn), „zu erweisung meiner vnderthenigsten trew,

vnd affection, auch erhaltung würcklicher execution meiner erlangten decreten vnd

vrtheilen“ und hat sich dabei

„so woll schrifftlich alß Mundtlich dahin erbotten, das von ihr Würden die Decreta, so

wir in vnsern Rechtsachen erhalten Würcklichen würden EXEQUIREN, vnd

vollentziehen laßen, Ich auff meine eigene vncosten mich in Schweden begeben, Ihme

dem König alle vnderthanen geneigt vnd Hertzog Caroln vngeneigt machen, Vnd zu

seinen Königreich durch sonderlich MEDIA ohne Schwerdtschlagk verhelffen wolle“91

.

Der König habe als Antwort auf dieses „wunderbare“ Angebot daraufhin Samuel Laski (1553-

1611)92

zu ihm geschickt, da er zunächst offengelegt haben wollte, wie dieser Plan denn

funktionieren werde. Da er diesem Wunsch nicht hätte nachkommen können, ohne den Erfolg

zu gefährden, sei sein Vorschlag vom polnischen König abgelehnt worden. Daraufhin sei er in

die schwierige Situation geraten, dass er „nicht sicher in Polen, Littau, vnd theils Lieflandes

sein“93

konnte, und habe sich im November 1600 auf Schloss Nitau94

versteckt, das als Lehen

im Besitz eines Verwandten gewesen sei. Von dort aus habe er sich dann in den Dienst des

Königs Karl IX. von Schweden begeben.

90

Erik Gustav Geijer: “Geschichte Schwedens (dt.). Zweiter Band”, Hamburg: Perthes 1834, vor allem S. 308ff. 91

HSTAH Celle Br. 16 Nr. 552, f. 5r 92

Oskar Bartel: „Jan Laski (dt.)“, Berlin,1981, S. 263f. 93

HSTAH Celle Br. 16 Nr. 552, f. 6r 94

Heinz Pirang: “ Das baltische Herrenhaus. Band 2”, 1976, S. 64

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

13

Wiederum nach den Angaben im Cursus habe er dem „konningk in schweden Carolo zuzhien

ein Zeittlang in Liuonia, dem krige beywhonen, vnd so woll Cancellarÿ, als Commissarÿ

supremi bellici Münüs in Germania verwalten mußen“95

. Im biographischen Teil seines

Stammbuchs liest sich dies so: „Serenissimi ac Potentissimi Suecorum Gothorum et

Wandalorum REGIS, CAROLI olim Consilary, et in Livonia Cancellary, Anno 1601. Supremi

Commissary, Bellici in Germania, Anno 1601“, (von der vorherigen Zeit in Polen ist dort

übrigens nicht die Rede)96

. In seiner vom 25.2.1604 datierten Widmung97

eines Exemplares

der „Uranometria“ des Johann Bayer an die Universität Breslau bezeichnet sich Vicken u.a.

als „Serenissimi Suecorum Gothorum Vandalorumque Electi Regis Caroli98

Consiliarius et

Comissarius Bellicus Supremus”. Laut der „kurzen verandtwortung“ trat von Vicken bereits

gegen Ende des Jahres 1600 in den Dienst König Karls; er sei „... Hertzogk Caroln

zugetzogen, vnd meine dienste im Decembri präsentiret.“ und sei von ihm „mit allen gnaden

auffgenommen, vnd sein Rath worden“99

. Dieses sei während des Feldzuges Karls in Livland

geschehen, und zwar in Weißenstein100

.

Interessant ist die Beschreibung seiner Tätigkeit, denn sie weicht stark von der oben zitierten

als oberster Kriegskommissar ab; er schreibt - wiederum vor dem Hintergrund des Vorwurfs,

er habe Karl IX. zu Livland verholfen, entgegen seiner vorherigen Tätigkeit für Polen -

„so kan mit Warheit nit erwiesen werden, das ich von Hertzogk Carlln in kriegsachen

vnd eroberung des Liefflandes zue Rath getzogen sey, Sondern mir zu außtheilung der

guter vnd verfertigung der Priuilegien, Insonderheit aber zu Administrirung der

Justitien bin deputiert worden, das nachdem, ich dabeuorn in Lieffandt weiter nicht als

14 Meilen Von Riga kommen gewesen, auch des Landes Paß vnd gelegenheit |:

Welches alles dan einer der ein Land einehmen, oder Rath datzu geben will, gewiß

vnd woll wissen muß :| nicht gewußt, wie kan ich dan den König vmbs Liefflandt

gebracht haben“101

Wo liegt nun die Wahrheit über die Tätigkeit, die von Vicken für den schwedischen Herzog

ausführte? Im Jahr 1600 notiert ein livländischer Edelmann, der vor dem Krieg geflohen war,

in seinem Tagebuch, dass er vom herzoglichen Sekretär „Claus Fick“ brieflich mit dem

Verlust seiner Güter bedroht worden war, wenn er nicht vor Herzog Karl erscheinen würde.102

Dass von Vicken durchaus auch in die Eroberungsversuche Karls involviert gewesen sein

muss, darüber geben auch Briefe Auskunft, die er an den Herzog schrieb, so einen am 18.

Februar 1601, in dem er die Einnahme bzw. die freiwillige Übergabe mehrerer Ortschaften

bzw. Adelssitze meldet103

; am nächsten Tag übersendet er einen Bericht über die Stimmung in

Riga.104

Umgekehrt war Vickens Rolle in Riga um diese Zeit bekannt; am 12. März 1601 sagt

ein in Riga befragter Zeuge aus „Claus Ficke soll ein secretarius und bei Carolo wol dran

sein“.105

.

95

STABU Best. F3, Nr. 240, Brief von Nicolaus von Vicken an Graf Ernst, 20.10.1614 „in loco“ 96

Schwarz 2002, S. 78 97

Siehe Fitzwilliam Museum: “McClean Bequest. Catalogue of the Early Printed Books Bequeathed to the

Museum by Frank McClean, M.A., F.R.S.”, Cambridge: University Press 1916, S. 73 98

In der Tat war Karl von Schweden wie oben erwähnt 1604 zwar zum König gewählt, wurde aber erst 1607

gekrönt. 99

HSTAH Celle Br. 16 Nr. 552, f. 7r 100

Wilhelm Neumann: „Burg Weißenstein“: Sitzungsberichte Riga von 1896 (1897), 30—33 101

HSTAH Celle Br. 16 Nr. 552, f. 10r 102

Friedrich Bienemann jun.: „Philipp Uraders Tagebuch. Eine Skizze aus Livlands Vergangenheit zu Begin des

17. Jahrhunderts“, in: Baltische Monatsschrift Band 55, S. 59-77, S. 64 103

Bienemann 1900, S. 498 104

Bienemann 1900, S. 500 105

Bienemann 1900, S. 509f.

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

14

Nähere Details sind von einem Vorgang bekannt, der in der zweiten Jahreshälfte 1601 begann,

Nicolaus Vicken und seinen Bruder Heinrich noch Jahrzehnte später verfolgen sollte und

seinen Ruf als „schlechter Mann“ endgültig begründete. Glücklicherweise haben sich hierzu

mehrere Quellen erhalten. Dazu gehören zunächst Briefe im schwedischen Kriegsarchiv in

Stockholm106

sowie Berichte, die der Stockholmer Stadtschreiber (und polnische Spion) Hans

Bilefeldt nach Polen schickte107

. Einen Nachklang der Ereignisse findet man auch in Briefen

des Domkapitels in Mageburg aus den 1620er Jahren.108

Interessante Details lassen sich

schließlich einem Brief109

entnehmen, den Herzog Franz II. von Sachsen-Lauenburg110

an

Heinrich Julius von Braunschweig als Antwort auf eine Bitte um eine Referenz schickte (s.u.

Kapitel 5.3).

Alles beginnt mit einer „Instruction“ von Herzog Karl an „Nicklaus Ficke“ (und zwei andere

Untertanen), datiert am 4. Juni 1601 in Reval.111

In dieser wird ihm aufgetragen, sich zunächst

nach Rostock zu begeben und nach Erledigung einiger Geschäfte nach Ratzeburg zu Herzog

Franz weiterzuziehen. Mit diesem war bereits verabredet, dass Reiter und Landsknechte

anzuwerben seien, und dass diese dann unter dem Kommando des herzoglichen Sohnes

August vor dem Winter nach Schweden verschifft werden sollten. Nicolaus Vicken als

Bevollmächtigter Herzog Karls soll die genannten Reiter und Knechte mustern, und ihnen

danach Geld auszahlen, und zwar „jedlichem Reuter 5 taller zum anrid gelde, den knechten

aber ein thaler laufgeld“; diese Gelder sollen nicht auf den Sold angerechnet werden. Sind die

neu geworbenen Truppen zur Verschiffung bereit, so ist ihnen außerdem ein Monatssold als

Zuschuss auszuzahlen, und zwar „9 taller auf ein pferdt“ sowie zwei Taler pro Landsknecht.

Auch die Ausrüstung an Waffen wird beschrieben, die Teils vor der Verschiffung, teils erst in

Schweden auszuhändigen ist, und vom Sold abgezogen werden soll. Als nächstes soll von

Vicken herausfinden, ob die Truppen am besten aus Rostock, Wismar, Stralsund oder

Greifswald zu verschiffen sind; in der gewählten Stadt sind dann die nötigen Verabredungen

zu treffen und Schiffe anzumieten. Zu diesen Zwecken hatte von Vicken folglich erhebliche

Barmittel mitzuführen. Auch wenn in dieser Instruktion Heinrich Vicken nicht erwähnt wird,

so wissen wir aus dem obern erwähnten Bericht Hans Bilefeldts, dass er in ähnlicher Mission

für Herzog Karls in Nordost-Deutschland unterwegs war. Nicolaus wird am 2.7 ein Pass für

die Reise nach Deutschland ausgestellt112

, so dass er frühestens danach gereist sein dürfte. Am

30.9. schickt ihm Herzog Karl einen weiteren Brief113

, in dem er zunächst den Eingang zweier

Schreiben Nicolaus‘ vom 15. und 23. August bestätigt, woraus er verstanden habe, was dieser

„wegen annemung unsers kriegs volckes vnd sonsten an vns gelangen lassen“. Da von Vicken

insbesondere geschrieben habe, dass „noch zu annemung des volckes etliche gelde mangeln

sollen“, habe er seinen Verwandten Fürst Johann (III. Von Schleswig-Holstein-

Sonderburg114

) gebeten, von Vicken weitere 4600 Taler auszuzahlen. Auch drängt der Herzog,

da der Winter herannahe, bald die Einschiffung der geworbenen Truppen nach Schweden

einzuleiten. Zu diesem Zeitpunkt scheint das Verhältnis von Herzog Karl und Nicolaus von

Vicken also noch ungetrübt gewesen zu sein. Kurze Zeit später ist dies jedoch nicht mehr der

106

In Riksregistraturet, vol. 94 107

Sjödin 1939 108

S.u., Kapitel 8. 109

STAWO Best. 1 Alt 5a, Nr. 102a,f. 5r-8r 110

Johann Samuel Ersch: „Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge,

Band 48“, J. f. Gleditsch, 1848, S. 60 ff. 111

Riksregistraturet, vol. 94, f. 292r - 294r 112

Riksregistraturet, vol. 94, f. 351v-352r 113

Riksregistraturet, vol. 94, f. 426v-427v 114

Artikel „Johann der Jüngere, Herzog zu Schleswig-Holstein-Sonderburg“ von Paul Hasse in: ADB, Band 14 (1881),

S. 409–412

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

15

Fall. In einem weiteren Schreiben, das nur wenige Tage später, am 8.10. datiert ist115

, rügt der

Herzog seinen Bevollmächtigten in scharfen Worten:

„wir haben [...] deiner underschiedlichen schreiben empfangen, vnd daraus große

weitleuffigkeit vernommen, welches wir erachten vnnötig zu beandwortten, wir haben

dir eine INSTRUCTION gegeben, darnach gebuert dir als ein diener sich zurichten vnd

verwundert vns nicht wenig, daß du dich vnderstehest vns furzuschreiben, waß fur

leuthe wir in oder vnseren dinst sollen gebrauchen oder annemen, dan wir Gott lob des

verstandes sein, daß wir wißen, waßen wir in solchen sachen thun oder lassen sollen“

Scheinbar hat von Vicken selbstständig Offiziere entlassen, neue ernannt und mit den

anvertrauten Geldern bezahlt, und Herzog Karl schreibt dazu:

„solches hatt dir nicht gebuert, haben dir auch deßen keinen beuelch gegeben, sondern

allein hertzog Frantzen zu Sachsen, das anrittgeld mit sambt den monad sold

zukommenzulassen welches aber nicht geschehen“.

Zudem habe Herzog Karl aus dem Schreiben verstanden, dass die geworbenen Offiziere auch

keine Reiter stellen könnten, „und hast also wider vnsern willen gehandelt“, insgesamt habe

man nun nur wenige Truppen zu erwarten, und wenn von Vicken dafür die 6000 Taler

verbraucht habe, so sei dies auch nicht instruktionsgemäß gewesen. Stattdessen wird von

Vicken daher nunmehr befohlen „daß du die gelde auf hertzog Frantzen seine Reuter

außteilest“. Auch habe von Vicken zu melden, ob die Reiter bereit seien, zu dem Ort zu ziehen,

den man Herzog Franz mitgeteilt habe. Karl verweist auch noch mal auf den im letzten Brief

avisierten Wechsel über 4600 Taler und bemerkt abschließend zu den bereits angesprochen

weitläufigen anderen Themen von Vickens: „waß du ferner schreibest von der Legation an den

Kayser vnd waß mehr ist, was darzu gehöret, da wollen wir woll zu gelegenheitt vns wissen

einzuschicken.“

Mehr zu diesem Vorgang, und wie er weiterging, erfahren wir dann aus dem oben erwähnten,

6. April 1603 in Lauenburg datierten, Schreiben Herzog Franz‘ II. Es enthält zahlreiche

Beschwerden über Nicolaus von Vicken und bezieht sich auf die Geschehnisse des

Jahreswechsels 1601/2. Damals sei von Vicken mit einem Schreiben von Herzog Karl zu ihm

gekommen und hätte die Werbung von 500 Pferden und 600 Soldaten angeboten. Diese habe

man tatsächlich durchführen wollen, damit Franz‘ Sohn August dieselben nach Schweden

hätte führen können. Jedoch sei es zu finanziellen Unregelmäßigkeiten gekommen. Zum einen

habe von Vicken aus den von ihm mitgeführten 8000 Talern an „anrit: lauf: vnd

vortheilgeldt“ nur 1500 Taler tatsächlich an die Offiziere ausgezahlt, und den Rest stattdessen

auf „schöne prechtige kleider vnd Junge leute vorwandet“116

. Weiterhin habe er 2000 Taler

unterschlagen, die er angeblich für die zur Überfahrt nötigen Schiffe und Proviant benötigte

und vom Herzog erhalten hatte. Dazu kommen Beschwerden über von Vickens Verhalten.

Obwohl man diesen nach Gebühr traktiert und geraume Zeit an der fürstlichen Tafel

verköstigt hätte, habe er dies mit grobem Undank quittiert. So habe er Angestellte und

Adelige des herzoglichen Hofes, die ihm aufgewartet hätten, nach Geheimnissen ausgehorcht

und „hinderrucks heimblich vnd meuchlich boten vnd briefe von Vnßer Festung Razeburg in

Schweden geschicket“117

. Zudem sei er während des Aufenthalts mit „selzamen

verdechtlichen hendeln, so bey Vnß vnd andern verstendigen das ansehen geberet, es

115

Riksregistraturet, vol. 94, f. 434v-436r 116

STAWO Best. 1 Alt 5a, Nr. 102a, f. 6r 117

STAWO Best. 1 Alt 5a, Nr. 102a, f. 7r

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

16

Teufelsche vnd schwarzkunstle wheren, vmbgangen“118

. Dazu habe er noch „andere

vnziembliche sachen mher, die einem Kriegs COMMIßARIO vnd ehrlichen vom adel, wie er

sein wollen, nicht geziemen, getrieben, vnd sich damit gekleidet“119

, so dass man sich bei

Herzog Karl beschwert und von Vicken bis zur Klärung auf Schloss Ratzeburg in Arrest

genommen hätte. Dieser sei jedoch „zu sambt seinem Jungen, gleich anderen, die sich

übelthadt bewußt, vnd schwerer straf zubefahren, aus der CUSTODIA gebrochen, bublich

dauon gelauffen“120

.

Damit könnte man annehmen, dass nicht nur der Aufenthalt Nicolaus von Vickens beim

Herzog von Sachsen-Lauenburg, sondern aufgrund der veruntreuten schwedischen Gelder,

auch der Dienst für Herzog Karl zu Ende gegangen war. Passend hierzu zitiert der Sohn

August, nunmehr Herzog in Ratzeburg, im Jahr 1624 aus einem altem Brief des schwedischen

Königs an seinen Vater, „wofern in Sachsen, wie Vns glaubwurdig berichtet wird, keine

Baume, woran sie [= Nicolaus und Heinrich von Vicken] gehangen werden

konnten“ vorhanden seien, so wolle er „etzliche herauß senden“.121

Andererseits wird noch im

Mai 1603 ein „Claus Vicke“ genannte, der sich als „schwedischer Kriegsbestallter“ in

Stralsund aufhält. An gleicher Stelle wird auch der Bruder Dietrich in gleicher Rolle genannt,

so dass also scheinbar alle drei Vicke-Brüder in schwedischen Diensten standen.122

Die also

evtl. im Jahr 1603 trotz aller Vorfälle noch andauernde Tätigkeit für den schwedischen König

hielt von Vicken nicht davon ab, spätestens 1602 nach neuen oder weiteren Arbeitgebern zu

suchen, wie wie im nächsten Abschnitt sehen werden. Und noch 1606 hielt der Herzog von

Sachsen-Lauenburg seinen Bruder Heinrich in Haft, sowie den ebenfalls aus Riga

stammenden und in schwedischen Diensten stehenden Bernhard Helfrich123

; Heinrich kam

schließlich erst auf Fürsprache Dritter gegen Ablegung eines Revers frei.124

5. Diener vieler Herren 5.1 Das Jahrzehnt der Astronomie

Im Jahrzehnt nach seinem schwedischen Abenteuer war von Vicken für mehrere Dienstherren

tätig, wobei wir über viele der Stationen nur bruchstückhaft Bescheid wissen. Dies ist

bedauerlich, fällt in diese Zeit doch eine erste Häufung seiner astronomischen und astrolo-

gische Kontakte. So fällt in die Zeit um 1605 der erste erhaltene briefliche Austausch mit

Johannes Kepler. In einem Schreiben vom 11.12.1605 aus Leipzig bestellt von Vicken Grüße

von Joachim Tancke, bei dem er sich scheinbar aufhielt. Außerdem erkundigt er sich bei

Kepler nach dessen Meinung dazu, ob die Nova von 1604 eine Eigenbewegung hat oder nicht,

wobei er Schriften von David Herlitz (Herlicius) und Johann Krabbe125

zitiert. Kepler bezieht

sich auf die genannten Werke dann in seiner 1606 erschienen Nova-Schrift, so dass nicht

ausgeschlossen werden, kann, dass er durch von Vicken auf sie aufmerksam wurde.

118

STAWO Best. 1 Alt 5a, Nr. 102a, f. 7r-v 119

STAWO Best. 1 Alt 5a, Nr. 102a, f. 7v 120

STAWO Best. 1 Alt 5a, Nr. 102a, f. 8r 121

Landesarchiv Magdeburg, Best. Rep. A 3a Domkapitel zu Magdeburg, Tit. I, Nr ad 18; Neubauer 1890, S. 17

bezieht diese Stelle auf Gustav Adolf, was jedoch keinen Sinn macht, da dieser erst 1611 den Thron bestieg; es

muss sich auf Karl IX. beziehen. 122

Max von Stojentin: „Aus Pommerns Herzogstagen. Kulturgeschichtliche Bilder“, Stettin: Herrcke & Lebeling,

1902, S. 97f. 123

Dies ergibt sich aus einem Schreiben Nicolaus von Vickens an Philipp Lang zu Langenfels, siehe AT-

OeStA/HHStA HausA Lang-Akten 2-2-65; siehe auch unten, Kap. 5.4 124

Landesarchiv Magdeburg, Best. Rep. A 3a Domkapitel zu Magdeburg, Tit. I, Nr ad 18, siehe auch unten, Kap.

8. 125

Braunschweigischer Hofastronom, siehe unten, Kapitel 6.3

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

17

Ebenso stand von Vicken 1606 in brieflichem Kontakt mit David Fabricius126

. Sicherlich hat

er auch die Werke vieler anderer Astronomen und Astrologen gelesen, mit einigen könnte er

auch in Kontakt gestanden haben, ohne dass sich die Briefe erhalten hätten. In seinen Briefen

an Kepler werden z.B. Brahe und Magini erwähnt. In seinen mehr astrologischen Schriften

bezieht er sich u.a. auf Werke von Paul Nagel (+1624)127

und David Herlitz128

(Brief an

Herzogin Elisabeth von Braunschweig 1614). In den Kepler-Briefen wiederum wird auch

Agrippa von Nettesheim erwähnt.

Dass er die 1603 erschienene „Uranometria“ des Johann Bayer besaß, wurde oben (Kapitel 4)

bereits erwähnt. Auch mit dem Astronomen Simon Marius war er in Kontakt, wie sich

wiederum aus seinem Briefwechsel mit Kepler ergibt.129

Daneben hat er scheinbar auch eigene astronomische Beobachtungen und Berechnungen

gemacht; diese spielen auch in seinem Briefwechsel mit Kepler eine Rolle, zudem erwähnt er

in einem Brief an Graf Ernst aus dem Jahr 1614, dass er ein Horoskop nur so gut habe

erstellen können, wie es „wegen des tefects vnd mangelung meyner bucher, eignen

astrologischen obseruationen, vnd meiner TABULARUM PTOLOMAICARUM“130

möglich

gewesen sei. (Diese Unterlagen hatte er wegen seiner Haft und anschließenden Verbannung in

Wolfenbüttel zurücklassen müssen, s.u.). Dieses tiefe Interesse an der Astronomie und

Astrologie, zusammen mit der bereits oben beschriebenen Affinität zur Alchemie, muss man

im Hinterkopf haben, wenn man nun die Stationen anschaut, die von Vicken in den Jahren

nach 1602 durchlief.

5.2 Kurze sächsische Eskapade

Eine Station bei der Suche Nicolaus‘ nach neuen Einkünften könnte Sachsen gewesen sein.

Kurfürst Christian II von Sachsen (1583-1611)131

ist mit zwei Einträgen in Nicolaus von

Vickens Stammbuch vertreten, datiert 1598 und 1602 und jeweils ohne Ort132

. 1598 enthält

das Stammbuch einen Eintrag in Dresden, d.h. von Vicken könnte Christian II dort getroffen

haben. In der Sächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Dresden befindet sich eine

Schrift, die Nicolaus von Vicken anlässlich der Heirat Christians II. mit Hedwig von

Dänemark133

im Jahre 1602 verfasst hat134

. Bei dem in Prag gedruckten und prachtvoll

ausgestatteten Einzelblattdruck (siehe Abbildung) handelt sich um die einzige erhaltene

Druckschrift Nicolaus von Vickens überhaupt.

126

S.o., Einleitung, Kapitel 1.1 127

Mit ihm stand von Vicken im regen Austausch, wie sich aus dem Stammbuch ergibt, siehe Schwarz 2002, S.

92; siehe zu Nagel auch: Artikel „Nagel, Paul“ von Gustav Frank in: ADB, Band 23 (1886), S. 215–216 128

Claudia Brosseder, „Im Bann der Sterne. Caspar Peucer, Philipp Melanchthon und andere Wittenberger

Astrologen“, Berlin: Akademie Verlag, 2004, S. 72ff.; Artikel „Herlitz, David“ von Theodor Pyl in: ADB, Band 12

(1880), S. 118 129

Josef Klug: „Simon Marius aus Gunzenhausen und Galileo Galilei. I. Teil“, in: Abhandlungen der II. Klasse

der Königl. Bayerischen Akad. d. Wissenschaften, Band XXII, II. Abt., S. 386-443, S. 418ff. 130

STABU Best. F3, Nr. 240, kurzer Brief von Nicolaus von Vicken an Graf Ernst, o.D. 131

Artikel „Christian II., Kurfürst von Sachsen“ von Heinrich Theodor Flathe in ADB, Band 4 (1876), S. 172–

173 132

Schwarz 2002, S. 107, 325 133

Eduard Maria Oettinger: „Geschichte des dänischen Hofes. Band I“Hamburg: Hoffmann & Campe, 1857, S.

256 134

Titel: “Sygcharma nuptiale ... Christiano II ... nec non ... Hedvigae ... scriptum”, SLUB, Signatur:

Hist.Sax.C.33,15

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

18

Im Stammbuch finden sich jedoch nur wenige sächsische Einträge aus den Jahren nach 1602,

lediglich Leipzig (1605 und 1606) und Dresden (1606) sind sporadisch vertreten. Und 1607

schreibt Fabricius an Kepler, dass ihm von Vicken ein Jahr zuvor (1606) „ex Saxo-

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

19

nia“ geschrieben habe.135

. Von Vicken war also wohl nicht, oder wenn nur von Prag aus für

Sachsen tätig; vielleicht war die Schrift nur ein Versuchsballon. In jedem Fall war die

genannte Hochzeit 1602 (so Vicken eingeladen war) eine gute Gelegenheit, zahlreiche weitere

potentielle Arbeitgeber zu treffen.

5.3 Erste „welfische Phase“136

Der Hof in Wolfenbüttel war das nächste Ziel von Vickens. Herzog Heinrich Julius von

Braunschweig-Wolfenbüttel (1564-1613)137

war dabei eine durchaus logische Wahl. Nicht nur,

weil das Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel unter ihm seine größte Ausdehnung

erfuhr138

und er somit ein durchaus einflussreicher Fürst war, sondern auch weil er ein

bekannter Anhänger der Astrologie und Alchemie war. Er ließ sich zahlreiche Horoskope

aufstellen und richtete in Braunschweig und Prag gleich zwei alchemistische Labore ein; auch

Kontakte zu den Rosenkreuzern unterhielt er.139

Ein Schreiben Vickens scheint das Interesse des Herzogs geweckt zu haben, denn am 20.

März schickte er einen Brief140

an Herzog Franz von Sachsen-Lauenburg (s.o. Kapitel 4) um

eine Referenz über den Absender einzuholen. Die Antwort fiel für von Vicken - wie oben

erwähnt - wenig schmeichelhaft aus, so dass aus einer Tätigkeit für Herzog Heinrich Julius

zunächst nichts geworden sein dürfte. Im Jahr 1605 (datiert 24.10. in Güstrow) erhielt der

Herzog dann ein Empfehlungsschreiben141

von Herzog Karl zu Mecklenburg-Güstrow142

über

von Vicken. Angestrebt wird eine Tätigkeit für Heinrich Julius am Hof in Prag, doch ein

Vemerk auf dem Umschlag besagt, dass niemand zum Dienst am Hofe benötigt würde; es

wird nicht klar, ob der Brief Herzog Heinrich Julius überhaupt persönlich erreicht hat. Kurz

darauf scheint es jedoch zumindest zu einer Tätigkeit zumindest für einen welfischen

Verwandten gekommen zu sein, denn 1606 vertritt von Vicken Herzog Johann Friedrich von

Braunschweig-Harburg143

in einem Rechtsstreit mit der Stadt Hamburg.144

Ausser der

Gerichtssache ist auch von einer längeren Tätigkeit von Vickens in Hamburg oder Harburg

nichts bekannt. Stattdessen kam es ein Jahr später zu einer erneuten Tätigkeit von Vickens für

Erzherzog Maximilian, denn ab 1607 fungierte er als dessen Agent am Kaiserhof in Prag,

wobei Hirn konstatiert: „Ficke’s Berichte aus Prag unterscheiden sich sehr zu ihren

Ungunsten von denen Vischers [seinem Vorgänger]“.145

5. 4 Kaiser Rudolf II

Nahezu unvermeidlich mussten seine hermetischen Künste und seine Aufenthalte in Prag von

Vicken in Kontakt mit Rudolf II bringen, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und bekannt

135

Bunte 1887, S. 48 136

Wie oben erwähnt werden die Bezüge von Vickens zu Brausnchweig / Wolfenbüttel näher behandelt in: Nils

Lenke, unter Mitarbeit von Nicolas Roudet: „‘alle Eysen omnia ferra in plurali numero in 24. stunden in Stael zu

transmutiren‘. Der Kepler-Briefpartner Nicolaus von Vicken im Rechtsstreit mit dem Syndikus des Stiftes

Magdeburg wegen eines alchemistischen Kontraktes“, in Vorbereitung 137

Hilda Lietzmann: „Herzog Heinrich Julius zu Braunschweig und Lüneburg (1564-1613) Persönlichkeit und

Wirken für Kaiser und Reich“ (= Quellen und Forschungen zur Braunschweigischen Geschichte, Band 30),

Braunschweig: Geschichtsverein, 1993 138

Lietzmann 1993, S. 29 139

Lietzmann 1993, S. 16 140

STAWO Best. 1 Alt 5 Nr. 102a, f. 4 141

STAWO Best. 1 Alt 5 Nr. 102a , f. 10r-11r 142

Wilhelm Fischer & Friedrich Wilhelm Streit: „Historischer und geographischer Atlas von Europa, Band 2, 1.

Abtheilung“, Berlin: Ratorff 1836, s. 175 143

W.C. Ludewig: „Otto II., Herzog zu Harburg“, in: Vaterländisches Archiv für hannoverisch-

braunschweigische Geschichte, Jg. 1834, Lüneburg: Herold & Wahlstab, 1835, S. 96-130, S. 127 144

Siehe Schreiben von Vickens and die Stadt Hamburg vom 8.2.1606, STAWO 1 Alt 5a Nr. 102 a f. 12r bis 14r 145

Hirn 1893, S. 283n

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

20

als „Alchimist von Prag“.146

Nicolaus van Vicken wird in den späteren Quellen konsequent als

„kaiserlicher Truchsess“ oder „dapifer“ bezeichnet; in seinen biograpischen Angaben im

Stammbuch datiert er den Beginn dieser Tätigkeit auf 1603147

. Allerdings berichtet Hirn, dass

bereits 1601 Erzherzog Maximilian von Vicken zu einer Anstellung bei Rudolf verhalf148

. Im

Hofarchiv in Wien findet sich allerdings in Übereinstimmung der Darstellung von Vickens als

früheste Quelle ein Passbrief vom 25. Juni 1603149

, in dem angezeigt wird, dass „Vnser

Hofdiener und des Reichs lieber getreuer Niclaß Vick“ darum gebeten habe „in seinen

angelegenen geschäfften“ „nacher Liflandt, vnd furnemblich die Statt Rigae“ zu reisen, und

dieses vom Kaiser genehmigt worden sei. Am 22. November desselben Jahres wird „Niclaßen

Vick, Niclaßen Sohn“ ein Schirm- und Schutzbrief150

durch Kaiser Rudolf ausgestellt.

Dabei darf man sich unter dem Titel eines „Truchsessen“ wohl keine zu wichtige Tätigkeit

beim Hofe vorstellen; wie Zajic bemerkt, handelt es sich um einen niedrigen am Hofe

geführten Titel, der von Rudolf gleich dutzendfach vergeben wurde.151

Laut von Vickens

eigener Aussage in seinem „Cursus vitae“ kam er an dieses Amt – wie kann es anders sein –

aufgrund seiner Paracelsusstudien und „hermetischer“ Schriften, die er dem Kaiser widmete:

„...wegen meynes libelli metoposcopicj et Chyromantici, so ich der Rom. Kay: Maytt

Rudolpho, hochsten gedachtniß dedicirt, dieselbe mich wieder meÿnen willen vnd

furnhemen in dero dienst zütreten vnd fur ihren trüchsaßen anzunhemen vnd bestallen

zulaßen, gezwungen“.152

Bei dem angeblich unfreiwilligen „Zwang“ in dieses Amt handelt es sich natürlich um einen

gängigen Bescheidenheitstopos. Bei den erwähnten libelli handelt sich vielleicht um das

selbe Werk, das er auch an Herzog Heinrich Julius und David Fabricius schickte. Mit der

nötigen Skepsis ist wohl wiederum die folgende Angabe aus dem „Cursus vitae“ zu genießen,

die den von Rudolf an von Vicken erteilten Auftrag beschreibt. Der Kaiser habe ihn

„nachmals in teutch vnd andere lander abgeschickt, alle Closter vnd gelartte leüte, heimlich

zubesuchen, mitt ihnen zureden, v[n]d in allen verborgenen kunsten v[n]d wißenschaften;

gewiße Experimenta zuwege zubringen, woruber ich fast vier ihar zugebracht, vnd nicht einen

geringen schatz erlangt“.153

In der „kurzen verwandtwortung“ bittet von Vicken den Kaiser

hingegen, ihn aufgrund der Umstände von dem Versprechen zu entbinden „die zugesagte

STRATAGEMATA BELLITA |: Welche itzo Woll in vngern Von nöthen wehren : |“154

liefern zu

müssen. Diese Strategemata sind auch später noch Gegenstand zweier Briefe von Nicolaus

von Vicken an den Kaiser, bzw. dessen Kammerdiener Philipp Lang zu Langenfels. Beim

ersten Brief handelt es sich um eine undatierte Supplikation155

an den Kaiser. Darin beklagt

sich von Vicken, er sei nunmehr seit 15 Tagen im Gefängnis, ohne dass man ihm den Kläger

bzw. eine Klage als Ursache für seine Verhaftung genannt habe. Daher bittet er nun darum

„mich in meine herberge heut zubestricken, die klage zuzustellen, vnd zur veranttwortung

146

Jacqueline Dauxois: „Der Alchimist von Prag. Rudolf II. von Habsburg. Eine Biographie“, dt.

Düsseldorf/Zürich: Artemis & Winkler, 1997 147

Schwarz 2002, S. 78 148

Hirn 1893, S. 283n 149

AT-OeStA/HHStA RHR Passbriefe 17-3-38 150

AT-OeStA/HHStA RHR Schutzbriefe 14-2-25 151

Andreas Zajic: „Rezension von: Christiane Schwarz: Studien zur Stammbuchpraxis der Frühen Neuzeit.

Gestaltung und Nutzung des Album amicorum am Beispiel eines Hofbeamten und Dichters, eines Politikers und

eines Goldschmieds (etwa 1550 bis 1650)“, Bern / Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2002, in: sehepunkte 4

(2004), Nr. 4 [15.04.2004], URL: http://www.sehepunkte.de/2004/04/4767.html 152

STABU Best. F3, Nr. 240, Brief von Nicolaus von Vicken an Graf Ernst, 20.10.1614 „in loco“ 153

STABU Best. F3, Nr. 240, Brief von Nicolaus von Vicken an Graf Ernst, 20.10.1614 „in loco“ 154

HSTAH Celle Br. 16 Nr. 552, f. 3r 155

AT-OeStA/HHStA HausA Lang-Akten 5-1-8

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

21

kommen zu laßen“. Aus dem Hausarrest heraus wolle er sich dann binnen zwei Tagen

verantworten, und könne sich dann auch wieder um die „stratagemata“ kümmern, die er dem

Kaiser versprochen habe. Er motiviert dies mit einer gewissen Dringlichkeit, denn sein Bruder

habe ihm vor wenigen Tagen aus Rostock geschrieben

„das graf Moritz einen Capitan zu dem Meyster geschickt vd ihn zu sich fürdern laßen;

welches sie wegen meyner absents biß auf den alten bartolomeus tagk verschoben;

zusagende, wo ich mich nicht bey ihnen vmb die zeitt einstellen wurde, das sie alsdan

zu graf Moritz wolten“

Gemeint ist wohl Moritz von Oranien-Nassau156

, Feldherr der Niederlande im Krieg gegen

die Spanier, und die Strategemata sind nun nicht mehr für den Türkenkrieg in Ungarn sondern

für den genannten spanisch-niederländischen Krieg gedacht. Von Vicken mahnt weiter, Eile

sei geboten um zu „verhindern vd verhuten, das dieselbe [strategemata] in der Hollander

hande, zu mercklichen abbruch des konnigs in Hispanien, nicht kommen mogen“. Da Philipp

Lang im Schreiben erwähnt wird, dürfte dieses vor 1608 entstanden sein, da Lang in diesem

Jahr in Ungnade fiel. Direkt an Lang addressiert ist das zweite Schreiben aus dem Jahr 1606,

datiert in „Neustadt in francken“. Lang war, obgleich lediglich Kammerdiener, bekanntlich

von immensem Einfluss auf den Kaiser, nahezu dessen gesamte Korrespondenz ging durch

seine Hände157

. Von Vicken scheint zu Philipp von Lang ein recht enges Verhältnis gehabt zu

haben, denn er läßt die Ehefrau Langs grüßen, und bedankt sich dafür, dass er in ihrem Haus

in Prag Unterschlupf gefunden habe, auch dankt er Lang dass ihm „von dem h[errn] große

befurderung geschen (: die ich nicht genugsamb vergellten konnen :)“. Auch in diesem

Schreiben ist wieder von Dingen die Rede, die von Vicken an sich bringen könne, „dadurch

der ganzen christenheit vd insonderheitt in dießem turcken kriege konte gedient seyn“. Diese

bietet er dem Kaiser an, allerdings verlangt er Gegenleistungen. Zu einen möge der Kaiser

seinen „lieben brudern [Heinrich] vd Bernhardt Helfrich158

, auß der gefengniß bey herzogk

Frans von Sachsen, gnedigst erledigen vd zu prag stellen laßen“. Außerdem geht es um Geld,

denn „weilen ichs mitt großem gelde an mich bringen muß; wolte vd konte ichs auch nicht

thun; wan von ihrer Maytt durch den h[errn] ich nicht zuvor die zusage in schrifften hette“.

Wiederum ist Eile geboten, „weilen man mit den sachen zu den staden in Hollande will“.

Unklar ist, ob von Vicken in der Lage ist, solche Forderungen zu stellen, denn der Kaiser hat

ihn per Brief über Philipp Lang nach Prag beordert; er sagt, er habe dieser Forderung wegen

eines Fiebers bisher nicht nachkommen könne, hoffe aber, „das sichs innerhalb 14 tagen mit

mir beßern soll, Also will ich nach verlaßung des fiebers, ihrer Kay: Maytt befhell nachleben

vd mich alsbaldt vngesaumbet einstellen“. Interessant in diesem Zusammenhang ist noch ein

undatiertes Schreiben des kaiserlichen Kammersteinschneiders Kaspar Thomas Lehemnanns,

der gegen Lang aussagt, dieser habe „den Alchymisten Nicolaus Vick, der vom Könige von

Polen bei Kaiser Rudolf II. des Landesverrathes angeklagt worden sei, gegen verschiedene

156

Artikel „Moritz, Prinz von Oranien, Graf von Nassau-Dillenburg“ von Pieter Lodewijk Muller in: ADB, Band 22

(1885), S. 283–293 157

Friedrich Hurter: „Philipp Lang, Kammerdiener Kaiser Rudolphs II. Eine Criminal=Geschichte aus dem

Anfang des siebenzehnten Jahrhunderts“, Schaffhausen: Hurter, 1851; Moritz Herrmann: „Dunkle Geschichten

aus Oesterreich“, Wien: Waldheim 1868, S. 104-115. 158

Von Vicken bittet auch den Antwortbrief an „Niclas Helffrich auf Nurnbergh“ zu adressieren; ein aus Riga

stammender Bernhard Helfrich wird in Ingeborg Krekler: „Die Handschriften der Württembergischen

Landesbibliothek Stuttgart, Sonderreihe Zweiter Band, „Die Autographensammlung des Stuttgarter

Konsistorialdirektors Friedrich Wilhelm Fromman“, Wiesbaden: Harrassowitz 1992“, S. 236, genannt, ein

Nicolas Helfrich ebenda; ein Porträt Nicolaus Helffrichs befindet sich in Nürnberg, siehe Werner W. Schnabel:

„Die Handschriften der Stadtbibliothek Nürnberg / Die Stammbücher und Stammbuchfragmente: Teil 1: 16. und

17. Jahrhundert. Teil 2: 18. und 19. Jahrhundert. Teil 3: Indices: Sonderband“, Wiesbaden: Harassowitz 1995, S.

31 und 151

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

22

Geschenke aus dem Gefängnisse entlassen und ihn wie einen Sohn bei sich behalten“159

,

woraus sich wohl die Ursache der oben erwähnten Haft ersehen lässt. Jedenfalls war von

Vickens Position am Hofe zu keiner Zeit so, dass er ausschließlich von seiner Tätigkeit dort

hätte leben können, erst recht nicht, nach dem Lang in Ungnade gefallen war.

6. Zweite braunschweigische Periode

Von Vicken muss daher weiterhin versucht haben, in den Dienst Heinrich Julius‘ zu gelangen,

denn zu einem folgenschweren Vorfall, der eine Aktenspur hinterlassen hat, kam es 1609 im

Bistum Halberstadt, dessen postulierter Bischof Heinrich Julius ebenfalls war. Nicolaus von

Vicken hielt sich dort zunächst in den Harzer Bergbaugebieten auf, um für den Herzog eine

„Hebekunst“ zu errichten. Doch auch für private Investoren arbeitete er und bot ihnen die

alchemistische Herstellung von Stahl aus jeglichen Eisensorten binnen 24 Stunden an. Einen

solchen Vertrag schloss er mit Dr. Christoph Lüder, der einen Hof in Blankenburg besaß, aber

auch bischöflicher Syndikus in Halberstadt war. In diesem Vertrag verpflichtete sich von

Vicken alle Sorten Eisen, auch solches aus Blankenburg, in Stahl zu „mutieren“. Für genau

solches Erz, wie es Dr. Lüder aber in Blankenburg günstig zur Verfügung stand, schlug die

Stahlprobe fehl und Dr. Lüder kündigte den Vertrag im Frühjahr 1609 auf und verweigerte

die Zahlung einer Summe von mehreren tausend Reichstalern. Darüber kam es zwischen ihm

und von Vicken zu einem erbitterten Konflikt. Dieser wurde nicht in erster Linie über die

Sache selbst ausgetragen, sondern von Vicken sammelte einen Katalog an Vorwürfen gegen

Dr. Lüder und macht diesen öffentlich. Diese reichen von Trivialitäten und angeblichen

charakterlichen Schwächen bis hin zu dem massiven Vorwurf, Dr. Lüder habe den Plan

gehegt den Herzog mithilfe eines magischen Ringes umzubringen, aus Rache dafür, dass

dieser in den 1590er Jahren seine Mutter als Hexe habe verbrennen lassen. Als Dr. Lüder

nicht reagiert übergibt von Vicken den Katalog offiziell an das Halberstädter Domkapitel und

die fürstlich braunschweigische Regierung und beschwert sich schriftlich beim Herzog. Dr.

Lüder, der auch das das Amt eines „Fiscals“, also einer Art Staatsanwalt ausübt, machte als

Reaktion von diesem Amt Gebrauch, in dem er von Vicken unter einem Vorwand gefangen

nehmen und auf Schloss Krottorf in Haft setzen ließ. Auf Intervention des Herzogs hin wurde

von Vicken jedoch nach kuzer Zeit am 30. August unter Auflagen wieder entlassen. Ende

November dringt von Vicken mit einer weiteren Beschwerde zu Herzog Heinrich Julius durch,

und dieser ordnet eine Untersuchung der Vorwürfe an. Im Anschluss kommt es im Dezember

und Januar zu einer Phase intensiver Tätigkeit; sowohl von Vicken als auch Dr. Lüder reichen

Kataloge von gegenseitigen Vorwürfen ein und benennen Zeugen, Dr. Lüder führt dabei u.a.

eine ganze Reihe von Vorfällen an, die bereits geschildert wurden, darunter der Übergang von

Vickens vom polnischen zum schwedischen König und die Unterschlagung von Geldern bei

Herzog Franz. Auch August von Anhalt soll er um 5100 Taler betrogen habe. Ebenfalls wirft

Dr. Lüder ihm dunkle Praktiken vor, so brüste sich von Vicken selber, seit vielen Jahren einen

Teufel oder Geist zu besitzen, der ihm dienen müsse. Die eingesetzte Kommission vernimmt

zahlreiche Zeugen, als Reaktion benennen beide Seiten weitere Zeugen, die ebenfalls

vernommen werden usw. Ende Januar verläuft dies zunächst alles im Sande (oder die

weiteren Schritte werden von den vorhandenen Aklten nicht erfasst). Bei diesem Vorgang ist

auch das Timing interessant, denn quasi gleichzeitig mit dem Beginn der Untersuchung

schickt von Vicken am 3. Dezember aus Halberstadt nach einer vierjährigen Pause wieder

einen Brief an Johannes Kepler (wobei durchaus Briefe aus der Zeit dazwischen verloren

gegangen sein können); der Brief ist der bereits erwähnte Hinweis, dass Vicken der erste

159

Hugo Graf von Abendsperg und Traun: „Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten

Kaiserhauses“, Band 19, Wien 1898, S. XCIII

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

23

dokumentierte Leser der Astronomia Nova ist.160

Am 18. Januar folgt ein Brief (wiederum aus

Halberstadt), in dem er auffallende Wetterbeobachtungen mitteilt und sich nach Keplers

Urteil zu Krabbes Planetentafeln erkundigt. Am 23. Februar schließlich ein weiterer

(wiederum aus Halberstadt), in dem weitere Fragen zu Berechnungen und astrologischen

Beurteilungen folgen.161

Auch immer Sommer 1610 folgen weitere Briefe; zu dieser Zeit

scheint von Vicken zum ersten Mal am Hof in Wolfenbüttel Fuß gefasst zu haben. Zumindest

erwähnt er später Horoskope und Traumdeutungen, die er in dieser Zeit für Herzogin

Elisabeth erstellt habe. 1611 kommt es zunächst zu einem neuen Konflikt zwischen Nicolaus

von Vicken, seinem Bruder Heinrich und auf der anderen Seite Herzog Joachim Karl (von

Braunschweig-Wolfenbüttel), einem Bruder Herzog Heinrich Julius‘. Bei letzterem wurde

Heinrich nämlich im Frühjahr Hofmeister, im Sommer jedoch wieder entlassen, nachdem

Joachim Karl eine Abneigung gegen ihn gefasst hatte. Darüber kam es zu einigen

Beschwerdebriefen, u.a. auch einem von Nicolaus an Joachim Karl, in dem er in recht rüdem

Ton den Namen desjenigen verlangt, der das Gerücht aufgebracht habe, sein Bruder und er

würden ihren Adelstitel zu Unrecht führen. Ebenfalls im Frühjahr oder Sommer 1611 forderte

Herzog Heinrich Julius die Akten in der causa von Vicken vs. Dr. Lüder zur eigenen

Einsichtnahme nach Prag an und irgendwann gegen Ende des Jahres wurde von Vicken wieder

in Haft genommen, diesmal auf Burg Schöningen. Erst drei Jahre später, 1614, Herzog

Heinrich Julius war inzwischen gestorben, wurde er aus dieser Haft zumindest in eine Art

Verbannung entlassen, und versuchte über einen Brief an die jetzige Regentin Herzoginwitwe

Elisabeth am Hof wieder aufgenommen zu werden, wobei er „wunderbare“ Versprechungen

mit Drohungen kombinierte, die auf angeblich sehr schlechten Horoskopen für das Haus

Braunschweig basierten. Als dies scheiterte, probierte es von Vicken auf einem anderen Wege,

wie im nächsten Kapitel zu behandeln sein wird.

Noch 1617 war der Rechtsstreit zwischen ihm und Wolfenbüttel nicht endgültig beigelegt,

denn in einem Brief der in Wolfenbüttel zurückgelassenen Räte an den verreisten Herzog

Friedrich Ulrich ist u.a. von Büchern die Rede, um deren Rückgabe von Vicken kämpft, dazu

dürfte auch sein Stammbuch gehört haben; eine Rückgabe scheint jedoch erst einige Zeit

später erfolgt zu sein, denn 1619 beginnen die Eintragungen wieder, nach einer Pause, die seit

1611 angedauert hatte.

7. Ein Angebot an Graf Ernst zu Holstein-Schaumburg

Es hatte sich im Sommer 1614 für von Vicken, der sich in der Verbannung in Hildesheim

aufhielt, ein Kontakt zu Graf Ernst zu Holstein-Schaumburg162

ergeben. Wie von Vicken

beschreibt habe dieser

„zu meyner geringen person eine gnedige christliche beliebung getragen, Vnd meyner

in Astrologiam geringer wissenschaft, in meÿnem exilio vnd elendt, ein geringes

specimen vnd dokimasian163

begert, mich drauf gnedig von meÿner auf lübeck

Eingenommenen reiße abgerhaten vnd abgehalten vnd zu sich erfurdert; mitt mir

vnwürdigen, von dießer welt vnd deßen kinderen, veracht: vnd vernichteten; geringen

160

S.o., Einleitung (Kapitel 1.1); zur Druckgeschichte der Astronomia Nova siehe auch: Isabelle Pantin:

„L’Astronomia Nova: le point de vue de l’histoire du livre“, in: Edouard Mehl (Hrsg.): „Kepler. La Physique

Céleste. Autour de L’Astronomia Nova (1609)“, Paris: Les Belles Lettres, 2011, S. 23-41 161

KGW 16, S. 444, 446, 448 162

Helge bei der Wieden: „Ein norddeutscher Renaissancefürst. Ernst zu Holstein-Schaumburg (1569-1622)“, 2.

Auflage, Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2010 163

Griech. δοκιμασίαν = Probe, Versuch (Akkusativ)

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

24

gliede vnd brudern christi; viellmhall gnedig conferiret, vnd von hochwichtig

verborgenen sachen geredet“164

.

Zunächst versucht er den Grafen einzuspannen, um am Hofe in Wolfenbüttel wieder gnädig

aufgenommen zu werden, als dies jedoch nicht zum Erfolg führte, versuchte er auch bei dem

Grafen selbst zu „landen“, hatte er doch festgestellt, dass dieser „zü den geheimen natürlichen

den gemeÿnen leuten verborgenen kunsten, großs beliebung, auß angeborner lust vnd

begierde tragen.“165

In der Tat ist von Herzog Ernst ein gewisses Interesse an astrologischen

Dingen bekannt, er ließ sich zahlreiche Horoskope verfertigen, duldete an der von ihm

gegründeten Hochschule in Rinteln die Lehren des Paracelsus und wurde mit den

Rosenkreuzern in Verbindung gebracht; alchimistische Versuche Gold herzustellen lehnte er

hingegen ab.166

Daher schreibt von Vicken, er habe sich entschieden, sich „selbst mitt allem was ich habe vnd

khan auf eine gewiße zeitt entweder zur stelle oder von hauß auß, zu offeriren“167

. Vielleicht

hatte er auch in Erfahrung gebracht, dass der Graf zahlreiche Gelehrte und Künstler am Hofe

und „von Haus aus“ beschäftigte und sehr freigiebig entlohnte und beschenkte.168

Angeboten werden dem Grafen allerlei „wunderbare“ Dienstleistungen. Als erstes gehört dazu

die Erstellung von Horoskopen, von denen sich Auszüge, z.B. für die Gattin des Grafen in den

Briefen finden, zur genaueren Erstellung bräuchte er bessere Ephemeriden für Hildesheim

und stellt fest, er wolle „gantz gern die figuram Coeli von Krabben169

.... haben nach seyner

obseruation, wan Eur.gn. einen nach Wolfenbuttel schikken wurden.“170

, dieses scheint

tatsächlich geschehen zu sein, denn in einem weiteren Schreiben heißt es „das gestrige

Judicium so von Wolfenbutt kommen, habe ich noch nicht durchlesen, soll erst presentium

geschen“171

.

Zu den angebotenen Diensten gehört auch die Herstellung wundertätiger Salze (ein für die

paracelsische Alchemie typisches Konzept172

), die jedoch von Hindernissen begleitet ist, denn

von Vicken teilt dem Grafen brieflich mit, er habe „itzo erfharen das der apotecker das saltz

nicht wurde machen konnen, vnd da es gleig gemacht; das ubrige alhir wegen mangelung der

instrumenten auch nicht wurde konnen gemacht werden; es where dan das ich es selbst an

einem orte machete da man die Instrumente hette“173

. Bereits erwähnt wurde das Anliegen,

ein Bergwerk einzurichten (s.o. Kapitel 3.3); weiter werden „Familiengeister“174

offeriert,

„weilen ich vermercke |: welchs auch bey mir bleiben vd mitt mir ins grab soll :| Eur

gn. zu den SPIRITIBUS FAMILIARIBUS groß lust haben; ich Eur gn. etliche loca, nennen

khan, da man nicht einen: sonderen alle sieben vmb ein geringes erlangen konte, denn

164

STABU Best. F3, Nr. 240, Brief von Nicolaus von Vicken an Graf Ernst, 20.10.1614 „in loco“ 165

STABU Best. F3, Nr. 240, Brief von Nicolaus von Vicken an Graf Ernst, 20.10.1614 „in loco“ 166

Bei der Wieden 2010, S. 87f., 105ff., 188f. 167

STABU Best. F3, Nr. 240, Brief von Nicolaus von Vicken an Graf Ernst, 20.10.1614 „in loco“ 168

Bei der Wieden 2010, S. 20ff., 71ff. 169

Gemeint ist wohl der Hofastronom Johann Krabbe, siehe Karl Brethauer: „Johannes Krabbe Mundensis.

Goldschmied, Instrumentenbauer, Landmesser, Kartenzeichner, Büchsenmacher, Feuerwerker, Kupferschmied,

Leib- und Kammerdiener der Herzöge Julius, Heinrich Julius, Friedrich Ulrich am Hof zu Wolfenbüttel“, in:

Braunschweigisches Jahrbuch 55, 1974, S. 72-89 170

STABU Best. F3, Nr. 239, Brief von Nicolaus von Vicken an Graf Ernst, o.D. 171

STABU Best. F3, Nr. 240, Brief von Nicolaus von Vicken an Graf Ernst, o.D. 172

Ball 2007, S. 268ff. 173

STABU Best. F3, Nr. 240, Brief von Nicolaus von Vicken an Graf Ernst, o.D. 174

Vgl. z.B. Abraham Seidel: „Pneumatologia Oder Kurtzer Bericht Von denen Geistern über der unlangst

publicirten Frage Ob natürliche gewisse Geister seyen/ und einem Menschen geziemt solche an sich zu locken/

und in dero Gemeinschafft zugerathen? : Welche durch etliche kurtze Fragen aus der hierüber gegebenen

Antwort baß erläutert/ und berichtet wird/ was von denen Spiritibus familiaribus, Wassernixen/ Bergschwaden/

Pygmaeis/ Güttgen/ Bock- und Mantelfahrt ... [et]c. zu halten / ...“, Erfurt, 1648.

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

25

vor etlichen iharen mir an etzlichen orten welche angeboten wurden als zu prag, Wien

in osterreich, Lintz, Gratz, Breßlaulen in der Schlesie nicht zweiflende, Ich wurde

dieselbe leutte oder andere noch dafinden; wo nicht; sindt dießelbe gewiß

zubekommen, Zu Venedig vd weiter in Italia, wie dan auch zu Basell, Vnd nach dem

ich den sachen verner nachgedacht; befinde ich, das man mitt guttem gewißen solche

spiritus woll haben konne“175

Auch von der „veram preparationem Mumiae“ ist die Rede; in der Akte findet sich auch ein

separates Dokument176

, das diesen Zauber beschreibt, der aus eigenem Körperteilen, wie z.B.

Blut, herzustellen ist und es ermöglicht, die Zuneignung anderer Menschen oder Tiere gegen

deren Willen zu gewinnen (Anhang B). Diese „Mumia“ unterscheidet sich deutlich von der

damals gebräuchlichen Verwendung von (echten oder gefälschten) ägyptischen Mumien in

Pulverform als Medizin, aber auf den esten Blick auch von Paracelsus‘ Begriff der

„Mumia“ als dem Körper innewohnende Lebenskraft, die zur Selbstheilung beiträgt.177

Allerdings ist von Vickens Darstellung ganz ähnlich einer Interpretation des paracelsischen

Mumia-Begriffes durch den Leipziger Professor Joachim Tancke, den wir bereits als einen

Bekannten von Vickens kennengelernt haben (s.o., Kap. 3.3). Dieser verglich in seinem

Manuskript „Secreta Secretissimorum“, das er Landgraf Moritz von Hessen zuschickte,

ebenfallls die von der Mumia induzierte Anziehungskraft auf andere Wesen mit der

Magnetkraft.178

Auch ein Zauberspiegel wird wieder erwähnt, und eine Kerze, deren Leuchten das

Lebensende des Grafen vorhersagen könnte. Der Graf hat scheinbar auch nach Hilfestellung

beim Glückspiel gebeten; von Vicken schreibt, nach einigen Suchen habe er einschlägige

Zauber in seinem „Manual“ gefunden, in das er sie vor 25 Jahren in seiner Jugend eingetragen

habe, er wisse aber nicht mehr, welches davon funktioniere. Und schließlich wird dem Graf

noch mitgeteilt, er habe „ein recept at potentiam coitus vnter meynen scharteken gefunden, so

mir fur allen anderen gefallen thutt“179

. Trotz allem scheint es nicht zu einer dauerhaften

Anstellung gekommen zu sein, und die Spur von Vickens verliert sich zunächst, sieht man

von einer möglichen Spur nach Heidelberg ab: Um sich gegen Plagiatsvorwürfe gegen seinen

ursprünglich 1615 erschienenen alchemistischen „Heldenschatz“ zu wehren, schreibt der

Autor Johann Staricius, dass dieses Buch auf einen Text Heinrich Khunraths zurückgehe, den

er auch anderswo, u.a. „zu Heidelberg / jtem / bey deme von Ficken“ gesehen habe.180

8. Späte Stationen: Kaiser Matthias, Gabriel, König von Ungarn. Da die neu aufgefunden Quellen hier zunächst enden, sind wir für spätere Stationen wieder

auf die Angaben im Stammbuch angewiesen. Danach bekleidete er ab 1616 das Amt des

„Consiliarii Metallici“ bei Kaiser Matthias, und 1621 das des „Supremi Consiliarii Metallici,

ac Generalis Mineralium et Monetarum per Regnum Hungariae ut et Transsilvaniae

Inspectoris“ beim kurzzeitigen König von Ungarn, Gabriel Bethlen181

. Während der ganzen

Zeit scheint er den Kontakt nach Riga nie verloren zu haben, denn noch 1618 tritt er als

175

STABU Best. F3, Nr. 240, Brief von Nicolaus von Vicken an Graf Ernst, o.D. 176

STABU Best. F3, Nr. 240, „Beschreibung der wharen lebendigen Mumia und ihrer wirckung“ 177

Ball 2007, S. 273ff. 178

Bruce T. Moran: „The Alchemical World of the German Court. Occult Philosophy and Chemical Medicine in

the Circle of Moritz of Hessen (1572-1632)” (= Sudhoffs Archiv, Beiheft 29), Stuttgart: Franz Steiner 1991

S. 138-141 179

STABU Best. F3, Nr. 239, Brief von Nicolaus von Vicken an Graf Ernst, o.D. 180

Helmut Möller: „Staricius und sein HeldenSchatz. Episoden eines Akademikerlebens“, als Manuskript

gedruckt, Göttingen: Basta, 2003, S. 49ff. 181

Johann Christian von Engel: „Geschichte des Ungrischen Reiches. 4. Theil“, Wien: Camesina 1814, S. 401ff.

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

26

Unterzeichner einer Urkunde in Riga in Erscheinung182

. 1620 steht er zuletzt mit Kepler in

(überliefertem) Briefkontakt.

Übrigens gibt es nur vage Hinweise auf ein Familienleben Nicolaus von Vickens, und diese

verweisen wiederum schon auf die Zeit vor 1600. Johannes Kepler hat neben dem erwähnten

Horoskop für Nicolaus von Vicken auch eines für Hieronymus (*1595) und Gustav (*1595)

von Vicken183

erstellt, es könnte sich dabei um Kinder Nicolaus‘ handeln. Dagegen spricht,

dass in einem „Schuz- vnd Schirmbrieff fur Niclaßen von Vickhen“, datiert in Prag, 29.

Oktober 1616184

, ausgestellt durch Kaiser Matthias, in der Vorschrift noch davon die Rede ist,

dass der Brief auch für Eheweib und Kinder, sowie Diener gelte; Frau und Kinder sind jedoch

in der Reinschrift gestrichen, was darauf hindeutet, dass es keine gab.

9. Nachspiel: Magdeburg Im Jahr 1625 hören wir noch einmal kurz von Nicolas von Vicken, also nach dem letzten

datierten Eintrag in seinem Stammbuch. Hauptperson in diesem Nachspiel185

ist jedoch sein

Bruder Heinrich. Dieser steht 1624 in den Diensten des Administrators der Stifte Halberstadt

und Magdeburg, Christian Wilhelm von Brandenburg (1587-1665)186

. Wie wir das schon bei

Heinrich Julius kennengelernt haben, ist er postuliert, aber nicht vom Papst bestätigt, ja nicht

einmal vom Kaiser. Und so wie Heinrich Julius mit Brauschweig im Konflikt war, so wird

Christian Wilhelm zwar im Stift, aber nicht in der Stadt Magdeburg anerkannt. Dort führte das

Domkapitel seine Geschäfte, während Christian Wilhelm anderswo residierte. Allerdings war

das Umfeld ein anderes, der 30-jährige Krieg war im sechsten Jahr und der sächsische

Reichskreis stand unter dem Einfluss der kaiserlichen Truppen. Der Protestant Christian

Wilhelm führte Geheimverhandlungen mit Holland und England sowie mit der Stadt

Magdeburg. Dabei bediente er sich der Dienste des, nunmehr einen Obristen- oder Obrist-

Leutnants-Titel führenden, „nichtswürdigen Abenteurers“187

Heinrich von Vicken, den der

Herzog bereits spätestens 1619 als Kommandeur der von der Stadt Magdeburg angeheuerten

Truppen installiert hatte. Ab 1620 führte von Vicken dann für Christian Wilhelm geheime

Verhandlungen, und zwar zunächst mit einer Gruppe von etwa 20 Bürgern der Stadt

Magdeburg über eine Anerkennung Herzog Christian Wilhelms durch die Stadt; als

gegenleistung war die Zuschlagung einiger Vorstädte zur Stadt Magdeburg im Gespräch.

Doch auch „international“ agierte von Vicken für den Herzog, der um 1624 Ambitionen

entwickelte, in der Reichspolitik eine größere Rolle zu spielen. In Den Haag verhandelte er

182

Hermann von Bruiningk, Nicolaus Busch: „Livländische Güterurkunden: aus den Jahren 1207 bis 1500“,

Riga 1908, S. 526. 183

Nr. 1029 and 1030. KGW 21-2/2, 372; der Nachname fehlt, und ist von den Herausgebern aufgrund der

identischen geographischen Breite hinzugefügt worden. Wenn es sich also um Kinder Nicolaus‘ handelt, so

wären diese ebenfalls in Riga geboren. 184

AT-OeStA/HHStA RHR Schutzbriefe 14-2-25 185

Die Darstellung basiert auf dem Bestand Rep. A 3a, „Domkapitel zu Magdeburg“, Tit I, Nr. ad 18; sowie

Julius Otto Opel: „Die Resignation des Herzogs Christian von Braunschweig auf das Bisthum Halberstadt i. J.

1623. Mit Urkunden“, in: Neue Mittheilugen aus dem Gebiet historisch-antiquarischer Forschungen, Halle:

Thüringisch-Sächsischer Verein für die Erforschung des vaterländischen Alterthums und Erhaltung seiner

Denkmale, Band 13, 1874, S. 1-100; speziell S. 61-65; ders.: „“Eine Flugschrift über die Zerstörung

Magdeburgs“, a.a.O.., S. 407-451, speziell S. 408-415; ders.: „Der niedersächsisch-dänische Krieg. Zweiter

Band. Der dänische Krieg 1624-1626“, Magdeburg: Faber, 1878, speziell S. 55-56; Ernst Neubauer: „Heinrich

Viecke, ein politisch wichtiger Stadtcommandant von Magdeburg“, in Blätter für Handel, Gewerbe und sociales

Leben (Beiblatt zur Mageburgischen Zeitung), 1890, S. 17-19 und 25-25. 186

Artikel „Christian Wilhelm“ von Karl Janicke in: ADB, Band 4 (1876), S. 164–168 187

Opel 1878, S. 55.

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

27

im Frühjahr 1624 im Auftrag des Herzogs mit Moritz von Oranien und Christian von

Braunschweig und berichtete darüber in einem Brief, der sich erhalten hat.188

Im Sommer des Jahres 1624 war von Vicken dann in Süddeutschland unterwegs und machte

sich damit dem Domkapitel in Magdeburg verdächtig, es gingen nämlich Gerüchte ein, von

Vicken habe auf seiner Reise in den Fürstentümern Brandenburg-Ansbach und Brandenburg-

Bayreuth im Namen des Herzogs die Übertragung des Stiftes auf einen katholischen

Herrscher angekündigt. Das aufgeschreckte Domkapitel schreibt Briefe an die beiden

Herrscher. Ob aus politischem Kalkül heraus oder aus anderen Motiven, die beiden Fürsten

bestreiten jedoch, dass so etwas vorgefallen sei. Christian von Brandenburg-Bayreuth189

schreibt unter dem Datum 18.8.1624 aus Neustadt an der Aisch190

: „Nun mögen wier Euch

darauf nicht bergen, das zwar ermelter Vick vor einer geraumen Zeit durch vnser Land vnd

fürstenthumb: sonderlich aber ieziger vnserer Residenz Stadt Culmbach durchgereist, einen

abstandt darinnen gehalten, vnnd bey vnns sich anmelden laßen“. Allerdings sei es während

der folgenden kurzen Begegnung bei der Bestellung von Grüßen geblieben. Von Plänen, wie

sie das Domkapitel beschreibe, sei keine Rede gewesen, „künnen Vnns auch nicht erinnern,

das wir solches bey seinen geführten DISCURSEN, darauff wir auch nicht sonder acht gehabt,

etwas vernommen“. Und Joachim Ernst von Brandenburg-Ansbach191

schreibt am 26.8. aus

Ansbach192

ganz ähnlich, dass von Vicken zwar durchgereist sei und man gegenseitige Grüße

ausgetauscht habe, allerdings „die übrige DISCOURS, so Inn der wenigen Zeitt, welche Er bey

Vns gewesen, Inn gehalttenen Gesprächen gefallen, haben Wir so eben nicht Inn acht: oder

gedächtniß genommen.“ (Pikanterweise sollte Christian Wilhelm bekanntlich unter

jesuitischem Einfluss später zum Katholizismus konvertieren; er resignierte jedoch vorher als

Bischof von Magdeburg).

Außerdem hatte man im Domkapitel aber auch von der oben beschriebenen Haft von Vickens

in Ratzeburg in den Jahren nach 1602 Wind bekommen und schrieb an den dortigen Herzog

August mit der Bitte um Hintergrundinformation. Dieser antwortete am 16.8.1624193

, dass in

der Tat der „...gedachte Vicken alhir, auf Vnser Veste Razeburgk etzliche Jahre INCARCERIRET

gewesen, können auch leichtlich muhttmaßen, Solches nicht ohne Vhrsach geschehen, in

deme der Eine [= Nicolaus] fur endfliehung Verdienter straffe [...] sich auß der gefengnuß

loßgearbeidet, aber nicht wieder bekommen, vnd der andere [= Heinrich] hernacher gegen

heraußgebung Eines Reverßs auch etzlicher Vorbitt, loßgelaßen worden“. Man wisse jedoch

nicht mehr, was eigentlich die Ursache der Haft gewesen sei, und müsse hierzu erst die Akten

durchsehen. Dies werde jedoch etwas dauern, da Kanzler und Räte gerade anderweitig

beschäftigt seien und man den Boten nicht habe warten lassen wollen. Besagte Kanzler und

Räte schreiben dann noch im November194

, dass „die ACTA nach langer vielfaltiger vnd

vleißiger nachsuchungk erstlich vor funff tagen, in ziemblicher großer anzahll gefunden

worden“ seien, man diese aber erst durchlesen müsse, was etwas dauern könne. Damit bricht

der Briefwechsel ab.

Um den Jahreswechsel 1624/5 war von Vicken dann erneut in diplomatischer Mission in Den

Haag unterwegs. Kurz später soll er jedoch Geheimnisse an den kaiserlichen Feldherrn Tilly

verraten haben und wurde im Frühjar 1625 auf Betreiben Christian Wilhelms in Halle

verhaftet. Laut einer zeitgenössischen Quelle wurden dabei „schreckliche zauberische

188

Opel 1874a, S. 61-65 189

Johann Georg Heinritz: „Die Regierungsjahre des Markgrafen Christian 1603-1655“; in: Archiv für

Geschichte und Alterthumskunde des Ober-Main-Kreises, Band 1, Heft 3, 1832, S. 17-60 190

Rep. A 3a, „Domkapitel zu Magdeburg“, Tit I, Nr. ad 18 191

Artikel „Joachim Ernst (Markgraf von Brandenburg-Ansbach)“ von Theodor Hirsch in: ADB, Band 14 (1881), S.

91 192

Rep. A 3a, „Domkapitel zu Magdeburg“, Tit I, Nr. ad 18 193

Rep. A 3a, „Domkapitel zu Magdeburg“, Tit I, Nr. ad 18 194

Rep. A 3a, „Domkapitel zu Magdeburg“, Tit I, Nr. ad 18

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

28

Händel“ bei ihm gefunden.195

Im April 1625 tritt nun sein Bruder Nicolaus noch einmal in

Erscheinung. Er taucht in Magdeburg auf und verlangt laut Bericht des Domkapitels an

Christian Wilhelm196

die Freilassung seines Bruders, unter Androhung andernfalls kaiserliche

Mandate zu seiner Freilassung zu erwirken. Heinrich soll aber noch 1625 in der Haft

gestorben sein. Interessanterwiese gerät aber im April 1626 bei der Schlacht an der Dessauer

Brücke, bei der auch ein Regiment Magdeburger Truppen teilnahm, das von Heinrich von

Vicken aufgestellt worden war, ein Oberst „Fick“ in Gefangenschaft und gibt Kenntnisse der

Magdeburger Verhältnisse zu erkennen.197

Ist es Heinrich, der doch nicht bereits 1625 in der

Haft gestorben war? Oder Nicolaus, der seinen Platz eingenommen hatte?

Aus Briefen aus dieser Zeit ergibt sich auch, dass mindestens Heinrich von Vicken nach den

Ereignissen des Jahres 1601 noch längere Zeit in Diensten Schwedens gewesen sein dürfte

und dort noch in Erinnerung war. So lässt am 8. Februar 1625 der schwedische Kanzler

Oxenstierna durch einen nach Mageburg reisenden schwedischen Bediensteten noch Grüße

des Königs an „hern Ficken“ (Heinrich oder Nicolaus?) ausrichten, der sich früher in

schwedischen Diensten befunden habe, und dessen gute Dienste noch in Erinnerung seien,

auch wenn er jetzt einem anderen Herren diene.198

Und Ludwig Camerarius199

erwähnt im April 1625 in einem Brief, den er aus Den Haag an

den schwedischen Kanzler Oxenstierna schickt, Heinrich von Ficken mit einer interessanten

Charakterisierung. Diese stellt bis auf die genannte Episode an der Dessauer Brücke die letzte

schriftliche Spur der Gebrüder von Vicken dars und ist nicht das schlechteste Schlusswort (das

sich genauso auf Nicolaus wie auf Heinrich beziehen könnte): „Audio Fickium, qui est apud

Magdeburg. Administratorum, in Sueciam venturum esse. Homo est vanus, et ad res magnas

ac secretas non tantum ineptus, sed etiam dubiae fidei. Circumspecte igitur cum illo agendum.

Multa hic Principi et Ordinibus promisit, sed nihil praestitit.”200

9. Schluss Wer war nun der echte Nicolaus von Vicken, der in der Einleitung genannte Politiker, der

Astronom und Astrologe, der Alchemist oder der Betrüger? Die Frage ist vermutlich falsch

gestellt, denn er war alles das auf einmal. Sicherlich diente er vielen Herren auf dem

komplizierten politischen und kriegerischen Spielfeld seiner Zeit, reiste herum als

Unterhändler und Kriegskommissar, durchlebte Schlachten in mehreren Kriegen, verbrachte

Zeit an Fürsten- und Königshöfen als Unterhänder und Spion. Dabei setzte er oft auf mehrere

Pferde, diente mehr als einem Herren, und war immer schon auf der Suche nach dem nächsten

potentiellen Arbeitgeber. Als Türöffner diente ihm dabei sein Adelstitel. Auf der einen Seite

verzichtet er auf ihn, wenn es nicht nötig ist (oft unterschreibt er einfach als Nicolaus Ficke

oder Vicke), umso heftiger verteidigt er ihn, wenn er ihm von anderen abgesprochen wird,

man denke nur an den Briefwechsel mit Herzog Joachim Carl. Ähnlichen Gebrauch macht er

von seinem Titel als kaiserlicher Truchseß; beide Titel öffneten ihm die Türen der Höfe seiner

zukünftigen Dienstherren. Und auch sein Stammbuch dürfte ihm als Hilfsmittel gedient

haben: welch besseren Vorwand konnte es geben, um bei öffentlichen Anlässen mit den

zahlreichen fürstlichen Einträgern ins Gespräch zu kommen als das Stammbuch mit der

artigen Bitte um einen Eintrag vorzuzeigen und vielleicht zu hoffen, mit den bereits

195

Opel 1874b, S. 415 196

Rep. A 3a, „Domkapitel zu Magdeburg“, Tit I, Nr. ad 18 197

Onno Klopp: „Der dreissigjährige Krieg bis zum Tode Gustav Adolf 1632: 2 Ausg. des Werkes: Tilly im

dreissigjährigen Kriege“, Schöningh 1893, S. 594f. 198

Carl Gustav Styffe: „Rikskansleren Axel Oxenstiernas skrifter och brefvexling“, Band 3, Norstedt 1900, S. 22. 199

Artikel „Camerarius, Ludwig“ von Moriz Ritter in: ADB, Band 3 (1876), S. 724–726 200

M. G. Schybergson: „Sveriges och Hollands diplomatiska Förbindelser 1621-1630“, Helsingfors: Finska

Vetenskaps-Societeten 1881, S. 191

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

29

vorhanden prominenten Unterschriften und Wappen etwas Eindruck zu schinden. Und

schließlich passt hierher auch das „hermetische“ Wissen. War von dem fürstlichen Objekt der

Begierde bekant, dass er (oder sie) sich für Alchemie, Astrologie oder Zauberei interessierte

(und das taten viele unter den Fürsten des Reichs), so könnte ein geraunter Satz über das

geheime Wissen des Paracelsus, die Kunst der Metallverwandlung, die Verheißung eines

Horoskops oder die Erwähnung eines Zauberspiegels oder Flaschengeistes gereicht haben, um

eine Einladung zu weiterer Konversation oder Korrespondenz zu erhalten. Und wie ein roter

Faden zieht sich durch die erhaltenen Briefe das Doppelspiel aus der Verheißung wahrlich

wunderbarer Dienste, die von Vicken für seine fürstlichen Herren erbringen könnte, und auf

der andere Seite der Warnung vor großen Gefahren und Risieken, sollte dieses Angebot

ausgeschlagen werden. Natürlich brachte die Annahme dieser Angebote gleich das nächste

Problem für Nicolaus von Vicken mit sich: wie sollten die versprochenen Wunder nun

vollbracht werden. Und so finden sich in den Briefen auch die typischen Ausreden des

Alchemisten, wie sie schon Ben Jonsons Stück „The alchemist“ aufzählt: “... a series of

excuses about bad charcoal, improper heating of glass vessels, offerings to the Virgin Mary,

bribes to officials, and the priest’s own sinfulness in order to explain why he needed more

money and why the alchemical process was not yet finished.”201

Bei von Vicken sind es etwa

der Apotheker, der das wundertätige Salz nicht herstellen kann, und die fehlenden

Instrumente, die von Vicken davon abhalten, es selbst herzustellen. War er also nur einer der

Betrüger, die in seiner Zeit so zahlreich auftraten, dass sein Zeitgenosse Thurneisser eine

ganze Typologie der “betrüglichen Alchymisten” aufstellte?202

Dass er allgemein dem Betrug

oder auch einer Hinterziehung von Geld nicht abgeneigt war, steht fest, so wir den

Beschwerden Herzog Franz‘ von Sachsen Glauben schenken wollen, und auch mehrere

Gefängnisaufenthalte sprechen eine deutliche Sprache. Und doch sollte man vorsichtig sein,

so hat Nummedal nicht umsonst darauf hingewiesen, wie schwierig es sein kann zu

entscheiden, ob Alchemisten betrügen wollten, oder an ihre Werke glaubten und

scheiterten.203

Auch ist daran zu erinnern, dass auch Newton, der Inbegriff der rationalen

Wissenschaft gleichzeitig ein an den Schriften des Hermes Trismegistos interessierter

Alchemist war.204

Und Ball schreibt mit Bezug auf Agrippa von Nettesheim, der in

verschiedenen Schriften Magie sowohl ablehnt als auch befürwortet: „As we have seen, this

apparent coexistance of contradictory extremes in a single individual is a recurring feature of

Renaissance thought - we see it very clearly in Paracelsus - and the skeptical mystic is one of

the difficult personality types of that age, with which anyone seeking for the origins of

scientific thought must at some point wrestle.”205

Könnte von Vicken also auch ein

“Suchender” gewesen sein, der immer hoffte im nächsten Ort, beim nächsten Magier oder

Astrologen, den er traf, auf das echte Wissen zu stoßen? Einige Anhaltspunkte sprechen

durchaus dafür. Zum einen ist da die Breite und Tiefe seiner Korrespondenz mit Kepler und

anderen Astronomen: um in betrügerischer Absicht ein Horoskop für einen Fürsten zu

erstellen, wäre es wohl nicht nötig gewesen, mit Kepler über geringfügige Unterschiede

verschiedener Berechnungsmodelle zu diskutieren. Auch die Hinweise auf eigene

astronomische Beobachtungen deuten in diese Richtung. Und schließlich kann man auch die

Vorgänge in Blankenburg 1609/10 in diese Richtung interpretieren: Wenn er an seine

Versuche in der Stahlherstellung nicht geglaubt hätte, wäre er dann bei ihrem Scheitern nicht

eher still und heimlich verschwunden, statt sich mit einem übermächtigen Gegner vor Gericht

anzulegen?

201

Nummedal 2007, S. 54 202

Nummedal 2007, S. 66f., 203

Nummedal 2007, S. 172f. 204

Moran 2005, S. 168ff. 205

Ball 2007, S. 87

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

30

Vielleicht können weitere Dokumente, die vielleicht noch unentdeckt in einem Archiv

schlummern, in Zukunft über diese Frage Aufschluss geben. Und auch weitere Aspekte im

Leben dieses interessanten Menschen wären noch zu untersuchen, etwa Nicolaus von Vickens

Verhältnis zur Religion. Offenbar protestantisch scheut er sich nicht, für den katholischen

Kaiser zu arbeiten, und er steht mit auffallend vielen Theologen in Kontakt, die am Rande der

Amtskirche stehen oder sogar mit dieser im Konflikt. So z.B. mit den Chiliasten Paul Nagel

und Melchior Leporinus.206

10. Summary This arcticle summarizes what could be learned from newly discovered documents about the

biography of Nicolas von Vicken, first known reader of Kepler’s „Astronomia Nova“ and

Kepler’s partner in an exchange of more than a dozen letters over several years. Von Vicken

stems from a rich and influential family of merchants in Riga, made noble by the Polish King

(who ruled Riga at the time) in 1580. His education included legal studies at the universities

of Königsberg, Leipzig and Rostock, partially overlapping with a stay of ten years at the

Polish court. There von Vicken pursued family business but also served in an official court

role. In 1600/1 von Vicken switched sides and started to serve the Swedish ruler (and later

king) Duke Carl IX, who was at war with Poland to gain control over Riga and Livonia. In

1602 a mission for Sweden to Northern Germany brought him in conflict with Francis II,

Duke of Saxe-Lauenburg, who accused von Vicken of withholding money from him, which

was supposed to be used for hiring troops. Von Vicken, together with his brother Heinrich,

was imprisoned, but could flee. During a mission to Maximilian III, Archduke of Austria, in

1599/1600 von Vicken had been initiated as an alchemist and astrologer through reading the

works of Paracelsus and his future stations in life were influenced by this. These include an

attempt to get employed at the Saxon court in Dresden, and stays in Wolfenbüttel and

Halberstadt, both ruled by Duke Henry Julius of Brunswick-Lüneburg. Von Vicken offered

various astrological and alchemical services to the Duke and private investors. With one of

them he got into a serious conflict over the alleged non-fillment of a contract to produce steel

in an alchemical way. During that vonVicken got imprisoned twice, in 1609 and between 1611

and 1614. A subsequent attempt to get employed by Ernst of Schaumburg left us with several

letters that detail von Vicken’s alchemical and astrological thinking, two of these are

published here in the appendix. Since 1603 von Vicken was also in the service of Emperor

Rudolf II; again he got imprisoned in Prague at least once. An interesting speculation based on

some hints in the documents is that after reading Paracelsus and during his time in Leipzig

von Vicken authored a book on mining, that was later to become part of the works of the

alleged medevial monk Basilius Valentinus.

Anschrift der Verfasser:

Dr. Nils Lenke, Blumenstraße 50, 53359 Rheinbach; e-mail: [email protected]

Dr. Nicolas Roudet, 26, rue de La Lamproie, F-67000 Strasbourg;

e-mail: [email protected]

Anhang A

Brief von Nicolaus von Vicken an Graf Ernst, 20.10.1614 „in loco“; Beinhaltend den “Cursus

Vitae“. STABU Best. F 3, Nr. 240

206

Schwarz 2002, S. 80 und 94

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

31

[r°]

Hochgeborner Graf. Gnediger herr, Ein weiser Mann, sagt Syrach, der das geseze des

hochsten gelernet, die weißheitt aller alten erforschet, vnd in den Propheten studiret, die

geschichte der berhumpten leüte vermercket hatt, vnd denselben nachdencket was sie

bedeuten vnd lheren, derselbe khan den fursten dienen vnd beÿ den herrn seÿn, Er khan sich

schikken laßen in frembde lande dan, er hatt versücht, was beÿ den leüten taüg oder nicht taüg,

vnd dencket wie er fhrüe aüfsthehe den hernn zusuchen der ihn geschafen hatt, vnd betet für

den herrn, Er thütt seÿnen mundt getrost aüf, vnd betet fur des gantzen volcks sünde. Vnd

wann dan der herr also verßunet ist, so gibt er ihm den geist der weißheitt reichlich, das er

weisen radt vnd lher geben khan gewaltiglich, dafür er dem herrn danckt in seÿnem gebete

vnd der herr gibt gnade dazü, das seÿn radt vnd lhere vortghen vnd betrachtet es vor beÿ sich

selbst, darnach sagt er seÿnen radt vnd lher herauß, v[n]d beweisets mitt der heiligen schrift,

vnd viell verwunderen sich seÿner weißheitt, vnd sie wirdt nimmermher vnterghen. Cap 39.

Vnd der weiße konningk Salomon sagt, Ich habe auch dieße weißheitt geßen vnter der sonnen,

die mich groß dauchte, das ein kleÿne stadt whar v[n]d weinig leute darÿnnen, vnd kham ein

großer konningk vnd belegt sie, v[n]d baüwet groß bolwerck darumb. Vnd wardt darynnen

funden ein armer weißer Mann, der dieselbe stadt, durch seyne weißheitt konte erretten, vnd

keyn mensch gedacht deßelben armen mannes, da sprach ich, weißheitt ist ia beßer dan

starcke Noch wardt des armen weißheit veracht vnd seynen wortten nichts gehorchet, das

machet, der weißen worte gelten mher beÿ den stillen, dan der hern schreÿen beÿ den narren,

dan weißheitt ist beßer dan harnisch. Ecclesiast. 9207

. was nün godt hiraüf in nur seyner armen

creatür fur gaben weißenschafft in naturlichen vnd vbernaturlichen |: der himlischen muß ich

geschweigen, sintemall man mich, oder den geist gottes in mir, davon nicht hatt horen reden :|

in mir gelegt: solches wirdt Eur hochg. Gnad. so woll auß denen von mir derselben

eingelieferten verzeichnißen: als auch mundlicher gnediger unterredung vnd conuersation,

zweifels ohn, nür zum teill gnedig vernommen vnd verstanden haben. Wan ich dan beÿ mir

entschloßen, Einem furnhemen herren, der sonderlich lust vnd liebe zu allen naturlichen

verborgenen, vnd sonderlich denen kunsten, die godt mir auß gnaden offenbharet, hatt vnd

tragt; vnd mir eine ehrliche, meÿner person, beÿ Kaÿser, koningen, heren vnd fursten

bedienten officien, vnd wißenschaften gemeße bestallung vnd vnterhalt entweder zur stelle

oder von haüß auß, geben vnd vermachen wurde; solcher meÿner, von oben herab, vom vater

des lichts, von dem weißheitt v[n]d alle volkomne gaben herfließen [v°] verlhienen geben vnd

geringen wißenschaften, auf den halben gewinn getreüwlich vnd ohn allen betrüg teilhaftig

zümachen; Vnd aber Eur hochgeb. Gn. fur allen anderen herrn und fursten dießer welt mir

itzo furkompt, dem ich willig vnd gern |: welchs ich doch fur dießen mitt godt bezeugende,

großen heren v[n]d fürsten verweigert v[n]d abgeschlagen :| meÿne vnterthenige, mitt leib vnd

leben, ehr vnd gütt verfaste , ehrliche, christliche, getreuwe dienste, zu offeriren v[n]d zu

praesentiren, von meÿnem Genio vnd Ingenio gezwungen werde, vnd zwar auß

nachfolgenden vrsachen

Erstlich, weilen Eür hochg. gn.; ohn zweifell auß anreichung des heiligen geistes |: ohn deßen

willen nichts geschicht :| zu meyner geringen person eine gnedige christliche beliebung

getragen, Vnd meyner in Astrologiam geringer wissenschaft, in meÿnem exilio vnd elendt, ein

geringes specimen vnd dokimasian208

begert, mich drauf gnedig von meÿner auf lübeck

Eingenommenen reiße abgerhaten vnd abgehalten vnd zu sich erfurdert; mitt mir vnwürdigen,

von dießer welt vnd deßen kinderen, veracht: vnd vernichteten; geringen gliede vnd brudern

christi; viellmhall gnedig conferiret, vnd von hochwichtig verborgenen sachen geredet |: drob

207

Prediger 9, 13-18 208

Griech. δοκιμασίαν = Probe, Versuch (Akkusativ)

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

32

mich andere nicht weinig anschielen, ein vngunstig aüg auf mich geworfen vnd werfen, vnd

verhast zümachen furhabens :| vnd alle gnade vnd gnedige contentament erwiesen.

Zum anderen, weilen auß solcher gnedigen geheimen vnterredung, ich mher den gnug

vernommen, das Eur hochg. gn. zü den geheimen natürlichen den gemeÿnen leuten

verborgenen kunsten, großs beliebung, auß angeborner lust vnd begierde tragen.

Zum dritten, weilen auch derselbe, auß besonderer gnedigen zuneigung mir, viell sachen,

meÿne person, v[n]d zur vnschuldt mitt godt, bezeügende erlittene gefengniß vnd schmach,

betrefendt, zur nachrichtung, wobey ich dennoch Eur hochg. Gn. gnedige affektion gegen mir

demütig vermercket, vertrauwlich entdecket,

Als khan ich aüß eingebung des geists gottes; eben so weinig, als Eur Gn auß derselben

eingebung sich meÿne enteußeren konnen, vmbgang haben, Eur hochg. gn. fur allen anderen;

so woll, wegen der mir erzeigten gnediger gewogenheitt, als auch tragenden heimlichen

beliebung zu natûrlichen verborgenen kunsten v[n]d wißenschaften, damitt mich godt fur woll

taüsenden, aüß laüter gnaden begabet; Mich selbst mitt allem was ich habe vnd khan auf eine

gewiße zeitt entweder zur stelle oder von hauß auß, zu offeriren v[n]d zu praesentiren, nicht

zweiflende, Eur hochgeb. Gn. werden in viell wege, sich meÿner [r°] vnterthenigen diensten

gefrommet vnd genoßen befinden, vnd am ende in der tadt mher erfahren vnd spüren, als ich

mich, durch zwang des geists gottes, habe vermercken vnd horen laßen.

Vndt damitt Eur hochg. Gn. nicht vermeynen mochten, das ich mir in diesem Natürlichen, den

hochschülerischen Theologen, Iuristen, philosophen, soldaten verborgenen, vnd nicht auch

ihnen bekannten künsten, erfharen where; habe ich eine noturft erachtet, meÿnen Cursum

Vitae et studiorum gar kurtzlich anhero züsetzen vnterthenig bittens, Eur hochg gn. solches

anders nicht, als in allen gnaden zuvermercken gerhüen wollen.

Es sindt 26 ihar vergangen, das; nach dem meyn godtselige lieber vater mich in allen güten

sitten, freÿen künsten vnd tügenden in schola principali erzhien laßen, vnd nachmaln in

frembde lande vnd zwar nahe konningspergk in preußen aüf der hochen schulen verschickken

wollen; er gar lange mitt sich selbst vnd anderen vornhemen hochgelartten leütten deliberirt

vnd zu rhate gegangen, In welcher facultet er mich studirn Vnd animum appliciren laßen

wolte vnd solte, wozu ihn dan nicht geringe vrsach, nemblich das er nebst meÿner godtseligen

vielgeliebten mutter zu vnterschiedtlichen viellmhalen drüber kommen vnd gesehen, das eine

weiße Nater mit der guldenen kronen |: davon die naturkundigen vnerhorte wunder seltzame

sachen schreiben :| mir, da ich 4 oder 5 iharen gewesen, in den schoß geseßen, mitt mir

gespilet, vnd da die elteren sich genahet wiederümb zu loch gekrochen, welchs sie dan, fur ein

nicht gering zeichen kunftiger weißheitt, verstandes vnd erkündigung der natur

heimligkeÿtten gehalten; bewegt vnd angereizet; Endlich aber nach langem deliberiren was

auß mir werden wolte machte godt wißen sintemall sie oftmalig wie angezeigt, Eine weiße

Nater mitt mir spielen geßen, woraüf ich ihnen valedicirt vnd naher konningspergk gezogen,

alda das Iuris studium, tanquam immensum et inexhaustum pelagüs angefangen, dreÿ ihar

continüirt, vnd im selbigen disputando also fortgefahren, das ich in den dreÿen iaren so woll

das gantze Ius Ciuile et Canonicum, als auch Magdeburgense, Polonicum vnd andere Iura

mher nicht alleÿn comprehendirt vnd begriffen: sonderen auch nachmalen solche gefaste

Theoriam in aula polonica ad praxin dediciren mußen, vnd also in aula polonica zhen ihar

commorirt, vnd die polnische sitten vnd gebreüche gelernet.

Demnach ich aber in solcher rechtfertigung reipsa erfharen, das es mitt dem rechte gar

vngleig zügehe, vnd mher der faüor in Iudice qüam lex in Codice gelte vnd viell darynnen

muß practicirt werden, das wieder gottes wordt vnd die liebe des negsten ist; habe ich solch

studium [v°] fharen laßen, die gelegenheitt vnd den zustandt des krigswesens nach dem ich

hofmeysters vnd Marschalcks ampt in polen bedient gehabt erforschen vnd erfharen wollen:

Mich derowegen an die Rom: Kay: Maÿtt, vnd Erzherzogen Maximilianüm in anßenlichen

gantz wichtigen handlen, fur einen abgesantten gebrauchen laßen, vnd drauf nach verrichter

legation in Vngarn, in der belagerung für ofen mich eingestellet, der belagerung

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

33

beÿgewhonet; Nachmaln aber, wie woll vngern, dem konningk in schweden Carolo zuzhien

ein Zeittlang in Liuonia, dem krige beywhonen, vnd so woll Cancellarÿ, als Commissarÿ

supremi bellici Münüs in Germania verwalten mußen. In welchem exercitio, weiln ich

daßelbig, wozu mich meÿn von godt, eingeblaßener geist getrieben, noch nicht erfharen

konnen, bin ich entschloßen gewesen sinceriori et püriori philosophiæ natüralj et veræ

Theosophiæ mich züergeben, Vnd demnach ich anno etat. meæ 28 in meÿner wiederkunft ex

Vngaria et Aüstria, die gottliche vnd niemaln genugsame lobwürdige kunst Astrologiam

erlernet vnd so weit in acht tagen darÿn progredirt das ich ein Iudicium Generaliarum stellen

vnd dem Itzigen Regi Poloniae naufragium & amissionem regni Sueciæ verkündigen konnen;

Habe ich immefort, den sachen weiter nachgesetzet, vnd durch anreizung eines

osterreichschen Baronis die philosophiam Sagacem et Astronomiam Magnam Theophrasti

Paracelsi, hominis plus quàm diuino ingenio praeditj zulesen angefangen, welche lection,

mich dan also vnd derogestalt delectiret, das ich mich nicht genügsamb damitt ersetigen

konnen: sondern weitter fortgeschritten vnd seyne opera alle fleißig dürchgelesen,

concordantiar drauß gemacht v[n]d seÿn mentem vnd sinn in abstrüsiontien assequiret,

welcher vrsachen halben dan so woll, als auch wegen meynes libelli metoposcopicj et

Chyromantici, so ich der Rom. Kay: Maytt Rudolpho, hochsten gedachtniß dedicirt, dieselbe

mich wieder meÿnen willen vnd furnhemen in dero dienst zütreten vnd fur ihren trüchsaßen

anzunhemen vnd bestallen zulaßen, gezwungen, vnd nachmals in teutch vnd andere lander

abgeschickt, alle Closter vnd gelartte leüte, heimlich zubesuchen, mitt ihnen zureden, v[n]d in

allen verborgenen kunsten v[n]d wißenschaften; gewiße Experimenta zuwege zubringen,

woruber ich fast vier ihar zugebracht, vnd nicht einen geringen schatz erlangt. In dem ich nun

mitt dießer secretiori philosophia vmbgehe v[n]d daneben viell anders philsosphos, auf

meÿner reiße de lapide benedicto durchblättert, vnd zum teill meinem operj admoniert; vnd

aber reipsa [r°] dabey befunden, das der lapis philosophorum terrestris, iuxta illud christi,

quærite primum regnum Dei et iusticiam ipsius, et cætera adijcientur uobis: Item, Iouæ

metüentibus, patefit eius arcanüm et foedus nicht konte assequiret werden, ehe vnd bevor man

den Lapidem Cælestem in seipso recht erkennet vnd ergriffen: Als habe ich mich auf die

whare vnuerfelschte aüß dem lichte des heiligen geistes herfließende philosophiam v[n]d

Theosophiam begeben, In derselbigen durch verlhieung gottlicher gnaden, vnd durch die drey

Gradus Veræ Magiæ et Cabalæ Cælestis et Christianæ, die vns Christus Math. 1 selbst lheret

vnd zügebrauchen befhielet, fleißig, so nachtlich, so teglich stüdiret biß ich ohn rhumb

zumelden, zu den wharen vnd inneren, der [w?]haren vnd durch das vom teuffel verfelschte

licht der natür, vnuerfelschten Theosophia, das ist, des rechten vnd wharen, von den

hochschulrischen [unleserlich]leutten vnd Theologen verworfenen ecksteins vnd Lapidis

Cælestis, Grunde vnd kern das ist Ihesum Christum in wharem glaüben, vnd mitt deßen zür

erkentniß lapidis philosophorum terrestris ohn vppigen rhümb zumelden; kommen, vnd den

wharen verstandt der heiligen schrift godt lob erlangt vnd in simplicitate, humilitate et

rectitudine cordis begriffen, dafur ich godt meÿnem schopfer vnd godt meÿnem erloser vnd

seligmacher; vnd godt meÿnem erleuchter, nicht gnugsamb dancken khan vnd will, das er

mich fur viell hundert tausenden so gnedig angeßen, vnd mitt dem lieben Paulo dem

außerwelten vaße vnd rustzeuge gottes, durch viell arbeitt ud mhue, viele gefengniß v[n]d

verfolgung, durch viel reisen, durch waßers v[n]d feuers gefhar; durch gefherlig keytt vnter

mordern; vnter falschen bruderen; in mhue vnd arbeitt, in viell wachen; in hünger vnd dürst;

durch viell fasten, in froste vnd bloße, in großer gedult, in trubsalen, in noten, in angsten, in

aufrhuren, in keuschheitt in erkentniß, in langmütt, in freundtligkeÿtt, in dem heiligen geiste,

in vngefarbter liebe, in dem worte der warheitt, in der craft gottes, durch weysen der gerechtig

keytt, zur rechten vnd zur lincken, durch ehre vnd schande, durch boß geruchte vnd gut

geruchte: als ein verfhürer vnd doch warhaftig, als ein ketzer vnd doch ein ersamer

christglaübiger, als ein zauberer, v[n]d doch so vnschuldig davon als meyn selig macher, als

ein vnbekante vnd doch bekandt, als ein sterbender, vnd sehe ich lebe, als ein gezuchtigter

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

34

vnd doch nicht [atodter?]; als ein traüriger aber allezeitt frolich; als ein armer aber der viell

reich machet; als der reiches innen hatt vnd doch alles hatt; in summa

Per üarios casus, per tot discrimina rerüm209

[v°] Ad portum salutis; vnd zu solchen hochen Mysterien, kommen vnd gelangen laßen,

dahero ich nicht vnbillig; Nachfolgendt Sÿmbolum fhure vnd in stambucheren hinter mich

verlaße.

Arte et Marte

Tendit in ardüa Virtus

Per

An ta

güs güs

ta Aü

ad

Sic Per oppositúm nascitur omne BONVM.

Nam qui assidue in rebus prosperis et laetis quid Sapiat? Non temere

aduersa Casuum reputat, quem Fortuna nunquam decepit210

; at qui etiam

eam expertus est, magis ille ad Modestiam factus et Cautionem

præcipuas PRVDENTIÆ partes

Vnde Pÿndarus recte

ό πονήσας δἐ νόω

καἰ προμάθειαν φέρει211

Qui mente laborauit

Prudentiam inde aufert

Et non inconcinne Mythridates de seipso

Mihi fortuna mültis rebus ereptis, dedit Vsum bene suadendi

Et reuera Nocumenta Docümenta

Nec Dulcia meminit, qui non gustauit amara

Sic; sine cruce et morte ad amissa bona reditus fierj nullo potest

modo, nec Deus Vult hominem mortalem a se nunc peregrinantem

ad immortalem beatitudinem et gloriam delicato peruenire itinere: sed

per ignem tentationis et tribulationis cum tristi et amara morte, Quia

Coronatio et lachrimarum abstersio demum superatorum hostium victoriam

subsequitur. Digna enim est et maioribus praelijs, VITA ÆTERNA

Auß dießem hatt nun eur. Hochg. gn. Meynen Cursum vitae aufs kurzest zuvernehmen, was

nemblich mich godt, als seyn zum ewigen leben predestinirtes vnd außerweltes kindt, durch

alle praedicamenta vnd prædicabilia hatt exerciren, vben, vnd nicht wie Silber brüteren,

sondern in dem ofen des Elendes außerwelt machen wollen. Esai: 48:212

also, das ich auch ohn

tumb zumelden woll sagen vnd schreiben khan

Mihi fortüna multis rebus ereptis dedit vsum bene sua dendi

Das ist; wie der weiße Mann Syrach sagt. Ein wolgeübter Mann versthett viell, vnd ein

wolerfharner khan von weißheitt reden, wer aber nicht geübt ist, der versthett weinig, vnd die

vngeübten v[n]d irrigen stifften viell boses. Cap. 34.

[r°] Derowegen dan, weiln ich, wie gesagt, bey mir entschloßen, Mich vnter einem herrn

Niederzulassen, daßelbe was mir godt auß gnaden offenbharet ins werck zurichten; vnd also

209

Vergil, Aeneis 1, 204 210

Livius „AB VRBE CONDITA LIBER XXX”, 30 211

Pindara, Isthmia, I, 40. Als von Vickens Quelle für dieses so wie weitere Zitate kommt in Betracht: Justus

Lipsius: "Politicorum sive Civilis doctrinae libri sex. Additae Notae auctiores, tum & De una religione liber.

Omnia postremò auctor recensuit", Antverpiae : Ex officina Plantiniana, Apud Joannem Moretum , 1610-1613. 212

Jesaja 48: 10

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

35

einem herren, der mich mittt einem ehrlichen vnterhalt vnd bestallung verßen wûrde, meyner

wißenschaft teilhaftig zü machen; Als thue Eur hochgeb. Gn. fur allen anderen, auß

vorangesagenen vrsachen, meyne vnterthenige treüwe, Eur hochgeb. Gn. vnd dero land vnd

leüttten wolersprießliche, dienste auf zwey ihar hirmitt praesentiren vnd offeriren, mitt dem

erbieten, da von Eur. hochg. gn. ich von haüß auß, wurde bestalt werden, vnd eine ehrliche

vnterhalt zuerwartten haben |: doch das anfenglich niemandt; als Eur hochgeb. Gn. vnd ich

davon wißen moge, biß ich meyne vnschuldt außgefhurett vnd an tags licht gebracht, v[n]d im

lande brunßwigk sicher reisen moge :| mich auf die nahe, oder wohin mich Eur. hochgeb. gn.

verordnen werden; damitt selbige mich iederzeitt haben v[n]d meÿner mechtig seyn konne,

aüfzuhalten, vnd anfenglich meÿne wißenschaft in dem hafen leüchten zülaßen

Erstlich, das ich allerley wildt, von den grentzen, in Eur hochgeb. Gn. grafschaft, nach;

meynes verhoffens; für den vorihass bringen, vnd dereÿn auch erhalten will, gantz Natürlich.

Zum andern, weilen Eur hochg.gn. von mir gnedig begert das bergwerck zübauwen, will vnd

khan ich mich als dan desto beßer vmbthun vnd ezlichs gewerken; die nebst mir die handt am

bauwen anlegen mochten, dan so von mir vnd anderen daßelbe solte gebaüwet werden, ist

vonnoten, das von Eur hochgeb. gn. ich eine bestallung habe, damitt ich am baüwen was

anzuwenden hette; where auch als dan entschloßen, das stallwerck in eur. hochg.gn.

Graffschaft Holstein oder Schaüenburgk, selbst anzurichten, vnd in der tadt zuerweißen, das

Eur hochg. gn. mitt warheitt deßwegen berichtet würden, vnd das die stallkunst so whar seÿ,

das im geringsten nicht daran zu zweiflen, wodurch dan Eur. Gn. einkommen nicht weinig

wurde verbeßert werden.

Zum dritten weilen ich auch vernommen, das Eur. hochg. gn große lust vnd beliebung haben

einen oder mher spiritum familiarem zühaben; konte ich als dan, wan ich von hauß auß bestalt

where, vnd demnach geschickt würde, Eur Gn. dazu verhelfen, welchs woll einen anderen

nicht zuvertraüwen, v[n]d auch von ihm schwerlich was früchtbarliches außgerichtet werden

konte

Vors vierte, so wolte eur hochg. gn. ich auch die veram præparationem Mumiae |: dan, an der

præparation ist das meÿste gelegen vnd khan abheß [?] suspicione von Eur. Gn. oder anderen

nicht, præparirt werden :| [v°] welches ich fur einen großen schatz halte eroffnen vnd selbst

verfertigen, was nun diß alleÿn fur ein schatz sey vndwas damitt außzurichten, bey den

vnterthanen vnd anderen, hatt man leichlich abzunhemen.

Zum fünften, so werde ich auch fur hochg. gn einen duchtigen knaben verschafen konnen, den

Eur. Gn. zum Spigell, derer description Eur hochg. gn. ich gutwillig communicirt, vnd

dadurch mher zuerfahren vnd zuverrichten, als man glaüben khan; ohn allen verdacht vnd

wißen anderer leüte, in geheimb wirdt gebrauchen konnen

Zum sechsten, so will ich auch auß dem blute, Eur hochg. gnaden ein licht bereitten, das da

ohn außloschen so lang brennen soll; als Eur gn.leben; vnd hett dieße tugendt, wann Eur

hochg. Gn. sich nicht woll befinden oder schwach werden will; so brennt das licht gar fenster,

vnd wan sie baldt sterben sollen; so erloscht das licht ganz und gar.

Zum siebenden; so werde ich auch desto beßer, das Sal gemmæ ad confortationem Naturae;

vnd das oleum Talci, Eur hochgebor. gn. nebst anderen sachen verfertigen konnen.

Was aber mher innerhalb der Zeitt von mir wirdt præstiret werden damitt groß wunder

zuverrichten; als mitt den sieben sigillis vnd laminis Planetarum, signorum vnd atinium [?]

Imaginum, das wirdt die zeitt vnd stunde geben vnd bringen; vd ist vnnotig viell worte davon

zusagen; weilen es nicht ehe geschen khan, als wan ich mich ein weinig werde eingerichtet

vnd dazu geschickt gemacht haben.

Wann ich nun bey mir wolbedencke; das Eur hochg gn. viell dienere alhir, in welschlanden

vnd anderen ortten auf ihre vnkosten halten, von denen sie solchen nutzen v[n]d frommen

nicht zugewaren als von mir; als khan ich nicht sehen, was Eur hochg gn dieße meyne

vnterthenige præzestirung; nicht anzunehmen; davon abhalten mochte; als das mir zur

vnschuldt, von meynen feynden v[n]d mißgunstigen hinterrucks viell nachgeredet wirdt, das

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

36

sie niemaln, so ßer sie sich auch bemhüet, erwißen, v[n]d in ewigkeytt auch nicht erweißen

werden; wan aber eure hochg. gn. bey sich wegen werden, das ich mich gegen alle meyne

feynde zur antwordt erbiete v[n]d deßwegen vnb sicher gleitte bitte, zu dem niemandt, als Eur

Gn v[n]d ich anfenglich von dießer bestallung wißen sollen; ich auch inmittelst wiederumb zu

gnaden mitt gottes hulf gelangen v[n]d meyn vnschüldt aüßscheinlich zumachen verhoffe; Als

wirdt meynes erachtens, Eur [r°] hochg gn. auch diß nicht daran behindern konnen;

insonderheitt, wan Eur hochg gn. gnedig betrachten werden, wie durch die Astrologische

kunst, Eur Gn. dero gesundheitt vnd langes leben betreffendt; was dan auch ihren Graf: vnd

herrschaftten mitt meynen warnungen vnd Nachrichtungen, fur nützen vnd frommen, in

legationibus, fursthehenden krige vnd vberfall |: des man so liederlich nicht achten soll :| fur

nutzen vnd frommen werde schaffen konnen; gewiß glaubends; das; so ich bereit v[n]d willig

gewesen vnd noch bin, fur ihrer f.g. herzogen zu B. vnd L. von denen mir aller schimpf v[n]d

spott zür vnschüldt wiederfharen; mir nicht einen finger: sonderen eine gantze handt laßen

abzunehmen, da es die nott erfurdert; bey Eur hochg. gn., der mir bestallung wurde geben vnd

alle gnade erzeigen, in zeitt der nott; viell ein mheres vnd hochers, ich ausstehen wurde.

So nun eur hochg. Gn meyner vnterthenige praesentirte dienste wolgefellig sindt; bitte Eur

hochg. gn ich vnterthenig; damitt ie ehe ie lieber fortzufharen; damitt, wo ich solte bestallet

werden, desto ehe meÿne, hin vnd wieder spargirte vnd versteckte secreta vnd instrumenta

mochte zusamen bringen, meyn furnhemen ins werck richten, vnd desto ehe Eur hochg. gn.

nützlich vnd ersprießlich bedienet seyn konnen; wo mich nicht, meyne dienste einen andern

herren den ich in erfahrung dießes, mir hingesetzet vnd erwhelet, praesentiren vnd offeriren

konnen, gewiß dafür haltende, das selbiger herr dem godt meyne person vnd wißenschaft

gunnen wirdt; ßer gluckselig seyn vnd eynen gnedig gott habe vnd haben muße; dan was

keynes menschen aüge geßen; keÿnes menschen ohr gehort; v[n]d in keynes menschen hertz

kommen; das bereittet godt nur denen die ihn furchten, lieben v[n]d von ihm außerwelt sindt.

1. Cor. 2.213

dieses habe Eur hochg gn ich also zu bezeignung meynes wolaffectionirten

gemutts andeutten wollen; demutig & gehorsambst bittend; anders nicht als in allen gnaden

zuvermercken, meyn gnediger Graf v[n]d herr zü seyn v[n]d zubleiben, v[n]d gnedig sich

gegrust mir drauf zuerkleren welches ich nach vermugen zuverdienen vrbutigk. datum den 20.

Octobr. 1614. in loco

Eur hochgebor. Gn.

demutige willige

gehorsame servitor

Niclas Von Vicken

mpp

[v°] Post Scripta

Gnediger herr, Nach dem ich dießen brief verfertigt; werde ich berichtet; das alhir in Eur. Gn.

Grafschaft; etliche haselstauden verhanden, drauf mispell wachßen soll. Wie hoch ich mich

hirob erfreuwett, da ich solches gehoret; ist nicht zu schreiben, dan vnter solchen haselstauden,

wirdt die weiße Nater gefunden derer gleigen mir in der iugent im schoß geseßen v[n]d mitt

mir gespilet, Ich habe derselben lang nachgegangen vnd lang nachgetrachtet; dieselbe auch

zweÿmhall geßen, vnd beÿ den na werd nach gegraben; ist mir aber auß vergonnen oder

mißgunst des teufels |: davon ich wurcklich viell sagen khan :| entzogen würden; Paracelsüs

schreibt, das die schlangen; fürnemblich aber die weiße, so große, vnd den vnerfharenen

vnglaubliche, potentiæ vnd gleichsame vbernatürliche virtutes habe; das niemandt glauben

khan. was aber sonsten die weiße Nater fur Virtutes habe; habe ich aüß meÿner Memoria

wollen äufsetzen vnd Eur hochg gn. zulesen schikken, damitt sie drauß erßen mogen, was es

fur ein Mÿsterium sey; Man halts fur gewiß dafur, das Paracelsus, dieße nater gehabt vnd

213

1. Kor. 2: 9

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

37

davon gegeßen weilen er aller Kreütter eigenschaft gewust & beschrieben: v[n]d ich habe nur

etliche experimenta, mitt der gemeÿnen schlangen gemacht die seltsam sindt; wie viell mher

wurdes die weißte Nater mitt der guldenen kronen thun, wan sie zu rechter zeitt genommen

vnd erlangt wirdt; dan sie ergibt sich nicht einem ieden. Diß habe Eur hochg. gn. ich nicht

vnuermeldet laßen wollen; Datum den 21. Octobr, da der Mondt, in Eur Gn. signo

ascendenten ist; sextili Veneris applicirt, vnd die Sonne mitt Joüe eine gluckselige

Coniunction machet.

Eur hochgeb. Gn.

williger gehorsamer

servitor

Niclas Von Vicken

Anhang B

STABU Best. F3, Nr. 240 „Beschreibung der wharen lebendigen Mumia und ihrer wircküng“

[r°]

Beschreibung der wharen lebendigen

Mumia vnd ihrer wircküng

Es khan ein ieglicher mensch seÿnen leib in Mümiam transmütiren, seÿnen leib vnd leben ohn

schaden, vnd khan ein stück von seÿnem leibe nhemen, das mans doch dem leibe nicht ansihet,

vd dieße wirdt die lebendige Mumia genant.

Mitt dießer Mümia haben sich viell bemhüet die büler vnd bülerinen, welche ihre eigne

Mumiam gar lieblich bereitet, vnd deßelben ein gar kleÿn gewicht ihrer bülschaft

beÿgebracht: alsbaldt ist die liebe angangen vnd angezündet würden, vnd derselbe leib, von

dem die Mümia genommen ist, hatt den andern leib in liebe solche maßen zu sich gezogen

vnd in liebe entzündet, das er nicht woll ohn den anderen hatt seÿnen konnen: sondern ihm

alzeitt nachgefolgt.

Vnd da man nün solche wirckung in dießem Mümia erfünden, hatt man den sachen weitter

nachgedacht: da ist solches auch vnter die baüren kommen, die haben aüch also wie

vorgemeldet ihrem viehe, geißen, hennen, taüben etc. vnd desgleigen thieren, das ihnen gern

hinliefe vnd hinfloge, gethan, das es nicht hinwegliefe oder hinfloge: sondern alzeitt

wiederkhere, vnd keÿnen anderen hern liebe gewinnen solte: Also etliche, ihren roßen, etliche

ihren hünden etliche ihren falcken, auch allen anderen voglen: Also auch die iager oftmals

ihrem gewilt haben gethan, vd solcher maßen zür lieb bezwüngen, das es ihnen selbst biß ins

garn nachgegangen ist: Also auch etliche, die mitt wilden thieren haben müßen vmbgehen,

haben deßgleigen denselbigen wilden thieren gethan mitt ihrer Mümia, vnd zür liebe

bezwungen, also das ihnen keÿn schaden konten oder mochten thün: sondern sie lieben

müsten vnd nach ihrem geheiß thün, vnd ihnen gehorsamb seyn in allen dingen.

Vnd das ist hir zuwißen vnd woll zümercken, das man also die zwen ergsten vnd großisten

feÿnde nemblich ein affen vnd ein schlangen mitteinander verßünen vnd in ewige liebe

gegeneinander verkheren magk. dan zügleiger weiß, wie ein mensch seÿnem eigenen leibe

nicht feÿndt ist; also da auch geschicht. dan, da begert ein leib des anderen, als der magnet des

eisens: vnd ist hiebeÿ anders nicht züversthen, dan zwischen einem Magneten vnd einem

eisen, die alzeitt einander lieben, einander anhangen, nachgehen vnd nachfolgen. Vnd gleig

wie der Magnet ohn das eisen nit woll beÿ kreften khan erhalten werden: sondern daßselbige

haben muß; vnd aber das eisen des magneten woll entrhaten magk, vnd woll ohn denselben

Nicolaus von Vicken (1571 - nach 1624)

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seyn khan, auch nichts destoweiniger beÿ seÿn kreften bleiben: Also geschicht auch zwischen

zwen menschen, oder zwischen einem menschen vd zwischen einem viehe, in allen zuweg

gebrachten lieben wie vorgemeldet.

Dan ein iedes corpüs, dem ein lebendige Mümia wirdt beÿgebracht von einem [m]enschen,

daßelbe corpüs wirdt alsbaldt zu einem Magneten. Auß dießem ist aüch der große mißbraüch

vnd der elendt iammer beÿ den erzhüren und teüfelshuren; welche dießen process vnrecht

verstanden oder von dem teufel vnd dem seÿnem vnrecht berichtet würden, das sie haben ihr

Menstrüüm für die Mümia genommen, vermeÿnendt es seÿ auch ihr Mümia, vnd diene

insonderheitt dahero, nemblich ihre liebe damitt züerhalten, so es doch ein teüflische lügen

vnd betrüg ist, dan es ein laüter gift ist, dem es wirdt beÿgebracht, der wirdt nimmer gesündt

biß in seÿn todt, vnd nach dem seÿn complexion starck ist, lebe er desto lenger, mag aber

doch solches nicht vberwinden: sondern müß es mitt [v°] der haüt, vnd mit dem leben

bezhalen Mitt dießer rechten wharen Mumia ist es aber nicht also, die erregt keÿne

kranckheitt, viel weiniger den todt. Vnd also mag nün ein ieglicher durch seÿne eigne

Mümiam, seÿnen feÿndt, zü seÿnem besten freundt machen; also, das er hernach gleig nach

allem seÿnem willen thüt, vnd mitt nichten wieder ihn: sondern mitt ihm ist.