Indigene Voelker und die Vereinten Nationen.

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Indigene Volker und die Vereinten Nationen 500 Jah re danach Zur heutigen Lage der indigenen Volker beider Amerika Ethnologische Schriften ZOrich, ESZ 13 V61kerkundemuseum der Universitat ZOrich

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Indigene Volker unddie Vereinten Nationen

500 Jah re danachZur heutigen Lage der indigenen Volker beider Amerika

Ethnologische Schriften ZOrich, ESZ 13V61kerkundemuseum der Universitat ZOrich

Indigene Volker unddie Vereinten Nationen

500 Jahre danachZur heutigen Lage der indigenen Vblker beider Amerika

Bis vor relativ kurzer Zeit blieb der Begriff «indigen» weitgehend unbekannt.Der Begriff wurde zusammen mit einer Unzahl anderer Umschreibungen ver-wendet, ohne dass genaue Vorstellungen daruber bestanden, was sie genaubedeuten. Mit dem jungsten, globalen Erwachen indigener Identitaten kon-frontieren sich indigene und nicht-indigene Volker gegenseitig in allen Berei-chen des Lebens innerhalb der politischen Systeme yon Staaten, und damitsind unsere Vorstellungen, wer «sie» sind, bedeutend klarer geworden.

Dieser Aufsatz basiert auf der Tatsache, dass sich in der heutigen Zeitmehr und mehr indigene Volker auf der internationalen politischen Buhne be-tatigen. Insbesondere betont wird die neueste Entwicklung innerhalb der Ver-einten Nationen (UNO), die als wichtigstes Forum dieser Aktivitaten betrach-tet werden mussen.

Ich gehe yon der Oberzeugung aus, dass die meisten der zentralen The-men, welche die indigenen Volker in Sud-, Zentral- und Nordamerika betref-fen, heute ihre Bedeutung auch fUr die indigenen Volker in anderen Erdteilenhaben. 1m Geiste der schnell anwachsenden, weltweiten Solidaritat zwischenindigenen Volkern ist es angebracht, dementsprechend allgemeine Betrach-tungen vorzustellen, die diesen bedeutenden Prozess unterstreichen undmoglicherweise dazu beitragen, ihn zu fordern und auszudehnen. Wenn nichtexplizit auf spezielle Faile verwiesen wird, so setzt sich dieser Aufsatz ausinternationaler Perspektive mit der globalen Situation indigener Volker ausein-ander.

Aussenstehende haben seit langer Zeit mit wechselndem Erfolg versucht, in-digene Volker zu verstehen und zu charakterisieren. Die grosse Vielfalt ankulturellen Erfahrungen indigener Volker hat nicht gerade dazu beigetragen,diese Realitat zu begreifen. Die meisten der vorgeschlagenen Begriffe zurUmschreibung yon «indigen» stellen sich heute als Fehlinterpretationen her-aus: Naturvolker, Eingeborene, Stammesvolker, Vierte Welt, ethnische Min-derheiten, «autochtones» im Franzosischen oder «aboriginal» im Englischen.

Ethnologische Schriften ZOrich, ESZ 13Volkerkundemuseum der Universitat Zurich

Eine unter dem Namen Cobo-Report bekannte Studie zur weltweiten Situa-tion der indigenen Volker leistete einen wichtigen und wertvollen Schritt inRichtung einer Synthese der bisherigen Vorstellungen, indem das Konzeptder «indigenen Bevolkerung» ins Zentrum gestellt wurde. Cobo schlug fol-gende Definition vor:

«Indigene Gemeinschaften, Volker und Nationen sind solche, die eine histori-sche Kontinuitat aufweisen mit Prainvasions- und prakolonialen Gesellschaften,die sich auf ihren Territorien entwickelten; die sich seiber als yon anderen, heu-te auf diesen Territorien oder TeHendavon lebenden Sektoren der Gesellschaftverschieden betrachten. Sie stellen gegenwartig nicht-dominante Sektoren derGesellschaft dar und sind entschlossen, die Territorien ihrer Vorfahren und ihreethnische Identitat zu erhalten, zu entwickeln und kunftigen Generationen wei-terzugeben in Obereinstimmung mit ihren eigenen kulturellen Mustern, sozialenInstitutionen und rechtlichen Systemen." (United Nations 1986, voI.V:29)

Die Schwierigkeiten bei der Formulierung einer Definition, die auf aile indige-nen Volker zutrifft und yon allen akzeptiert werden kann, werden im Cobo-Report offen eingestanden. Aus diesem Grund wird der Vorschlag als «Ar-beitsdefinition» bezeichnet und gegenwartig sowohl innerhalb wie, mit Aus-nahme der Internationalen Arbeiterorganisation (ILO)" ausserhalb der UNOals solche verwendet.

Auf einer weniger formellen Ebene hat sich aufgrund yon praktischer Er-fahrung in der Auseinandersetzung mit entsprechenden Fragen wahrend dervergangenen zehn Jahre allmahlich ein gewisser Konsens herausgebildet be-zOglich der Kriterien, die als Definitionsbasis berOcksichtigt werden sollen. Beidiesen Kriterien kann zwischen objektiven und subjektiven Kriterien unter-schieden werden. Die drei wichtigsten objektiven Kriterien beziehen sich auf(a) Vor-Existenz, d. h. die betreffenden Volker sind Nachfahren derjenigen,die ein Gebiet vor der Invasion eines anderen Volkes bewohnt hatten, (b)Nicht-Dominanz und (c) kulturelle Verschiedenheit. Das subjektive Kriteriumist der Grad an Selbstidentifikation als indigene Person oder indigenes Volk.Trotz dieser scheinbar klar abgegrenzten Reihe yon Kriterien bleibt die Tat-sache bestehen, dass in der Praxis in einigen Fallen Schwierigkeiten auftre-ten konnen bei der Bestimmung dessen, was tatsachlich ein indigenes Volkausmacht.

Kritik wurde yon verschiedener Seite geObt an der Verwendung des Be-griffes «Bevolkerung» im Cobo-Report. Dieser Begriff, so die Kritiker, beinhal-te eine demographische und quantifizierbare Konnotation. Ais Alternative wirdder Begriff «Volker" oder «Leute,) vorgeschlagen. Der Term «Volker» ist je-

doch umstritten wegen seiner Bedeutung im internationalen Recht bezOglichdes Rechts auf Selbstbestimmung. Die indigenen Volker seiber bevorzugenden Begriff «Volker», wahrend sich Vertreter yon UNO-Mitgliedstaaten starkfOr die Verwendung yon «Leute» einsetzen. Ich werde im Foigenden wie bis-her den Begriff «indigene Volker» benutzen.

In der Diskussion um Menschenrechte und Landrechte im Zusammen-hang mit indigenen Volkern stehen interethnische Beziehungen im Zentrum,in denen die indigenen Volker die Position yon Minderheiten einnehmen.Gleichwohl bezeichnen sich indigene Volker in der Regeln nicht als Minder-heiten im traditionellen Sinn des Wortes, da sie im allgemeinen nach Rechtenund Schutz mit grosserer Tragweite verlangen.

ScMtzungen zufolge leben weltweit rund 250-300 Millionen indigene Perso-nen (davon leben lediglich 10-15% in SOd-, Zentral- und Nordamerika). Dieneuesten erhaltlichen Zahlen Ober die Anzahl indigener Leute verteilt aufverschiedene Regionen der Welt finden sich zusammengefasst in Tabelle 1.Genaue Schatzungen Ober die Zahl indigener Leute zu machen ist eineschwierige Aufgabe, weil eine treffende und universell akzeptierte Definitionfehlt und zudem meistens nur ungenaue Daten aus Volkszahlungen vorhan-den sind.

In Tabelle 1 wird klar ersichtlich, dass indigene Volker praktisch Liberallleben: yon Feuerland bis zur kanadischen Arktis, sowohl in Regenwaldernwie in WOstengebieten. Sie weisen deshalb eine ausserordentliche Vielfalt inder Anpassung an die Umwelt und in ihren kulturellen Auspragungen auf. DieVariationen ihrer Subsistenzpraktiken sind enorm und umfassen das gesamteSpektrum yon Jagd und Sammeln Ober Hirtennomadismus, Fischfang,Schwendbau bis zum intensiven Ackerbau. Was den aussenstehenden Beob-achter beeindruckt ist gerade diese Vielfalt, angesichts derer es unange-bracht und geradezu naiv erscheinen mag, nach irgendwelchen Gemeinsam-keiten zu suchen. Gibt es Oberhaupt irgend etwas, das aile diese Lebens-formen verbindet? Vom Standpunkt eines aussenstehenden Beobachters ausbetrachtet glaube ich, dass zwei verbindende Faktoren ausgemacht werdenkonnen.

Der erste Faktor steht ausserhalb der indigenen Kulturen und in Verbin-dung mit der simplen, beinahe trivialen Tatsache, dass indigene Volker heuteweltweit in moderne Staaten integriert sind. Aile zeugen von den Resultateneiner Geschichte der Eroberung, der Dominanz und Kolonisation, die ihrenUrsprung entweder im Westen oder auf mehr lokaler Ebene hat. Die GrundedafUr stehen meist im Zusammenhang mit territorialer Expansion oder derAusbeutung von natUrlichen Ressourcen. Die postkoloniale Zeit hat leidernichts zu einer Verbesserung der Situation indigener Volker beigetragen. 1mGegenteil - die Situation hat sich in zahlreichen Fallen infolge des sogenann-ten «internen Kolonialismus» noch verschlechtert. 1m Interessenkonflikt zwi-schen indigenen Volkern und Staaten um Landrechte und natUrliche Ressour-cen stehen erstere unausweichlich auf der Seite der Verlierer.2

Der zweite Faktor ist innerhalb der indigenen Kulturen zu finden und be-zieht sich auf die Beziehung zu ihrer Umwelt, oder etwas konkreter zu ihremLand. Fur viele indigene Personen ist die Beziehung zwischen Kultur undUmwelt sehr eng und von entscheidender Bedeutung (vgl. S0ftestad 1988).

Diese zwei Faktoren zusammengenommen bieten einen AusgangspunktfUr das Verstandnis und die Anerkennung des derzeitigen beeindruckendenAuftretens indigener Volker in der internationalen politischen und diplomati-schen Arena.

Ob wir uns auf Zuckerplantagen in Belize, die Viehzucht in Brasilien oderdie Abholzung des Regenwaldes im indonesischen Teil Neuguineas bezie-hen, ob wir die Olforderung in Sibirien, Staudammprojekte in Norwegen oderMinengesellschaften in den Vereinigten Staaten betrachten, all diese Fallbei-spiele weisen eine Gemeinsamkeit auf: die Ausbeutung von natUrlichen Res-sourcen. Die Ausbeutung yon Naturschatzen wird meistens begleitet yon Um-weltproblemen, die eine Verringerung der Produktivitat erneuerbarer Ressour-cen mit sich bringt. Die Waldrodung fUhrt zur Degradierung des Okosystems,wenn nicht gar zu dessen Zerstbrung, wahrend Bergbau Luftverschmutzungoder die Freisetzung yon Radioaktivitat zur Foige hat, um zwei konkrete Bei-spiele zu erwahnen. Die Foigen in Form yon abnehmender Produktivitat undBrauchbarkeit des indigenen Landes fur die Nutzung bzw. Bewirtschaftungtragen die traditionellen Bewohner.

Um die Ausbeutung der Ressourcen zu ermoglichen werden die indige-nen Territorien fur Immigranten erschlossen und freigegeben. Die zustandi-gen Behorden gehen mit der Kontrolle uber den Zugang in der Regel lockerum, mit dem Resultat, dass oft Heerscharen von Fremden in die betreffendenGebiete einwandern, um die durch neue Infrastrukturen eroffneten Profitm6g-lichkeiten zu nutzen. Diese Invasionen ertolgen zusatzlich zu den oftmals be-

Tabelle 1Anzahl indigener Bewohner in den indigenen Regionen der Welt

Region Subregiona Bevolkerungb

Afrika 1. West- und Nordafrika 82. Horn yon Afrika und Nordafrika 63. Zentralafrika (Mbuti u. a. Pygmaen) 0,24. SOdafrika,d. h. San (Buschmanner) 0,1

Asien 5. Mittlerer Osten und WestasienC 106. Arabische Halbinsel 57. Zentralasien 278. SOdasien 519. Ostasien 6710. Kontinental-SOdostasien 1511. Insulares SOdostasien 15

Australien 12. Australien 0,25

Pazifik 13. Neuseeland 0,314. Melanesien 6,515. Polynesien und Mikronesien 8,5

Amerika 16. Nordamerik d 3,517. Zentralamerik 0) 13,018. SOdamerikani h 19,519. SOdamerikanisch 1,0

Arktis 20. Arktis 0,18

a Die Regionen und Subregionen wurden aufgrund einer R Ih von v r 111 den nKriterien abgegrenzt. Nicht in allen Fallen lassen sich jedoch dl Iben Kntenenanwenden. Die verschiedenen Regionen und Subregionen konnen in noch kletnereEinheiten unterteilt werden.b Bevolkerung in Millionen. Etliche dieser Angaben sind vorsichtige Schatzungen.C Subregion 5 umfasst die Kurden, Palastinenser und verschiedene Volker Afghani-stans. Die diesbezOglichenQuellen sind besonders uneinheitlich und verwlrrend, sodass die hier angegebenen Zahlen sehr unsicher sind.d Subregion 16 umfasst die Indianer der USA und Kanadas. Die Inuit Alaskas undKanadas wurden der Region 20 (Arktis) zugeteilt.e Subregion 17 umfasst Mexiko und die Karibik.

reits in grosser Zahl angeworbenen Arbeitskraften, die fUr den Bau und dieErrichtung der neuen Infrastrukturen benotigt werden.

Ober die negativen Auswirkungen auf die Umwelt hinaus zieht der Kon-takt zwischen indigenen Volkern und Immigranten, ob nur fUr kurze Zeit oderpermanent, gewohnlich sehr negative Auswirkungen auf die Gesundheitssi-tuation und auf das gesamte soziale und kulturelle Gefuge der indigenen Ge-sellschaften nach sich. Das jungste Beispiel dazu sind die in Brasilien leben-den Kaya'po, ein kleines indigenes Volk, von dem im Verlauf der letzten paarJahre insgesamt 70 Mitglieder Selbstmord begingen. Dieser Akt der Verzweif-lung, der in dieser Kultur traditionell nicht bekannt ist, scheint klar das Resul-tat eines Prozesses der Entwurzelung zu sein, der den Leuten den Glaubenin die Zukunft nimmt. Ein Fuhrer kommentierte resigniert, dass «sie jeglicheHoffnung verloren haben» (Tages-Anzeiger 1992).

1m Zentrum dieses zweiten Kapitels stehen die Aktivitaten aus dem Zustan-digkeitsbereich eines speziellen Gremiums innerhalb der UNO, der Arbeits-gruppe fUr indigene Volker.3

Die Menschenrechtskommission der UNO besteht bereits seit der Grundungder Vereinten Nationen. Wie der Name bereits klar besagt, liegt ihrZustandigkeitsbereich in den Menschenrechten. Ein genereller Trend in der Arbeit derMenschenrechtskommission lag in einer zunehmenden Verbreiterung der De-finition von Menschenrechten und damit einhergehend der Definition, was diegerechtfertigten Bedurfnisse und Rechte von spezifischen Gruppen sind. YonAnfang an wurde die Arbeit im Bereich der Menschenrechte von Minderheitenan eine eigens zu diesem Zweck ins Leben gerufene Subkommission dele-giert, an die Subkommission zur Verhinderung von Diskriminierung und zumSchutz von Minderheiten.4

1m Laufe der Zeit erweiterte sich die Anzahl Gruppen, die unter dem Be-griff «Minderheiten» zusammengefasst wurden. Die Aufgaben nahmen anKomplexitat zu und die Arbeit wurde dementsprechend erschwert. Die Not-wendigkeit, zweckorientierte Arbeitsgruppen einzusetzten, zeigte sich immerdeutlicher. 1mZuge dieser Entwicklung spaltete die Subkommission 1982 dieBestrebU1lgen im Zusammenhang mit indigenen Volkern als einen an Bedeu-

tung gewinnenden Teilbereich innerhalb der Arbeiten mit Menschenrechte abund ubergab die Zustandigkeit an die Arbeitsgruppe.

Der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC) er-machtigte 1982 die Subkommission, jahrlich eine Arbeitsgruppe einzuberufenmit dem Ziel:

... Entwicklungen betreffend der Forderung und den Schutz der Menschenrech-te und fundamentalen Freiheiten indigener Bevolkerungen zu uberprufen,unterEinbezug der yom Generalsekretar alljahrlich gewunschten Informationen yonRegierungen, speziellen Agenturen, regionalen intergouvernamentalen Or-ganisationen und Nicht-Regierungsorganisationen mit konsultativem Status,besonders jener von indigenen Bev6lkerungen, solches Material zu analysierenund die Schlussfolgerungender Subkommissionvorzulegen...... der Entwicklung yon Normen hinsichtlich der Rechte indigener Bevolkerun-gen .~esondere Aufmerksamkeit zu schenken, unter Berucksichtigung sowohlder Ahnlichkeiten wie Unterschiede der Situationen und Bestrebungen indige-ner Bevolkerungen auf der ganzen Welt... (United Nations 1982; kursiv v. V.)

Gemass dieser Resolution ist das Mandat der Arbeitsgruppe zweigeteilt. 1mRahmen des ersten Aufgabenbereich des Mandates hart die ArbeitsgruppeBerichte von indigenen Vertretern und Delegierten der Regierungen uber dieMenschenrechtssituation in den betreffenden Landern an. Dies verfolgt zweiZiele: Erstens fordert das Vorgehen den Dialog zwischen indigenen Organi-sationen und Regierungen, und zweitens verschafft sich die Arbeitsgruppedamit die wichtigsten Informationen, die sie benotigt, um sich dem zweitenTeil des Mandates zuzuwenden. 1mzweiten Arbeitsbereich ubernimmt die Ar-beitsgruppe die Aufgabe, internationale Normen zu spezifischen indigenenRechten auszuarbeiten. Die Arbeitsgruppe ist derzeit damit beschaftigt, eineDeklaration der indigenen Menschenrechte zu entwerfen, die spater von derUNO-Generalversammlung angenommen werden soil.

Das Ziel des Zusammentragens von Informationen uber eine bestimmteKategorie von Minderheiten, in diesem Faile der indigenen Volker, wurde inerster Linie durch die Organisation von jahrlichen Treffen zwischen indigenenReprasentanten und UNO-Vertretern angestrebt. Dies war und ist bis heuteeine Besonderheit innerhalb der UNO. Die Arbeitsgruppe trifft sich jedenSommer unmittelbar vor der Session der Subkommission am Sitz der UNO inGenf.

Struktur und FunktionDie Arbeitsgruppe ist verantwortlich gegenuber der Subkommission, die ihrer-seits der Menschenrechtskommission Bericht erstattet. Wichtige Entscheidun-gen werden jeweils im ECOSOC oder in der Generalversammlung getroffen.

Das Zentrum fUr Menschenrechte, ebenfalls mit Sitz im UNO-Hauptquar-tier in Gent, steht der Arbeitsgruppe in administrativen Belangen und als Se-kretariat zur Seite. Zudem gewahrt es den anwesenden indigenen V61kerntechnische Hilfe und dient ihnen als Beratungsstelle.

Die Arbeitsgruppe besteht aus tunt Mitgliedern, ausgewahlt aus den Rei-hen der Subkommission, welche die fUnt Kontinente reprasentieren. Sie stel-len ihre Dienste der Arbeitsgruppe in privater und individueller Eigenschaftzur Verfugung. Neben diesen Mitgliedern nimmt eine grosse Zahl an Beob-achtern, gr6sstenteils Vertreter indigener Organisationen sowie Reprasentan-ten yon Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) und Regierungen, an denSessionen teil.

1m Anschluss an die 6ffentliche Session ziehen sich die Mitglieder derArbeitsgruppe zuruck, um ihren Bericht zu schreiben. Von der Subkommis-sion angenommen, wird der Bericht Regierungen, Organen der UNO, spezia-lisierten Agenturen, intergouvernamentalen Organisationen und NGOs zuge-stellt, um deren Kommentare einzuholen. Diese Stellungnahmen werden ver-6ffentlicht und sind im tolgenden Jahr den Teilnehmern und Beobachtern derSession der Arbeitsgruppe zuganglich.

Tabelle 2Teilnehmende an der zehnten Sitzung der Arbeitsgruppe von 1992nach Kategorien der Beobachter

1. Mitgliedstaaten der UNO, vertreten durch BeobachterA 452. NGOs indigener Volker mit konsultativem Status beim ECOSOC 103. Andere NGOs mit konsultativem Status beim ECOSOC 274. Nationen und Organisationen indigener Volker 1185. Andere Organisationen und Gruppen 526. Indiv. Gelehrte, Menschenrechtsexpertenund -aktivisten etc. 198

Indigene Volker an der Session der Arbeitsgruppe 1992

a Diese Kategorien sind dieselben wie yon der UNO verwendet (vgl. United Nations1992c:1-4).b Daruberhinaus waren folgende UNO-Organisationen und andere internationaleOrganisationen durch Beobachter vertreten: das UNO-Entwicklungsprogramm, dasBuro des UNO-Hochkommissariats fUr Fluchtlinge, die Internationale Arbeiterorga-nisation, die Weltgesundheitsorganisation, das Internationale Komitee des RotenKreuzes und die InternationaleOrganisation fUrMigration.C Die Zahlen in dieser Kolonne beziehen sich auf die Anzahl Organisationen mitAusnahme yon Kategorie 1 (Lander) und Kategorie 6 (Personen). Bezuglich Kate-gorie 1 vgl. Fussnote d.d In diese Kategorie miteinbezogen sind auch: Holy See, Greenland Home RuleGovernment und Aboriginal and Torres Strait Islander Commission.

Anhand der Darstellung der zehnten Session der Arbeitsgruppe yom 20.-31.Juli 1992 soli in diesem Kapitel die Arbeitsgruppe als Treffpunkt fUr indigeneV61ker vorgestellt werden. Zusatzlich dient dieser Teil dazu, einige Aktivitatenim Zusammenhang mit indigenen V61kern vorzustellen, an welchen die UNObeteiligt ist.

TeilnehmendeFoigende Kategorien yon Beobachtern haben an der zehnten Session der Ar-beitsgruppe teilgenommen: (1) UNO-Mitgliedstaaten reprasentiert durch Be-obachter der Regierungen, (2) NGOs indigener Volker mit konsultativen Sta-tus beim ECOSOC,5 (3) andere NGOs mit konsultativem Status beim ECO-SOC, (4) Nationen und Organisationen indigener V6lker, (5) andere Organi-sationen und Gruppen, und (6) ubrige, d. h. Studenten und Gelehrte, Men-schenrechtsexperten und -aktivisten sowie andere Beobachter. Insgesamtverfolgten 615 Personen die zehnten Session der Arbeitsgruppe. Tabelle 2zeigt einen Oberblick der Teilnehmenden autgeschlusselt nach den verschie-denen Kategorien yon Beobachtern.

Indigene PartizipationInsgesamt stellen die indigenen Leute den grossten Anteil an Beobachtern(siehe Kategorien 2 und 4 in Tabelle 2). Indigene Organisationen mit konsul-tativem Status beim ECOSOC sind in der Regel etablierte und grossere Or-ganisationen, die uber ein weit entwickeltes, internationales Netzwerk verfu-gen. Den gr6sseren Anteil machen jedoch jene Vertreter indigener Volker,Nationen und Organisationen aus, die den konsultativen Status nicht besit-zen. Letztere sind vorwiegend lokale Organisationen, d. h. sie sind Vertretereiner einzelnen ethnischen Gruppe, eines Volkes oder yon Organisationenaut regionaler Ebene.

Durch wen werden diese Organisationen in Gent vertreten? Diese Frageist schwieriger zu beantworten. Organisationen mit einer traditionellen Basisin einer oder mehreren indigenen Kulturen sind in den meisten Fallen durch

ihre traditionellen Fuhrer vertreten. Daneben gibt es indigene Fuhrer, dieganz einfach ihr Volk reprasentieren, ohne einer Organisation anzugehoren.Was die formellen Organisationen betrifft, sind die Vertreter an der Sessionder Arbeitsgruppe vermutlich in den meisten Fallen gewahlte Mitarbeiter.Diese konnen je nach dem ein klares oder gar kein Mandat ihrer Organisa-tion haben. Die offiziellen Mitarbeiter in diesen oft kleinen Organisationenleisten ihr Arbeit in vielen Fallen ehrenamtlich oder nur im Rahmen einer Teil-zeitanstellung.

ments» (Ruckblick auf Entwicklungen). 1m Foigenden werden einige allge-meine Bemerkungen zu diesen beiden und zu weiteren Traktanden einge-bracht.

Andere TeilnehmendeEinige der UNO-Mitgliedstaaten waren durch Beobachter an der Session ver-treten (siehe Kategorie 1 in Tabelle 2). Dies sind jene Mitgliedstaaten, die dieBedeutung der indigenen Anliegen anerkennen und sich verantwortlich fUh-len, etwas zu unternehmen; jene, die ihre eigene, interne Politik betreffendder indigenen Volker zu verteidigen suchen; oder es sind Staaten, die blossteilnehmen, um die laufende Entwicklung zu verfolgen. Der Grossteil an Mit-gliedstaaten, die nicht teilnahmen, blieb der Session fern aufgrund der Ober-zeugung, dass die in der Arbeitsgruppe behandelten Rechtsfragen keine Re-levanz fUr ihre jeweiligen Minoritatenprobleme aufweisen.

Ein Teil yon Beobachtern vertrat andere Organisationen und Gruppen(siehe Kategorien 3 und 5 in Tabelle 2). In vielen Fallen stammen diese Or-ganisationen aus Europa oder Nordamerika oder bestehen aus nicht-indige-nen Mitarbeitern und Mitgliedern. Die Organisationen mit konsultativemStatus beim ECOSOC waren in manchen Fallen seit langerer leit etablierteund wohlbekannte internationale Menschenrechtsorganisationen. Sie sindinteressiert an den Angelegenheiten der Arbeitsgruppe entweder aufgrundihres umfassenden Engagements im Bereich der Menschenrechte oder ba-sierend auf spezifischen Anliegen bezuglich der Menschenrechte einigerausgewahlter indigener Volker. Viele dieser Organisationen nahmen nichtaktiv an den Beratungen teil.

Die letzte Kategorie yon Teilnehmern umfasst individuelle Gelehrte undStudenten, Menschenrechtsexperten und -aktivisten sowie Obrige Beobachter(siehe Kategorie 6 in Tabelle 2). Die meisten dieser Beobachter nahmen ander Session aus personlichen Interessen teil.

Standard-settingDie volle Bezeichnung dieses Traktandums lautet: «Standard-setting: Evolu-tion of standards concerning the rights of indigenous populations» (Festle-gung der Normen: die Entwicklung yon Normen betreffend der Rechte indi-gener Bevolkerungen).

Die Arbeitsgruppe entschied 1985, mit der Ausarbeitung einer Deklarationder Rechte indigener Volker fortzufahren (vgl. Alfredsson 1989). Ein ersterEntwurf wurde an der Sitzung 1988 zur Diskussion gestellt. Dies ist mit Ab-stand der wichtigste Punkt der Agenda, und zwar sowohl was den dar ininve-stierten leitaufwand betrifft wie hinsichtlich der potentiellen, langfristigenAuswirkungen.

An der Sitzung yon 1992 konnte die erste Lesung des Entwurfes beendetund wesentliche Fortschritte im Rahmen der zweiten Lesung gemacht wer-den.6 Der Deklarationsentwurf in der revidierten Version nach der zehntenSession wurde an Regierungen, intergouvernamentale Organisationen undNGOs verschickt, um deren Kommentare einzuholen. Die Arbeitsgruppe hatsich das liel gesetzt, einen definitiven Entwurf der Deklaration an der elftenSession 1993 abzuschliessen. Nach der Diskussion dieser Version durch dieUNO-Mitgliedstaaten wird sie yon der Generalversammlung schlussendlichangenommen.

Die AgendaDie Agenda der Sitzung der Arbeitsgruppe yon 1992 wies zwei wiederkeh-rende Traktanden auf, denen mehr Bedeutung zukommt als anderen: das«Standard-setting» (Festlegen der Normen) und der «Review of develop-

Review of developmentsDer volle Titel dieses Traktandums wiederum lautet: «Review of develop-ments pertaining to the promotion and protection of human rights and funda-mental freedoms of indigenous populations, including economic and social re-lations between indigenous peoples and states» (Ruckblick auf die Entwick-lungen im Bereich der Forderung und des Schutzes der Menschenrechte undfundamentalen Freiheiten indigener Bevolkerungen, unter Einbezug der oko-nomischen und sozialen Beziehungen zwischen indigenen Volkern und Staa-ten).

Innerhalb dieses Traktandums konnten Reprasentanten yon UNO-Mit-gliedstaaten wie auch die Vertreter indigener Volker der Arbeitsgruppe ihreBerichte zur aktuellen Menschenrechtssituation in den betreffenden Staatender Arbeitsgruppe prasentieren. Das kurzfristige liel dieser Berichterstattun-gen ist die Erleichterung oder erst Ermoglichung eines Dialoges zwischen

Regierungsvertretern auf der einen und indigenen Reprasentanten auf deranderen Seite.

aufgestellt: (a) Folklore und Kunst, (b) Biodiversitat und (c) indigenes Wissen(~nit~d N~tions 1992a). Die UNO hat entschieden, dass ein Arbeitsgruppen-mltghed eJne entsprechende Studie Ober Besitz und Kontrolle yon intellektuel-lem Eigentum und Vermogen durchfOhren soil.Studien

Obwohl nicht yon der Arbeitsgruppe initiert, muss in diesem Zusammenhangder sogenannte Cobo-Report erwahnt werden (United Nations 1986). DieSchlussfolgerungen und Empfehlungen der Studie spielten eine wichtige undrichtungsweisende Rolle zur gezielten Ausrichtung der Arbeit auf indigeneMenschenrechte auch innerhalb der Arbeitsgruppe.

Die Arbeitsgruppe ihrerseits initierte eine Reihe yon wichtigen Studien,die wahrend der Session behandelt wurden. Zwei der neuesten und bedeu-tendsten Studien solien im Foigenden kurz Erwahnung finden. Eine der Emp-fehlungen aus dem Cobo-Report ist, dass eine Studie durchgefUhrt werdensollte Ober die Vertrage, die weltweit zwischen indigenen Volkern und Staatenabgeschlossen wurden. Ein Mitglied der Arbeitsgruppe ist nun verantwortlichfUr die Realisierung dieser Studie. Ein erster Bericht Ober die Fortschritte derUntersuchung wurde an der Session vorgestellt (United Nations 1992b). FOnftypische Faile wurden dabei angesprochen: (a) Vert rage, (b) Abkommen, (c)andere konstruktive Vereinbarungen, (d) bilaterale und multilaterale Vertrage,in denen indigene Volker als dritte Partei berOcksichtigt werden, und (e) Obri-ge Faile, die in den erwahnten Kategorien nicht erfasst sind. Die letzte Kate-gorie ist entsprechend mannigfaltig, da sie viele Faile aus aller Welt ein-schliesst. Ein zweiter Bericht Ober den Stand dieser Studie wird der Arbeits-gruppe an der zwolften Session 1994 vorgelegt. [Zu dieser sogenannten«Treaty»-Studie siehe den Beitrag von Isabelle Schulte-Tenckhoff, S. 361ft.]

Fragen bezOglich des geistigen Eigentums indigener Volker haben dieArbeitsgruppe seit langerer Zeit beschaftigt. Der Deklarationsentwurf enthaltfolgenden Hinweis zum intellektuellen Eigentum:

Indigene Volker haben das Recht auf spezielle Massnahmen zum Schutz, alsgeistiges Eigentum, ihrer traditionellen kulturellen Manifestationen wie Literatur,Design, visuelle Kunst, Tanz, Saatgut, genetische Ressourcen, Medizin unddas Wissen um die nutzlichen Eigenschaften yon Tieren und Pflanzen. (UnitedNations 1992c:49)

Die «World Intellectual Property Organization» (Weltorganisation fUr geistigesEigentum) ist verantwortlich fUr internationale Handlungen auf diesem Gebiet,basierend auf einem relativ breiten und detaillierten Spektrum an Bestimmun-gen zu verschiedenen Formen des Rechts auf geistiges Eigentum. 1m Faileder indi~enen Volker ist spezieller Nachdruck erforderlich. Die folgenden Ka-tegorien von Rechten an intellektuellem Eigentum fUr indigene Volker wurden

Der freiwillige Fonds fOr indigene BevolkerungenDieser Fonds wurde 1985 yon der Generalversammlung eingerichtet. DasZiel ist, indigenen Reprasentanten zu den notigen finanziellen Mitteln zu ver-helfen, um ihnen eine Teilnahme an den jahrlichen Sitzungen der Arbeits-gruppe zu ermoglichen. Der Fonds wird yom UNO-Generalsekretar verwaltetmit der Beratung eines Gremiums bestehend aus fOnf Treuhandern. DerFonds stUtzt sich auf die Beitrage yon Regierungen, NGOs und anderen 6f-fentlichen und privaten Einrichtungen (United Nations 1990).

An der zehnten Session der Arbeitsgruppe konnte insgesamt 41 Perso-nen, Vertretern von 40 Organisationen aus 19 Landern, die Teilnahme er-moglicht werden, indem ihre Reisekosten Ober den Fonds gedeckt wurden.Dies bedeutete eine betrachtliche Zunahme der Anzahl Ober den Fonds un-terstOtzter indigener Personen im Vergleich zu den Vorjahren. Wahrend derDi~kussionen. Ober die Aktivitaten des Fonds an der Sitzung stellten einigeTellnehmer die Frage, ob durch den Fonds in Zukunft auch die Teilnahme inanderen wichtigen internationalen Foren unterstUtzt werden konne.

w.~r erleben in der heutigen Zeit eine zunehmende Aktivitat unter indigenenVolkern. Dieses jOngste und bemerkenswerte Phanomen indigener Aktivitat,was u. a. von wachsender Selbstsicherheit, ethnischer Selbstbehauptung undkulturellem Wiederaufleben zeugt, muss analysiert und verstanden werden.Dies einenteils, um die Ursachen dieser Aktivitaten zu verstehen, noch wichti-~er abe~ um die Konsequenzen fUr die zukOnftige Stellung indigener Volker1mspezlellen und die zukOnftige Rolle des Staates in der zivilrechtlichen Re-gierung im allgemeinen voraussehen zu konnen.

Beschreibung der Beziehung zwischen indigenen Volkernund den Vereinten Nationen

Meine eigenen Bestrebungen, den vorliegenden Fakten Sinn zu geben, kon-nen folgendermassen zusammengefasst werden. Die Frage der indigenen

Rechte und die heutige und zukunftige Position indigener Volker innerhalbdes modernen Staates scheinen um zwei Gegensatze zu kreisen. Auf dereinen Seite stehen sich Gruppen- oder Kollektivrechte und individuelle Rech-te gegenuber, auf der anderen Seite konkurriert das Streben nach Selbst-bestimmung mit demjenigen nach Partizipation. Diese beiden Streitfragenscheinen heute in der einen oder anderen Form zentrale Bedeutung fUr diemeisten indigenen Volker zu haben und dementsprechend auch fUr vieleStaaten.

Erstens leben indigene Volker innerhalb von Staaten, deren Rechtssy-steme sich meist, oder wenigstens in vielen Fallen, in Richtung des west-lichen Ideals und der nachdrucklichen Betonung des Individuums mit seinenRechten entwickelt haben, wahrend die indigenen Volker seiber die soge-nannten Kollektiv- oder Gruppenrechte in den Vordergrund stellen. Diesezwei sich diametral gegenuberstehenden Ansichten der kulturellen Basis vonRechten sind fUr indigene Volker insbesondere im Zusammenhang mit natUr-lichen Ressourcen von Bedeutung, d. h. im Zusammenhang mit Land oder,um einen umfassenderen Begriff zu verwenden, mit «Territorien». Die Austra-gung des Konfliktes zwischen Kollektiv- bzw. Gruppenrechten und individuel-len Rechten ist eng verknupft mit der sogenannten «Landrechtsfrage». Land-rechte beziehen sich ganz klar auf okonomische Rechte, so dass in prakti-scher Hinsicht die Frage nach Kollektiv- bzw. Gruppenrechten versus indivi-duellen Rechten dementsprechend eng verknupft ist mit der okonomischenGrundlage.

Zweitens und ebenfalls als Foige ihrer Einverleibung und Integration indie Grenzen des modernen Staates, versuchen indigene Volker, in Verbin-dung mit ihrer Position als indigene Burger des Staates stehende, grundle-gende Forderungen zu formulieren. Ais indigene Volker und Personen bemu-hen sie sich darum, einen gewissen Grad an Selbstbestimmung uber ihrLeben zu erlangen. Die Rechtfertigung des Staates, seine Burger zu integrie-ren und einzubeziehen, kreist um die Partizipation auf der Grundlage einerReihe von Werten, die a priori auf aile Subjekte oder Burger, ungeachtetihres ethnischen und kulturellen Status und Hintergrundes, zutreffen. Indiesem Faile handelt es sich offensichtlich um ein politisches Recht.

Beide Streitfragen, fUr sich seiber wie zusammen betrachtet, sind charak-terisiert durch Widerspruchlichkeit aus den Perspektiven der Staaten wie derMehrheit der indigenen Volker. Eine Losung zu finden scheint schwierig zusein. Die momentane, fast globale Tendenz in Richtung einer zunehmendenAufspaltung politischer Einheiten auf nationaler wie internationaler Ebenetragt nicht gerade dazu bei·, sich einer Losung anzunahern. In den Augen der

indigenen Volker offenbaren sich diese Widerspruche in elnlgen Fallen imWillen, eine alternative Zukunft zu wahlen, bei gleichzeitigen Bestrebungenals indigene Personen und als normale Burger behandelt zu werden. Hin-sichtlich der Frage von Selbstbestimmung und Partizipation verlangen einigeindigene Volker einerseits nach einem gewissen Grad an interner Autonomieoder Selbstbestimmung wie auch das Recht, am politischen System desStaates auf derselben Ebene teilzunehmen wie aile anderen Burger. Aus derSicht von Staaten erleichtert es diese Situation gewiss nicht, ihre Forderun-gen zu verstehen und ihnen Rechnung zu tragen.

Verstandnis der Beziehung zwischen indigenen V61kernund den Vereinten Nationen

Um zu verstehen, was hier eigentlich vor sich geht, ist es in erster Linie wich-tig, sich der Widerspruche zwischen westlichen Idealen, mit Betonung aufdas Individuum und die indirekte Regierungsform in der westlich liberalenTradition, und den indigenen Idealen, die auf die Gruppe und direkte Regie-rungsform, basierend auf traditionell kulturellen Werten setzen, bewusst zusein. In einem zweiten Schritt ist die Erkenntnis wichtig, dass diese beidenPositionen oder Kategorien in ihrem Innern nicht so einheitlich sind, wie dererste Anschein glauben machen will. Erstens unterscheiden sich Staaten, ob-wohl sie mehr oder weniger den gleichen, grundlegenden Satz an Werten be-zuglich politischer Fuhrung teilen, in bezug auf Interpretation und Grad anPragmatismus infolge spezifischer lokaler oder regionaler Probleme.

Zweitens, und dies ist vielleicht noch wichtiger, besteht die Tatsache,dass die indigenen Volker ihrerseits entgegen der ublichen Annahme keinegeschlossene Einheit bilden. (Dies soli nicht die offensichtliche Tatsache wi-derlegen, dass die an den Sitzungen der Arbeitsgruppe teilnehmenden indi-genen Volker sich als geschlossener Block den Mitgliedstaaten entgegenstel-len.) Dies sollte eigentlich zum vorneherein klar sein angesichts des Sachver-halts, dass sie erst vor kurzer Zeit begonnen haben, miteinander zu spre-chen; dass sie aus vollkommen unterschiedlichen kulturellen Verhaltnissenstammen, verschiedene Subsistenzformen und unterschiedliche Komplexitatder sozialen Organisation aufweisen sowie in unterschiedlichem Masse derIntegration in die betreffenden Staaten unterliegen. Hinzu kommt die Tatsa-che, dass sie in der Regel keine lingua franca zur Kommunikation kennen (essei daran erinnert, dass nur ein Bruchteil der indigenen Volker auf dem ame-rikanischen Kontinent leben und das Ausmass, in dem Englisch oder Spa-nisch in der ubrigen Welt als lingua franca dient, sehr gering ist). Daruberhin-

aus beherrschen sie, mit Ausnahme einiger Reprasentanten amerikanischerindigener Volker und einiger weniger aus anderen Weltregionen, die Feinhei-ten der Umgangsform und des Jargon westlich gepragter, burokratischer unddiplomatischer Tradition nur in geringem Ausmass, um ihre kulturspezifischenMitteilungen vorzutragen.

Verschiedene Faktoren tragen zu den Problemen bei, die sich fur indige-ne Volker im Zusammenhang mit der Arbeit auf der Ebene der UNO ergeben.Entscheidend fUr die Teilnahme an den Sitzung der Arbeitsgruppe sowie ananderen Aktivitaten der UNO sind die Faktoren Geld und bis zu einem gewis-sen Grade auch Zeit. Eine mogliche L6sung zur Oberwindung dieser Schwie-rigkeiten ware, dass die Sitzung der Arbeitsgruppe abwechselnd in Genf re-spektive verschiedenen indigenen Regionen stattfanden. Ein anderer Wegbietet sich in einer Aufwertung des «Freiwilligen Fonds fUr indigene Bev6lke-rungen». Wenn yon dieser Seite mehr Geld zur Verfugung stehen wurde,konnten mehr indigene Vertreter nicht nur an den Sitzungen der Arbeitsgrup-pe teilnehmen, sondern auch an anderen wichtigen Treffen der VereintenNationen.

Mit der Moglichkeit zur Teilnahme an den Sitzungen der Arbeitsgruppesind die Schwierigkeiten jedoch noch lange nicht ausgeraumt. Die Frage derSprache war seit Beginn bis zu einem gewissen Grade ein einschrankenderFaktor. Von Anfang an kam die Mehrheit der Reprasentanten aus der «Neu-en Welt», und viele yon ihnen verwendeten Spanisch als Muttersprache oderwaren davon als Zweitsprache abhangig. Dies bedeutet, dass immer eine be-achtliche Zahl an Vertretern teilnahm, die auf eine Obersetzung ins Spani-sche angewiesen waren, um die Veranstaltung mitzuverfolgen. Je mehr Re-prasentanten aus der «Neuen Welt» Jahr fur Jahr an den Sitzungen teil-nahmen, umso mehr nahm die Notwendigkeit der Obersetzung in die span i-sche Sprache zu. An der Sitzung yon 1991 wurde dies zu einem heissenThema, als mit der Ausdehnung der Sessionen auf zwei Wochen nicht auchgleichzeitig die bewilligten Gelder fUr die Obersetzungen erhOht wurden. DieProbleme nehmen jedoch damit kein Ende. Mit zunehmender Teilnahme indi-gener Volker aus aller Welt kommen immer mehr indigene Reprasentantennach Genf, die im besten Faile eine der offiziellen Sprachen der UNO einwenig beherrschen, im schlimmsten Faile jedoch der Veranstaltung gar nichtfolgen konnen. Dabei muss in Betracht gezogen werden, dass gerade diesfUr indigene Volker und Organisationen eine ausschlaggebende Frage seinmag in der Entscheidung, ob uberhaupt ein Vertreter aus ihren Reihen nachGenf geschickt werden kann oder nicht.

1m Jahre 1992 waren zehn Jahre seit der Grundung der Arbeitsgruppe ver-gangen. Aus der allgemeinen Entwicklung wahrend dieser ersten Dekadekonnen eine Anzahl Schlussfolgerungen gezogen werden. Erstens haben mitden Jahren die Anzahl indigener Reprasentanten einschliesslich der Organi-sationen und ethnischen Gruppen, die durch diese vertreten werden, sowiedie geographische Streuung ihrer Herkunft deutlich zugenommen. Zweitensist die Bedeutung der Position indigener NGOs im Prozess der Arbeitsgruppegewachsen, und die Beziehungen der indigenen Volker und ihrer respektivenOrganisationen untereinander haben sich intensiviert. Drittens scheint dem-gegeniiber die Stellung nicht-indigener und westlicher NGOs mit der Zeit anBedeutung verloren zu haben. Diese Organisationen haben nach und nacheine eher beratende Rolle eingenommen. Viertens scheint das Interesse derUNO-Mitgliedstaaten an der Arbeitsgruppe uber die Jahre zugenommen zuhaben.

1m Bezug auf die bisherigen Leistungen der Arbeitsgruppe sind zu die-sem Zeitpunkt zwei vorlaufige Schlussfolgerungen angebracht. In erster Liniehat die Arbeitsgruppe zu einem besseren Verstandnis der Situation indigenerVolker beigetragen. Ausserdem hat sich die Arbeitsgruppe zu einem einmali-gen Forum entwickelt, wo sich viele der indigenen Volker aus aller Welt jahr-lich treffen. Die langfristige Konsequenz davon k6nnte die Entwicklung einerneuen, supranationalen indigenen Identitat sein. Wahrend dieses Prozesseshaben sich die Beitrage der teilnehmenden indigenen Volker als ausserstwichtig erwiesen. Ich glaube, die Arbeitsgruppe wird weiterhin als zentraleInstitution funktionieren und indigene Aktivitaten, Initiativen und Kommunika-tion auf globaler Ebene erleichtern.

Indigene Volker sind Teil der viel breiter gefassten Kategorie «Minorita-ten». Wir erleben heute eine sehr interessante, durchschlagende und wach-sende Konzentration auf solche neue Kategorisierungen, welche auf neuenWerten und Kriterien basierend neue Verbindungen schaffen zwischen Bevol-kerungen. Die UNO spielt zusammen mit anderen internationalen Einrichtun-gen eine Schlusselrolle in der Schaffung und Formung dieser Identitaten. Diegeplante UNO-Deklaration ist ein erstes Beispiel dieser Tendenz. Ais Foigedavon haben die Verknupfungen zwischen den Fragen der internationalenVerantwortung, nationaler Souveranitat und der Achtung der Menschenrechteneuen Auftrieb und neue Dringlichkeit erlangt. Ais treibende Kraft hinter die-ser Entwicklung mit ihrem Streben nach Anerkennung yon Minderheiten kannder humanitare Internationalism us identifiziert werden, der zu einer notwendi-

Anmerkungen

1Die Arbeit der Internationalen Arbeiterorganisation im Bereich der indigenen Men-schenrechte ist sehr wichtig, muss jedoch in diesem kurzen Oberblick ausgelassenwerden, vgi. Swepston (1989).2Indigene Volker mOssen sich nicht nur mit Staaten auseinandersetzen, sondernmassgeblich auch mit Privatunternehmen (internationalen Konzernen), Finanzinsti-tutionen und internationalen Organisationen (Independant Commission on Interna-tional Humanitarian Issues 1987). Diese vier Kategorien yon Akteuren arbeiten oftzusammen und verstarken die destruktiven Effekte des internen Kolonialismus aufsoziale, kulturelle, wirtschaftliche und politische Bereiche zusatzlich. Diese Situationzeigt sich deutlich im OblichenAufbau yon Entwicklungsprojekten (Burger 1987).3Die Arbeitsgruppe fOr indigene Volker der Vereinten Nationen wird im folgenden als«Arbeitsgruppe» bezeichnet.4Die Subkommission zur Pravention yon Diskriminierung und zum Schutz yon Min-derheiten wird im folgenden als Subkommission bezeichnet.5Der Stellung einer Organisation mit konsultativem Status vor dem Wirtschafts- undSozialrates der Vereinten Nationen (ECOSOC) wird nach entsprechendem Gesuchgewahrt. Ein massgebliches Kriterium, um diesen Status zu erlangen, erfordert,dass die betreffende Organisation nicht nur Obereine lokale Basis verfOgt,sonderntatsachlich auf internationaler Ebene operiert. Organisationen mit konsultativemStatus beim ECOSOC konnen sich auch an anderen Aktivitaten der UNO als nurder Sitzung der Arbeitsgruppe beteiligen.6Die Begriffe «erste Lesung') (engi. «first reading») und «zweite Lesung» (engi.«second reading») beziehen sich auf das standardisierte Vorgehen innerhalb derUNO, wahrend dem der Entwurf einer Deklaration oder anderer wichtiger Dokumen-te vor Fertigstellung der definitiven Version zweimal Paragraph fOrParagraph disku-tiert wird.7Das Zitat ist entnommen aus einem Interview mit John Trudell im Film «Incident atOglala» yon 1992.

gen Neudefinition der Tagesordnung politischer Belange jenseits nationalerGrenzen gefUhrt hat. Zu welchen politischen Problemen auf nationaler oderinternationaler Ebene diese neue Entwicklung auch immer fOhren mag, esbleibt zu hoffen, dass sie akzeptiert wird und die modernen Staaten - ihrer-seits ein relativ junges, politisches Phanomen - in der Lage sein werden, sichauf die neuen, ethnischen Gegebenheiten einzustellen und den notigen politi-schen modus vivendi schaffen.

John Trudell, ein Oglala Sioux und indianischer Aktivist von hohem An-sehen, ausserte kurzlich: «(Die nordamerikanischen Indianer) sind gefangenzwischen Vergangenheit und Zukunft ... und zu gleicher Zeit wird ihnen dasRecht auf die Gegenwart verwehrt.,,7 Diese Betrachtungsweise trifft ebensofUr die indigenen Volker Zentral- und SOdamerikas zu, in der Tat auf die indi-genen Volker der ganzen Welt.

Ich danke ganz herzlich Christoph ROegg, Christian M. Erni sowie BrigitteArpagaus, die mir diesen Text aus dem Englischen ins Deutsche Obersetzten.

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