Klug Nichts tun. Die Kunst engagierter Gelassenheit in der Organisations- und Führungspraxis

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OrganisationsEntwicklung Zeitschrift für Unternehmensentwicklung und Change Management 2 13 Müheloser Wandel Wege zu einer gelasseneren Führungspraxis Die Kunst der Gelassenheit Ein Essay zu den fünf Schlüsseln gelassener – und engagierter – Führung Müheloser managen Acht erfahrene Manager erzählen, wie sie Mehrarbeit in Wandelprojekten vermeiden Wandel leichter verankern Drei Fallstudien aus dem Non-Profit-Sektor Mehr Einfachheit im Management Neue Ansätze und essenzielle Werkzeuge für leichteres Arbeiten Das ABC der Mühelosigkeit Tipps zu stressfreiem Change Management aus Psychologie, Medizin, Philosophie, Managementlehre und Weltliteratur OrganisationsEntwicklung Jetzt als App! www.zoe.ch/app/2p Für Print-Abonnenten kostenfrei!

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OrganisationsEntwicklungZeitschrift für Unternehmensentwicklung und Change Management

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Müheloser WandelWege zu einer gelasseneren Führungspraxis

Die Kunst der GelassenheitEin Essay zu den fünf Schlüsseln gelassener – und engagierter – Führung

Müheloser managenAcht erfahrene Manager erzählen,wie sie Mehrarbeit in Wandelprojekten vermeiden

Wandel leichter verankern Drei Fallstudien aus dem Non-Profit-Sektor

Mehr Einfachheit im ManagementNeue Ansätze und essenzielle Werkzeuge für leichteres Arbeiten

Das ABC der MühelosigkeitTipps zu stressfreiem Change Management aus Psychologie, Medizin, Philosophie, Managementlehre und Weltliteratur

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4 OrganisationsEntwicklung Nr. 2 |2013

Reflexion | Schwerpunkt | Klug nichts tun | Wendelin M. Küpers

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Klug nichts tun Die Kunst engagierter Gelassenheit in der Organisations- und FührungspraxisWendelin M. Küpers

Wir kennen beides: Alltagserfahrungen, welche die Arbeitswelt als eine mühevolle Qual erscheinen lassen, wie auch sol che besonderen Momente mühelosen Gelingens, in denen sich alles wie im Fluss bewegt. In welchem Gesamt­kontext erleben wir das? Warum überwiegt die Empfindung belastender Mühe und wie können wir zu einer mühe­loseren Pra xis im Leben kommen? Und letztlich: Was kann die Führung und die Entwicklung der Organisation zu einer solchen bei tra gen?

«... man lebt wie einer, der fortwährend etwas versäumen könnte ... ‘Lieber irgend etwas tun als nichts’ – auch dieser Grundsatz ist eine Schnur, um aller Bildung und allem

höheren Geschmack den Garaus zu machen. Und so wie sichtlich alle Formen an dieser Hast der Arbeitenden zu Grunde gehen: so geht auch das Gefühl für die Form selber,

das Ohr und Auge für die Melodie der Bewegungen zu Grunde ... man hat keine Zeit und keine Kraft mehr für die Ceremonie, für die Verbindlichkeit mit Umwegen ... «

Friedrich Nietzsche (1993), Die fröhliche Wissenschaft, A. 329 Muße und Müßiggang,in: Kritische Studienausgabe, KSA 3, Berlin, S. 556

KontextUnsere zeitgenössischen organisationalen Lebenswelten mit ih rem permanenten Wandeldruck sind gekennzeichnet von kom plex werdenden Problemlagen, wachsenden Herausforde­run gen und Arbeitsverdichtungen sowie vermehrt inneren Kün di gungen und erhöhter Demotivation (Wunderer & Küpers 2003). Wachsende Hochleistungserwartungen, beschleunigen­der Hy per aktivismus und schleichende Versagensängste füh­ren zu chro nischer Überarbeitung und Erschöpfung, die an die Stelle eines kreativen Schöpferisch­Seins tritt. Die Warn­zeichen des Krisenhaften, die durch diese und weitere Phäno­mene und de ren belastende Implikationen angezeigt werden, sind un über sehbar. Auch scheint das Bewusstsein dafür zu stei gen, dass nicht mehr wie bisher weitergewirtschaftet und ­gelebt werden kann.

Diese gegenwärtige Situation und deren Veränderung ruft zu einer umfassenden Umorientierung in Haltung und Handlung auf, insbesondere von Führungskräften, sowie zu einer struktu­

rellen und kollektiven Neuausrichtung in Organisationen wie im Wirtschaftsleben überhaupt. Eine zeitgemäße und lebbare Möglichkeit dazu bieten gelassenere Formen des Organisierens, Führens, Wirtschaftens und Lebens. Gerade in Anbetracht der Zunahme von Burn­out und Bore­out ist eine Besinnung auf Möglichkeiten einer verantwortungsbewussten Gelassenheit hilfreich. Wie im Weiteren beschrieben, kann, anstatt in einer re­ak tiven Beschleunigungsdynamik und «Bemühungslogik» ver ­haf tet zu bleiben, eine Ausrichtung auf eine engagierte Gelas­senheitspraxis orientierende Perspektiven eröffnen. Eine ge­lebte Gelassenheit, besonders in der Führungspraxis, nutzt da­bei unbeachtete Potenziale und leistet eine Vorbildfunktion, die über Organisationswelten hinaus wirksam sein kann.

Charakteristika und Bedingungen einer engagierten GelassenheitEine Form auf die beschriebene Lage zu antworten und eine Mühelosigkeitspraxis zu entwickeln ist Gelassenheit. Dieses

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Gelassen­Sein meint dabei nicht eine passive, resignative, son­dern eine engagierte Haltung. Als solche ist sie gerade nicht «in­different» gleichgültig, sondern im Gegenteil versteht sich als differenz­sensibel und gleichmütig.

Worauf bezieht sich das «Lassen» dieser Gelassenheit? Grundlegend kann Lassen ein Loslassen im Sinne eines Nicht­Festhalten bedeuten oder auf ein Zulassen im Sinne eines Nicht­Abwehrens verweisen. Es geht also um ein Loslassen­können von fixierten Vorstellungen oder starren Urteilen. Gleichzeitig verweist dies aber auch auf ein Zulassen­können von Neuem und Anderem. Von einer aktiven Passivität bewegt, vermag der Gelassene Unbekanntes, Fremdes oder lebendige Widersprüche des Lebens zuzulassen. Er oder sie wird durch­lässig, dabei wissend, dass, wer alles zulässt, Identität verliert und wer völlig loslässt, boden­ und profillos wird.

Gelassensein heißt demnach einen Standpunkt zu haben und zugleich offen zu sein. Gelassene sind fähig, sich «bewegt» abzugrenzen, aber auch Grenzen zu übersteigen; wohlgemut zu überlegen, aber auch Riskantes mutig zu wagen. Zulassen­können heißt Lebendigkeit bewahren und ist daher nicht Ab­kehr vom Leben. Gelassenheit ist gerade nicht passive Bewe­gungslosigkeit oder aufgebendes Resignieren. Vielmehr ist die­ses Lassen eine beständige, aber friedfertige Begegnung, In­ und Auseinandersetzung mit sich, Anderen und der Welt.

Gelassenheit durch Achtsamkeit und Aufmerk-samkeit — sinnliches und sinnvolles GegenwärtigenGrundlegend äußert sich Gelassenheit in einem achtsamen und aufmerksamen Einlassen. Das Engagement bezieht sich da mit zunächst auf eine aktive sensibilisierte Wahrnehmung. Acht­samkeit wird als «mindfulness» in der Organisations­ und Ma­nagementforschung zunehmend untersucht (Jordan et al 2009). Auch werden deren vielfältigen Qualitäten und Vorteile beson­ders im Verhältnis zur Aufgabendurchführung in verschiede­nen Organisationsumwelten beschrieben (Dane 2011).

Eine achtsame Wahrnehmung macht dabei den «Sinn» des Besinnlichen zugänglich und bewusst. Denn achtsam sein heißt, mit allen leiblichen Sinnen präsent zu sein, ohne dabei allerdings sentimental zu werden. Gelassen aufzumerken folgt dabei nicht be­ und verwertenden Verfügungsimperativen, wie sie dem leistungsgesellschaftlich ausgerichteten «homo perfor­mator» zu eigen sind. Aufmerksam und achtsam zu sein kann helfen, von übervereinfachten Vorstellungen oder fixierten Projektionen der eigenen Person wie von Anderen Abstand zu nehmen. So befreit, lassen sich andere und neuartige Aspekte von sich als Wahrnehmendem, Fühlendem, Denkendem und Handelndem erkunden. Gelassen achtsam sein heißt, im Auf­merken dem Fremden, Neuen, Ungewussten wie auch Unvor­hersehbaren offen zu begegnen. Der gelassen Aufmerksame er­laubt der Welt mit ihren mannigfaltigen Erscheinungen, sich durch ihn hindurch in sinnlicher Erfahrung zu zeigen.

Eine völlig vorprogrammierte Ordnung, in der die Aufmerk­samkeit diszipliniert und das Aufmerksamkeitsrelief in ein starres Gebilde eingebunden wird, verhindert Spontaneität und provoziert eher Widerstände bei den Mitarbeitern. Sie setzt da­mit eher zentrifugale Trägheitskräfte frei, die dazu führen, dass Arbeitszwang und Schlendrian, Zeitersparnis und Zeitvertreib, Normierung und Extravaganz nebeneinander existieren.

Als innewerdendes Engagement bezieht sich Gelassenheit auf eine radikalisierte Gegenwärtigung des eigenen Erlebens, Tuns bzw. Lassens. Dies wurde von Claus Otto Scharmer (2009) als Vergegenwärtigung (Presencing) beschrieben, welches ein Hinsehen, Hinspüren und mithin ein Hervortreten eines in­neren Wissens sowie Moment­bewusstes Handeln integriert. Der Begriff «presencing» verbindet «presence» (Präsenz) und «sensing» (wahrnehmen/spüren) miteinander und verweist da­rauf, wie das Selbst gleichsam von einem festgelegten «Ma­chen» zurücktritt, um sich einem Fließen zu überlassen, welches auch die Entfaltung von Potenzialen ermöglicht. Nach Schar­mer bedeutet Presencing, die angestrebte Zukunft in dem ge­genwärtigen Denken und gemeinsamen Handeln spürbar und wirksam werden zu lassen.

Aktives Nicht-Tun als Gelassenheitspraxis —Mühelos aber wirksamWie der Ostasienwissenschaftler und Philosoph Jullien (1999, 2006) aufzeigt, erreicht ein rechtes Nicht­Handeln, wie es im Taoismus entwickelt wurde, die volle Entfaltung von Wirksam­keit. Diese Wirksamkeit ist dabei nicht bestimmt durch Vorga­ben, die durch eine einseitige effiziente Ziel­Mittel­Betrach­tung auf den Lauf der Dinge projiziert werden. Vielmehr ergibt sie sich durch ein Aktivieren oder Ergreifen des in einer jewei­ligen Situation gegebenen Potenzials. Durch eine Sensibilität für umstandsabhängige Potenziale wird Wirksamkeit so zum Geschehen­lassen von Wirkungen.

Das Sich­ergeben­lassen ermöglicht dabei eine dem Weg oder Ablauf von Arbeitsprozessen immanente Transformation. Der engagiert Gelassene verbindet sich mit dem Werden und der Logik des Geschehens und kann darin inne sein und mögliche Entfaltungen spürend voraussehen und sich entsprechend en­gagieren. Mit Laotse: «Der Weise tut nichts, doch bleibt nichts ungetan». Der engagiert Gelassene ist kein ein fa cher Nicht­Handelnder, denn er bleibt nicht inaktiv. Vielmehr ist er ko­kreativ engagiert und begleitet während des ganzen Ablaufs partnerschaftlich das Geschehen und was potenziell wirksam werden kann. Die Welt ist für den engagiert Lassenden demnach

«Der engagiert Gelassene ist keineinfacher Nicht-Handelnder, denn erbleibt nicht inaktiv.»

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kein Gegenstand des Handelns mehr, sondern er wird zum Mitwirkenden im Fluss des Geschehens. Er wirkt teilnehmend mit an der Entfaltung der Welt, ohne sie dafür als Ressource zu vereinnahmen, sie zwanghaft zu bearbeiten oder zu be­kämpfen. Der Handelnde wird zum Teil des Weges, der sich im Gehen vollzieht. Oder wie es der Dichter Antonio Machado formulierte: «Reisender, es gibt keine Wege, Wege ent stehen im Gehen».

Bezogen auf Organisationen geht es beim Nicht­tun um die Überwindung von einem Kontrollzwang, der versucht Gege­benheiten so zu (de­)formieren, dass sie den Zeit­ oder Bud­getplänen entsprechen. Gelassene Mitarbeiter vermögen es, einfach auch mal abzuwarten, wohlüberlegt innezuhalten oder bewusst nur kleine Schritte zu gehen. Zudem halten sie dabei die Spannung aus, die mit Nicht­Agieren im Organisations­alltag verbunden sein kann.

Die Kunst, engagiert gelassen zu antworten Gelassenes Engagement ist auch als Kunst eines wohlverstan­denen Antwortens und Verantwortens bestimmbar. Engagiert gelassen zu sein heißt damit, auf Anfragen, Ansprüche oder Herausforderungen in rechter Weise zu antworten. Dieses Ant ­wortverhalten kann als eine spezifische Responsivität bestimmt werden, die allem Empfinden, Fühlen, Denken, Reden und Tun zugrunde liegt (Waldenfels 2004). Dieses Responsive schafft so einen vieldimensionalen Gesprächs­, Stimmungs­ und Hand­lungsraum, in dem Menschen in ihrem In­der­Welt­Sein – sei es familiär, freundschaftlich, kollegial, institutionell etc. – mit­einander verbunden sind. Die Responsivität vollzieht sich dabei im jeweiligen Hier und Jetzt in außersprachlichen und sprachlichen sowie handlungswirksamen Weisen.

Beim Antworten kann unterschieden werden zwischen dem, was inhaltlich geantwortet wird (der Antwort), dem, was beant­wortet wird (der Frage) und dem, worauf im Antwortgeben ge­antwortet wird (dem Anspruch). Das, worauf geantwortet wird, bildet dabei weder die Etappe zu einem Ziel, noch den Fall einer Regel, noch das Vorstadium eines zu lösenden Problems.

Der Unterschied zwischen dem, worauf wir antworten, und dem, was wir ziel­, regel­ oder problemorientiert zur Antwort geben, lässt dabei auch neue Ordnungen entstehen, die dann auch neue Ziele und Gebote setzen oder Probleme anders be­arbeiten können.

Responsivität im Unternehmensalltag antwortet auf Anfor­derungen und Ansprüche sowie auf Problemlagen und Her­

aus forderungen, wie sie in der Organisationspraxis und im Füh ­rungsalltag auftreten, in engagierter aber gelassener Art und Weise. Zum Beispiel können konkrete Koordinationsprobleme zwischen Abteilungen oder belastende Kooperationsschwie­rigkeiten zwischen Mitarbeitern bzw. Konflikte in Teams durch verständnisvolles, vermittelndes Coaching oder soziale Ver­handlungen als situative Kunst des rechten Antwortens ad res­siert werden.

Ambivalenzen aushaltend, ist das Antworten auch offen für das Zu­ und Einfallende. Als solches ist das Antworten dann nicht ein bloß reproduktives Handeln, in dem ein bereits exis­tierender Sinn wieder­ oder weitergegeben oder einer vor­gegebenen Norm gefolgt wird, sondern ein produktives aber gelassenes Antworten. Es erschließt sich als ein innovatives, mehr noch kreatives Antworten, welches sich ergibt und erfin­det, indem es zugelassen wird, anstelle gewohnheitsmäßigen Denk­ oder Handlungsmustern zu folgen. Responsive, offene Anknüpfungen und ein erfinderisches, wert­schöpferisches Ant worten lassen also zu, dass etwas auftritt, was nicht erwar­tet, vorgesehen, vorgeplant oder im Voraus geregelt war. Eine solche Responsivität als Fähigkeit zu antworten («response­a­bility») trägt dabei zu einer integralen Verantwortung im Un­ternehmens­ und Wirtschaftsgeschehen bei (Küpers 2008).

Engagierte Gelassenheit als praktische WeisheitInterpretiert als eine bestmögliche Form praktischer Vernunft und klugheits­ und handlungsorientierte ‚Meta­Tugend’, dient Weisheit als eine Selbstorientierungskompetenz im Fühlen, Denken und Handeln des Einzelnen, um zur Realisation eines gemeinsamen, guten und glücklichen Lebens beizutragen. Ähn­lich wie das aktive Nicht­Tun und das rechte Antworten rich­tet sich praxisorientierte Weisheit auf den situationsadäqua­ten und vorausschauenden Gebrauch von Erfahrungen und Kenntnissen zum Beispiel für konkrete Entscheidungsfindun­gen aus. Entsprechend hängt sie von eingehenden Wahrneh­mungen, kompetentem Gefühlsumgang und kritischem Denk­vermögen ab. Dieses bewährt sich insbesondere in Momenten von Ungewissheit oder Mehrdeutigkeit, die auch die Lebens­welten von Führungs­ und Organisationskontexten kennzeich­nen. Weisheit verbindet Affekte, Gefühle, Kognitionen, Inten­tionen, personale Werte, Einstellungen und Begehrens­ und Willenskräfte. Ihre integrative Qualität manifestiert sich bei­spielsweise darin, dass sie Überoptimismus oder die Domi­nanz negativer Erfahrungen und extremer Emotionen aus­gleicht oder dazu beiträgt, mit widersprüchlichen oder para­doxalen Erlebnissen und Situationen umzugehen.

Weisheit hilft damit, durch Illusionen und Selbsttäuschun­gen hindurchzuschauen, selbstbezügliche Fixierungen zu über­schreiten sowie integre, authentische (Küpers 2006) und zu­gleich empathische Verbindungen mit Anderen im Organisa­tions­ und Führungsalltag zu entwickeln.

«Die Welt ist für den engagiert Lassenden kein Gegenstand des Handelns mehr, sondern er wird zum Mitwirkenden im Fluss des Geschehens.»

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• Sinnvermittelnde und bedürfnisorientierte Arbeitsgestaltung, z.B. in

Form kreativer Aufgabenvielfalt, erhöhtem Bedeutungsgehalt der Auf-

gaben, freisetzender Handlungsautonomie sowie durch gelassenheits-

förderliche Strukturen und eine Organisationsentwicklung, die zur

Selbstbestimmung und -kontrolle wie auch zur wertebewussten Lö-

sung von sozialen Konflikten ermutigt.

• Der Einzelne lernt sich selbst und Andere wahrnehmend auch als fremd

kennen. Er vermag dabei eine Selbstverständigung und Umgangsweisen

zu kultivieren, die zu einer integrativen Lebenspraxis beitragen. Dies be-

inhaltet ein Sich-ins-Verhältnis-bringen und eine Auseinandersetzung

mit eigenen Begabungen, Vermögen und persönlichen Ressourcen, aber

auch Schwächen und Grenzen sowie (Selbst-)Gefährdungspotenzialen.

• Ziel dieser Selbstbesinnung: die eigene Person selbstbestimmt führen,

also sich selbst und die eigenen Lebensumstände so zu organisieren,

dass den Anforderungen des beruflichen und des privaten Alltags en-

gagiert gelassen begegnet wird und sich Potenziale unverkrampft ent-

falten. Damit kann die eigene Lebenskraft sinnvoll eingesetzt werden,

um Lebenszufriedenheit, Glück und ein erfüllteres Lebens zu gewinnen.

• Umsetzungspraktische Tendenzen sind zu unterstützen bzw. ungünsti-

ge physische, psychische, soziale und systemische Bedingungen, die

eine Verwirklichung behindern, zu reduzieren.

• Weiterentwicklung eigener Einstellungen, Haltungen und Wertvorstel-

lungen, im Sinne einer freigeistigen, aber engagiert verantwortungs-

bewussten Lebenskunst.

• Die Gestaltungsmöglichkeiten der Führung zur Förderung einer enga-

gierten Gelassenheit korrespondieren mit Einflussfeldern einer integ-

ralen Führung und Steuerung (Deeg et al. 2010). Diese beinhalt neben

dem intra-subjektiven Bereich der Selbstführung und -entwicklung (In-

nenwelt) und dem äußeren Bereich des Wissens und (Nicht-)Handelns

auch eine Führung in sozio-kulturellen Lebenswelten sowie in struktu-

rellen, systemischen Beziehungsgefügen.Dabei stehen die individuel-

len Perspektiven der Psyche mit ihrer subjektiven Innenwelt sowie die

Perspektiven des Agenten und deren äußerer Handlungs- und Wirkwelt

mit Welten und Entitäten auf der kollektiven Ebene in einem wechsel-

wirksamen Verhältnis. Kollektiv verweist dabei auf die intersubjektive

Mitwelt der Gemeinschaft und die interobjektive Sach- oder Umwelt

der Organisation als Agentur. Während die soziale Welt auf wertebezo-

gene und gemeinschaftliche Dimensionen in und zwischen Menschen

verweist, beinhaltet die Sachwelt die äußeren, strukturellen und funk-

tionalen Bedingtheiten bzw. Ressourcen.

• Grundlegende Bedeutung einer prozessualen Koordination und Ver-

mittlung zwischen den einzelnen Einflusssphären. Dabei geht es nicht

nur um das, was einzelne Führungskräfte und Mitarbeiter innerlich

prägt und was sie empfinden (Psyche) oder welche Eigenschaften und

Handlungen sie performativ im Außen zeigen (Agent), sondern immer

auch um das, was zwischen Führenden und Geführten in Gemeinschaft

geschieht und sich entwickelt (Kultur) sowie sich in Strukturen und

Funktionen ausdrückt oder verändert (System/Agentur).

• Eine integrale gelassenheitsförderliche Führung setzt sich zusammen

aus Führungskräften als seelische Wesen und Handelnde sowie einer

kollektiven, sozio-kulturellen Führungspraxis und funktionalen Füh-

rungssystemen. Hinzu kommen spezifische Entwicklungsebenen und

-linien in all diesen Bereichen sowie deren integraler Zyklus im Füh-

rungs- und Organisationszusammenhang (Edwards 2010).

Für eine integrative Gelassenheitsförderung durch eine integrale Füh-

rungs- und Organisationspraxis sind alle diese Komponenten zusam-

menhängend zu betrachten. Eine integrale Führung beeinflusst die mit-

einander verflochtenen Innen-, Wirk-, Mit- und Sachwelten und wird

umgekehrt von diesen beeinflusst (vgl. Abbildung 1).

Möglichkeiten der Gestaltung engagierter Gelassenheit

Auch wenn eine Weisheitspraxis u.a. Fakten­ und Strategie­wissen als flexibles Repertoire von Heuristiken über Lö sungs­strategien für Lebensprobleme beinhaltet, entspricht sie nicht einem technologischen Anwendungswissen. Die enga­gierte Gelassenheit von verkörperter Weisheit kommt viel­mehr durch die Einbringung von leiblichem, implizitem Er­fahrungswissen und intuitivem Können in konkreten Lebens­problemen zum Ausdruck. Über interpersonelle Dimensio­nen hinaus, ist eine systemische Weisheit dabei auch bezo­gen und eingebettet in ein materielles, sozio­kulturelles und ökologisches Beziehungsgefüge. Als ein verteilter, «plastischer»

Prozess vermittelt Weisheit gerade im strategischen Führungs­zusammenhang eine spezifische organisationale Anpassungs­ und Gestaltungskraft zur Gewinnung einer langfristigen Nach­haltigkeitspraxis. Engagiert gelassen vollzogen, repräsentiert prak tische Weisheit in Führungs­ und Organisationskontex­ten ein Vermögen, moderate Handlungsmodi zu bedenken und zu er proben, um zu verantwortlichen Urteilen zu kom­men und das Leben zu meistern (Küpers 2008). sowie heraus­fordernde Trans formationen, organisationale Rekonstruktio­nen und Wandelprozesse in rechter Weise durchzuführen (Grint 2007).

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Abbildung 1

Wechselwirkungen zwischen den Einflussfeldern von Führung für eine engagierte Gelassenheit in Organisationen

Individualität

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«com petere» d.h. «zusammentreffen», «zu etwas fähig sein», «zustehen».

Die Leitorientierung ist demnach «Muße» statt «Müssen». Auch in Organisationen und Führung geht es daher um die Wiedergewinnung von Reflexionsphasen und Momenten des Müßiggangs als einer kulturellen Praxis. Wider dem vermeint­lich lasterhaften Sündenfluch kommt es auf die Einsicht an: Müßiggang ist aller Hastender Neuanfang; zumindest zeitwei­se, um so die eigene Stimme wieder hören zu können.

Dieses neue Anfangen befreit sich aus funktionalen Fängen und öffnet sich zu einer ein­ und neuanfangenden Zeit des Nach­, Anders­ und Vordenkens. Dabei geht es darum, aus dem Reaktionsmuster eines Kampfmodus herauszutreten und eine andere, eben «lassendere», Lebensform im (Arbeits­)Leben zu kultivieren. Dies umfasst auch ein befreiendes «Entmöglichen» vom fremdbestimmt Auferlegten, um so zur Ermöglichung von eigener und eigensinnigeren Bestimmungen zu kommen.

Förderungsmöglichkeiten zur Entfaltung einer engagierten Gelassenheit Jede Organisation muss ihre spezifischen und situativen För­derungs­ und Umsetzungsformen für eine engagierte Gelas­

Eine wirksame Praxis engagierter Gelassenheit ist im Zusam­menhang einer Kunst praktischer und integraler Weisheit in Organisationen (Küpers 2012) kultivierbar und als weise Füh­rung (Doppler 2009) umsetzbar. Die Verwirklichung weiser Pra­xis, die auch zu einem umfassenden Wohlergehen beiträgt, ist dabei, wie die so genannte Optimalerfahrung im Flow, intrin­sisch befriedigend.

Möglichkeiten der Führung für die Förderung engagierter GelassenheitHinsichtlich der Gestaltungsmöglichkeiten ist zunächst fest­zustellen, dass sich engagierte Gelassenheit nicht einfach «ma­nagen» lässt, denn sie verweist gerade auf die Grenzen einer Plan­ und Beherrschbarkeit. Formen einer Instrumentalisie­rung unterhöhlen das Wesen des engagiert Gelassenen. Ähn­lich wie intrinsische Orientierungen durch extrinsische An­reiz­ und Belohnungs­ oder Bestrafungssysteme unterminiert werden, ist auch ein Management, welches Gelassenheit wie eine Ressource oder Fertigkeit auszunutzen versucht, verfehlt. Anstelle schnell ausgereizter Anreizkonzepte und eines frag­lichen Kompetenztrainings, geht es um ein reizvolles intrin­sisch «kompetentes» Gelassenheitsengagement, im Sinne von

Kollektivität

Innen(inter-)subjektive

Identität

Außen(inter-)objektive

Identität

Handlungs-/Wirkwelt

Innenwelt

Gemeinschaft Agentur

PSYCHE AGENT

MITWELTSACH-/UMWELT

BEWUSSTSEINS-QUADRANT

VERHALTENS-QUADRANT

KULTUR-QUADRANT

SYSTEM-QUADRANT

INTEGRALEFÜHRUNG

engagierterGelassenheit

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senheit entwickeln und realisieren. Korrespondierend zu den verschiedenen Formen engagierter Gelassenheit werden da­her im Folgenden beispielhafte Förderungsmöglichkeiten be­schrieben.

Förderung eines achtsamen Zu- und Einlassens

Hierbei geht es um die Förderung von Achtsamkeit und Auf­merk samkeit gerade im Alltag und in Beziehung. Ganz grund­ legend beginnt dies mit der Achtung von Bedürfnissen der Leib ­lichkeit: ausreichend Schlaf, genügend Pausen, ge sun de Er näh­ rung und Bewegung bei Führungskräften und Mitarbeitern.

Dazu tritt eine Unterstützung durch einlassende Wahrneh­mung, aktives Zuhören und Kommunizieren im Dialog sowie organisationsspezifische Möglichkeiten der Entschleunigung und Verlangsamung. Gerade Langsamkeit führt zu angemesse­ner Geschwindigkeit, Wahrnehmungsintensivierung und einem Rhythmus im Umgang mit sich selbst, mit den Mitmenschen und mit der umgebenden Natur.

Organisationspraktisch sind flexible Lebens­, Arbeits­ und Auszeiten für sich selbst und andere, diesseits einer Work­Life­Balance, zu entwickeln und betriebsindividuell anzubieten. Denn Zeitsouveränität lässt engagiert gelassen mit Zeitdruck bzw. ­mangel umgehen. Auch Zeiten eines Medienfastens und des bewussten «Offline­Seins» tragen zu weniger äußerer Ver­fügbarkeit und dafür mehr innerer und sozialer Erreichbar keit bzw. Begegnung mit sich selbst und den konkreten Anderen bei. Weniger E­Mail­Abrufe führen also zu mehr Achten auf innere Rufe und Anrufe Anderer.

Gelassen engagierte, dynamische «Connectors» (MacCor­mick et al. 2012), vermögen z.B. im Umgang mit Smartphones, anstelle «hypo­» oder «hyper­connected» zu sein, je nach si­tua tivem Bedarf zwischen hoher und geringer Konnektivität zu wechseln und sich auch wohlzufühlen, zeitweise nicht ver­bunden zu sein sowie sich zu regenerieren.

Hier einige Merkmale zur Einübung aufmerksamen Wahr­nehmens (Wagner 2007: 135)• konstatierend: «so ist es», ohne einzugreifen, für wahr neh­

men, was ist• konstanter Fokus: nicht abschweifendes oder ablenkendes

Wahrnehmen• weit gestellt: nicht engstellender, sondern offener Wahr­

nehmungsraum• wahrnehmend und expressiv: wirklich hinschauend, hinhö­

rend, hineinspürend und das Erlebte zum Ausdruck bringen, z. B. in Form eines (Wahrnehmungs­)Tagebuchs

Der Übungscharakter der Achtsamkeitspraxis wird auch in For­men klassischer Achtsamkeitsmeditationen deutlich, wie sie von Kai Romhardt beschrieben und vermittelt werden (vgl. das Interview in diesem Heft ab Seite 13).Entscheidend wird es darauf ankommen, die vielfältigen Mög­

lichkeiten der Kultivierung einer Gegenwärtigung in den Füh­rungs­ und Organisationsalltag zu integrieren und für alle Mit­arbeiter zugänglich zu machen.

So können Momente des Innehaltens, z.B. in Meetings, Übungs formen für eine andere Umgangskultur sein, in denen sich die Anwesenden ihrer Situation bewusst werden.

Bei all dem geht es um eine gelassenheitsausgerichtete In­terpretationsorientierung. Denn es sind nicht die Ereignisse, die uns beunruhigen, sondern die Vorstellungen davon, wie schon der antike Philosoph Epiktet (50–138) wusste, der sinn­gemäß feststellte: Wir sind nicht für das Geschehen ganz ver­antwortlich, aber dafür, wie wir es interpretieren, es erleben sowie was wir daraus machen.

Praktizieren eines aktiven Nicht-Tuns Aktiv nicht zu tun aber ermächtigt zu lassen kultiviert eine Situationskompetenz. Mit dieser geht es nicht darum, zwang­haft intervenieren zu wollen, sondern darum, das situative Potenzial auch im Organisationsalltag zu «nutzen» und es rei­fen zu lassen. Damit wird auch das Unvorhersehbare, welches

Folgende Leitfragen bieten einen diagnostischen und dialogischen Zugang zur Achtsamkeit an:

• Wie fühle ich mich/wir uns?

• Wo(rin) bin ich/wo sind wir gerade?

• Achte ich auf leise Signale?

• Vernehme ich meine leiblich-sinnlichen und seelischen Be dürfnisse?

• Wie verhalte ich mich, welche Haltung nehme ich auch leiblich ein?

• Was geschieht, wenn ich ganz einfach für einen Moment auf meinen

Atem achte?

• Wie würde ich diesen einzigartigen Moment beschreiben?

• Warum bereitet mir diese Situation hier und jetzt Mühe oder macht

müde bzw. nervös?

• Wie kann ich entspannen?

• Wann habe ich zum letzten Mal von Herzen gelacht oder Freude

während der Arbeit empfunden? Wie war das?

«Die Verwirklichung weiser Praxis, die zu einem umfassenden Wohlergehen beiträgt, ist, wie die Optimalerfahrung im Flow, intrinsisch befriedigend.»

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in der Planung gerade nicht bedacht wurde oder werden konn­te, zum «Normalen». Um dieses rechtzeitig zu erkennen und entsprechende Umgangsweisen zu erfinden, ist es hilfreich, den Wahrnehmungs­ und Beobachtungsraum zu erweitern und zu vertiefen. Das heißt für das Management zu fragen, statt zu appellieren, anstelle von der toten Stati(sti)k der Zah­lenschlachten zum lebendigen Austausch von Bildern und Pers pektiven zu gelangen sowie Dialog als kreativen Denk­ und Schenkraum zu verstehen.

Zu strategischen Möglichkeiten im so verstandenen Nicht­Handeln gehören nach Jullien (1999: 135ff) verschiedene Kön­nens­Momente:• Warten­ und Zuhören­Können • Leicht­Sein­Können• In­Beziehung­Sein­Können• Sich mit dem Lauf des Realen verbinden­Können• Weg des geringsten Widerstand gehen­Können

Dieses Können erlaubt das Erleben einer negativen Befähigung rezeptiver Aufgeschlossenheit und sinnlicher Hingabe, wie sie der Dichter John Keats beschrieben hat. Diese negative capa­bility verweist auf einen Zustand sich auf Unsicherheiten, Ambiguitäten, Geheimnisse und Zweifel einzulassen, ohne sich ärgerlich nach Tatsachen und Vernunft umzusehen. Als prä­sen ter Seinszustand richtet sich diese Ent­Haltung gerade auch im Führungszusammenhang auf eine Transformation in ein Werden hinein, dessen Verwirklichung jedoch keineswegs sicher ist. Doch mit Musil vermittelt ein solch gekonntes Nicht­Tun, sich aus dem dominierenden Wirklichkeitssinn hinaus, zu einem wiederzuentdeckenden Möglichkeits­ und kreativen Gestaltungssinn hin zu bewegen.

Folgende Leitfragen mögen zum Überdenken und zur Neu­ausrichtung dabei hilfreich sein:• Was bedeutet für mich (Leistungs­)Erfolg? Wie sehr ist mei­

ne Identität oder mein Eigenwert daran gebunden?• Kenne ich meine persönlichen (Lassens­)Prioritäten in Be­

ruf wie Privatleben und nehme ich mir ausreichend Zeit, mich diesen zu widmen?

• Was möchte ich loslassen oder anders machen und wie kann ich das erreichen? Woran halte ich aus Angst oder schlech­tem Gewissen trotzdem fest?

• Wie kann ich von einem heroischen Entscheiden zu einer post­heroischen Managementpraxis kommen?

Wie empirisch gezeigt wurde, vollziehen sich Formen des «Doing Nothing» (Ehn & Loefgren 2010: 5) in scheinbar unpro­

duktiven Phänomenen wie Warten oder Tagträumen auch im organisationalen Alltagsleben. Wer engagiert gelassen wirksam sein will, der kann achtsam abwarten. Wenn situativ gerade nichts möglich erscheint, gilt es z.B. Abwarten und Tee trinken.

All dieses Nicht­tun ist dann nicht nichtig, wenn es im Zu­stand besonderer Aufmerksamkeit für Veränderungen der Si­tuation und in Bereitschaft für ein Respondieren oder auch ein Unterlassen geschieht.

Unterlassens-Management als Nicht-Stören von

Mitarbeitern und Abläufen

Beim engagierten Lassen gilt es, Vertrauen in die Dynamik der Situation sowie in die in ihr Involvierten und in die Eigenbe­wegung der Dinge zu entwickeln und Blockierungen zu redu­zieren.

Wie empirische Studien zur Demotivation und Remotiva­tion in Organisationen (Wunderer & Küpers 2003) zeigen, kommt es dabei oft auf Formen eines Unterlassungsmanagements an. Als führungsspezifische Prävention bezeichnet dieses ein be­wusstes Nicht­Intervenieren oder Nichtstören von Mitarbei­tern. Anstelle eines übertriebenen oder blinden Aktivismus («Vorgesetzte als Macher»), kann demnach ein maßvolles Las­sen von Maßnahmen oft sinnvoller sein, um Demotivation und anderen problematischen Verhaltensweisen vorzubeugen. Damit ist auch das Vermeiden von abwertenden oder konflikt­generienden Kommunikations­ und Handlungsmustern an­gesprochen.

Unterlassen heißt aber nicht «Aussitzen», was als maskierte Gelassenheit verbrämt, taktisch eingesetzt wird, um Macht zu gewinnen oder zu erhalten, sondern es handelt sich um ein wohlverstandenes und freilassendes Enthalten.

Entwickeln eines antwortenden Ein-Lassens und Spielens

Engagiert gelassenes Handeln fragt nicht nur danach, wer, wie, womit, unter welchen Umständen, gemäß welcher Regeln und Normen zu welchem Ziel tätig ist, sondern auch wie dem jewei­ligen responsiven Handeln in der Dimension des Tuns selbst etwas vorausgeht, woran es anknüpft oder abweicht.

Die Kunst eines antwortenden Einlassens, einer engagier­ten Gelassenheit realisiert sich z.B. als ein schöpferisches oder improvisatorisches Spielhandeln. Bei der Umsetzung des Spie­lerischen in der betrieblichen Praxis geht es nicht um eine or­ganisierte Offenheit, sondern um eine offene Organisiertheit, die auch Formen des Desorganisierten kennt (Neuberger 1988). Der hektischen Betriebsamkeit zeitoptimierenden Arbeitens, die dann der Erholung bedarf, steht eine spielerische Muße gegenüber. Die spielerische Kreation wird zur Wertschöpfung. Interessanterweise bedeutet von der Wortherkunft «crescere» kreativ: «wachsen» und «werden lassen». Kreativ zu sein bedarf also eines lebendigen Entfaltens, und dies in engagiert gelas­sener Ruhe und Freiheit.

«Es geht darum, das situative Potenzial auch im Organisationsalltag ‘zu nutzen’, es reifen zu lassen.»

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Wendelin M. Küpers | Klug nichts tun | Schwerpunkt | Reflexion

Organisationspraktisch bedarf es dazu u.a. eines Aufbaus oder einer Wiederbelebung von «Organizational Slack», also orga­nisatorischer Ressourcenüberschüsse, welche nicht mit direk­tem Zweck­Mittel­Einsatz instrumentalisiert sind. Damit ist insbesondere die Wiedereinführung und Kultivierung zeitli­cher und struktureller Freiräume und Dispositionsspielräume angesprochen. Der Entfaltung von engagierter Gelassenheit dienen Flexibilitäts­ und Umsteuerungspotenziale, Mehr fach­qua lifizierung und vielseitige Rollenverteilung sowie Entschei­dungsdelegation und Zulassen selbstorganisationaler Ele mente und Prozesse.

Förderung praktischer Weisheit

Als Medium engagierter Gelassenheit erfordert praktische Weis­heit eine Kultivierung im Bewusstsein und eine Erprobung so­wie Realisation im Handeln bei Einbettung und Koordination mit sozio­kulturellen und systemischen Zusammenhängen.

Die Kunst des Lernens und der Bildung von Weisheit bzw. einer Weisheitsatmosphäre in Organisationen wird durch Ge­staltungs­ und Einübungsformen sowie ein Vorleben durch die Führung von gelassenheitsförderlichen Gewohnheiten ver­mittelt. Dabei geht es nicht um ein wissens­ oder kompetenz­bezogenes Lernen, sondern eher um ein Verstehen der Gren­zen von Wissen und Fertigkeiten, Ausdrucksformen von im­plizitem Wissen und mehr um ein Ent­ und Neulernen, wel­ches auch ein «letting­go» erfordert.

Weiterhin unterstützen Räume für Weisheit engagierte Ge­lassenheit in Organisationen. Sie vermitteln eine psychologi­sche Sicherheit und soziale Beziehungen, in denen auch Zwei­fel, Sorgen oder Ungewissheiten mit­geteilt werden können. Weisheit, die sich in einen kulturellen Stil oder Ethos einer Organisation assimiliert, kann auch Teil einer unternehmeri­schen Gelassenheitskultur werden, die sich über längere Zeit ausbildet.

Schluss als Anfang oder warum Gelassenheit eine «anmutige Form des Selbstseins» ist (Marie von Ebner-Eschenbach)Im Sinne einer professionellen Kunstfertigkeit erlaubt enga­gierte Gelassenheit und praktische Weisheit die kreative Ver­wirklichung einer wohlverstandenen Exzellenz reflektierter Prak tiker in deren lebensweltlicher und sozio­ökologischer Ein bettung und Praxis. Entwickelt «in situ» und dann zur Ge­wohnheit geformt, trägt eine solchermaßen revitalisierte Aus­richtung zu einer nachhaltigen Praxis von Führung und Orga­nisationen sowie ihren Anspruchsgruppen bei.

Bezogen auf unsere aktuelle Zeit geht es dabei auch um ei­ne engagiert gelassene und dabei ethisch reflexive Leistungs­kultur (Lenk 1983). In einer solchen tritt die intrinsisch eigen­motivierte, schöpferische sowie soziale Leistungspraxis an die Stelle eines nur fremdverordnetem Leistungszwangs. Aus dem

Geist des engagiert Gelassenen kann dann lassend Kreatives geleistet werden.

Es bleiben viele Fragen offen: Wie können Unternehmen über die genannten hinaus, weitere Bedingungen schaffen, so dass diejenigen, die sich gelassen selbst organisieren, um sich krea­tiv, sozialverantwortlich zu engagieren, dadurch nicht kar rie re­technisch Selbstmord begehen oder anderweitig benachteiligt werden? Wie kann engagierte Gelassenheit als Teil des profes­sionellen Lebens anerkannt und dauerhaft gefördert werden?

Die Beantwortung dieser Fragen erfordert einzusehen, dass engagiert gelassen zu sein, gerade nicht heißt, sich einfach ge­hen zu lassen. Vielmehr werden Antworten auch praktisch ge­funden, wenn sich der Gelassene achtsam auf Eigenleistung und gemeinsames Dienst­Leisten einzulassen versteht. Engage­ment in der Gelassenheit schützt damit vor Ausflüchten, In dif­ferenz, Relativismus oder Zynismus z.B. gegenüber Visionen und Plänen. Denn dieses Lassen ist nicht planlos. Selbst bei Laotse heißt es, daß der Berufene zwar gelassen und doch gut im Planen ist.

Absichten, Ziele und visionäre Zukunftsentwürfe, die unser Handeln leiten, gehören unabdingbar zu einem selbst verant­worteten Leben. Ein solches bedeutet dann eben nicht, wie wil­lenloses Treibholz auf dem Strom des Lebens dahin zu treiben. Sondern dieses Leben ist wirksam entsprechend der Werte in einem schöpferischen Prozess. Es wird zum Medium für Kräfte des Lebens und dies in Verbundenheit und Verbindlichkeit.

Ein wohlverstandener Minimalismus lebt die nicht­naive Weisheit des Einfachen, nach dem Weniger oft Mehr ist. Dabei geht es auch in der Führung um eine Minimierung oder Do­sierung von Impulsen sowie um eine Vereinfachung und Ent­schleunigung des Pulses der Organisation. Gelassen mit einer «Sowohl­als­auch­Orientierung» kann es zu einem engagiert toleranten Umgang mit Mehrdeutigkeit, Paradoxien und Di­lemmata kommen. Eine solche Gelassenheitspraxis findet ein dynamisches Gleichgewicht zum Beispiel zwischen Steue­rung und Autonomie oder Struktur und Kreativität.

Engagierte Gelassenheit und praktische Weisheit sowie eine entsprechende Führungspraxis helfen adäquat und virtuos auf Herausforderungen in der heutigen und erwartbar noch komplexeren Welt von Morgen in rechter Weise zu antworten bzw. sich einzulassen.

Wenn Leitkulturen der Führung und des Organisationalen ökonomische und gesellschaftliche Entwicklungen widerspie­geln und mitbeeinflussen, dann manifestiert eine engagiert

«Engagiert gelassen zu sein, heißt gerade nicht, sich einfach gehen zu lassen... Dieses Lassen ist nicht planlos.»

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Reflexion | Schwerpunkt | Klug nichts tun | Wendelin M. Küpers

Dr. Wendelin M. KüpersAssociate ProfessorSchool of Management, Massey UniversityAuckland, Neuseeland

Kontakt: [email protected]

ge lassene, weise Führung eine auch zivilgesellschaftlich re le­van te Lebenspraxis, die über die Unternehmen hinausgeht. Der Prüfstein der Verwirklichung einer solchen engagierten Gelassenheit wird es sein, inwiefern sich diese im Alltag von Führung und Organisation lebendig verkörpern und bewäh­ren lässt und inwiefern sich damit neue und nachhaltige Pers­pektiven auf einen erfüllten Lebenssinn, befriedigendes Glück und eine lebenswerte Zukunft hin eröffnen.

In unserem Online­Archiv auf www.zeitschrift­organisationsentwicklung.de finden Sie

eine längere Fassung dieses Artikels.

• Dane E (2011). Paying attention to mindfulness and its effects on task

performance in the workplace, Journal of Management, 37 (4), 997—1018.

• Deeg, J., Küpers, W. & Weibler, J. (2010). Integrale Steuerung von

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• Doppler, K. (2009). Über Helden und Weise. Von der heldenhaften Füh-

rung im System zu weiser Führung am System, Zeitschrift Organisations-

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• Ehn, B. & Löfgren, O. (2010). The secret world of doing nothing, Uni-

versity of California Press.

• Grint, K. (2007). Learning to lead: can Aristotle help us find the road

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• Jullien, F. (1999). Über die Wirksamkeit, Merve.

• Jullien, F. (2006). Vortrag vor Managern über Wirksamkeit und Effizienz

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• Küpers, W. (2006). Integrale und authentische Führung In: Wielens, H.

(Hrsg.) Führen mit Herz und Verstand – integral und authentisch; Band 2

Schriftenreihe Kamphausen-Verlag, pp. 335—378.

• Küpers, W. (2008). Perspektiven responsiver und integraler Ver-Ant-

wortung in Organisationen und der Wirtschaft In: Heidbrink, L. (Hrsg) (2008),

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• Küpers, W. (2012). Die Kunst der Weisheit als integrale Praxis in Organi-

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Führung und Organisationsentwicklung, wertebasiert, entwicklungsorien-

tierte und systemintegriert, 3, 14, 46-57.

• Lenk, H. (1983). Eigenleistung: Plädoyer für eine positive Leistungskultur,

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• Neuberger, O. (1988). Spiel in Organisationen, Organisation als Spiel.

in: Küpper, W. & Ortmann, G. (1988). Mikropolitik, Rationalität, Macht und

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• Scharmer, C. O. (2009). Theorie U — Von der Zukunft her führen.

Pre sencing als soziale Technik. Carl-Auer.

• Wagner, A. (2007). Gelassenheit durch Auflösung innerer Konflikte.

Mentale Selbstregulation und Introversion, Kohlhammer.

• Waldenfels, B. (2004). Phänomenologie der Aufmerksamkeit,

Suhrkamp.

• Wunderer, R. & Küpers, W. (2003). Demotivation ➔ Remotivation.

Wie Leistungspotenziale blockiert und reaktiviert werden, Luchterhand-

Wolters-Kluwer.

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