Master's Thesis "Das Nullding in der Mereology" ("The Empty Individual in Mereology")

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Transcript of Master's Thesis "Das Nullding in der Mereology" ("The Empty Individual in Mereology")

DAS NULLDING

IN DER MEREOLOGIE

DIPLOMARBEIT

zur Erlangung des Magistergrades

an der Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlichen

Fakultät

der Universität Salzburg

Gutachter: Ao.Univ.-Prof.Dr. Alexander Hieke

eingereicht von

MANUEL LECHTHALER

Salzburg

März 2010

1

Danksagung

Ich möchte mich an dieser Stelle bei all den Personen bedanken, die in dereinen oder anderen Form einen wesentlichen Anteil dazu beigetragen haben,dass diese Arbeit geschrieben werden konnte.

Zunächst einmal möchte ich mich bei Herrn Ao.Univ.-Prof.Dr. AlexanderHieke bedanken, der mich beim Erstellen dieser Arbeit betreut und mich immerwieder durch Lob und Kritik zum Weitermachen ermutigt hat. Ohne ihn würdedie Arbeit nicht in dieser Form zustande gekommen sein.

Weiters möchte ich mich auch bei einigen meiner Kommilitonen, vor allembei Mag. Albert Anglberger, für die kritischen Hinweise und fruchtbaren Unter-haltungen über das Thema Mereologie bedanken.

Abschlieÿend danke ich noch meiner Partnerin und meiner Familie, die nichtnur während des Verfassens dieser Arbeit, sondern der gesamten Zeit meinesStudiums mich unterstützt und immer wieder motiviert haben.

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 4

1.1 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.2 Problemstellung und Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . 41.3 Präliminarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

1.3.1 Technische Präliminarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61.3.2 Logische Präliminarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

2 Mereologische Theorien 8

2.1 Was ist Mereologie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82.2 Aufbau einer Sprache für mereologische Theorien . . . . . . . . . 9

2.2.1 Zeichen von SM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92.2.2 Grammatik von SM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

2.3 Die Basistheorie M . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112.3.1 Die ersten zwei Axiome von M . . . . . . . . . . . . . . . 122.3.2 De�nitionen von M . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122.3.3 Zwei weitere Axiome von M . . . . . . . . . . . . . . . . . 162.3.4 Theoreme von M . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

2.4 Erweiterungen von M . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222.4.1 Mereologischer Non-Atomismus . . . . . . . . . . . . . . . 222.4.2 Mereologischer Atomismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

2.4.2.1 Strenger mereologischer Atomismus . . . . . . . 242.4.2.2 Gemäÿigter mereologischer Atomismus . . . . . 26

3 Das Nullding 27

3.1 Gründe für die Existenz des Nulldings . . . . . . . . . . . . . . . 273.1.1 Carnaps Begründung für die Existenz des Nulldings . . . 283.1.2 Martins Begründungen für das Nullding . . . . . . . . . . 30

3.1.2.1 Martins Verweis auf Lejewski . . . . . . . . . . . 313.1.2.2 Das Nullding und die leere Menge . . . . . . . . 353.1.2.3 Leere Gegenstandsbereiche in der Prädikatenlogik 363.1.2.4 Existierende Individuen und das Nullding . . . . 37

3.2 Kritik an den Begründungsversuchen für die Existenz des Nulldings 383.2.1 Kritik an Carnaps Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . 383.2.2 Kritik an Martins Verweis auf Lejewski . . . . . . . . . . 41

2

INHALTSVERZEICHNIS 3

3.2.3 Kritik am Vergleich zwischen dem Nullding und der leerenMenge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

3.2.4 Kritik an der Begründung durch leere Gegenstandsberei-che in der Prädikatenlogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

3.2.5 Kritik an der Begründung in 3.1.2.4 . . . . . . . . . . . . 443.3 De�nitionsvorschläge für das Nullding . . . . . . . . . . . . . . . 44

3.3.1 Das Nullding als Teil von jedem Individuum . . . . . . . . 453.3.2 Carnaps zweiter Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

3.4 Mereologische Theorien und das Nullding . . . . . . . . . . . . . 463.4.1 Kritik an D15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473.4.2 Die Basistheorie M und D13 . . . . . . . . . . . . . . . . 483.4.3 Kritik an der De�nition D14 . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

3.4.3.1 D14 und der mereologische Non-Atomismus . . . 493.4.3.2 D14 und der gemäÿigte mereologische Atomismus 513.4.3.3 D14 und der strenge mereologische Atomismus . 52

4 Schlussbetrachtungen 58

Kapitel 1

Einleitung

1.1 Vorwort

Im Rahmen des Seminars �Philosophische Logik und Ontologie” im Sommer-semester 2008, welches ich bei Herrn em.O.Univ-Prof.Dr. Edgar Morscher be-suchte, habe ich mich eingehender mit dem Thema Mereologie beschäftigt. Fürdieses Seminar habe ich dann auch eine Seminararbeit mit dem Titel �Mereo-logie − Die Basistheorie M und ihre Erweiterung M ′”1 geschrieben. In dieserSeminararbeit habe ich mich bereits mit der Problematik der Existenzannah-me des Nulldings im Rahmen von mereologischen Theorien auseinandergesetzt.Doch schon bald wurde mir damals klar, dass diese Thematik zu umfassendist, um sie im Rahmen einer Seminararbeit angemessen zu erörtern. Deshalbhabe ich beschlossen, jene Seminararbeit als Ausgangspunkt für diese Arbeitzu verwenden und in ihr die These der Existenz des Nulldings eingehender zuuntersuchen.

Beim Verfassen der besagten Seminararbeit glaubte ich, ein Argument ge-gen die Existenz des Nulldings gefunden zu haben und habe dieses auch in derSeminararbeit2 präsentiert. Einige Wochen nachdem ich die Arbeit eingereichthatte, machte mich Herr Mag. Albert Anglberger darauf aufmerksam, dass die-ses Argument nicht gültig ist, weil die Variablenbedingung darin verletzt ist.Ich danke ihm sehr für diesen Hinweis, denn die Entdeckung des Fehlers indiesem Argument war für mich und die Entwicklung dieser Arbeit von groÿerBedeutung.

1.2 Problemstellung und Aufbau der Arbeit

Ich werde in dieser Arbeit versuchen, die Frage zu beantworten, ob es überzeu-gende Gründe dafür gibt, die Existenz des Nulldings in mereologischen Theorienanzunehmen. Dazu werde ich einige Theorien aus der Literatur betrachten und

1Lechthaler, 2008.2Vgl. Lechthaler, 2008, S.18−19.

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KAPITEL 1. EINLEITUNG 5

aus ihnen Gründe für die Annahme der Existenz des Nulldings herausarbeiten,um diese anschlieÿend kritisch zu hinterfragen. Danach werde ich einige De�-nitionsvorschläge für das Nullding erstellen und sie auf ihre Vereinbarkeit mitmereologischen Theorien überprüfen. Durch das Hinzufügen der einzelnen De�-nitionen zu den zuvor präsentierten mereologischen Theorien und das Ableiteneiniger Theoreme werde ich zeigen können, dass die Annahme der Existenz desNulldings im Rahmen von mereologischen Theorien unhaltbar ist.

Der Aufbau der Arbeit ist wie folgt: Der Abschnitt 1.3 beinhaltet einigeErläuterungen bzgl. der in der Arbeit verwendeten technischen und logischenVoraussetzungen. Ich ho�e, dass durch die Ausführungen in jenem Abschnittdas Verständnis des Hauptteils des Textes gesichert und Missverständnisse ver-mieden werden können.

Mit dem Abschnitt 2.1 in Kapitel 2 beginnt dann der inhaltliche Teil derArbeit. In diesem Abschnitt werde ich zunächst den Ausdruck `Mereologie' kurzerläutern. In Abschnitt 2.2 werde ich eine Sprache für mereologische Theorienaufbauen und somit die Grundlage für den Abschnitt 2.3 erarbeiten. In die-sem Abschnitt werde ich dann eine mereologische Basistheorie erstellen, einigeTheoreme aus ihr ableiten und die Basistheorie daraufhin mit Thesen aus dereinschlägigen Literatur erweitern. Das Kapitel 3 widmet sich schlieÿlich demNullding. Im Abschnitt 3.1 werde ich einige Gründe für die Annahme der Exis-tenz des Nulldings in Form von Argumentationen aus der Literatur vorbringen.Danach werde ich im Abschnitt 3.2 diese Begründungsversuche aus der Litera-tur kritisch analysieren und versuchen sie durch überzeugende Gegenargumentezu widerlegen. Im Anschluss daran werde ich in Abschnitt 3.3 versuchen, ei-nige adäquate De�nitionsvorschläge für das Nullding anzugeben, welche dannim darauffolgenden Abschnitt zu den im Kapitel 2 angeführten mereologischenTheorien hinzugefügt werden. Durch das Ableiten von Widersprüchen und un-plausiblen Theoremen, welche aufgrund des Hinzufügens der einzelnen De�-nitionsvorschläge für das Nullding aus der Basistheorie oder den erweitertenmereologischen Theorien folgen, werde ich zu dem Schluss gelangen, dass es imRahmen von mereologischen Theorien nicht angemessen ist, die Existenz desNulldings anzunehmen.

1.3 Präliminarien

Ich möchte in diesem Abschnitt der Arbeit zunächst einige technische Anmer-kungen machen. Dies soll dazu führen, dass das Verständnis des Textes erleich-tert und mögliche Missverständnisse vermieden werden können. Im Abschnitt1.3.1 werde ich erläutern, wie ich die unterschiedlichen Anführungszeichen ver-wende und wie die Nummerierung von Sätzen und Formeln erfolgt. Im dar-auffolgenden Abschnitt 1.3.2 werde ich angeben, welchen logischen Rahmen ichin der Arbeit voraussetze.

KAPITEL 1. EINLEITUNG 6

1.3.1 Technische Präliminarien

Die unterschiedlichen Anführungszeichen verwende ich wie folgt:

• Doppelte Anführungszeichen (“ . . . ”) deuten ein wörtliches Zitat an.

• Einfache Anführungszeichen (‘ . . .') dienen zur Erwähnung von Ausdrücken.

Da ich an bestimmten Stellen der Arbeit auf vorangegangene Beispielsätze, wel-che das Verständnis des Textes erleichtern sollen, und auf Formeln verweise,werde ich einige Sätze und Formeln benennen. Dies hat den Vorteil, dass ichmich beim Verweisen auf vorangegangene Sätze oder Formeln kürzer ausdrückenkann, ohne dass beim Leser Verwirrung gestiftet wird.

Die Nummerierung von Sätzen und Formeln wird folgendermaÿen ablaufen:

• Sätze werden mit dem Buchstaben ‘S' gekennzeichnet und werden fort-laufend mit einem Index `n', für den gilt: n ≥ 1, nummeriert.

• De�nitionen werden mit dem Buchstaben ‘D' gekennzeichnet und werdenfortlaufend mit einem Index `n', für den gilt: n ≥ 1, nummeriert.

• Axiome werden mit dem Buchstaben ‘A' gekennzeichnet und werden fort-laufend mit einem Index `n', für den gilt: n ≥ 1, nummeriert .

• Theoreme werden mit dem Buchstaben ‘T ' gekennzeichnet und werdenfortlaufend mit einem Index `n', für den gilt: n ≥ 1, nummeriert .

1.3.2 Logische Präliminarien

Im Folgenden werde ich für meine Argumentationen eine Prädikatenlogik zweiterStufe mit Identität und Kennzeichnungsoperator als logischen Rahmen voraus-setzen. Da es problematisch erscheinen mag, die Existenz eines Individuums imRahmen der klassischen Prädikatenlogik zu diskutieren, werde ich zunächst imKapitel 2 die fragwürdige Individuenkonstante ‘θ', welche das Nullding angeb-lich bezeichnen soll, nicht zu den Zeichen der Sprache zählen. In Kapitel 3, inwelchem ich über die These der Existenz des Nulldings diskutiere, werde ich diebesagte Individuenkonstante zu dem Vokabular vonM hinzufügen, d.h. ich neh-me an jener Stelle der Arbeit vorläu�g an, dass das Nullding existiert. Solltensich in den darauffolgenden Erörterungen aufgrund der Annahme der Existenzdes Nulldings Widersprüche oder unhaltbare Theoreme ergeben, ist bis auf Wei-teres bewiesen, dass das Nullding nicht existiert und die Individuenkonstante‘θ' vorläu�g aus dem Vokabular von M gestrichen werden muss.

Im Laufe der Arbeit werde ich dem Leser einige Beweise präsentieren, da-mit ihm deutlicher vor Augen geführt werden kann, warum bestimmte Theo-reme aus einer Theorie logisch folgen. Da die einzelnen logischen Schlussregelnund Axiome, vor allem die prädikatenlogischen, mehrere Bezeichnungen habenund gelegentlich auch unterschiedlich abgekürzt werden, möchte ich an dieserStelle eine kurze Tabelle liefern, in der angeführt wird, welche Abkürzung aufwelche prädikatenlogische Schlussregel bzw. welches prädikatenlogische Axiom

KAPITEL 1. EINLEITUNG 7

verweist, sodass auch diesbezüglich keine Missverständnisse entstehen sollten.Auf aussagenlogische Axiome wird mit dem Kürzel ‘AL' und auf aussagenlogi-sche Schlussregeln mit einer bestimmten Abkürzung, wie z.B. ‘MP ' für ModusPonens oder ‘DS' für Disjunktiver Syllogismus, hingewiesen.

Bevor ich dem Leser diese Tabelle von Schluss- und Axiomenschemata prä-sentiere, möchte ich die in dieser Tabelle verwendete Notation mit einer kurzenAu�istung erläutern:

• ‘x' wird als Variable für gebundene Individuenvariablen verwendet.

• ‘α' und ‘β' werden als Variablen für freie Individuenvariablen und -konstantenverwendet.

• ‘Γ' wird als Variable für prädikatenlogische Formeln verwendet, wobeidurch ‘Γα' zum Ausdruck gebracht wird, dass in ‘Γ' der Ausdruck ‘α'mindestens einmal frei vorkommt.

• ‘Ψ' wird als Variable für Prädikatkonstanten verwendet.

• ‘Σ' wird als Variable für Prädikatvariablen verwendet.

Abkürzung Schluss- und Axiomenschema

EE ∃xΓx ∴ ΓαEE∗ ∃ΣΓΣ ∴ ΓΨEG Γα ∴ ∃xΓxEG∗ ΓΨ ∴ ∃ΣΓΣUE ∀xΓx ∴ ΓαUE∗ ∀ΣΓΣ ∴ ΓΨUG Γα ∴ ∀xΓxUG∗ ΓΨ ∴ ∀ΣΓΣSP Γα, α = β ∴ ΓβQN ∀xΓx↔ ¬∃x¬ΓxQN∗ ∀ΣΓΣ↔ ¬∃Σ¬ΓΣGl ∀x(x = x)

Die Schlussschemata ‘EE', ‘EE∗', ‘UG' und ‘UG∗' dürfen nur dann angewendetwerden, wenn die Variablenbedingung, welche durch das Kürzel ‘V B' abgekürztwird, erfüllt ist.

Kapitel 2

Mereologische Theorien

2.1 Was ist Mereologie?

Die Mereologie ist eine formale, ontologische Theorie, in der die unterschied-lichen Formen der Teilrelation betrachtet werden. Diese Erläuterung scheintnutzlos zu sein, sofern die Ausdrücke ‘Theorie', ‘formal' und ‘Teilrelation' nichteinigermaÿen geklärt sind. Deshalb möchte ich an dieser Stelle erklären, was ichmit diesen drei Ausdrücken meine.

Mit dem Ausdruck ‘Theorie' bezeichne ich eine nicht-leere und logisch abge-schlossene Menge von Formeln, welche wahrheitswertfähige Sätze repräsentieren.Die Mereologie ist eine formale Theorie, weil ihre Ausdrücke in einer präzisenSprache ausgedrückt werden und den einzelnen Zeichen der Sprache jeweils eineklare Bedeutung zugeordnet wird.

Der Ausdruck ‘Teilrelationen' bezeichnet jene Beziehungen, welche zwischeneinem Ganzen und einem seiner Teile oder zwischen ihm und mehreren seinerTeile bestehen. Im weiteren Sinne bezeichnet der Ausdruck auch jene Relationen,welche zwischen den Teilen eines Ganzen untereinander bestehen. Ich möchteden Ausdruck ‘Teilrelation' im weiteren Sinne verwenden, sodass die folgendenumgangssprachlich formulierten Sätze Teilrelationen beschreiben.

S1 Wenn Südtirol ein Teil von Italien ist, dann ist Italien nicht ein Teilvon Südtirol.

S2 Das Schlagerduo Klaus und Klaus bestand aus Klaus Baumgart undKlaus Büchner.

S3 Wenn der Knopf ein Teil des Kragens und der Kragen ein Teil desHemdes ist, dann ist der Knopf ein Teil des Hemdes.

S4 Alaska ist ein Teil der Vereinigten Staaten von Amerika.

S5 Burgenland und Niederösterreich sind Teile von Österreich.

Ich glaube, ich konnte mit diesen Erläuterungen den Ausdruck ‘Mereologie'einigermaÿen deutlich erläutern und es sollte dem Leser nun klar sein, was inetwa der thematische Rahmen für die folgenden Erörterungen sein wird.

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KAPITEL 2. MEREOLOGISCHE THEORIEN 9

2.2 Aufbau einer Sprache für mereologische Theo-

rien

In diesem Teil der Arbeit werde ich eine formale Sprache für mereologischeTheorien erstellen. Da eine Sprache aus den Zeichen und den Bildungsregelnfür wohlgeformte Ausdrücke der Sprache besteht, werde ich zunächst die Zei-chen der Sprache au�isten und dann die Grammatik der Sprache erstellen. Ichnenne die daraus resultierende Sprache kurz ‘SM ' und werde sie im nächstenAbschnitt dazu verwenden, um eine mereologische Basistheorie zu erstellen. Vondieser Basistheorie ausgehend können verschiedene mereologische Theorien, mitunterschiedlichen Eigenaxiomen, konstruiert werden, was dann im Abschnitt 2.4geschehen wird.

2.2.1 Zeichen von SM

Die Zeichen von SM werden in logische und nicht-logische Zeichen von SM unter-teilt. Die logischen Zeichen von SM sind die Junktoren, die Quantoren, das Iden-titätszeichen und die Hilfszeichen von SM . Die nicht-logischen Zeichen von SM

können in Individuen-, Prädikat- und Funktionszeichen von SM unterschiedenwerden. In der Sprache SM gibt es Prädikatvariablen und -konstanten, wobei diePrädikatkonstanten von SM in mereologische und nicht-mereologische Prädikat-konstanten unterteilt werden. Die mereologischen Prädikatkonstanten repräsen-tieren jene Relationen, welche sog. Teilrelationen sind, die nicht-mereologischenPrädikatkonstanten drücken hingegen beliebige Relationen aus. Die Individuen-zeichen von SM werden in Individuenvariablen und -konstanten unterteilt.

Die logischen Zeichen von SM :

• Die Junktoren von SM : ¬, ∧, ∨, →, ↔.

• Die Quantoren von SM :∀, ∃.

• Das Identitätszeichen von SM : =.

• Die Hilfszeichen von SM : ), (.

Die nicht-logischen Zeichen von SM :

• Abzählbar unendlich viele Individuenvariablen: x, y, z, w, x1, x2, . . .

• Abzählbar unendlich viele Individuenkonstanten: c, c1, c2, u, . . .

• Abzählbar unendlich viele Prädikatvariablen mit bestimmter Stellenzahln, wobei für n gilt: n ≥ 1: Fn, Gn, Fn

1 , Fn2 , . . .

• Die einstellige mereologische Prädikatkonstante: A1.

• Die zweistelligen mereologischen Prädikatkonstanten: <, ≤, ◦, ∪, �.

KAPITEL 2. MEREOLOGISCHE THEORIEN 10

• Abzählbar unendlich viele nicht-mereologische Prädikatkonstanten mit be-stimmter Stellenzahl n, wobei für n gilt: n ≥ 1: Pn, Qn, Rn, . . .

• Die einstellige Funktionskonstante: α.

• Die zweistelligen Funktionskonstanten: ·, +, −.

• Die generellen Funktionskonstanten: σ, π.

• Der Kennzeichnungsoperator: ı.

2.2.2 Grammatik von SM

Die Menge der Terme und der wohlgeformten Formeln von SM wird durch diefolgende simultan rekursive De�nition festgelegt.

1. Jede Individuenkonstante von SM ist ein Term von SM .

2. Jede freie Individuenvariable von SM ist ein Term von SM .

3. Wenn α ein Term von SM ist, dann ist α ein Term von SM .

4. Wenn Φ eine zweistellige Funktionskonstante von SM ist und α und βTerme von SM sind, dann ist (αΦβ) ein Term von SM .

5. Wenn α und β Terme von SM sind, dann ist (α = β) eine wohlgeformteFormel von SM .

6. Wenn Ψ eine zweistellige mereologische Prädikatkonstante von SM ist undα und β Terme von SM sind, dann ist (αΨβ) eine wohlgeformte Formelvon SM .

7. Wenn Ψ eine n-stellige Prädikatkonstante von SM ist und α1, . . . , αn Ter-me von SM sind, wobei für n gilt: n ≥ 1, dann ist (Ψnα1, . . . , αn) einewohlgeformte Formel von SM .

8. Wenn Γ eine wohlgeformte Formel von SM ist, dann ist ¬Γ eine wohlge-formte Formel von SM .

9. Wenn Γ und ∆ wohlgeformte Formeln von SM sind, dann sind auch (Γ∧∆),(Γ ∨∆), (Γ→ ∆) und (Γ↔ ∆) wohlgeformte Formeln von SM .1

10. Wenn Γ[α] eine wohlgeformte Formel von SM ist, in der die Individuenva-riable α mindestens einmal frei vorkommt und die gebundene Variable λnicht vorkommt, dann sind ∀λ(Γ[λ]) und ∃λ(Γ[λ]) wohlgeformte Formelnvon SM .2

1Im Folgenden sollen die üblichen Regeln der Klammerersparnis gelten, d.h: I.Konjunktions- und Disjunktionszeichen binden stärker als Implikations- und Äquivalenzzei-chen. II. Die äuÿersten Klammern können grundsätzlich weggelassen werden.

2Dabei muss darauf geachtet werden, dass die Variablenbedingung erfüllt ist. Dies ist derFall, wenn in der Formel Γ[α] die Individuenvariable α nicht durch einen Quantor gebunden ist,sie an allen Stellen durch die Individuenvariable λ ersetzt wird und der daraus resultierendenFormel einer der beiden Quantoren von SM gefolgt von λ vorangestellt wird (Vgl. Smith, 2003,S. 205).

KAPITEL 2. MEREOLOGISCHE THEORIEN 11

11. Wenn Γ[α] eine wohlgeformte Formel von SM ist, in der die Individuen-variable α mindestens einmal frei vorkommt und die gebundene Individu-envariable λ nicht vorkommt, dann ist ıλΓ[λ] ein Term von SM .

12. Wenn Γ[α] eine wohlgeformte Formel von SM ist, in der die Individuenva-riable α mindestens einmal frei vorkommt und die gebundene Individuen-variable λ nicht vorkommt, dann sind σλ(Γ[λ]) und πλ(Γ[λ]) Terme vonSM .

13. Wenn Γ[Ψ] eine wohlgeformte Formel von SM ist, in der die Prädikat-variable Ψ mindestens einmal frei vorkommt und die gebundene Prädi-katvariable Σ nicht vorkommt, dann sind auch ∀Σ(Γ[Σ]) und ∃Σ(Γ[Σ])wohlgeformte Formeln von SM .3

14. Ansonsten ist nichts ein Term oder eine wohlgeformte Formel von SM .

2.3 Die Basistheorie M

In diesem Abschnitt der Arbeit werde ich die Basistheorie M entwickeln. Da-zu werde ich zuerst das Grundprädikat und dann die Axiome von M angeben.Danach werde ich die für die Theorie M spezi�schen Prädikat- und Funkti-onskonstanten, sowie eine Individuenkonstante de�nieren. Im Anschluss daranwerde ich mithilfe der Logik einige interessante und für die anschlieÿenden Er-örterungen hilfreiche Theoreme ableiten.

Um die TheorieM aufzubauen, wird lediglich ein Prädikat, bzw. eine unde�-nierte Prädikatkonstante benötigt. In der Literatur gehen die unterschiedlichenAutoren von verschiedenen Prädikaten aus.4

Ich verwende das Prädikat ‘ist ein echter Teil von' als unde�niertes Prädikat,weil es in unserem alltäglichen Sprachgebrauch recht eindeutig und präzise ver-wendet wird und mir scheint, dass uns die Bedeutung dieses Prädikats intuitivklar ist. Deshalb denke ich auch, dass es angemessen ist, eine formale Theorieausgehend von diesem Prädikat zu erstellen. In der formalen Sprache SM , inder die Theorie M verfasst ist, wird diese Relation durch die Prädikatkonstante‘<' repräsentiert. Der Satz S1 wird durch die Formel

c1 < c2 → ¬(c2 < c1)

repräsentiert, sofern die Individuenkonstante ‘c1' mit dem Ausdruck ‘Südtirol'und ‘c2' mit dem Ausdruck ‘Italien' in die Umgangssprache übersetzt wird.

3Auch hier muss die Variablenbedingung erfüllt sein, siehe dazu Fuÿnote 2 auf S. 10.4Peter Simons benutzt − so wie wir − als unde�niertes Prädikat ‘echter Teil sein von'

(Vgl. Simons, 2003, S. 26.), wie auch Alfred Tarski bei der Axiomatisierung von Le±niewskisTheorie (Vgl. Tarski, 1983, S. 30−31.). Casati und Varzi hingegen verwenden die Relation desÜberlappens als unde�niertes Prädikat (Vgl. Casati, Varzi, 1999, S. 11.).

KAPITEL 2. MEREOLOGISCHE THEORIEN 12

2.3.1 Die ersten zwei Axiome von M

Weil die Theorie M nur von einem einzigen unde�nierten Prädikat ausgeht,betrachten wir zunächst lediglich zwei Axiome vonM . Dies sind die Transitivitätund die Asymmetrie von ‘<'.

A1 ∀x∀y∀z(x < y ∧ y < z → x < z)

A2 ∀x∀y(x < y → ¬(y < x))

Ich denke, man kann diese beiden Axiome ohne jegliche Zweifel akzeptieren,denn sie entsprechen vollkommen unserer alltäglichen Verwendungsweise desAusdrucks ‘ist ein Teil von'. Die Beispielsätze S3, der durch eine Einsetzungs-instanz von A1 repräsentiert werden kann, und S1, der durch eine Einsetzungs-instanz von A2 repräsentiert werden kann, bestärken diese These.

2.3.2 De�nitionen von M

Ausgehend von der oben präsentierten unde�nierten Prädikatkonstante ‘<' wer-den nun in diesem Unterabschnitt die übrigen, für mereologische Theorien ty-pischen Prädikat- und Funktionskonstanten sowie eine Individuenkonstante de-�niert. Dabei werde ich zu einigen De�nitionen je einen Beispielsatz angebenoder auf einen Beispielsatz verweisen, welcher bereits an einer vorangegange-nen Textstelle angeführt wurde. Diese Beispielsätze sollen das Verständnis derDe�nitionen erleichtern. Auÿerdem werde ich bei manchen De�nitionen einigewissenschaftstheoretische Anmerkungen machen.

Bevor ich jedoch damit beginne, die für die Theorie M spezi�schen De�ni-tionen zu erstellen, möchte ich zunächst noch die Verwendungsweise des Kenn-zeichnungsoperators ‘ı', der bereits im Abschnitt 2.2 zum Aufbau der Spracheder Theorie M verwendet wurde, erläutern. Der Kennzeichnungsoperator kannin die Umgangssprache mit dem Ausdruck ‘dasjenige' übersetzt werden. Daherwird auch z.B. der Term ‘ıλ(Ψ[λ])' mit ‘dasjenige λ, sodass gilt Ψ[λ]' in dieUmgangssprache übersetzt, sofern ‘ıλ(Ψ[λ])' ein Term von M ist. Anhand die-ser Übersetzung in die Umgangssprache erkennt man, dass die Verwendung desKennzeichnungsoperators voraussetzt, dass eine bestimmte Eigenschaft auf ge-nau ein Individuum zutri�t. Daher wird der Kennzeichnungsoperator auch wiefolgt de�niert:

D0 ∀x∀Fn(x = ıy(Fn[y])↔ (Fn[x] ∧ ∀z(Fn[z]→ z = x)))

Ich glaube, dass somit die Verwendungsweise des Kennzeichnungsoperators klarsein dürfte und ich somit mit den De�nitionen, welche für die Theorie M spe-zi�sch sind, fortfahren kann.

Ich beginne mit dem Prädikat ‘ist ein unechter Teil von'. Dieses Prädikat wirdin der Umgangssprache kaum verwendet (auÿer vielleicht von einigen wenigenMereologen), doch ist es für die Analyse von Texten, welche sich mit mereolo-gischen Relationen beschäftigen, von groÿem Nutzen. In Kapitel 3 der Arbeitwird dann auf diese Unterscheidung zwischen den beiden Prädikaten ‘echter

KAPITEL 2. MEREOLOGISCHE THEORIEN 13

Teil sein von' und ‘unechter Teil sein von' zurückgegri�en, um eine mehrdeutigeFormulierung im Kontext von mereologischen Texten zu analysieren. Umgangs-sprachlich ausgedrückt ist ein Individuum ein unechter Teil von einem anderengdw ersteres ein echter Teil vom zweiten ist oder die beiden Individuen identischsind. Folglich lautet die De�nition in der Sprache SM :

D1 ∀x∀y(x ≤ y ↔ (x < y ∨ x = y))

Die Relation ‘unechter Teil sein von' ist transitiv, antisymmetrisch und re�exiv.Als nächstes wird die Relation ‘sich überlappen' de�niert. Zwei Individuen

überlappen sich gdw sie mindestens einen gemeinsamen (unechten) Teil haben.

D2 ∀x∀y(x ◦ y ↔ ∃z(z ≤ x ∧ z ≤ y))

Die Relation des Überlappens ist symmetrisch und re�exiv. Ein umgangssprach-licher Beispielsatz für dieses Prädikat ist der Satz

S6 Lappland und Finnland überlappen sich.

Die De�nition der Relation ‘unterlappen sich' besagt, dass sich zwei Individuenunterlappen gdw es mindestens ein drittes Individuum gibt, sodass jedes derersten beiden Individuen ein unechter Teil des dritten Individuums ist.

D3 ∀x∀y(x ∪ y ↔ ∃z(x ≤ z ∧ y ≤ z))

Der Satz

S7 Burgenland und Niederösterreich unterlappen sich.

ist ein Beispielsatz für diese Relation. Natürlich wird ein solcher Satz in unsererUmgangssprache kaum verwendet. Vielmehr würde man in der Umgangsspracheauch das Individuum, das in der De�nition durch die Individuenvariable ‘z'angedeutet wird, nennen und einen ähnlichen Satz wie z.B. S5 formulieren. DieRelation des Unterlappens ist eine symmetrische und re�exive Relation.

Die folgende De�nition der Relation ‘disjunkt sein' drückt aus, dass sich zweiIndividuen nicht überlappen, sie also weder identisch sind, noch einen gemein-samen Teil besitzen.

D4 ∀x∀y(x � y ↔ ¬(x ◦ y))

Ein passender Beispielsatz für diese De�nition ist

S8 Die Pyramide und der Turm sind disjunkt.

Im Alltag würde man einfach sagen, dass die Pyramide und der Turm keinegemeinsamen Teile haben. ‘Disjunkt sein' ist eine symmetrische und irre�exiveRelation.

Kommen wir nun zur ersten Funktionskonstante, die für die TheorieM de�-niert wird, die Konstante für das binäre Produkt zweier Individuen. Wenn sichzwei Individuen überlappen, dann ist ihr binäres Produkt die Gesamtheit jenerIndividuen, welche (unechte) Teile von beiden Individuen sind.

KAPITEL 2. MEREOLOGISCHE THEORIEN 14

D5 ∀x∀y(x ◦ y → ∀z(x · y = z ↔ ∀w(w ≤ z → w ≤ x ∧ w ≤ y)))

In der Theorie M muss diese Funktion mithilfe einer bedingten De�nition de�-niert werden, denn wenn sich zwei Individuen nicht überlappen, dann kann es,im Rahmen der Theorie M , für diese Individuen kein binäres Produkt geben.Der Satz

S9 Das binäre Produkt der Rainerstraÿe und der Auerspergstraÿe ist dieKreuzung Rainerstraÿe-Auerspergstraÿe.

ist ein Beispielsatz für die Funktion des binären Produkts, auch wenn es ein sehrkünstlicher Beispielsatz ist, der im Alltag sicherlich nur selten verwendet wird.

Auch wenn man in der Umgangssprache kaum den Ausdruck ‘binäre Sum-me' verwendet, sondern einem anderen Sprachgebrauch folgt, so sprechen wiröfters von solchen Summen, obwohl wir dabei andere Ausdrücke verwenden. DieFunktion ‘ist die binäre Summe von' ordnet zwei beliebigen Individuen jenes In-dividuum zu, welches mit genau den Individuen überlappt, die mit einem derbeiden Individuen in der Beziehung des Überlappens stehen.

D6 ∀x∀y∀z(x+ y = z ↔ ∀w(w ◦ z ↔ w ◦ x ∨ w ◦ y))

Als Beispiel dafür, dass auch in der Umgangssprache gelegentlich von der Funk-tion der binären Summe gesprochen wird, habe ich den folgenden Satz ausge-wählt:

S10 Das berühmteste Trainer-Duo von Red Bull Salzburg waren GiovanniTrappatoni und Lothar Matthäus.

Die Funktion der mereologischen Di�erenz zweier Individuen ist ebenfalls inunserem alltäglichen Sprachgebrauch formulierbar, wenn auch mithilfe der Ver-wendung anderer Ausdrücke. Wenn man in der Mereologie von der Di�erenzzweier Individuen spricht, ist damit die Gesamtheit jener Individuen gemeint,die unechter Teil vom ersten dieser Individuen, jedoch nicht des zweiten sind.

D7 ∀x∀y(¬(x ≤ y)→ ∀z(x− y = z ↔ ∀w(w ≤ z ↔ w ≤ x ∧ ¬(w ≤ y))))

Man achte darauf, dass diese Funktion in der Theorie M durch eine bedingteDe�nition de�niert werden muss. Der Satz

S11 Die mereologische Di�erenz der Region Umbrien und der Provinz Terniist die Provinz Perugia.

soll das Verständnis der De�nition D7 erleichtern.Als nächstes wird die zweistellige Funktion ‘die generelle Summe von' de�-

niert. Sie bezeichnet die Gesamtheit jener Individuen, die eine bestimmte Be-dingung erfüllen, z.B. dass ein bestimmtes Prädikat auf sie zutri�t.

D8 ∀x∀Fn(x = σy(Fn[y])↔ x = ıy∀z(y ◦ z ↔ ∃w(Fn[w] ∧ w ◦ z)))

KAPITEL 2. MEREOLOGISCHE THEORIEN 15

Als ein Beispiel für diese De�nition soll der Satz

S12 Die generelle Summe der Zeichenketten, die sowohl vorwärts als auchrückwärts gelesen werden können ist die Gesamtheit der Palindrome.

dienen.De�nieren wir nun die Funktionskonstante, welche die Funktion des generel-

len Produktes von Individuen repräsentiert.

D9 ∀x∀Fn((Fn[x]→ ∃y∀z(Fn[z]→ y < z))→a ∀x(πyFn[y] = σx(∀z(Fn[z]→ x ≤ z))))

Diese Funktion kann durch den Beispielsatz

S13 Das generelle Produkt der Musikgruppen Soilent Grün, Depp Jonesund Die Ärzte ist Dirk Felsenheimer.

erläutert werden.Kommen wir nun zur De�nition einer Individuenkonstante, welche für me-

reologische Theorien typisch ist. ‘Das Universum', welches durch die Individuen-konstante ‘u' repräsentiert wird, scheint auf den ersten Blick ein recht seltsamerAusdruck zu sein. Doch er bezeichnet schlicht und einfach die Gesamtheit sämt-licher Individuen des Gegenstandsbereiches, über den in einer mereologischenTheorie gesprochen wird. Man muss darauf achten, dass nicht die Menge al-ler Individuen gemeint ist, sondern jenes Individuum, welches die Summe allerIndividuen ist.

D10 ∀x(x = u↔ x = σy(y = y))

Obwohl ich denke, dass aus der obigen Erläuterung und der De�nition selbstder Ausdruck des Universums eigentlich klar sein sollte, möchte ich noch zusätz-lich darauf verweisen, dass bei einer Formalisierung des Beispielsatzes S4 derAusdruck ‘die Vereinigten Staaten von Amerika' in der Sprache SM durch dieIndividuenkonstante ‘u' korrekt repräsentiert wird, sofern der Gegenstandsbe-reich vonM aus den einzelnen Bundesstaaten der USA, den Vereinigten Staatenselbst und sämtlichen Teilsummen, die aus diesen Individuen gebildet werdenkönnen, besteht.

Die De�nition des Universums kann nun verwendet werden, um eine weiteremereologische Funktion zu de�nieren. Die Funktion des Komplementärindividu-ums weist Parallelen zur Funktion der Komplementärmenge in der Mengenlehreauf. Das Komplementärindividuum eines Individuums ist jenes Individuum, wel-ches übrig bleibt, wenn man vom Universum das besagte Individuum wegnimmt.

D11 ∀x∀y(¬(x = u)→ (y = x↔ y = u− x))

Die Funktion des mereologischen Komplementärindividuums muss bedingt de-�niert werden, da es, wie man an der De�nition D11 erkennt, kein Komplemen-tärindividuum des Universums geben kann.

Für den folgenden Beispielsatz S14 nehme man an, der Gegenstandsbereichbestehe aus dem Staat Italien, seinen Regionen und Provinzen und sämtlichenTeilsummen, die aus diesen Individuen gebildet werden können.

KAPITEL 2. MEREOLOGISCHE THEORIEN 16

S14 Das Komplementärindividuum jener italienischen Regionen, die In-seln sind, ist die Summe der italienischen Regionen, die zum italienischenFestland gehören.

Zum Abschluss dieses Abschnitts de�nieren wir noch die Eigenschaft ‘ist einAtom', welches durch die einstellige Prädikatkonstante ‘A1' repräsentiert wird.Atome im mereologischen Sinne dürfen nicht mit den Atomen, wie man sieim umgangssprachlichen Gebrauch versteht, verwechselt werden. MereologischeAtome sind solche Individuen, die keine echten Teile besitzen.

D12 ∀x(A1x↔ ¬∃y(y < x))

Für den folgenden Beispielsatz gelte wieder der Gegenstandsbereich, der für denBeispielsatz S14 festgelegt wurde, so dass der Satz

S15 Das Aostatal ist eine Region, die keine Provinzen besitzt.

durch die Formel

A1c1

repräsentiert werden kann, sofern die Individuenkonstante ‘c1' den Ausdruck‘Aostatal' repräsentiert.

Nun haben wir die gängigsten mereologischen Ausdrücke de�niert. Im nächs-ten Unterabschnitt werde ich zu den Axiomen vonM noch zwei weitere Axiomehinzufügen, bevor ich damit beginne einige Theoreme aus der Theorie M abzu-leiten.

2.3.3 Zwei weitere Axiome von M

Nachdem nun im vorigen Abschnitt die De�nitionen von M erstellt wurden,können zu den Axiomen vonM zwei weitere hinzugefügt werden. Dabei handeltes sich um die beiden Summenprinzipien. Betrachten wir zunächst das ersteSummenprinzip. Dieses bezieht sich auf die Funktion der binären Summe undgarantiert, dass es für jedes beliebige Paar von Individuen eine binäre Summegibt.

A3: ∀x∀y∃z(z = ıw(x+ y = w))

Das zweite Summenprinzip geht auf die Funktion der generellen Summe ein undgarantiert, dass es für beliebige Individuen eine generelle Summe gibt.

A4: ∀Fn(∃xFn[x]→ ∃x∀y(x ◦ y ↔ ∃z(Fn[z] ∧ y ◦ z)))

Da nun die Menge der Axiome von M festgelegt und die Zeichen von M de�-niert wurden, kann ich damit beginnen, mithilfe der Logik Theoreme aus dieserTheorie abzuleiten. Ich möchte mich jedoch nicht allzu lange damit aufhalten,da die Problemstellung der Arbeit ja auf die Erweiterung von mereologischenTheorien durch das Nullding ausgelegt ist.

KAPITEL 2. MEREOLOGISCHE THEORIEN 17

2.3.4 Theoreme von M

Kommen wir nun zu den Theoremen von M , welche sich aus den Axiomen undden De�nitionen von M ableiten lassen. Zunächst einmal lässt sich aus denersten beiden Axiomen von M , der Transitivität und der Asymmetrie von ‘<',die Irre�exivität von ‘<' ableiten.

T 1 ∀x¬(x < x)

Hierzu der recht kurze Beweis des ersten Theorems von M .

1. ∀x∀y(x < y → ¬(y < x)) A2

2. x1 < x1 → ¬(x1 < x1) 2.; 2 · UE

3. ¬(x1 < x1) 3.; AL

4. ∀x¬(x < x) 3.; UG V B√

Aus diesem ersten Theorem vonM folgt ein weiteres Theorem, welches ziemlicheinleuchtend klingt und vermutlich trivial erscheinen mag. Wir benötigen es aberfür einen Beweis im Abschnitt 2.4.1, weshalb es auch an dieser Stelle angeführtwerden soll. Das Theorem

T 2 ∀x∀y(x < y → ¬(x = y))

zeigt, dass ein Individuum nicht identisch mit einem seiner echten Teile ist. Dieziemlich einfache Rechtfertigung für dieses Theorem belegt der untenstehendeBeweis.

1. ∀x¬(x < x) T1

2. x1 = x2 AnnahmeKB

3. ¬(x1 < x1) 1.; UE

4. ¬(x1 < x2) 2., 3.; SP

5. x1 = x2 → ¬(x1 < x2) 2.− 4.; KB

6. x1 < x2 → ¬(x1 = x2) 5.; AL

7. ∀x∀y(x < y → ¬(x = y)) 8.; 2 ·UG V B√

Die Symmetrie des Überlappens, die durch das Theorem

T 3 ∀x∀y(x ◦ y → y ◦ x)

repräsentiert wird, kann allein aus der De�nition D2 abgeleitet werden, wie deruntenstehende Beweis belegt. Auf dieses Theorem werde ich im Beweis von T9

zurück greifen.

KAPITEL 2. MEREOLOGISCHE THEORIEN 18

1. ∀x∀y(x ◦ y ↔ ∃z(z ≤ x ∧ z ≤ y)) D2

2. x1 ◦ x2 AnnahmeKB

3. x1 ◦ x2 → ∃z(z ≤ x1 ∧ z ≤ x2) 1.; 2 · UE,SIMP

4. x3 ≤ x1 ∧ x3 ≤ x2 2., 3.; MP, EE

5. ∃z(z ≤ x2 ∧ z ≤ x1) 4.; AL, EG V Bin 4.

√6. ∃z(z ≤ x2 ∧ z ≤ x1)→ x2 ◦ x1 1.; 2 · UE,

SIMP7. x2 ◦ x15., 6.; MP

8. x1 ◦ x2 → x2 ◦ x1 2.− 7.; KB

9. ∀x∀y(x ◦ y → y ◦ x) 8.; UG V B√

Kommen wir nun zu einem weiteren Theorem, das die Re�exivität des Überlap-pens beweist.

T 4 ∀x(x ◦ x)

Dies wird durch den folgenden indirekten Beweis belegt.

1. ∀x∀y(x ◦ y ↔ ∃z(z ≤ x ∧ z ≤ y)) D2

2. ∀x∀y(x ≤ y ↔ (x < y ∨ x = y)) D1

3. ∀x(x = x) Gl

4. ¬(x1 ◦ x1) AnnahmeIB

5. ∃z(z ≤ x1 ∧ z ≤ x1)→ x1 ◦ x1 1.; 2 · UE,SIMP

6. ∀z¬(z ≤ x1 ∧ z ≤ x1) 4., 5.; MT, QN

7. ¬(x1 ≤ x1) 6.; UE, AL

8. x1 = x1 3.; UE

9. ¬(x1 ≤ x1)→ ¬(x1 < x1 ∨ x1 = x1) 2.; 2 · UE, AL

10. ¬(x1 = x1) 7., 9.; MP, AL

11. x1 = x1 ∧ ¬(x1 = x1) 8., 10.; KONJ

12. (x1 ◦ x1) 4.− 11.; IB

13. ∀x(x ◦ x) 12.; UG V B√

Mithilfe dieses Theorems können wir ein weiteres wichtiges Theorem ableiten,das besagt, dass jedes Individuum mit mindestens einem Individuum überlappt.

T 5 ∀x∃y(x ◦ y)

KAPITEL 2. MEREOLOGISCHE THEORIEN 19

Aufgrund von T4 können wir das Theorem T5 mit einem eher kurzen Beweisrechtfertigen.

1. ∀x(x ◦ x) T4

2. ¬∃y(y ◦ x1) AnnahmeIB

3. x1 ◦ x1 1.; UE

4. ∀y¬(y ◦ x1)� 2.; QN

5. ¬(x1 ◦ x1) 4.; UE

6. x1 ◦ x1 ∧ ¬(x1 ◦ x1) 3., 5.; KONJ

7. ∃y(y ◦ x1) 2.− 6.; IB

8. ∀x∃y(y ◦ x) 7.; UG V B√

Dieses Theorem können wir nun dazu verwenden, um gemeinsam mit dem erstenSummenprinzip ein weiteres Theorem

T 6 ∀x∀y∃z(x+ y = z)

abzuleiten.

1. ∀x∀y∃z(z = ıw(x+ y = w)) A3

2. ∀x∀Fn(x = ıy(Fn[y])↔ (Fn[x] ∧ ∀z(Fn[z]→ z = x))) D0

3. x3 = ıw(x1 + x2 = w) 1.; 2 · UE, EE

4. x3 = ıw(x1 + x2 = w)↔ x1 + x2 = x3 ∧ ∀z(x1 + x2 = z → z = x3) 2.; UE, UE∗

5. x3 = ıw(x1 + x2 = w)→ x1 + x2 = x3 ∧ ∀z(x1 + x2 = z → z = x3) 4.; SIMP

6. x1 + x2 = x3 3., 5.; MP,SIMP

7. ∃z(x1 + x2 = z) 6.; EG V B in3.√

8. ∀x∀y∃z(x+ y = z)7.; 2 ·UE V B

√Betrachten wir nun ein weiteres interessantes Theorem von M . Das Theorem

T 7 ∀x∀Fn(Fn[x]→ σy(Fn[y]) ◦ x)

beweist, dass in der Theorie M alle Individuen, auf die eine bestimmte Eigen-schaft zutri�t, mit der generellen Summe dieser Eigenschaft in der Relationdes Überlappens stehen. Das Theorem wird durch den untenstehenden, etwaskomplizierteren und auch längeren Beweis gerechtfertigt.

KAPITEL 2. MEREOLOGISCHE THEORIEN 20

1. ∀x∀Fn(x = ıy(Fn[y])↔ (Fn[x] ∧ ∀z(Fn[z]→ z = x))) D0

2. ∀x∀Fn(x = σy(Fn[y])↔ x = ıy∀z(y ◦ z ↔ ∃w(Fn[w] ∧ w ◦ z))) D8

3. ∀x(x = x) Gl1

4. ∀x(x ◦ x) T4

5. ¬(σy(Pn[y]) ◦ x1) AnnahmeKB

6. σy(Pn[y]) = σy(Pn[y])↔ σy(Pn[y]) = ıy∀z(y ◦ z ↔ ∃w(Pn[w] ∧ w ◦ z)) 2.; UE, UE∗

7. σy(Pn[y]) = σy(Pn[y])→ σy(Pn[y]) = ıy∀z(y ◦ z ↔ ∃w(Pn[w] ∧ w ◦ z)) 6.; SIMP

8. σy(Pn[y]) = σy(Pn[y]) 3.; UE

9. σy(Pn[y]) = ıy∀z(y ◦ z ↔ ∃w(Pn[w] ∧ w ◦ z)) 7., 8.; MP

10. σy(Pn[y]) = ıy∀z(y ◦ z ↔ ∃w(Pn[w] ∧ w ◦ z)) ↔ (∀z(σy(Pn[y]) ◦ z ↔∃w(Pn[w]∧w ◦ z))∧∀y(∀z(y ◦ z ↔ ∃w(Pn[w]∧w ◦ z))→ y = σy(Pn[y]))) 1.; UE, UE∗

11. σy(Pn[y]) = ıy∀z(y ◦ z ↔ ∃w(Pn[w] ∧ w ◦ z)) → (∀z(σy(Pn[y]) ◦ z ↔∃w(Pn[w]∧w ◦ z))∧∀y(∀z(y ◦ z ↔ ∃w(Pn[w]∧w ◦ z))→ y = σy(Pn[y]))) 10.; SIMP

12. ∀z(σy(Pn[y]) ◦ z ↔ ∃w(Pn[w] ∧ w ◦ z)) 9., 11.; MP,SIMP

13. ∃w(Pn[w] ∧ w ◦ x1)→ σy(Pn[y]) ◦ x1 12.; UE,SIMP13. ∀w¬(Pn[w] ∧ w ◦ x1)5., 12.; MT,QN14. ¬(Pn[x1] ∧ x1 ◦ x1)13.; UE

15. ¬(Pn[x1]) ∨ ¬(x1 ◦ x1)14.; AL

16. ¬¬(x1 ◦ x1) 4.; UE, DN

17. ¬(Pn[x1]) 15., 16; DS

18. ¬(σy(Pn[y]) ◦ x1)→ ¬(Pn[x1]) 5.− 17.; KB

19. Pn[x1]→ σy(Pn[y]) ◦ x1 18.; KP

20. ∀x(Pn[x]→ σy(Pn[y]) ◦ x1) 19.; UG V B√

21. ∀x∀Fn(Fn[x]→ σy(Fn[y]) ◦ x) 20.; UG∗ V B√

Mit T7 kann nun das Theorem

T 8 ∀x(u ◦ x)

recht einfach bewiesen werden. Diesem Theorem zu Folge gilt, dass jedes Indi-viduum mit dem Universum in der Relation des Überlappens steht.

KAPITEL 2. MEREOLOGISCHE THEORIEN 21

1. ∀x(x = x) Gl1

2. ∀x∀Fn(Fn[x]→ σy(Fn[y]) ◦ x) T7

3. ∀x(x = u↔ x = σy(y = y)) D10

4. x1 = x1 1.; UE

5. x1 = x1 → σy(y = y) ◦ x 2.; UE, UE∗

6. σy(y = y) ◦ x1 4., 5.; MP

7. u = u→ u = σy(y = y) 3.; UE, SIMP

8. u = u 1.; UE

9. u = σy(y = y) 7., 8.; MP

10. u ◦ x1 6., 9.; SP

11. ∀x(u ◦ x) 10.; UG V B√

Mit diesem Theorem kann nun gemeinsam mit der De�nition der binären Summeund der Symmetrie des Überlappens, die durch T3 bewiesen wurde, das rechtinteressante Theorem

T 9 ∀x(x+ u = u)

bewiesen werden. T9 besagt, dass für jedes Individuum gilt, dass die binäreSumme, die aus ihm und dem Universum gebildet werden kann, das Universumselbst ist.

1. ∀x∀y∀z(x+ y = z ↔ ∀w(w ◦ z ↔ w ◦ x ∨ w ◦ y)) D6

2. ∀x(u ◦ x) T8

3. ∀x∀y(x ◦ y → y ◦ x) T3

4. ¬(x1 + u = u) AnnahmeKB

5. ∀w(w ◦ u↔ w ◦ x1 ∨ w ◦ u)→ x1 + u = u 1.; 3 · UE,SIMP

6. ¬∀w(w ◦ u↔ w ◦ x1 ∨ w ◦ u) 4., 5.; MT

7. ¬(x2 ◦ u↔ x2 ◦ x1 ∨ x2 ◦ u) 6.; QN, EE

8. ¬(x2 ◦ u) 7.; AL

9. ¬(x1 + u = u)→ ¬(x2 ◦ u) 4.− 8.; KB

10. u ◦ x2 2.; UE

11. u ◦ x2 → x2 ◦ u 3.; 2 · UE

KAPITEL 2. MEREOLOGISCHE THEORIEN 22

12. ¬¬(x2 ◦ u) 10., 11.; MP,DN

13. x1 + u = u 9., 12.; MT,DN V B in 7.

√14. ∀x(x+ u = u)

13.; UG V B√

Mit dem Theorem T9 möchte ich diesen Unterabschnitt beenden und nun damitbeginnen, die einzelnen Erweiterungen der mereologische Basistheorie M zuerstellen.

2.4 Erweiterungen von M

Ich werde in diesem Abschnitt der Arbeit verschiedene mereologische Theorienpräsentieren. Diese Theorien bauen alle auf der im obigen Abschnitt entwi-ckelten Basistheorie M auf. Die einzelnen, in diesem Abschnitt präsentiertenTheorien unterscheiden sich dadurch voneinander, dass sie unterschiedliche zu-sätzliche Thesen als Axiome voraussetzen. Der Grund dafür ist, dass mehr oderwenige starke Thesen bzgl. der Teilrelation im Zusammenhang mit der Fragedes Atomismus vertreten werden können. Dadurch lassen sich aus den einzel-nen Theorien verschiedene Theoreme ableiten. Es gibt bei den meisten Theoriengute und weniger gute Argumente für die zusätzlichen Axiome, weshalb dieserTeil der Arbeit auch ein sehr groÿes Diskussionspotential enthält und durchausgenügend Sto� für eine eigene Arbeit liefern könnte. Ich möchte hier jedoch le-diglich die Theorien präsentieren und nicht über ihre Legitimität diskutieren,da dies für die Problemstellung der Arbeit nicht von entscheidender Relevanzist.

In den folgenden Unterabschnitten werde ich die wichtigsten Axiome undTheoreme der einzelnen Theorien präsentieren und analysieren. Da diese Theo-rien alle die TheorieM voraussetzen, gelten für sie natürlich auch die in den Ab-schnitten 2.3.1 bis 2.3.3 präsentierten De�nitionen, Axiome und Theoreme. Diezusätzlichen, jeweils für eine bestimmte Theorie speziellen Axiome und Theo-reme werden bei ihrer Nummerierung noch zusätzlich mit einem Superindexversehen. Dies sollte mögliche Missverständnisse vermeiden.

2.4.1 Mereologischer Non-Atomismus

Non-atomistische Theorien sind solche mereologischen Theorien, die davon aus-gehen, dass es keine mereologischen Atome gibt. Deshalb haben solche Theorienals zusätzliches Axiom

AN1 ¬∃x(A1x)

Aus solchen Theorien folgt aufgrund der De�nition D12 und dem obigen Axiom,dass jedes Individuum mindestens einen echten Teil hat. Dies belegt das folgendeTheorem

TN1 ∀x∃y(y < x)

KAPITEL 2. MEREOLOGISCHE THEORIEN 23

demzufolge für alle Individuen gilt, dass sie mindestens ein Individuum als ech-ten Teil enthalten.

1. ¬∃x(A1x) AN1

2. ∀x(A1x↔ ¬∃y(y < x)) D12

3. ¬(A1x1) 1.; QN, UE

4. A1x1 ↔ ¬∃y(y < x1) 2.; UE

5. ¬∃y(y < x1)→ A1x1 4.; SIMP

6. ∃y(y < x1) 3., 5.; MT, DN

7. ∀x∃y(y < x) 6.; UG V B√

Mit diesem Theorem und dem Theorem T2 kann das Theorem

TN2 ∀x∃y¬(y = x)

recht einfach bewiesen werden. TN2 mag auf den ersten Blick ein überraschendes

Theorem sein, doch wie der Beweis unten zeigt, folgt das Theorem TN2 lediglich

aus TN1 und T2, wobei TN

1 durch das Axiom AN1 , der These, dass es keine Atome

gibt, bewiesen werden kann und T2 aus den Axiomen der Transitivität und derAsymmetrie von ‘<' logisch folgt.

1. ∀x∀y(x < y → ¬(x = y)) T2

2. ∀x∃y(y < x) TN2

3. x1 < x2 → ¬(x1 = x2) 1.; 2 · UE

4. ∃y(y < x2) 2.; UE

5. x1 < x2 4.; EE

6. ¬(x1 = x2) 3., 5.; MP

7. ∃y¬(y = x2) 6.; EG V B in5.√

8. ∀x∃y¬(y = x)7.; UG V B

Wenn man das Theorem TN1 und die Axiome A1 und A2 einmal genauer betrach-

tet, erscheint das Theorem TN2 nicht mehr so unplausibel, wie man vermutlich

zunächst denken mag. Laut Theorem TN1 gilt für jedes Individuum, dass es

einen echten Teil besitzt. Aus den Axiomen A1 und A2 lässt sich beweisen, wiebereits im Abschnitt 2.3.4 gezeigt wurde, dass die Relation ‘echter Teil sein von'irre�exiv ist. Wenn nun jedes Individuum einen echten Teil besitzt und keinIndividuum ein echter Teil von sich selbst sein kann, dann muss für jedes Indi-viduum gelten, dass es ein Individuum gibt, welches nicht mit ihm identisch ist.Genau dies wird durch das Theorem TN

2 behauptet.

KAPITEL 2. MEREOLOGISCHE THEORIEN 24

2.4.2 Mereologischer Atomismus

Theorien des mereologischen Atomismus postulieren, dass es Atome gibt. Folg-lich beinhalten solchen Theorien zumindest die Negation von AN

1 , bzw. die ent-sprechende nicht negierte Formel, als Axiom.

AA1 ∃x(A1x)

Aus diesem Axiom kann das Theorem

TA1 ¬∀x∃y(y < x)

abgeleitet werden. Es besagt, dass nicht alle Individuen ein Individuum als ech-ten Teil enthalten. Diese Individuen, die keinen echten Teil besitzen, sind dieAtome.

1. ∃x(A1x) AA1

2. ∀x(A1x↔ ¬∃y(y < x)) D12

3. A1x1 1.; EE

4. A1x1 → ¬∃y(y < x1) 2.; UE, SIMP

5. ¬∃y(y < x1) 3., 4.; MP

6. ∃x¬∃y(y < x) 5.; EG, V B in3.√

7. ¬∀x∃y(y < x)6.; QN

Theorien des mereologischen Atomismus sind selbstverständlich nicht mit Theo-rien des mereologischen Non-Atomismus vereinbar, da sich ihre jeweiligen Axio-me, welche ich in dieser Darstellung in Form von AN

1 und AA1 formalisiert habe,

widersprechen.Die Theorien des mereologischen Atomismus möchte ich nun in zwei Formen,

den strengen und den gemäÿigten mereologischen Atomismus, unterteilen. Derstrenge mereologische Atomismus geht davon aus, dass alle Individuen Atomeals Teile beinhalten. Der gemäÿigte mereologische Atomismus stellt keine sostarke These auf, sondern behauptet lediglich, dass es Atome gibt, aber nichtjedes Individuum ein Atom als Teil besitzt. Obwohl der gemäÿigte mereologischeAtomismus eine recht eigenartige Theorie zu sein scheint, möchte ich ihn, umVollständigkeit zu garantieren, trotzdem untersuchen.

2.4.2.1 Strenger mereologischer Atomismus

Als erste Form des mereologisches Atomismus möchte ich den strengen Atomis-mus präsentieren. Die Hauptthese des strengen mereologischen Atomismus, dassalle Individuen mereologische Atome als unechte Teile beinhalten, wird in derSprache M durch die Formel

AS1 ∀x∃y(A1y ∧ y ≤ x)

KAPITEL 2. MEREOLOGISCHE THEORIEN 25

repräsentiert. Es fällt sofort auf, dass das Axiom AA1 , die Hauptthese des me-

reologischen Atomismus, aus diesem Axiom logisch folgt.5

Doch nicht nur diese Formel, sondern natürlich auch das ziemlich plausibleTheorem

TS1 ∃x∀y¬(y < x)

kann mit der De�nition D12 aus AS1 relativ einfach abgeleitet werden.

1. ∀x∃y(A1y ∧ y ≤ x) AS1

2. ∀x(A1x↔ ¬∃y(y < x)) D12

3. ∃y(A1y ∧ y ≤ x2) 1.; UE

4. A1x1 3.; EE, SIMP

5. A1x1 → ¬∃y(y < x1) 2.; UE, SIMP

6. ¬∃y(y < x1) 4., 5.; MP

7. ∃x¬∃y(y < x) 6.; EG V B in4.√

8. ∃x∀y¬(y < x)7.; QN

Das Theorem TS1 besagt, dass es Individuen gibt, die keine echten Teile beinhal-

ten. Solche Individuen, die keine echten Teile beinhalten, sind die mereologischeAtome.

TS1 kann nun verwendet werden, um mit der De�nition D1 zu zeigen, dass

auch die Formel

TS2 ∀x∃y(x ≤ y → x = y)

ein Theorem des strengen mereologischen Atomismus ist.

1. ∃x∀y¬(y < x) TS1

2. ∀x∀y(x ≤ y ↔ (x < y ∨ x = y)) D1

3. ¬(x1 < x2)→ (x1 ≤ x2 → x1 = x2) 2.; 2 · UE, AL

4. ¬(x1 < x2) 1.; EE, UE

5. x1 ≤ x2 → x1 = x2 3., 4.; MP

6. ∃y(x1 ≤ y → x1 = y) 5.; EG V B in4.√

7. ∀x∃y(x ≤ y → x = y)6.; UG V B

Dieses Theorem besagt, dass es gemäÿ den Theorien des starken mereologischenAtomismus Individuen gibt, sodass für alle Individuen gilt: Wenn sie unechteTeile des ersten sind, dann sind sie identisch mit diesem. Solche Individuen, fürdie gilt, dass sie mit allen ihren unechten Teilen identisch sind, sind mereologi-sche Atome.

5Den recht einfachen Beweis dafür möchte ich an dieser Stelle nicht anführen.

KAPITEL 2. MEREOLOGISCHE THEORIEN 26

2.4.2.2 Gemäÿigter mereologischer Atomismus

Der gemäÿigte mereologische Atomismus ist, wie der Name schon verrät, eineForm des Atomismus, die intuitiv schwächer erscheint als der strenge mereolo-gische Atomismus. Seine Hauptthese ist, dass es zwar Atome gibt, aber nichtjedes Individuum ein Atom als Teil enthält. Diese These wird in der Formel

AG1 ∃x(A1x) ∧ ∃x∀y(y ≤ x→ ∃z(z < y))

zum Ausdruck gebracht. Theorien des strengen mereologischen Atomismus sindnicht mit Theorien des gemäÿigten mereologischen Atomismus vereinbar. DerGrund dafür ist, dass es im Rahmen von Theorien des gemäÿigten AtomismusIndividuen gibt, die kein Atom als Teil enthalten, was der Hauptthese des stren-gen Atomismus widerspricht, denn mit dieser Formel kann die Negation von AS

1

in Theorien des gemäÿigten Atomismus bewiesen werden, weshalb

TG1 ¬∀x∃y(A1y ∧ y ≤ x)

ein Theorem solcher Theorien ist, was der nächste Beweis zeigt.

1. ∀x(A1x↔ ¬∃y(y < x)) D12

2. ∃x(A1x) ∧ ∃x∀y(y ≤ x→ ∃z(z < y)) AG1

3. ¬¬∀x∃y(A1y ∧ y ≤ x) AnnahmeIB

4. ∃y(A1y ∧ y ≤ x1) 3.; DN, UE

5. A1x2 ∧ x2 ≤ x1 4.; EE

6. x2 ≤ x1 5.; SIMP

7. ∀y(y ≤ x1 → ∃z(z < y)) 2.; SIMP, EE

8. x2 ≤ x1 → ∃z(z < x2) 7.; UE

9. ∃z(z < x2) 6., 8.; MP

10. A1x2 5.; SIMP

11. A1x2 → ¬∃y(y < x2) 1.; UE, SIMP

12. ¬∃y(y < x2) 10., 11.; MP

13. x3 < x2 9.; EE

14. ∃y(y < x2) 13.; EG V B in13.√

15. ∃y(y < x2) ∧ ¬∃y(y < x2)12., 14.; KONJ

16. ¬∀x∃y(A1y ∧ y ≤ x) 3.−15.; IB V Bin 5.+ 7.

√Mit dem Beweis dieses Theorems möchte ich meine Ausführungen über die Er-weiterungen der TheorieM und somit auch das Kapitel 2 beenden, um mich imnächsten Kapitel mit dem Nullding zu beschäftigen.

Kapitel 3

Das Nullding

Üblicherweise wird das Nullding als jenes Individuum charakterisiert, welchesTeil von jedem Individuum ist.1 Die Existenz eines solchen Individuums scheintauf den ersten Blick eine vollkommen unplausible Annahme zu sein, gegen diebereits unsere grundlegendsten Intuitionen sprechen. Doch ist dies natürlichnoch kein ausreichender Grund dafür, diese Annahme zu verwerfen. In dennächsten beiden Abschnitten werde ich zunächst einige Gründe von verschiede-nen Autoren für die Annahme der Existenz des Nulldings anführen und anschlie-ÿend andere Gründe angeben, die gegen diese These sprechen. Im Abschnitt 3.3werde ich dann einige De�ntionsvorschläge für das Nullding erstellen und diesediskutieren. Schlieÿlich werde ich im Abschnitt 3.4 überprüfen, ob die einzelnenDe�nitionsvorschläge für das Nullding mit den im Abschnitt 2 präsentierten un-terschiedlichen mereologischen Theorien vereinbar sind. Wenn ich dabei zu demErgebnis gelange, dass keiner der De�nitionsvorschläge mit irgendeiner mereolo-gischen Theorie vereinbar ist, dann ist es mir gelungen zu zeigen, dass die Theseder Existenz des Nulldings im üblichen Rahmen von mereologischen Theoriennicht vertretbar ist.

3.1 Gründe für die Existenz des Nulldings

In der Literatur sind verschiedene Begründungen für die Existenz des Nulldingszu �nden. Diese Begründungsvorschläge müssen nicht im Rahmen der Mereo-logie erstellt werden, wie z.B. Carnaps Begründungsversuch, den er in Meaningand Necessity2 und in Einführung in die symbolische Logik3 präsentiert. Ob-wohl ich mich in dieser Arbeit mit der Frage beschäftige, ob es im Rahmenvon mereologischen Theorien vertretbar ist, die Existenz des Nulldings anzu-nehmen, möchte ich auch auf jenen Begründungsversuch von Carnap eingehen,auch wenn er nicht im Rahmen einer mereologischen Theorie erstellt wurde, weil

1Vgl. Carnap, 1988, S. 36 und Martin, 1979, S. 82.2Carnap, 1988.3Carnap, 1968.

27

KAPITEL 3. DAS NULLDING 28

er einen gewissen Ein�uss auf die Begründungsversuche von Martin ausgeübthat. Ich werde zunächst Carnaps Position4 kurz skizzieren und anschlieÿend aufeine Reihe von Begründungsversuchen von Richard Milton Martin5 eingehen.Im Unterabschnitt 3.2 werde ich dann diese Begründungsversuche von einemkritischen Standpunkt aus betrachten und sie jeweils bzgl. ihrer Plausibilitätbeurteilen.

3.1.1 Carnaps Begründung für die Existenz des Nulldings

In Meaning and Necessity6 und in Einführung in die symbolische Logik7 sprichtsich Rudolf Carnap für die Annahme der Existenz des Nulldings aus. Da erdiese Argumentationen im Rahmen seiner Kennzeichnungstheorie erstellt hatund nicht innerhalb einer mereologischen Theorie, wie ich bereits im obigenAbschnitt erwähnte, möchte ich nur kurz auf seine Begründung eingehen. Car-nap behauptet, dass das Nullding das Referenzobjekt von unkorrekten Kenn-zeichnungen, deren Gegenstandsbereich physische Gegenstände und Sachverhal-te sind, ist.8

Unkorrekte Kennzeichnungen sind Kennzeichnungen, bei denen die Existenz-oder die Einzigkeitsbedingungen nicht erfüllt ist, die also entweder kein Indivi-duum oder mehrere Individuen bezeichnen. Die Ausdrücke ‘der derzeitige Kai-ser von Europa' und ‘die Ex-Frau von Gerhard Schröder' sind z.B. unkorrekteKennzeichnungen, weil die erste Kennzeichnung die Existenzbedingung und diezweite die Einzigkeitsbedingung nicht erfüllt. ‘Der derzeitige Kaiser von Europa'ist eine leere Kennzeichnung, weil er kein Individuum bezeichnet, da Europa zurZeit nicht von einem Kaiser regiert wird. ‘Die Ex-Frau von Gerhard Schröder'ist eine mehrdeutige Kennzeichnung, weil es zur Zeit drei Frauen gibt, die vonGerhard Schröder geschieden sind.

Da Carnap der Meinung ist, dass es ein Defekt der logischen Struktur vonnatürlichen Sprachen ist, dass unkorrekte Kennzeichnungen nicht genau ein In-dividuum bezeichnen, sind diese für seine Theorie ein Problem. Gottlob Fregeerkannte bereits vor Carnap dieses Problem und hat als Lösung vorgeschlagen,dass den unkorrekten Kennzeichnungen als Referenzobjekt jene Menge zuge-ordnet werden soll, die sowohl den Bereich der Kennzeichnung, als auch dieExistenz- und Einzigkeitsbedingung erfüllen.9 So wird laut dieser Theorie Fre-ges dem Ausdruck ‘der derzeitige Kaiser von Europa' die leere Menge und ‘dieEx-Frau von Gerhard Schröder' jene Menge, welche aus den drei Frauen, diemit Gerhard Schröder verheiratet waren, als Referenzobjekt zugeordnet.

In Anlehnung an Freges Theorie schlägt Carnap vor, dass den unkorrektenKennzeichnungen, je nach ihrem jeweiligen Gegenstandsbereich, ein Individuum

4Ich meine damit vor allem jene Position, welche Carnap in Meaning and Necessity (Vgl.Carnap, 1988, S. 35−39.) explizit vertreten hat.

5Vgl. Martin, 1992, S. 82−83 & S. 123; Martin, 1979, S. 82−86.6Vgl. Carnap, 1988, S. 35−39.7Vgl. Carnap, 1968, S. 143−147.8Vgl. Carnap, 1988, S. 35−39.9Vgl. Frege, 2007, S. 35.

KAPITEL 3. DAS NULLDING 29

zugeordnet werden soll. Hier unterscheidet er drei Möglichkeiten: Wenn der Ge-genstandsbereich aus Zahlen besteht, wird den unkorrekten Kennzeichnungendie Zahl 0 zugeordnet; Wenn er aus Mengen besteht, wird ihnen die leere Mengezugeordnet; Wenn er physische Gegenstände oder Sachverhalte beinhaltet, wirdihnen das Nullding zugeordnet. Das folgende Zitat belegt Carnaps Behauptungbzgl. der ersten beiden Möglichkeiten.

“If the individuals of the system are numbers, the number 0 seems to bethe most natural choice [. . . ] For variables to whose values the null classΛ belongs, this class seems to be the most convenient choice.�10

Da uns aber lediglich die These der Existenz des Nulldings interessiert, könnenwir die ersten beiden Möglichkeiten vorerst auÿer Acht lassen und wollen unsder dritten eingehender zuwenden.

Carnap unterscheidet physikalische Gegenstände und Sachverhalte dadurchvon Zahlen und Mengen, dass jedem der Erstgenannten jeweils eine exakte Men-ge von Raum-Zeit-Punkten zugeordnet werden kann, weil sie im Gegensatz zuZahlen und Mengen konkret sind.

“Every individual in such a system, that is, every thing or event, corre-sponds to a class of space-time points [. . . ]�11

Physikalische Gegenstände, wie z.B. ein Buch, oder ein Auto, be�nden sichimmer zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort, Sachverhalte �ndenan einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit statt, Zahlen und Mengenhingegen nicht. Es macht keinen Sinn zu sagen, dass eine Zahl oder eine Mengean einem bestimmten Tag an einem bestimmten Ort existiert oder statt�ndet.

Wenn nun jedem physikalischen Gegenstand und jedem Sachverhalt eineMenge von Raum-Zeit-Punkten zugeordnet werden kann und das Nullding zudiesen Gegenständen gehört, stellt sich die Frage, welche Menge dem Nulldingzugeordnet wird. Darauf antwortet Carnap, dass das Nullding

“[. . . ] corresponds to the null class of space-time points.�12

und zeichnet es weiters dadurch aus, dass es Teil von jedem Individuum ist:

“[. . . ] that thing which is part of everything.�13

Wir halten an dieser Stelle also fest, dass laut Carnap das Nullding, das wohl einphysikalischer Gegenstand sein soll14, der leeren Menge von Raum-Zeit-Punktenentspricht, bzw. in einem System, welches Raum-Zeit-Punkte beinhaltet, mit

10Carnap, 1988, S. 36.11Carnap, 1988, S. 36.12Carnap, 1988, S. 36.13Carnap, 1988, S. 36.14Das Nullding zur Menge der Sachverhalte zu zählen scheint mit intuitiv betrachtet un-

plausibel zu sein.

KAPITEL 3. DAS NULLDING 30

dieser Menge von Raum-Zeit-Punkten identi�ziert werden kann und dass esTeil von jedem Individuum ist.

Durch die Annahme der Existenz des Nulldings sieht Carnap das Problemvon unkorrekten Kennzeichnungen gelöst und entscheidet sich somit, diese Thesezu akzeptieren:

“Therefore, it is possible, although not customary in the ordinary langua-ge, to count among the things also the null thing [. . . ]�15

3.1.2 Martins Begründungen für das Nullding

Richard Milton Martin ist, wie Carnap auch, der Meinung, dass das Nulldingdas Referenzobjekt jener Kennzeichnungen ist, bei denen die Existenz- oder dieEinzigkeitsbedingung nicht erfüllt ist. Dabei folgt Martin bei seiner Begrün-dung für diese These16 vor allem Carnaps Rechtfertigung, die im obigen Unter-abschnitt bereits besprochen wurde, weshalb ich nicht weiter darauf eingehenmöchte. Doch Martin hat noch weitere Gründe für die Annahme der Existenzdes Nulldings geliefert. Diese Begründungsversuche scheinen auf den ersten Blickrecht plausibel und sinnvoll zu sein, weshalb ich sie auch eingehender betrachtenmöchte.

Zunächst einmal gesteht Martin ein, dass das Nullding eine technische Fik-tion ist

“Like the null individual the null event is a mere technical �ction, whichcan be introduced into the system if desired.�17

und führt in seine Theorie nicht nur das Nullding ein, sondern auch noch ein sog.Nullereignis. Dieses besondere Ereignis mag uns hier nicht weiter interessierenund deshalb auÿer Acht gelassen werden.

Die Frage nach der Existenz des Nulldings

“Is there such an entity as the null individual?�18

beantwortet Martin zunächst mit

“Well, as an actual or concrete entity, certainly not. [. . . ] As a technical �c-tion, as a useful notational device, however, introducing the null individualinto the standard logical framework for truth-functions and quanti�ers isnot without interest.�19

Doch dann beginnt er damit, seine Begründungsversuche für die Existenz desNulldings aufzulisten und versucht durch diese Liste von Gründen auch denLeser von der These der Existenz des Nulldings zu überzeugen. In den folgendenUnterabschnitten werden einige der besagten Begründungsversuche von Martinpräsentiert.

15Carnap, 1988, S. 36.16Vgl. Martin, 1979, S. 82−84 & 86.17Martin, 1979, S. 45.18Martin, 1979, S. 82.19Martin, 1979, S. 82.

KAPITEL 3. DAS NULLDING 31

3.1.2.1 Martins Verweis auf Lejewski

Bei seinen Begründungsversuchen für die Existenz des Nulldings verweist Mar-tin nicht nur auf die obige Argumentation von Rudolf Carnap, sondern auchauf Czesªaw Lejewskis Explikation des Ausdrucks ‘existieren'. Martin suggeriert,dass Lejewski durch die Einführung eines nicht-bezeichnenden Namens die Exis-tenz des Nulldings annimmt.20 Um diese Argumentation für die Existenz desNulldings zu erläutern, muss ich nun einen etwas längeren Exkurs machen, umdie Position von Lejewski auf eine verständliche Art und Weise zu skizzieren.

Lejewski versucht in seinem Aufsatz Logic and Existence21 den Ausdruck‘existieren' zu explizieren. Dabei erörtert er zunächst den Lösungsansatz vonWillard Van Orman Quine, der ihn jedoch nicht zufriedenstellt, weshalb er einenanderen vorschlägt.

Lejewski baut seine Erörterung22 auf der Kritik von Quines Position auf,welche er u.a. in Mathematical Logic23 und Notes on Existence and Necessity24

bzgl. der Explikation von ‘existieren' vertritt. Deshalb sollten wir uns zunächstQuines Position etwas genauer ansehen. Quines Ausgangsbasis ist die folgendeThese:

�To say that something does not exist, or that there is something whichis not, is clearly a contradiction in terms; hence ‘(x)(x exists)' must betrue.�25

Nun stellt Quine fest, dass er durch diese Behauptung auf zwei erhebliche Proble-me stöÿt. Einerseits kann aus ihr mit der logischen Schlussregel der UniversellenEinsetzung ein falscher Satz abgeleitet werden, denn aus dem Satz

S16 Alles existiert.

kann mit Hilfe der Universellen Einsetzung

S17 Pegasus existiert.

abgeleitet werden. Andererseits kann aus dem, aus Quines Sicht, wahren Satz

S18 Pegasus existiert nicht.

mit der Existenziellen Generalisierung die Verneinung von S16 abgeleitet wer-den. Quine stellt fest, dass diese zwei Probleme dadurch entstehen, dass in S16

und S17 der Ausdruck ‘Pegasus', der ein leerer Name ist, verwendet wird. Da

20Vgl. Martin, 1979, S. 82.21Lejewski, 1984.22Vgl. Lejewski, 1984, S. 45−46.23Quine, 1947.24Quine, 1943.25Quine, 1947, S. 150. Die Formel ‘(x)(x exists)' wird mit ‘∀xE1x' adäquat in die Sprache

von M übersetzt, sofern die Prädikatkonstante ‘E1' mit dem Ausdruck ‘existieren' in dieUmgangssprache übersetzt wird. Diese Übersetzung der Prädikatkonstante wird auch in denBeispielen weiter unten verwendet.

KAPITEL 3. DAS NULLDING 32

er die Verwendung von leeren Namen nicht verbieten möchte, unterteilt Quinedie logischen Schlussregeln in drei Gruppen. Eine Gruppe kann auf alle Sätze,eine nur auf Sätze, in denen leere Namen vorkommen, und eine nur auf Sätze,in denen nicht-leere Namen vorkommen, angewendet werden. Somit kann Quinedas obige Problem dadurch lösen, dass die logischen Schlussregeln der Universel-len Einsetzung und der Existenziellen Generalisierung zu der Gruppe gehören,die nur auf Sätze angewendet werden dürfen, in denen nur nicht-leere Namenvorhanden sind.26

Lejewski akzeptiert diese Lösung des Problems nicht. Er ist der Meinung,dass die Anwendung von logischen Schlussregeln auf einen Satz nicht davonabhängig gemacht werden kann, ob in ihm ein leerer oder ein nicht-leerer Namevorkommt. Es ist nämlich eine empirische Frage, ob ein Name leer ist und dasist für Lejewski derart

�[. . . ] foreign to the character of logical enquiry [. . . ]�27

dass er Quines Argumentation nicht zustimmen kann.Bei seiner Argumentation für die uneingeschränkte Anwendung der logischen

Schlussregeln greift Lejewski auf eine bestimmte Interpretation der logischenQuantoren zurück, welche auch von Quine28 vorgeschlagen wurde. Um diese In-terpretation der Quantoren zu verdeutlichen und den Standpunkt Quines erneutzu kritisieren, liefert Lejewski ein recht anschauliches Beispiel.

Ich möchte an dieser Stelle die Kritik an Quine nicht weiter ausführen, da mirscheint, dass bereits der obige Kritikpunkt ausreichen sollte. Deshalb werde ichlediglich die Interpretation der logischen Quantoren und jenen Teil des Beispiels,der den Standpunkt von Lejewski erläutert, diskutieren.

Wenn man annimmt, dass es endlich viele Individuen gibt, die durch dieKonstanten `c1',. . . , `cn' bezeichnet werden, so sind die Formeln

∀Fn(∃xFn[x]↔ Fn[c1]∨. . .∨Fn[cn])

und

∀Fn(∀xFn[x]↔ Fn[c1]∧. . .∧Fn[cn])

wahr. Wenn das Universum nämlich nur die besagten Individuen, welche durchdie Konstanten `c1',. . . ,`cn' bezeichnet werden, beinhaltet, dann ist die For-mel ‘∃xFn[x]' genau dann wahr, wenn mindestens eine Individuenkonstante ausdem Gegenstandsbereich ein Individuum bezeichnet, welches die durch ‘Fn' be-zeichnete Eigenschaft hat, folglich die Disjunktionsformel ‘Fn[c1]∨. . .∨F [cn]'wahr ist. ‘∀xFn[x]' hingegen ist, sofern die Konstanten `c1',. . . ,`cn' sämtlicheIndividuen bezeichnen, genau dann wahr, wenn alle Individuen die durch ‘Fn'bezeichnete Eigenschaft haben, die Konjunktionsformel ‘Fn[c1]∧. . .∧Fn[cn]' al-so wahr ist. Lejewski veranschaulicht diese Interpretation der Quantoren durchdas folgende Beispiel:

26Vgl. Quine, 1947, S. 116.27Lejewski, 1984, S. 49.28Vgl. Quine, 1947, S. 88.

KAPITEL 3. DAS NULLDING 33

Man nehme an, das Universum beinhalte lediglich zwei Individuen, die durchdie Konstanten ‘c1' und ‘c2' bezeichnet werden. Zum Vokabular der Sprache gebeman noch die beiden Individuenkonstanten ‘c3' und ‘c4' hinzu, wobei die ersteKonstante kein Referenzobjekt und die zweite sowohl das durch ‘c1', als auch dasdurch ‘c2' bezeichnete Individuum als Referenzobjekt haben möge. Aus diesemBeispiel ergibt sich, dass die Äquivalenzformeln

∀Fn(∃xFn[x]↔ Fn[c1] ∨ Fn[c2] ∨ Fn[c3] ∨ Fn[c4])

und

∀Fn(∀xFn[x]↔ Fn[c1] ∧ Fn[c2] ∧ Fn[c3] ∧ Fn[c4])

wahr sind. Dies führt jedoch dazu, dass der Satz S16 falsch ist, weil ‘Fn[c3]' falschist, da ‘c3' kein Referenzobjekt hat. Da Lejewski aber der Meinung ist, dassS16 wahr ist, will er dieses Ergebnis nicht akzeptieren. Deshalb schlägt Lejeskian dieser Stelle vor, dass man die beiden zuletzt präsentierten generalisiertenÄquivalenzformeln in die generalisierten Implikationsformeln

∀Fn(∃xFn[x]→ Fn[c1] ∨ Fn[c2] ∨ Fn[c3] ∨ Fn[c4])

und

∀Fn(∀xFn[x]→ Fn[c1] ∧ Fn[c2] ∧ Fn[c3] ∧ Fn[c4])

umformulieren muss, sofern an der These, dass das Universum endlich vieleIndividuen beinhaltet, keine Zweifel bestehen. Doch auch diese Lösung stelltLejewski nicht zufrieden, da er der Meinung ist, dass das Problem bei dieserInterpretation der logischen Quantoren darin liegt, dass angenommen wurde,das Universum würde endlich viele Individuen enthalten.

Wenn man hingegen der Meinung ist, dass das Universum unendlich vieleIndividuen beinhalten kann, ist dies keine Lösung für das besagte Problem. Auf-grund der Annahme, dass unendlich viele Individuen existieren, ist es nämlichnicht möglich eine entsprechende Disjunktions- bzw. Konjunktionsformel für dasjeweilige Konsequenz der obigen generalisierten Implikationsformeln zu bilden.

Lejewskis möchte sich bzgl. der Anzahl der existierenden Individuen nichtfestlegen und kann deshalb den obigen Lösungsvorschlag nicht akzeptieren. Erschlägt vor die beiden obenstehenden generalisierten Implikationsformeln durch

∀y∀Fn(Fn[y]→ ∃x(E1x ∧ Fn[x]))

und

∀y∀Fn(∀x(E1x→ Fn[x])→ Fn[y])

zu ersetzen. Durch diese Interpretation der logischen Quantoren wäre nun dieprädikatenlogisch wahre Formel

∀x(E1x→ E1x)

KAPITEL 3. DAS NULLDING 34

eine adäquate Repräsentierung von S16. Aufgrund dieser Repräsentierung kannnun auch nicht mehr aus S18 zusammen mit der Existenziellen Generalisierungein Widerspruch abgeleitet werden. Diese Tatsache spricht für die von Lejew-ski vorgeschlagene Interpretation der logischen Quantoren, welche er bei derExplikation von ‘existieren' benötigt.

Für die Explikation von ‘existieren' setzt Lejewski zudem die zweistelligeRelation der Inklusion voraus, welche durch ‘⊂' repräsentiert und mit ‘ist ein'oder ‘sind' in die Umgangssprache übersetzt werden kann. Es ist zu beachten,dass mit dem Inklusionszeichen und zwei Namen (dies müssen nicht zwangsläu-�g spezielle, sondern können auch allgemeine oder leere Namen, jedoch keinePrädikate, sein) Aussagesätze gebildet werden können.

�The functor of ordinary inclusion is a proposition forming functor for twoarguments either of which is a noun-expression.�29

So kann z.B. die Formel

c1 ⊂ c2

mit dem Satz

S19 Jeder Amerikaner ist ein Mensch.

in die Umgangssprache übersetzt werden, sofern ‘c1' jedes Individuum bezeich-net, das ein Amerikaner ist und ‘c2' jedes Individuum, das ein Mensch ist. Wennnun ein leerer Name links vom Inklusionszeichen steht, so ist die Formel, sofernsie wohlgeformt ist, auf jeden Fall wahr, egal welcher Name rechts vom Inklusi-onszeichen steht. Die Konstante ‘c1' in der obigen Formel kann daher auch mit‘Pegasus' und ‘c2' mit ‘Salzburger' in die Umgangssprache übersetzt werden,wobei die daraus resultierende Formel einen wahren Satz repräsentieren würde.Lejewski begründet dies damit, dass die obige Formel lediglich besagt, dass füralle Individuen gilt, dass wenn sie durch ‘Pegasus' bezeichnet werden, sie auchdurch ‘Salzburger' bezeichnet werden. Da es nun aber kein Individuum gibt,welches durch ‘Pegasus' bezeichnet wird, kann es keines geben, welches durch‘Pegasus' und nicht durch ‘Salzburger' bezeichnet wird.

Nach dieser Rechtfertigung führt Lejewski endlich die nicht-bezeichnendeIndividuenkonstante ‘Λ' ein. Dazu schreibt er:

�‘Λ' can be de�ned in terms of inclusion but for the sake of simplicity Iprefer to introduce it as unde�ned term.�30

Obwohl die Konstante ‘Λ' also de�nierbar wäre, möchte Lejewski sie lieber alsunde�nierte Individuenkonstante einführen. Allein die ontologische These, diemithilfe der Formel

∀x(Λ ⊂ x)29Lejewski, 1984, S. 55.30Lejewski, 1984, S. 56.

KAPITEL 3. DAS NULLDING 35

in der Sprache vonM repräsentiert werden kann, liefert Lejewski als Erläuterungzur Einführung der besagten Konstante. Aus seinen Ausführungen lässt sichnicht explizit erkennen, was denn die De�nition von ‘Λ' sein könnte, doch dieoben präsentierte Formel scheint wohl am ehesten dafür geeignet zu sein.

Bei Martin lässt sich nun die folgende Stelle �nden:

�Leonard and Goodman [. . . ] explicitly refuse to postulate a null individu-al, just as Le±niewski had excluded the null class. Lejewski, on the otherhand, also following Le±niewski somewhat in other respects, explicitly ad-mits a �nonreferential name . . .meant to be a name that does not designateanything.�31

Ich denke, dieses Zitat belegt, dass Martin der Meinung ist, die Einführung diesernicht-bezeichnenden Individuenkonstante würde für die Existenz des Nulldingssprechen. Da Lejewski für die Einführung der Individuenkonstante ‘Λ' relativüberzeugend zu argumentieren scheint, ist somit für Martin auch die Annahmeder Existenz des Nulldings gesichert.

3.1.2.2 Das Nullding und die leere Menge

Martin vertritt die Meinung, dass das Nullding eine genau so praktische, tech-nische Fiktion sei, wie die leere Menge in der Mengentheorie, weshalb die Theseder Existenz des Nulldings dadurch gerechtfertigt sei, dass man die Existenzder leeren Menge annimmt.32 Diese Begründung für die Existenz des Nulldingsklingt zunächst recht überzeugend, denn die leere Menge ist in der Tat eine sehrhilfreiche technische Fiktion und sie hat eine gewisse strukturelle Ähnlichkeitmit dem Nullding. Die leere Menge ist Teilmenge jeder Menge, das Nulldingist Teil jedes Individuums, und da die Existenz der leeren Menge kaum bezwei-felt wird, stellt sich die Frage: Warum sollte man die Existenz des Nulldingsablehnen, wenn die Existenz der leeren Menge nicht bezweifelt wird?

Martin hält diese Argumentation für sehr überzeugend, denn er ist der Mei-nung, dass

“ [. . . ] the notion of the null individual is no better or worse than that ofthe null class [. . . ].�33

Aus seiner Sicht müsste man also, wenn man die These der Existenz des Null-dings leugnet, konsequent sein und dürfte auch nicht die Existenz der leerenMenge akzeptieren. Da Martin von der Ähnlichkeit des Nulldings und der leerenMenge derart überzeugt ist und die leere Menge aufgrund der vielen technischenVorteile, welche sie mit sich bringt, keinesfalls aus der Liste der existierendenIndividuen streichen möchte, hält er es für vernünftiger, auch das Nullding indiese Liste aufzunehmen:

31Martin, 1979, S. 82.32Vgl. Martin, 1979, S. 82−83.33Martin, 1979, S. 82.

KAPITEL 3. DAS NULLDING 36

“The more reasonable course then seems to be to admit not only the nullclass but also such additional ��ctions� [. . . ].�34

Dies scheint für Martin zweifellos ein überzeugendes Argument für die Existenzdes Nulldings zu sein, doch er liefert noch eine Reihe von weiteren Argumenten,welche aus seiner Sicht für die Annahme der Existenz des Nulldings sprechen.

3.1.2.3 Leere Gegenstandsbereiche in der Prädikatenlogik

Einen weiteren Begründungsversuch für die Existenz des Nulldings liefert Martinim Zusammenhang mit leeren Gegenstandsbereichen.35 Dabei spricht Martinsicherlich ein besonderes Problem der Prädikatenlogik an, denn die Formel

∃x(F 1x ∨ ¬F 1x)

ist ein Theorem der Prädikatenlogik. Sie folgt allein aus den, üblicherweise un-bestrittenen, Axiomen und Schlussregeln der Prädikatenlogik. Doch wenn mandie leere Menge als Gegenstandsbereich angibt, man also annimmt, dass keinIndividuum existiert, erhält man einen Widerspruch: Wenn es nicht der Fall ist,dass es ein Individuum gibt, dann kann es nicht sein, dass es mindestens einIndividuum gibt, für das gilt, dass es entweder die durch ‘F 1' repräsentierteEigenschaft hat oder nicht.

Dies scheint unseren grundlegenden Intuitionen bzgl. der Logik vollkommenzu widersprechen: Die Annahme, dass es kein Individuum gibt, mag zwar sehrungewöhnlich sein, aber keinesfalls ist sie per se widersprüchlich. Da aber ausihr allein durch logische Axiome und Schlussregeln ein Widerspruch folgt, musssie widersprüchlich sein. Es sollte aber nicht der Fall sein, dass ein logischesTheorem einer Aussage, die nicht analytisch falsch ist, widerspricht. Deshalbmeint nun Martin, dass man

“ [. . . ] simply introduces the null individual as a value for variables andallow it to be �in� the empty domain.�36

Nun mag man auf diese Aussage sofort entgegnen, dass es nicht sein kann, dassdas Nullding ein Element der leeren Menge sein kann, weil die leere Mengeeben jene Menge ist, die per de�nitionem keine Elemente enthält. Martin würdedarauf aber antworten, dass das Nullding keinesfalls ein Element, sondern ein“Bestandteil� der leeren Menge ist:

“The empty domain then contains no actual individuals but only the nullindividual, not as a member strictly but merely as a component in somesense.�37

34Martin, 1979, S. 83.35Vgl. Martin, 1979, S. 84−8536Martin, 1979, S. 85.37Martin, 1979, S. 85.

KAPITEL 3. DAS NULLDING 37

Martin sieht die Annahme der Existenz des Nulldings also dadurch gerechtfer-tigt, dass durch sie das Problem der leeren Gegenstandsbereiche gelöst wird: DasNullding, als Bestandteil der leeren Menge und Wert von Individuenvariablenmacht es möglich, dass man die leere Menge als Gegenstandsbereich angebenkann und trotz des obigen Theorems nicht zu einem logischen Widerspruch ge-langt, weil für das Nullding, genauso wie für jedes andere Individuum, gilt, dasses entweder die durch ‘F 1' repräsentierte Eigenschaft hat oder nicht.

3.1.2.4 Existierende Individuen und das Nullding

Kommen wir nun zum letzten Begründungsversuch für die Existenz des Null-dings, den Martin zusammen mit der Frage danach, ob Existenz als Prädikatgesehen werden soll, behandelt.38 In diesem Zusammenhang liefert Martin eine,aus meiner Sicht ziemlich überraschende Antwort, nämlich

“[to] say of an individual that it exists actually is now merely to say thatit is non-null.�39

Diese Behauptung Martins liefert natürlich keinen Erkenntnisgewinn, sofernnicht geklärt wird, was mit dem Ausdruck ‘is non-null' gemeint ist.

Zunächst kann festgehalten werden, dass man Martins Ausdruck ‘is non-null' aus meiner Sicht am ehesten mit dem Ausdruck ‘ist nicht identisch mitdem Nullding' in die Umgangssprache übersetzen sollte. Daher besagt die obi-ge Behauptung Martins, wie auch das untenstehende Zitat bekräftigt, dass einIndividuum existiert gdw es nicht identisch mit dem Nullding ist.40 Diese dochrecht seltsame Behauptung, die im Zusammenhang mit dem Versuch, die Exis-tenz des Nulldings zu rechtfertigen, steht, erläutert Martin an dieser Stelle nochgenauer. Er schreibt, dass z.B. eine Einsetzungsinstanz der Formel

E!x41

die dadurch entsteht, dass in der obigen Formel ‘x' durch eine Individuenkon-stante ersetzt wird, die Behauptung repräsentiert, dass das durch die für ‘x' ein-gesetzte Individuenkonstante bezeichnete Individuum existiert. Diese Behaup-tung ist laut Martin genau dann wahr, wenn die für ‘x' eingesetzte Individuen-konstante nicht das Nullding bezeichnet.42

“They must depend upon whether x is in fact the null individual or not.�43

Aufgrund der doch recht schlampigen Ausdrucksweise, welche Martin in dieserTextpassage verwendet, sollte man den obigen Abschnitt fairerweise im Sinneeiner wohlwollenden Auslegung interpretieren. Ich denke, dass Martin meinte,

38Vgl. Martin, 1979, S. 85.39Martin, 1979, S. 85.40Vgl. Martin, 1979, S. 85−86.41Martin verwendet ‘x' an dieser Stelle im Sinne einer freien Individuenvariable.42Vgl. Martin, 1979, S. 85.43Martin, 1979, S. 85.

KAPITEL 3. DAS NULLDING 38

von einem beliebigen Individuum − nicht von einer Individuenkonstante, die jaeine sprachliche Entität ist− kann nur dann gerechtfertigterweise gesagt werden,dass es existiert, wenn es nicht identisch mit dem Nullding ist.

Wenn wir diese These in der Sprache von M festhalten, erhalten wir diefolgende Formel

E1c↔ ¬(c = θ)

wobei ‘E1' eine Übersetzung von Martins ‘E!' sei.Ich möchte diesen Explikationsversuch von Martin vorerst so stehen lassen,

um ihn im Abschnitt 3.2 genauer zu analysieren.

3.2 Kritik an den Begründungsversuchen für die

Existenz des Nulldings

In diesem Abschnitt möchte ich nun die oben präsentierten Begründungsvor-schläge für die Existenz des Nulldings einer kritischen Prüfung unterziehen.Durch diese Analyse werde ich zu dem Schluss gelangen, dass keiner der fünfBegründungsvorschläge überzeugend ist, sondern dass jeder einzelne entwederzu einem logischen Widerspruch führt oder unplausible Folgen mit sich bringt.Dieses Ergebnis scheint mir ein eindeutiger Beleg dafür zu sein, dass die Theseder Existenz des Nulldings innerhalb von mereologischen Theorien nicht haltbarist und somit, zumindest vorläu�g, verworfen werden sollte.

3.2.1 Kritik an Carnaps Vorschlag

Laut Carnaps Begründung bezeichnet jede unkorrekte Kennzeichnung, die auseinem Gegenstandsbereich, der physikalische Gegenstände und Sachverhalte bein-haltet, gebildet werden kann, das Nullding. Nun entsteht durch diesen Begrün-dungsversuch und der Tatsache, dass die Extension von zwei Ausdrücken, die dasselbe Individuum bezeichnen, identisch ist, ein Problem. Die Ausdrücke ‘SilvioBerlusconi' und ‘der derzeitige Ministerpräsident Italiens' bezeichnen das selbeIndividuum, haben folglich die selbe Extension, weshalb der Satz

S20 Silvio Berlusconi ist identisch mit dem derzeitigen MinisterpräsidentItaliens.

wahr ist.Wenn nun aber, wie Carnap behauptet, alle unkorrekten Kennzeichnungen

das Nullding bezeichnen, sie also die selbe Extension haben, ist auch der Satz

S21 Der derzeitige Kaiser von Europa ist identisch mit der Ex-Frau vonGerhard Schröder.

wahr, weil die beiden in S21 enthaltenen Kennzeichnungen unkorrekt sind.

KAPITEL 3. DAS NULLDING 39

Zunächst möchte ich anmerken, dass die Wahrheit dieses Satzes vollkom-men unseren Intuitionen widerspricht, was ein Grund dafür ist, Carnaps Be-gründungsversuch und somit die These der Existenz des Nulldings als nichtangemessen zu betrachten.

Carnap würde auf diese Kritik vermutlich antworten, dass es nicht relevantsei, ob dieser Begründungsversuch unseren Intuitionen widerspricht. Aufgrundder Tatsache, dass durch die Verwendung des Nulldings als Referenzobjekt fürunkorrekte Kennzeichnungen gesichert wird, dass auch unkorrekte Kennzeich-nungen genau ein Individuum bezeichnen, möge man die Intuitionen, die gegendie Wahrheit von S21 sprechen, auÿer Acht lassen.

Auf diese Antwort Carnaps möchte ich jedoch entgegnen, dass man nicht not-wendigerweise das Nullding als Referenzobjekt für unkorrekte Kennzeichnungenwählen muss: In Carnaps Rechtfertigungsversuch ist es lediglich von Bedeutung,dass unkorrekte Kennzeichnungen genau ein Individuum bezeichnen, weshalbman ein beliebiges Individuum wählen kann, das als Referenzobjekt für sie ver-wendet wird, z.B. Heinz Fischer, Innsbruck, oder auch die leere Menge. Dieswürde ebenfalls dazu führen, dass sämtliche Kennzeichnungen genau ein Indivi-duum bezeichnen, ohne dass man dafür ein derart fragwürdiges Individuum wiedas Nullding einführen muss.

Zudem möchte ich noch darauf hinweisen, dass durch die Verwendung desNulldings als Referenzobjekt für unkorrekte Kennzeichnungen Widersprüche ab-geleitet werden können. Wenn wir wieder die in S21 angeführten Kennzeichnun-gen verwenden, können wir den Satz

S22 Der derzeitige Kaiser von Europa ist weiblich.

und somit auch einen Widerspruch ableiten, was durch den untenstehenden,etwas längeren Beweis gezeigt wird. Die im Beweis verwendeten Konstantenmögen wie folgt in die Umgangssprache übersetzt werden: ‘K1' mit ‘ist derzeitKaiser von Europa', ‘H2' mit ‘ist derzeit höchster Monarch von', ‘E2' mit ‘istEx-Frau von', ‘W 1' mit ‘ist weiblich', ‘V 2' mit ‘war verheiratet mit', ‘c1' mit‘Gerhard Schröder' und ‘c2' mit ‘Europa'. Die Verwendung der Formalisierungvon S21 im Beweis ist durch Carnaps Behauptung gerechtfertigt. Die De�nitionDE ist ein naheliegender De�nitionsvorschlag für das Prädikat ‘ist Ex-Frau von'und DK für ‘ist Kaiser von'.

1. ıxK2(x, c2) = ıxE2(x, c1) S17

2. ∀x∀y(E2(x, y)↔ (V 2(x, y) ∧W 1x)) DE

3. ∀x∀y(K2(x, y)↔ (H2(x, y) ∧ ¬W 1x)) DK

4. ∀x∀Fn(x = ıy(Fn[y])↔ (Fn[x] ∧ ∀z(Fn[z]→ z = x))) D0

5. ∀x(x = x) Gl

6. ıxK2(x, c2) = ıxE2(x, c1)↔E2(ıxK2(x, c2)c1) ∧ ∀z(E2(z, c1)→ z = ıxK2(x, c2)) 4.; UE, UE∗

KAPITEL 3. DAS NULLDING 40

7. E2(ıxK2(x, c2), c1) ∧ ∀z(E2(z, c1)→ z = ıxK2(x, c2)) 1., 6.; SIMP,MP

8. E2(ıxK2(x, c2), c1) 7.; SIMP

9. E2(ıxK2(x, c2), c1)→ (V 2(ıxK2(x, c2), c1) ∧W 1ıxK2(x, c2)) 2.; 2 · UE,SIMP

10. W 1ıxK2(x, c2) 8., 9.; MP,SIMP11. ıxK2(x, c2) = ıxK2(x, c2)5.; UE

12. ıxK2(x, c2) = ıy(K2(y, c2))↔(K2(ıxK2(x, c2), c2) ∧ ∀z(K2(z, c2)→ z = ıxK2(x, c2))) 4.; UE, UE∗

13. ıxK2(x, c2) = ıy(K2(y, c2))→(K2(ıxK2(x, c2), c2) ∧ ∀z(K2(z, c2)→ z = ıxK2(x, c2))) 12.; SIMP

14. K2(ıxK2(x, c2), c2) ∧ ∀z(K2(z, c2)→ z = ıxK2(x, c2)) 11., 13.; SIMP

15. K2(ıxK2(x, c2), c2) 14.; SIMP

16. K2(ıxK2(x, c2), c2)→ (H2(ıxK2(x, c2), c2) ∧ ¬W 1ıxK2(x, c2)) 3.; 2 · UE,SIMP

17. ¬W 1ıxK2(x, c2) 15., 16.; MP,SIMP18. W 1ıxK2(x, c2) ∧ ¬W 1ıxK2(x, c2)10., 17.; KONJ

Wie dieser Beweis zeigt, folgt der Satz S22 logisch aus der Behauptung Car-naps, da die Formel in der zehnten Zeile des Beweises, entsprechend der obenvorgeschlagenen Interpretation der Individuen- und Prädikatkonstanten, eineadäquate Übersetzung von S22 in die Sprache von M ist. Mit einer adäquatenFormalisierung dieses Satzes, der unseren Intuitionen vollkommen widerspricht,kann nun ein Widerspruch abgeleitet werden, was ebenfalls durch den Beweisgezeigt wird. Da ich der Meinung bin, dass die vierte und die fünfte Zeile desBeweises auÿer Frage stehen und die Zeilen zwei und drei zumindest akzeptableDe�nitionsvorschläge für die Prädikate ‘ist Ex-Frau von' und ‘ist Kaiser von'sind, kann ich nur die erste Zeile des Beweises ablehnen, um die Ableitung desWiderspruchs zu verhindern. Da diese Zeile eine adäquate Formalisierung einesSatzes ist, der aus Carnaps Behauptung folgt, muss sie falsch sein.

Carnaps Rechtfertigungsversuch für die Existenz des Nulldings ist aber al-leine schon deshalb zum Scheitern verurteilt, weil es kein Individuum gebenkann, das das Referenzobjekt von allen unkorrekten Kennzeichnungen ist. Mankann nämlich stets zwei unkorrekte Kennzeichnungen bilden, die per de�nitio-nem nicht ein und das selbe Individuum bezeichnen können, weil sie jeweils sichgegenseitig widersprechende Eigenschaften haben. Deshalb ist es vollkommenegal, welchen willkürlichen Gegenstand er als Referenzobjekt für leere Kenn-zeichnungen angibt, es wäre trotzdem immer ein Widerspruch ableitbar.

KAPITEL 3. DAS NULLDING 41

3.2.2 Kritik an Martins Verweis auf Lejewski

Bei seiner Interpretation von Lejewskis Theorie begeht Martin einen entschei-denden Fehler, wenn er Lejewski unterstellt, dass er die Existenz des Nulldingsbefürwortet. Es gibt nämlich drei Gründe, die gegen diese Interpretation vonLejewski sprechen.

Die bereits im Abschnitt 3.2.1.1 zitierte Aussage von Martin

�Leonard and Goodman [. . . ] explicitly refuse to postulate a null individu-al, just as Le±niewski had excluded the null class. Lejewski, on the otherhand, also following Le±niewski somewhat in other respects, explicitly ad-mits a �nonreferential name . . .meant to be a name that does not designateanything.�44

wirft sofort die Frage auf, warum die Einführung einer Individuenkonstantefür die Existenz eines Individuums sprechen kann. Zunächst einmal denke ich,dass die Mindestvoraussetzung, dass die eingeführte Individuenkonstante dasbesagte Individuum bezeichnet, erfüllt sein muss, damit die Einführung einerIndividuenkonstante ein Argument für die Existenz eines Individuums sein kann.

Wenn nun diese Bedingung erfüllt ist, so kann man argumentieren, dass imRahmen der Prädikatenlogik nur solche Individuenkonstanten eingeführt werdendürfen, die ein existierendes Individuum bezeichnen. Dies ist ein Beleg dafür,dass durch die Einführung einer Individuenkonstante in eine Theorie behaup-tet wird, dass diese Konstante ein existierendes Individuum bezeichnet. Obwohldiese Antwort korrekt ist, kann sie aus zwei Gründen nicht auf Lejewskis Ein-führung der Individuenkonstante ‘Λ' und das Nullding angewendet werden.

Lejewski benötigt nämlich für seine Theorie eine freie Logik, da seine Theoriemindestens eine Individuenkonstante enthält, die kein Individuum bezeichnet:Eine Theorie, welche eine oder mehrere Individuenkonstanten beinhaltet, diekein Referenzobjekt haben, kann nur im Rahmen einer freien Logik adäquatformuliert werden. In einer solchen Theorie ist es aber nicht erlaubt aufgrund derEinführung bzw. der Verwendung einer Individuenkonstante darauf zu schlieÿen,dass diese Konstante ein existierendes Referenzobjekt hat. Somit kann manauch Lejewski nicht unterstellen, dass er der Meinung war, das Nullding würdeexistieren und diese Behauptung durch einen Verweis auf seine Verwendung derKonstante ‘Λ' rechtfertigen.

Auÿerdem widerspricht die Tatsache, dass Lejewski ‘Λ' explizit als jene Kon-stante einführt, welche kein Individuum bezeichnet, dem Begründungsversuchvon Martin:

�[. . . ] we write the constant noun-expression ‘Λ', which designatesnothing [. . . ] �45

44Martin, 1979, S. 82.45Lejewski, 1984, S. 56.

KAPITEL 3. DAS NULLDING 42

Daher kann es nicht sein, dass ‘Λ' in Lejewskis Theorie das Nullding bezeich-net.

Als letzten Kritikpunkt an Martins Verweis auf Lejewski möchte ich nochein weiteres Problem hervorheben, das aufgrund der ontologischen These, welcheLejewski bei der Einführung von ‘Λ' angibt, entsteht. Wie ich bereits bei derDarstellung von Lejewskis Begri�sexplikation angemerkt habe, vertritt Lejewskidie These, dass die Formel

∀x(Λ ⊂ x)

wahr ist. Wenn wir uns nun daran erinnern, welche Relation durch ‘⊂' reprä-sentiert wird, erkennen wir, dass die obige Formel die Aussage repräsentiert,dass für alle Individuen gilt, wenn sie durch ‘Λ' bezeichnet werden, dann auchdurch jede andere Individuenkonstante. Das bedeutet folglich, dass jedes In-dividuum und jede Gesamtheit von Individuen, die durch einen gemeinsamenNamen benannt werden kann, das Nullding inkludiert. Dies ist zwar nicht perse widersprüchlich, es entspricht aber nicht unseren Intuitionen.

Diese drei Argumente gegen Martins Position sollten genügen, um zu zei-gen, dass sein Verweis keinesfalls gerechtfertigt ist und somit der im Abschnitt3.1.2.1 präsentierte Begründungsversuch für die Existenz des Nulldings nichtakzeptabel ist.

3.2.3 Kritik am Vergleich zwischen dem Nullding und der

leeren Menge

Martins Vergleich des Nulldings mit der leeren Menge bzw. der Mereologie mitder Mengentheorie ist nur zum Teil korrekt, denn er vergisst etwas sehr Wichti-ges, nämlich die Elementbeziehung der Mengentheorie. Die leere Menge ist zwareine Teilmenge jeder Menge, sie ist aber nicht Element jeder Menge. Der Unter-schied zwischen der Teilmengenrelation und der Elementrelation, welche in derMengentheorie üblicherweise durch ‘⊂' und ‘∈' repräsentiert werden, bestehtu.a. darin, dass die Teilmengenrelation nur zwischen zwei Mengen und die Ele-mentbeziehung zwischen einem beliebigen Gegenstand und einer Menge besteht.Da es in der Mereologie nur die Teilrelation < bzw. ≤ gibt, die der Teilmengen-relation und der Elementrelation zwar ähnlich sind, es aber in der Mereologiekeine Typenunterscheidung gibt, kann in der Mereologie der Unterschied zwi-schen den beiden mengentheoretischen Relationen nicht zum Ausdruck gebrachtwerden.

Diese Tatsache ist also ein Beleg dafür, dass Martins Vergleich zwischen derleeren Menge und dem Nullding nicht korrekt ist. Somit kann dieser Vergleichauch nicht als Begründung für die Existenz des Nulldings verwendet werden,weshalb auch dieser Versuch Martins den Leser von der Existenz des Nulldingszu überzeugen gescheitert ist.

KAPITEL 3. DAS NULLDING 43

3.2.4 Kritik an der Begründung durch leere Gegenstands-

bereiche in der Prädikatenlogik

Ich denke, dass es zwei Gründe dafür gibt, warum Martin auch mit diesemoben dargestellten Begründungsversuch falsch liegt: Erstens widerspricht dieAnnahme eines leeren Gegenstandsbereichs, dass es Einsetzungsinstanzen fürgebundene Variablen gibt. Zweitens erläutert Martin an dieser Stelle nicht, waser damit meint, dass das Nullding Bestandteil der leeren Menge ist.

Wenn Martin eine Konstante, die das Nullding repräsentieren soll, als Ein-setzungsinstanz für Variablen zulässt, so postuliert er implizit, dass das Nulldingein Individuum ist, das existiert. Dieses implizite Postulat widerspricht aber derAnnahme, dass es kein Individuum gibt bzw. dass der Gegenstandsbereich leerist. Dadurch kann Martin das angeführte Problem nicht lösen, weshalb seine Be-hauptung, die Annahme der Existenz des Nulldings löse das Problem der leerenGegenstandsbereiche in der Prädikatenlogik, falsch ist. Somit ist es auch nichtnötig aufgrund dieses Problems die Existenz des Nulldings anzunehmen.

Auch Martin ist der Meinung, man sollte mit �ktiven Individuen vorsichtigsein, denn er schreibt:

“[. . . ] it is desirable to keep tra�c with the ghostly at a minimum.�46

Dies ist ein guter Grund, den Martin selbst anführt, um diesen Begründungsver-such zusammen mit der Tatsache, dass das Problem der leeren Gegenstandsbe-reiche auf diese Weise nicht gelöst werden kann, als nicht gelungen zu betrachten.

Auÿerdem ist Martins Behauptung, das Nullding sei Bestandteil der lee-ren Menge, unmittelbar mit einer Reihe von Fragen verbunden. Was ist mit‘Bestandteil' gemeint? Kann ein Individuum lediglich aus einem Bestandteil“zusammengesetzt� sein? Wenn nicht, was ist dann noch, neben dem Nullding,ein Bestandteil der leeren Menge?

Leider sind bei Martin keine Hinweise für mögliche Antworten auf dieseFragen zu �nden. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass in diesem Zusammen-hang eine befriedigende Antwort gegeben werden kann. Auÿerdem scheinen diebeiden in 3.1.2.3 verwendeten Zitate zu belegen, dass Martin selbst nicht vondiesem Begründungsversuch überzeugt war. Durch das Verwenden von Anfüh-rungszeichen deutet er eine metaphorische Ausdrucksweise an, wenn er schreibt,das Nullding sei “in� der leeren Menge. Zusätzlich legt seine Aussage, dass dasNullding gewisserweise, “in some sense�, Bestandteil der leeren Menge ist, dieVermutung nahe, dass er eigentlich selbst nicht genau wusste, was er damitmeinte und sich in eine gewagte Metaphysik verstrickte.

Daher bin ich der Meinung, dass dieser Lösungsvorschlag von Martin für dasProblem von leeren Gegenstandsbereichen in der Prädikatenlogik keineswegs alsBegründung für die Existenz des Nulldings akzeptiert werden kann.

46Martin, 1979, S. 82.

KAPITEL 3. DAS NULLDING 44

3.2.5 Kritik an der Begründung in 3.1.2.4

Im Rahmen des letzten oben präsentierten Begründungsversuch von Martinwurde von ihm die These aufgestellt, dass ein Individuum existiert gdw es nichtidentisch mit dem Nullding ist. Diese Aussage wird, wie es bereits oben gemachtwurde, mit

E1c↔ ¬(c = θ)

in die Sprache von M übersetzt. Es ist vollkommen o�ensichtlich, dass Mar-tin mit dieser Behauptung nicht für, sondern gegen die Existenz des Nulldingsargumentiert. Denn wenn ein Individuum existiert gdw es nicht identisch mitdem Nullding ist, folgt daraus logisch, dass das Nullding nicht existiert, wie deruntenstehende Beweis belegt. Die erste Zeile des Beweises ist durch die obigeBehauptung von Martin gerechtfertigt, weil seine These für beliebige Individuengilt.

1. ∀x(E1x↔ ¬(x = θ))

2. ∀x(x = x) Gl

3. θ = θ 2.; UE

4. θ = θ → ¬E1θ 1.; UE, SIMP

5. ¬E1θ 3., 4.; MP

Da auch dieser Begründungsversuch, wie schon die drei vorher präsentiertenVersuche von Martin und jener von Carnap, nicht überzeugend ist, �nde ich,dass alle fünf Versuche, die These der Existenz des Nulldings zu rechtfertigen,nicht erfolgreich sind. Trotzdem möchte ich im nächsten Abschnitt einige De�-nitionsvorschläge für das Nullding erstellen, um sie dann anschlieÿend auf ihreVereinbarkeit mit mereologischen Theorien zu überprüfen.

3.3 De�nitionsvorschläge für das Nullding

Nun komme ich endlich zu den De�nitionsvorschlägen, welche in der Litera-tur für das Nullding zu �nden sind. Obwohl jener De�nitionsvorschlag, welchenich im ersten Unterabschnitt präsentieren werde, am häu�gsten zu �nden ist,konnte ich keine eindeutige Formulierung dieses De�nitionsvorschlages �nden.Die Ursache dafür, dass dieser De�nitionsvorschlag mindestens auf zwei unter-schiedliche Arten formalisiert werden kann, liegt darin, dass das Prädikat ‘istTeil von' in mereologischen Theorien entweder durch ‘<' oder ‘≤ repräsentiertwerden kann, sofern keine weiteren umgangssprachlichen Hinweise dafür gegebensind, welche Relation gemeint ist. Aufgrund dieser zweideutigen Formulierungin der Literatur werde ich zwei De�nitionsvorschläge, D13 und D14, erstellen.

Der De�nitionsvorschlag D15 ist nicht so populär wie D13 und D14, dochwerde ich mich auch mit diesem auseinandersetzen. Im Abschnitt 3.4 werde ich

KAPITEL 3. DAS NULLDING 45

dann die Basistheorie M und ihre Erweiterungen durch die in diesem Abschnittangeführten De�nitionsvorschläge ergänzen und die aufgrund der jeweiligen Er-weiterung daraus resultierenden Theorien auf ihre Konsistenz hin analysieren.

3.3.1 Das Nullding als Teil von jedem Individuum

Der wohl bekannteste De�nitionsvorschlag für das Nullding stammt ursprüng-lich von Rudolf Carnap und wurde auch von Richard Milton Martin vertreten.Wie bereits im Abschnitt 3.1 erläutert wurde, haben Carnap und Martin unter-schiedliche Gründe für die Annahme der Existenz des Nulldings angeführt. Siecharakterisieren das Nullding als

�[. . . ] that thing which is part of every thing.”47

Wenn man diese umgangssprachliche Explikation vor der Grundlage der TheorieM betrachtet, so fällt sofort auf, dass die Behauptung von Carnap und Mar-tin (Martin zitiert Carnap48) mindestens zweideutig ist. Denn aus dem obigenZitat kann man nicht erkennen, ob das Nullding echter oder unechter Teil vonjedem Individuum ist. Auch der Zusammenhang, innerhalb dessen Carnap undMartin diese Behauptung aufgestellt haben, gibt keine Aufschlüsse darüber, mitwelcher Absicht der Ausdruck ‘ist Teil von' von ihnen verwendet wird. Deshalbmuss man, wenn man auf der Grundlage von Carnaps und Martins Behauptungeine De�nition für das Nullding erstellen will, beide Verwendungsweisen berück-sichtigen. Somit hätten wir schon einmal zwei Vorschläge für die De�nition desNulldings.

Beginnen wir mit dem De�nitionsvorschlag, das Nullding sei echter Teil vonjedem Individuum:

D13 ∀x(x = θ ↔ ∀y(x < y))

Da aber, wie bereits angemerkt wurde, die Behauptung von Carnap und Martinauch dahingehend verstanden werden kann, dass das Nullding unechter Teil vonjedem Individuum ist, muss auch diese Möglichkeit der De�nition des Nulldingsbetrachtet werden:

D14 ∀x(x = θ ↔ ∀y(x ≤ y))

Es mag vermutlich auf den ersten Blick so scheinen, dass es nicht relevant ist,dass man aus den obigen Behauptungen diese beiden unterschiedlichen De�ni-tionen erstellen kann, doch wie wir weiter unten in der Arbeit sehen werden, istdiese Unterscheidung sehr wichtig.

47Carnap, 1988, S. 36.48Vgl. Martin, 1979, S. 82.

KAPITEL 3. DAS NULLDING 46

3.3.2 Carnaps zweiter Vorschlag

Carnap lieferte einen weiteren De�nitionsvorschlag, welchen ich jedoch an dieserStelle nur ganz kurz besprechen möchte, weil er mir derart unplausibel erscheint,dass ich denke, dass es sich nicht lohnen würde, ihn genauer zu analysieren.

Wie bereits im obigen Abschnitt angemerkt wurde, beschäftigte sich RudolfCarnap im Rahmen seiner Kennzeichnungstheorie mit dem Nullding. In Ein-führung in die symbolische Logik49 liefert er in diesem Zusammenhang einenziemlich eigenartigen De�nitionsvorschlag für das Nullding. Carnap schreibt,dass das Zeichen ‘a∗', welches er als Konstante für das Nullding vorschlägt, einGrundzeichen seiner Sprache sei und dass es mit dem Ausdruck ‘ıx¬(x = x)'de�nierbar sei.50 Wir halten also fest, dass Carnap für das Nullding die De�ni-tion

D15 ∀x(x = θ ↔ x = ıy¬(y = y))

vorschlägt, wobei wir ‘θ' statt ‘a∗' als De�niendum verwendet haben.Ich möchte diesen De�nitionsvorschlag Carnaps vorerst so stehen lassen und

ihn nicht weiter kommentieren, um dann im nächsten Abschnitt, in welchemich die drei eben präsentierten De�nitionsvorschläge kritisch analysieren werde,näher auf ihn einzugehen.

3.4 Mereologische Theorien und das Nullding

Nachdem im obigen Abschnitt einige De�nitionsvorschläge für das Nullding er-stellt wurden, möchte ich nun diese De�nitionsvorschläge auf ihre Vereinbarkeitmit den im Kapitel 2 präsentierten mereologischen Theorien überprüfen. Ichmöchte noch einmal darauf hinweisen, dass die im Abschnitt 2.4 präsentiertenTheorien auf der Basis der Theorie M erstellt wurden. Wenn nun die TheorieM durch das Hinzufügen von einem der oben präsentierten De�nitionsvorschlä-ge für das Nullding inkonsistent wird, so gilt auch für alle Erweiterungen vonM , dass sich aus ihnen gemeinsam mit dem besagten De�nitionsvorschlag einWiderspruch ableiten lässt. Deshalb werde ich, sollte ich aus der Theorie Mgemeinsam mit einem De�nitionsvorschlag einen Widerspruch ableiten können,dies nicht noch einmal für jede einzelne Erweiterung von M tun. Dies gilt na-türlich auch für unplausible Theoreme, welche aus der Theorie M aufgrund derErweiterung durch einen De�nitionsvorschlag für das Nullding folgen.

Da ich in meiner Darstellung der mereologischen Theorien drei Erweiterun-gen der Basistheorie M präsentiert habe und im obigen Unterabschnitt dreiDe�nitionsvorschläge für das Nullding erstellt habe, ergeben sich neun Kombi-nationsmöglichkeiten von mereologischen Theorien und De�nitionsvorschlägen.Die Tabelle auf der nächsten Seite soll die möglichen Kombinationsmöglichkei-ten von Theorien und De�nitionsvorschlägen noch einmal in Erinnerung rufen.

49Carnap, 1968.50Vgl. Carnap, 1968, S. 144.

KAPITEL 3. DAS NULLDING 47

Non-Atomismus Strenger Atomismus Gemäÿigter Atomismus

D13

D14

D15

In den folgenden Unterabschnitten werde ich die Kombinationen aus mereo-logischen Theorien und De�nitionsvorschlägen untersuchen und auf ihre Verein-barkeit hin überprüfen. Wenn sich aus einer durch einen De�nitionsvorschlagerweiterten mereologischen Theorie ein Widerspruch ableiten lässt, werde ichin das entsprechende Feld der Tabelle ein ‘X' schreiben, um anzudeuten, dassdiese erweiterte Theorie nicht haltbar ist. Wenn ich aus einer erweiterten Theo-rie keinen Widerspruch ableiten kann, sondern lediglich unplausible Theoreme,so werde ich das entsprechende Feld in der Tabelle mit einem ‘?' versehen, umdarauf hinzuweisen, dass diese Position äuÿerst fragwürdig ist.

3.4.1 Kritik an D15

Bei meiner kritischen Analyse der De�nitionsvorschläge für das Nullding beginneich mit dem zuletzt präsentierten Vorschlag von Carnap. Wie ich bereits bei derDarstellung des De�nitionsvorschlages angemerkt habe, glaube ich, dass dieserDe�nitionsvorschlag vollkommen inadäquat ist.

Carnaps Vorschlag, das Nullding sei jenes Individuum, welches nicht iden-tisch mit sich selbst ist, ist nämlich eine per se widersprüchliche Aussage. DerGrund dafür ist, dass die Aussage, jedes Individuum ist mit sich selbst identisch,eine logische Wahrheit ist und Carnaps De�nition zusammen mit dieser Aussagezu einem logischen Widerspruch führt, was der untenstehende Beiweis zeigt.

1. ∀x(x = θ ↔ x = ıy¬(y = y)) D15

2. ∀x(x = x) Gl

3. ∀x∀Fn(x = ıy(Fn[y])↔ (Fn[x] ∧ ∀z(Fn[z]→ z = x))) D0

4. θ = θ 2.; UE

5. θ = θ → θ = ıy¬(y = y) 1.; UE, SIMP

6. θ = ıy¬(y = y) 4., 5.; MP

7. θ = ıy¬(y = y)→ ¬(θ = θ) ∧ ∀z(¬(z = z)→ z = θ) 3.; 2 · UE,SIMP

8. ¬(θ = θ) 6., 7.; MP,SIMP9. θ = θ ∧ ¬(θ = θ)4., 8.; KONJ

Der obige Beweis zeigt deutlich, dass Carnaps De�nitionsvorschlag dem AxiomGl, laut dem alle Dinge mit sich selbst identisch sind, widerspricht. Deshalbist dieser Vorschlag nicht nur mit der Basistheorie M , und somit auch mit den

KAPITEL 3. DAS NULLDING 48

oben präsentierten Erweiterungen von M , nicht vereinbar, sondern er ist mitkeiner Theorie, die das Axiom Gl und eine Kennzeichnungtheorie oder -analysebeinhalten, vereinbar. Die De�nition D15 wäre nur dadurch zu retten, dass mandieses Axiom ablehnt. Jedoch bezwei�e ich stark, dass man dies ernsthaft tunkann, weshalb ich denke, dass man diesen De�nitionsvorschlag entschieden ab-lehnen muss. Daher können wir in jedes Feld der untersten Zeile der Tabelleein Kreuz machen, um festzuhalten, dass die Kombination von D15 mit denErweiterungen von M nicht konsistent ist.

Non-Atomismus Strenger Atomismus Gemäÿigter Atomismus

D13

D14

D15 X X X

3.4.2 Die Basistheorie M und D13

Betrachten wir nun die zuerst erstellte De�nition für das Nullding, welche einemögliche Interpretation des De�nitionsvorschlages von Carnap51 und Martinist. Ich konnte bereits in meiner Seminarbeit52 zeigen, dass der in Abschnitt3.3.1 erstellte De�nitionsvorschlag D13 unbrauchbar ist. Man kann nämlich ausihm, mit Hilfe der Asymmetrie, der Irre�exivität und der Prädikatenlogik mitIdentität einen Widerspruch ableiten, was der folgende Beweis belegt.

1. ∀x(x = θ ↔ ∀y(θ < y)) D13

2. ∀x(x = x) Gl

3. ∀x∀y(x < y → ¬(y < x)) A2

4. ∀x¬(x < x) T1

5. θ = θ ↔ ∀y(θ < y) 1.; UE

6. θ = θ → ∀y(θ < y) 5.; SIMP

7. θ = θ 2.; UE

8. ∀y(θ < y) 6., 7.; MP

9. θ < θ 8.; UE

10. ¬(θ < θ) 4.; UE

11. θ < θ ∧ ¬(θ < θ) 9., 14.; KONJ51Vgl. Carnap, 1988, S. 36.52Vgl. Lechthaler, 2008, S. 16−17.

KAPITEL 3. DAS NULLDING 49

Da dieser De�nitionsvorschlag zu einem logischen Widerspruch führt, konntealso gezeigt werden, dass er innerhalb der Theorie M unhaltbar ist. Somit kannauch keine Erweiterung vonM gemeinsam mit diesem De�nitionsvorschlag kon-sistent sein, weshalb die De�nition D13 für die oben präsentierten mereologi-schen Theorien nicht adäquat ist. Somit können wir auch die erste Zeile unsererTabelle mit Kreuzen versehen.

Non-Atomismus Strenger Atomismus Gemäÿigter Atomismus

D13 X X XD14

D15 X X X

3.4.3 Kritik an der De�nition D14

Kommen wir nun zur letzten De�nition, welche ich im Abschnitt 3.3 für dasNullding vorgeschlagen habe. Obwohl D14 auf den ersten Blick der De�nitionD13 recht ähnlich sieht, kann aus ihr aufgrund der Re�exivität und der Anti-symmetrie von ‘≤' nicht analog zum obigen Beweis in 3.4.2 ein Widerspruchabgeleitet werden.

Ich werde nun die Erweiterungen vonM jeweils einzeln auf ihre Vereinbarkeitmit D14 überprüfen, bzw. die Theoreme, welche aufgrund des Hinzufügens vonD14 in den erweiterten Theorien entstehen, auf ihre Plausibilität überprüfen.

3.4.3.1 D14 und der mereologische Non-Atomismus

Das Axiom AN1 des mereologischen Non-Atomismus besagt, dass es keine Ato-

me gibt, was per de�nitionem heiÿt, dass es für alle Individuen ein weiteresIndividuum gibt, welches ein echter Teil von ihnen ist. Laut diesem Axiom giltalso auch für das Nullding, dass es ein Individuum als echten Teil besitzt. Danun die De�nition D14 besagt, dass das Nullding Teil aller Individuen ist, kannes aufgrund der Asymmetrie und Irre�exivität von ‘<' kein Individuum geben,das ein echter Teil des Nulldings ist. Dies steht jedoch im Widerspruch zu AN

1 ,weshalb im untenstehenden Beweis gezeigt werden kann, dass eine Erweiterungdes mereologischen Non-Atomismus durch D14 inkonsistent ist.

1. ∀x(x = x) Gl

2. ∀x(A1x↔ ¬∃y(y < x)) D12

3. ∀x∀y(x ≤ y ↔ (x < y ∨ x = y)) D1

4. ∀x∀y(x < y → ¬(y < x)) A2

5. ∀x∀y(x < y → ¬(x = y)) T2

KAPITEL 3. DAS NULLDING 50

6. ¬∃x(A1x) AN1

7. ∀x(x = θ ↔ ∀y(x ≤ y)) D14

8. θ = θ → ∀y(θ ≤ y) 7.; UE, SIMP

9. θ = θ 1.; UE

10. θ ≤ x1 8., 9.; MP, UE

11. θ ≤ x1 → θ < x1 ∨ xθ = x1 3.; 2 · UE,SIMP

12. θ < x1 ∨ θ = x1 10., 11.; MP

13. ¬A1θ 6.; QN, UE

14. ¬∃y(y < θ)→ A1θ 2.; UE, SIMP

15. ∃y(y < θ) 13., 14.; MT,QN

16. x1 < θ 15.; EE17. x1 < θ → ¬(θ < x1) 4.; 2 · UE

18. ¬(θ < x1) 16., 17.; MP

19. x1 = θ 12., 18.; DS, 2 ·SP

20. x1 < θ → ¬(x1 = θ) 5.; 2 · UE21. ¬(x1 = θ) 16., 20.; MP

22. x1 = θ ∧ ¬(x1 = θ) 16., 21.; KONJ

23. x2 = θ ∧ ¬(x2 = θ) 22.; AL, V B in16.√

Da ich mit diesem Beweis zeigen konnte, dass Theorien des mereologischen Non-Atomismus nicht vereinbar mit der De�nition D14 sind, kann auch diese Kombi-nationsmöglichkeit ausgeschlossen werden. Somit können wir auch in das letztenoch freie Feld der ersten Spalte unserer Tabelle ein Kreuz eintragen und sehen,dass der mereologische Non-Atomismus mit keinem der drei De�nitionsvorschlä-ge vereinbar ist.

Non-Atomismus Strenger Atomismus Gemäÿigter Atomismus

D13 X X XD14 XD15 X X X

KAPITEL 3. DAS NULLDING 51

3.4.3.2 D14 und der gemäÿigte mereologische Atomismus

Die zentrale These des gemäÿigten mereologischen Atomismus besagt, dass eszwar Atome gibt, dass aber nicht jedes Individuum ein Atom als Teil beinhaltet.In der Formalisierung dieser These wird ersichtlich, dass sie ein Konjunktionssatzist, wobei das zweite Konjunkt dieser These im Widerspruch zu der De�nitionD14 steht. Dies wird im folgenden Beweis belegt.

1. ∀x(x = x) Gl

2. ∀x∀y(x ≤ y ↔ (x < y ∨ x = y)) D1

3. ∀x(A1x↔ ¬∃y(y < x)) D12

4. ∀x∀y(x < y → ¬(y < x)) A2

5. ∀x∀y(x < y → ¬(x = y)) T2

6. ¬∀x∃y(A1y ∧ y ≤ x) TG1

7. ∀x(x = θ ↔ ∀y(x ≤ y)) D14

8. ∀y¬(A1y ∧ y ≤ x1) 6.; 2 ·QN, EE

9. ¬(A1θ) ∨ ¬(θ ≤ x1) 8.; UE, AL

10. θ = θ → ∀y(θ ≤ y) 7.; UE, SIMP

11. θ = θ 1.; UE

12. θ ≤ x1 10., 11.; MP,UE

13. ¬¬(θ ≤ x1) 12.; DN

14. ¬(A1θ) 9., 13.; DS

15. ¬∃y(y < θ)→ A1θ 3.; UE, SIMP

16. ∃y(y < θ) 14., 15.; MTV B in 8.

√17. x1 < θ

16.; EE18. x1 < θ → ¬(θ = x1) 5.; 2 · UE

19. ¬(θ = x1) 17., 18.; MP

20. x1 < θ → ¬(θ < x1) 4.; 2 · UE

21. ¬(θ < x1) 17., 20.; MP

22. ¬(θ < x1 ∨ θ = x1) 19., 21.; AL

23. θ ≤ x1 → θ < x1 ∨ θ = x1 2.; 2 · UE,SIMP

24. ¬(θ ≤ x1) 22., 23.; MT

KAPITEL 3. DAS NULLDING 52

25. θ ≤ x1 ∧ ¬(θ ≤ x1) 12., 24.; KONJ

26. θ ≤ θ ∧ ¬(θ ≤ θ) 25.; AL V B in17.√

Wie der Beweis zeigt, kann auch zu Theorien des gemäÿigten mereologischenAtomismus D14 nicht hinzugefügt werden. Wenn wir dieses Ergebnis in derobigen Tabelle festhalten, erkennen wir, dass es nur noch eine mögliche Kombi-nation von mereologischen Theorien mit De�nitionsvorschlägen für das Nulldinggibt.

Non-Atomismus Strenger Atomismus Gemäÿigter Atomismus

D13 X X XD14 X XD15 X X X

3.4.3.3 D14 und der strenge mereologische Atomismus

Die letzte Möglichkeit, um innerhalb einer mereologischen Theorie eine De�ni-tion für das Nullding zu erstellen, ist also der strenge mereologische Atomismus.Es ist mir leider nicht gelungen aus dem strengen mereologischen Atomismusbzw. aus dessen Erweiterung durch D14 einen Widerspruch abzuleiten. Ich den-ke aber, dass die Theoreme, welche ich aus dieser Erweiterung abgeleitet habe,dem Leser derart unplausibel erscheinen werden, dass er erkennen wird, dass derDe�nitionsvorschlag D14 im Rahmen des strengen mereologischen Atomismusinadäquat ist.

Betrachten wir zunächst ein Theorem, welches aus der Basistheorie M auf-grund der Erweiterung durch D14 folgt und erinnern uns daran, dass alle Theo-reme von M auch Theoreme des strengen mereologischen Atomismus sind. DasTheorem

T10 ∀x(A1x→ x = θ)

zeigt, dass aufgrund von D14 aus M folgt, dass alle Atome mit dem Nulldingidentisch sind.

1. ∀x(x = x) Gl

2. ∀x∀y(x ≤ y ↔ (x < y ∨ x = y)) D1

3. ∀x(A1x↔ ¬∃y(y < x)) D12

4. ∀x(x = θ ↔ ∀y(x ≤ y)) D14

5. A1x1 AnnahmeKB

6. A1x1 → ¬∃y(y < x1) 3.; UE, SIMP

KAPITEL 3. DAS NULLDING 53

7. ∀y¬(y < x1) 5., 6.; MP, QN

8. θ = θ 1.; UE

9. θ = θ → ∀y(θ ≤ y) 4.; UE, SIMP

10. θ ≤ x1 8., 9.; MP, UE

11. θ ≤ x1 → θ < x1 ∨ θ = x1 2.; 2 · UE,SIMP

12. θ < x1 ∨ θ = x1 10., 11.; MP

13. ¬(θ < x1) 7.; UE

14. θ = x1 12., 13.; DS

15. A1x1 → θ = x1 5.− 14.; KB

16. ∀x(A1x→ θ = x) 15.; UG V B√

Dieses Theorem legt bereits die Vermutung nahe, dass die Kombination aus derTheorie des strengen mereologischen Atomismus und dem De�nitionsvorschlagD14 nicht haltbar ist. Wie ich bereits angemerkt habe, besagt es, dass alle Ato-me mit dem Nullding identisch sind, was zur Folge hat, dass es genau ein Atom,nämlich das Nullding, gibt. Wenn man sich vorstellt, dass es lediglich ein Atomgibt, dann wirft dies sofort die Frage auf, wie aus einem einzigen Atom Indi-viduen “entstehen� können, die keine Atome sind. Auf diese Frage kann manvermutlich nur antworten, dass dies nicht möglich sein kann, was aber dann be-deuten würde, dass es in diesem besagten Universum nur ein Individuum gibt,welches das Nullding ist. Ein solches Modell der Wirklichkeit kann man jedochnicht akzeptieren, weshalb ich den obigen De�nitionsversuch im Rahmen desstrengen mereologischen Atomismus schon deshalb als gescheitert betrachtenwürde, weil aus ihm T10 folgt.

Obwohl die obige Kritik schon als hinreichend betrachtet werden kann, umD14 abzulehnen, möchte ich noch einige weitere, ziemlich unplausible Theorememithilfe von D14 ableiten.

T11 ∀x(θ ◦ x)

kann ebenfalls aus D14 abgeleitet werden und zeigt, dass das Nullding mit jedemIndividuum überlappt.

1. ∀x(x = x) Gl

2. ∀x∀y(x ≤ y ↔ (x < y ∨ x = y)) D1

3. ∀x∀y(x ◦ y ↔ ∃z(z ≤ x ∧ z ≤ y)) D2

4. ∀x∀y∀z(x+ y = z ↔ ∀w(w ◦ z ↔ w ◦ x ∨ w ◦ y)) D6

5. ∀x(x = θ ↔ ∀y(x ≤ y)) D14

KAPITEL 3. DAS NULLDING 54

6. ¬(θ ◦ x1) AnnahmeKB

7. ∃z(z ≤ θ ∧ z ≤ x1)→ θ ◦ x1 3.; 2 · UE,SIMP

8. ∀z¬(z ≤ θ ∧ z ≤ x1) 6., 7.; MT, QN

9. ¬(θ ≤ θ) ∨ ¬(θ ≤ x1) 8.; UE, AL

10. θ = θ 1.; UE

11. θ < θ ∨ θ = θ → θ ≤ θ 2.; 2 · UE,SIMP

12. θ ≤ θ 10., 11., AL

13. ¬(θ ≤ x1) 9., 12.; DS

14. ¬(θ ◦ x1)→ ¬(θ ≤ x1) 6.− 13.; KB

15. θ = θ → ∀y(θ ≤ y) 5.; UE, SIMP

16. θ ≤ x1 10., 15.; MP,UE

17. ¬¬θ ≤ x1 16.; DN

18. ∀x(θ ◦ x) 14., 17.; AL,UG V B

√Dieses Theorem scheint auf den ersten Blick harmlos zu sein, denn es ist plau-sibel, dass das Nullding mit jedem Individuum in der Relation des Überlap-pens steht, wenn es ein echter Teil von jedem Individuum ist. Doch aus diesemTheorem folgt, dass die Summe, die aus einem beliebigen Individuum und demNullding gebildet werden kann, das Nullding selbst ist:

T12 ∀x(x+ θ = θ)

Der Beweis für dieses Theorem ist ähnlich aufgebaut wie der Beweis von T9,der im Abschnitt 2.3.4 präsentiert wurde, laut dem alle Individuen mit demUniversum in der Relation des Überlappens stehen. Dieser indirekte Beweis bautauf der De�nition der binären Summe, der Symmetrie des Überlappens und demTheorem T8, das besagt, dass alle Individuen mit dem Universum überlappen,auf. Da wir das Theorem T11 aus M abgeleitet haben, können wir den Beweisfür T12 analog zum Beweis für T9 aufbauen, in dem wir im Beweis für T9 anstellevon T8 das Theorem T11 als Prämisse angeben und die Individuenkonstante ‘u'an jeder Stelle durch ‘θ' ersetzen. Das Theorem T12 ist für die Ableitung desTheorems T14 sehr wichtig, weshalb ich den Beweis für T12 an dieser Stelle demLeser präsentieren möchte.

1. ∀x∀y∀z(x+ y = z ↔ ∀w(w ◦ z ↔ w ◦ x ∨ w ◦ y)) D6

2. ∀x(θ ◦ x) T11

3. ∀x∀y(x ◦ y → y ◦ x) T3

KAPITEL 3. DAS NULLDING 55

4. ¬(x1 + θ = θ) AnnahmeIB

5. x1 + θ = θ ↔ ∀w(w ◦ θ ↔ w ◦ x1 ∨ w ◦ θ) 1.; 3 · UE

6. ∀w(w ◦ θ ↔ w ◦ x1 ∨ w ◦ θ)→ x1 + θ = θ 5.; SIMP

7. ¬∀w(w ◦ θ ↔ w ◦ c1 ∨ w ◦ θ) 4., 6.; MT

8. ¬(x2 ◦ θ ↔ x2 ◦ x1 ∨ x2 ◦ θ) 7.; QN, EE

9. x2 ◦ θ → ¬(x2 ◦ x1) ∧ ¬(x2 ◦ θ) 8.; AL

10. θ ◦ x2 2.; UE

11. θ ◦ x2 → x2 ◦ θ 3.; 2 · UE

12. x2 ◦ θ 10., 11.; MP

13. ¬(x2 ◦ θ) 9., 12.; MPSIMP

14. x2 ◦ θ ∧ ¬(x2 ◦ θ) 12., 13.; KONJ

15. x1 + θ = θ 4.− 14.; IB

16. ∀x(x+ θ = θ) 15.; UG V B√

Als weiteres Lemma für den Beweis von T14 benötige ich das Theorem

T13 ∀x∀y∀z(x+ y = z → y + x = z)

welches zum Ausdruck bringt, dass die mereologischen Summe zweier Indivi-duen die selbe bleibt, wenn die beiden Glieder der Summe vertauscht werden.Ich möchte an dieser Stelle kurz anmerken, dass dies bei der mereologischenDi�erenz nicht der Fall ist.

1. ∀x∀y∀z(x+ y = z ↔ ∀w(w ◦ z ↔ w ◦ x ∨ w ◦ y)) D6

2. ¬(x1 + x2 = x3 → x2 + x1 = x3) AnnahmeIB

3. x1 + x2 = x3 2.; AL

4. x1 + x2 = x3 → ∀w(w ◦ x3 ↔ w ◦ x1 ∨ w ◦ x2) 1.; 3 · UE,SIMP

5. ∀w(w ◦ x3 ↔ w ◦ x1 ∨ w ◦ x2) 3., 4.; MP

6. x4 ◦ x3 ↔ x4 ◦ x2 ∨ x4 ◦ x1 5.; UE, AL

7. ∀w(w ◦ x3 ↔ w ◦ x2 ∨ w ◦ x1) 6.; UG V B√

8. ∀w(w ◦ x3 ↔ w ◦ x2 ∨ w ◦ x1)→ x2 + x1 = x3 1.; 3 · UE,SIMP

9. x2 + x1 = x3 7., 8.; MP

10. ¬(x2 + x1 = x3) 2.; AL

KAPITEL 3. DAS NULLDING 56

11. x2 + x1 = x3 ∧ ¬(x2 + x1 = x3) 9., 10.; KONJ

12. x1 + x2 = x3 → x2 + x1 = x3 2.− 11.; IB

13. ∀x∀y∀z(x+ y = z → y + x = z) 12.; 3·UE V B√

Mit diesen beiden Lemmata und T9 kann nun das Theorem

T14 θ = u

bewiesen werden, das besagt, dass das Nullding mit dem Universum identischist.

1. ∀x(x+ u = u) T9

2. ∀x(x+ θ = θ) T12

3. ∀x∀y∀z(x+ y = z → y + x = z) T13

4. θ + u = u 1.; UE

5. θ + u = u→ u+ θ = u 3.; 3 · UE

6. u+ θ = u 4., 5.; MP

7. u+ θ = θ 2.; UE

8. u = θ 6., 7.; SP

Ich denke, diese Reihe von unplausiblen Theoremen sollte genügen, um denLeser davon zu überzeugen, dass auch innerhalb von Theorien des strengenmereologischen Atomismus D14 nicht ernsthaft vertreten werden kann. Obwohles mir nicht gelungen ist, einen Widerspruch abzuleiten, denke ich, dass manmir zustimmen wird, dass es aufgrund der doch recht unplausiblen Theoremenicht ratsam ist, Theorien des mereologischen Atomismus mit D14 zu erweitern.Deshalb werde ich in das letzte noch übrig gebliebene Feld der Tabelle ein ‘?'eintragen, um die Unplausibilität dieser Kombination anzudeuten.

Non-Atomismus Strenger Atomismus Gemäÿigter Atomismus

D13 X X XD14 X ? XD15 X X X

Als Abschluss dieses Abschnitts möchte ich noch einmal kurz das Ergebnisdieses Kapitels betrachten. In der Literatur sind drei De�nitionsvorschläge, vonmir in der Sprache vonM mitD13,D14 undD15 formalisiert, für das Nullding zu�nden. Diese wurden auf ihre Vereinbarkeit mit den im Kapitel 2 präsentiertenmereologischen Theorien überprüft. Dabei haben wir festgestellt, dass keinerdieser drei De�nitionsvorschläge mit einer der drei Theorien vereinbar ist:

KAPITEL 3. DAS NULLDING 57

• D15 steht im Widerspruch zum prädikatenlogischen Axiom Gl und kannsomit nicht verwendet werden.

• Der Vorschlag D13 bewirkt, dass die Basistheorie M inkonsistent wirdund kann somit ebenfalls im Rahmen von mereologischen Theorien nichtvertreten werden.

• D14 ist mit den Theorien des mereologischen Non-Atomismus und desgemäÿigten Atomismus nicht vereinbar, weil deren Kombination es er-möglicht, Widersprüche abzuleiten. Als letzte Kombinationsmöglichkeitvon mereologischen Theorien und De�nitionsvorschlägen für das Nulldingwurde die Kombination aus D14 und den Theorien des strengen mereologi-schen Atomismus untersucht. Aufgrund der Unplausibilität der Theoreme,welche aus dieser erweiterten Theorie folgen, kann man auch diese Kom-bination als unhaltbar bezeichnen.

Kapitel 4

Schlussbetrachtungen

Abschlieÿend möchte ich noch einmal kurz zusammenfassen, womit ich mich indieser Arbeit befasst habe und zu welchem Ergebnis ich gekommen bin. Zu-nächst habe ich in Kapitel 1 die Problemstellung der Arbeit, die Frage nach derExistenz des Nulldings, kurz erläutert und einige technische Anmerkungen bzgl.der Verwendung der Anführungszeichen und des logischen Rahmens, welchen ichin der Arbeit vorausgesetzt habe, gemacht.

Im zweiten Kapitel habe ich im ersten Unterabschnitt eine Begri�sexplika-tion des Ausdrucks ‘Mereologie' erstellt, um dem Leser einen kurzen Überblickdarüber zugeben, was ihn im Folgenden erwarten wird. Daraufhin wurde dieBasistheorie M für mereologische Theorien erstellt, welche als Grundlage dergängigsten mereologischen Theorien in der Literatur gesehen werden kann. Indieser Theorie habe ich die grundlegendsten Prädikat-, Funktions- und Indivi-duenkonstanten, aufbauend auf der unde�nierten, aber intuitiv verständlichenPrädikatkonstante ‘<' und den Axiomen der Transitivität und der Asymme-trie für diese Konstante, de�niert. Danach wurden der Theorie M noch zweiweitere Axiome, die zwei Summenprinzipien, hinzugefügt. Anschlieÿend daranhabe ich eine Reihe von Theoremen aus dieser Basistheorie abgeleitet. Es wurdedann gezeigt, dass M aufgrund der Diskussion bzgl. der Existenz von mereo-logischen Atomen auf unterschiedliche Weise erweitert werden kann. Dabei ha-be ich zunächst einmal zwischen Theorien des mereologischen Non-Atomismusund Atomismus unterschieden, welche sich aufgrund ihrer jeweiligen Hauptthe-se widersprechen. Die Kategorie der Theorien des mereologischen Atomismushabe ich dann weiters in strenge und gemäÿigte Theorien des Atomismus unter-schieden und konnte zeigen, dass sich auch diese Kategorien jeweils gegenseitigausschlieÿen.

Kapitel 3 widmete sich dann schlieÿlich dem Nullding. Darin habe ich zuerstfünf Begründungsversuche für die Existenz des Nulldings präsentiert. Der ers-te Begründungsversuch stammt ursprünglich von Rudolf Carnap, die restlichenvier von Richard Milton Martin, wobei Martin auch den Begründungsversuchvon Carnap vertritt. Diese Begründungsversuche wurden im darauffolgendenUnterabschnitt kritisch hinterfragt. Im Rahmen dieser Kritik ist es mir gelun-

58

KAPITEL 4. SCHLUSSBETRACHTUNGEN 59

gen, die Unhaltbarkeit dieser Begründungsversuche aufgrund der unplausiblenFolgen bzw. der logischen Widersprüche, welche aus ihnen folgen, für die Exis-tenz des Nulldings aufzuzeigen. Im Abschnitt 3.3 habe ich vorerst angenommen,das Nullding würde existieren und habe drei De�nitionsvorschläge für die Indi-viduenkonstante ‘θ', welche das Nullding repräsentieren soll, erstellt. Die erstenbeiden De�nitionsvorschläge D13 und D14 beruhen auf der These, das Nulldingsei Teil aller Individuen, der letzte Vorschlag D15 beruht auf der Annahme, dasNullding sei nicht mit sich selbst identisch. Danach habe ich gezeigt, dass alledrei De�nitionsvorschläge nicht mit den im Kapitel 2 erstellten mereologischenTheorien vereinbar sind: D15 widerspricht dem logischen Axiom Gl, wonachjedes Individuum mit sich selbst identisch ist. Aus D13 kann zusammen mitdem selben Axiom, sowie dem Axiom der Asymmetrie und dem Theorem derIrre�exivität von ‘<' ein logischer Widerspruch abgeleitet werden. Der De�ni-tionsvorschlag D14 kann im Rahmen des mereologischen Non-Atomismus unddes gemäÿigten mereologischen Atomismus nicht verwendet werden, da aus denErweiterungen der jeweiligen Theorien zusammen mit D14 Widersprüche ab-geleitet werden können. Schlieÿlich ist es mir gelungen zu zeigen, dass der umD14 erweiterte strenge mereologische Atomismus unplausible Theoreme, wie z.B.T10, das besagt, dass alle Atome mit dem Nullding identisch sind, und T14, lautdem das Nullding mit dem Universum identisch ist, mit sich bringt. Diese Theo-reme legen die Vermutung nahe, dass auch dieser De�nitionsvorschlag für dasNullding nicht akzeptabel ist und somit verworfen werden muss.

Zusammenfassend lässt sich über Kapitel 3 sagen, dass es keine guten Gründedafür gibt, die These der Existenz des Nulldings ernsthaft zu vertreten. Zudemscheint es keine adäquate De�nition für das Nullding zu geben, die mit dengängigsten mereologischen Theorien vereinbar ist.

Literaturverzeichnis

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60

LITERATURVERZEICHNIS 61

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